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Viertes Kapitel.
Mann über Bord!

Wir kamen in die Zone der Roßbreiten, einem Gürtel zwischen 30 und 35 Grad Breite, in dem veränderliche Winde und sehr unbeständiges Wetter herrschen, und näherten uns nun bei ständig klarem Himmel der Region der Passatwinde. Hei! Jetzt gings wie im Fluge vorwärts! Mit einer Segelflucht, die ihre Luvseite um manchen Fuß überragte, flog unsere schmucke Lady Emma dem Aequator entgegen. Stundenlang konnte ich, auf einem bequemen Ruhesessel ausgestreckt, dem Spiel der fliegenden Fische zusehen, die zu beiden Seiten des Schiffes plötzlich auftauchend, im Sonnenglast wie Lichtpfeile jäh vorüberschossen. Wie wonnig war diese Ruhe, dieses Träumen, während meine Lungen die heilsame, salzige Seeluft tief einsogen und der ganze Körper sich im Sonnenlichte förmlich badete.

Dr. Owen behauptete, der Ozean habe seine Heilkraft bereits ganz deutlich an mir gezeigt, und ich selbst fühlte mich auch schon kräftiger und frischer. Ich wurde unternehmungslustig. Mit Dr. Owen guckte ich eines Tages unter Marys Führung in alle Räume des Schiffes. In der Kombüse trafen wir den Koch beim Backen einer Pastete für die Kajüten-Mittagstafel. Der Raum war nicht viel größer als ein Schilderhaus!

Während Dr. Owen und ich uns erstaunt in dieser Miniaturküche umsahen, ließ Mrs. Burke sich mit dem Koch in ein Gespräch ein. Ob der Herd auch guten Zug hätte?

»Viel zu viel, Madam!« entgegnete der Koch, indem er uns erstaunt anglotzte. »Hier brennt alles an, wenn man nich immer aufpaßt. Es ist ein wahres Kreuz!«

Dr. Owen wollte wahrscheinlich leutselig erscheinen, kam aber mit seinem Versuch bei dem Koch an den Unrechten, denn auf seine joviale Frage:

»Na, wie gefällt Ihnen die Stellung als Schiffskoch?« erhielt er die unerwartete Antwort:

»Hm – ich denk beinah so, wie Ihnen das Amt als Schiffsdoktor!«

Wir Damen bissen uns fast die Lippen wund, um nicht in lautes Gelächter auszubrechen. Dr. Owens breites Gesicht zog sich verblüfft in die Länge, und er konnte nicht schnell genug aus der Kombüse verschwinden.

»Was für eine Pastete soll dies denn werden?« fragte Mrs. Burke den Koch. Dieser aber, der gerade im Begriff war, die Pastetenkruste mit seinem großen Küchenmesser zu garnieren, taumelte bei einem plötzlichen Schlingern des Schiffes, die Pastete glitt ihm aus der Hand und fiel mit einem dumpfen Klatsch auf den Boden. Ein Strom von Stachelbeermarmelade ergoß sich aus dem zerbrochenen Prachtstück.

»Nun sehen Sie selber, was drin ist!« antwortete ihr der Koch, der in seiner Wut das Messer mit solcher Wucht auf das Deck warf, daß die Spitze tief in die Deckplanken drang.

»Ja,« fuhr er fort, »wem möcht wohl so 'n wunderschönes Leben als Schiffskoch nich gefallen?«

»Ein Flegel, dieser Koch!«, sagte Mr. Owen, als wir uns weiter nach der Back begaben, »hoffentlich bekomme ich ihn einmal in meine Finger. Na, warte nur, alter Freund, an die Medizin, die ich dir dann gebe, sollst du dein Lebtag denken!«

Wir gingen zum Matrosenlogis. Durch die kleine Falltür guckten wir hinein. Zunächst war in dem dunkeln Loch nicht viel zu erkennen; nachdem sich meine Augen aber an die trübe Dämmerung gewöhnt hatten, sah ich auf einer grünangestrichenen alten Seemannskiste einen bejahrten Matrosen sitzen. Der Alte schielte fürchterlich, war über und über mit Pockennarben bedeckt, hatte lange, gelblich fahle, krause Haare und einen ebensolchen Vollbart. Blinzelnd starrte er uns eine Weile mit seinen Schielaugen an, dann ließ er den Kopf wieder sinken und blickte stumpfsinnig vor sich hin. Er war krank.

»Wie geht's?« rief Dr. Owen seinen Patienten an.

»O je, o je! Mir is, als hätt' ich glühende Propfenzieher im Leib!« stöhnte der Alte.

»Chronischer Gelenkrheumatismus,« flüsterte Dr. Owen uns zu. Und zu dem Alten: »Die Medizin immer rechtzeitig einnehmen!«

»Medizin?« sagte der Kranke. »Das ging viel leichter, wenn die Medizin Rum wär'. Das Teufelszeug, das ich gekriegt hab', kann kein Schwein nich runterwürgen. Nee, und wenn Sie mir das Schlagwasser mit alle ersoffene Ratten drin eingegeben hätten, denn wär's noch immer nich so'n Gesöff als die Medizin. Ich elendiger Sünder sitz hier und hab nich 'n Happen Rum – nee, Doktor, nich zum Trinken, man bloß zum Einreiben.«

In diesem Augenblick hörten wir den gellenden Ruf des Ausgucks:

»Segel voraus.«

Sofort eilten wir an Kapitän Burkes Seite. Das gesichtete Schiff kam rasch in Signalweite. Signalflaggen, die sofort bis zur Spitze der Besangaffel emporschwirrten und dort lustig im Winde zu flattern anfingen, gaben mit ihren bunten Farben der Lady Emma im Handumdrehen einen festlichen Anstrich.

Als der Fremde beim Näherkommen unsere Signale bemerkte, holte er die rote Flagge der englischen Kauffahrteischiffe nieder, die an der Briggsegels-Gaffel geweht hatte, und hißte einen langen schmalen Wimpel, die Antwortflagge, das Zeichen, daß das Signal verstanden worden war.

» All right!« sagte Kapitän Burke, das Fernrohr absetzend. »Es ist ein Engländer, und ohne Zweifel auf der Heimreise. Holen Sie rasch Ihren Brief, Miß Otway,« wandte er sich an mich, »und ist jene Brigg wirklich nach England bestimmt, so werde ich ihn mit der Bitte um Weiterbeförderung hinüberschicken.«

Ich flog förmlich nach meiner Kabine. Da ich mein Tagebuch bis zum Abend vorher pünktlich geführt hatte, brauchte ich nur noch die Begegnung mit der Brigg einzutragen. Nachdem ich noch meinem Vater und Archie tausend Küsse gesandt hatte, schloß ich mein umfangreiches Schreiben mit der kurzen Mitteilung, daß es mir gut ginge, und daß ich mich bereits sehr erholt hätte. Dann eilte ich wieder an Deck. Die Brigg, ein forsches kleines Fahrzeug mit scharfem Bug und überfallenden Masten, hatte sich uns inzwischen so weit genähert, daß sie nun dwars ab von uns lag.

»Brigg ahoi,« rief Kapitän Burke das fremde Schiff an.

»Holloh,« schrie von dort ein Mann zurück, von dem man nur den Kopf und die Schultern oberhalb der Reeling sah, während am Steuerrade ein riesiger Nigger stand, der unaufhörlich zu uns herübergrinste.

»Welches Schiff ist das, und wohin geht die Reise?« fragte jetzt Kapitän Burke.

»Brigg Königin der Nacht, von Mauritius nach Liverpool. Hundertundzehn Tage in See. Und wer sind Sie?«

Kapitän Burke antwortete ebenso kurz und knapp und erkundigte sich bei seinem Kollegen, ob er einen Brief mitnehmen wolle.

»Jawohl! Schickt ihn rüber!«

Schnell wurde eines der Quarterboote klar gemacht, und der Steuermann ließ sich hinüberrudern, um meinen Brief abzugeben. In kürzester Zeit war das Boot wieder zurück. Wir dippten die Flagge zum Dank und Abschied. Lange noch sah ich feuchten Auges der Königin der Nacht nach, bis meine Ozeanpost kleiner und kleiner wurde und endlich meinen Blicken ganz entschwand.

In Heimatsträume versunken, saß ich da. Da passierte etwas Schreckliches. Ich hörte, wie Kapitän Burke den Steuermann erstaunt fragte:

»Was will der Kerl denn eigentlich dort oben? Wer ist's? Rufen Sie ihn herunter! Solche Bummler kann ich an Bord meines Schiffes nicht brauchen.«

Mr. Green, der in Kapitän Burkes Worten einen Vorwurf zu wittern schien, trat ein paar Schritte vor, blickte aufwärts und brüllte dann mit so scharfer und barscher Stimme zu dem Matrosen hinauf, daß es mir eisig über den Rücken rieselte:

»He, Du da auf der Vormarsraa! Komm runter, Du – – – –« Und dann folgte ein Hagel von Flüchen und Schimpfworten.

Der Matrose rief irgend etwas, das wir nicht verstanden.

»Runter mit Dir!« schrie der Steuermann.

Der Mann glitt längs des Pferdes nach den Stengewanten. Da – ein Schrei – ein durch die Luft sausender Körper ... Dicht neben der Kombüse schlug er auf das Deck auf. Mühsam richtete er sich ein wenig auf. Der Mann sah entsetzlich aus. Blut rieselte über sein Gesicht. Mit einem verzerrten Lächeln blickte er uns an.

Dann ein Zucken und der Unglückliche brach tot zusammen.

Ich hörte Mrs. Burke gellend aufschreien, dann sank ich bewußtlos zu Boden.

Als ich wieder erwachte, ruhte mein Kopf auf dem Schoße meiner lieben Mary, die mir Stirn und Schläfen mit Wasser netzte. Der Leichnam des Verunglückten war entfernt worden, und mehrere Matrosen bearbeiteten die Decksplanken kräftig mit Seife, Wasser und Scheuerstein, um die Blutflecken zu entfernen.

Nie in meinem Leben werde ich den schrecklichen Anblick vergessen. Aber uns stand an demselben Tage noch ein zweites unheimliches Ereignis bevor.

Auf Dr. Owens Rat hatte Kapitän Burke der heißen Witterung wegen die Bestattung des verunglückten Matrosen möglichst bald, nämlich zur sogenannten »Ersten Hundewache«, d. h. zwischen 4 und 6 Uhr nachmittags, angesetzt.

Um jene Zeit hatte die Brise sehr nachgelassen; es war beinahe windstill, und vom Schiffsrumpfe zog sich nur noch schlangenförmig ein breiter, roter Lichtstreifen über die sanfte Dünung zur strahlenlosen Sonne hin, die fern wie eine glühende Kupferkugel in geringer Höhe über dem Horizonte hing.

Ich stand neben Mary auf dem Quarterdeck, als die Matrosen mit der Leiche ihres verunglückten Kameraden kamen. Der Leichnam, in Segeltuch eingenäht, lag auf einer Planke und war mit der großen roten Nationalflagge bedeckt.

Nachdem ein Teil des Fallreeps entfernt und die Planke in die Lücke gelegt worden war, begann Kapitän Burke mit den bei einer Bestattung auf englischen Schiffen üblichen feierlichen Zeremonien.

Entblößten Hauptes umstand die Mannschaft die Planke. Während Kapitän Burke das Gebet vorlas, herrschte tiefes Schweigen. Kaum hörbar plätscherte das Wasser. Als der Kapitän das Gebet beendet hatte, gab er ein Zeichen. Die Flagge wurde fortgezogen und die Planke angehoben. Sanft glitt der Tote in die Fluten.

Wenige Stunden darauf kam der fremde Mann.

Die Nacht war wunderbar schön, aber so schwül, daß man kaum atmen konnte. Im Südwesten dehnte sich unter der Silberkugel des Mondes ein langes, breites Lichtband aus, das trotz seines Glitzerns und Funkelns glatt wie ein Spiegel war. Von unsern Segeln schien ein sanfter, blasser Schimmer auszustrahlen, und scharf hoben sie sich von dem sammetschwarzen Hintergrunde ab, an dem zahlreiche Sternschnuppen aufblitzten, um nach ihrem kurzen Lauf wie Raketen in lauter Flitter zu zerstieben.

In der durchglühten Kajüte konnte man sich trotz des offenen Oberlichts und der beiden Windsegel nicht aufhalten. Nach dem Abendessen gingen wir an Deck, wohin der Steward für uns Damen ein paar Erfrischungen brachte, während Kapitän Burke und Dr. Owen behaglich ihre Pfeife rauchten und ab und zu einen Schluck kalten Grog tranken. Vier Glasen wurden angeschlagen – zehn Uhr. Außer dem fahlen, mehr einem leuchtenden Nebel ähnelnden Schein der Vorderdeckslampe war vorne kein Fünkchen Licht zu erblicken. Aber der Mond schien hell auf die weißen Decksplanken, so daß die gesamte Takelage hoch hinauf bis zu den Toppen wie mattes Silber schimmerte und ihr Schatten einem ebenholzschwarzen Netzwerke glich.

Ich betrachtete das reizvolle Schattenspiel auf dem Hauptdeck, als die Gestalt eines Mannes darüber wegschritt und sich dem Bootsmanns näherte, der bis Mitternacht Wache hatte. Wir sahen, wie die beiden sich beim Gespräch immer mehr ereiferten, bis Kapitän Burke schließlich dem Bootsmanne zurief:

»Was will der Mann eigentlich?«

Darauf ließ der Bootsmann den Matrosen stehen und meldete dem Kapitän:

»Er sagt, es sei ein fremder Seemann an Bord.«

»W – – a – – s?« fragte Mr. Burke gedehnt.

»Er sagt, es ginge im Schiffe ein Fremder umher, der nicht zur Mannschaft gehört!« wiederholte der Bootsmann.

»Wem hat er denn die Grogration weggeklemmt?« fiel Dr. Owen mit ironischem Lachen ein.

Kapitän Burke aber ließ den Mann holen, einen großen, strammen Matrosen mit schwarzem Haar, das ihm verwildert um die Ohren hing. Im Mondlicht sah sein Gesicht blaß und fahl aus.

»Was ist das für 'ne Geschichte mit dem fremden Mann an Bord?« fragte ihn Mr. Burke in ernstem Ton.

»Es ist aber 'n fremder Kerl an Bord, Kapitän,« antwortete der Matrose mit scheuem Seitenblick.

Nun sah ich auch, daß sich im Schatten der Kombüse die übrigen Matrosen versammelt hatten und eifrig lauschten.

»Haben Sie ihn denn gesehen?«

»Gewiß, Kapitän.«

»Unsinn ...« rief Mr. Burke ungeduldig aus.

»Ich war auf'm Vorderkastell, als er bei mir vorbeiging. Er schlich man so. Ganz langsam. Er hat mich auch angeguckt und sein Gesicht war ganz naß.«

»Wie konnten Sie sich so was bloß einbilden und noch dazu bei diesem hellen Mondschein?« sagte nun auch Dr. Owen ganz entrüstet zu dem Matrosen. Und Kapitän Burke wiederholte nochmals nachdrücklichst sein lakonisches:

»Un – sinn!«

»Es sah so aus, als ob er grad aus'm Logis käm'; als ich aber auf ihn zuging, da war er auf einmal weg!« fuhr der Matrose unbeirrt in seiner Schilderung fort.

»Weg? Wohin denn?« erkundigte sich nun auch der Bootsmann mit gespanntem Interesse.

»Na, so im Nebel da um'n Fockmast 'rum,« antwortete ihm der Matrose.

»Es wird wohl nichts anderes sein als ein blinder Passagier, der erst jetzt aus dem Laderaum zum Vorschein kommt,« meinte nach kurzer Pause Kapitän Burke.

»Holen Sie eine Laterne, Bootsmann, und untersuchen Sie vorn alles ganz genau.«

»Nee, Kapitän, 'n blinder Passagier war das nicht,« behauptete der Matrose, der den Fremden gesehen haben wollte.

»Was denn sonst?« rief Mr. Burke in scharfem Tone.

»Es war kein blinder Passagier,« sagte der Mann störrisch, während seine Stimme vor mühsam unterdrückter Erregung zitterte. Mr. Burke starrte ihn ganz verblüfft an und Dr. Owen schimpfte:

»Soll's vielleicht ein Geist gewesen sein, Sie Esel?«

In seiner Verlegenheit glotzte der Matrose den Arzt eine Weile an, ohne zu antworten, bis er sich plötzlich zum Bootsmann wendend, jäh hervorstieß:

»Tom Hartley hat ihn auch gesehn.«

»Holen Sie Tom Hartley, Bootsmann,« befahl Kapitän Burke, worauf der Angeredete mit Stentorstimme den Namen des Matrosen in der Richtung nach der Back zu in das Dunkel hineinrief. Gleich darauf trat aus dem Haufen, der sich im Schatten der Kombüse angesammelt hatte, ein Matrose hervor, der nun dem Achterdeck zuschritt, während vier oder fünf seiner Kameraden, die ihn ein paar Schritte begleiteten, am Fallreep stehen blieben.

»Na, Hartley?«

»Ich war beim Wasserfaß. Als ich mich umdrehe, seh ich dicht beim Fockmast 'n Schatten von 'nem Mann. Wie ich auf ihn zugehe, ist er auf einmal weg. Futsch!«

»Wieso war er futsch?« forschte Kapitän Burke.

»Fort war er – verschwunden – weg!« antwortete Hartley.

»Nehmen Sie eine Laterne, Bootsmann, und durchsuchen Sie den Vorderraum ganz genau,« befahl Kapitän Burke in mürrischem Tone.

Die drei Seeleute begaben sich nach vorn. Den ersten Matrosen hörten wir unterwegs zum Bootsmanne sagen, mit einer Laterne würde man den Fremden an Bord schwerlich zu sehen bekommen.

»Was meint er damit?« fragte Mrs. Burke.

Ihr Mann gab keine Antwort. Schweigend ging er, in Gedanken versunken, auf dem Achterdeck auf und ab. Mehrmals blieb er ein paar Sekunden in der Nähe des Fallreeps stehen, starrte nach vorne und blickte unruhig nach beiden Seiten, um dann seine unstäte Wanderung wieder aufzunehmen. Die an der Kombüse versammelten Matrosen waren dem Bootsmanne gefolgt und umstanden nun die Vorluke, um nur ja keinen Blick zu verlieren.

»Ob es ein Fremder war?« dachte ich im stillen. »Und wie mag er dann wohl an Bord gekommen sein?« Und ich muß gestehen, daß mir ein eisiger Schauer den Rücken hinabrieselte.

Auch Marys Gesichtsausdruck verriet mir ihre Angst und Sorge. Schweigend beobachtete sie ihren Gatten bei seiner rastlosen Wanderung. Nur Dr. Owen schien durch den mysteriösen Zwischenfall nicht im mindesten beunruhigt zu sein.

»Pah!« rief er in verächtlichem Tone, »natürlich ist diese ganze Geschichte von A bis Z fauler Zauber. Sie werden im Vorraum selbstverständlich keine fremde Nasenspitze, viel weniger einen fremden Mann vorfinden. Eine kleine optische Täuschung und – bautz! – dann läßt sich kein solcher Schwachkopf mehr ausreden, daß er mit seinen leibhaftigen Augen einen Geist, ein Gespenst gesehen habe. Abergläubisch sind alle Seeleute. Ich wette zehn gegen eins, daß jetzt jeder Matrose Stein und Bein schwört, es sei ein Geist an Bord.«

Unterdessen gesellte sich Kapitän Burke wieder zu uns und nahm seinen alten Platz ein.

»Sie werden nichts finden,« brummte er.

»Das habe ich soeben auch behauptet,« bemerkte der Arzt.

»Leider ist das aber gerade das Allerschlimmste,« fuhr Mr. Burke ärgerlich fort. »Das fehlte mir noch, daß solche Sachen auf meinem Schiff passieren.«

»Aber, Kapitän Burke, Sie wollen damit doch nicht etwa sagen – – –« rief Dr. Owen verblüfft aus, da ihm ebenso wenig wie mir der Unterton von nervöser Scheu in Mr. Burkes Worten entgangen war.

»Ich will Ihnen 'was sagen,« sprudelte der Kapitän plötzlich erregt heraus, »es ist verteufelt heiß heute nacht, gerade so, als ob wir uns im Roten Meer befänden.«

»Mir wär's schon recht,« erwiderte der Doktor gutgelaunt, »denn das ist ja der richtige Tummelplatz aller Geister und Gespenster ...«

»Ich bin nicht abergläubisch,« fiel ihm Kapitän Burke schroff ins Wort. »Aber auf See gibt's allerlei. Ich weiß nicht ...«

»Aber Edward, willst Du denn Miß Eveline mit aller Gewalt Angst machen?« sagte Mary.

Da begann der Kapitän eine etwas mysteriöse Erzählung von einer Brigg, die von Cork aus in See ging. Die Seelenverkäufer von Heuerbaasen, die verwünschten »Landhaie«, hatten einen sinnlos betrunkenen Matrosen ins Volkslogis geschafft, wo der Kapitän – der sich wahrscheinlich sagte: hat der Kerl seinen Rausch ausgeschlafen, so wird er schon von selbst zum Vorschein kommen – ihn den ersten Tag ruhig liegen ließ. Da der Mann sich jedoch weder rückte noch rührte, untersuchte man ihn und fand, daß er schon vor mehreren Tagen gestorben sein mußte und sicherlich schon tot war, als er aufs Schiff transportiert wurde. Jene Landhaie hatten eben, um ihre Provision nicht einzubüßen, den Toten an Bord geschleppt. Der Leichnam wurde bestattet. Aber während der ganzen Reise zeigte sich sein Geist Nacht für Nacht im Vorderteil des Schiffes, und stets schlug seine Geisterhand pünktlich auf die Minute »ein Glas« (d. h. halb ein Uhr nachts) an, wonach die unnatürliche Erscheinung verschwand und die Hundewache an Deck wieder aufatmete. –

Ohne Zweifel glaubte auch Mr. Burke insgeheim an diese Geistergeschichte, schämte sich jedoch, es uns gegenüber zuzugeben. Danach gab Dr. Owen, der für einen solchen Aberglauben nur ein ironisch-verächtliches Lächeln hatte, ein paar so drollige Gespenstergeschichten zum besten, daß selbst der Kapitän lachte.

Inzwischen hatte der Bootsmann seinen Auftrag ausgeführt und kam wieder nach achtern.

»Na, wie steht's?« fragte ihn Kapitän Burke.

»Niemand da, Kapitän.«

»Wo haben Sie gesucht?«

Der Bootsmann nannte eine Reihe von Orten, die mir damals auch dem Namen nach ganz unbekannt waren.

»Gut!« rief Kapitän Burke, von seinem Stuhle aufspringend, »vorläufig läßt sich nichts weiter tun.«

Am nächsten Morgen, als wir alle beim Frühstück saßen, begrüßten wir den Kapitän mit dem Morgengruß, den wir uns schon längst angewöhnt hatten:

»Wie kommen wir vorwärts, Kapitän?«

»Famose Fahrt macht sie,« antwortete Mr. Burke. »Schöne Oberbramsegel – Kühlte – aber es hätte nicht viel gefehlt, so wären wir von ihr überrumpelt worden.«

Der sonst so lebhafte und lustige Mann schien still und gleichgültig. Instinktiv fragte ich:

»Wurde in der Nacht noch etwas von dem Geist gesehen?«

Seine ganze Antwort beschränkte sich jedoch auf ein kurz angebundenes: »Nein, Miß!«

»Es war doch kein Geist!« rief nun auch Mary aus. »Mr. Owen hat ganz recht, zu solch einer Geistererscheinung gibt es keine besseren Zutaten als grellen Vollmondschein und das bewegliche Schattenspiel der Takelage.«

»Natürlich nur für solch einen Einfaltspinsel wie den Matrosen, der den Geist gesehen zu haben behauptete,« warf unser Arzt mit einem kaum bemerkbaren, lauernden Seitenblick auf Kapitän Burke ein, während dieser in müdem, schleppendem Tone erwiderte:

»Aber Mondschein und Schlagschatten können doch nicht Menschen, sich bewegende, wahrnehmbare Menschen vortäuschen!«

»Doch!« erwiderte Dr. Owen, »einer lebhaften Phantasie ist alles möglich.«

»Ich begreife gar nicht, wie Du so töricht sein kannst, Edward,« mischte Mrs. Burke sich nun in scharfem Tone in das Gespräch.

Ueberrascht beobachtete ich sie heimlich: dahinter steckte etwas. Sie spannte meine Neugier jedoch auf keine allzu lange Folter, denn nach einer kurzen Pause fügte sie halb spöttisch, halb ärgerlich hinzu:

»Der Mann, der zuerst den Geist gesehen haben will, hat meinem Manne nämlich durch die Worte: er hätte anfangs geglaubt, den Kapitän vor sich zu haben, da der Geist diesem sehr ähnlich gewesen wäre, einen großen Schreck eingejagt.«

Diese Indiskretion seiner Frau war dem Kapitän peinlich, denn er sagte mit einem gezwungenen Lächeln zu mir:

»Nach Ihrem Fortgange, Miß Otway, machte ich noch die Runde durch das Schiff, um selbst jeden Winkel zu durchstöbern. Den Matrosen, dem der Geist zu allererst erschienen ist, ließ ich mir nochmals holen und befahl ihm, mir den Geist zu beschreiben. Der Matrose sagte: ›Er hat Ihr Gesicht gehabt, Kapitän!‹ Nun glaubt meine Frau, ich ängstige mich. Hoffentlich glauben Sie's nicht auch. Miß Otway. Sonst könnten Sie sich ja nicht ruhig fühlen auf einem Schiffe, das unter der Führung eines Kapitäns steht, der sich durch ein Seemannsgarn ins Bockshorn jagen läßt.«

»Die ganze Geistergeschichte ist nichts anderes als ein Schabernack aus dem Volkslogis. Bald werden wir auch den Beweis dafür erhalten, darauf können Sie sich verlassen,« meinte Dr. Owen.

»Sicherlich wird der andere Matrose jetzt auch behaupten, daß der Geist, den er sah, Dir ähnelte,« sagte nun Mrs. Burke spöttisch lächelnd zu ihrem Manne.

»Das hat er bereits getan,« erwiderte der jedoch mit einer so ironisch tiefen und zeremoniellen Verbeugung, daß Dr. Owen in schallendes Gelächter ausbrach.

Als ich nach dem Frühstück an Deck ging, schloß sich mir Dr. Owen an und kam, während wir langsam auf und ab gingen, noch einmal auf des Kapitäns Aberglauben zurück.

»An einem so schönen Morgen wie heute ists wirklich schwer, an Geister- und Gespenstererscheinungen zu glauben, nicht wahr. Miß Otway?« begann er.

»Sollte der Fremde heute wieder zum Vorschein kommen, so tut er es hoffentlich bei Tageslicht,« antwortete ich. »Anscheinend hat die Geschichte auf Kapitän Burkes Stimmung eine sehr ungünstige Wirkung ausgeübt!«

»Auf die Ihrige doch hoffentlich nicht?«

»Nein,« erwiderte ich, »an Geister glaube ich nicht, jedoch an Vorzeichen, Ahnungen und Warnungen.«

Bei meinen Worten nickte Dr. Owen und murmelte etwas vor sich hin. Ich glaube, ihm lag noch etwas auf der Zunge, was er mir anvertrauen wollte, im letzten Augenblick jedoch unterdrückte. Schließlich sagte er mit einem Seitenblick auf den Kapitän, der an der Reeling eifrig auf seine Frau einsprach:

»Zu dumm, daß die Matrosen Mr. Burke sagten, die Erscheinung hätte ihm geähnelt. Auf viele Menschen macht so etwas Eindruck. Unser Kapitän wird dadurch ohne Zweifel stark beunruhigt. In seiner Anwesenheit müssen wir diesen Gesprächsstoff unbedingt vermeiden.«

Nach einer kurzen Pause fuhr er fort:

»Die wassertriefende Erscheinung, die der Matrose gesehen haben will, erinnert mich an Lord Byrons Erzählung von einem Schiffskapitän, dessen in Indien wohnender Bruder einst auf hoher See in seine Kajüte trat und sich in seine Koje legte. Als der Kapitän erwachte, fand er seine gesamte Bettwäsche durchnäßt vor –«

»Vielleicht hatte er nur vergessen, das Fenster in seiner Kabine zu schließen,« unterbrach ich ihn lachend, »und bei einigem Seegang ist ihm das Wasser hineingeschlagen.«

»Wie dem auch sein mag,« fuhr Mr. Owen in ernstem Tone fort, »jedenfalls erhielt Kapitän Kidd später die Nachricht, daß sein Bruder in jener Stunde ertrunken sei.«


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