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Als der Krieg schließlich vorbei war, reisten Frau Faber und Ejgil zusammen nach dem Süden.

Für Ulla war diese Reise wie eine Wiedereroberung des Erdballs. Sie hatte ihre Jugend in der großen internationalen Welt, in London, Rom und Berlin, im Orient und in Amerika, zumeist jedoch in Paris verlebt, zuerst auf Reisen mit dem Vater und später, nach seinem Tode, in einem unabhängigen Leben in den großen Zentren des Reichtums und Geschmacks. Und jetzt, nach vier Jahren der Dämmerung, ging der Vorhang vor dieser Welt wieder auf.

Sie stürzte sich in diese Reise, die sie lange geplant hatte, und ließ sich von ihr wie im Sturm nehmen. Und jetzt kam zudem das Neue: daß sie alles das, was sie geliebt hatte, die Sonne und die Palmen des Südens, die Marmorstädte Italiens, die Gärten des Orients, ihrem jungen Kameraden zeigen, sein frisches, wißbegieriges Gemüt dem Tone draußen, wo die Welt weit und gewaltig war, erschließen – ihn nach Bayreuth und Wien führen sollte! – Zu den Meistern der Musik – Wagner – Beethoven! Endlich einmal wieder den brausenden Orchestern draußen zu lauschen. – Und vor allem Paris, wo die Farben zu Hause waren, der blonde Abend über der Seine, das Gewimmel der Boulevards, die intimen Ecken der Cafés, der kristallklare Klang der französischen Sprache in den weißen Salons! – Endlich wieder zurück zu der Erinnerung an Männer, die sie draußen getroffen hatte – die tropische Glut der Nächte, der Tanz der Feuerfliegen über zwei Weingläsern, wenn sie und ein anderer zuletzt allein waren auf der Terrasse des Hotels in Algier.

Die alten Stätten, die herrlichen Städte, die schönen Länder, sie sollte sie wiedersehen, sie von neuem besitzen, sie dem öffnen, der bis jetzt als träumender Knabe in ihrem Hause gelebt hatte! –

Und jetzt auf der Hinreise wollte sie erst allmählich den Schleier von seinem Gemüt entfernen, ihn langsam lehren, das wunderbare Leben zu genießen, das draußen wartete. Und zuletzt: Einmal –! Was wußte sie selber? War sie nicht selbst noch jung, stark und erfahren, konnte schenken, reichere Gaben, als je ein Mann aus ihrer Hand empfangen hatte. Ersehnte dieser kluge, unberührte Knabe wohl etwas anderes auf der Welt als das, was sie verschwenderisch geben konnte – und wollte sie wohl einem anderen in der Welt geben als ihm? –

Aber drückendes Unbehagen begleitete sie auf ihrer Reise vom ersten Augenblick an. An allen Grenzen standen noch Wachen, die Städte Deutschlands waren von Not und Revolution verheert, hungernde Kinder, gebrochene Greise, Kriegsinvaliden begegneten ihnen überall. An der italienischen Grenze wurden drei blinde Offiziere von einer Rote-Kreuz-Schwester in ihr Abteil geführt. Die sechs leeren Augenhöhlen begleiteten sie bis Rom.

Sie sah, daß die Welt verändert war. Der Vorhang, den sie aufhob, war nur das Laken, das sie von einer Leiche zog. Ihre Reise wurde zur Flucht. Und erbittert sah sie ein, daß die Zeit, die ihr gehört, daß die Jahre, da sie Schönheit, Güte, Geist und Verträglichkeit geliebt hatte, durch einen Schwerthieb getrennt waren von einer Zeit, die noch hinter Wolken verborgen lag. Sie fühlte sich verraten, geplündert, einer Welt beraubt, auf die sie ein angeborenes Recht besaß. Hier waren nur Amputierte, Kriegswitwen, Kolonnen von Waisenkindern mit mageren, eingeschüchterten Diebsfratzen – und hinter Brandmauern lauerten sicher Horden aufrührerischen Proletariats!

Sie hatte ein Gefühl, als wäre Ejgil das einzige, das sie gerettet hatte! Er gehörte ihr, unabweisbar ihr, sie hatte ihn in eine Seidenhülle eingesponnen, wie eine Puppe ruhte er im Traum an ihrem Herzen, sie hatte einen Schleier zwischen die Welt und ihn gelegt, keine andere Frau war noch für ihn erstanden, keine andere sollte ihn besitzen. Diese Jahre waren für ihn wie ein Traum im Venusberg gewesen – jetzt – bald! – würde sie sehen, wie er erwachte, sich sehnte, forderte, das unsagbare Glück zu spüren, das in ihren Armen zu besitzen sein Recht war! Bald – bald! Nicht jetzt! In Paris! Vielleicht in Paris! Vier Jahre lang hatte sie sein Sehnen abgelenkt und geformt, schonend seine Triebe Träumen zugewandt, ihn mit Schönheit und Kenntnissen gesättigt, ihn gelehrt, auf eine Stunde zu warten, da alles fein werden sollte.

Aber jetzt, da ihre gemeinsame Reise nur eine Wanderung durch Nebel geworden war, wo sich häßliche Schatten aus den Ruinen des Krieges erhoben, jetzt hatte sie ihm nur noch das einzige zu geben: sich selbst. Ihr war klar, daß er das wußte wie sie und nur geduldig auf die Stunde wartete, da sie ihn zu sich rief.

Sie erreichten schließlich Paris. Sie fand die Konturen der Stadt wie früher, einen wimmelnden Menschenhaufen wie früher, aber das Tempo war schwer, das Antlitz ernst. Und aus den alten Cafés auf dem Montmartre, wo sie in blutjungen Jahren mit Studenten und Künstlern gelacht hatte, erklang jetzt ein neuer Ton: die amerikanischen Jazz-Bands, ein Rhythmus, der an ihren Nerven zerrte; aber sie verstand ihn, fühlte seine Kraft, er lockte wunderbar süß den Trieb, der noch in jedem lebt seit der Zeit, als die Welt nur ein Kral in einem Dschungel war.

 

* * *


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