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Zur Natur stand Frau Faber in keinem nahen Verhältnis. Sie pflegte zu sagen, daß in Westeuropa die Natur nur auf dem Meere und im Sternenhimmel existierte, der Rest wäre nur Land unter agrarischer Bestellung oder Routen für Touristen. Und sie selbst war auch wohl zufrieden damit, als Touristin im Luxuszug von einem internationalen Hotel zum anderen zu fahren. Die Natur in ihrem eigenen Lande bestand entweder aus öffentlichen Parks oder Villengärten in Privatbesitz. Für die moderne Freiluftbewegung fand sie Ausdruck im Tennisspiel oder Reiten.

Sie ritt in Gesellschaft Ejgils. Ihre Pferde standen in dem fashionablen Reitsaal, aber in der Frühjahrssaison machten sie oft mehrtägige Ausflüge in die Umgegend der Hauptstadt. Sie ritt als Kavalier im Herrensattel; in den gleichen dunkelfarbigen Reitanzügen glichen sie zwei jungen, gleichalterigen Brüdern.

Es war in den großen Tagen von 1916, als die Kriegshausse sich der Börsen der neutralen Länder bemächtigte. Wer wollte, brachte seinen Verbrauch auf schwindelnde Höhe, gestützt auf ein Konto mit Schiffahrts- oder Industriepapieren, das fast ohne Depot bei den zahllos aufschießenden Bankiers offen stand. Die neuen Reichen zeigten ihre platten Fratzen auf allen Promenaden. –

Ulla Faber vermied absichtlich jede Art von Spekulation, und ihre Lebensweise war jetzt, da das Land eine Orgie von gefräßigem, bereichertem Plebs war, verhältnismäßig bescheiden.

An einem dieser Frühlingstage war sie mit Ejgil in die Wälder Nordseelands geritten. Vor einem Hotel, wo sie Rast hielten, standen Reihen knallroter, blauer und gelber, funkelnagelneuer Automobile, mächtige Frühstücke wurden auf der großen Glasveranda serviert. –

Als Ejgil abstieg, entdeckte er Familie Strobel auf den Sitzen eines rotlackierten Rolls-Royce-Wagens. Theodor saß am Steuer und hinter ihm die Mutter mit Aase und ihrem Zahnarzt – sie waren, wie er wußte, jung verheiratet – sowie Kirsten. Er begrüßte sie.

Theodor betrachtete überlegen sein Reitpferd:

»Ich glaubte, diese altertümlichen Tiere gäbe es bei uns zulande nicht mehr! Wir haben doch, was wir an alten Mähren zusammenkratzen konnten, in den Krieg geschickt und totschießen lassen.« Er klopfte auf den Schmutzfänger: »Meinen neuen Wagen gesehen?«

Tante Strobel reichte Ejgil ihre fette, kleine Hand, vertraulich wie in alten Tagen:

»Theodor hat jetzt sein eigenes Geschäft und macht trotz seiner Jugend den größten Umsatz von allen an der Börse. – Wir liegen in Dampfschiffen, er und ich a meta – sag' deiner Dame, daß sie Skandia-Linie und Schlepper-Aktien kaufen soll; Theodor ist der Leiter eines Blocks, der sie hausst. Kirstenchen hat fünfhundert eingeschossen; sie hat zehn Jahre lang gespart, das kleine Tierchen, jetzt hat sie zwanzigtausend, nur als Taschengeld!«

Beide Häuser, erzählte Tante Strobel, wären mit riesigem Verdienst verkauft. Und der Zahnarzt, Aases Mann, bezöge mächtige Partien Wein aus Kalifornien, die er, als echten roten Bordeaux etikettiert, nach Deutschland schickte. Es bestände zwar ein englisches Verbot für den Export an den Feind, aber darauf pfiffen sie.

Kirsten stieg nicht aus dem Wagen, sondern hatte sich vom Kellner eine Zitronenlimonade bringen lassen, die sie mit einem Fünfkronenschein bezahlte, ohne sich herausgeben zu lassen. Sie sah hochmütig von ihrem Sitz auf Ejgil herab. Sie trug ein Kostüm aus hellblauer Seide und hatte einen Bubikopf wie Aase bekommen. Der Mund war ein anilinroter Strich mit einem Klecks in der Mitte. Auch Christian war mit im Wagen, er lag, nach Luft schnappend und fett auf dem Bärenfell mit einer hellblauen Schleife am Halsband.

»Es ist Ejgilchen«, sagte Tante Strobel mild zu Kirsten.

»So«, sagte Kirsten und sah gerade vor sich hin. Sie saß steif im Sitz, den Busen durch das teuflische Korsett zum Kinn emporgeschoben.

Theodor kam heraus. »Bleibt im Wagen«, sagte er. »Drittklassiges Lokal, schlechte Weinkarte und kein Orchester.« Er nahm auf dem Führersitz Platz.

»Wir fahren nach Marienlyst – halt' die Mähre, wenn ich starte,« rief er Ejgil zu, »daß sie nicht vor Schreck stirbt!«

Der Wagen fuhr fort in einem Rauchstreifen. Vorher begegnete Ejgil Kirstens Augen. Sie waren kalt und grausam. Der rote Fleck mitten auf ihrem Mund sah aus, als streckte sie ihm die Zunge aus.

Frau Fabers Heim, das waren für ihn nur Töne, Nuancen, die vorüberwogten und entschwanden. Ein Zimmer war grau, ein zweites weiß, ein drittes altrosa. Da war die Wölbung des Wintergartens aus Palmen und der Grund aus Orchideen, da waren die dunklen Paneele und Bücherrücken der Bibliothek wie die goldenen Türen zu tausend neuen Welten. Und durch die stille Dämmerung glitt Ulla Faber körperlos, wie ihm schien, eine Fee, ein Phantom, alles Licht war in ihr verdichtet, die Farben entbrannten unter ihren Händen, Blumen sprossen vor ihrem Fuß, wie wenn Venus durch ihren Garten wanderte. –

 

* * *


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