Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Für Ejgil waren die Jahre, die folgten, auf Halblicht gestimmt. Nichts war grell. Er wußte, daß nur ein einziger Schimmer von den Flammen draußen wie ein Messer geschnitten hätte, jeder Lärm wie eine kreischende Dissonanz hereingedrungen wäre. Er war tief dankbar für die ewige Dämmerung in diesem Hause, wo sein Gemüt in jenen Kampfjahren ein Gedeihen fand, das er monoton wie einen halb betäubten Schmerz fühlte.

Lange Zeit darauf fiel ihm, wenn er an diese Jahre dachte, ein Bild von Albrecht Dürer, eine Radierung, ein:

Ein geflügelter Genius sitzt tief verstimmt, die Hand gegen das Kinn gepreßt, da, es ist ein kräftiges, reifes Weib, die starken Falten des weiten Gewandes zeigen die Kraft ihrer Glieder, aber die Sorgen haben ihr Antlitz altern lassen; sie beugt sich nachdenklich, zweifelnd und doch in ruhigem Trotz gegen das Schicksal. In der rechten Hand hält sie einen Zirkel, dessen Spitzen sich um ein geschlossenes Buch spannen. Zu ihren Füßen sind eine Säge, ein Hobel und Zangen, die trägen Werkzeuge des Lebens, hingeworfen. Längst hat sie aufgehört, die konkrete Welt zu formen. Sie rann ihr wie Sand durch die Finger und wurde wieder zum Chaos. Ein Windspiel ruht in tiefem Schlummer neben ihr, alles Leben ist Ruhe geworden, und nur der Gedanke beschäftigt sich noch rastlos und unbezähmbar mit seinen Formeln. Aber die sphärischen Symbole – ein Globus und ein fünfflächiger Würfel – sind längst als Spielzeug verworfen. Alles Räumliche ist verlassen. Eine Leiter zur Höhe wird vom Rahmen der Welt abgeschnitten; ein Zeitglas hinter ihrem Haupte zeigt nur, daß die Ewigkeit zur Leere geworden ist. Der Genius hat, müde vom Grübeln, seine Augen erhoben. Die Ziffern auf einer quadrierten Tafel sagen ihr nichts mehr, der Regenbogen, der sich über den Stern spannt, dessen Strahlen den Nebel zerstreuen, ist vor ihren Augen nur ein unfruchtbares Phantom. Von dem Pfeiler über ihrem Haupte starrt auf seinen zerbrochenen Bogen ein verweinter Eros. Aber auf den bleichen, weit ausgebreiteten Flügeln einer Fledermaus steht ihr Name geschrieben: Melancholia!

 

* * *


 << zurück weiter >>