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Theodor kam im hellgelben Überzieher mit einer Blume im Knopfloch und rundem Hut.

»Willst du mit ausfahren in meinem Luxusauto?« fragte er. Sein Vorgesetzter, Herr Favier, erzählte er, hielte unten und hätte Theodor » carte blanche« gegeben, einen Kameraden einzuladen.

Ejgil zog die Windjacke an, stülpte sich die Mütze auf den Kopf und ging mit. Es wurde eine Fliegetour mit Tuten und Heulen die Lange Linie und den Strandweg bis nach Skodsborg hinunter, eine Probefahrt mit Herrn Faviers neuem blaulackierten Automobil. Herr Favier saß, die Hände am Steuer, da und blickte geradeaus; Ejgil sah sein adlerartiges Profil mit dem kleinen Doppelkinn. Hin und wieder kam ein eigentümliches zurückhaltendes Lächeln in die Augenwinkel; er nickte den beiden Knaben zu.

»Na, sitzt ihr gut? Zieht euch den Pelz übers Knie, daß euch nicht friert!« Er half, den Eisbären am Haken zu befestigen. – Ejgil gab sich der Fahrt hin, ihr Rhythmus war ein Singen in allen Nerven. Von der Landschaft sah er nicht viel, es ging zu schnell, und er war die frische Luft und die freie Natur ganz ungewohnt. Sie machten ihn unruhig, auch Herr Favier machte ihn etwas unsicher.

»Nenn' ihn nicht Bureauchef,« flüsterte Theodor, »sondern nur Monsieur. Er ist geborener Franzose. Ich nenne ihn nur Favier, jedenfalls wenn wir unter uns sind.«

Auf der Terrasse des großen Strandhotels bestellte ihr Wirt einen vornehmen Wein und ließ die Jungen selbst nach der Karte wählen, was sie essen wollten. Ejgil bemerkte, daß Herrn Faviers Blick jedesmal, wenn man ihn suchte, auswich, dann aber wieder spürte er, wie die dunklen melancholischen Augen bald auf seinen Händen, bald auf seinem Gesicht weilten. Ejgil hatte gehört, daß der Chef seines Vetters jungen Handelsbeflissenen ein Wohltäter und Gönner war, ihnen Stipendien aus eigenen Mitteln gab und oft eine Klasse der Handelsschule bald ins Konzert, bald ins Theater mitnahm.

Theodor sprach ihn frei und, wie Ejgil fand, ohne Respekt an. Theodor war, wie es schien, auf der Börse zu Hause, sprach fachkundig über Fonds und Aktien und kannte die Spitznamen von bekannten Typen der Börse: der Limburger-Käse und der Outsider-Jobber in Zucker, »Fünf Points« genannt.

Herr Favier saß schweigend da und hörte ihm lächelnd, doch nicht immer mit gleichem Wohlwollen zu. Seine Augen trafen hin und wieder Ejgil, als suchten sie Zustimmung, daß Theodor ein wenig taktlos sei, daß man ihm aber seiner Jugend wegen verzeihen müsse. –

Theodor hatte von Gerüchten gesprochen, die an der Börse umliefen, daß ein Weltkrieg vor der Tür stände.

Herr Favier erklärte ihnen kundig die augenblickliche politische Lage und die offene Marokko-Frage.

»Der Krieg kommt,« sagte er, »aber kaum vor neunzehnhundertsiebzehn.« Er betrachtete nachdenklich die beiden Knaben: »Es werden ein wenig zuviel von euch geboren, ein Teil muß hinaus und sterben. Europa hat zu viele Mütter.

Und dennoch –«, Favier lehnte sich gedankenvoll zurück, »dennoch müssen die Jungen lieber haufenweise im Kriege fallen und die Mütter leben. Es gibt nichts wie eine Mutter«, sagte er, seine Stimme wurde zögernd und still. »Meine eigene Mutter lebt noch. Aber ach, weit, weit von hier. In Genf!«

Ejgil fand, daß Herr Favier auf einmal selbst einer kleinen älteren Frau glich, einem freundlichen Mütterchen mit milden, braunen Augen. Wie mußte er doch trösten und verstehen können, wenn man mit seinen Sorgen zu ihm kam.

»Ich habe auch eine Mutter«, sagte Theodor stolz. »Und sie ist ein tüchtiger, alter Junge, das können Sie mir glauben, Favier!«

Herr Favier runzelte ein wenig unwillig die Stirn. Er sah auf Ejgil. »Aber Ejgil hat keine Mutter? Er hat nie eine Mutter gekannt?« Er schüttelte betrübt den Kopf. »Nie eine Mutter gehabt zu haben!«

»Wenn der Krieg kommt,« sagte Theodor, »gibt es eine mächtige Hausse in Dampfern und Industrie. Und dann bekomme ich ein Konto in den Büchern der Firma. Nicht wahr, Herr Favier?«

Ihr Wirt schüttelte den Kopf, lächelte jedoch und trank den beiden Knaben zu; der Wein war stark und wärmte. Die Buchenkronen hingen, fast schneeweiß im Bogenlampenlicht, über ihrem Tisch. Tief unter der Terrasse lag der Sund, blauschwarz mit grünlichem Himmel von Leuchtfeuern und den Laternen der Kutter blinkend.

Es wimmelte von Gästen an den anderen Tischen um sie her. Immer neue Automobile kamen, die Herren krochen aus ihren Eisbärenpelzen, die jetzt in Gebrauch gekommen waren – die Damen kamen auf hohen Absätzen und in den engen, modernen Kleidern anstolziert, die bis zur Hüfte geschlitzt und nur durch eine Agraffe am Knie zusammengehalten waren.

»Ich höre, Sie wollen studieren, Ejgil«, sagte Herr Favier. »Ich glaube, Sie sollten lieber zum Handel gehen.« Er lächelte heimlich: »Die Akademiker haben heutzutage nicht mehr die Kultur gepachtet ... Die sitzen als Beamte in kleinen Wohnungen mit Hängelampe und einem Bücherschrank. Nein, die Kultur folgt dem Kapital, und das Kapital hat jetzt der Handel. In unseren Heimen werden Sie alles finden können, was schön und besitzenswert ist: Gemälde, Bronzen, Büchersammlungen und Porzellan. Kommen Sie einmal und sehen sich meine Bücher an – Vorzugsdrucke auf holländischem und japanischem Papier! Herrliche alte Pergamentbände.«

Ejgil blickte Herrn Favier unsicher an. Fast auf allen Fingern trug Herr Favier kostbare Ringe, und genau wie die geschliffenen Steine glänzten seine Augen. Ihm schien, als sei an Herrn Favier etwas, er wußte nicht was, das falsch war. Unwillkürlich zog er sich in sich selber zurück.

Ein trauriger und resignierter Ausdruck trat in die Augen des Bankiers, eine verzagte Betrübtheit, fast etwas wie Reue. Ejgil sah in diesem Augenblick, daß Herr Favier gute und etwas ängstliche Augen hatte.

»Nun ja«, sagte Herr Favier kurz darauf und wandte den Blick von Ejgil ab; es war fast, als fertigte er den Knaben ab: »Wir können es auch anders ordnen. Sie können einmal zu mir ins Bureau kommen. Dann werde ich Ihnen einen Brief an einen meiner Freunde geben, der Chef der Handelsschule ist. Er wird Ihnen einen Freiplatz verschaffen und später Legate.«

Er lehnte den Nacken gegen die Kante des Korbstuhls. »Sehen Sie,« sagte er, »dort oben steht der Sirius – dort der Große Bär – dort über Hveen die Kassiopeia!« Er schwieg und starrte ins Dunkel hinauf, wo die Sterne jetzt funkelnd hervorsprangen.

Auf einmal erhob er sich: »Kommt, laßt uns heimfahren.«

Sein Wesen den beiden Knaben gegenüber war von diesem Augenblick an ein anderes: gemessen, wenn auch freundlich. Er schlug ein rauschendes Tempo ein, sprach kein Wort auf dem Wege. Er hielt vor ihrer Tür in der Westerstraße, ließ sie aussteigen, und mit einem kurzen »Gute Nacht« verschwand er.

Theodor lachte: »Jetzt fährt er die ganze Nacht! Ich kenne ihn. Morgen früh ruft er im Kontor an, daß er in Korsör ist und erst zur Börsenzeit zurückkommt.«

 

* * *


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