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Viertes Kapitel

Resultate

Eine conservative Politik, die Bestand haben will in Deutschland, muß sich auf die Bauern stützen. Ein Ministerium, welches wahrhaft volksthümlich werden will, muß damit anfangen, bauernthümlich zu seyn. Alle Maßregeln zur Sicherung des gesellschaftlichen Friedens, zur Kräftigung der Staatsgewalt hallen nur für den Augenblick wider, sofern sie nicht von dem Grundsatz ausgehen, daß der Bauer die conservative Macht im Staate sey, daß darum vor allen Dingen seine Wucht erhöht, seines Charakters Eigenart gefestigt, seine Bedürfnisse beachtet werden müssen. Er stellt das in Ueberfeinerung verschobene Gleichgewicht in der Gesellschaft wieder her; den Socialismus kann man nicht mehr durch die Presse, nicht mehr durch Regierungsmaßregeln erfolgreich bekämpfen, man kann das aber durch die Bauern, durch die Pflege ihrer zähen Sitte. In den Bauern kann der praktische Staatsmann die leibhaftige Geschichte gegen die Geschichtslosigkeit unserer gebildeten Jugend aufmarschieren lassen, den leibhaftigen Realismus gegen die Ideale des Schreibtisches, das letzte Stück einer »Natur« gegen eine gemachte Welt; er kann in den Bauern die Macht der Gruppen und Massen wirken lassen gegen die ins Endlose zerfahrende und persönlich verflachte gebildete Gesellschaft.

Und doch haben unsere neuesten Gesetzgeber und Staatsmänner durchschnittlich fast ebensowenig Notiz von dem Bauern in seiner Eigentümlichkeit genommen, wie nur immerhin die alte Bureaukratie.

Es gilt vorab, den Bauernstand zu reinigen. Wir haben zwei Hauptarten von verdorbenen Bauern. Die eine bilden jene oben bereits hinreichend gezeichneten Entarteten, bei welchen sich der sittliche Ruin zu dem ökonomischen gesellt. Von ihnen kann die Gesellschaft nur auf chirurgischem Wege befreit werden, nämlich durch eine möglichst umfassende Amputation. Hier bleibt nichts übrig, als die Auswanderung ganzer derart verkommener Gemeinden wie von Einzelnen möglichst rasch und kräftig zu befördern. Eine Prämie, auf die Auswanderung solcher Leute gesetzt, wäre ein gefundenes Capital, das dem Lande hundertfältige Zinsen trüge. Dagegen gibt es noch eine glücklicherweise weit größere Classe höchst ehrenwerther bäuerlicher Proletarier, Leute, welche durch die Ungunst ihrer Gegend, ihres Culturzweiges, durch die überhand genommene Güterzersplitterung u. dergl. ins tiefste Elend gestürzt worden sind, die sich aber mit einer unendlichen Geduld und Langmuth, welche zuletzt in völlige Stumpfheit ausartet, immerfort schinden und plagen. Sie werden nicht entsittlicht durch das Elend, denn dieses ist ja schon ihr väterliches, ihr großväterliches Erbe gewesen, es ist historisch bei ihnen, sie wissen es nicht besser. Die Generation verkümmert selbst körperlich immer mehr von einem Menschenalter zum andern, und dennoch wird sie der väterlichen Sitte nicht untreu. Es ist mir ein solcher Bauernschlag bekannt, in öder Gebirgsgegend seßhaft, wo der ganze Stamm bereits dergestalt kränkelt, daß kaum ein Kind mehr vor dem dritten Jahre die Kraft zum Stehen, geschweige zum Laufen erhält, und doch tragen diese Menschen ihr Kreuz in Geduld; ganze Gemeinden siechen wie an einer langsamen Schwindsucht hin. Diese ausgemergelten deutschen Hungerbauern suchen in der Größe des Entsagens ihres Gleichen. Wie ihnen geholfen werden könne, ist eine nationalökonomische Frage, die schon sehr oft und mitunter trefflich erörtert wurde, gediegener und praktischer wohl kaum, als es Friedrich List in dem Aufsatze: »die Ackernverfassung, die Zwergwirthschaft und die Auswanderung« Friedr. List's gesammelte Schriften. Bd. II. gethan. Er stellt die Arrondirung der Güter mit Recht als oberstes Heilmittel voran. Allein die Praxis ist hier gar langsam den Wünschen und Begehren der Schriftsteller nachgekommen. Nur eines kleinen Versuches möge statt mehrerer gedacht werden. Eine fürstliche Frau verwandte viele Jahre einen Theil ihres Ueberflusses in wahrhaft fürstlicher Weise dergestalt, daß sie verkommenen Bauersleuten Ackerstücke zur Vergrößerung und Abrundung ihres Gütchens ankaufte, zur Erweiterung ihres Viehstandes beisteuerte und durch das Schenken von Saatfrüchten u. dgl. so lange nachhalf, bis in wenigen Jahren aus dem proletarischen Bauern ein ordentlicher Bauer geworden war. Es war mir gestattet, genauere Einsicht vom Gang dieses Verfahrens und seinen Erfolgen zu nehmen, und ich muß gestehen, daß letztere wahrhaft überraschend waren, namentlich im Verhältniß zu den aufgewandten Mitteln. Eine solche Art der Wohlthätigkeit überragt um deßwillen jede andere, weil nicht bloß einem Einzelnen augenblicklich geholfen wird, sondern ganze Familien gediegen gemacht werden, und Kindern und Enkeln, soweit es menschenmöglich, ein festerer Bestand gesichert wird. Wenn durch den Staat, wie durch Vereine eine Unterstützung der verkommenen Bauern auf diese Weise umfassender ausgebildet würde, dann wäre das nicht nur ein Act der Menschlichkeit, sondern auch einer sehr gesunden Politik.

Dem Bauern seinen festen Besitzstand zu sichern, diesen da, wo er sich bereits zersplittert hat, wieder auszurunden, ist eine der ersten Aufgaben nicht bloß für den Nationalökonomen, sondern geradezu für den conservativen Staatsmann.

Aber der Besitz allein genügt nicht, den Bauer zufrieden zu halten und ihn in seinem angeborenen conservativen Charakter zu festigen. Der Bauer ist in seiner Gemeinde zu Haus, und hier muß er sich behaglich fühlen. Es ist sehr verkehrt zu glauben, die Gemeindeverfassung für Stadt und Dorf müsse nach der gleichen Schnur geregelt werden. In einem größern Lande wird nicht einmal die nämliche Dorfgemeindeverfassung für alle Gegenden gleich praktisch seyn. Da das Gemeindewesen möglichst auf Sitte und Herkommen gegründet seyn soll, so muß man hier schon den Sondergeist des Bauern, soweit er höheren Interessen nicht zuwiderlauft, ein wenig walten lassen. Wo aber der moderne Staat sämmtliche Gemeinden rechtlich bereits in Einen Topf geworfen, da lasse man wenigstens die Sitte, welche so häufig das Recht ersetzt, eigenartig sich gestalten. Der Bauer ist mißtrauisch gegen die »Herren,« selbst wenn er mit ihnen auf der nämlichen Bank im Landtage sitzt. Er wird aber auch oft mißtrauisch gegen den ganzen Landtag, weil er so viele seinem beschränkten Gesichtskreis ganz fremde Interessen überwiegend dort vertreten findet. Die Idee des ganzen und einheitlichen Volkes, wie sie der constitutionelle Staat richtig erfaßt, ist ihm überhaupt noch etwas dunkel. Er sieht Bauern und Nichtbauern, Freunde und Fremde, und wie er über der Gemeinde oft den Staat nicht sieht, so sieht er über den Bauern das Volk nicht. Nun können wir aber doch den Bauern zulieb die alten Ständetage nicht wiederherstellen. Allein wir können den Bauer erziehen für die Idee des Volkes und der einheitlichen, vollen Volksvertretung. Dies geschieht, wenn wir die Bauern und die andern natürlichen Stände als solche wählen lassen zum Landtage, den Landtag selber aber als eine Vertretung des Volkes, nicht der Stände fassen. Es ist hier nicht der Ort, diesen Gedanken weiter auszuführen, es ist auch jetzt nicht an der Zeit, ihn zu verwirklichen. Wenn aber einmal der blinde Haß gegen alles, was nur von ferne wie ein Stand aussieht, einem ruhigen und objectiven Einblick in die natürliche Gliederung des Volkes gewichen seyn wird, dann wird man auch erkennen, daß eine aus ständischer Wahl hervorgegangene allgemeine Volksvertretung nicht bloß das richtigste und vollständigste verjüngte Abbild des ganzen Volkes geben, sondern auch das Mißtrauen des Bauern gegen die Landtage brechen wird, die ihm jetzt noch als von den Städtern einseitig beherrscht erscheinen.

Man läßt unsere jungen Beamten erstaunlich viel studiren. Daß sie auch die Bauern studiren möchten, daran denkt kein Mensch. Ein so tief eingreifender Verkehr mit den Bauern, wie er dem richterlichen und Verwaltungsbeamten meist zufällt, erfordert aber sein eigenes Studium. Die bureaukratische Zumuthung, daß umgekehrt der Bauer den Beamten studiren müsse, ist ganz verkehrt. Wüßten unsere Beamten durchschnittlich sich besser in das Wesen des Bauern zu finden, so wäre der Haß des letzteren auf die »Schreiber« nicht so gewaltig geworden. Ueber das Wesen des Bauern kann man freilich auf Hochschulen keine Collegien hören. Der Staat mißt und belohnt seine Beamten nach dem Normalmaß der Kenntnisse und der technischen Fertigkeit. Ob der Beamte die rechte Persönlichkeit besitzt, ob er sich einzuleben versteht in Sitte und Charakter des Volksschlages, mit welchem er zu verkehren hat, das ist für den modernen Staat eine unwägbare Größe. Der feindselige Gegensatz des Bauern zum Beamten wird aber so lange fortbestehen, als dem Beamten das Studium des Bauern gleichgültig ist. Es wird damit gar nicht behauptet, daß er gerade artiger gegen den Bauer seyn müsse. Die alten Amtleute zu unserer Großväter Zeit, von denen fast überall die Sage geht, daß sie die Bauern gar erbärmlich geschunden und geplagt, trafen bei aller Grobheit doch Charakter und Art des Bauern, sie zeigten ihm den Mann, wovor er allein Respect hat, sie waren im Verkehr mit dem Landvolke und nicht am Schreibtisch aufgewachsen, und kamen daher trotz ihren Gewaltstreichen besser mit dem Bauersmann zurecht, als unsere modernen Beamten, die ihm heute zu grob und morgen zu artig sind. Will der richterliche Beamte sein Studium des Bauern recht fruchtbar machen, dann lege er sich eifrigst darauf, der Proceßkrämerei unter den Bauern zu steuern. Durch allgemeine Satzungen läßt sich hier nichts ausrichten. Die Krankheit sitzt den Bauern im Blut. Nur die Persönlichkeit des Beamten, nur seine gründliche Erkenntnis; der Eigenart des Landvolkes kann, mit ganz bescheidener Einwirkung auf den Einzelnen beginnend, allmählich eine ganze Gegend in diesem Betracht wieder vernünftig und unbefangen machen. Hohes Verdienst läßt sich dabei durch die Einführung freiwilliger Schiedsgerichte erwerben. Der Bauernstand nimmt nun gleichsam seine eigene Cur selber in die Hand und zwar eine Radicalcur von innen heraus. In verschiedenen Ländern haben die Bauern bereits gute Anfänge mit freiwilligen Schiedsgerichten gemacht. Durch die freie Gemeindeverfassung wird solchen Bauerngerichten am besten vorgearbeitet, und merkwürdig genug begegnen wir den gedachten guten Anfängen gerade an Orten, wo die Selbstverwaltung der Gemeinden altes Herkommen war. Nicht bloß aus Gründen der Sittlichkeit, sondern auch um seiner politischen Grundsätze willen muß der conservative Staatsmann die freiwilligen Schiedsgerichte fördern, denn sie sind wiederum ein mächtiges Hülfsmittel, das Volk in seinem individuellen Leben stark und selbstbewußt zu machen, und wenn irgendwo, so wurzelt gerade bei uns Deutschen in dem kräftigen Sonderthum der Gaue und Stände die Macht der Nation.

Der Staat kann überhaupt viel mehr durch Staatsdiener, welche Persönlichkeiten sind, den Bauernstand veredeln und tragen und in sein Interesse ziehen, als durch allgemeine Gesetze. Es gehört ein eigenthümliches Genie dazu, die Art des Landvolkes zu ergründen und mit ihm in seiner Art zu verkehren, ein Genie, welches himmelweit von dem entfernt ist, was man in neuerer Zeit »volksthümliches Wesen« nannte, wie denn auch gerade unsere sogenannten Volksmänner bei den Bauern am allerwenigsten ausgerichtet haben. Solche Genies muß man hervorziehen und an den rechten Platz zu stellen verstehen. Darin unterscheidet sich gerade unsere Bauernpolitik von der bureaukratischen, daß wir das Landvolk durch die Hingabe an seine Eigenart zu uns heranziehen wollen, während die Bureaukratie das Bauernwesen durch Zustutzen und Ausrecken, durch Bleiloth und Winkelmaß in die geraden Linien einer nivellirten Gesellschaft einzuzwängen trachtete.

Die Landgemeinde kann von dem conservativen Staatsmanne nicht scharf genug in's Auge gefaßt werden. Im Gemeindeleben gewinnt der Bauer erst ein warmes Interesse für den Staat, der ihm sonst eine kahle, inhaltsleere Formel bleibt. Er begreift den Staat nur durch die Gemeinde. Das Gemeindeleben ist der Punkt, wo selbst der Bauer zum politischen Mann wird. Bei dem centralisirten, von der Schreibstube abhängenden Gemeindewesen des Polizeistaates war der Bauer nur durch seine Trägheit eine erhaltende Macht im Staate. Bei erhöhter Selbständigkeit der Gemeinde wird er erst recht auch handelnd zur erhaltenden Macht. Wo das deutsche Bauernthum sich je zur höchsten Kraft, zur wirklichen Thatkraft entwickelt hat, wie etwa bei den Dithmarsen des Mittelalters, da war auch ein streng gegliedertes, freies genossenschaftliches Leben vorhanden, das sich auch ohne die Stütze kaiserlicher Freibriefe durch seine eigene Tüchtigkeit lange Zeit zu behaupten vermochte. Setzen wir zum Vergleich ein anderes Bauernland dagegen: Polen! Man sagt, das Polen des achtzehnten Jahrhunderts mußte zu Grunde gehen, weil es keine Industrie, weil es kein Meer hatte, weil es ein bloßer Ackerbaustaat war. Es ist aber auch nicht einmal ein ordentlicher Ackerbaustaat gewesen, ja zu den Ursachen seines unvermeidlichen Ruins gehörte mit, daß es kein Ackerbaustaat war, daß ihm die in der modernen Welt durchaus geforderte breite Staatsgrundlage eines selbständigen Bauernthumes abging. Der polnische Bauer ist frei, aber nur persönlich frei, nicht genossenschaftlich selbständig, er ist frei, wie ein Proletarier. Darum ist er elender wie der russische leibeigene Bauer und eine sociale Null, wo dieser eine vollwichtige zukunftsreiche Gesellschafts-Macht ist. Polen besitzt Bauern, aber kein Bauernthum, Dörfer, aber keine Gemeinden. Ein Staat, in welchem der Bauer nur nach Köpfen zahlt, ohne eine selbständige sociale Gruppe zu bilden, hat heutzutage kein Recht des selbständigen politischen Bestandes. Auch der polnische Bauer hängt zäh am Alten, aber durchschnittlich nur am schlechten Alten, das gute Alte hat er vergessen. Der Gutsherr hält ihn in Elend und Dummheit zurück, damit der Bauer von »guter Art« bleibe. Wo er es wagt, sich einen Obstbaum zu ziehen, da haut der Gutsherr diesen nieder, weil Gott die Obstbäume nur für die Aecker der Edelleute geschaffen hat. Die Herrschaft sieht es gerne, wenn sich der Bauersmann im Schnapstrinken ruinirt, denn je mehr Schnaps getrunken wird, desto bessere Einnahme haben die herrschaftlichen Brennereien. Das alles ist auch »Bauernpolitik,« aber eine verdammt einfältige und nichts weniger als eine conservative.

Selbst bei den äußerlichen Formen der Verwaltung sollte man auf die Natur des Landvolkes Rücksicht nehmen, und dasselbe nicht mit Schnörkeln und Schreibereien verwirren, die es nicht versteht, ja die seinem Wesen geradezu zuwider laufen. Es wird dadurch nicht nur ein Mißtrauen gegen den amtlichen Mechanismus erzeugt, sondern oft werden den Bauern geradezu die Köpfe verschroben. Nur allzu häufig findet man jene »studirten« Bauern, die mit allen Griffen und Geheimnissen des Amtirens vertraut seyn wollen, die das juristische Kauderwelsch der Rescripte, Vorladungen, Verträge, Verfügungen etc. genau ausdeuten zu können vorgeben, und dadurch ganz wie die Goldmacher, wie die Leute, welche des Cirkels Viereck suchen, einen gehörigen Sparren in den Kopf bekommen. Diese Verschrobenheit kann bedenklich um sich greifen, wenn man erwägt, wie oft der Bauer mit dem Amte zu schaffen hat und wie oft er sich über die juristischen Hieroglyphen den Kopf zerbrechen muß, an deren Enträthselung ihm wohl gar Hab und Gut, Ehre und Freiheit hängt.

Wie der Beamte sich in den Charakter des Bauern einleben müßte, so noch viel mehr der Schullehrer. Unsere Lehrerpflanzschulen reißen den Zögling, der doch meist ein Bauerjunge ist, künstlich aus dem Bauernstande. Statt dessen sollten sie ihn, nur in erhöhtem Grade, erst recht in dessen eigenstes Wesen einführen. Die allgemeine Volksbildung, für welche man den angehenden Dorfschulmeister erzieht, ist eine Phantasterei, ein Erbstück aus dem Nachlaß der alten ausebnenden Rationalisten. Es gibt gar keine allgemeine Volksbildung, je tiefer vielmehr die Bildung in das eigentliche Volk geht, um so schärfer spaltet, gliedert, besondert sie sich. Der Dorfschulmeister ist nicht da, um ein pädagogisches System zu verwirklichen, sondern um den Bauersmann in seiner ächten Art verwirklichen zu helfen. Die meisten Dorflehrer fühlen sich darüber unglücklich, daß sie in ihrer Umgebung auf dem Lande keinen Menschen finden, mit dem sie sich »auf ihrem Bildungsstandpunkte« geistig, austauschen könnten. Dies ist die sicherste Probe, daß ihr Bildungsstandpunkt für ihren Beruf der verfehlteste ist, denn wäre er das nicht, so müßten sie gerade in der frischen Natur des Bauern das beste Element zum Austausche ihrer Gedanken finden. Die Dorfschulmeister und die Pfarrer bilden aber das eigentliche verbindende Mittelglied zwischen der verfeinerten Gesellschaftsschicht und dem Naturstamm der Bauern. Sie sind, wo sie überhaupt die rechten sind, das einzige Organ, durch welches der Gebildete, durch welches der Staatsmann durchgreifend und unmittelbar auf den Bauer einwirken kann. Die Volksverführer ahneten das recht wohl, als sie zuerst die Schulmeister zu gewinnen suchten. Desto schwächer scheinen die gesetzlichen Staatsgewalten diese Thatsache zu ahnen, sonst würde man sich's weit eifriger angelegen seyn lassen, die Schullehrer und die Pfarrer in das Interesse einer conservativen Politik zu ziehen. In dem Maße aber, als beide, Lehrer und Geistliche, aus ihrem naturgemäßen Mittleramte zwischen dem Bauern und dem Gebildeten heraustreten, bricht sich ihr Einfluß oder verkehrt sich in einen verderblichen. Das sahen wir in der Blüthezeit der rationalistischen protestantischen Consistorien, wo der Pfarrer zum reinen Beamten verfälscht wurde, dem die Kirchenbuchführung ein wichtigeres Anliegen seyn mußte als der Gottesdienst: das sehen wir jetzt, wo der Lehrer den örtlichen Boden seiner Macht und Ehre vergessend, das höchste Ziel des Ehrgeizes darein setzt, Staatsdiener zu werden.

Man hat die Frage aufgeworfen, wie lange wohl unser Ackerbau noch der Art bleiben würde, daß ein Stand der kleinen, freien Grundbesitzer, der hier geschilderte Bauernstand, möglich sey? Denn das Unvollkommene, Mühselige und wenig Ausgiebige der Wirthschaftsart, wie sie von der ungeheuern Mehrzahl der kleinen Bauern jetzt noch nach rohem altem Herkommen betrieben wird, muß doch bei den riesigen Fortschritten der Agriculturchemie, des rationellen Landbaues, und beim Wachsthume der Bevölkerung, welcher den Boden durchtriebener auszunützen drängt, über kurz oder lang einem gleichsam fabrikmäßigen, ins Große gearbeiteten Landbau weichen, der alsdann den kleinen Bauernstand in derselben Weise trocken legen würde, wie das industrielle Fabrikwesen den kleinen Gewerbestand bereits großentheils trocken gelegt hat. Daß diese Thatsache einmal eintreten mag, bezweifle ich durchaus nicht, überlasse aber die Erörterung der weiteren Folgen getrost unseren Urenkeln, falls dieselben finden sollten, daß die Frage bis dahin bereits eine »brennende« geworden ist.

Einstweilen halten wir an dem gegebenen Zustande, als dem für unsere Social-Politik vorerst noch allein praktischen, fest. Mag die Naturwissenschaft noch so gründlich – und sie hat ein Recht dazu – das alte Bauernthum unterwühlen, so taste wenigstens der Staat die ureigene Sitte des Bauern vorerst nicht geflissentlich an. Je weniger er sich um dergleichen bekümmert, desto besser für beide Theile. Man kann jene naturwüchsige Sitte so wenig künstlich erhalten und weiterbilden, als man sie künstlich ausrotten kann. Das Volk selber sorgt schon dafür, daß sie erhalten und weitergebildet werde. Wer sich, wenn auch in bester Absicht, in diesen als des Volkes eigensten Beruf einmischt, der macht sich im günstigsten Falle nur lächerlich und verhaßt. Ebenso sollte man den Wahn aufgeben, als ob durch das Aufdrängen fremdartiger Bildungsstoffe in sogenannten Volksschriften, die gemeiniglich vom Volke weiter nichts haben, als daß sie die Naivetät seiner Ausdrucksweise erkünsteln, beim Bauern irgend etwas auszurichten wäre.

Selbst sehr entschiedene Gegner des kirchlichen Lebens geben doch zu, daß die Kirche für den gemeinen Mann, und namentlich für den Bauer, mindestens ein zur Zeit noch unentbehrliches »Polizei-Institut« sey. Aber gerade in diesem Beruf, den Jene nicht ohne besonderes Behagen betonen, finden sie dann auch die Würde der Kirche auf ihr gebührendes Kleinmaß herabgesetzt. Für den jedoch, der unsern Bauersmann kennt, ist der Beruf dieser Kirche als einer Zuchtmeisterin des Geistes und der Gesittung nichts weniger als ein kleiner oder gar unwürdiger. Die geistige und gemüthliche Anregung des Bauern beschränkt sich auf einen ganz engen Kreis. Die höheren läuternden Genüsse der Kunst sind ihm fast ganz verschlossen, für ihn ist eine deutsche Nationalliteratur noch nicht geschrieben, sein Geist kann sich nicht erquicken in dem Stahlbad wissenschaftlicher Studien. Nicht bloß die religiösen Bedürfnisse muß ihm die Religion und der Cultus befriedigen, sondern auch für jene ganze Summe geistiger Anregungen des Gebildeten einen Ersatz bieten. Die Dorfkirche ist nebenbei auch des Bauern einziger Kunsttempel. Wenn ihm jenes die Sitten mildernde, sittigende Element, welches der Gebildete in tausend Gebilden des künstlerischen und wissenschaftlichen Lebens findet, in religiösen Formen nicht dargeboten wird, wo soll es ihm dann zu Theil werden? In solchem Sinne könnte man auch Literatur und Kunst ein unentbehrliches Polizei-Institut nennen, um den Gebildeten in den Schranken eines edlen Tones und seiner Sitten zu halten. Für das Landvolk fällt derselbe Beruf gleichsam als ein Nebengeschäft auch noch der Kirche zu.

Bei den Bauern wird der große Gedanke der Gegenwart, daß die Kirche vor allen Mächten das Geschlecht aus der socialen Verwirrung zu erlösen berufen sey, am leichtesten zu fruchtbarem Wirken gedeihen. Denn der Bauer fühlt sich der Zucht der Kirche noch nicht entwachsen. Bei ihm geht die Kirchenlosigkeit noch am sichtbarsten Hand in Hand mit der Gottlosigkeit und dem sittlichen und materiellen Verderb. Der Bauer, welcher neben die Kirche geht, wird in der Regel auch der social entartete Bauer seyn. Aus dieser einfachen Thatsache können unsere kirchlichen Agitatoren eine Fülle praktischer Winke für ihr Amt der inneren Mission unter den Bauern ableiten.

Man hat neuerdings die volksbildende Kraft der Volksfeste wieder erkannt, und dies ist ein gutes Vorzeichen. Der conservative Staat soll die ächten Volksfeste, namentlich die Bauernfeste, nicht unterdrücken, sondern vielmehr pflegen und fördern, denn in ihnen erfrischt und verjüngt sich die Volkssitte, in ihnen fühlt sich der Bauer so recht in dem vollen Behagen seines Standes, sie mehren und stärken den genossenschaftlichen Geist im Volke. Der ausebnende Polizeistaat legte in manchen Gegenden höchst sinnreich alle Kirmessen des Landstriches auf einen und denselben Tag, damit es ja keinem Bauern möglich wäre, vielleicht zwei oder drei Kirmessen in einem Jahr zu besuchen und solchergestalt gar viel Geld zu verthun! Mit derlei polizeilicher Kinderzucht wird die ächte Bauernsitte, deren Bestand dem conservativen Staate so unschätzbar seyn muß, geradezu vergiftet. Etlichemal im Jahr sich gründlich auszutoben ist dem Bauersmann eben so nöthig zur Pflege seiner körperlichen und geistigen Gesundheit, wie den vornehmen Leuten eine Badereise. Sehr treffend sagt Justus Moser von den durch die zärtliche Besorgniß des Polizeistaates längst unterdrückten periodischen Tollheiten des Bauernvolkes: »Die vormalige Ausgelassenheit zu gewissen Jahreszeiten glich einem Donnerwetter mit Schlossen, das zwar da, wo es hinfällt, Schaden thut, im Ganzen aber die Fruchtbarkeit vermehrt.«

Will sich's der Staat angelegen seyn lassen, daß der deutsche Bauer in seinem historischen Charakter auch künftigen Geschlechtern erhalten bleibe, dann kann er weiter nichts thun, als daß er störende und zersetzende Einflüsse von dem Bauernstande fern hält, seinen Sitten und Bräuchen nicht feindselig in den Weg tritt, seine ökonomische Lage bessert, und ihn mehr und mehr zum festen, wohlabgerundeten Grundbesitz wieder zurückführt, den Dorfbauer wieder zum Hofbauer zu erheben hilft, bei Verfassungs- und Gesetzgebungs-Arbeiten aber niemals über die eigenthümlichen Bedürfnisse des Bauern hinwegsieht, vielmehr diesen gemäß das ganze Staatswesen zu individualisiren sich bestrebt. Dadurch allein kann die Kluft zwischen dem Bauern und dem Gebildeten ausgeglichen werden, ohne daß Jener von seiner Eigenart etwas verloren gibt. Der Bauer wird dann mit der zähesten Liebe an der bestehenden Staatseinrichtung hängen, er wird zwar immer noch murren und brummen, weil er das überhaupt nicht lassen kann, und es gehört ja wohl auch zum Wesen des besten Staates, daß darin immer etwas gemurrt werde: aber zu muthwilligem, bübischem Aufruhr wider die Staatsgewalt, zum Zertrümmern der Grundpfeiler der Gesellschaft wird es der Bauer dann nie und nimmer kommen lassen.

Der Bauer ist die erhaltende Macht im deutschen Volke: so suche man denn auch sich diese Macht zu erhalten!


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