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Zweites Kapitel.

Der entartete Bauer.

Nachdem wir nun erörtert haben, was des deutschen Bauern bester moralischer Besitz ist, was er sich gerettet aus den Strömungen verheerender Zeitereignisse, müssen wir auch untersuchen, was er in diesem Betracht verloren hat. Ich zeichnete den Bauernstand bis hierher in seiner Glorie, es liegt mir nunmehr auch ob, ihn in seiner Erniedrigung und Verderbniß zu zeichnen. Ich schilderte ihn als die erhaltende Macht in der wankenden Gesellschaft; ich muß dagegen setzen, wie und wo sich das auflösende Element auch bei ihm bereits eingefressen hat.

Sein sittlicher Ruin geht vor allen Dingen Hand in Hand mit dem wirthschaftlichen. Der gleichmäßige, sichere Erwerb macht den Bauer gediegen. Nur die unberechenbaren Naturereignisse sollen es seyn, die seinen Erwerb schwankend machen. Sie können jedenfalls seine »Rache gegen die Gesellschaft« nicht herausfordern. Je mehr aber die Ackererzeugnisse Gegenstand der Speculation werden, den großen Verkehrskrisen preisgegeben, um so mehr tritt auch der Bauer, den es trifft, aus seiner ursprünglichen Art heraus. Hagel und Mißwuchs kann er hinnehmen, ergebenen Sinnes ausharrend, aber wenn er bei vollen Speichern darben muß um einer Geschäftsstockung willen, deren Ursachen er nicht begreift und an deren Nothwendigkeit er nicht glaubt, dann wird er gar leicht an sich selber irre.

Wir sehen dies an den Weinbauern in jenen Gegenden, die nicht blos nebenbei einen Landwein bauen, sondern deren Weinwachs für den Handel bestimmt, von allen Schwankungen des Marktes abhängig ist. Der Geschäftsmann versteht das, weil er auf die Handelskrisen zu rechnen weiß, der Bauer denkt selten an eine solche Berechnung, und wenn er auch hundertmal gewitzigt wäre. Nirgends sehen wir ein verkommneres und entsittlichteres Landvolk als in den eigentlichen Weingegenden. Der Grundpfeiler des festen Besitzes und des gesicherten Erwerbes fehlt dem kleinen Weinbauern ganz. Die feineren Weine – und von den eigentlichen Landweinen spreche ich nicht – sind ein Luxusartikel, dessen Vertrieb allen Schwankungen des öffentlichen Credits unterworfen ist. Auch die Ernte selbst hängt an dem Faden des Zufalls. Der große Gutsbesitzer kann den Schwankungen des Credits Trotz bieten, ja er kann auf dieselben wetten und wagen, er erträgt es auch, wenn unter zehn Weinjahren vielleicht nur zwei gute zutreffen sollten. Schon der mittlere Bauer, des kleinen gar nicht zu gedenken, erträgt dies aber um so weniger, als der Weinbau eine viel größere Vorlage von Baarcapital erfordert als der übrige Landbau. Ferner läuft die Verbesserung der Weincultur großentheils darauf hinaus, daß man den Muth und die nachhaltigen Mittel besitzt, um wagen zu können. Der große Gutsbesitzer im Rheingau z. B. veredelt seinen Weinbau nicht wenig durch das Spätherbsten, er muß freilich dabei zusehen können, daß ihm auch einmal eine halbe Ernte verloren geht. Dies kann selbst der mittlere Bauer wiederum nicht. Der Herzog von Nassau und der Fürst Metternich erzielen die besten Weine im Rheingau, weil sie für die Güte des Weines die Masse desselben am leichtesten in die Schanze schlagen können, weil sie überhaupt mit dem größten Capitale wirthschaften. In den eigentlichen Weingegenden ist leider der kleine Weinbauer als solcher eine Null geworden, nur der große Capitalist zählt noch: und der Mann, der die Hacke schwingt und die Bütte auf dem Rücken trägt, ist ein ganz beklagenswerther Proletarier, sofern er nicht über ein ansehnliches Capital verfügen kann. Ein Vorherrschen der Geldwirthschaft zerstört aber ächte Bauernsitte; denn diese steht immer noch mit einem Fuße in der alten Naturalwirtschaft. Daher ist der geringere Weinbauer in solchen Strichen großentheils verkommen und verdorben, mit Gott und der Welt zerfallen. Aus früherer Zeit an ein besseres Leben gewöhnt – denn noch ist es nicht allzu lange her, daß sich die Verhältnisse des Weinbauern so trüb gestaltet haben – hat er noch nicht entsagen gelernt, und da diese armen Leute ihren Wein nicht verkaufen können, dabei aber kein Stück Brod auf dem Tische haben, so ist es begreiflich, daß sie den Wein zuletzt selber trinken. So öffnet die bittere Noth dem Schlemmerleben die Thür, und nicht selten trifft man's in solchen »paradiesischen« Landstrichen, daß einem neben den Männern auch Weiber trunken und mit glührother Nase entgegentaumeln. Nicht daß es dem Weinbauern überhaupt schlecht geht, ist bei ihm bedenklich, sondern daß er sich in seiner eigenen Haut nicht mehr wohl fühlt und schwankend wird in Arbeit und Sitte. Damit tritt er ganz aus dem Rahmen heraus, in welchem wir oben den deutschen Bauer gezeichnet haben. Er wird sich auch in keiner andern Weise gründlich helfen können, als indem er den trügerischen Rest seiner Selbständigkeit vollständig aufgibt. Wer größere Capitalien besitzt, der möge das Wagniß des höheren Weinbaues auf sich nehmen, welcher überhaupt viel mehr in das Capitel von der Industrie als vom Ackerbau gehört. Der jetzige kleinere Weinbauer würde als Wirthschafter und Taglöhner des größeren Producenten eine weit gediegenere Stellung einnehmen als jetzt, wo er nicht leben und nicht sterben kann. In dem Maße als die mittleren Weine aus den weitern Handelskreisen verschwinden und in die Klasse der Landweine zurücktreten, in dem Maße als diesen gegenüber die Concurrenz des Bieres und Apfelweins übermächtig wird und nur der Luxus- und Modeartikel der feineren Weine einen größeren Markt behält, in demselben Maße wird sich der kleinere Bauer genöthigt sehen, den Weinbau für eigene Rechnung aufzugeben. Mit dem steten Wechsel zwischen kurzem Ueberfluß und langem Elend wird dann auch die Entartung der Weinbauern allmählig ihren Rückzug antreten.

Ein rasches Steigen und Fallen der Erwerbverhältnisse thut niemals gut beim Bauern. Gerade das langsame, gemessene Thun und Treiben und die gleichheitliche Arbeit bedingt ächte Bauernart. Vor ungefähr zehn Jahren wurden im Oberlahngau eine ganze Reihe Eisensteingruben aufgeschlossen, und zwar in Gemarkungen, wo vordem kaum je auf Eisenerz gegraben worden war, und ein recht gediegener Bauernschlag nur aus dem ziemlich mittelmäßigen Feldbau sein Brod gezogen hatte. Die Gruben zeigten sich sehr ergiebig und konnten, da die Erzgänge äußerst nahe an der Erdoberfläche herzogen, auch ohne großen Capitalaufwand ausgebeutet werden. Viele Bauersleute waren im Stande sich eigene Gruben anzulegen. Der rasch erzielte Baargewinn verlockte wie ein Zauber, ein förmliches Bergbaufieber ergriff ganze Gemeinden. Jeder wollte schürfen, jeder sich eigene Gruben erwerben. Es kam vor, daß Bauern ihre Häuser mitten im Dorfe niederrissen, um auf ihrer Stätte nach Eisensteinen zu graben! In wenigen Jahren schienen die Bauerndörfer in reine Bergmannsdörfer verwandelt zu seyn. Aber die Schwindelei trug bald ihre bitteren Früchte. Der gute Absatz stockte nach einer Weile, gar viele der neuen Bergleute mußten wieder zum Pfluge greifen, andere anderwärts ihr Brod suchen, und der alte solide Geist der Bauernschaft war gebrochen. Nur drei oder vier Jahre allzu leichten Erwerbs, nur drei oder vier Jahre Wohlleben und Aufgeben der alten einfacheren Sitten hatten hingereicht, um aus zufriedenen armen Leuten mißvergnügte Halbbauern zu machen, die den alten Halt ihrer Sitte niemals wiederfinden werden. Und doch wirkt der Bergbau an sich fast überall nur veredelnd auf die ländliche Bevölkerung, ja der Bergmann ist sonst das rechte Muster eines frommen Arbeiters, der rechte Stammhalter guter alter Bräuche und Sitten. Allein mit dieser historischen Figur des deutschen Bergmannes hatten unsere Schwindler eben darum nichts gemein, weil sie urplötzlich aus den festen Bahnen ihrer bisherigen Existenz herausgesprungen waren, weil sie einem jähen Gewinn ihren historischen Boden geopfert hatten. Wer den Bauer gediegen und ehrenfest erhalten will, der muß dazu thun, daß er in den Grenzen eines stetigen und festen Erwerbes verharre.

Die Zehntablösung, welche nicht sowohl von dem Ackerbau als von dem Kornhandel eine Fessel nahm, und darum nicht dem kleinen Bauern, sondern dem großen Gutsbesitzer, der zugleich Großhandel mit seinen Produkten treiben kann, materiellen Gewinn brachte, hat wesentlich dazu beigetragen, auch den kleinen Bauer zu einem kleinen Handelsmanne zu machen. Es geht ihm jetzt erst ein Licht auf über das Lottospiel des Fruchtmarktes und er beginnt sich demselben mit dem gleichen Eifer zu ergeben, mit welchem er sich dem Rechtsspiel (den Processen) und dem eigentlichen Geldspiel ergibt. Durch das kaufmännische Speculiren wird aber die Bauernsitte gebrochen, ohne daß der Bauer anderweit gewinnt, da er weder Intelligenz noch Capital genug besitzt, um an dem Wettspiel unserer Getreidebörsen mit dauerndem Erfolg theilnehmen zu können.

Wegen der gestörten Stetigkeit des Erwerbes ist es ein großer Ruin für die Dörfer, daß sich so viele verdorbene kleine Gewerbsleute dort niederlassen, die nicht Capital und Geschick genug haben, um in den Städten fortzukommen. Sie treiben dann ein Stückchen Ackerbau und ein Stückchen Gewerbe, und man weiß nicht recht, ob man sie handwerkende Bauern oder verbauerte Handwerker nennen soll. Jedenfalls pfuschen sie nach beiden Seiten gleichstark, machen den Bauer von seiner Sitte abwendig, da sie es selber doch niemals dahin bringen können, ordentliche Bauern zu werden, und mehren gleichzeitig den Ruin des kleinen Gewerbestandes. Durch sie hat sich gleichsam eine Colonie bäuerlicher Dilettanten im Schooße der Dörfer eingenistet, ein Auswuchs, welcher den ganzen Fluch der Verkommenheit in sich trägt und krebsartig um sich frißt. Sie spielen oft die Rolle der »verdorbenen Genies,« und locken dann die verdorbenen Genies und verkannten Großen unter den Bauernburschen zur Nachfolge.

Von diesem Zwitterwesen unterscheiden sich wieder die eigenthümlichen Zustände ganzer Landstriche, namentlich Gebirgsgegenden, wo irgend ein Gewerbszweig nothwendig den magern Feldbau ergänzen muß und darum auch längst historisch eingewurzelt ist. Wie leicht aber auch hier der feste sociale Bestand erschüttert wird, das haben uns die Schicksale der Nagelschmiede im Taunus, der Uhrenmacher auf dem Schwarzwalde, der Spitzenklöppler in Sachsen, der schlesischen Leineweber genugsam bewiesen. Der deutsche Bauer erhält sich nur da in vollester Kraft und Gesundheit, wo er ganz und ausschließlich Bauer ist.

Die schlimmen wirthschaftlichen Folgen übermäßiger Kleingüterei nachzuweisen ist hier meine Sache nicht. Nur von der daraus erwachsenden socialen Verderbniß will ich reden. Die Güterzersplitterung ist nicht neu, aber viele ihrer Folgen sind neu. An vielen Orten datirt sie auf Jahrhunderte zurück, allein die einfacheren Erwerbverhältnisse der alten Zeit brachen ihr die gefährliche Spitze ab. Auf derselben Morgenzahl, wo ein Bauer noch vor hundert Jahren seine feste Existenz finden konnte, vegetirt jetzt nur noch ein Proletarier. Die gesteigerte Ertragsfähigkeit des Bodens gleicht hierbei nur wenig aus. Der Bauer erscheint uns nämlich jetzt bereits als ein Proletarier, welcher aus seinem Gute nur so viel zieht als er verzehrt. Die idyllische Ansicht, daß ein solcher Mann sehr glücklich seyn müsse, können wir einem Poeten zu gut halten, der praktische Volkswirth wird einen solchen Bauer jedenfalls nur für einen armen Teufel ansehen. Die Erfahrung, daß dasjenige, was er verzehrt, von Jahr zu Jahr magerer seyn wird, bis er ausschließlich bei der unvermeidlichen Kartoffel stehen bleibt, liefert den Beweis dazu. Vor hundert Jahren mag das anders gewesen seyn. Die Lösung des Widerspruches liegt aber darin, daß der Bauer, und auch der kleinste, immer abhängiger vom Besitze baaren Geldes wird. Wo er sich sonst das Bau- und Brennholz umsonst im Gemeindewalde fällen durfte, da muß er es jetzt für theures Geld erkaufen. Sein Haus deckte er unter nachbarlicher Beihülfe selber mit Stroh, jetzt muß er den Dachdecker bezahlen. Die früheren Abgaben in Natura konnte er leichter aufbringen, als jetzt die Steuer in baarer Summe. Seine Unabhängigkeit vom baaren Gelde war sein Reichthum, sie bedingte seinen selbständigen Sinn. Weil dieser kleine Bauer so gar abhängig vom baaren Gelde geworden, weil er unter die Oberherrschaft der Juden gerathen ist, darum ist er so unendlich viel ärmer als früher bei gleichem Besitzstande. Man hat wohl zu früh gejubelt über die rasche und gründliche Abschaffung aller Naturalwirthschaft im modernen Staate. Es fragt sich, ob die Eigenart des Bauern, des conservativsten Elements im Staate, nicht zertrümmert wird durch das ausschließliche Herrschen der Geldwirthschaft. Hier hat die sociale Politik ihre Bedenken gegenüber der bloß ökonomischen geltend zu machen. Nicht mit Unrecht hat der Bauer einen so absonderlichen, instinctartigen Respect vor dem baaren Geld. Zahlt er doch lieber seine Zinsen doppelt in Früchten, die er unter dem Preis seinem Geldherrn bringt, als daß er in einfacher Baarzahlung den Zins abtrüge!

Die Gesammtheit – die Gemeinde – war vordem reicher an Gemeingut und zugleich bedürfnißloser, darum konnte der Einzelne bei weit leererem Beutel dennoch wohlhabender seyn als heutzutage. Die gleichen Anrechte aller Gemeindeglieder auf Wald, Weide u. dgl. waren eine Art von historisch-patriarchalischem Kommunismus. Sie beförderten einen scheinbaren allgemeinen Wohlstand, unter dessen Hülle eine ganze Reihe in sich unberechtigter kleiner Existenzen ausgebrütet wurde. Als die gesteigerte Civilisation, die höher gespannte Staatswirthschaft und der politische Sturz des Feudalismus den Sturz auch jener patriarchalischen Gütergemeinschaft forderte, da geriethen auf einmal unzählige kleine Bauersleute, ohne es selber anfangs recht zu merken, in die Klasse des Proletariats. Wenn man heutzutage dem Bauern den Communismus predigt, so vermag er das selten anders zu fassen, als in dem Gedanken der Rückkehr zu solchen Zuständen, die er sich freilich in gar rosig idealisirtem Lichte ausmalt. Wir werden weiter unten sehen, wie sich diese Ansicht in den letzten Revolutionsjahren praktisch bewahrheitete. Wo aber das Bauernproletariat in Folge der Güterzersplitterung und der geschilderten Verhältnisse sich ausgebreitet hat, wo der Einzelne sich in der Lage steht, weil er nichts mehr besitzt, über den »Diebstahl des Besitzes« zu philosophiren, da wird er dies doch auch in ganz praktischer Weise thun, und also weit eher mit den Criminalgerichten, als mit den politischen Tribunalen in Berührung kommen. Man hat selten gehört, daß man sich in solchen durch die Güterzersplitterung ruinirten Dörfern viel mit socialen Theorien plage, wohl aber, daß Holzdiebstahl, Wilddieberei, Feldfrevel u. dgl. daselbst an der Tagesordnung sind. Aber mit der Sittlichkeit fällt die Sitte, mit der Sitte lösen sich die Gesellschaftsgebilde.

Anders sieht es freilich in den großen Dörfern aus, wie sie meist größeren Städten benachbart liegen. Zu dem sittlichen Verfall gesellt sich hier noch der unmittelbare Einfluß städtischer Nichtsnutzigkeit. Hier »philosophirt« auch der Bauer bereits über die Gesellschaft. Aechte Bauernsitte existirt da ohnedies längst nicht mehr. Nur eine von allen Bauerneigenschaften ist meist zurückgeblieben: Grobheit und Rohheit. Das Proletariat solcher Dörfer ist jedenfalls das allergefährlichste; denn an innerer Verderbniß gibt es dem Abschaum des städtischen nichts nach, an Rohheit aber übertrifft es dasselbe. Ländliche Proletarier dieses Schlages waren es, welche Auerswald und Lichnowsky ermordeten.

Man kann nicht läugnen, daß der Verfall des ächten Bauernthums in den letzten fünfzig Jahren ungeheure Fortschritte gemacht hat. Erwägt man aber, daß nicht bloß örtliche ökonomische Zerrüttung, daß nicht bloß die Erbschaft seit Jahrhunderten verschrobener wirthschaftlicher Zustände zu diesem Ergebniß geführt, sondern daß der moderne Staat selber so recht mit Lust und Liebe das Bauernthum zersetzte, dann erscheint es fast wie ein Wunder, daß der deutsche Bauer im Großen und Ganzen sich selbst so treu geblieben, daß er ein so bedeutendes Theil seiner guten Sitte aus dem Schiffbruch gerettet hat.

Betrachten wir vorerst nur die Einflüsse der äußeren politischen Gestaltungen des neunzehnten Jahrhunderts. Drei- bis viermal hat sich derweil die deutsche Landkarte verändert, hier und dort wurde ein alter politischer Verband gelöst, die ganze innere Geographie Deutschlands gründlich durcheinander geworfen; niemand fühlte sich durch diese Herrschaftswechsel tiefer verletzt als der Bauer, und doch erschienen sie keinem Menschen grundloser als gerade ihm. Dem Bauern will daher die alte Geographie durchaus nicht aus dem Kopf, und die neue nicht hinein. Der preußische Westerwälder sagt nicht, er sey aus dem Regierungsbezirk Arnsberg, sondern aus den »Oranischen;« der Bauer in der Gegend von Schwalbach nennt seine Landschaft noch heute »die Niedergrafschaft Katzenellnbogen;« der Bauer des Lahngau's ist im »Solmsischen,« oder im »Weilburgischen,« oder im »Wied-Runkelischen,« oder im »Kurtrierischen« zu Hause; im badischen Oberlande existirt das »Hanauer Ländchen« noch immer im Sprachgebrauche des Landvolkes; dem ächten Pfälzer Bauern fällt es nicht ein, sich einen »Rheinbayern« oder »Rheinhessen,« oder einen Bewohner des »badischen Neckarkreises« zu nennen. Man muthet diesen Leuten zu, angestammte »Loyalität« zu zeigen, während sie sich doch selber sagen, daß damit gerade eine Loyalität für das Nichtangestammte gemeint ist. Der Gebildete weiß, daß es so und nicht anders hat kommen müssen, wenn er auch bedauert, daß man bei dieser Staatenbildung auf der einen Seite viel zu viel radical, und auf der andern viel zu wenig radical verfahren ist. Der Bauer weiß das nicht. Woher auch? Ihn bestimmt ein überkommener, dunkler politischer Herzenszug oder Haß; im Kleinen ähnelnd jenem instinctiven Preußenhaß der großen süddeutschen Volksmasse und der dunkeln Abneigung des Nordens gegen Oesterreich. Der Bauer ist ein geborner Particularist, nur ist sein Particularismus kein willkürlicher, sondern historischer Tradition entsproßt. Dieser Bauernparticularismus tritt auch nicht gleich dem dynastischen in offenen Kampf mit der Idee der Nationaleinheit; letztere ist ihm bloß gleichgültig, der Bauer ist ein natürlicher Particularist, ein Particularist aus Beschränktheit, nicht aus Neid, Eigennutz, Eifersucht und Dünkel, wie die andern Particularisten. Aber insofern man seinen natürlichen Particularismus auf's tiefste und – wie er glaubt – grundloseste gekränkt hat, wird er Oppositionsmann gegen die bestehende Staatsgliederung. Er wird radical aus Conservatismus. Nicht bloß sein Fürst, er selber ist mit ihm mediatisirt worden. Namentlich in ehemals geistlichen Besitzthümern, wo nicht nur politisches, sondern auch ein kirchliches Sonderthum im Bauern historisch geworden ist, finden wir es häufig, daß er sich durchaus noch nicht mit der neuen Landeshoheit befreunden kann. Die Stimmung der Bauern in Rheinpreußen und Münsterland wird noch auf lange Zeit hin den Beweis hiefür liefern.

Als in der Zeit nach dem Lüneviller Frieden eine Wiedische Dorfgemeinde in kurzer Frist dreimal ihren Landesherrn hatte wechseln müssen, vereinigten sich die Bauern zu einem entschiedenen Protest, und sprachen den Wunsch aus, man möge ihnen doch endlich einmal Einen Fürsten fest lassen. Die jüdischen Gemeindemitglieder, welche gleichfalls die Schrift zu unterzeichnen aufgefordert waren, erwiderten ablehnend in einem höchst originellen Sendschreiben, worin es zum Schlusse wörtlich hieß, sie hätten sich bisher an keinen der verschiedenartigen Landesherren »attachirt,« drum tue ihnen jetzt auch der Tausch nicht leid. Der Gegensatz des heimathlosen Dorfjuden zum Bauern spiegelt sich hier höchst bezeichnend. Allein man hat in unseren zerrissenen Staatengruppen vielfach den Bauersmann schon dahin gebracht, daß auch er sich an keinen mehr »attachirt.« Dadurch ist ein innerer Widerspruch in das Wesen der Bauern eingedrungen, und es dürfte doch wohl nicht zufällig und bedeutungslos erscheinen, daß gerade in dem geographisch zerfetzten Mittel- und Südwestdeutschland die historische Tradition des Bauern bis auf Sitte und Tracht hinab in neuester Zeit unglaublich rasch verschwunden ist, daß hier die ärgste Kleingüterei herrscht, ein ausgedehntes Bauernproletariat, daß hier der conservative Geist des Bauern am öftesten gebrochen ist, und eine auffallende Revolutionslust sich zu regen beginnt, während in größeren, geschlosseneren Gebieten, wie in Tirol, Altbayern, Altpreußen, Westphalen etc. der historische Bauer sich am reinsten erhalten hat. In Schleswig-Holstein sehen wir, mit welch aufopferungsvoller Zähigkeit ein tüchtiger Bauernstamm auch an einer politischen Idee festzuhalten vermag, wie er sich dadurch gleichsam läutert und veredelt. Allein hier hat der Bauer neben seiner alten Geschichte auch noch eine neuere und neueste; diese fehlt vielen anderen deutschen Bauernstämmen. Die Geschichte der letzten hundert Jahre ist für solche Bauern ein weißes Blatt. Der Bauer hat da wohl Wirkungen – sehr negative übrigens – wahrgenommen, allein die Ursachen blieben ihm dunkel. Wenn vor ein paar hundert Jahren seine Gegend mit Feuer und Schwert erobert, wenn sie durch Kauf und Tausch, durch Erbverträge an eine andere Herrschaft gebracht wurde, dann begriff er das, weil sich die Thatsachen unter seinen Augen zugetragen hatten, weil er vielleicht auch mit seiner Haut hatte bezahlen müssen. Das diplomatische Intriguenspiel dagegen, welches fast alle Hebel der modernen Geschichte bewegt, wird der Bauer sein Lebtage nicht unterscheiden lernen, ja es ist wohl gar nach einer Seite hin ein rechtes Glück, daß er sich's nicht träumen läßt, in welcher Weise schon oft seines Vaterlands Geschicke und seine eigenen verschachert worden sind. Der Bauer begreift nicht den Kampf des constitutionellen Staatsgedankens mit dem republikanischen, mit dem absolutistischen; er begreift die moderne Geschichte höchstens in einigen Resultaten; nicht in ihren Entwicklungen – Resultate wie etwa dies, daß er von Jahr zu Jahr schwerere Steuern zahlen muß – d.h. für ihn besteht die moderne Geschichte überhaupt nur negativ. Seit den Befreiungskriegen hat der Bauer keine weltgeschichtliche That mitgewirkt, die er vollauf begriffen hätte. Der Gebildete denkt und redet anders wie der Bauer, er hat demselben dadurch bereits seit Jahrhunderten den Gewinnstantheil an der Nationalliteratur gestohlen. Jetzt stehlen wir demselben gar die Geschichte der Gegenwart, indem die großen und kleinen Herren wie Schulknaben unter der Bank Politik spielen.

Ich wüßte übrigens gar nicht, wofür der Bauer dem modernen Staat eigentlich hold und dankbar seyn sollte. Unsere ganze praktische Politik hat bis jetzt den Bauer als politische Macht ignorirt. Sie hat ihm viel Gutes gethan, aber nicht nach seiner Weise, und nur dieses dankt man von Herzen. Sie hat den festen Bestand seiner Eigenthümlichkeit zu brechen gesucht, sie hat es kaum geahnt, daß er die stärkste erhaltende Macht im Staate sey. Den Beamtenstand und das Militär hielt man für die Grundsäulen der erhaltenden Politik. Was es mit dem Conservatismus des Beamtenstandes auf sich hat, haben wir in den letzten Revolutionsjahren gesehen, wo ein Theil der Beamten sich feige verkroch, ein Theil offen zum Feinde überging, ein Theil in achselträgerischer Neutralität zuwartete, und nur gar wenige im entscheidenden Augenblick sich vor die Bresche stellten. Das Militär aber ist ja in seinem Kerne nichts anderes als der Bauer, der Bauer, den man in Friedensgarnisonen entsittet, der mit dem oberflächlichen Schliff des Städters nach Ablauf der Dienstjahre nicht selten auch die städtische Verderbniß ins Dorf heimträgt, und der dennoch, wo es gilt, zeigt, wie tief gewurzelt der Trieb der Gesetzlichkeit in den deutschen Bauern sey.

Der Polizeistaat trat in offenen Kampf gegen die Heiligthümer des Bauern; er wollte ihm nicht selten seine Sitten und Bräuche wegdecretiren, er hat es auch mitunter fertig gebracht. Der Beamtenstand suchte etwas darin, den Bauer seine Bildung fühlen zu lassen. Der untere Beamte pflanzte die Tyrannei, welche er von seinem Vorgesetzten zu erdulden hatte, auf sein Betragen gegen die Bauern fort, und hielt sich dadurch gleichsam schadlos. Der jüngste Accessist behandelte oft den ehrwürdigen Patriarchen des Dorfes wie einen dummen Jungen. Es galt für eine absonderliche Beamtenweisheit, den Bauer von vornherein mit möglichster Grobheit anzuschnauben. Es ist noch im Jahre 1848 öffentlich zur Sprache gekommen, daß bei vielen Justizbeamten bis dahin die Sitte herrschte, proceßführende Bauern, falls sie in Red und Antwort allzu lebhaft wurden, durch Ohrfeigen zu besänftigen. Das alles hat einen tiefen Stachel in der Brust des Bauern zurückgelassen, einen gründlichen Haß erzeugt gegen das Schreiberregiment. Durch die vollständigste Verkennung des Bauerncharakters, da man in dem Bauersmann nur den groben Klotz erblickte, darauf ein grober Keil gehöre, während man in die feineren Falten seiner Eigenart nicht einzublicken vermag, hat ihn der Beamtenstand planvoll zur Opposition vorbereitet.

Unsere früheren Regierungen bildeten sich nicht wenig darauf ein, daß sie die Leuchte der Aufklärung unter das dumme Bauernvolk getragen. Da aber diese Aufklärung nur auf das nüchternste Urtheil und eine Summe einseitiger Kenntnisse hinauslief und auf eine Loyalität abzweckte, deren Mutter die Furcht vor dem Polizeidiener ist, so wurde sie von dem unverfälschten Bauern spröde abgewiesen, den halb verderbten aber ruinirte sie vollends. Man vergaß, daß Sitte, Charakterstärke, die unmittelbare Empfindung, daß der Glaube des Bauern Eigenstes ist, nicht aber flache Vielwisserei. Eine Regierung, die den Bauer wirklich aufklären und veredeln will, festige und läutere ihn in jenen Stücken. Ein Bauer, der im Sinne des rationalistischen Polizeistaates aufgeklärt geworden, ist gleich einem philosophirenden Frauenzimmer, ein Blaustrumpf im Kittel.

So hat der Bauer den Staat bis jetzt fast nur von seiner aufdringlich schulmeisterischen Seite kennen gelernt, oder gar von seiner verneinenden und auflösenden. Der Staat war ihm ein steuererhebendes, seine harmlose Sitte befehdendes, sein Standesbewußtseyn störendes und ausebnendes Polizeiinstitut, welches ihn mit neumodisch unverständlichen Formen quälte, und sein ganzes Mißtrauen herausforderte. Er reizte ihn mindestens zu eigensinnigem Trotze, der schlechten Kehrseite seines Beharrens. Wir sahen es in vielen Abgeordnetenkammern, wie sich dieser Trotz, diese Hartköpfigkeit als verderbliches Parteisystem der Bauern geltend machte, gleich argwöhnisch gegen die Regierung wie gegen ihre Gegner, jede Sicherheit des parlamentarischen Erfolges durch die Quersprünge eines nicht voraus zu berechnenden Eigensinnes vereitelnd. Der Eigensinn der Bauern in politischen Dingen, erzeugt durch die Mißgriffe der Bureaukratie, droht aber zu dem Auswuchs eines verrannten Standesgeistes sich zu erweitern, der in konstitutionellen Staaten zu höchst bedenklichen Krisen der parlamentarischen Politik führen könnte. Wir sehen aber auch hier, daß die Opposition bei den Bauern nicht nivellirend auftritt, sondern vielmehr in die beschränktesten Standes- und Körperschaftsinteressen sich verhaust.

Nirgends hat jedoch die Bureaukratie den Bauersmann schwerer verletzt, als durch ihre »Regelung« der Gemeindeverfassung. Das Gemeindeleben ist das eigentliche Familienleben des ächten Bauern: das Behagen, welches er im engeren Familienkreise selten zu finden vermag, findet er sich in der Gemeinde gerettet. In großen Dörfern mehr städtischen Charakters ist das freilich nicht der Fall; das familienhafte Gemeindeleben ist wesentlich die Lichtseite der kleinen Dörfer und Weilergruppen. Oft sogar ist in Gebirgsgegenden die Gemeinde wirklich eine Familie, der Ueberest von einer Art Clanverfassung. So gibt es Dörfer auf dem hohen Westerwalde, in denen durchweg fast nur ein einziger Familienname vorkommt. Die Dörfer, wo nur drei, vier Familiennamen sich stets wiederholen, was dann allerlei kurzweilige Beiwörter zur Unterscheidung der Einzelnen nothwendig macht, sind überall nicht selten. Die Gemeinde ist das Heiligthum des Bauern gewesen, in welches er eben so wenig einen Unbefugten mag eindringen sehen, als der Städter das Heiligthum des Hauses preisgeben will. Die Ausschließlichkeit, welche im Mittelalter der städtischen Bürgerschaft und dem Adel eignete, und diese Corporationen Jahrhunderte lang vor Ueberschwemmung durch landläufiges Gesindel bewahrt hat, ist allmählig auch auf die Landgemeinden übergegangen. »Dieser Galgen ist für uns und unsere Kinder« – so ließ eine alte Stadtgemeinde an ihren Galgen schreiben, da sie fremden Spitzbuben im Tode eben so wenig als im Leben bei sich Aufenthalt gestatten wollte. Das ist jetzt ein Wort für den ächten Bauersmann. Nun kam aber der bureaukratische Staat und suchte möglichst viele ortsfremde Leute in die Landgemeinden zu setzen. Die Schultheißen, Bürgermeister etc. wurden von den Staatsbehörden wo möglich aus den untersten Anhängseln des Beamtenstandes, aus der eigentlichen Schreiberwelt, gegriffen, und den Gemeinden aufgedrungen. Fremde Proletarier herbeizulocken und einzubürgern, galt für staatsklug: wo die Gemeinden sich weigerten, derartige Colonisten aufzunehmen, da erschien ein dringender Befehl. Die Bureaukratie behandelte das Bauernthum ganz so, wie die alten Römer ihre eroberten Provinzen. Durch jene Proconsuln, welche unmittelbar dem Stamme der Bureaukratie entsprossen waren, oder doch von ihr nur Brief und Siegel hatten, sollte der Bauer »cultivirt,« »aufgeklärt,« d.h. in seiner Eigenart beschnitten und dem ausebnenden Staatssysteme bequem gemacht werden. Also auch hier wieder will der Beamtenstand die erhaltende Macht im Staate seyn; er glaubt die Granitpfeiler des Bauernthums wegbrechen zu müssen, damit die Gesellschaft sicherer auf seinen Holzstangen und Brettergewölben ruhe, die er dafür unterschiebt! Nicht die Oberaufsicht, welche sich die Staatsbehörde über die Gemeindeverwaltung vorbehielt, war es, was den Bauer empörte, sondern die Art, wie diese nothwendige Aufsicht geübt wurde. Der Bauer selbst ist viel zu gescheidt, als daß er für das rein theoretische Urbild einer »freien Gemeindeverfassung« hätte schwärmen mögen, wie man es neuerdings zum großen Verderben der Gemeinden zu verwirklichen gesucht hat. Er will sich der Oberaufsicht des Staates nicht entziehen, aber er will auch nicht, daß in den einfachsten Gemeindesachen der Schreiber vor dem Bauern gehe, er begreift die Anmaßlichkeit jenes städtischen Dilettantismus noch nicht, der in allen Sätteln gerecht ist, er meint, daß nur ein Bauer Bauernsachen verstehe. Ungeschickte Vormünder haben den Bauer nicht nur abermals störrisch und argwöhnisch gemacht, sondern das Heiligthum des familienhaften Gemeindelebens ist wirklich vielfach zerstört worden, und der böse Gedanke ist in dem Bauern aufgestiegen, als ob er ein von den Städtern Unterjochter sey.

Der ausebnende Staat aber begnügte sich hiermit noch lange nicht, denn er wollte ja gerade alles das geflissentlich bei dem Bauern wegmerzen, was wir als dessen bestes Besitzthum preisen. Die Dorfschulmeister gaben ein weiteres Mittel zur Hand. Aus dem Bauernstande hervorgegangen, lebten sie früher in und mit demselben, und ihre Lehre ging eben auch nicht weit über die Bauernweisheit hinaus. Allein der Bauer sollte »über sich selber hinausgehoben« werden. Dazu mußte man freilich zuerst den Lehrer über sich selber hinausheben. Auf einer sogenannten Musteranstalt wurde ihm eine höhere Bildung beigebracht, zu der doch wieder alle Grundlage fehlte; der Bauer ward in ihm ausgetilgt, aber der Gebildete konnte nur halb an dessen Stelle gepfropft werden. In dem neuen »Herrn Lehrer« war nun doch der alte »Dorfschulmeister« in der That über sich hinausgehoben, d. h. er erschien jetzt nicht selten wie ein studirter Bauer, der vor Gelehrsamkeit übergeschnappt ist. Gerade diese ächt moderne Stimmung, daß sich der Mann nicht wohl fühlt in seiner Haut und fort und fort die Schranken seines Standes und Berufes durchbrechen möchte, ward durch die Schulmeister den Bauern eingeimpft. Der Schullehrer suchte natürlich den Zustand der Halbbildung, zu welchem er übergegangen, auch den dummen Bauern mitzutheilen und dieselben von Bräuchen und Herkommen gründlich zu befreien. Dadurch wurde gewöhnlich Zwiespalt im Dorfe hervorgerufen: denn die zähen alten Bauern wollten lange von dem neumodischen Schullehrer nichts wissen und sahen ihn jedenfalls stark über die Achsel an; eine jüngere Genossenschaft von Schülern dagegen schaarte sich desto treuer um denselben. Die Mißachtung seitens der Aristokratie des Dorfes aber machte den ehrgeizigen Schullehrer vollends unzufrieden mit Gott und der Welt. Man hatte ihn verbessern, heben wollen, und er war mit einemmale ein Proletarier geworden, ein Proletarier der Geistesarbeit, der den Bauern zum erstenmale leibhaft zeigte, was eigentlich ein modern zerfahrener und weltverbitterter Mann sey, und, wenn er auch nicht gerade die Socialreform ausdrücklich predigte, doch die Aufforderung zum Umbau der Gesellschaft in Person darstellte. Erst in neuester Zeit wurde es durch unwidersprechliche Thatsachen den Regierungen einleuchtend, daß sie sich bei der verkünstelten Bildung der Schullehrer eine ganze Armee von Staatsproletariern erzogen, daß sie das nämliche Gespenst, welches sie in dem Literatenthum so über die Maßen fürchteten, in den Schulmeistern selber heraufbeschworen hatten. Denn der verschrobene Dorfschulmeister trägt durchaus die Charaktermaske des nichtsnutzigen Literaten (er schreibt darum auch so gerne in Zeitungen, oder läßt ein Buch oder ein Notenheft »im Selbstverlag« erscheinen), – nur daß die Stellung des Lehrers weit einflußreicher und wichtiger ist, denn ihm ist fast ausschließlich die Macht gegeben, wenigstens einen Theil des sonst so spröden Bauernvolkes aus dem gewohnten Kreislauf der Sitte und des Herkommens herauszureißen. Nach den letzten Revolutionsjahren sahen wir Schullehrer vor Standgerichte gestellt, vor den Assisen abgeurtheilt, in Disciplinaruntersuchung, haufenweise ihres Dienstes entlassen. Was der bureaukratische Staat an sich selber zu strafen hatte, das mußten jetzt die Einzelnen ausbaden. Glaubten doch bis zur Revolution die Regierungen den Schulmeister gar fest im Zügel zu haben, entzog man ihn doch sonst mehr und mehr den Einflüssen der Kirche, um ihn desto ausschließlicher von der Kanzlei aus bestimmen zu können! Man wird gar lange wieder schulmeistern müssen, bis die ätzenden, auflösenden Einflüsse, welche durch das Lehrerproletariat unter das Bauernvolk gebracht wurden, völlig hinweggeschulmeistert sind, oder richtiger, man wird das jetzt niemals mehr fertig bringen.

Auch die Stellung des Pfarrers zum Landvolk hat der bureaukratische Staat verrückt. Der Pfarrer war zu sehr »verbauert,« er sollte mehr Beamter werden. Den Güterbesitz, welcher früher einen großen Theil der Pfarrbesoldungen ausmachte, verwandelte man wenigstens bei den protestantischen Pfarrern fast überall in Baargehalt, man nöthigte ihn, das Pfarrgut in Pacht zu geben, und untersagte die Selbstbewirthschaftung; man verwehrte ihm in einigen Ländern, sich Ackergut aus eigenen Mitteln über das bescheidene Maß hinaus zu erwerben, welches sich ohne das Halten eines Gespannes bauen läßt. Der Pfarrer sollte nicht mehr so fest sitzen. Gerade dadurch hatte er sich aber den Respect der Bauern erworben, die von einer Geistesbildung, welche sich nicht auch im Praktischen, und zwar zunächst im Landbau zeigt, in der Regel keinen sonderlichen Begriff haben. Allein der Pfarrer sollte sich wieder mehr wissenschaftlich beschäftigen, statt des Helfers und Rathers der Bauern sollte er wieder mehr Theologe werden. Die Art und Weise, wie dies die Bureaukratie im einzelnen durchgeführt, hier zu erörtern, ist meine Sache nicht. Genug, der Pfarrer, welcher den Männern der Schreibstube ein viel zu exotisches Gewächs gewesen, ist, besonders in protestantischen Landen, wieder weit entschiedener in die Reihen der Beamtenwelt eingerückt. Der frühere unmittelbarere Einfluß auf die Bauern ist nun glücklich gebrochen, und gäbe die Wissenschaft dem Geistlichen nicht festeren inneren Halt, so würde er wahrscheinlich schon vollkommen die Rolle eines verschrobenen mißvergnügten Dorfschulmeisters spielen, nur noch in bedeutend erhöhtem Grade. Einzelne Fälle davon sind auch da gewesen. Die Folgen für das ganze Gemeindeleben waren dann aber auch allemal tief einschneidend und wahrlich höchst betrübender Art. Während übrigens die protestantischen Consistorien vielfach sich alle Mühe gaben, um den Pfarrer möglichst zu »entbauern« und der Beamtenwelt wieder wahlverwandter zu machen, verfuhren die katholischen Kirchenbehörden schon aus natürlichem Widerwillen gegen die Bureaukratie meist weit klüger. Die katholische Kirche hat es niemals vergessen, welch ungeheurer Einfluß ihr dadurch in die Hand gegeben ist, daß, wenigstens in Deutschland, fast sämmtliche Glieder ihres Clerus aus dem Bauernstande hervorgehen. Für den politischen Einfluß der Hierarchie ist dieser Umstand so bedeutungsvoll, daß er allein hinreichen konnte jeden Einwand gegen den Cölibat zu entkräften. Denn nur dieser zwingt ja den niedern Clerus, sich fast ausschließlich durch Bauernsöhne zu recrutiren. In dem Maße als der persönliche Einfluß des protestantischen Pastors bei seiner Dorfgemeinde neuerdings im Abnehmen begriffen ist, stieg der des katholischen. Gerade diejenigen Gemeinden, welche am eifersüchtigsten auf ihre Selbständigkeit sind, werden häufig doch wieder von dem katholischen Clerus geleitet, ohne daß sie es selber merken. Man hat sich katholischerseits neuerdings viel Mühe gegeben, die Söhne der gebildeten Stände mehr zum Eintritt in den unteren Clerus zu bewegen. Das ist sehr unklug. Die politische Macht der katholischen Kirche wurzelt in Deutschland zu allermeist in ihrem Einflusse auf die Bauern, und ist bedingt dadurch daß der Dorfgeistliche selber wieder aus dem Bauernstande hervorgegangen ist. In Bayern, Tyrol, dem Münsterlande wird man sich davon überzeugen können. Die Religion des Bauern ist seine Sitte, wie ihm umgekehrt auch seine Sitte Religion ist. Darum wird der Priester mehr bei ihm gelten als der Prediger. Das Altlutherthum, überhaupt die strengen Formen des älteren Protestantismus fesseln ihn, weil hier noch mehr Charakter in der kirchlichen Sitte sitzt, ebenso der Katholicismus mit seinen fertigen Formen. Der Unionszwang hat unglaublich viel zum Verschwinden des kirchlichen Sinnes bei protestantischen Bauern beigetragen, er hat hier bekanntlich auch – in Schlesien und Sachsen – eine bis zum Fanatismus gesteigerte Gegnerschaft hervorgerufen. Wer dem Bauern beweist, daß die lutherische Fassung des Abendmahls, die lutherische Formel des Vaterunsers, die lutherische Kirchenverfassung sich recht gut vertragen und verschmelzen lassen mit der reformirten, der bricht ihm die Autorität der Kirche. Dies eben war ja seine eingewurzelte kirchliche Sitte, daß der Abendmahlsbrauch, die Gebetformel, die Kirchenverfassung so und nicht anders seyn dürfe, und eben in dem Gegensatz des Lutherischen und Reformirten hat diese Sitte erst Kraft und Bestand gewonnen. Mit diesem historischen Gegensatz hatte man ihm die Kirche selber wegdemonstrirt. Auch in religiösen Dingen ist der Bauer Particularist. Die Mennoniten mit ihrem religiösen Stillleben sind überall wahre Muster-Bauern. Selbst in rein landwirthschaftlichem Betracht ist es als ob der Segen Gottes auf ihren Feldern ruhe. Oft erscheinen mitten unter ganz entarteten Bauerschaften die Mennonitenhöfe wie Oasen in der Wüste. Die höchst bestimmte religiöse Sitte, in welcher sich diese Leute abschließen, ist ihnen dann ein Ersatz gewesen für die in ihrer Umgebung bereits verderbte und zerstörte Volkssitte überhaupt. Gerade die religiöse Sonderbündelei des Sectenthums war das Bollwerk, welches hier der alten ächten Bauernart Schutz und Rettung sicherte. Aber eben darum, weil der Bauer Particularist ist in religiösen Dingen, hat der ausgleichende und verneinende Rationalismus, wie er zu Anfang dieses Jahrhunderts im Schwange ging, so auflösend bei ihm gewirkt. Das Wesen dieses Rationalismus bestand gerade darin, daß er an die Stelle der religiösen Sitte ein neues Leben nach kritisch verständiger Richtschnur aufbauen wollte. Es sollte Alles handgreiflich klug und nützlich werden. Dabei fehlte nur ein Kleines – die Poesie des Gewachsenen und Gewordenen. Das Volksleben ist aber gesättigt von dieser Poesie, und auch der Geringste im Volke ahnt und schätzt dieselbe. Unsere rationalistischen Geistlichen bildeten sich gar viel darauf ein volksthümlich zu seyn, und glaubten namentlich die praktischen Bedürfnisse des Bauersmannes aufs trefflichste zu befriedigen. Sie glaubten so recht im Geiste des Bauern zu wirken, wenn sie von dem Kartoffelbau predigten und etwa beim Evangelium vom Säemann ihre Erfahrungen einwoben, wann und wie am besten Gerste und Hafer zu säen sey. Diese Art von Popularität gemahnt an manche sogenannte Volksschriften, welche dadurch den rechten volksthümlichen Ton zu treffen suchen, daß sie den Leser als möglichst bornirt und kindisch voraussetzen und demgemäß mit großer Kunst eines Gedankenganges sich befleißen, wie er eigentlich nur einem recht beschränkten Einfaltspinsel natürlich erscheinen könnte. Wer die Religion des Bauern als seine altheilige Sitte, seine Poesie, seinen Glauben erfaßt, nur der wird volksthümlich predigen können. Wo dem Bauern die Religion nicht mehr Sitte ist, da ist er in der Regel schon verwildert. Diese Art von Verwilderung hat bereits bedenklich überhand genommen. Aber wenn man bedenkt, welche theologischen Experimente bereits mit dem Bauern gemacht wurden, dann muß man sich wundern, daß es noch so glücklich abgelaufen ist.

So sehen wir überall den Bauer bedroht, aus seinen eigenen Bahnen gerissen, der Verderbnis preisgegeben zu werden. Die Heilung bleibt dann lediglich seiner eigenen unverwüstlichen Natur überlassen. Daß diese Natur aber noch kräftig genug ist, um sich selber zu helfen und im entscheidenden Augenblicke die ganze Fülle ungefälschter Kraft des deutschen Bauernthums in die Wagschale zu werfen, davon wollen wir uns in dem nächsten Capitel durch die Thatsachen der neuesten Geschichte überzeugen.


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