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Erstes Buch – Die Mächte des Beharrens.

I. Die Bauern

Erstes Kapitel

Der Bauer von guter Art.

Es ruht eine unüberwindliche conservative Macht in der deutschen Nation, ein fester, trotz allem Wechsel beharrender Kern – und das sind unsere Bauern. Sie sind ein rechtes Originalstück, dazu kein anderes Volk ein Gegenbild aufstellen kann. Der Gebildete mag conservativ gesinnt seyn aus Vernunftgründen, der Bauer ist es kraft seiner Sitte. In den socialen Kämpfen unserer Tage hat der Bauer eine wichtigere Rolle gespielt als die Meisten ahnen, denn er hat den natürlichen Damm gebildet gegen das Überfluthen der französischen Revolutionslehren in die unteren Volksschichten. Nur der träge Widerstand der Bauern hat im März 1848 die deutschen Throne gerettet. Man sagt, die Revolution sey vor den Thronen stehen geblieben; dies ist nicht ganz richtig: die Bauern sind vor den Thronen stehen geblieben. Es war aber jene Trägheit keine zufällige, sie quoll vielmehr aus dem innersten Wesen des deutschen Bauern. Der Bauer hat in unserm Vaterlande ein politisches Gewicht wie in wenig andern Ländern Europa's; der Bauer ist die Zukunft der deutschen Nation. Unser Volksleben erfrischt und verjüngt sich fort und fort durch die Bauern. Wenn wir das Bauernproletariat nicht überwuchern lassen, dann brauchen wir uns vor dem gewerblichen und literarischen nicht sehr zu fürchten. Bei dem Bauernstande wird die Wirthschaftspolitik zur Spitze aller Staatskunst, und wer hier nicht das Volk in seiner Sitte und Arbeit – das ist social-politisch – studirt, der wird mit dem gesammten Staatsrecht doch keinen Hund vom Ofen locken. Die größten Fehlgriffe, welche der bureaukratische Staat seit fünfzig Jahren begangen, wurzeln darin, daß er das Wesen des deutschen Bauern ganz falsch aufgefaßt und den obersten Grundsatz vergessen hat, daß die conservative Macht des Staates in dem Bauernstande ruht. Die Revolution von 1848 zeigte uns thatsächlich, wie falsch jene Auffassung gewesen. Allein auch die revolutionäre Partei erkannte das politische und sociale Gewicht des Bauern nicht, und war weit davon entfernt in seine Eigenart einzugehen. Ein Volksführer, welcher der Bauern sich zu bemeistern verstünde, würde wahrhaft ein recht fürchtenswerther Volksführer seyn, er hätte die wirkliche Mehrheit des Volkes auf seiner Seite, nicht bloß der Kopfzahl nach, sondern auch nach der materiellen und moralischen Macht.

Ich habe mir nun vorgesetzt, im Nachfolgenden den deutschen Bauer als politischen und socialen Charakter zu zeichnen, den Bauer als conservative Potenz im Staate, als den rohen, aber ungefälschten Kern deutschen Wesens: dann zu entwickeln, wo und wie sich die sociale und politische Verderbniß auch bei dem Bauern bereits eingefressen hat. Als thatsächlicher Beleg, als erläuterndes Beispiel wird sich hieran eine Skizze jener Rolle knüpfen, welche der Bauernstand in den Gährungen und Kämpfen der Gegenwart durchgeführt, und den Beschluß möge die Nutzanwendung bilden, die Moral der Fabel, welche ich als Fingerzeig zu einer praktischen Bauernpolitik unseren Staatsmännern recht in's Gewissen schieben möchte.

In dem Bauernstande allein noch ragt die Geschichte alten deutschen Volksthums leibhaftig in die moderne Welt herüber. Der Bauer hat keine Geschichte gelernt, aber er ist historisch. Alle andern Stände sind aus ihren ursprünglichen Kreisen herausgetreten, haben ihre uralten Besonderheiten gegen die ausebnende allgemeine Civilisation dahingegeben, die Bauernschaft dagegen besteht, wenn auch nicht unberührt von allem Schliff, doch noch in gar knorriger Eigenart als ein trutzig selbständiges sociales Gebilde. Die bäuerlichen Zustände studiren, heißt Geschichte studiren, die Sitte des Bauern ist ein lebendiges Archiv, ein historisches Quellenbuch von unschätzbarem Werth.

Nach der mittelalterlichen Ständelehre waren die Bauern der vierte und letzte Stand. Sie sind aber der naivste, ursprünglichste, in den derbsten Linien angelegte, darum beginne ich hier meine socialen Sittenbilder mit den Bauern.

Schon dem Auge des Naturforschers stellt sich der ächte deutsche Bauer als der historische Typus des deutschen Menschenschlages dar. Bei den Städtern hat sich das Originalgepräge des Körpers wie des Geistes und der Sitte zu einem Typus der Einzelpersönlichkeit, höchstens der Familie durchgebildet oder auch verflüchtigt. Die körperliche Eigenart des Bauern scheidet sich noch gruppenweise ab nach Ständen und Gauen. Hier finden wir noch in dem einen Gau einen mehr langbeinig hochaufgeschossenen, in dem andern einen mehr breitschultrig gedrungenen Menschenschlag, wie sich das durch lange Jahrhunderte in unverfälschter Race fortgepflanzt hat. So trifft man z. B. in einzelnen Strichen des Hessenlandes heute noch ausschließlich jene länglichen Gesichtsprofile, mit hoher, nach oben etwas breit ausrundender Stirn, langer gerader Nase und kleinen Augen mit stark gewölbten Augenbraunen und großen Lidern, wie sie durch den Genremaler Jakob Becker und seine zahlreichen Schüler als stehende Figur in die beliebten gemalten Dorfgeschichten dieser Künstler übergegangen sind. Beim Vergleich dieser Bauerngesichter mit den Sculpturen der Marburger Elisabethenkirche (aus dem 13. Jahrhundert) wird man entdecken, daß sich durch fast sechshundert Jahre derselbe althessische Gesichtstypus unverändert erhalten hat, nur mit dem Unterschiede, daß an jenen Bildwerken die Köpfe von Fürsten, Herren und edlen Frauen gemeißelt sind, deren Züge uns das unverfälschte Stammesgepräge zeigen, während dasselbe jetzt nur noch bei den Bauern des Landes zu finden ist. Wer mittelalterliche Gestalten historisch ächt zeichnen will, der muß sich überhaupt seine Modelle bei den Bauern suchen. Es erklärt sich dadurch aber ganz naturgemäß, warum die altdeutschen Bildner in einer Zeit, wo man doch sonst viel weniger nach der Schablone zu denken und zu bilden pflegte als in unsern Tagen, ihre Köpfe durchschnittlich so typisch einförmig behandelt haben: der ganze Menschenschlag hatte sich noch nicht zu individuelleren Gesichtszügen ausgelebt. Der Umstand aber, daß das Gleiche auch heute noch bei den unverfälschten Bauern stattfindet, führt uns zu einer weiteren Thatsache. In der sogenannten gebildeten Welt existirt, wirkt der Mensch viel mehr als Einzelner; der Bauer dagegen existirt und wirkt als Gruppe, als Gesammtheit des Standes. Hans führt den Pflug, lebt und denkt wie Kunz, aber daß von so vielen Tausenden einer wie der andere den Pflug führt, einer wie der andere lebt und denkt, dies nur ist ihrer aller weltgeschichtliche That und wirft ein so schweres Gewicht in die Wagschale unsers ganzen politischen und socialen Lebens.

In der gebildeten Welt hat der Einzelne seinen Styl, und der Styl soll den Mann zeichnen. Bei dem Bauersmann hat der Stamm, der Gau, das Land seinen Styl, nämlich seine Mundart, seine Redewendungen, seine Sprüche, seine Lieder, und dieser Styl zeichnet die großen Volksgruppen. Dieser landschaftliche Styl des Bauern ist aber wiederum ein Stück Geschichte, an welchem derselbe zäh genug festhält. In einzelnen Gegenden Ungarns, z.B. in der Neutraer Gespannschaft, ziehen die bäuerlichen Nachkommen deutscher Colonisten des 12. und 13. Jahrhunderts heute noch, ihre altsächsischen Lieder und Weisen singend, als Schnitter im weiten Lande umher, während die gebildeten deutschen Einwanderer in kürzester Frist ihre heimische Sprache vergessen und die ungarische annehmen. Auch in Amerika zeigt sich's, wie lange das historische Besitzthum des Provinzialdialekts bei dem eingewanderten Bauersmann widerhält, während der Städter meist gar bald nach der traurigen Ehre hascht, seine Muttersprache zu vergessen oder zu verwälschen. Und wenn fast alles Andenken an die frühere Heimath bei deutschen Bauerncolonien erloschen ist, dann halten in der Regel noch deutsche Bibeln und Gesangbücher auch für weitere Geschlechter auf geraume Zeit die überlieferte Muttersprache aufrecht. Wer aber einigermaßen die Mundarten der Bauern beobachtet hat, der wird wissen, daß neben dem Herkommen uralter Ausdrucksweisen die Volkssprache an diesen Büchern immer noch zumeist sich erfrischt und anhält, und also auch hier wieder in sehr festen historischen Boden ihre Wurzeln treibt. Den holländischen Bauern auf der dänischen Insel Amager, die viele Menschenalter hindurch auf's beharrlichste ihre heimathliche Mundart heilig hielten, konnte man nur dadurch die dänische Sprache beibringen, daß man ihnen mit dänischen Predigern allmählig dänische Bibeln und Gesangbücher aufzwang.

Dagegen mögen andererseits ein paar Züge anschaulich machen, daß auch ein nichtdeutscher Bauernschlag, der mitten unter Deutschen sitzt, sein Volksthum zäh bewahrt. Die Wenden in der Lausitz leben ungefähr 200,000 Seelen stark zerstreut unter deutschem Volke oder zu eigenen Kirchspielen abgeschlossen. Sie haben ihre Schulen und Pfarrkirchen; es wird in slavischer Sprache gelehrt und gepredigt. Als Katholiken halten sie sehr streng am Papste, als Protestanten nicht minder fest an Luther. Der gemeine Mann ärgert sich, wenn jemand dem Reformator den Doctortitel nicht beilegt; er spricht stets respektvoll nur vom Doctor Luther. Vor hundert Jahren war das Gleiche wohl im ganzen protestantischen Deutschland der Fall. Mit größter Strenge hält der Wende an den Bräuchen seiner Kirche fest, und dies mag nicht am wenigsten dazu beitragen, daß er überhaupt so rein sich bewahren kann in seinem Volksgepräge. Deutscher Schulunterricht, deutsche Justiz und Verwaltung, der Dienst im stehenden Heere, und so vieles andere greift zerstörend in die nationale Abgeschlossenheit ein; allein, wie wir es bei Völkern, deren Stamm und Wesen bedrängt ist, häufig finden: die Frauen und Mütter bringen den Männern wieder aus dem Sinn, was von fremdem Einfluß sich festgesetzt hat. Daheim am Heerde mag die Frau leicht das ererbte Volksthum bewahren, während der Mann gezwungen ist, im Verkehr und Wandel die schroffe Eigenart abzustreifen.

Die Wenden haben eigene, sehr kriegstüchtige Regimenter im sächsischen Heere gebildet; als fleißige Arbeiter und redliche Dienstboten sind sie auf weit und breit gesucht, und manches schwächliche Leipziger oder Dresdener Kind kommt durch eine wendische Amme zu Kraft und Gedeihen. In ihren Dörfern bewähren sie sich als tüchtige Bauern; man merkt es all ihren Bräuchen an, daß sie von Anbeginn ein ackerbautreibendes Volk gewesen sind. So ist z. B. den Wirthschaftsthieren große Ehre in Sitte und Herkommen erwiesen. Jede Kuh hat ihren eigenen alten Namen, der meist nach den Eigenschaften des Thieres sorglich ausgewählt wird, und den Bienen werden die wichtigsten Familienereignisse jederzeit »angesagt.« (Letzteres findet sich auch in Westphalen.) Dafür ist aber auch der Ackerbau der Wenden immer gesegnet gewesen. Die benachbarten Böhmen blicken sehnsüchtig auf die glücklicheren Wenden, welche an jedem Sonn- und Feiertage Kuchen die Fülle essen können. Wenn dem armen böhmischen Bauern ein Sohn geboren wird, dann bindet er ihn an die Spitze einer langen Stange und dreht ihn mit dem Gesichte nach der Lausitz hinüber, damit es ihm auch einmal so gut gehen möge wie den Wenden, die dort wohnen.

Das Eigenste der Bauernsprache besteht fast nur darin, daß sie an markiger alter Weise festgehalten hat, die man in den Kreisen der Gebildeten abschliff. So bezeichnet der Bauer z. B. den Tag vielfach noch lieber altmodisch nach dem Kalenderheiligen als durch die todte Ziffer des Datums. In den Taufnamen, die er seinen Kindern gibt, hält er den alten Brauch der Gegend fest, während der Gebildete dabei gewöhnlich nach Grille und Laune verfährt. Viele vor Alters bräuchliche Taufnamen würden ganz ausgestorben seyn, wenn sie sich nicht bei den Bauern, namentlich in Norddeutschland, erhalten hätten. Man könnte sogar eine Art örtlicher Statistik der bäuerlichen Taufnamen für einzelne Gegenden aufstellen, so fest hat das Landvolk auch hier nach Landschaftsgrenzen am alten Herkommen gehalten. Das stete Fortvererben gewisser Lieblings-Vornamen in einer Familie, welches früher bei dem deutschen Adel so häufig vorkam, jetzt immer seltener geworden ist und nur noch bei Fürstenfamilien sich folgerecht erhalten hat, wird in manchen Gegenden bei den Bauern noch mit Strenge durchgeführt. Sind dann die Glieder mehrerer Zeitstufen gleichzeitig noch am Leben, so muß zum Unterschied, ganz wie bei fürstlichen Häusern, mit Ziffern ausgeholfen werden. Es wird also von einem Hans I. II. III. etc. geredet oder alterthümlicher dem »älteren, mittleren und jüngeren.«

Volkssagen haben sich im Munde der Bauern meist rein bewahrt, während sie, wo sich die Gebildeteren derselben bemächtigten, in der Regel sofort verfälscht und willkürlich verziert, d. h. verunziert wurden. Also auf der einen Seite Ehrfurcht vor dem Überlieferten und Selbstbescheidung, auf der andern mindestens die Eitelkeit, alles durch eigene Zuthat verbessern zu wollen. Was uns noch von altheidnischem Aberglauben, von Sprüchen und Bräuchen, die sich darauf beziehen, überkommen ist, dafür hat die historische Forschung fast ausschließlich den Bauern zu danken. In Zeitläufte, zu welchen keine Geschichte mehr hinaufreicht, reicht nur noch die dunkle Kunde, welche uns die Bauern bewahrt haben. Je älter die Sagen sind, desto mehr wird der Forscher auf die Dörfer getrieben.

Der Bauer hält selbst da noch an dem Historischen fest, wo es klüger wäre, dasselbe aufzugeben. Er trägt auf dem Schwarzwalde und im Hüttenberg in den Hundstagen eine dicke Pelzkappe, weil das eine historische Pelzkappe ist, die sein Urahn auch getragen hat. In der Wetterau in der Gegend von Großenlinden gilt die Bauerndirne für die feinste, welche die meisten Röcke übereinander trägt. Mit sieben übereinandergezogenen Röcken an die Feldarbeit zu gehen, etwa in's nasse Gras oder in's hohe Korn, ist offenbar sehr unvernünftig, aber es ist historisch. Durch alle ärztlichen Bedenken läßt sich's der Bauer in manchen Gegenden immer noch nicht nehmen, seine Beinkleider durch den verderblichen, quer über den Magen geschnallten Ledergürtel zu befestigen; man könnte ihm weit eher ein neues Gemeindegesetz als neue Hosenträger aufzwingen. Die Kartoffel hat der Westerwälder Bauer im achtzehnten Jahrhundert, trotz allen menschenfreundlichen Kartoffelpredigern, Jahre lang den Schweinen und dann den Hunden gefüttert, bevor er sich entschließen konnte, das neumodische Gewächs auch nur versuchsweise auf seinen Tisch zu stellen. Um den Futterkräutern Eingang zu verschaffen, bedurfte es vieljähriger mündlicher und schriftlicher Lehre und Predigt. Zwischen vielen Dörfern findet eine historische Feindschaft statt, deren letzten Grund niemand mehr auszuforschen vermag, die aber jedenfalls auf eine uralte, längst bedeutungslos gewordene Eifersucht zurück deutet. Was dann früher ernstliche Fehde gewesen sehn mag, das ist jetzt auf gelegentliche Prügelscenen und stehende altherkömmliche Schimpfwörter zusammengeschrumpft. Eine solche historische Feindschaft existirt z. B. noch jetzt zwischen vielen Rheindörfern und den etwas weiter landeinwärts gelegenen Nachbarortschaften. Der »Rheinschnacke« gilt als das stehende Schimpfwort für den Bewohner des Rheindorfs, während dieser es dem feldbautreibenden Nachbar mit einem »Karst,« dem Walddörfler mit einem »Kukuk« heimbezahlt. Aber der Haß ist gründlich, denn er ist ein ererbter, und wenn etwa der Romeo eines Montague unter den »Karsten,« die Julie eines Capulet unter den »Rheinschnacken« heirathen wollte, so könnte das zu nicht minder ernstlichen Wirren führen, wie bei den edlen Geschlechtern von Verona, obgleich keiner der beiden Theile einen eigentlichen Grund für die Feindschaft mehr anzugeben vermag. Viele Dörfer oder auch Dörfergruppen zeichnen sich nicht selten durch seit undenklichen Zeiten feststehende Charakterzüge aus, z. B. der Grobheit, der Prügelsucht, der Proceßkrämerei u. dgl. – In einem Dorfe am Taunus, dessen Insassen seit Menschengedenken wegen der beiden erstgenannten Tugenden berühmt waren, hatten die Schultheißen den gleichfalls historisch gewordenen Brauch, bei Schlägereien die Unbändigsten nicht in das Ortsgefängniß, sondern zur Verschärfung in ihren Schweinstall zu sperren. In neuerer Zeit aber übertrug die Regierung, um der Rohheit der Gemeinde zu steuern, einem »aufgeklärten« Manne das Schultheißenamt, der dann auch jene originelle Strafverschärfung sofort abstellte. Dem ganzen Dorfe gefiel aber diese unerbetene Reform des Gefängnißwesens so schlecht, daß es sich mit dem Ersuchen an die Behörden wandte, man möge ihnen wieder einen »kräftigen« Mann zum Schultheißen geben, der auch nach Recht und Gerechtigkeit, »wie es vordem geschehen,« zu strafen den Muth habe. Und der Schultheiß, welcher den Schweinestall abgeschafft, konnte nie zu rechtem Respect gelangen, denn der Schweinestall war im Dorfe ebenso historisch, wie die Grobheit und Prügelsucht der Bewohner. Dies hat sich noch im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts zugetragen.

Die Stufenreihe des bäuerlichen Zusammenwohnens und Wirkens, der Uebergang der Mansen und Huben zu Marken, Dörfern, Hundreten und Gauen entwickelte sich außerordentlich langsam, weit langsamer als das Städtewesen. Ja das Bauernvolk ist vielfach noch bis auf diesen Tag auf einer der früheren Entwicklungsstufen stehen geblieben. Es bedurfte langer Jahrhunderte, bis sich die einzelnen Siedelungen zu Marken erweiterten, langer Jahrhunderte, bis sich die Marken wieder zu Dörfern zusammenzogen. Ein so langsames Vorwärtsgehen zeugt von historisch beharrendem Geiste. Allein man hat, wie gesagt, nicht einmal mit diesem langsamen Gang überall Schritt gehalten. Das System der einzelnen Gehöfte statt der Dörfer besteht bekanntlich noch in manchen Gegenden Deutschlands, und eben so bekannt ist's, daß wir in dem Hofbauern den treuesten Bewahrer väterlicher Sitte, den ächtesten historischen Bauer besitzen. Anderwärts ist man sogar bei dem Uebergangszustande stehen geblieben, wo die Marken sich in eine übergroße Anzahl ganz kleiner Dörfer zusammenzogen. So auf dem Westerwalde. Wenn wir dort Dörfer mit 6–9 Häusern und 40–50 Einwohnern finden, aber die Ortschaften so dicht gesäet, daß ihrer wohl ein Dutzend sich mit einer einzigen Pfarrei begnügen können, dann läßt uns dies erst die Berichte alter Schriftsteller begreifen, wie wenn etwa Hermannus Contractus erzählt, im Jahre 875 am 3. Juli sey das Dorf Ascabrunno (Eschborn) im Niddagaue durch ein plötzlich entstandenes Hochgewitter also zerstört und gänzlich vernichtet worden, daß alle Bewohner umgekommen und keine Spur von dem Dorfe mehr übrig geblieben sey. Das Aufgehen so vieler kleiner Dörfer in eine geringere Anzahl größerer Gemeinden wurde aber in der Regel durch die Gewalt äußerer Ereignisse und keineswegs durch planmäßige Veranstaltung der Bewohner bewirkt. Fast überall, wo die alten Weiler zu größeren, weiter auseinander gerückten Ortschaften sich zusammengezogen haben, deutet die Geschichte oder Sage auf eine große Zahl »ausgegangener« Dörfer zurück, von denen es aber fast durchweg nachweislich ist, daß sie in den Fehden des Mittelalters, im Bauernkriege oder im dreißigjährigen Krieg, oder durch eine Pestilenz u. dgl. vernichtet wurden. Die Bewohner hätten gewiß bis auf diesen Tag den Uebergang in größere Gemeinwesen nicht vollbracht, wenn sie nicht durch die Wucht der Ereignisse dazu gezwungen worden wären. Selbst zu durchgreifenden Wirthschaftsreformen konnte der Bauer oft genug nur durch Krieg und Hungersnoth getrieben werden. So herrschte in vielen Gegenden Deutschlands bis ins 17. Jahrhundert ein höchst unnatürliches Uebermaß des Weinbaues auf ganz undankbarem Boden. Erst als im dreißigjährigen Kriege das Land verödet war und der Anbau wieder wie von vorn begonnen werden mußte, beschränkte man die Weincultur auf die günstigeren Lagen. Es gehört dies wohl zu den wenigen Segnungen jenes traurigen Krieges. Aber auch nur einem Kriege hatte es gelingen können, als der große Wirthschaftspolitiker einzugreifen und für ganze Gaue den Fortschritt der »Theilung der Arbeit« einerseits, der »Conföderation der productiven Kräfte« auf der anderen Seite durchzuführen. Der Bauer hat am längsten gezögert den Schritt vom Familienleben zum Gemeindeleben zu thun, und gar von der Idee der Gemeinde zur Staatsidee hat er sich bis zur Stunde noch nicht vollauf erheben können. So ist der deutsche Bauersmann wohl national mit Leib und Leben, Geist und Herz und Sitte, aber die bewußte Idee der Nationalität ist ihm so gewiß noch nicht aufgegangen, als er sie in seiner Beschränkung in der That auch gar nicht nöthig hat. Sein Standpunkt angesichts des Staates und der Nation ist gleichsam ein Stand der Unschuld, er hat noch nicht vom Baume der Erkenntniß gegessen, seine historische Sitte ist sein politischer Katechismus. Ich stelle diesen Satz hier allgemein hin, obgleich wir weiter unten sehen werden, daß er so allgemein nicht mehr ganz richtig ist, und daß sich gerade an die Ausnahmen wichtige Folgerungen knüpfen.

Wenn man übrigens von der historischen Pietät des deutschen Bauern spricht, dann darf man nicht vergessen, daß diese Pietät ganz einseitiger Natur ist und sich in der Regel nur auf das beschränkt, was den Bauer selbst und unmittelbar angeht. Er hat die größte Pietät gegen das alte baufällige Haus, das sein Großvater erbaut, und mit welchem er keine Verbesserung, keinen Umbau vornehmen mag; aber gegen die denkwürdigen Trümmer der Burg, die sich über seinem Dorfe erhebt, hat er gar keine Pietät und bricht ganz wohlgemuth die Werksteine heraus, um seinen Garten damit zu umfrieden, oder reißt die kunstreiche Steinmetzenarbeit der gothischen Klosterkirche, die ihn »nichts angeht,« nieder, um einen Feldweg damit zu stücken. Denn er hat ja keine Geschichte studirt, er ist überhaupt kein Geschichts- oder Alterthumsfreund, seine Sitte nur ist seine Geschichte, und er selber und was an ihm hängt, das einzige Alterthum, welches er achtet. Das Gleiche gilt von den historischen Ueberlieferungen im Munde des Bauern. Sie haben sich nur so weit frisch erhalten, als sie ihn selber berühren. In Gegenden, wo sich ein ächter Bauernschlag herübergerettet hat, leben die Anklänge der Hörigkeitsverhältnisse des Mittelalters noch in unzähligen Sitten und Redeweisen, aber nach einer Kunde etwa aus der deutschen Reichsgeschichte oder auch nur aus der Geschichte seines eigenen Fürstenhauses werdet ihr den Bauer in der Regel vergebens fragen. Er weiß euch noch recht gut anzudeuten, was »ganze und halbe Leute,« was ganze und getheilte Huben gewesen sind; in Hessen geht heute noch die Redeweise, daß »vier Pferde zu einem ganzen Bauern gehören,« und man spricht, nach der Tradition von den Frohntagen, welche in alter Zeit zu leisten waren, von »dreitägigen, viertägigen Bauern;« aber wer Karl der Große, wer Friedrich Rothbart gewesen, darnach wird man dort wohl vergebens Umfrage halten, falls nicht etwa neuerdings ein Schulmeister davon Kunde gebracht hat.

Die alte Hörigkeit, die in einem großentheils noch zu colonisirenden Lande bei weit verstreuter Bevölkerung eine wahre Wohlthat gewesen, wirkte nicht wenig dazu, den Bauer vom Vagabundenleben abzuhalten und die ihm eigene zähe Beharrlichkeit für kommende Geschlechter, denen das Vagabundiren näher gelegt seyn sollte, zu begründen. Die lange Geschichte der Leibeigenschaft ließ wenigstens das Proletarierbewußtseyn bei dem Bauern nicht aufkommen, denn so lange er Leibeigener war, war ihm zum mindesten ein festes Brod von seinem Herrn sicher. Die bäuerlichen Sklaven der deutschen Urzeit sind ja keineswegs ein bewegliches Eigenthum gewesen wie ein moderner Negersklave, der nach Belieben auf den Markt gebracht und an den Meistbietenden versteigert werden kann. Sie wurden als an ein bestimmtes Gut an eine Herrenfamilie gebunden gedacht, höchst selten veräußert und bauten das Grundstück, worauf sie fest saßen, oft in eigener Wirthschaft nur gegen Zins und Dienstleistung an den Herrn. Ein freies und selbständiges deutsches Bauernthum gehört freilich erst der neueren Zeit an, aber von seinem Urahn, der ein Leibeigener, ja in den ältesten Tagen wohl gar ein Sklave gewesen, hat der Bauer dennoch schon die beste Grundlage der Unabhängigkeit, das seßhafte Wesen geerbt.

Die Geschichte unseres Bauernthums zeigt viele gar wunderbare Thatsachen. Die Bauern des Mittelalters waren in den Kämpfen und gewaltsamen Krisen dieser Zeit großentheils aufs ärgste gedrückt. Wo der Ritter verlor, zahlte der Bauer die Zeche. Ohne Schutz stand er da, oft ohne Recht, ohne Waffen, wo der letzte Entscheid doch so häufig in der Waffengewalt gefunden ward. »Leg' dich krumm, und Gott hilft dir« ist ein altes Bauernwort, das die ganze Politik des wehrlosen Bauern ausspricht. Und doch ging er nicht sittlich und social zu Grunde in all der Noth und Trübsal. Im Gegentheil der Druck des Mittelalters ist für den deutschen Bauernstand eine Zuchtschule des Lebens geworden, und eine seiner kostbarsten Tugenden, seine unendliche Zähigkeit, hat er dieser zu danken. Wollte aber einer aus dieser Thatsache folgern, – und die Folgerung ist noch vor fünfzig Jahren leidlich gangbar gewesen – daß man dann den Bauer nur recht zu drücken und zu zwicken brauche, um ihn gut und tüchtig zu erhalten, so würde er damit doch wieder auf den Holzweg gerathen. Es erscheint freilich sehr bequem für die Regierenden, Unterthanen zu haben, deren politisches Glaubensbekenntnis lautet: »Leg' dich krumm und Gott hilft dir!« Aber man möge nicht vergessen, daß gerade die tüchtigsten Bauerschaften, die eigentlichen Prachtexemplare deutschen Bauernthumes, wie etwa die classischen westphälischen Hofbauern, im Mittelalter am freiesten gewesen sind. Sie standen damals gleich als reichsstädtische Patricier unter den übrigen Bauern, hatten freie, nach uraltem Brauch geregelte Gemeindeverfassung, eigene Gerichtsbarkeit, zahlten mäßige Steuern. Und diese von Alters her freien Bauern erscheinen jetzt als die conservativsten, als die Urbilder des historischen deutschen Bauern. An ihnen mag man merken, was unser Bauernstand hätte werden können, wenn ihm überall die freie, eigene Entwickelung vergönnt worden wäre. So schuf der deutsche Orden in Preußen durch die Verleihung des sogenannten »Kulmischen Rechtes« einen freien Bauernstand wie er in andern Gegenden Deutschlands ganz unbekannt war, und die Nachkommen dieser glücklichen Bauern, die bis auf unsere Tage unter dem Namen der »Kölmer« oder der »Preußischen Freien« hervorragten, waren durch Jahrhunderte das Muster eines tüchtigen Bauernschlages vom alten Schrot und Korn. Die Heroen der deutschen Bauerngeschichte, die Stedinger und Dithmarsen sind freie Bauern gewesen, sie legten sich nicht krumm, daß ihnen Gott helfe, sondern gingen in Kampf und Tod für ihre Freiheit und ihr altes Recht: der charakteristische Bauerntrotz steigerte sich bei ihnen zum Heldenthume. In den Ländern, wo sie gesessen, sitzt heute noch ein höchst tüchtiger, ein streng beharrender Bauernschlag. Dagegen in so vielen kleinen südwestdeutschen Territorien, wo seit langen Jahrhunderten der geschundene Bauer recht eigentlich zu Hause war, hat oft bis zu dieser Stunde das verkrüppelte, mißvergnügte Bäuerlein zu Kraft und Selbstbehagen sich noch nicht ermannen können. Dabei wird es aber doch durch den leisesten Anlaß aufgeweckt zu Lärm und Unfug.

Der ächte Bauer kann das weichherzige moderne Erbrecht nicht begreifen, welches allen Kindern alles gibt, damit keines was rechtes besitze. Wo eigentliche Bauernmajorate nicht mehr herrschen, da wird häufig das Gut unter den Kindern wenigstens verloost, damit der väterliche Besitz in einer Hand vereinigt bleibe. Wo man auf dem Wege des Gesetzes gegen diese Verloosungen oder die Majorate wirken will, da wird man bald finden, daß dem Bauern die Sitte über das Gesetz geht. Ja er wird im Nothfall so fest an der Sitte halten, daß sie in ihr Gegentheil, in Unsittlichkeit umschlägt. So liegen z. B. im untern Maingrunde, wo die Güterzersplitterung längst in voller Blüthe steht, ein paar vereinzelte Dörfer, welche mit aller Macht ihrerseits gegen die Kleingüterei ankämpfen. Es ist aber auch in diesen Dörfern unerhört, daß einer Ehe mehr als zwei Kinder entsprossen. Um die Sitte aufrecht zu erhalten, hat man die Moral geopfert; die Gemeinden sind reich und blühend; und die Pfarrer predigen – gegen die Abtreibung der Leibesfrucht.

In Gegenden, wo noch alte Bauernsitte herrscht, sind die aus persönlicher oder Standespolitik geschlossenen Ehen unter den Bauern gewiß im Verhältniß eben so häufig als die politischen Ehen bei Fürsten und Herren. Erst kommt der Güterverband und dann der Herzensverband. Wenn eine »Erbtochter« in Westphalen sich verheirathet, dann stellt schon der Sprachgebrauch den Gesichtspunkt der Gutsvererbung obenan. Denn der Mann führt wohl gar fortan den Namen der Frau, die ihm das Erbe zugebracht (wie das bei den Erbtöchtern der alten Dynastengeschlechter auch nicht selten gewesen ist) und fügt seinem ursprünglichen Namen, wie sonst die Frauen pflegen, nur noch bescheiden hinten an mit dem Zusatz »geborener.« Also etwa: Jost Müller geborener Schmidt.

Wenn der Bauer nicht zu Neuerungen geneigt ist, so hat dies schon darin seinen einfachsten Grund, daß es ihm überhaupt nicht obliegt theoretische Versuche zu machen, die sehr wohlfeil sind, sondern nur praktische, für die er mit seinem Geldbeutel einstehen muß. Diesen Unterschied vergessen unsere landwirthschaftlichen Theoretiker gar oft, indem sie über die hartköpfigen Bauern klagen. Daß daher der zähe Bauer überhaupt keine großen Stücke auf das theoretische Lernen hält, ist leicht erklärlich. Ein niederrheinisches Sprüchwort versinnbildlicht den Respect des Bauern vor der diabolischen Gefährlichkeit des Lernens in höchst anschaulicher Weise. Es sagt: »Men es zeleeve net ze alt für ze liere, säht et o't Wief, du lieret se noch hexe.« (Man ist sein Lebtage nicht zu alt zum Lernen, sagt' ein altes Weib, da lernte sie noch Hexen.)

Wie ein allzu zäher Charakter in verderblichen Eigensinn umschlagt, das zeigt uns die auf dem Lande herrschende Proceßkrämerei. Dem »Processer« ist sein Rechtsstreit eine Ehrensache, die er oft aus purem Eigensinn durchführt, obgleich er am ersten Tage schon weiß, daß nichts für ihn dabei herauskommen wird. Der ächte Proceßkrämer – und ganze Gegenden sind mit dieser Landplage behaftet – fängt oft einen Rechtsstreit an, bloß um seinem Gegner zu beweisen, daß er gescheidter und in den Rechten bewanderter sey als jener. Er würde es für ebenso feig halten, davor zurückzuschrecken, daß die Proceßkosten voraussichtlich den Werth des strittigen Gegenstandes weit übersteigen werden, als der Duellant sich wegen der Nichtigkeit des Anlasses vor Tod und Wunden scheut. Es ist also nicht zu verkennen, daß, neben dem Eigensinn und den harten Köpfen der Bauern, dieser Proceßkrämerei oft auch ein merkwürdiger Ehrgeiz nach dem Ruhme unbesiegbarer Rechtsweisheit zu Grunde liegt. Das Recht erscheint ihm wiederum als Sitte, und es ist ja sein Stolz, jeder Sitte kundig zu seyn. Hierin liegt ein bedeutungsvoller Fingerzeig für die Gesetzgeber, die sich aber selten um das lebendige Rechtsgefühl des Bauern bekümmert haben. Wären unsere Proceßordnungen volksthümlicher und praktischer, dann würde die Proceßkrämerei des Bauern sich schwerlich als eine solche Donquixoterie darstellen, die in einem humoristischen Volksroman zu einer sehr lustigen Figur benutzt werden könnte, während sie in unserer Sittengeschichte eine um so traurigere Rolle spielt.

Der Bauer bleibt steif bei den Formen stehen, nach welchen er sich einmal das Leben zurecht gelegt hat. So fängt er nicht im Frühjahr seine Processe an, sondern im Winter, verliebt, verlobt, verheirathet sich im Winter, weil er im Sommer zu alle dem keine Zeit hat. Vor mehreren Jahren wurde in der nassauischen Garnisonsstadt Weilburg ein Bauernbursche als Rekrut eingekleidet, der aus der ärmsten und abgelegensten Gegend des hohen Westerwaldes gekommen war, wo sich in der That ein an uralte Zeiten gemahnender überaus niedriger Culturstandpunkt noch vorfindet. Der Bursche hatte noch nie in seinem Leben in einem Bette geschlafen, und als er sich in der Kaserne zum erstenmale in ein solches legen sollte, fing er an zu weinen wie ein kleines Kind und desertirte zweimal, weil er sich mit dem Gedanken in einem Bett zu schlafen und überhaupt mit dem für ihn allzu vornehmen und üppigen Leben in der Kaserne durchaus nicht befreunden und das Heimweh nach dem gewohnten Elend seiner strohbedeckten Lehmhütte nicht verwinden konnte. Ein solcher armer Teufel vom Lande sticht freilich stark genug ab gegen das städtische Proletariat, welches gewiß nicht wegen übergroßer Verbesserung seiner Lebensweise desertiren würde.

Nirgends haben die religiösen Gegensätze tiefere Wurzel geschlagen als beim Bauersmann. Auch die Religion ist bei ihm nicht Dogma, sondern Sitte. Sie hat alle seine Gewohnheiten eigentümlich gefärbt: das Glaubensbekenntnis; klingt bis zu seinen Festen, seinen Liedern und Sprüchen durch, es gibt sich selbst im Rocke kund, wie ja der ächte Bauer in protestantischen Gegenden das einfarbig dunkle Kleid, in katholischen das hellere und buntere vorzieht. Gleich wie die religiöse Gleichgültigkeit bei den Gebildeten, so hat ein überkirchliches Sectenwesen oft genug bei den Bauern seine festeste Stätte gefunden. Erst der neuesten Zeit war es vorbehalten, dem Bauersmann hier und da zu der »Aufklärung« zu verhelfen, daß die Religion nicht die ewige Sitte, sondern eine individuelle Ueberzeugung sey.

Mit dem zähen Beharren des Bauern hängt ein mächtiges Selbstgefühl zusammen, ein stolzes Bewußtseyn seines gesellschaftlichen Werthes. Der unverfälschte Bauer schämt sich nicht ein Bauer zu seyn, es liegt ihm im Gegentheil viel näher, jeden andern, welcher nicht den Kittel trägt, zu unterschätzen. An einigen Orten (auch in französischen Landstrichen) herrscht der Brauch, daß das Landvolk an gewissen Festtagen seine Heiligenbilder mit Bauernkleidern schmückt. Der Bauernrock ist dem Bauern das kostbarste Staatskleid, selbst für einen Heiligen.

Der Bauer hält Kopfweh für die leichteste Krankheit, weil ihm die Arbeit mit dem Kopfe die leichteste und entbehrlichste Art dünkt. In den Stürmen des Jahres 1848 meinten die Tiroler Bauern, sie könnten wohl auch ohne die »Herren« fertig werden, wenn man sie nur gewähren lassen wolle. Der Bauer von ächtem Schrot und Korn beneidet den vornehmen Mann keineswegs, er hält ihn vielmehr immer für etwas windig und unsolid. Die Geschichte weiß von Bauernaufruhr aller Art zu berichten, durch welchen der vielgeschundene und geplagte Landmann sein Geschick zu bessern gedachte, aber ein Streben der Bauern, aus ihrem Stand und Beruf herauszutreten, vornehme Leute werden zu wollen, den Pflug liegen zu lassen, um etwa das ruhigere Geschäft eines Rentiers und Capitalisten oder eines Pariser Staatsfaullenzers zu ergreifen, ein solches Streben ist bei den deutschen Bauern ganz unerhört. Dagegen liegt gerade die bewegende Federkraft der socialen Unruhen in den niederen Schichten der städtischen Gesellschaft darin, daß immer der geringere Stand und Beruf den höheren beneidet und in seine Stelle einrücken möchte, daß der geringere Arbeiter sich seines Berufes schämt. Der Fabrikarbeiter, der Handwerker wünscht nicht etwa bloß seinen Arbeitsverdienst erhöht – das wünscht der Bauer auch – er will aufhören Fabrikarbeiter, Handwerker zu seyn, er schämt sich dessen, er möchte auch ein großer Herr werden. In diesem erbärmlichen Neide, der sich bis in die höchsten Schichten der Gesellschaft fortsetzt, liegt das nichtswürdigste und unsittlichste Moment der socialen Wühlereien. Der Bauer kennt diesen Neid noch nicht, er ist noch von dem edeln Stolze des Standesgeistes beseelt, der früher auch den Handwerker beseelte und ihn so viel ehrenwerther und tüchtiger erscheinen ließ, als es jetzt oft der Fall ist. Will der siebenbürgische Sachse seine Achtung vor einem Manne ausdrücken, so sagt er: »et äß äser ener« – er ist unser einer. Wenn der Mann im Rock den Mann im Kittel über die Achsel ansieht, dann ist dieser gewöhnlich sofort mit dem schlagenden Satze zur Hand: »wenn wir Bauern nicht wären, dann hättet ihr nichts zu essen.« Und bei diesem Worte soll der Bauer stehen bleiben, es ist ein stolzes Wort, darauf er sich schon etwas einbilden kann.

Der deutsche Bauer ist in der neuesten Zeit eine Art Modeartikel in der schönen Literatur geworden. Ueber die Bedeutung dieser Thatsache für das naturgeschichtliche Studium des Volkes habe ich mich schon in dem Buche von »Land und Leuten« ausgesprochen. Man könnte aber noch weiter zweierlei aus derselben folgern. Schon oft hat die schöne Literatur die fernaufsteigenden Einflüsse einer politischen Macht vorgeahnt, bevor der Blick der praktischen Staatsmänner sie zu würdigen verstand. So könnte man sagen, klopfen jetzt die Bauern einstweilen in Dorfgeschichten und Romanen an, weil die Zeit nahe gekommen sey, wo das Vollgewicht ihres politischen Einflusses im Leben sich geltend machen werde. Andererseits mag man aber auch folgern, daß die Kluft, welche den Gebildeten von dem Bauern trennt, doch ungeheuer groß geworden seyn müsse, da die Eigenart des Bauernlebens seltsamer Weise so neu erscheint, daß man sie jetzt gar als die feinste Würze der bereits so stark überwürzten Romanliteratur ausbeutet. Es hat sich aber in die meisten Dorfgeschichten (die Auerbach'schen nicht ausgenommen) neben manchen der Natur abgelauschten Zügen eine grundfalsche Zeichnung des Gemüthslebens der Bauern eingeschlichen. Der Bauer ist himmelweit entfernt von jeder modernen Sentimentalität und Gefühlsromantik; er ist dazu aus viel zu sprödem Stoff geformt, ja er ist in Sachen des Herzens oft geradezu roh. Dieß wußte nur Jeremias Gotthelf haarsträubend wahr darzustellen, wobei freilich die Muse der Dichtkunst zuweilen bis über die Knöchel im Miste watet. Dem Bauersmann ist die Familie heilig, aber die zärtliche Eltern-, Geschwister- und Gattenliebe, wie wir sie bei den Gebildeten voraussetzen, werden wir bei ihm vergebens suchen. Es ist leider allzu begründet, daß beispielsweise Impietät der erwachsenen Kinder gegen die bejahrten Eltern auf dem Lande sehr stark im Schwange ist, namentlich da, wo die Eltern beim Eintritt in das höhere Alter ihr ganzes Besitzthum den Kindern abgeben gegen die Pflicht des sogenannten ›Aushaltes,‹ d. h. der Ernährung und Pflege bis zum Tode. Wie es mit diesem Aushalte gar oft gehalten wird, das bezeugt die Bauernregel: ›Zieh dich nicht eher aus, als bis du schlafen gehst.‹ Diese Impietät entspringt aber im allgemeinen weit mehr aus Gefühlsroheit, als aus Sittenverderbniß.

Merkwürdig ist es auch, daß unter den vielen Gleichnissen und moralischen Erzählungen im Munde der Bauern wohl keine allgemeiner verbreitet und bunter verarbeitet ist, als die Geschichte von den undankbaren Kindern, welche ihren greisen Vater, dem sie bloß den Aushalt schuldeten, an einem hölzernen Trog essen ließen, weil er mit seinen zitternden Händen manchmal das Essen verschüttet hatte. Da bemerkten sie, daß ihr eigener Bube einstmals einen kleinen Trog aus Holz schnitzte; und als sie ihn fragten, zu welchem Zweck, erwiderte er: damit seine Eltern daraus essen könnten, wenn sie später auch einmal den Aushalt bei ihm bekämen.

Ebenso zeigt sich geschwisterliche Liebe während und nach der Verloosung des elterlichen Gutes in der Regel nicht im glänzendsten Licht. Die Ehe faßt der Bauer aus einem sehr nüchternen Standpunkte. Die Mädchen auf dem Lande heirathen meist sehr frühe, die ersten Jahre der Ehe sind für sie eine Kette, von Arbeit und Mühsal; sie werden rasch alt und häßlich. Von der Romantik einer Bauernehe, wie sie die Dorfnovellisten ausmalen, wird dabei nicht viel zu verspüren seyn. In kritischen Stunden liest der Mann seiner Frau wohl gar ein Capitel aus dem Puffendorf oder einige Verse aus dem Klopstock, ohne daß man viel Aufhebens davon macht. Indem unsere Dorfpoeten ihr eigenes Gefühlsleben auf den Bauer übertrugen, verwischten sie gerade einen seiner hervorragendsten Züge, daß nämlich bei ihm die gattungsmäßige Sitte an die Stelle des individuellen Gefühls tritt. Zudem wird man in unserer Dorfgeschichtenliteratur den Bauer fast immer etwas social kränkelnd, halb zum Proletarier verkrüppelt, gezeichnet finden, bereits angesteckt von städtischem verneinendem Geiste gegen Staat, Gesellschaft und Kirche. Es lag allerdings früher den Tendenzen der Literatur näher, auch hier den Boden der Gesellschaft als unterwühlt, die Sitte des Bauern als im Zusammenbruch begriffen, die erhaltende Urkraft des Staates als zum Gegentheil sich verkehrend darzustellen. Allein die Ereignisse der letzten Jahre haben uns bewiesen, daß solchergestalt nicht der deutsche Bauer, sondern der von dem ächten Bauernthume bereits Abtrünnige geschildert war. Jeremias Gotthelf hat freilich den Bauer von guter und schlechter Art mit einer bis zum Erschrecken getreuen Wahrheit abconterfeit. Als naturgeschichtliche Specialstudien stehen seine Sittenbilder sehr hoch. Aber den Geist des Standes als solchen, das Bauernthum hat doch kein neuerer Schriftsteller so treffend im Zusammenhang des ganzen deutschen Volkslebens erfaßt, als der alte Justus Möser, der in seinem biderben, geraden, auf dem Granitgrund der Sitte aufstrebenden Charakter selbst viel Wahlverwandtes mit den Bauern hatte, der sie auch nicht behufs literarischer Dorfstudien durch den Operngucker betrachtete, sondern, gleich Gotthelf, unter und mit ihnen gelebt und gewirkt hat.

Wenn der Bauer in der Pflege des intellectuellen und gemüthlichen Lebens hinter den sogenannten Gebildeten zurücksteht, so übertrifft er sie jedenfalls an Nervenstärke, und das ist meines Erachtens auch eine geistige Ueberlegenheit.

Beim Urtheil über unsere geistigen Culturzustände übersieht man gewöhnlich die Bedeutung der Nervenkraft. Das ist's ja gerade, was die alten Poeten, Maler und Bildhauer vor den neueren voraus haben, daß ihnen eine ganz andere Frische und Fülle ungebrochener Nervenkraft einwohnte, wogegen unser geläutertes kritisches Bewußtseyn, unser gesteigertes Verstandes- und Gemüthsleben nicht ausreicht. Die Genialität eines Shakespeare, eines Michel Angelo, eines Händel und Sebastian Bach ruht auf dem Vollgehalt unverderbter Nervenkraft; auch bei Goethe noch erfrischt uns immer der Gedanke, wie gesunde Nerven doch dieser Mann gehabt haben müsse, während die moderne »Genialität« gar oft nichts weiter ist, als eine krankhafte Reizbarkeit des Nervensystems. Auch die socialen Phantastereien wurzeln nicht wenig in dem ruinirten Nervensystem unsers Stadtvolkes bis zum Proletarier abwärts. Gegenüber der nervenschwachen, an der eigenen Spannkraft verzweifelnden Gleichmacherei unserer socialistischen Arbeiter sagt ein alter Bauernspruch: Selbst ist der Mann! Darin liegt Nervenstärke. Unsern Vätern und Großvätern ging es in der Regel weit schlechter als uns selber, sie lebten auch in viel trostloseren Zeitläuften, aber es fiel ihnen gar nicht ein zu verzweifeln – (die Lehre der socialen Demokratie ist die Verzweiflung des Einzelnen an seiner Mannheit, in ein System gebracht) – sie hatten noch gesunde Nerven wie die Bauern und schlugen sich mit Gottes Hülfe durch wie diese. Der Bauer ist in der Regel nicht einmal so muskelstark als man glaubt, er ist mehr grobknochig, mehr schwerfällig, als von sonderlich elastischen Muskeln, aber er hat unverdorbene Nerven und darum zähe Ausdauer. Er kann es aus diesem Grunde gar nicht begreifen, weßhalb der Städter eigentlich spazieren geht, da dieser es doch meist nur zur Erfrischung der erschlafften Nerven thut, und hält das Spazierengehen für aller Narrheiten größte, da ihm freilich die Arbeit selber Nervenstärkung ist. Wie glücklich steht er in diesem Betracht dem ausgemergelten städtischen Arbeiter gegenüber! Es ist darum gut, wenn viele nachgeborne Bauernsöhne zum Gewerbestand übergehen, weil solchergestalt dem Stadtvolk neue Nervenkraft zugeführt, die Landgemeinde selbst aber vor übermäßig zersplitterten Gütern und der damit untrennbar verbundenen, die Nerven abschwächenden Kartoffelexistenz bewahrt wird. Ein noch lebender ausgezeichneter Jurist war als nachgeborener Bauernsohn von seinem Vater dazu bestimmt, das Metzgergewerbe zu erlernen. Da der etwas zart gebackene Junge aber kein Blut sehen konnte, so erklärte der Alte, er müsse den Buben die Rechte studiren lassen,, indem derselbe zu »schlecht« sey, um etwas ordentliches zu lernen. In dieser Ansicht lag eine ganz richtige Schätzung. Denn die Nervenkraft ist des unverdorbenen gemeinen Mannes bestes Theil, sie ist der Punkt, durch welchen zumeist er den höheren Ständen geistig überlegen ist, und statt eines trefflichen Rechtsgelehrten wäre aus dem Jungen gewiß ein ganz mittelmäßiger Metzger geworden.

Der deutsche Bauer hat bekanntlich ein gutes Stück Mutterwitz geerbt, gepaart mit so viel Pfiffen und Kniffen in praktischen Dingen, daß er nicht selten den gewürfeltsten Advokaten in Erstaunen setzt. Aber merkwürdig ist es, wie auch dieser Mutterwitz den Bauer verläßt, sobald er in fremdartige Verhältnisse eintritt. Selbst sein zähes Mißtrauen, sein Vorbedacht im Urtheil und Entschluß will dann oft nicht mehr widerhalten. Derselbe Bauer, welcher sonst keinen Kreuzer annimmt, bevor er ihn sechsmal in der Hand umgedreht hat, der sonst seine Habe gewiß keinem Menschen anvertraut, mit dem er nicht einen Scheffel Salz ausgegessen, derselbe Bauer gibt sich mit fabelhaftem Leichtsinn betrügerischen Seelenverkäufern hin, sobald er einmal gründlich mit seinen alten Zuständen gebrochen und den Entschluß zur Reise nach einer neuen Welt in's Wert gesetzt hat. Als ob ein dunkles Verhängniß ihn zöge, stürzt er sich meist ganz kopflos in den Strom der Auswanderung, wie ein schneeblindes Huhn taumelt er in dem ungewohnten Lichtspiel neuer Verhältnisse umher. Allein sowie er wieder einmal festen Boden unter den Füßen hat, sowie er einmal beginnt, die alten Sitten in der neuen Heimath wieder aufzurichten, kehrt ihm auch der alte praktische Blick, der Mutterwitz, das heilsame Mißtrauen wieder. Der bäuerliche Auswanderer geht am öftesten auf der Reise zu Grunde, der städtische in der Ansiedelung. Seine Ausdauer und Zähigkeit macht den deutschen Bauer zum geborenen Colonisten, sie hat ihn zu dem großartigen weltgeschichtlichen Beruf geweiht, der Bannerträger deutschen Geistes, deutscher Gesittung an allen Weltenden zu weiden. Während uns die neueste Zeit wiederum die traurigen Beweise lieferte, daß der deutsche Auswanderer aus den höheren Ständen bei dem praktisch-nüchternen Amerikaner großentheils die Rolle des Gecken spielt, hat sich der Bauer fast überall, wo er auf fremder Erde seinen Pflug einsetzte, den Respekt der Eingeborenen errungen.

Die Colonisirung fremder Welttheile durch deutsche Siedler bietet aber auch noch eine andere beachtenswerthe Seite für unser Sittenbild. Der zurückgekommene, zerfahrene, mit seinem Loose, seiner Heimath zerfallene Mann aus höheren Gesellschaftsschichten rettet sich zuletzt und genest nur noch darin,– daß er Bauer wird. Er besitzt vielleicht noch Mittel genug, um sich in Deutschland ein Ackergut zu erwerben, aber so recht eigentlich Bauer werden könnte er in Deutschland nicht, die Verhältnisse in denen er aufgewachsen und welchen er entfliehen will, würden ihn hier auch hinter dem Pfluge verfolgen, er würde sich hier des neuen Berufes schämen. Aber jenseit des Oceans schämt er sich dessen nicht. So gestaltet sich hier das Colonistenleben – d. h. das Bauernleben – zu einer rechten Luft- und Wassercur, welche kranke Köpfe und Herzen gründlich ausfegt. Wer nirgends seinen Frieden mehr finden konnte, der findet ihn im Urwald – als Bauer, und zwar nicht als faullenzender Oekonom, sondern als ein Bauer im Wortsinne, der Schwielen in den Händen hat und im Schweiße feines Angesichts sein saures Brod ißt. Es liegt für den Staatsmann ein bedeutsamer Fingerzeig in dieser Thatsache, daß die abgestandenen Theile der Gesellschaft zuletzt in Bauernleben und Bauernsitte sich wieder erfrischen.

Ich habe bis hieher vom deutschen Bauer in seiner Allgemeinheit gesprochen. Es könnte dies aber auffallen, wie man ihm eine solche Fülle gemeinsamer Züge beilegen mag, da ja der »deutsche Bauer« ein ganz idealer Gesammtbegriff ist und viel eher noch eine bloß ethnographische Formel, wie »Deutschland« leider eine bloß geographische seyn soll. Zudem hoben wir ja hervor, daß gerade bei den Bauern das zäheste Sonderthum des Gaues, der Landschaft sich eingebürgert hat. Allein dies eben ist das Wunderbare, daß der deutsche Bauer, trotz aller schroffen Unterschiede, doch in den Hauptcharakterzügen, in dem eigentlichen Grundton der Sitte überall derselbe bleibt. Selbst da, wo bereits der moderne Auflösungsproceß bei ihm eingedrungen, kann er doch das Gemeinsame des Bauerncharakters noch lange nicht verleugnen. Auf weit ausgedehnten Gütern sitzt der Bauer in Mecklenburg, Pommern, Brandenburg; auf großen vereinzelten Gehöften in Westphalen; in Gruppen kleiner Dörfern und Weiler auf dem Westerwalde und im Sauerlande! bunt zerrissene Kleingüterei beim Zusammenwohnen in großen Dörfern herrscht am Rhein, und große Verschiedenheiten in Sitte und Charakter werden durch alle dies bedingt, aber dennoch verleugnen sich nirgends die Grundzüge des deutschen Bauernthums, sie verleugnen sich selbst da nicht, wo er sich inmitten einer barbarischen Umgebung wie in Grusien angesiedelt hat, so wenig als in den Hinterwäldern Amerika's. Das freundliche, reinliche Dorf im Hochgebirge mag sich auf den ersten Anblick gewaltig abscheiden von dem trübseligen schmutzigen Fischerdorf am Meeresstrande, und dennoch wohnt in beiden Dörfern derselbe deutsche Bauer mit demselben Hauptzuge des Lebens und Wirkens, mit derselben Sitte, die nur einen andern Rock angezogen, die sich in eine andere Mundart übersetzt hat. Die Culturformen selbst sind wohl in keinem Lande mannichfaltiger als in Deutschland. Die buntesten Schattirungen des Feldbaues, der Viehzucht, des Weinbaues etc., bedingt durch die wunderbar reiche Stufenfolge des Bodens und der Gebirgsgebilde, wechseln mit einander, daß sich das Ganze recht wie eine lehrhafte Musterkarte (vielfach leider allzu lehrhaft) für den Volkswirth ausnimmt. Und doch überall derselbe deutsche Bauer! Es gibt ein unsichtbares Band, welches alle verknüpft, zu einer Einheit, von welcher sich der Bauersmann selber am wenigsten etwas träumen läßt: überall ist es der oben gezeichnete historische Charakter, und überall ist die Sitte sein oberstes Gesetz; wo Religion Nationalgeist, Gesellschafts- und Familienleben noch naiver Instinkt, noch Sitte ist, da hebt der deutsche Bauer an.


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