Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.

Der Bauer und die Revolution.

Wenn man den Bauer fragt, dann hat er immer etwas zu murren und zu klagen; man kann ihm dies Murren so wenig abgewöhnen, als den Wölfen das Heulen. Auch dieser Zug ist historisch. Schon seit dem Mittelalter stimmen alle Zeugnisse fortlaufend darin überein, daß der Bauer vor den andern Ständen zumeist zu brummen und zu knurren liebe. Aber sein Mißvergnügen erstreckt sich, wie wir bereits oben gesehen, immer nur auf nächstliegende Zustände. Es widerstrebt der Natur des Bauern, seine Beschwerden zu verallgemeinern, und er klagt den Staat und die Gesellschaft nicht an, weil er vielleicht guten Grund hätte den Schultheißen anzuklagen. Als die erste französische Revolution ausgebrochen war, fiel ihr zündender Funke auch hier und da in Deutschland nieder und selbst unter die Bauern. Auf einigen standesherrlichen sächsischen Dörfern z. B. rotteten sich die Landleute zusammen und schrieben ihre Bitten und Begehren auf, um sie vor den Standesherrn zu bringen. Es war das aber nicht etwa die damals zeitgemäße Forderung der »allgemeinen Menschenrechte,« sondern ganz besondere Anliegen, Acker und Wald und Wiesen betreffend. Als die Bauern mit der »Sturmpetition« vor ihre Herren traten, hatten sich dieselben in Dresden bereits nach Hülfe umgesehen, und als man den Bittstellern bedeutete, falls sie nicht sofort auseinander gingen, würde man sie in's Loch stecken, ging jeder wieder so schnell als möglich nach Hause. Aehnliche Scenen sind damals an vielen Orten Deutschlands vorgekommen. Der Bauer hatte noch den vollen Respect vor der Autorität seiner Herrschaft. An revolutionäre Tendenzen war gar nicht zu denken. Als General Cüstine im Jahre 1792 die Rheingegenden heimsuchte und bald drohend, bald bestechend für die französische Republik warb, gelang ihm dies doch nur in einigen rheinischen Städten, namentlich in Mainz, oder in den städtischen großen Dörfern der Rheinebene. Bei den Bauern in den nassauischen Bergen und in der Wetterau konnten die republikanischen Apostel keinen Anklang finden, man wies sie im Gegentheil mitunter etwas unsanft zurück. Als dem Fürsten von Nassau-Idstein durch Cüstine eine persönliche Kriegssteuer von 300,000 Gulden auferlegt worden war, erboten sich die Bauern freiwillig diese Summe mitzuzahlen.

Zu den Nachwehen der Julirevolution in Deutschland gehörte eine ganze Reihe kleiner Bauernaufstände. Sie zielten aber fast alle nur auf die Abschaffung örtlicher Beschwerden. Man zerstörte Zollhäuser wegen der lästigen Mauth, vernichtete die verhaßten Stempelbogen, verfolgte an einigen Orten die wilden Schweine, an andern die Rathsherren. Ein einheitliches Handeln fand nirgends statt. Jeder wollte nur die Last, die ihn zunächst drückte, von sich abwälzen. Periodische örtliche Unruhen wegen der Steuern, Naturalleistungen und Frohnden sind so alt wie der Bauernstand selber. So wenig als die Aufruhrscenen, von welchen die Chroniken der Städte des Mittelalters häufig genug berichten, Revolutionssymptome im modernen Sinne waren und gegen den gesunden Geist des alten deutschen Bürgerthums zeugen können, so wenig ist dies bei den bezeichneten Bauernaufständen der Fall.

Ganz anders schien sich die Sache im März 1848 zu gestalten. In den kleineren westdeutschen Staaten hatte es vorweg den Anschein, als wolle sich der Bauernstand in Masse erheben. Nicht ohne Grund verloren die Staatsbehörden den Kopf; denn dieses Schauspiel war noch nicht dagewesen. Nicht Karlsruhe, Darmstadt, Wiesbaden ertrotzten die ersten Märzerrungenschaften, das Badener, Hessen- und Nassauer-Land war es, welches in Person nach den Hauptstädten gekommen war, die Bauern allein, deren massenhaftes Erscheinen den Ausschlag gab. Gegen das empörte Stadtvolk hätten die vorhandenen Militärkräfte einschreiten mögen, aber wo sich die Bauern von ihren Sitzen erheben, da ist es, als ob eine Stadt an allen Punkten zugleich brenne. Und doch war der Bauer diesmal nur mitgegangen, er hatte seine Rolle gespielt, ohne selber zu wissen, was er eigentlich spiele. Ein Hungerjahr und ein Jahr des Ueberflusses hatten den kleinen Gutsbesitzer mürbe gemacht, während beide Jahre dem reichen landwirthschaftlichen Spekulanten gleich sehr den Beutel füllten. Der Bauer hatte wie immer Beschwerden genug in der Tasche. Er hatte sich auch wohl ein wenig bearbeiten lassen, er war aufgelegt dazu, und die Zeit war günstig. Als er vernahm, daß diesmal des Landes Wohl in der Hauptstadt fertig gemacht werde, schnürte er seinen Bündel und zog auch dahin. Der ganz naive Gedanke, daß dort etwas absonderliches vorgehe, und daß man auch dabei seyn wolle, hatte meist die großen Bauernmassen in Marsch gesetzt. Ohne irgend einen festen Zweck und Entschluß kamen die Leute auf den Schauplätzen der Märzbewegung an und wurden dort nun von den Parteiführern recht warm in Empfang genommen. Aus den Fenstern der fürstlichen Schlösser und der Ministerhotels erschienen diese unabsehbaren Bauernschwärme freilich in einer ganz andern Perspective. Man argwohnte da ein Gemeinsames des revolutionären Gedankens bei den Bauern, ein planmäßiges Zusammenwirken und verlor den Kopf. Bei diesen Bauern war nicht wie bei den sogenannten »Arbeitern« die vereinzelte Beschwerde zu einer allgemeinen Unzufriedenheit großgewachsen. Das Clubwesen hat nie bei den deutschen Bauern Wurzel gefaßt. Bauernvereine etwa, die im Style der Arbeitervereine aus dem Gesammtbewußtseyn des seine Fesseln zerbrechenden Bauernthumes heraus die Gesellschaft hätten reformiren wollen, haben nirgend oder höchstens nur als ganz unschuldiges Zerrbild bestanden. In jedem Gau, ja in jedem Dorf schloß sich die Bauernbewegung für sich ab. Es war im Traume nicht daran zu denken, daß der deutsche Bauer von der Nord- und Ostsee dem Bauern auf dem Schwarzwalde oder im bayerischen Hochgebirge die Hand geboten hätte zu einem Aufstand des deutschen Bauernstandes als solchen, wie das in der That von Seiten der städtischen Proletarier geschehen ist. Ein Netz der revolutionären Propaganda über den deutschen Bauernstand zu werfen ist um deßwillen unmöglich, weil man vorher den Bauer aus seinem örtlichen Sonderleben herausreißen müßte, und das wäre eine Aufgabe für Jahrhunderte. Auch ist es dem Gebildeten unendlich schwer, dem Bauern irgendwie beizukommen, ihn für eine neue Idee zu begeistern. Die Flugschriften, welche man unter das Volk schleuderte, haben beim Bauersmann fast nie gezündet, ob er sie gleich bereitwillig entgegennahm – nämlich um ihres Papierwerthes, nicht um ihres Inhalts willen. Vergebens mühte sich die Localpresse auf den Dörfern einen dauernden Erfolg zu finden. Der Bauer glaubt noch nicht, daß ihm durch eine Zeitung geholfen werden könne, und wenn er es ja eine kurze Weile glaubte, dann wurde er gar rasch zum Gegentheile bekehrt. Wer den Bauer zum Abschwören seiner Sitte hätte bewegen können, wer es ihm einzureden vermocht hätte, daß er über den Bauer hinaus müsse, um ein glücklicherer Mensch und Staatsbürger zu werden, der wäre der Meister einer wahrhaftigen deutschen Revolution gewesen. Das aber vermochte keiner. Was würde im Jahre 48 aus Berlin geworden seyn, wenn diese Hauptstadt nicht rings umlagert wäre von dem kräftigen Bauernthume der Marken? Wenn statt dessen ein proletarisches Bauernvolk wie in südwestdeutschen Gegenden an den Havelseen gesessen hätte? Die märkischen und pommerschen Bauern bildeten die moralische Operationsbasis in den Kämpfen gegen die Revolution, für die Generale sowohl wie für die Minister.

Die Forderungen der Bauern waren in ihren Grundzügen überall dieselben, nur nach den örtlichen Zustanden verschieden schattirt. Allein der Bauer selber dachte nicht an dieses Gemeinsame seiner Beschwerden, so wenig er sich entsinnt, daß schon seit dreihundert Jahren das Mißvergnügen über dieselben Punkte bei ihm in stehende Lettern gegossen ist. Die Märzerrungenschaften der gebildeten Stände begriff er kaum, ja sie waren ihm von Anfang an fast verdächtig. Das historische Mißtrauen gegen den Städter erwachte auf der Stelle. Die Tiroler Bauern versahen sich nichts Gutes von der Preßfreiheit und Constitution, »weil sich die Herren so sehr darüber freuten.« Westerwälder Bauern, welche anfangs dem Begehren eines deutschen Parlaments stürmisch beigefallen waren, erkundigten sich nachher mit bedenklicher Miene, ob denn das zu errichtende deutsche Parlament aus Infanterie oder Cavallerie bestehen solle? Die Erklärung fürstlicher Domänen zu Staatseigenthum leuchtete den Bauern in verschiedenen kleinen Ländern um deßwillen besonders ein, weil sie sich darunter dachten, von den Dömänengütern solle nun jeder einzelne nach Art der Almende und Gemeindenutzungen sein Theil zugewiesen bekommen. Der Gedanke war an sich so unvernünftig nicht, und jedenfalls mehr werth als die Auffassung der meisten »politisch Gebildeten,« welche den Uebergang des fürstlichen Grundbesitzes an den Staat forderten, ohne sich überhaupt irgend etwas dabei zu denken.

Auffallend könnte es erscheinen, daß die Idee der Theilung alles Besitzes so rasch bei den Bauern zündete, ja recht bald zur alleinigen Lockspeise wurde, mit welcher die Apostel der Revolution Jünger aus dem Bauernstande an sich zu ziehen vermochten. Nicht bloß Proletarier, auch wohlhabende Bauern wurden vielfach durch die Hoffnung auf »das Theilen« verblendet. So schien es denn doch, als ob gerade die socialen Ziele der Revolution bei dem Bauern Anklang fänden, als ob das nur eine Täuschung gewesen, wenn man glaubte, der Bauer würde durch seine Liebe zu festem Besitz und ruhigem Erwerb vor dem Schwindel communistischer Lehren bewahrt. Es hatte aber mit diesem Gelüsten des Theilens, welches selbigesmal unzweifelhaft tief bei dem Bauern eingedrungen und fast durch alle Länder gegangen ist, eine eigene Bewandtniß. Der ächte Bauer dachte dabei in der Regel an nichts weniger als an ein allgemeines Gütertheilen im Sinne communistischer Weltreform, er glaubte überhaupt nicht zu einer Neuerung gedrängt zu werden, das »Theilen« war ihm vielmehr eine geschichtliche Reminiscenz. Die goldene Zeit lag in der Phantasie des Bauern in jenen Zuständen, wo jeder Gemeindebürger noch so viel Holz unentgeltlich aus dem Gemeindewalde bekam, daß er neben freiem Brande auch noch einen Theil verkaufen konnte, wo die Gemeindenutzungen so einträglich waren, daß statt der Erhebung von Gemeindesteuern am Ablauf des Jahres vielmehr noch ein Stück baar Geld an jeden Gemeindebürger vertheilt wurde. Diese Zustände haben allerdings ausnahmsweise an sehr begünstigten Orten bestanden, in seltenen Fällen bestehen sie sogar heute noch. Daß sie allgemein bestehen möchten, ist das Ideal der meisten Bauern. Sie verstanden daher das »Theilen« in der Regel dahin, daß das Staatsgut, daß namentlich die Staatswälder zu Gemeindenutzungen vertheilt werden mochten, daß überhaupt durch irgendwelches staatswirthschaftliche Kunststück freies Holz, frei Weide und ein Stück Geld oben drein dem Einzelnen wieder zu Theil werde. Nicht Neuerungssucht, sondern ein übel verstandener Conservatismus, eine Selbsttäuschung mit geschichtlichen Überlieferungen führte sie den Communisten in die Arme. Von dem eigenen Besitz wollte keiner auch nur eine Scholle behufs der allgemeinen Gleichheit aus den Händen lassen, und die Einsicht, daß ohne eine solche Maßregel, das Problem des »Theilens« doch nicht gelöst werden könne, curirte bald die große Mehrzahl der Theilungslustigen.

Daneben läßt sich aber auch nicht läugnen, daß in den bereits verderbten Bauernkreisen, namentlich in den durch Kleingüterei zurückgekommenen Ortschaften in der Nahe größerer Städte, der Communismus in seiner krassesten Gestalt Eingang fand. Hier faßte man das »Theilen« in einem ganz andern Sinne, und da vielleicht kein Einziger im Dorfe so viel besaß, daß ihn dessen Verlust sonderlich geschmerzt haben würde, so gaben sie sich allesammt der neuen Lehre mit ganzer Seele hin. Der größte Theil der eigentlichen Rohheiten und muthwilligen Friedensbruchs auf dem Lande fällt auf solche verkommene proletarische Dörfer zurück. Sie stellten ihre reichliche Werbeschaar zu den badischen Putschen, zum Frankfurter Septemberaufstand und ähnlichen »Kämpfen.« Der verlüderlichte, proletarische Bauer ging so weit, wie unseres Wissens das städtische Proletariat in Deutschland noch nicht zu gehen gewagt hat: er verbrannte in einigen Orten die Hypotheken- und Lagerbücher. Eine solche Demonstration ist ziemlich deutlich, sie zeigt uns besser als Dutzende von Aufsätzen, wohin der Bauer kommt, wenn der feste Boden des Besitzes unter seinen Füßen zu wanken beginnt, wenn er der sicheren Richtschnur der Sitte untreu wird, wenn der Branntwein seine Nervenkraft bricht und seine naturwüchsige Derbheit in Bestialität verkehrt.

Wenden wir uns wieder zu den unverfälschten Bauern. Es bot ergötzliche Gegensätze, wie sich der Bauer sogleich das Praktische aus den »Volksforderungen« herausgriff, z. B. die Zinsen und Abgaben vorsichtig so lange weigerte, bis man sehe, was aus der Geschichte geworden, und sich überhaupt den klingenden Nutzen ausrechnete, der ihm aus den Errungenschaften erwachsen möchte, während sich die Gebildeten mit zahllosen abstracten Staats- und Weltverbesserungsplänen plagten. Indeß sich die Städter etwa über ein Wahlgesetz »auf breitester Grundlage« den Kopf zerbrachen, fragten die Bauern ganz naiv bei der Regierung an, ob denn auch die bisherigen Pachtverträge bei der neuen Ordnung der Dinge noch zu Kraft beständen, oder ob durch Aufhebung des »Feudalzwanges« der Pächter nunmehr auch zum Eigenthümer des Gutes geworden sey? Man könnte das einen rohen Materialismus nennen, wenn wir nicht selber zu demselben nothgedrungen zurückgekehrt wären, nur mit dem Unterschied, daß der Bauer die Revolution mit der Berechnung seines Gewinnes begann, während wir dieselbe mit der Berechnung unserer Verluste und Schulden schlossen. Der Bauer vertritt eben die derb realistische Natur im großen Volksganzen, und man muß praktisch oder meinetwegen Philister genug seyn, um zuzugeben, daß wir einer solchen Ergänzung recht sehr bedürfen, ja daß es uns zu Zeiten recht gesund ist, wenn wir uns auf eine Weile mit Leib und Seele in den groben Realismus des Bauern versenken.

Trotz dem übrigens, daß man auf den Dörfern statt des Zachariä und Dahlmann gleich in den Märztagen den Adam Riesen zur Hand nahm, ist doch der kleine Bauer mehrentheils wieder zu Gunsten des großen Gutsbesitzers um das beste Stück seiner Errungenschaften gebracht worden. Wir denken hierbei z.B. an die Zehntwühlereien, welche in mehreren Ländern eine so große Rolle gespielt, ja lange der Nerv alles politischen Lebens auf dem Lande waren. So lange man die Zehentfrage eine schwebende nannte, war dem städtischen Wühler ein Punkt gegeben, auf welchem er bei dem sonst so mißtrauischen und unzugänglichen Bauern eindringen konnte. Die Zehentmühlerei war eine kleine Revolution in der Revolution, sie stufte sich so mannichfaltig in alle Richtungen ab, daß man ein Buch schreiben müßte, um jeden ihrer Fäden zu verfolgen. Dieses Buch würde jedenfalls ein höchst anziehender Beitrag zur Culturgeschichte werden. Dem Gelüste zu »theilen« entsprach das Verlangen nach unentgeltlicher Abschaffung des Zehnten. Es beleuchtet die von uns oben gegebene Erklärung des »Theilens« bei dem gediegneren Bauern auf's klarste. Eine Einnahmequelle des Staates, der Kirche sollte als solche aufhören, dagegen zu einer gemeinsamen Nutzung des Bauernstandes gemacht werden, die sich je nach der Größe des Ackergutes auf den Einzelnen ausschlagen würde. Dies ist der einfache Sinn der unentgeltlichen Zehentabschaffung: es spukt darin nicht sowohl communistische Gleichmacherei, als im Gegentheil der engherzige Eigennutz des Bauernstandes. Daß die Zehentablösungsfrage nicht bloß eine landwirthschaftliche, sondern auch eine staatswirthschaftliche Seite hat, liegt auf der Hand. Der Bauer wollte aber das letztere durchaus nicht einsehen. Da er gewohnt ist, die Dinge nur von seinem persönlichen Standpunkte aus aufzufassen, so vergaß er, daß bei allzu niedrigem Ablösungsmaßstabe die Staatskasse einen bedeutenden Ausfall erleiden würde, für dessen Wiederersatz dann doch wieder der Einzelne, und also auch er selber als Steuerzahler herhalten müsse. Da nun zerrissene Güterstücklein, wie sie der kleine Bauer leider in der Regel besitzt, von der Zehentlast meist wenig oder gar nicht betroffen waren, während die größeren Ackergüter dieselbe vollauf zu tragen hatten, so gewann der kleine Bauer bei der allzu niedrigen Zehentablösung nicht nur nichts, sondern mußte noch obendrein als Steuerpflichtiger den zu Gunsten des größeren Gutsbesitzers in der Staatskasse entstandenen Ausfall decken helfen. In Nassau z. B. soll auf diese Weise der reichste Gutsbesitzer nicht weniger als 36,000 fl. aus Staatsmitteln geschenkt erhalten haben, während die kleinen Bauern eine Steuerhöhung gewannen! Hätte der Bauer diese Lage der Sache von vornherein durchschaut, so würden die Leute, welche von der Zehentaufregung so geschickt Nutzen zu ziehen wußten, übel bei ihm angekommen seyn. So lange aber die Zehentfrage unentschieden war, hielten die reicheren Bauern, welche ihren Vortheil wohl erkannten, klettenfest zusammen, die geringeren Leute aber sahen in diesen ihre natürlichen Anwälte, nicht ahnend, daß hier die Interessen des großen und kleinen Gutsbesitzers schnurgerade auseinander liefen. Wenn die Staatskassen ihren Verlust einmal verschmerzt haben werden, dann wird allerdings auch den kleinen Bauern ein landwirthschaftlicher Nutzen zuwachsen, denn gerade die Nichtbelastung der kleinen Ackerfetzen durch den Zehenten verführte oft zu der heillosen Parcellenwirthschaft, die mit der Gutszersplitterung und mit dem Bauernproletariat Hand in Hand geht. Aber der moralische Einfluß der Zehentwühlerei war ungeheuer, und die socialen Folgen der Zehentablösung lassen sich noch gar nicht berechnen. Die Zehentfrage verschlang jede andere politische Theilnahme bei dem Bauern, und die Wühler versäumten nicht, die Politik bei ihm in eine Sache des gemeinsten Eigennutzes zu verkehren. Die Bauern in den kleinen Ständekammern, wo die Zehentfrage eine Lebensfrage für das Land war, markteten und feilschten nicht selten mit ihren Stimmen bei den Parteien gegen Stimmen für die Zehentangelegenheit. Andererseits konnten die minder unterrichteten Bauern das finanzielle Rechenexempel nicht durchschauen, schwankten von einer Auffassung zur andern, und ließen sich heute eine Petition zu Gunsten der Abschaffung, morgen zu Gunsten der niedrigen, übermorgen zu Gunsten der normalen Zehentablösung dictiren. Wo man allzu niedrig abgelöst hatte, da bemächtigte sich des Gewerbestandes, der nun mit seinen Steuern den großen Gutsbesitzern Geschenke machen mußte, ein tiefer Haß gegen das gesammte Landvolk; der Clerus begann nun auch seinerseits zu wühlen, weil das Kirchenvermögen beeinträchtigt war, die kleinen Bauern fühlten die ganze Bitterkeit getäuschten Hoffens. Bei einer Zehentablösung im vollen Capitalwerthe des Zehentens oder einem um ein Geringes darunter gegriffenen Maßstabe würde der Landbau gewonnen und die Staatskasse nichts verloren haben. Aber wer konnte gegenüber dem Tagesschlagworte vom historischen Unrecht des Zehentens, das – auf Kosten der Gewerbtreibenden und kleinen Bauern! – gesühnt werden müsse, mit einer solchen Ansicht durchdringen! Erst als man einmal in den Verlust gerathen war, begriff man die wahre Sachlage.

Es war ungefähr eines Monats Frist, wo man im ersten Taumel und Wirrsal der Bewegung in den deutschen Weststaaten dem Bauern so ziemlich freie Hand ließ nach Belieben zu schalten. Da muß es wohl äußerst lehrreich seyn, nachzufragen, wozu er diese Flitterwochen der Freiheit benützt. Er machte sich selber kurzweg ein strenges Wildschadengesetz, wo ihm das alte zu gelind gewesen, indem er das Wild nach Kräften fing oder zusammenschoß. Er machte den Wald wieder zu dem, wofür er ihm laut seiner Geschichtssage galt, zur gemeinen Nutzung, indem er Holz fällte, wo es ihm gefiel. Den Abgabendruck minderte er, indem er vorläufig alle Abgaben für sich behielt. Die scheinbaren und wirklichen Lasten, welche ihm hier und da durch die Gerechtsame der Standesherren erwuchsen, schüttelte er ab, indem er nöthigenfalls dem Standesherrn auf's Schloß rückte und seinen »Volksforderungen« dort wohl auch in sehr greifbarer Weise Nachdruck gab. Dem Groll gegen den Polizeistaat machte er Luft, indem er die Förster und Hebammen wegjagte, um sie nach einigen Monaten wieder zu holen. In alle dem sehen wir nichts weiter als eine in der Ausführung theils naive, theils maßlose Selbsthülfe gegen drückende Uebelstände, um ein in der Luft schwebendes Bauernideal von der guten alten Zeit wiederherzustellen. In einem ganz andern Lichte dagegen erscheinen z. B. die schmachvollen Judenverfolgungen, wie sie in den Märztagen von vielen süddeutschen Landgemeinden veranstaltet wurden. Daß darin nicht der ausebnende Geist der modernen Revolution, sondern ein ganz nichtsnutziger Bauernstolz und Bauernhaß spukte, liegt auf der flachen Hand. Merkwürdig aber ist es, daß gerade solche Gemeinden, welche man mit Vorliebe »aufgeklärte« nannte, in welchen die Schulmeister und die Demagogen nach Kräften die alte Sitte vertilgt, in dieser Richtung frevelten, Gemeinden, in welchen der Religionshaß schwerlich tief wurzeln konnte, da man sich seit Jahren alle Mühe gegeben, den Bauern trockene Pfennigsmoral für gemüthvolle religiöse Volkssitte einzutauschen. Diese badischen Judenverfolgungen wurden aber auch nicht vom Religionshasse dictirt. Es war vielmehr der Haß des in Güterzersplitterung verkommenen und dadurch der Tyrannei der Schacherjuden preisgegebenen Bauern, es war die natürliche Feindschaft des ausschließenden bäuerlichen Standesgeistes gegen den fremden Eindringling, es war der Hochmuth des Grundbesitzers gegenüber dem umherschweifenden heimathlosen Stamm, der sich hier Luft machte. Diese Bauern waren so lange »aufgeklärt« worden, und dennoch brach in dem ersten Augenblicke, wo sie ihre Hände frei fühlten, der alte Adam in so erschreckender Weise wieder hervor!

So werden wir bei dem Revolutionstreiben der Bauern überall stracks einen Gegenzug wider den Revolutionsgeist der Städter gewahren; der Bauer wollte sich das aufgedrungene Neue vom Halse schaffen, um zum Alten zurückzukehren, der Städter, um es gegen ein schulgerecht ausgeklügeltes Neuestes zu vertauschen.

Die entschiedensten Angriffe der Bauern waren auf das bureaukratische Gemeinderegiment gerichtet. Allein ich wüßte nicht, daß die Bauern in den fessellosen Tagen auf ein neues Gemeinderecht gesonnen hätten! sie verfuhren ganz einfach praktisch, entsetzten die von den Behörden aufgedrungenen Bürgermeister und Schultheißen ihres Amtes und hoben den lästigen bureaukratischen Stufengang der Gemeindeangelegenheiten dadurch thatsächlich auf, daß sie keine Notiz mehr von demselben nahmen und irgend ein Herkommen, irgend eine Sitte oder Unsitte statt der Schreibstubenordnung einschoben. Der Bauer hat aber im Traume nicht daran gedacht, seine Gemeinde ganz ablösen zu wollen von der Oberaufsicht der Staatsbehörde; nur die Art und Weise, wie diese Aufsicht geführt wurde, hatte ihm mißfallen. Wo die radicale Partei eine freie Gemeindeverfassung in der Weise durchsetzte – und es ist ihr in einigen Ländern geglückt – daß das Aufsichtsrecht des Staates nur noch als ein Schein besteht, in der That aber jede einzelne Gemeinde einen für sich unabhängigen Freistaat im Staate bildet, da treten die Nachtheile schon heute höchst bedenklich zu Tage. Indem z. B. die Staatsbehörde des Rechtes sich begab, die von der Gemeinde beschlossenen Holzfällungen und Waldausstockungen zu genehmigen, hatte sie die größere Forstcultur schutzlos ihrem Ruine preisgegeben. Die Gemeinden fällten nunmehr natürlich so viel Holz, als nur immerhin anging, um ihre Schuldenlast augenblicklich zu verringern; aber an die weit größere Last, welche sie dadurch auf ihre Nachkommen häuften, dachten sie nicht. Um den alten Schlendrian möglichst großer gemeiner Nutzungen wieder herzustellen, ward wohl auch ein Stück Wald umgerodet. Vielleicht vertheilte man auch das also gewonnene Ackergut in winzigen Bruchstücken an sämmtliche Bürger. Namentlich Gemeinden, welche sich über die getäuschte Hoffnung auf das »Theilen« nicht trösten konnten, griffen zu solchen Mitteln, um doch wenigstens einen kleinen Vorschmack von dem Genuß des Theilens mitzunehmen. Allein es vergällte ihnen der rasch eintretende bittere Nachgeschmack das weitere Versuchen. Die Gemeinde soll ihre innere Verwaltung selber ordnen, sie soll ihre Vorsteher aus sich selber wählen. Diese Forderung mußte man gewähren. Aber gerade in solchen Ländern, wo vorher die Gemeinden auf's ärgste bureaukratisch bevormundet waren, sprang man jetzt mit gleichen Füßen in das entgegenstehende Extrem und baute eine freie Gemeindeverfassung im Style der modernen Demokratie, basiert auf den Grundsatz des allgemeinen Stimmrechts, der unbeschränkten Wahlfähigkeit. Damit hat man abermals dem Bauern etwas ganz Fremdartiges, Unhistorisches hingeschoben. Seine Ueberlieferung deutet auf weit aristokratischere Formen zurück, Wenn irgendeiner, so betrachtet es der Bauer als selbstverständlich, daß die Befähigung zu politischen Aemtern an ein gewisses Alter, an einen gewissen Besitz geknüpft sey. In den Augen des Bauern wird man wirklich erst mit dem vierzigsten Jahre gescheidt. Es würde in seinen Augen den Capitalwerth alles Grundvermögens in der Gemarkung herunterdrücken, wenn ein besitzloser Proletarier zum Feldgerichtsschöffen gewählt würde. Vor dem Schultheißen, der kein »ganzer Bauer« ist, der nicht wenigstens ein Gespann auf seinem Gute halten kann, wird er nie Respect haben, und wenn er ihn zehnmal nach dem allgemeinen Stimmrecht hätte mitwählen helfen. Auf diese und andere geschichtliche Charakterzüge des Bauern hätte man die freie Gemeindeordnung gründen müssen, nicht auf die Schulsätze moderner Parteien.

Der Erfolg hat denn auch schon gelehrt, daß in den Ländern, wo man die Gemeindeverfassung in abstract demokratischer Weise eingerichtet hat, die Verwirrung und der Unfrieden ärger geworden ist als vorher. Ein Parteiwesen hat sich da in jedem Dorfe entwickelt, welches die Gemeinde, die sonst in tiefster Eintracht gelebt, in todtfeindliche Gruppen zu spalten beginnt; die Achtung des Gesetzes richtet sich nach dem Parteistandpunkte und nach der Person der vollziehenden Beamten – denn vor dem todten Buchstaben hat der Bauer niemals Respect, nur vor der Sitte oder vor der Person. Der Ortsvorstand wird gegen die Parteigänger ein größerer Gewaltsherr, gegen die Parteigenossen ein größerer Sklave als er je vorher gewesen; der kraft des allgemeinen Stimmrechts, kraft der Volkssouveränetät auf den Thron gehobene Schultheiß verliert dabei in seinem Souveränetätsschwindel gemeiniglich vollends den Kopf. Dieses Bild ist nicht übertrieben. Wer sich von seiner Wahrheit überzeugen will, der durchwandere unsere mitteldeutschen Kleinstaaten. Dort war vor dem März 1848 der Zorn über die bureaukratische Bevormundung der Gemeinden eben so tief und durchgreifend als gerecht; und dennoch ward er durch die erlebten Gefahren und Nachtheile einer abstract-demokratischen Dorfgemeindeverfassung, wie sie als Frucht der Revolutionsjahre eine Weile zu Recht bestand, so ganz in Vergessenheit gehüllt, daß sich selbst Bauersleute nach dem traurigen bureaukratischen Zopf zurückzusehnen begannen. Wer gute Gesetze für den Bauern machen will, der gehe aus von der Sitte und dem Charakter des Landvolks, nicht aber von staatswissenschaftlicher Schulweisheit und ihren luftigen Lehrsätzen.

Die Art und Weise, wie bäuerliche Abgeordnete meist ihren Beruf in den Kammern auffaßten, zeigt uns, wie weit sie noch entfernt sind, das Wesen der constitutionellen Lehre zu begreifen. Sie betrachteten sich fast durchgehends als eine ständische Körperschaft, berufen, vor allen Dingen die Sache der Bauern zu vertreten, und wo sie das auch nicht klar bewußt beabsichtigten, handelten sie doch in der Regel demgemäß.

Die Bauern bildeten fast auf allen Landtagen eine fest geschlossene Parteigruppe, die ganz fremdartig in die andern Parteigebilde hineinragte. Sie ließ sich nicht nach der gangbaren Kammer-Topographie zur rechten oder linken Seite abtheilen, denn sie ging gar nicht von allgemeinen Grundsätzen aus, sondern lediglich von praktischen Rücksichten. Soll der Bauer zu einer Volksvertretung wählen, dann denkt er gewiß zuerst an die Bauernvertretung. Die Hoffnung, welche er von der Wirkung eines Landtages hegt, mißt sich bei ihm unwillkürlich nach dem Zahlenverhältniß, in welchem sich die Ziffer der bäuerlichen Abgeordneten zu jener der übrigen darstellt. Von den Volksvertretern aus dem Gewerb- und Beamtenstande fürchtet er übervortheilt zu werden, und traut überhaupt einem Manne, der nicht selber Grundbesitz hat, nicht leicht die rechte Einsicht in seine besondere Lage zu. Es gibt keinen schlagenderen Beweis für den außerordentlichen Einfluß, den der katholische Clerus in Westphalen übt, als die Thatsache, daß er dort bei den Parlamentswahlen in den bäuerlichen Wahlbezirken fast lauter Abgeordnete durchzusetzen wußte, die dem Landvolk bis dahin gewiß persönlich ganz unbekannt gewesen. In Tyrol, wo die Bauerschaft seit dem Mittelalter einen ständischen Einfluß geübt und sich ihrer corporativen Macht noch gar wohl bewußt war, und sicherlich auch ihre Vertreter in der Meinung nach Frankfurt geschickt hatte, daß dieselben dort vor allen Dingen für ihr Sonderinteresse zu wirken hätten, in Tirol kam der seltsame Fall vor, daß die meist bäuerlichen Wähler ihren Abgeordneten aus dem eigenen Säckel doppelte Taggelder zahlten, weil die aus der öffentlichen Kasse gereichten ihnen doch gar zu schmal dünkten. Anderwärts, wo der Bauer, durch allerlei fremde Wahleinflüsse verwirrt, den beruhigenden Gedanken keineswegs hegt, daß sein ständisches Interesse mit Erfolg durchgefochten werde, betrachtet er die Kammern meist mit Mißtrauen, führt Klage über die großen Taggelder, und wäre weit eher geneigt jeden Antrag auf deren Minderung zu befürworten, als selber noch etwas daraufzulegen. Der ganze Begriff des constitutionellen Staatswesens ist ihm ein verschlossenes Buch mit sieben Siegeln. Er kann in seinen eigenen Zuständen so wenig als in seinen geschichtlichen Ueberlieferungen irgend eine Analogie dafür finden, woran sein Urtheil einen Anhaltspunkt gewänne. Die ständische Gliederung dagegen stimmt vortrefflich zu seinem Sondergeiste, und liegt seinem ganzen politischen Sinnen seit alten Tagen zu Grund. Unter der Republik denkt er sich wenigstens irgend etwas, wenn auch etwas ganz verkehrtes; unter dem Constitutionalismus denkt er sich gar nichts. Es liegt übrigens ein bedeutsames Zeichen darin, daß der Bauersmann nicht aus klarer staatswissenschaftlicher Erkenntniß, sondern nur ahnend die Vertretung des Volkes nach ständischen Gruppen begreift und schätzt, während er für die gerade bei den niederen Klassen des Stadtvolkes so populäre Vertretung nach der Kopfzahl keinen Sinn hat. Das kommt daher, weil dem Bauern das Bewußtseyn seiner ständischen Körperschaft noch wie ein Naturgefühl einwohnt. Das Bauernthum ist in der modernen Welt »der Stand« als solcher, denn die Gemeinsamkeit eigener Sitte, Sprache, Tracht, eigenen Berufes fällt bei ihm noch vollkommen zusammen mit dem Begriffe der socialen Gruppe, der politischen Corporation. In ihm finden wir das einzige noch vollständige Probestück der alten Stände. Dieser Stand wohnt selbst jetzt noch am entschiedensten abgesondert, wie früher auch die anderen Stände, Adel und Bürgerthum je ihre gesonderten Sitze hatten.

Politische Gebilde, welche das Ergebnis des Gedankens, der Schulweisheit, des Systemes sind, lassen sich gar schwer bei den Bauern verwirklichen. Leider beschränkte sich aber der größte Theil der politischen Versuche von 1848 auf dergleichen der Studirstube abgesessene Dinge, daher die Theilnahmlosigkeit der Bauern für dieselben. Obgleich z. B. der Bauersmann sicherlich am schwersten durch die Wehrpflicht gedrückt wird, und am ersten Ursache hätte die stehenden Heere abgeschafft zu wünschen, so sperrte er sich doch hartnäckig gegen das Phantasiebild einer allgemeinen Volksbewaffnung. Durch den praktischen Blick, mit welchem er von vornherein die Unausführbarkeit dieses auf dem Papier so herrlichen Instituts durchschaute, beschämte er unzählige Gebildete. Er nahm die Muskete des Bürgerwehrmannes zuletzt an und legte sie zuerst wieder ab, zerstörte überhaupt durch seinen zähen passiven Widerstand gar schnell den Traum von der Ausführbarkeit einer solchen Volksbewaffnung, Für die Spielerei, wie sie dann noch eine Weile in den Städten fortgesetzt wurde, hatte er vollends gar keinen Sinn. Als Erzherzog Karl im Herbste 1799 eine allgemeine Volksbewaffnung in deutschen Landen einrichten wollte und bereits in der Gegend von Mainz den Anfang eines Landsturmes nicht ohne Erfolg zu Stande gebracht hatte, widerstrebte doch die Mehrzahl des Landvolkes, und der Plan scheiterte neben dem Widerwillen der Fürsten an der Zähigkeit der Bauern, obgleich doch damals die Noth des Vaterlandes ganz anders drängte und ein begeisternder Held an der Spitze stand. Der deutsche Bauer ist ein tüchtiger Soldat, wenn man ihn ganz zum Soldaten macht, aber die Zeit ist längst vorüber, wo er noch Bauer und Soldat in einem Stück seyn, wo (im 13. Jahrhundert) jener Landgraf von Hessen jeden Mann, der ein Schwert, oder auch nur einen Stecken zu tragen vermochte, mit glänzendem Erfolge zum Kampfe auffordern konnte.

Und dennoch bildet der Bauer den Grundstock der deutschen Heere und schlägt sich vortrefflich, wo ihn der Kriegsherr zu den Fahnen ruft. Er ist von dem Augenblick an ein guter Soldat, wo er die gebietende Notwendigkeit mit Händen greift, daß er ein Soldat seyn muß. Und was würde in den Revolutionsjahren aus uns geworden seyn, wenn der Grundstock und die überwiegende Masse der deutschen Heere aus andern Bestandtheilen als gerade aus bäuerlichen gebildet gewesen wäre?

Als man im Jahre 1848 die politischen Neubildungen in Gesetzesformen goß und dabei überall auf das Wahlsystem zurückgriff, erschrak man zuletzt über die Unmasse der Wahlacte, an welchen sich in Parlamentswahlen, Landtagswahlen, Geschwornenwahlen, Bürgermeister-, Gemeinderaths-, Bürgerausschuß-, Kreisbezirksraths- etc. Wahlen der einzelne Bürger zu betheiligen hatte. Es schien fast, als ob auf jeden Tag im Kalender ein Wahltag herauskäme. Die Männer des Fortschrittes aber behaupteten, das sey gerade gut, namentlich um des Bauern willen; durch das immerwährende Wählen werde derselbe »munter erhalten.« Sie kannten den Bauer schlecht. Er wurde vielmehr zuallererst des vielen Wählens überdrüssig, und seine ganze politische Theilnahme erschlaffte aus Aerger über die unaufhörliche Wahlquälerei. Die Sache war seinem praktischen Geiste viel zu weitschweifig und langweilig. Wenn dann mehrere Odenwälder Dorfgemeinden erklärten, daß sie überhaupt nicht mehr wählen wollten, vielmehr die Sache dem Großherzog von Hessen ganz anheimgeben, der ja vor der Wahlmode viel besser zurechtgekommen sey als jetzt, so lag in diesem offenherzigen Geständnis der beste Beweis, wie weit man mit dem Bauern kommt, wenn man ihn durch unablässiges Antreiben in eine Sache eingewöhnen will, deren inneren Zusammenhang er nicht begreift. Nirgends wurde zuletzt leichtsinniger gewählt, als bei den Bauern, die doch von Natur gar nicht leichtsinnig sind; nirgends war es leichter Wahlumtriebe zu machen, da doch sonst der Bauer so mißtrauisch ist. Aber gerade aus Mißtrauen wurde er schlaff und gleichgültig, denn wo man ihn so gewaltig drängte, schöpfte er Verdacht, daß man ihn gewiß ins Bockshorn jagen wolle. Der Bauer läßt sich eine Neuerung durchaus nicht jählings aufladen, er will sich bedächtig in dieselbe einleben, und wenn man ihn für das constitutionelle Staatswesen reif machen will, dann muß man Sorge tragen, daß dessen Formen nach und nach in seine Sitte übergehen und so ihm schließlich selber zur Sitte werden.

Als die Zehnten und andere Lasten beseitigt, die Forst- und Jagdverhältnisse geregelt, das Gemeindewesen neu geordnet war, kurzum, nachdem der Bauer Abrechnung gehalten über den materiellen Gewinn, hörte für ihn die Zeit der Bewegung auf. Dadurch stellte er freilich seiner politischen Reife im höheren Sinn kein glänzendes Zeugniß aus. Die Ruhe, die gänzliche Abspannung und Erschlaffung kehrte auf dem Lande viel früher ein als in den Städten. Es ist sogar vorgekommen, daß Bauern den Städtern drohten, wenn sie nicht bald selber bei sich Ruhe schafften, dann würde die ganze Bauerschaft hineinkommen, ihnen das Geschäft abzunehmen. Es war ein sinniges Wahrzeichen des Zufalls, daß gerade Erzherzog Johann, der Erzherzogliche Bauersmann aus Steyermark es seyn mußte, der den ersten wildesten Act der Revolution abschloß. An den Bauern scheiterten seit der zweiten Hälfte des Jahres 1848 fast alle größer angelegten Aufruhrpläne. Immer blieb, um einen Kunstausdruck jener Tage zu gebrauchen, der »entferntere Zuzug« aus, d. h. die Bauern.

Die Demokratie verfuhr ganz wie der Polizeistaat, sie berechnete die Bauern und deren eigenthümliches Wesen nicht, sie sprach so viel vom Volk und vergaß, daß darunter die Bauern doch beiläufig auch mit einbegriffen sind. Ueber dem Rückschlag in den Palästen übersah sie den viel gefährlicheren Rückschlag in den Hütten. Die Bauern, namentlich des deutschen Nordens und Südostens, blickten zuerst gleichgültig, ja mißtrauisch auf den deutschen Reichstag. Je mehr sich derselbe in die Verfassungsfrage vertiefte, um so weniger vermochte der Bauer zu folgen; so mußte die Theilnahme für jene ganze Körperschaft bei ihm einschlummern. Den deutschen Bauern aber verkannte man von Grund, indem man glaubte, derselbe werde sich für die Principienfragen der Reichsverfassung oder auch nur für diese Verfassung als solche begeistern. Für ein geschriebenes Gesetz hat sich der Bauer noch nie begeistert, oft genug aber ein geheimes Grauen vor all dergleichen empfunden; er begeistert sich nur für das lebendige Gesetz, für sein Herkommen, seine Sitte und seinen Glauben. Wäre die »Erhebung zur Durchführung der Reichsverfassung« auch auf gar kein anderes Hinderniß gestoßen, so würde sie doch an den gleichgültigen Bauern gescheitert seyn. Die äußere Autorität, welche sich die Revolutionspartei in Baden und der Pfalz allmählich erworben, war es, was dort die Bauern fortriß in den unglückseligen Kampf – und doch verhältnißmäßig nur einen sehr kleinen Theil des Bauernvolkes. Als Hecker den ersten Putsch vollführte, gaben ihm bekanntlich die oberländischen Bauern, zum Miethziehen aufgefordert, die classische Antwort, sie hätten jetzt keine Zeit, sie müßten ihre Felder bestellen. Hecker hatte noch keine Autorität bei den Bauern, der Bauer aber ist Autoritätsmensch. Zur Zeit des sogenannten Kampfes für die Reichsverfassung stand es gar eigen in Baden. Jetzt hatten die alten Gewalthaber keine Autorität mehr. Nicht um der Reichsverfassung, auch nicht um der Republik willen nahm der Bauer an dem Kampfe theil, sondern weil sich die Revolutionsmänner binnen Jahresfrist so tief bei ihm eingenistet hatten, daß sie angesichts der gänzlich verschollenen Regierung ihm nun wieder als die einzige Autorität im Lande erschienen. Daß die Pfälzer Bauern im Durchschnitt nicht allzuheftig sich zum Gefechte drängten, ist bekannt. Durch ihr träges Zusehen hatten sie den Ausbruch des Aufruhrs befördert, durch ihr träges Zusehen beförderten sie wieder ebensosehr das Niederschlagen desselben.

Suchen wir, gleichsam in runder Summe, einen Ausdruck für die Wirkungen, welche die jüngste politische Krisis auf den Bauer geübt, dann begegnen uns zwei ganz entgegengesetzte Thatsachen. Das gesunde, naturwüchsige Bauernthum vom alten Schrot und Korn hat sich unverkennbar wieder gekräftigt, der verdorbene, verstädtelte und proletarische Bauer ist nur um so tiefer gesunken. Die Bauern berührten sich nun einmal auf gleichem Boden und in gleicher Sache mit den »Herren.« Wo sie noch den ächten Standesgeist hatten, wo ihnen noch die ureigene politische Bedeutung einwohnte, da ist dieser Geist erstarkt, da haben sie diese Bedeutung besser als zuvor begriffen, während der verdorbene Bauer weit mehr das Gemeinsame herauskehren lernte, welches ihn mit der großen Heerschaar der verdorbenen Leute aus allen Gesellschaftsschichten verbindet. Das sonst so originelle Bauernproletariat beginnt mehr und mehr in den allgemeinen Begriff des Proletariers aufzugehen, d. h. zu dem Charakter des wirthschaftlichen Verfalls auch noch die sociale Verneinung zu fügen. So drängte die Revolution das Bauerthum auf der einen Seite in seine Schranke zurück und verschmolz es andererseits verwandten Gesellschaftskreisen. In demselben Maße, als die freie Gemeindeverfassung den soliden Bauersmann mehr zu sich selber bringt und ihn in seiner eckigen Eigenart trägt und fördert, führt sie die verderbten Gemeinden ihrer vollständigen Auflösung entgegen. Das ist kein Unglück, denn die Zukunft unseres Bauernproletariats liegt doch nur in Amerika. Es hat sich jetzt wieder einmal erprobt, welch ein ungeheurer Widerhalt in der Sitte des Bauern liegt, aber wo diese bereits zur Unsitte entartet war, da kehrte sie auch ihre schroffe Seite heraus. Der entsittete Bauernschlag zeigte sich jetzt auch erst recht als der entsittlichte; bei ihm mehrte sich in den letzten Jahren (um 1850) die Zahl der Morde und solcher Verbrechen, die eine völlige sittliche Fäulniß voraussetzen, in schreckenerregender Weise. Nie ist wohl Kirchenraub, Leichenraub, Brandstiftung auf dem Lande so gemein gewesen. In den Gegenden, wo ein entarteter, verstädtelter Bauernstand seine Sitze hat, wurden meist die Kirchen leer, dagegen ist das Saufen und Lärmen am Sonntage während des Gottesdienstes zur Sitte geworden. Mißhandlung der obrigkeitlichen Personen, namentlich der Vollziehungsbeamten, heimtückische Verwüstung fremden Eigenthums aus Neid, aus Rachsucht oder Raubsucht waren in den Tagen der Anarchie an der Tagesordnung. Und neben die Criminalstatistik der entarteten Bauern reiht sich meist – im Verhältnisse wie Ursache und Wirkung – die Criminalstatistik der Dorfschullehrer. Der proletarische, verschrobene Schulmeister ist gar oft der böse Dämon, der Mephisto des heruntergekommenen Bauern gewesen. Er hat seiner Bestialität Ziel und Bahnen gewiesen, er hat zumeist die Rolle übernommen, welche der aufhetzende verkommene Literat in den Städten gespielt. Die Wirksamkeit einer großen Zahl badischer Dorfschullehrer beim Einfädeln und Durchführen des badischen Aufruhrs ist bekannt.

Lehrreich dürfte es seyn, ein Fragment aus der Criminalstatistik des Herzogthums Nassau daneben zu stellen. In diesem Ländchen saßen im Sommer 1850 acht Schullehrer – d. h. beinahe ein Procent der gesammten Lehrerschaft – gemeiner Verbrechen angeklagt, in den Criminalgefängnissen. Auf fünf derselben lastete die Anklage des Meineids und Betruges, darunter der unerhörte Fall, daß Einer ein förmliches Institut zum Ausschwören falscher Eide errichtet hatte und arme verführte Landleute für diesen Zweck gegen ein Billiges vermiethete; der sechste war des Versuches der Unzucht gegen seine eigenen Schulkinder angeklagt, der siebente des Mordes eines von ihm geschwängerten Bauernmädchens, der achte der Urkundenfälschung. Würde die gesammte erwachsene Bevölkerung Nassau's ein gleiches Procent wie damals der Lehrerstand in die Criminalgefängnisse geliefert haben, so hätten dieselben beiläufig zweitausend Insassen beherbergen müssen; die Zahl der Criminalgefangenen soll aber nie über hundert gestiegen seyn; von sämmtlichen Criminalgefangenen des Landes fielen also acht Procent auf den Lehrerstand. Von der großen Zahl politischer und religiöser Wühler unter den Schulmeistern, die theilweise durch Dienstentsetzung bestraft wurden, will ich hier nicht reden, da mir keine Zahlenangaben zu Gebote stehen. Jedenfalls würde sich hier das Verhältniß noch auffallender herausstellen. Aber nicht der an sich so ehrenwerthe und schlecht gelohnte Lehrerstand als solcher trägt die Schuld an alle dem, sondern fast lediglich die verkehrte Politik, welche den Lehrer, der unter Bauern wirken soll, zu einem in Halbbildung überbildeten Proletarier der Geistesarbeit erzieht und dadurch mit dem Volkslehrer zugleich den jungen Nachwuchs der Bauernschaft aus allen natürlichen Bahnen reißt. Ich glaube aber nicht zu weit zu gehen, wenn ich behaupte, daß die sittlichen Zustände des Lehrerproletariats so ziemlich Hand in Hand gehen mit den Zuständen des modernisirten, verstädtelten, proletarischen Bauern überhaupt. Hierin liegt ein beherzigenswerther Fingerzeig!

Nicht durch eine positive That, sondern lediglich durch sein zähes Beharren, durch seinen passiven Widerstand hat der deutsche Bauer den vollständigen Sieg einer an der Theorie entzündeten und genährten Revolutionsbegeisterung verhindert. Die moderne Demokratie geht nicht sowohl von gegebenen Thatsachen, als von gegebenen Lehrsätzen aus, und eben darum ist der Bauer in seinem derben Realismus, in seinem historischen Eigensinn ihr gefährlichster Gegner gewesen, ohne daß sie es selber recht merkte. Das städtische Proletariat vertritt bei uns nicht, wie in Frankreich, die Masse; die Masse in diesem Sinne ist bei uns der Bauer. Dieser einzige Umstand verbürgt die Zukunft des deutschen Volkes. Aber wehe uns, wenn die Entartung, welche die Masse bereits von außen angefressen, auch den guten inneren Kern derselben erreichte!


 << zurück weiter >>