Joseph Richter
Bildergalerie weltlicher Misbräuche
Joseph Richter

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Neunzehntes Kapitel.

Uiber öffentliche Schauspiele.

Wenn wir gleich beym Eintritt in das Kloster der Welt und ihrem Anhang entsagt haben, so wollen wir doch wissen, wie es in der Welt zugeht. Daher giebt es nicht leicht ein Kloster, das sich nebst dem unentbehrlichen ErlangerIch kann nicht begreiffen, wie die Klostervorsteher und selbst die hochwürdigen Herren Prälaten dieses gottlose Blatt noch ferners forthalten, oder wohl öfters gar statt des Breviers lesen mögen, da uns doch der Verfasser, sobald er nur das geringste schwarze Fleckchen von Intoleranz oder Ungehorsam gegen den Landesfürsten entdeckt, den Spiegel vorhält, und weder gegen Kapuze noch gegen Pektorale und rothe Hüthe Respeckt hat. Freylich wird bey jedermaligen Lekture das wohlverdiente Anathema über ihn gesprochen; allein wer wird glauben daß es Ernst sey, wenn man ihn immer wieder liest, und den Tag kaum erwarten kann, wo der Erlanger kömmt. nicht noch andere zwey oder 249 drey politische Zeitungen hielt: ein unumstößlicher Beweis, daß in Klöstern mehr gelesen wird, als Herr Obermayer glaubt.

In so einem politischen Blatt las ich nun vor einiger Zeit, daß die Einwohner von Philadelphia nach geschloßenem Frieden in ihrer Stadt ein öffentliches Theater errichten wollten; der Magistrat (oder vielmehr der Kongreß) habe sich aber dawider gesetzt, weil dergleichen öffentliche Schauspiele den Sitten verderblich wären, und nebenbey dem Reiz des gesellschaftlichen Lebens im Wege stünden; denn nach den Begriffen dieses amerikanischen Magistrats würde Niemand im Schoos seiner Familie, oder in Gesellschaft seiner Freunde Vergnügen und Zeitvertreib suchen, wenn er 250 eine zwanglosere Unterhaltung für wenig Geld im Schauspielhaus zu finden weiß.

So sonderbar nun diese Beweggründe auch klingen, so will ich doch zugeben, daß bey einer erst zusammengekütteten Republick die zu frühe Einführung öffentlicher Specktackel den Sitten gefährlich seyn könne, so wie ich glaube, daß Philadelphia der Ort seyn mag, wo man noch Vergnügen und Zeitvertreib im Schoos seiner Familie oder gewählter Freunde findet, und über den Reiz des gesellschaftlichen Lebens gern die Welt mit ihren Pantomimen, Gaucklern, Schauspielern, Tänzern und Sängerinnen vergißt: allein dann muß mir der löbliche Magistrat auch zugestehen, daß es mehr als einen Staat geben könne, wo diese öffentlichen Specktackel an den Sitten nicht viel zu verderben finden, und wohl oft ein Hauptrad in der großen Maschine seiner Erhaltung ausmachen. 251

So soll es zum Beyspiel mancher Staat seinem Harlekin, oder seiner berühmten Solotänzerin, oder seiner unvergleichlichen prima Donna zu verdanken gehabt haben, wenn das Volk den Fuß nicht fühlte, den man ihm in den Nacken setzte, und die Hockos-pockos-Streiche nicht sah, die zum allgemeinen Besten gespielt worden. Außer diesem Vortheil wollen einige Staatskündige ferners bemerkt haben, daß die öffentliche Schauspiele auch zum Bevölkerungssisteme beytragen, und daß viele Damen blos dem Anblick der schönen Theaterfiguren den Dank schuldig wären, wenn sie bey ihrem sonst schwächlichen Bau zu Zeiten so schöne, und wohlgestalte Knaben zur Welt bringen, die durch das wunderbare Spiel der Einbildungskraft öfters so gar den schönen Theaterfiguren ähnlich sehen. Nebenbey soll auch die Ausbildung des Geschmacks ein Werk der Schaubühne und die Hauptursache seyn, daß sich 252 Hausknechte und Köchinnen, die sich vorher in der Pöbelsprache er und sie hiessen, nun auf hochdeutsch Musie und Mamsell nennen. Ihre eifrigsten Verehrer stellen endlich das Theater neben dem Predigerstuhl hin, und beweisen, daß hier oft eben so reine Moral geprediget werdeMan könnte hier freylich die Frage thun, wo dann die Sünder wären, die durch die Theaterprediger und Predigerinnen bekehrt worden, und ob der Geizhals, der das Theater besucht, weniger ein Geizhals, und der Spieler weniger ein Spieler sey? allein man könnte mich im Gegentheil fragen, ob die galante Dame durch unsre Kanzelpredigten ihre Galanterie abgelegt, und der Trinker den Trunk meide? und diese Frage gäbe dann nur zu Weitläufigkeiten Anlaß, denen ich feind bin. als auf mancher Kirchenkanzel; wobey sie aber doch so vorsichtig sind, unter die Schulen der Sitten nur diejenigen Schaubühnen zu zählen, die vom Unsinn, von schmuzigen Possen (und also wohl auch von Zweydeutigkeiten?) gereiniget sind.

Nach so vielen offenbaren Vortheilen könnte ich unmöglich so nachtheilig 253 von den öffentlichen Specktackeln denken, als der Magistrat in Philadelphia, und verzeih es den europäischen Staaten also von Herzen gern, wenn sie das Volk durch dergleichen Sittenschulen auszubilden und zu unterrichten suchen.

Aber, wenn auch dies, wie es scheint, ihre Absicht nicht wäre, so würde ich den öffentlichen Schauspielen schon blos deswegen gut seyn, weil sie zerstreuen, und das Gemüth erheitern; unsre Vorfahren giengen wenigstens blos des Lachens wegen ins Theater, und würden wohl auch vielleicht lachen, wenn sie sehen sollten, daß ihre Nachkömmlinge im Theater weinen.

Meine Toleranz in Ansehung der öffentlichen Specktackel erstreckt sich also nicht blos auf die HoftheateterpredigerDa es in vielen Ländern Hoftheater giebt, so kann ich die Mitglieder, da sie Moral predigen, wohl auch ohne Beleidigung Hoftheaterprediger nennen. sondern auch auf die von Dorf 254 zu Dorf ziehende Theatermissionarien, die ihre Kanzel in Gaststuben, in Scheunen, und auch unter freyem Himmel aufschlagen; ferner auf die männlich- und weiblichen Prediger, die wechselweis Moral und Zotten, bald solo, bald in Duetten und Terzeten den Zuhörern vorsingen; dann auch auf das ganze Korps von Tänzern und Tänzerinnen, die, so viel ich mich seit meinen KandidatenjahrenIch ertappe Herrn Obermayer abermal auf einem ungegründten Vorwurf. Er sagt nämlich, daß die Kandidaten oder (wie er sie boshafter Weise nennt) die Klosterrekruten ohne die Welt zu kennen, ins Noviziat treten. Allein hier zeigt er wohl offenbar daß er nie ein Kandidat gewesen, sonst müßte er ja wissen, daß die meisten Kandidaten, bevor sie die schnöde Welt verlassen, von allen ihren Freuden ein paar Löfel voll versuchen. Es ist auch nicht der Hang nach unbekannten Dingen, mit denen sie in der Folge der leidige Satan versucht, sondern gemeiniglich eine durch die Erinnerung an das Genoßene entstehende Begierde, wieder einmal von den im Grund giftigen, aber zugleich äusserst anreizenden Bonbons der weltlichen Tafel ein wenig zu naschen. noch zu erinnern weiß, 255 manchen sehr unmoralischen Sprung machen; und endlich sogar, auf die lebendige und todte Marionetten.

So ist es mir auch gleichgiltig, ob der Spaßmacher, Harlekin, Skapin, Pagliazzo, Bernardon, Hanswurst oder Kasperl heisse, wenn er nur gute Spasse macht, und das Gemüth erheitert, und so freuet es mich endlich auch, wenn ich oft an einem Tag bald Schwarz auf Weiß, bald Roth auf Weiß – bald auch Schwarz auf SchwarzAuch die Vorstadtkomödianten lassen zu ihren Vorstellungen Einladungszettel drucken. Weil es sich nun ein paar mal ereignet hat, daß einige Herrn Buchdrucker bey der Auszahlung zu kurz kamen, so lassen sie aus Wiederbesorgniß eines ähnlichen Schicksals die Anschlagzettel gemeiniglich schon voraus in der Trauer gehen. an Stadtthören, an Ecken von Gässen, und sogar öfters aus Versehn an Kirchenwänden, Einladungen zu Komödien, Trauerspielen, Melodramen und Duodramen, Opern, Sailtänzern, 256 Taschenspielern, musikalischen Akademien, und Hezen angeschlagen finde.

Wenn ich doch gegen eines dieser Specktackel etwas zu erinnern fände, so wär' es wider die Heze; denn der Anblick von leidenden Thieren kann doch unmöglich das Gemüth erheitern, oder das Herz bessern; allein ich müßte dann auch das Trauerspiel aus dem Verzeichnisse öffentlicher Specktackel wegstreichen, wo das Laster gemeiniglich als Raubbär auftritt, und die Tugend fast immer zu Tode gehetzt wird. 257

 


 

Erklärung des allegorischen Kupfers.

  1. Ein grosses Schauspielhaus ganz mit Menschen angefüllt.
  2. Eine Predigerinn der reinen Moral, in hohen Federn aufgesetzt, und prächtigen Atlas gekleidet, sagt eine kleine ZweydeutigkeitIch weiß wohl, daß eine weise Theatercensur über alles, was anstössig seyn könnte, sorgfältig wacht; allein oft wird etwas für eine Zweydeutigkeit aufgenommen, das gar nicht zweydeutig ist – und das oft blos einer Pause wegen. Die Pausen verführen also auf der Schaubühne, wie in Büchern. Dort sucht man eine Zweydeutigkeit nach ihnen, und hier – – einen Gedanken. die von den aufmerksamen Zuhörern aufgefangen, und zum Zeichen, daß sie solche verstanden haben, allgemein beklascht wird.
  3. Ihr Herr Gemahl, der sich eben über ihre Verschwendung und galante Lebensart mit ihr gezankt hat, bereitet sich, (um dem Bevölkerungssisteme beförderlich zu seyn) 258 zu einem Monolog vor, in welchem er die Uebel des heiligen Ehstandes an den Fingern herrechnen, und den versammelten Ehmännern das Kompliment machen wird, daß man ein grosser Narr seyn müsse, um ein Weib zu nehmen.
  4. Eine sehr verschwenderische Dame, auf die eigentlich das Stück gemacht scheint, sagt ihrer Freundinn ins Ohr, daß der Autor Niemand andern, als ihre gute Freundinn, die Frau von – könne gemeint haben.
  5. Ein Kavalier sieht mit unverwandten Perspecktiv nach der schönen Predigerinn, um ja kein Wort von ihrer Moral zu verlieren.
  6. Einige junge Damen, die selbst Moral genug haben, schäckern in ihrer Loge mit einander. Das Parterre äussert seinen Unwillen, worauf sie es noch einmal so arg machen.
  7. Ein Bauer, der die kleine Zweydeutigkeit nicht verstand, fragt seine Nachbarinn, warum dann die Leute so lachen. 259

 


 


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