Joseph Richter
Bildergalerie weltlicher Misbräuche
Joseph Richter

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Fünfzehntes Kapitel.

Ueber Gefängnisse.

Obschon sich ein grosser Theil meine Mitbrüder, vermög ihrem dem Ordensgenerale geleisteten Eide blos für Ausländer ansieht und nach Art dieser Herren gemeiniglich auf das Land schimpft, das ihnen zu essen giebt, so stimme doch ich in ihr Klaglied nicht; denn ich fühle es zu gut, daß ich meine Subsistenz dem Staat zu danken habe, und daß man zwar durch die Kraft des päbstlichen Segens manchen Vortheil erlangen, aber unmöglich auf dieser weltlichen Welt auch nur um einen Kreuzer Brod dafür anschaffen könne.

Ich schäme mich daher gar nicht ein treuer Unterthan , und (was mir 203 freylich von manchem hochwürdigen und unhochwürdigen Herrn kaum wird verziehen werden) ein Freund des Landesfürsten zu seyn; noch weniger werde ich es wagen, über die weisen Einrichtungen des Regenten (wie es itzt Mode seyn sollIch führe, seitdem ich Exkapuziner bin, ein sehr einsames Leben; indessen erfahre ich doch zu Zeiten, wie es in der großen Welt zugeht – und so hörte ich zu meinem Erstaunen, daß die Mitglieder eines gewissen kassirten Ordens mehr als jemals beschäftiget seyn sollen, alle Einrichtungen ihrer katholischen Landesfürsten dem Volk in einem verkehrten Licht zu zeigen. Zu diesem Ende sollen sie verschiedene Schriften voll aufrührerischer Säze an denen sie in Societät arbeiten, im Lande ausstreuen. Obschon ich nun bey mir überzeugt bin, daß man diesen braven Männern mehr auf ihre Rechnung schreibt, als ihnen gebühre, und daß die im Volk herumfliegende Blätter, blos die Geburt eines lustigen Kopfs seyen, der ihre Tischreden drucken ließ, so wünsche ich doch herzlich, daß sie ihren Eifer für das Privatinterresse Sr. päbstlichen Heiligkeit etwas mässigten, und die Blendlanternen ablegten, die (sie dürfen es uns Kapuzinern glauben) keine Wirkung mehr machen. Sie sollen es ja selbst fühlen, daß die Zeiten, wo dergleichen Ministerstreiche glückten, vorüber sind; und dann möcht' ich mich an ihrer Stelle nicht gern dem Gespötte loser Wizlinge aussetzen, die die Rudera dieses Ordens einem sterbenden Körper vergleichen, der um sich noch einmal empor zu heben, seine lezten Kräfte sammelt, und dann auf immer todt dahin stürzt. Einen eben so brüderlichen Rath möchte ich wohl auch gewissen weltlichen Unterthanen, und besonders manchem Kanzleyherrn geben, die die Grundsätze besagter Gesellschaft verbreiten helfen. Sie machen sich nur schlechtes Blut; denn sie sehen doch, daß die Monarchen auf ihre Bemänglungen keine Rücksicht nehmen, und daß alle Veränderungen geschehen, die nach dem natürlichen Lauf der Dinge endlich geschehen mußten. Ich sehe auch gar nicht ein, was diese Herren zu ihrer beständigen Tadelsucht bewegen sollte, es müßte nur der Umstand seyn, daß viele von ihnen zu gut bezahlt sind. – – –) ein gehäßiges Licht zu 204 verbreiten; denn ich denke immer, daß es lächerlich läßt, wenn wir arme Schlucker, denen ihr Plaz im untersten Theil des Schiffes angewiesen ist, wo wir nicht wissen können, woher der Wind kömmt, diejenigen tadeln wollen, die am Steuerruder sitzen. Wenn ich also ein Kapitel über Gefängnisse schreibe, so habe ich blos gewisse Misbräuche zum Gegenstand, die sich gemeiniglich wider Wissen und 205 Willen der Regenten dabey eingeschlichen haben, und die, um recht aufrichtig zu seyn, mehr in den benachbarten Gegenden, als im Lande zu Hause sind, wo ich lebe.

Die Freyheit ist nach dem Leben das kostbarste Geschenk der Natur, und doch sieht sich der Staat öfters in die traurige Nothwendigkeit versetzt, die Uibertreter seiner Geseze dieses Kleinodes zu berauben. Aber eben, weil er den Werth dieses Gutes kennt, wird er bey einer weisen Gesezgebung nur in den dringensten Fällen der Menschheit in ihre Rechte greifen, und auch dann aus dem Ort der Verwahrung, nie einen Ort der Strafe machen.

Allein nicht überall ist die Gesezgebung weise; nicht überall weiß man die Rechte der Menschheit zu schäzen, und so geht es dann der guten Gerechtigkeit, wie der Religion. Ihre Priester haben in gewissen Ländern aus der 206 Menschenfreundinn eine Furie gemachtDieses Geständniß dürfte aus dem Mund eines Exkapuziners vielleicht manchen befremdend vorkommen, wenn ich nicht schon in einem der vorhergehenden Kapitel erkläret hätte, daß mir die Liebe zur Wahrheit über alles heilig sey., und so werden in manchem Land durch die sogenannte Gerechtigkeit die abscheulichsten Ungerechtigkeiten ausgeübt.

Ich bin, so wie Herr Obermayer, kein Freund von Deklamationen, obschon der blosse Zustand der meisten Gefängnisse Stofes genug zum Deklamiren gäbe.

Es ist eine bekannte Sache, daß die vormaligen Jesuiten, wenn sie gleich die gewöhnlichen Galgenpatres waren, bey all ihrer einnehmenden Beredsamkeit doch manchen verstockten Deliquenten nicht zum Tod bereden konnten, und daß sie unserm Orden, wenn sie uns gleich sonst überall hinab tauchten, sehr oft auf der Gerichtsstätte den Plaz räumen mußten. Es gab wohl auch Delinquenten, die, ohne eben verstockt zu seyn, (ich weiß 207 nicht, ob aus Neigung zu unserm Ordenshabit, oder weil wir gleich ihnen Bärte trugen) zu den Jesuiten kein Zutrauen hatten, und wenigstens beym Sterben unsre Gesellschaft der Gesellschaft Jesu vorzogen. Auf diese Art aber hatten wir vielfältige Gelegenheit mit der innern Verfassung der Gefängnisse bekannt zu werden. Wenn ich dann von meinen Mitbrüdern, die die Ehre der Begleitung traf, das Elend dieser Unglücklichen erzählen hörte, oder bey Austheilung des Allmosens mit unseren geistlichen Vätern selbst durch diese Behältnisse des Schröckens wandelte, und überall Spuren der gekränkten, herabgewürdigten Menschheit antraf, so konnte ich nie den Wunsch unterdrücken, daß doch gewisse Fürsten des H. R. Reiches, wenn gerade das Wetter zur Jagd nicht günstig, oder sie sonst vor Langweile nichts anzufangen wissen, diese Apartements der Gerechtigkeit mit einem Besuch 208 beehrtenDiese Besuche würden sie nicht entehren, da Oesterreichs und Frankreichs Beherrscher ihnen mit so gutem Beyspiel vorgiengen. Dafür aber ist nun auch wieder die Freyheit des Bürgers dem Staat ein heiliges Gut; der Kleine wird, besonders in den erstern Staaten, nicht mehr der Privatrache des Grossen aufgeopfert, und auch im Letztern sind die so genannten lettres de cachet, deren sich vorzüglich gewisse Eminenzen bedienet haben sollen, eine ungleich seltnere Erscheinung.; denn sie möchten es nicht glauben, wenn ihnen Jemand sagte, daß ihre Priester aus Hang zur Bequemlichkeit, ihre Opfer oft zu Monaten, und wohl auch durch Jahre unverhört in den schröckenvollsten Behältnissen schmachten lassen; daß sie die Uibertreter der Geseze ohne Unterschied in diese ungesunde, unflätige Löcher zusammen stecken; daß das verführte Mädchen mit ihrer Verführerinn, der brodlose, durch das Geschrey seiner hungernden Kinder zu einem Nothangrif verleitete Vater neben dem abgehärteten Strassenräuber an einer Kette liege, und daß endlich ihre Gefängnisse eben so viel hohe Schulen wären, auf 209 denen die kleinen Schelmen ihren theoretischen Kours vollenden.

Haben sie dann mit ihren eignen Augen sich überzeugt, daß diese Gemälde noch mit zu sanften Farben entworfen, und mit eignen Augen allen Greul der Ungerechtigkeit gesehen, so wünschte ich dann im Namen der unterdrückten Menschheit, daß sie der himmlischenNicht alle Damen haben Gelegenheit sich die fremden Ausdrücke durch ihre geistliche Hausfreunde erklären zu lassen; diesen muß man es also sagen, daß diese himmlische Themis die Göttin der Gerechtigkeit ist. Themis (so wie es nach Herrn Obermayers Meinung einige Fürsten mit der Religion machen) die Lappen vom Leibe rissen, die ihr juridischer Aberglaube und juridische Unwissenheit umgehangen haben; und die Gefängnisse, deren schlechter Zustand das zubessernde Mitglied des Staats nebst der 210 kostbaren Freyheit auch der Gesundheit beraubt, wieder in das umstalteten, was sie seyn sollen – in einen Ort der Verwahrung.

Sie dürften sich deswegen weder in ihrer Tafel noch in andern Lustbarkeiten einschränken; sie dürften der Gefangenen wegen den Staat in keine neue Schulden stürzen; genug, wenn sie von den Gebäuden, deren sie öfters einige an ihre Günstlinge und Mätressen verschenken, nur eines zu reinlichen Behältnissen für diese unglücklichen Mitmenschen bestimmten, und, wie es ihre Würde mit sich bringt, Sorge trügen, daß die Diener der Gerechtigkeit, die jtzt den Herrn über sie spielen, wieder ihre Diener würden.

In manchem Land dürften wohl auch die Civilarreste so eines fürstlichen Besuches benöthiget seyn.

Ich verstehe zwar zu wenig von der unerschöpflichen Jurisprudenz, um 211 entscheiden zu können, ob Geld je ein Equivalent für Freyheit seyn könne, und ob es nach billigen Gesetzen erlaubt sey, ein Mitglied des Staats, weil es seine Freyheit verschrieb, deswegen auch seiner Freyheit zu berauben; aber wenn sich diese Erlaubniß auch auf der juridischen Drehbank herausschnitzen läßt, so ist doch die zweyte Erlaubniß, sie deswegen gleich den Kriminalverbrechern mit Eisen zu belegen, und Christen, Juden und Türken in ein stinkendes Gemach zusammen zustecken, noch nicht bewiesen.

Man fängt an die Tortur nach und nach aufzuheben, und scheint vergessen zu haben, daß verschärfter Arrest ebenfalls eine Tortur sey; und zum Nachtheil für den Staat wird nicht nur der im Verhaft liegende Schuldner, sondern mit ihm seine unschuldigen Verwandten torquirt, die oft von seinem Zustand durchdrungen, sich in Schulden stürzen, und, um ihren Bruder, Vetter oder Freund aus dem 212 Gefängnis zu retten, und die Forderung einiger Wucherer und Geldjuden zu befriedigen, endlich selbst dahin kommen.

Ueber die öffentlichen Strafen habe ich eine einzige Bemerkung anzubringen. Wenn es wahr ist, daß sich die Einbildung alle Uebel grösser vorstellt, als sie sind, so sollten auch Strafen, die nur erzählt, und nicht gesehen werden, einen ungleich grössern Eindruck auf die übrigen Menschen machen.

So viel bleibt indessen unläugbar, daß öffentliche Strafen, da sie dem Verbrecher den letzten Rest von Schamgefühle nehmen, weder zu seiner Besserung abzielen, noch für die übrigen, wenigstens bis itzt, ein erspiegelndes Beyspiel waren.

Es giebt vielmehr Menschen, die diese öffentliche Züchtlinge um ihr sorgenloses Leben und ihre muntern Gesichter beneiden, wie dann wirklich ein seyn sollender Berlinerautor, der über die 213 Galantrien einer andern deutschen Hauptstadt so schöne Briefe geschrieben, bey dem Anblick dieser erspiegelnden Beyspiele im Enthusiasmus ausrief: hätte ich doch auch das Glück, so ein Spizbube zu seyn.

 


 

Erklärung des allegorischen Kupfers.

  1. Ein finstrer Kerker, mit vielen Menschen angefüllt. Einige sind ganz zerlumpt, andere besser, und einige wohl auch sauber gekleidet.
  2. Einige Betteljungen hangen, wie Kazen, an den Gittern, und bethen um die Vorbeygehenden zum Mitleid, und Allmosen zu bewegen, den Rosenkranz, indessen die ander Gott lästern, und fluchen.
  3. Ein Erzdieb, der eben eingebracht worden, erzählt den um ihn auf der blossen Erde herumliegenden Gefangenen seine Meisterstücke, und erläutert verschiedene bey seinem Handwerk vorkommende Schwierigkeiten. 214
  4. Ein junger Bursch, der bis itzt den Handel nur im Kleinen trieb, verliert keine Silbe, und erwartet mit Ungeduld den Tag seiner Befreyung, um die eben erlernte theoretischen Kenntnisse bald in Ausübung zu bringen.
  5. Der GefängniswärterDiese Gefangenwärter haben meistens kein Gefühl als für Geld. Wer also aus den Gefangnen einen guten Tag haben will, muß sein Allmosen mit ihnen theilen; daher stehen sich einige von diesen Wärtern fast gleich so hoch als die Rathsherrn. stoßt ein junges Mädchen, das ihn um einen Trunk Wasser bittet, mit Ungestümm von sich; indessen er einem Erzdieb gegen 50 pro cent Gewinn eine Kanne Bier hinreicht.
  6. Im Hintergrund des Kerkers sitzen zween Handwerksbursche in trauriger Stellung.
  7. Ein Kutscher, der wegen drey Љ geschwärzten Toback eingekommen, henkt gleich den Betteljungen am Fenster, und läßt an einer Schnur ein kleines Beutlchen hinab. Ein Kaufmann, der die Schwärzerey besser versteht, läßt sich rühren, und wirft ihm einen halben kr. hinein. 215

 


 


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