Joseph Richter
Bildergalerie weltlicher Misbräuche
Joseph Richter

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Erstes Kapitel.

Ueber das Neuejahr und andere Gratulationen.

Ich sollte zwar das Gratuliren, und besonders die Neuejahrswünsche nicht so unbedungen unter die weltliche Mißbräuche zählen, weil sich diese Gewohnheit nach und nach auch in die geweihten 26 Wohnungen der Geistlichkeit eingedrungen hat. Man erblickt in den Kutschen, die die Wünsche zum neuen Jahr herumfahren, und das Leben der Fußgeher noch im alten Jahr in Gefahr setzen, wohl auch manchen hochwürdigen Probst und Prälaten, so wie man sich sogar in den sogenannten Bettelmönchsklöstern ebenfalls Glück wünschet, daß man wieder dem Tode um ein Jahr näher gerückt ist, und sich, gleich den Layen an den Namenstägen gratulirt, daß man das Glück habe, Kaspar oder Mathias zu heissen.

Allein für die Klöster hat dieser Mißbrauch, ausser seiner Lächerlichkeit, nicht die schädliche Folgen, als für die Layenwelt. Die Geschenke, die wir Geistliche uns wechselweise geben, bestehen gemeiniglich in etwas Schokolade, oder einem Paar Schnupftücher, oder andern solchen Kleinigkeiten, und da auch diese fast immer Geschenke von Weltleuten sind, so thut sich keiner dabey weh. 27

Die hochwürdigen Herren Prälaten mögen zwar zu Zeiten, besonders um das Neuejahr, mit neuen Dukaten herausrücken; aber auch diese thun weder sich, noch dem Kapitel zu hart. Im Grunde legen sie diese Neuejahrgeschenke nur auf Interresse: denn sie geben nur da, wo sie wissen, daß es ihnen doppelt zurückkömmt, und so glaube ich es so ziemlich bewiesen zu haben, daß dieser Mißbrauch für die Geistlichkeit keine nachtheiligen Folgen habe.

Ganz anders ist es in der Layenwelt. Der Kaufmann, der vielleicht schon im alten Jahr um einige tausend Gulden zurück ist, muß das Neue abermal mit einer Passivpost anfangen; und dann ist es wirklich traurig, dem Neuenjahr 5 bis 6 hundert Gulden zum Geschenke zu bringen, weil man im alten Jahr 5 bis 6000 Gulden verlohren hat.

Aber auch angenommen, daß sich der Kaufmann im aufrechten Stande 28 befinde, so haben diese Geschenke für die übrigen Bürger die nachtheilige Folge, daß die Mägde nicht dahin gehen, wo man die beste Waare verkauft, sondern dahin, wo man das reichlichste Neuejahr giebt; und gemeiniglich macht derjenige Kaufmann die besten Geschenke, der die schlechteste Waare hat. Allein diese Geschenke können auch sogar auf die Gesundheit des Bürgers den schädlichsten Einfluß haben.

Es ist doch eine bekannte Sache, daß die Herren Apothecker den Herren Medizis theils an baaren Geld, theils an Zucker und Kaffe am Neuenjahr ein Geschenk machen, und wenn gleich mancher brave Arzt solches ausschlägt, so sind doch ihre Frauen Gemahlinnen selten so gewissenhaft, diesen Apothekertribut zurück zu weisen. Wer nun weiß, daß die Herren Apotheker (wenn ich mich als Geistlicher so ausdrücken darf) sogar den Mäusepfifferling in Geld zu verwandeln wissen, 29 wird auch wohl überzeugt seyn, daß sie sich für diese kostbare Auslagen zu entschädigen suchen; und so mag es wohl auch hier, wie bey dem Kaufmanne gehen, so mögen wohl auch hier die Pazienten nicht an die Apothecke, die die beste und frischeste Arzney verfertigt, sondern an diejenige angewiesen werden, die sich gegen den Herrn Medikus oder die Frau Medizinerinn am freygebigsten bezeigt hat.

Das Schlimmste bey der Sache ist, daß der Herr Medikus, der einmal Geschenke vom Arzneyfabrikanten angenommen hat, sehr oft über die Qualität der Arzney das eine Aug zudrucken müsse, und nicht einmal das arcanum duplicatum vom Polychrest-Salz unterscheiden dürfe. Rechtschaffene Aerzte thun so etwas freylich nicht; allein es kann eben so wenig lauter rechtschaffene Aerzte geben, als es lauter rechtschaffene Kapuziner giebt. 30

Diese Neujahrswünsche, und die davon unzertrennliche Geschenke sind aber noch für viele andere Klassen drückend. Der Beamte, dem Niemand einen Heller schenkt, muß dem Neuenjahr oft die Hälfte seines Monatgehaltes zum Opfer bringen. Er muß dem Kaffesiederjunge ein Geschenk machen, damit er ihn im neuen Jahre wieder mit gebrannter Gerste, statt Kaffe, bediene; dem Kellner, weil ihm sein Herr, mitten im Weinland, schlechten Wein für gutes Geld vorgesetzt; und sogar allen Bedienten derjenigen Häuser, in denen er die Ehre hatte, die Hälfte seiner Besoldung zu verspielen.

Wer aber den Beutel nicht freywillig aufmacht, dem weiß man ihn schon zu öffnen. Da kommen die geschwornen LastträgerSo wenig ich ein Freund von Noten bin, so kann ich mich doch nicht enthalten, hier eine zu machen. Der Herr Verf. der Bildergallerie katholischer Mißbräuche, den ich in Hinkunft Kürze halber Herr Obermayer nennen will, hat uns Klosterbewohnern den Vorwurf gemacht, daß wir die guten Köpfe nicht zu schätzen wissen. Er mag Recht haben; aber ich glaube, daß man auch in der Welt die guten Köpfe nicht zu sehr schätze, und daß es wirklich blosser Zufall ist, wenn sich hie und da einer empor schwingt. Nicht immer werden diejenigen, die am meisten für den Staat arbeiten, am besten bezahlt. Alle Zeitungen posaunen es, wenn irgend ein deutscher Gelehrter einen Gehalt von 3 bis 400 fl. erhält: indessen manche Abschreibmaschine noch einmal so viel vom Staat zieht, und sich sogar mancher geschworne Lastträger, der im Grunde blos die Dienste eines Esels verrichtet, auf 1000 und wohl auch höher das Jahr durch steht. Von den Verfolgungen und Schickanen, die die bessern Köpfe täglich von den schlechtern Köpfen in der Layenwelt ausstehen müssen, wüßte ich sehr viel zu sagen, wenn es mir als Geistlichen, nicht verboten wäre, aus der Beicht zu schwäzen, und wenn diese Note nicht schon ohnehin bald so groß, als der Text wäre. der Mauthhäuser, und 31 verlangen mit gezwungener Höflichkeit ein Neuesjahr vom Kaufmanne, weil er ihnen das vergangene Jahr so viel zu verdienen gab, daß sie sich das Künftige 32 ein Haus kaufen können. – Hat Jemand das Unglück gehabt, einen Prozeß zu führen, oder krank gewesen zu seyn, so kömmt sicher der Bediente des Advokaten oder des Medikus zu ihm, und wünscht ihm, daß er bald wieder in einen Prozeß verwickelt, und bald wieder krank werde. Wer nicht diesen Wunsch wenigstens mit einem neuen Gulden bezahlt, dem ist wirklich zu wünschen, daß er nicht erfüllet werde; denn man weiß ja, welchen Einfluß die Diener auf den Diensteifer der Herren haben.

Kurz, wir mögen die ganze Stuffenleiter der Stände durchgehen, so werden wir finden, daß dieser Mißbrauch einem jeden, nur weniger und mehr, beschwerlich falle, und daß blos das müssige Livreyvolk, und die so sehr ausgearteten weiblichen Dienstbothen Vortheil davon ziehen.

Es giebt zwar ausser diesen noch andere Klassen, denen die 33 Neuenjahrsgeschenke einen grossen Theil ihres Gehalts ausmachen, z. B. die Herren Bartscherer; aber alle diese würden uns gern am Neuenjahr ungeschoren lassen, wenn die Großmuth ihrer Prinzipalen, statt das Publikum in Kontribution zu setzen, ihnen einen anständigen Gehalt auswürfe.

Die guten Leute haben wirklich saure Arbeit, und sind noch nebenbey zu bedauren, daß sie oft, bey der besten Anlage zur Wundarzneykunst, mit Aderlassen und Bartscheren ihr Leben zubringen müssen.

Die übrigen Gratulationstäge sind freylich im Durchschnitte genommen, weniger drückend; indessen nehmen sie der arbeitenden Klasse viele Zeit weg, und können manchem ehrlichen Manne, der nicht immer den Kalender in der Hand hat, auch grossen Verdruß zuziehen, wenn er den Namenstag seines stolzen Gönners übersieht. 34

Diese Gratulationstäge verleiten ausser dem zu vielen unnöthigen Ausgaben, besonders wenn man grosse Bekanntschaft mit dem sogenannten schönen Geschlecht hat. Denn die schönen Damen halten keinen Wunsch für aufrichtig, der nicht von einem kleinen Geschenke begleitet ist, und nun, da ich den Ordenshabit ausgezogen habe, darf ich es sagen, daß sie so gar mir bey dem Gratuliren auf die Hände sahen, und gleich heiterer wurden, wann ich aus dem Ermel einige gemahlte Bilder oder Amulets hervorzog.

Indessen hatte das Gratuliren, bey seinen vielen schädlichen Folgen, auch immer seine gute Seite gehabt. Die Anverwandten mußten sich Wohlstandes halber doch im Jahre verschiedenemale besuchen, und wenigstens dem Schein nach freundlich sprechen. Dadurch wurde mancher Bruch in Familien verhütet, und manche aufkeimende Feindschaft ersticket. Allein auch diese gute Seite hat sich 35 verloren. Man besuchet sich nun nicht mehr selbst, sondern läßt es sich blos durch seine Bediente oder wohl gar durch die kleine Post auf einem Kartenblatt wissen, daß man noch gut Freund ist, und giebt dadurch stillschweigend zu verstehen, wie lästig man dieses Ceremoniel finde.

Wär' es daher nicht sehr klug gehandelt, wenn man durch das Beyspiel der Grossen aufgemuntert, mit gemeinschaftlichen Einverständniß diesem Mißbrauche ein Ende machte? Mit der Einstellung der Glückwünsche würde die Plünderey, nämlich das Abdringen der so drückenden Geschenke, von selbst verschwinden.

 

Wenn ich doch noch einen Gratulationstag beybehalten wünschte, so wäre es der Tag unsrer Geburt; aber ich befürchte, es möchte Mancher, dessen Loos Kummer und Sorgen sind, es für eine Satire halten, wenn man ihm 36 gratulirte, daß er auf diese Welt gekommen.

 


 

Erklärung des allegorischen Kupfers.

  1. Ein sehr grosser Platz, auf dem sich die Kutschen durchkreuzen. Viele Gratulanten lassen sich im Sessel tragen, andere laufen zu Fuß mit ihren Glückwünschen herum.
  2. Ein armer Fiacre wird von einer Herrschaftskutsche über den Hauffen geworfen. Die Gratulanten kriechen zum Wagenschlag heraus. Der herrschaftliche Kutscher lacht, und auch die Umherstehenden finden es spassig, daß dem armen Fiacre die Gläser zerschlagen sind, und sich ein Gratulant das Gesicht verschnitten hat.
  3. Vor einem grossen Pallast steht eine Bank mit Papier und Zugehör. Die Bedienten stehen (so wie bey uns die Beichtkinder am Porziunkulafest am Beichtstuhl) in der Reihe an, und schreiben sich auf. Man 37 erblikt mit unter auch einige wohl geputzte Herren. Der Portier winkt ihnen mit dem Stock, daß sie sich tummeln mögen.
  4. Ein junger Beamte begegnet einem alten Beamten, auf dessen Tod er schon 10 Jahre wartet. Er drückt ihm freundlich die Hand, und wünscht ihm, noch viele Jahre zu erleben.
  5. An der Seite ist eine Lebzelterhütte aufgeschlagen, bey der sich Manche am neuen Jahr mit diesem unverdaulichen Zeug den Magen verderben, und andere das Neuejahr mit einem Methrausch anfangen. 38

 


 


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