Joseph Richter
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Joseph Richter

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Eilftes Kapitel.

Ueber Bibliothecken.

Der nämliche Herr Rousseau, dessen ich in einer Note des vorhergehenden 150 Kapitels erwähnet habe, äusserte bey vielen andern wunderlichen Einfällen den Satz, daß kein Monarch im Stande sey, nur ein einziges Genie hervor zu ruffen.

Beym ersten Anblick scheint dieser Gedanke nicht nur kühn, sondern auch unrichtig; denn man sollte doch glauben; daß Monarchen, die durch ein einziges: Fiat! Fürsten, Grafen, und Edelleute aus dem Nichts hervorruffen können, endlich wohl auch um so leichter einen denkenden Kopf erschaffen sollten; wenn ich aber der Sache reiffer nachdenke, und dabey überlege, daß bis itzt noch die sogenannten Genies gleich den Kometen ganz unvermuthet, und fast eben so selten am litterarischen Horizont erscheinen, und oft schon lange glänzen, bevor die Monarchen oft nur einmal wissen, daß sie da sind, so kann ich kaum umhin, diesem sonderbaren Manne Recht zu geben. 151

Ich wünschte, Herr Obermayr hätte, als er sein Kapitel über die Klosterbibliothecken niederschrieb, gleich mir über diese Stelle nachgedacht; vielleicht würde er dann den Mangel guter Klosterköpfe nicht so sehr dem schlechten Zustande unsrer Büchersammlungen, sondern der weisen Einrichtung der Natur zugeschrieben haben, die überhaupt (vielleicht zum Besten der Welt) mit den guten Köpfen und den sogenannten Genien so karg ist; denn sonst müßte die Layenwelt bey der treflichsten Einrichtung ihrer öffentlichen Bibliotheken, und allem übrigen Vorschub zu Wissenschaften ungleich mehr bessere Köpfe aufzuweisen haben.

Zwar, wenn mir alle diejenigen, die auf Universitäten zu Rittern der Weltweisheit, der Arzneykunde und der Rechtsgelehrsamkeit geschlagen worden, unter die guten Köpfe zählen wollen, so ist freylich ihre Anzahl ungemein groß; allein Herr Obermayer darf mirs auf 152 mein Wort glauben, daß man den Leuten bey den weltlichen DisputationenHerr Obermayer sagte bey Gelegenheit der geistlichen Disputationen, daß gescheide Leute nicht disputiren, und er mag meinetwegen Recht haben; aber er bedachte nicht, daß er den weltlichen Herren, die um den Docktorhut ebenfalls disputiren, nicht das feinste Kompliment machte., so wie bey unsern geistlichen, Staub in die Augen zu streuen wisse; und man darf nur diesem und jenem den Docktorhut abziehen, um gewisse Zeichen zu entdecken, die unmöglich ein Attribut denkender Köpfe seyn können.

Weil aber diese Herren sehr empfindlich an diesem Theil sind, und nicht leicht jemanden an ihren Kopf lassen, so darf man nur einen Blick auf ihre Büchersammlungen werfen, und man wird finden, daß weder Rachgierde noch Schmähsucht aus mir rede.

Freylich ist es ein sonderbares Unternehmen einem Gelehrten aus seiner Büchersammlung seine Ignoranz zu 153 beweisen: indessen glaube ich doch meine Thesis ohne alle Arriergarde oder Hilfe eines Pater Lecktors mit Ehren zu vertheidigen.

Man hat nun einmal den Grundsatz angenommen, daß man kein Gelehrter seyn könne, ohne eine BüchersammlungBüchersammlungen sind freylich eine Goldgrube. Es gehört aber grosse Geschicklichkeit dazu, wenn man sie mit Nutzen bauen will, und fast eine noch grössere die erhaltene Ausbeute von den Schlacken zu scheiden. zu haben; daher schaffet sich dann auch jeder so ein Attestat der Gelehrsamkeit an; und damit man gleich beym Eintritt wisse, daß er ein Gelehrter sey, wird dieses Attestat entweder in blauem Papier, oder Schweinleder, am gewöhnlichsten aber im Franzband in einem schönen Schranke vor die Augen hingestellt. Viele widmen wohl ein eigenes Zimmer zu ihrer Bibliotheck, und ein bereits verstorbener Advokat ließ, um einen Beweis seiner 154 Gelehrsamkeit zu geben, seinen Leibstuhl in ein hölzern Behältniß setzen, das das Ansehen auf einander liegender Folianten hatte.

Sind nun einmal diese FestungswerkeMan kann diese Büchersammlungen mit Recht Festungswerke nennen, weil sie den Ruhm der Gelehrten in Sicherheit setzen, und so wie der Docktorhut ein Beweis ist, daß man studiert habe, eben so ist für den Pöbel ein voller, schön geordneter Bücherschrank ein Beweis, daß man noch immer fortstudiere, und daher vertraut man gern dem Arzt das Leben und dem Advokat den Rechtshandel an, weil man es für unmöglich hält, daß man schöne Bücher haben, und nichts verstehen könne. der Gelehrsamkeit aufgeführt, so legt man sich, da man keinen Feind von aussen zu befürchten hat, mit seiner Unwissenheit hinter diesem Bollwerk zur Ruhe. Wie sollen auch Leute, die, nach der gemeinen Art zu reden, ausstudirt haben, sich weiter den Kopf mit studieren zerbrechen?

Aber gesetzt auch die vielen Krankenbesuche ließen dem Arzt, und die vielen 155 Rechtshändel dem Advokaten zur Lecktüre Zeit, welchen Nutzen könnten sie aus ihren zwecklosen Büchersammlungen schöpfen?

Der Arzt hat freylich die kostbarsten medizinischen Werke, und der Advokat alles, was nur je gutes über Recht und Unrecht gesagt worden, in seinem Bücherschranke; allein was nüzt das blosse Studium ihrer Brodwissenschaft, wenn sie es nicht mit dem Studium der Philosophie, der schönen Wissenschaften und der Geschichte verbinden? Daß sie aber dies nicht thun, bezeugen ihre Bibliothecken; denn man wird selten ein Werk des Geschmackes darinn antrefenDa die Bücherkataloge gratis ausgetheilet werden, so habe ich mich bemühet, verschiedene zu sammeln; aber eben diese Kataloge haben mich gegen den Ruhm der Brodgelehrten am ersten mistrauisch gemacht. Ich fand in den Verzeichnissen, wenn der Verstorbene ein Arzt war, blos medizinische Bücher, und von diesen, so gut ich davon urtheilen konnte, meistens eine schlechte Auswahl. War er ein Rechtsgelehrter, so war ich sicher blos juridische mit noch schlechterer Auswahl anzutrefen. Indessen würde ich mich doch nicht unterfangen haben, an dem unsterblichen Ruhm des Verstorbenen zu zweifeln, wenn mich nicht ein heidnischer Autor, der, da es kein punctum fidei betrift, immer Glauben verdient, in meinem Mißtrauen bestärkt hätte; denn er sagt es frey heraus, daß die Wissenschaften in so enger Verbindung mit einander stehen, daß man sich unmöglich in der einen hervorthun, und in den übrigen ein Fremdling seyn könne. Die Bekanntschaft, die ich dann selbst mit verschiedenen dieser gelehrten Herren zu machen Gelegenheit hatte, überzeugte mich endlich vollends, daß der Heid Recht habe, und daß mein Mißtrauen begründet sey. Es giebt keinen unangenehmern Gesellschafter, und keinen eingeschränktern Kopf, als einen Medikus, der blos Medikus, oder einen Advokaten, der blos Advokat ist. Man führe sie über das Gebiet ihrer Brodwissenschaft hinaus, und sie straucheln bey jedem Schritt. So beredt sie auch sind, wenn von Krankheiten und Arzneyen, und falls es Advokaten, wenn von Prozessen, Tagsatzungen, Arrest und dergleichen gesprochen wird, so sehr verstummen sie, wenn Jemand auf Geschichte, Philosophie, Dichtkunst und Statistick zu reden kömmt. Jeder hat Gelegenheit sich täglich von dieser Wahrheit zu überzeugen., und doch kann man (die 156 Herren mögen es glauben oder nicht) ohne Geschmack oder ohne Gefühl für 157 das Schöne, im engen Verstande, weder ein guter Arzt noch ein guter Advokat seyn.

Ich möchte mir in keinem Falle das Ansehen eines Schmeichlers geben, sonst müßte ich zum Beweis meines Satzes den Namen eines der größten Aerzte anführen, der blos deßwegen so ausserordentlich glänzte, und dem bereits gesunkenen Ansehen einer uralten Universität wieder Festigkeit und Dauer gab, weil sein heller Geist das ganze weite Gebiet der Wissenschaften übersah. Aber so wie ich den Verdacht eines Schmeichlers gern von mir ablehnte; so möchte ich noch ungleich lieber den unverdienten Vorwurf eines Verläumders von mir entfernen, und so gestehe ich dann mit Vergnügen ein, daß es noch itzt manchen würdigen Arzt gebe, der nicht nur die China verschreibt, sondern auch weiß, wo sie wächst; so wie es manchem braven Rechtsgelehrten bewußt ist, daß die 158 römischen Rechte nur in so weit auf unsre Zeiten anwendbar seyn können, als sie mit dem natürlichen Recht übereinstimmen; allein diese lieben Männer werden dann auch kein Bedenken tragen, in ihrer Handbibliotheck neben dem Hippokrates oder dem wohlbeleibten Korpus Juris – den geschmeidigern Werken der Philosophen, Dichter und Geschichtschreiber einen Plaz zu gönnen – und so glaub ich meinen Satz: daß man aus den Bibliothecken der Gelehrten auf ihre Ignoranz schliessen könne, immer mit Ehren bewiesen zu haben.

Bey den Bibliothecken der Kavaliere ist der Schluß viel trügerischer, weil man darinn oft die herrlichsten Werke aus allen Fächern der Wissenschaften antrift, und dadurch leicht verleitet werden könnte, für den Verstand des Besitzers ein günstiges Urtheil zu fällen, da doch oft die ganze Einrichtung blos das Verdienst des 159 Bibliothekars ist, dem der Fürst oder Graf, weil es einmal so Mode ist, eine Bibliotheck zu habenHerr Obermayer schien es sehr lächerlich zu finden, daß einige hochwürdige gnädige Herren Prälaten die Aufsicht über ihre Klosterbibliothecken dem Pater Küchen- oder Kellermeister anvertrauen, oder wohl gar ihren Kammerdiener zum Bibliothekar machen; aber Herr Obermayer bemerket nicht, daß es ungleich lächerlicher sey, wenn manche deutsche Kavaliere über eine deutsche Bibliotheck einen französischen Abbe, der keine Silbe deutsch und sehr selten Latein versteht, zum Bibliothekar ernennen. Vielleicht wird mir aber Herr Obermayer einwerfen, daß gerade ein Franzos zum Aufseher über eine Kavalierbibliothecke tauge, weil es ein sehr seltner Fall ist, daß deutsche Kavaliere deutsche Bücher anschaffen, und so hätten abermal die Kavaliere und Herr Obermayer Recht., bey der Auswahl der Bücher freye Hand läßt. Indessen giebt es hie und da einen würdigen Kavalier, der sich ganz den Wissenschaften wiedmet, und es mit jedem Gelehrten aufzunehmen im Stande ist. Solche Männer sind aber dann auch die wahre Zierde des Adels, und nicht blos deswegen 160 Fürsten und Grafen, weil der Papa ein Fürst oder Graf war.

Sie unterziehen sich aus Vaterlandsliebe der schweren Bürde der Staatsgeschäfte, und bekleiden mit Würde und Ehren die schlüpfrige Stelle eines Gesandten. Sie sind dabey aber auch angenehme Gesellschafter, und wissen die klügernFreylich giebt es Damen, die nicht so günstig von diesen gelehrten Kavalieren urtheilen, und es wohl gar für eine Entehrung des Adels ansehen, wenn sich ein Graf mit den pöbelhaften Wissenschaften abgiebt. In ihren Augen ist so ein gelehrter Kavalier gar nicht zum Umgang. Er spielt nicht, oder spielt wenigstens zu vorsichtig; zum Tanz ist er zu schwerfällig, und zum Ehegemahl schon gar unerträglich, weil er den Launen der gnädigen Gräfinn nicht den Zügel läßt, die Einnahme mit der Ausgabe berechnet, und aus seinen Söhnen gern brauchbare Bürger des Staats ziehen möchte. Aber eben deswegen setzte ich zur guten Vorsorge das Wort klügere hinzu, damit mich die übrigen nicht etwann einer Unwahrheit beschuldigen mögen. Damen weit anständiger als mit Gesprächen von Pferden, Galanterien, oder ihren Pariserreisen zu unterhalten. 161

Endlich soll ich doch auch ein Wort über die Bibliothecken der Damen sagen; die Gelehrten werden freylich nicht begreiffen können, wie sich Damen und Bücher zusammen schicken; indessen giebt es doch nicht leicht eine Dame, die nicht eine kleine Handbibliotheck hätte. Ja es ist so weit mit der weiblichen Lecktüre gekommen, daß nun so gar die Bürgerstöchter sich ganz artige Büchersammlungen anlegen, und sich, bis der Kaffe siedet, wohl auch am Herd die Zeit mit einem Roman verkürzen.

Unser Pater Sonntagprediger hat zwar schon öfters wider das Lesen dieser weltlichen und (wie er sie zu nennen pflegt) lutherischen Bücher geeifert. Es scheint auch, daß seine Predigten müssen gefruchtet haben; weil nun die meisten Damen, so oft sie ein weltliches Buch gelesen, die Sünde durch die Lecktüre eines auferbaulichen geistlichen Buches wieder abzubüssen suchen; daher sieht 162 man in ihrem Bücherschranke die Werke des hochgelehrten Pater PergensIch kenne die wenigsten von den hier angeführten Werken; weil mir aber, als ich noch Kapuziner war, der Zutritt auch zu den Handbibliothecken der Damen offen stand, habe ich mir zum Zeitvertreib einen kleinen Auszug davon gemacht, und unter andern besagte Bücher neben einander gefunden, die, wie mir ein Kenner der französchen Sprache versicherte, gar keine gute Figur neben einander machen sollen. neben der neuen Heloise; den Himmelsschlüssel neben dem Kandid und das Leben der Heiligen neben dem Leben der Ninon; und wem die Damen den Zutritt zu ihrer Toilette erlauben, kann wohl auch die pucelle d'orleans neben den Fastenstücken des unvergleichlichen katholischenIch begreife nicht, warum sich dieser gelehrte Herr, der ein wahres lumen ecclesiæ ist, den katholischen Obermayer nenne, da doch seine Schriften ohnehin Jedermann überzeugen müssen, daß er nicht bloß erzkatholisch, sondern auch erzrömisch-katholisch sey; vielleicht thut er es aber um sich von dem Verfasser der Bildergalerie, der sich ebenfalls Obermayer nennt, zu unterscheiden; allein auch diese Vorsicht scheint überflüßig; denn man darf nur eine Zeile von Letzterem lesen, um einzusehen, daß dieser freydenkende Obermayer, und der Verfertiger der katholischen Fastenstücke, und armen Seelen Andachten unmöglich eine und eben dieselbe Person seyn können. Herrn Obermayers liegen sehen. 163

 


 

Erklärung des allegorischen Kupfers.

Der obere Theil.

  1. Ein grosses Zimmer. Die Wände sind mit Schranken bedeckt, in denen die Bücher in schönster Ordnung eingetheilt stehen.
  2. Ein Medikus sitzt im Schlafrock am Pult, und schlägt in einem ungeheuern Folianten nach, ob er nicht für einen seiner Pazienten ein Mittel finde, den er schon seit einigen Wochen an der Verhärtung der Leber kurirtEs giebt sehr wenig Aerzte, die sich um den moralischen Zustand ihrer Pazienten erkundigen, da doch oft blos von diesem die Besserung des phisischen abhängt. So nehmen auch wenige Kriminalrichter auf das Temperament des Verbrechers, auf seine Erziehung, auf die Stimmung seiner Seele, in der er gerade dies und jenes that, und endlich auf die Folge von Ursachen, die ihn gerade zu dem machten, was er ist, die geringste Rücksicht, welches sie doch gewiß thun würden, wenn sie ihre Jurisprudenz mit einer gesunden Philosophie verbänden. Was ich hier vom Arzt und vom Juristen sagte, gilt auch vom Feldherrn, vom Statisticker, vom Mathematicker, und von allen, die sich zu einer Wissenschaft bekennen; denn sie können sich in keiner hervorthun, so lang sie in den übrigen fremd sind. da ihm doch zu seiner Genesung 164 nichts als ein Wechsel von Haus fehlt.
  3. An einem Seitentisch bereitet sich der hofnungsvolle Sohn zum Examen pro gradu vor. Er hat die Vorlesungen seiner Lehrer von Wort zu Wort auswendig gelernt, und glaubt, daß nichts weiter zum Medikus gehöre.
  4. Ihm über hängt das Porträt seiner Geliebten, die 40 tausend Gulden im Vermögen hat, wegen denen er eigentlich Docktor wird. Vor diesem Bild thut er täglich hundertmal den Schwur, daß er die verhaßten Bücher nie wieder berühren 165 wolle, wenn ihn der Himmel das fatale Examen überstehen läßt.

Der untere Theil.

  1. Eine ansehnliche Buchhandlung.
  2. Der Buchhalter bietet einem Rechtsgelehrten ein eben von der Messe erhaltenes Buch an, das vom natürlichen und moralischen Menschen handelt. Der Rechtsgelehrte legt es mit einem spottenden Lächeln bey Seite: alldieweilen es kein Buch sey, das in seine Wissenschaft einschlage, und er nur überhaupt gelehrte Bücher sich einzuschaffen pflege.
  3. Verschiedene andere Gelehrte gehen in der Buchhandlung herum. Sie sprechen aber nicht zusammen, und sehen sich mit verächtlichen Blicken an.Eben diese Art von Verachtung ist ein Beweis, daß es sehr wenige Gelehrte gebe. Ein wahrer Gelehrter sieht ein, wie wenig er weiß, daher ist er demüthig; ein wahrer Gelehrter lernt auch den Werth der übrigen Wissenschaften kennen, daher wird er auch die schätzen, die sie treiben. Das meiste Ansehen giebt sich ein Antiquarius, der mit aufgesetztem Hut auf und nieder trabt. 166

 


 


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