Joseph Richter
Bildergalerie weltlicher Misbräuche
Joseph Richter

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Drittes Kapitel.

Ueber die Ehe.

So wenig Herr Obermayer die Ohrenbeichte unter die Mißbräuche der katholischen Kirche zählte , eben so wenig könnte es mir beyfallen, den heiligen Ehestand unter die weltlichen Mißbräuche zu zählen.

Ich weiß, daß er das festeste Band der Gesellschaft ist, daß er bey unsrer Verfassung einen Hauptpfeiler der guten Ordnung ausmacht, und daß uns seine Aufhebung unausbleiblich wieder in den Stand unsrer ersten Väter zurücksetzen würde. 49

Weil aber jedes Ding in der Welt eine gute und üble Seite, und so gar die Sonne ihre Flecken hat, so ist leicht zu vermuthen, daß auch dieser Stand nicht engelrein seyn werde. Wenn ich nun einige dieser Flecken aufdecke, so benehme ich der Heiligkeit dieses Standes eben so wenig von ihrem Werth, als Herr Obermayer der Ohrenbeicht etwas benahm, indem er bewies, daß sie die Wirkung, nämlich die Besserung unsers moralischen Karakters nicht immer hervorgebracht habe.

Wie ich den Ehestand herum drehe, glaube ich gleich beym ersten Anblick eine nicht gar zu vortheilhafte Seite entdecket zu haben.

Herr Obermayer sagt in seinem zweyten Theil der Bildergalerie, daß sich die Menschheit empöre, wenn 15jährige Jünglinge vor dem Allmächtigen 50 hinknien, und ohne zu wissen, was Keuschheit ist, in die Hände ihrer Obern das ewige Gelübde der Keuschheit ablegen.

Mir, als Exkapuziner, geziemt es nicht zu entscheiden, in wie weit der Verfasser Recht habe; aber so viel scheint mir, daß das Gelübde sich ewig zu lieben, eben so auffallend sey, als das Gelübde nie zu lieben, und daß sich die Menschheit ebenfalls empöre, wenn Leute, die sich kaum gesehen oder wohl gar ein Schlachtopfer von dem Eigennutz oder Eigensinn der Eltern geworden, ohne die Pflichten und die Beschwerden des heiligen Ehestandes zu kennen, sich ewige Liebe und Treue schwören. Daher mag es dann auch kommen, daß so viele Eheleute, gleich vielen Mönchen, über die Schranken ihres ewigen Gelübdes hinwegsetzen, und daß man gerade unter denjenigen, die sich ewige Liebe und Treue geschworen, die wenigste, 51 und fast gar keine Liebe und Treue antrift.

Wie können aber Leute, die sich nicht lieben, oder, wie es bey ewigen Gelübden und oft gezwungner Ehe nicht anders seyn kann, sich auch wohl gar herzlich hassen, die Absicht des Staats, die Glückseligkeit des Bürgers und die gute Erziehung der Kinder befördern, wenn sie nicht nach einerley Zwecke ringen, und die Frau, wie sich ein gewisser Autor ausdrükt, das männliche Ja immer als das Schlagwort zum weiblichen Nein ansieht?

Ich möchte es nun dem Ausspruche erfahrner Staatsmänner überlassen, ob es dem Wohl der Menschheit nicht zuträglicher wäre, bey dergleichen Ehebindnissen das ewige Gelübde in einen blossen Civilkontrakt zu verwandeln, und ob es unter solchen Umständen dem grossen Lieblingsplane, (der Bevölkerung) nicht gedeihlicher seyn würde, etwas 52 weniger, aber vergnügte Ehen zu haben, als eine grössere Anzahl Mißvergnügter?

Sollte wohl bey so einem Civilkontrakt der Heiligkeit des Ehestandes etwas benommen werden? Ich wenigstens glaube, daß man ihn erst dann mit Recht den heiligen Ehestand nennen dürfte, wenn die Eheleute fromm und heilig, das heißt, vergnügt und einig unter sich leben werden.

Ein braver Herr Pfarrer, bey dem ich durch verschiedene Jahre als Kapellan, (nicht aber als Spaßmacher)Herr Obermayer sagt in seinem zweyten Theil der Bildergalerie, daß sich die Herren Pfarrer unser zum Predigen und Spaßmachen bedienten. Das Schlimmste ist, daß er sich nicht erklärte, ob letzteres nur bey Tisch, oder auch auf der Kanzel zu verstehen sey. zu stehen die Ehre hatte, führte durch einige Jahre ein Paar recht brave Rappen. Mit einem Male fuhr der Teufel der Uneinigkeit in sie. Sie schlugen und 53 bissen sich im Stalle; zogen, wenn sie zusammen gespannt waren, den Wagen bald rechts bald links; rissen die Stränge entzwey; und setzten das Leben meines hochwürdigen Vorgesetzten mehr als einmal in Gefahr.

Der Herr Pfarrer, der die Pferde liebte, suchte durch gelinde und scharfe Mittel die vorige Eintracht wieder herzustellen. Der Pater Sonntagprediger meines vorigen Klosters, ein sehr würdiger Mann, kam in Abwesenheit des Herrn Pfarrers zu uns, und exorcisirte die Rappen, weil er sie für vom Teufel besessen hielt. Er durchräucherte den Stall, ließ unter den Haber Lukaszettel streuen, und Weihwasser in ihren gewöhnlichen Trank mischen. Aber auch diese geistlichen Mittel waren vergebens; ja der Herr Pfarrer machte mir sogar den bittern Vorwurf, daß seit dem Exorcisiren der Teufel erst recht in die Pferde gefahren wäre. 54

Endlich sagte der Nachbar Müller, der mit einem Paar Schimmeln fast das nämliche Schicksal hatte, zu meinem Herrn Pfarrer: Wissen Euer Hochwürden was? Unsre Pferde thun einmal nicht mehr gut beysammen. Zwang taugt nirgend was. Versuchen wir ein anders Mittel. Geben sie mir einen ihrer Rappen; ich gebe ihnen einen von meinen Schimmeln. Es ist besser mit einem Rappe und einem Schimmel fahren, als sich mit zween Schimmeln oder Rappen den Hals brechen.

Der Herr Pfarrer gieng den Handel ein. Die Pferde waren wie umgegossen; rissen, bissen und schlugen nicht mehr, und Pfarrer und Müller waren froh, daß nun jeder von ihnen wider ein Paar brauchbarer Pferde hatte.

Man sagt überhaupt, daß wir Kapuziner nicht gar zu glücklich in Gleichnissen wären, und so mag es wohl seyn, daß auch gegenwärtiges nicht ganz 55 hieher passe; da es nun aber schon einmal hier steht, und mir gerade kein bessers einfällt, so mag es auch stehen bleiben. Gescheide Leute errathen doch, was ich damit sagen wollte; denn ich denke, daß auch andere schon lange vor mir diesen Flecken werden bemerkt haben, und daß auch diesen noch manch' andere üble Seite des heiligen Ehestandes werde aufgefallen seyn.

So braucht man wohl kein Mikroskop, um die schädlichen Folgen zu sehen, die dem Staat durch den Brauthandel zuwachsen.

Herr Obermayer sagt, daß wir nur nach reichen Kandidaten jagen. Schon das Wort jagen hat mich etwas geärgert, weil es das Ansehen hat, als wollte der Herr Verfasser uns zu Jägern, und unsre Kandidaten zu Hasen machen; indesen verzeihe ich es ihm, nur muß auch er es mir vergeben, wenn ich ihm entgegen sage, daß auch die Weltleute beym 56 Heurathen nicht mehr nach schönen Eigenschaften der Seele, ja nicht einmal nach körperlichen Reizen, sondern größtentheils nach schönen Dukaten jagen.

Ein Hirsch kann unmöglich auf einer Parforcejagd mehr Hunde und Jäger hinter sich herhaben, als ein reiches Mädchen Anbether. Und welche Triebfedern werden nicht in Bewegung gesetzt, um das Wild (wenn ich mich so ausdrücken darf) ins Garn zu locken?

Man gewinnt die Mütter durch Schmeycheley und Liebkosungen, und borgt beym Kaufmanne Stofe und Diamanten, um die Gunst einer Schönen zu erkaufen, die ausser ihrem Reichthume keine andere Empfehlung hat.

Ist das reiche Mädchen ein Mündel, so stekt man sich unter den Vormund, und schließt wie ich von guter Hand weiß, förmliche Kontrakte, und so sollen die reichen Mädchen gleich den eingebrachten 57 Kontrabandwaaren sehr oft an den Meistbietenden verkauft werden.

Ja viele Weltleute wissen so gar die Gutherzigkeit von uns Geistlichen zu benützen. Sie ziehen uns, der Himmel weiß, wie es zugeht, in ihr Interesse, und machen, ohne daß wir es oft selbst wissen, aus Priestern des Herrn und Gewissensräthen – Unterhändler. Aber gemeiniglich lohnen sie uns unsre Bereitwilligkeit mit Undank, und schieben uns ihre Uneinigkeiten, ihre Ausschweifungen und sogar ihre Bankrouts auf den Hals, wie es auch wirklich zum Sprichwort geworden, daß keine Ehe etwas tauge, die ein Mönch gestiftet hat.

Wenn die Weltleute billiger dächten, so würden sie nicht uns, sondern dem natürlichen Laufe der Dinge den Umsturz ihres Glückes zuschreiben. Eine Ehe, die blos aus Eigennutz geschlossen worden, kann nie glücklich seyn. 58

Seitdem ich meinen heiligen Ordenshabit ausgezogen, und meine vorige Leibmünz (das kurze Deo gratias) ausser Kurs gesetzt worden, lerne ich nun freylich einsehen, daß es um das Geld ein ganz gutes Ding sey; daher verzeih ich es auch den Weltleuten, wenn sie, besonders in unsern Zeiten, wo man fast jedes Weib eine theure Hälfte nennen darf, bey Heurathen auf Geld sehen. Aber so gern ich auch zugebe, daß Geld ein Mittel zur Glückseligkeit seyn könne, so sehr läugne ich, daß Geld die Glükseligkeit selbst sey, und daß Leute, die blos nach Geld trachten, je glüklich seyn können, weil sie das Mittel zur Glückseligkeit, für die Glückseligkeit selbst halten.

Je näher ich den heiligen Ehestand betrachte, je mehr Flecken entdecke ich in ihm. Es kann sich fügen, daß in einigen der folgenden Kapitel davon Erwähnung geschehe. Um alle anzuführen 59 müßte ich ein Buch statt eines Kapitels, schreiben; dann sind viele von der Art daß es besser für die Menschheit ist, wenn man sie mit dem Mantel der christlichen Liebe zudekt.

 


 

Erklärung des allegorischen Kupfers.

  1. Ein schön meublirtes Zimmer.
  2. Die Pupillinn sitzt in einem ungeheuern Reifrocke auf dem Sopha. Sie ist einäugig, hat einen grossen Höcker, und hinkt etwas.
  3. Sie erzählt ihren Anbethern, daß sie hundert tausend Gulden baar Geld, zwey Häuser, um 20 tausend Gulden Juwelen, und die Anwartschaft auf das noch weit größere Vermögen ihres Onkels habe. Daß schon Fürsten und Grafen um sie angehalten, daß sie sich aber vorgenommen, 60 einen Gemahl nach ihrer Affektation zu wählen.
  4. Ihre Aufwärter bestehen aus einem jungen Arzt – einem Kanzellisten – einem welschen Abbe, der Mandatario nomine erscheint – einem Pächter – und einem Rathsherrn. Sie sitzen alle in ehrfurchtsvoller Stellung, bewundern jede Sottise der reichen Pupillin, und sehen über die 100 tausend baare Gulden weder den abscheulichen Höcker, noch daß ihr ein Auge fehlt.
  5. Ein Herr, der sich vor wenigen Tägen für 500 fl. adeliches Blut in seine Adern giessen ließ, steht mit dem Vormund seitwärts dem Fenster zu. Er überreicht dem Vormund eine Schrift. Dieser giebt ihm den Handschlag, daß er das Mündel haben soll.Schon an den Weltleuten läßt es sehr unchristlich, wenn sie wegen einigen Individuen einen ganzen Stand lästern, wie übel müßte es nicht mir, als einem Exkapuziner ausgelegt werden, wenn ich behaupten wollte, daß alle Vormünder so beschaffen seyen? 61
  6. Zur Thüre tritt ein Poet herein, der auf Befehl des Pächters zum Namenstag der Pupillin ein Gedicht verfertigen mußte, worin er unter andern beweiset, daß die Göttin der Liebe einäugig gewesen, und einen Höcker gehabt habe. 62

 


 


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