Joseph Richter
Bildergalerie weltlicher Misbräuche
Joseph Richter

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Fünftes Kapitel.

Uiber Kindlmahl und Kindbettvisiten.

Ein gewisser französischer König legte seinem Volke eine Steuer nach der andern auf, fragte aber jedesmal seinen Finanzminister: wie sich das Volk dabey betrüge?

So lang nun der Minister dem König sagte: daß das Volk murrteDer Autor von dem ich diese Anekdote habe, macht über das Klagen und Murren, und überhaupt über die Unzufriedenheit des Volkes eine sonderbare Bemerkung. Er glaubt, die Monarchen müssen in uralten Zeiten mit dem Volke sehr unglimpflich umgegangen, und so unbarmherzig auf demselben herumgetretten seyn daß am ganzen Körper kein gesundes Glied übrig blieb. Daher gleiche aber nun auch das Volk einem Manne, der vom Podagra geplagt wird. Es ist mürrisch, unzufrieden, und schreit, bevor man ihm noch auf dem Leibe ist. Der Verfasser meinet also, daß man aus dem Klaggeschrey des Volkes nicht immer auf Bedrückung schliessen dürfe, weil das Volk auch unter dem gütigsten Monarchen jammere klage, und wie alle kranken Leute mit allem unzufrieden sey, so daß es ihm selbst der liebe Gott (nach des Verfassers Meinung) wenn er vom Himmel zu regieren herabstieg, bey der allerweisesten Verfassung nicht würde nach seinem Kopf thun können. und über Bedrückung klagte, lächelte 70 der König, und ließ abermal eine neue Steuer ausschreiben und so soll es in kurzer Zeit über dreyßig neue Steuern, und sogar eine Ohren- und Nasensteuer darunter gegeben haben.

Endlich hinterbrach der Minister dem König, daß sich das Murren und Klagen des Volkes gänzlich gelegt hätte: daß die Leute ihre Nasen, seitdem sie den Zoll davon entrichten, erst recht hoch empor trügen: daß alle öffentliche Belustigungsörter vom Volke wimmelten, und daß man sogar auf gut Deutsch zu essen und zu trinken, und Bäuche zu kriegen anfange. Und weil er dieses 71 für einen Beweis des allgemeinen Wohlstandes, oder wenigstens für ein Merkmal der Liebe zu dem angebetheten König hielt, so machte er diesem ein sehr feines Kompliment hierüber. Der König aber versicherte dem Minister, daß dieser schnelle Uibergang weder Wohlstand des Volkes, noch Liebe für seine geheiligte Person sey, wohl aber wär es ein Beweis; daß sein Volk nun nichts mehr hätte, und so befahl der weise Monarch mit allen fernern Auflagen innen zuhalten.

Der gütige Leser wird es wohl ohne mein Zuthun errathen, daß ich diese Anekdote blos angeführet, um mit guter Art die Bemerkung anzubringen, daß gerade diejenigen Klassen am meisten verschwenden, die am wenigsten haben, und daß der Luxus (was man ihm auch zu Gunsten redt:) immer eher ein Beweis von dem abnehmenden als von dem zunehmenden Wohlstand des Bürgers sey. 72

In den Kapiteln über Trauer und Hochzeiten steht so Manches, was nach meiner Meinung die Wahrheit dieser Bemerkung bestättigen sollte, und ich glaube nicht zu irren, wenn ich sage, daß auch die Kindlmahle und Kindbettvisiten zum Beweis dienen können.

Für einen Mann, der sein Weib liebt, mag es freylich wahre Herzensfreude seyn, wenn es glücklich entbunden worden, und ihm einen Sohn oder eine Tochter schenktEs würde mich innigst kränken, wenn Spötter das Wort schenken übel auslegten, oder mir wohl gar zumutheten, daß ich mich dieses Ausdruckes in der boshaften Absicht bedienet habe, um dadurch anzuzeigen, daß manchen Vätern ihre Kinder wirklich geschenkt werden., durch die das Band ihrer Liebe noch enger zusammen gezogen wird; aber eben weil es Herzensfreude ist, soll der Bauch keinen Theil daran haben, und bleibt es mir immer ein Räthsel, wie sich ein Hausvater, indessen Mutter und Kind oft 73 noch in Gefahr ist, mit seinen Freunden an eine gedeckte Tafel hinsetzen, und sich, wie ich mit eigenen Augen sah, wohl auch einen derben Rausch trinken könne.

Doch wollt' ich auch hier durch die Finger sehen, wenn dies blos von Leuten geschähe, denen Gott ausser dem essenden Segen Gottes noch ein gutes Auskommen gab, so wird man aber diesen Misbrauch gerade am meisten bey der ärmsten und dürftigsten Klasse der Bürger antreffen; und da kann man sich freylich bey allem heimlichen Aerger nicht des Lachens enthalten, wenn man sieht, daß der Vater einer verhungerten Familie seinen oft eben so hungrigen Anverwandten und Freunden ein Kindelmahl giebt, weil er einen neuen Brodfresser erhalten hat.

Die Kindbettvisiten sind freylich im Durchschnitte betrachtet, ungleich weniger drückend, als die Kindlmahle, weil die Weiber der gemeinern Klassen, oft 74 schon die ersten Täge nach der Niederkunft, wieder ihren Geschäften nachgehen; indessen will man bemerken, daß sich viele Bürgerfrauen auch in diesem Punkte nach dem vornehmen Tone stimmen, und gleich den schwächlichen Damen in einem niedlichen Nachthabit und schön garnirten Bette die Kindelbettvisiten annehmen; wobey aber von den geschwäzigen Besucherinnen so viel Kaffe, Schokolade, und süsse Weine weggetrunken werden, daß schon manch' ehrlicher Mann dadurch in sehr mißliche Umstände versetzet wurde.

Ich besorge aber mit gutem Grunde, daß dieser Mißbrauch nach und nach auch zu den ärmern Ständen übergehe, und daß so gar die Obstweiber, die nun täglich ihren Kaffe trinken, in kurzer Zeit ihre förmlichen Wochen halten, und gleich den übrigen bürgerlichen Damen von den andern Obstweibern zum Jammer und Wehklagen ihrer Männer die Kindelbettvisiten annehmen werden; und dann 75 werden diejenigen, die es bis itzt noch bezweifeln, die Bemerkung gleich mir wahr und richtig finden: daß gerade die am meisten verschwenden, die am wenigsten haben.

 


 

Erklärung des allegorischen Kupfers.

Der obere Theil.

  1. Ein meubelloses Zimmer, das Mangel und Dürftigkeit verräth.
  2. Die Kindelbetterin liegt im Hintergrund in einer Alkove. An ihrem Bette brennt eine kleine Lampe.
  3. Im Vordergrund steht ein gedeckter Tisch, an dem die Basen, Vettern, Taufbathen, die Hebamme und verschiedene Nachbarsleute auf Bänken und Stühlen herum sitzen.
  4. Der Vater vom Kind giebt seitwärts einer alten Magd ein Pfund Seide, die ihm zum Verarbeiten anvertrauet 76 worden, damit sie beym Wirth noch Wein und Braten auf dieses Pfand heraus nehme.
  5. Die HebammeOhne höhern Einfluß dürfte der Mißbrauch mit den Kindlmahlen nicht so leicht eingestellt werden; denn es ist bereits so weit damit gekommen, daß die Hebammen eine Schuldigkeit daraus machen, und wenn sie keinen Schmaus finden, das Geld dafür verlangen. Und welcher liebende Mann kann diesen Geschöpfen in Augenblicken, wo er ihres Beystandes so sehr bedarf, wohl etwas abschlagen?, die schon halb betrunken ist, trinkt auf die Gesundheit der Mutter und des jungen PrinzenDie Hebammen pflegen jedes Kind vom männlichen Geschlechte einen Prinzen zu nennen, wenn gleich der Papa ein Schorsteinfeger, oder ein ehrbarer Schuhflicker ist..
  6. Die übrigen Gäste stossen die Gläser an, und jauchzen laut das Vivat.
  7. Die Kindesmutter richtet sich im Bette auf, und bittet um des Himmelswillen, daß man ihr und dem armen Säugling doch einen Augenblick Ruhe gönne. 77

 

Der untere Theil.

  1. Ein prächtiges Schlafzimmer.
  2. Die Kindesmutter liegt in einem kostbaren Pavillonbette, und erzählt den im Kreis herumsitzenden Freundinnen, was sie bey ihrer Niederkunft alles ausgestanden habe, und daß es ihr der Arzt (der ein sehr galanter junger Mann wäre) und die Hebamme (die die ersten Fürstinen zu bedienen hätte) verboten habe, ihr Kind selbst zu stillen.
  3. Die Damen fallen von Zeit zu Zeit der Kindbetterin mit ihren weisen Bemerkungen in die Rede, und lassen sich Kaffe, und Schokolade schmecken.
  4. Eine schon etwas betagte Frau hat statt Kaffe eine Flasche süssen Wein auf einem kleinen Tisch vor sich stehen.
  5. Die Kindermagd fatschet an einem Seitentisch den kleinen Prinzen. Eine andere Magd reicht ihr Tücher und Windel, die sie aber vorher sorgfältig durchräuchert. 78
  6. Zwei Damen stehen neben dem Tisch und betrachten den Kleinen. Die eine findet, daß er dem Vater, wie ein Tropfen Wasser dem andern gleich sehe: die andere aber behauptet, daß er der Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten sey.
  7. Der Vater, der ein ehrlicher Kaufmann ist, steht seitwärts in einer nachdenkenden Stellung, und scheint nicht zu begreiffen, wie ein Kind dem Vater und der Mutter gleich sehen könne, wenn der Vater eine Habichtnase, die Mutter aber ein Stumpfnäschen hat. 79

 


 


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