Joseph Richter
Bildergalerie weltlicher Misbräuche
Joseph Richter

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Zweytes Kapitel.

Ueber die Trauer.

Das Kupfer im ersten Theil der Bildergalerie, wo die Wache dem Todten ins Gewehr tritt, und der Universalerb den Bart über die Augen hinaufzieht, damit ihn die Leute nicht lachen sehen, hat mich durch eine sehr natürliche Verbindung der Ideen auf den Gedanken geführt, ein Kapitel über die Trauerkleider zu schreiben.

Herr Obermayer hat die sehr unpartheyische Bemerkung gemacht, daß nicht so sehr die Habsucht der Geistlichkeit, als die lächerliche Eitelkeit der Weltmenschen die Begräbniße so kostbar und verderblich machte. Ich glaube in den 39 Trauerkleidern einen neuen Beweis dieser Wahrheit zu finden.

Nichts ist natürlicher, als daß wir um Freunde trauern, die unsern Herzen theuer waren; aber ich glaube, daß wahre Traurigkeit sich eben so wenig durch die schwarze Farbe ausdrücke, als die Freude durch rothe, und daß der Erfinder der Trauerkleider sicher ein Mann war, der besorgt gewesen, man möchte es ihm am Gesichte nicht ansehen, daß er traurte.

Weil es dann mehr frohe Wittwer, und noch fröhere Wittwen gab, die es bequem fanden, die Freude des Herzens mit einem schwarzen Flor oder Tuch zu verhüllen, so mag diese Mode bald allgemein um sich gegriffen haben; und so wie manche Christen glauben, daß die wahre Andacht in der Bewegung der Lippen, und einem Rosenkranz bestehe, so glaubte man auch, man habe dem Andenken des verstorbenen Freundes den 40 ganzen Zoll entrichtet, wenn man ein schwarzes Kleid anzog.

Daher ist auch wahre Traurigkeit und Rührung des Herzen eine so seltene Erscheinung, und daher sieht man, um mich der Ausdrücke eines unsrigen Predigers zu bedienen, die fröhlichsten Gesichter in den Trauerkleidern, und in den schwarzbehangenen Karossen. Ja, wenn besagter Prediger den Pinsel nicht zu tief in die Farbe getaucht, so sind bey vielen die Trauerkleider zum Luxus geworden, und sollen schon manche junge Damen öffentlich den Wunsch geäussert haben, daß sich doch bald wieder ein Todesfall ereignen möge, weil ihnen die schwarze Tracht so allerliebst ließe.

Doch dieser Mißbrauch hat nicht allein auf den moralischen Karakter, sondern auch auf das phisische Wohl des Bürgers einen ungünstigen Einfluß; denn er macht den niedrigern Klassen die ohnehin, bey aller Einschränkung, noch 41 immer lästige Begräbnißkosten, noch mehr anwachsen.

Daß bey dem Todfall grosser Herren, vom Universalerbe an bis zum Stalljunge, alles in Trauer gehe; daß man die Wägen mit schwarzen Tuch behängt, und nach dem letzten Willen eines verstorbenen Landjunkers sogar den Pferden und den Jagdhunden die Familientrauer anzog, läßt sich verzeihen, weil grosse Herren der Eitelkeit diesen Tribut, ohne sich wehe zu thun, bringen können, und weil man ohne diese Trauer oft nicht einmal wüßte, daß der grosse Herr gelebt habe.

So vergeben wir es auch von Herzen gern allen jungen vermöglichen Wittwen, wenn sie in niedlichen TrauerkleidernEs giebt zwar mehrere Fälle, wo junge Damen Trauerkleider anziehen, allein so wie Herr Obermayer glaubt, daß man es uns Geistlichen an der Miene erkenne, ob der Todte die Begräbnißkosten bezahlt habe, oder nicht, so läßt es sich vielleicht noch leichter aus den Gesichtszügen einer traurenden Dame abnehmen, ob ein gleichgültiger Verwandter, oder ihr geliebter Mann gestorben ist. an Oertern der Freude und 42 selbst auch öffentlichen Promenaden erscheinen; denn im Grunde ist das schwarze Kleid eine blosse Ankündigung, durch die sie allen zum heiligen Ehestande geneigten jungen Männern bekannt machen, daß sie nun zu verlassen seyen.

Wenn es gleich eine lächerliche Thorheit ist, daß bey dem Todesfalle eines französischen Königs der deutsche Accessist die Trauer anziehe, und die Töchter der Beamten schwarze Bänder in ihre Hauben flechten, so will ich es auch diesen noch durch die Finger sehen. Die Tochter des Beamten will vermög hergebrachter Gewohnheit vor den braven Bürgerstöchtern, da sie ihnen oft in so vielen 43 andern Dingen nachstellen muß, doch wenigstens das schwarze Band voraus haben, und der Accessist würde ohne Hoftrauer nicht so viel Geld in Gesellschaften verspielen können: denn einige Häuser halten so sehr auf Etiquette, daß die gnädige Frau der Schlag treffen würde, wenn während der Hoftrauer irgend ein ehrlicher Mann, der entweder kein schwarzes Kleid hat, oder es lächerlich findet, die Figur eines königlichen Anverwandten zu spielen, in einem grauen, braunen oder andern gefärbten Kleid zur Spielgesellschaft oder zum Konzert käme.

Doch so nachsichtsvoll ich gegen diese und noch mehr andere Klassen bin, so sehr möchte ich mich ärgern, wenn ich sehe, daß Väter oder Mütter, die kaum die übrigen Begräbnißkosten bestreiten können, nicht blos für sich, sondern sogar für ihre Kinder, und wie es im heiligen römischen Reiche üblich ist, 44 selbst für das ganze Hausgesind, auf Kredit Trauerkleider verfertigen lassen, und also nach der Hand mehr über den Schneiderkonto, als über den Tod ihrer Gatten oder Gattinnen zu trauern Ursache haben.

Dieser schädliche Mißbrauch ist freylich nicht so leicht aufgehoben, als sich wider ihn schreiben läßt, so wie sich überhaupt alle Mißbräuche schwer heben lassen, die ihren Grund in der Eitelkeit der Menschen und in der Rangsucht haben.

Man muß also auch hier, so wie bey manchem katholischen Mißbrauch, die Kur der alles heilenden Zeit überlassen. Die Schneider werden es endlich satt werden (wenn es gleich ein leibliches Werk der Barmherzigkeit ist) die Wittwen und Waisen ferners gratis zu kleiden; man wird es nach und nach 45 selbst thöricht finden: 100 GuldenIn einigen Ländern, und besonders im Reich, kömmt manchem mittelmäßigen Bürger die blosse Anschaffung der Trauerkleider auch auf fünf und mehrere hundert Gulden zu stehen, und doch besorge ich, daß gerade im Reich, wo man gar zu gern am alten lebt, dieser Mißbrauch am längsten fortdauren werde. für Trauerkleider auszulegen, nachdem man nur 400 Gulden Einkünfte hat; man wird sich überzeugen, daß dem Andenken des verstorbenen Freundes das dauerhafteste Denkmal nur in einem zärtlichen Herzen gesetzt werden könne; endlich wird man zwar bey den Leichebegängnissen in einem schwarzen Mantel, oder einem Trauerflor erscheinen, ohne aber sein Gesicht unter einem tüchernen Bart zu verbergen oder wohl gar mit vielen Kosten dergleichen Bärte unter die übrigen Begleiter der Leiche austheilen zu lassen, damit sie erst darunter lachen 46 oder weinen, und sich dann die Schuhe damit abputzen mögen.

 


 

Erklärung des allegorischen Kupfers.

  1. Ein grosser Saal.
  2. Verschiedene Dilektanten geben ein Konzert, und sind so wie die Zuhörer in der Hoftrauer.
  3. Die Tochter vom Hause läßt sich solo auf dem Klavier hören. Die Zuhörer klatschen, weil es so Mode ist, maschinenmässig die Hände.
  4. Auch eine junge Wittwe klatschet mit, und ist ganz Ohr: aber nicht für die schöne Musik, sondern für die schönen Worte, die ihr ein galanter Herr hinter ihrem Stuhl ins Ohr flüstert. 47
  5. Im Hintergrund stehen zween Herren, die sich das Gefrorne schmecken lassen, und den Hausherrn kritisiren.
  6. In einem Armstuhl sitzt ein dicker Herr, der sich bey dem schönen Solo an seinen Solohund erinnert, und es seinem Nachbar erzählt, daß er gestern drey Hasen Solo gefangen habe.
  7. Auf dem grossen Sopha sitzen zwo Damen die sich, weil sie nahe Blutsverwandte sind, den Rücken zeigen.
  8. Die Frau Baronesse fällt in Ohnmacht, weil sie unter den Zuhörern einen Herrn erblickt, der nicht in Hoftrauer ist.
  9. Der Hausfreund hält der Frau vom Haus den Flakon unter die Nase, und winkt dem Herrn im bunten Kleid, sich zu entfernen. 48

 


 


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