Joseph Richter
Bildergalerie weltlicher Misbräuche
Joseph Richter

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Neuntes Kapitel.

Ueber Komplimente.

Es existirt wohl schwerlich eine Nation auf dieser lieben Gottes Welt, die nicht eine gewisse Art von Komplimenten unter sich eingeführet hätte; ja wenn wir recht aufmerksam auf die Handlungen der unvernünftigen Thiere seyn wollen, so werden wir finden, daß auch diese ein gewisses Ceremoniel unter sich beobachten; denn es begegnet nicht leicht ein kleiner Hund einem grossen, ohne mit tiefer Verehrung den Schweif an sich zu ziehen, und sich, so viel nur möglich, an die Wand zu halten.Man sieht wohl, daß sich die Hunde viel weniger als meine lieben Landsleute auf Etiquet verstehen, sonst würden sie aus dem französischen Komplimentbüchlein sich die Regel gemerkt haben, daß man denjenigen, die mehr als wir sind, jederzeit beym Kompliment den Weg an der Wand lassen müsse, damit sie um so leichter über Holzstöcke und Steine wegfallen mögen.

Freylich scheint so ein Kompliment mehr eine Folge von der Furcht 123 gebiessen zu werden, als von wahrer Verehrung zu seyn; wer steht mir aber gut dafür, ob nicht auch manche Menschen sich blos deswegen so tief vor diesem oder jenem Großen bücken, weil sie gleich den kleinen Hunden das Beissen fürchten?

Doch die Menschen mögen bey ihren Komplimenten was immer für Beweggründe haben, so hat nun einmal diese Gewohnheit im ganzen Menschengeschlecht so tiefe Wurzel geschlagen, daß es ein lächerliches Wagstück von mir wäre, wenn ich sie auszureuten auch nur die Miene machte.

Ich werde mich also blos begnügen über ein und andere Unart deutscher, oder wenigstens nach Deutschland 124 verpflanzter Komplimente, gleich dem Herrn Obermayer, eine ebenfalls brüderliche Erinnerung zu machen.

Unsre liebe Vorfahren kannten in ihrem Gruß den ganzen aus Frankreich gekommenen Tross von gehorsamen, ergebensten, und allerunterthänigsten Dienern und Knechten nicht, und ich glaube immer, sie würden denjenigen wie einen Knecht behandelt haben, der die Unverschämtheit gehabt hätte, sich, ohne es zu seyn, ihren Knecht zu nennen. Dafür aber waren sie, ohne mit ihrer Dienerschaft zu pralen, wahre Diener ihrer Freunde, und es war gewiß von dem alten, Gott grüß dich, im Notfall leichter ein schönes Stück geld zu erhalten, als von einem itzigen très obèissant serviteurIch hoffe doch nicht, daß Herr Obermayer, oder sonst seines gleichen den Muthwillen haben werden, unter diese Serviteurs auch viele hochwürdige Herren zu zählen, die sich gehorsame und unterthänige Diener nennen, und vielleicht noch weniger als die weltlichen einen Dienst leisten. Beym heiligen Franziskus, ich wüßte auf dergleichen Vorwürfe nicht gleich zu antworten. einen Trunk Wasser. 125

So wußten auch unsere redlichen Vorfahren gewiß von den tiefen Bücklingen und Krazfüssen nicht. Zu leztern waren ihre nervigte markvollen Beine nicht lenksam genug; vielleicht mögen sie es auch für lächerlich gehalten haben, mitten im Gehen eine Minuere anzufangen; Die Bücklinge aber konnten vielleicht deßwegen nicht ihren Beyfall finden, weil sie bey ihrem Gefühl von Redlichkeit kein Bedenken trugen, einem jeden gerade zu ins Auge zu sehen, und also bey ihrer biedern Denkart nicht nöthig hatten, gleich vielen itzigen gehorsamen Dienern das böse Gewissen, oder Schadenfreude und hämisches Lächeln mit einem tiefen Bücklinge zu verstecken. 126

Man würde es sehr lächerlich finden, wenn Jemand, um dem Großen seine Ehrfurcht, oder dem Freund seine Liebe zu bezeugen, den Schuh abzöge; aber keinem will es auffallen, daß es gewiß eben so lächerlich sey, im Schneegestöber das an die Bedeckung gewöhnte Haupt zu entblössen, und sich für ein Kompliment den Schnuppen zu holen; die Türken wenigstens und viele andere Völker, die wir Barbaren nennen, wissen von diesem barbarischen Gebrauche nichts.

Da der Anfang der HüteMan hielt die Hüte damal für eine solche Eitelkeit, daß der Erzbischof von Paris allen Priestern Befehl ertheilte, mit der heiligen Messe inne zu halten, wenn ein Geistlicher mit einem Hut in der Kirche erscheinen würde. Karl der 5te trug einen kleinen mit Sammet überzogenen Hut, den er, als es 1547 bey der Musterung seiner Armee regnete, abzog, damit er nicht naß wurde. nicht über die Regierung Karl des 6ten Königs in Frankreich hinauf steigt, so ließ sich wohl auch der Ursprung vom Hutabziehen entdecken. 127

Vielleicht wollte man den Grossen bloß das Kompliment machen, daß die Köpfe ihnen zu Diensten stünden, vielleicht ihnen auch die Erinnerung geben, daß man ebenfalls seinen eigenen Kopf habe. Bis also die weltberühmte AkademieMan wird sich vielleicht wundern, wie mir als einem Exkapuziner auch nur die Existenz dieser gelehrten Akademie bekannt seyn könne; allein diese Verwunderung wird verschwinden, wenn man sich an die Preisfrage erinnert, die die Glieder dieser berühmten Gesellschaft vor einigen Jahren aufgaben, und die im Grunde nichts anders sagen wollte, als: ob es rathsamer sey die Menschen aufzuklären, oder sie im Irrthum zu erhalten? So eine Aufgabe mußte natürlich in dem Kopf eines jeden Ordensgeistlichen Gährung machen, und billig das Erstaunen erregen, wie man noch eine Frage aufwerfen könne, die wir schon vorlängst entschieden zu haben glaubten – Unsre größte Verwunderung aber war, wie so eine Frage von Berlin kommen konnte? der schönen Wissenschaften in Berlin nicht den Ausspruch gethan hat: ob man aus der ersten oder zweyten Ursache den Hut vor den Grossen abziehe, mögen meine Landsleute immerhin diese 128 Gewohnheit beybehalten; nur wünschte ich, daß sie dabey gegen ihre Freunde eine Ausnahme machten, wenn sie anders nicht die Absicht haben, die grauen Haare herzuweisen, die Kummer und Sorgen leider manchem braven Manne vor der Zeit die Scheitel decken.

Als Seine päbstliche Heiligkeit Pius der 6te Deutschland mit seiner Gegenwart beglückte, spotteten gewisse freydenkende Herren über die andächtigen Damen, die mit einer Art von Entzückung sich zum Vater der Gläubigen hinzudrangen, und seinem geweihten Pantoffel den wärmsten Kuß aufdrückten.

Nun muß ich zwar eingestehen daß ich dieses häuffige PantoffeküsssenIn einer gewissen Stadt, die sich aber nicht wohl errathen läßt, war man nicht damit zufrieden dem heiligsten Vater den Pantoffel am Fuße geküsset zu haben, sondern ließ es sich wohl auch noch hübsches Geld kosten, um so einen getragenen Pantoffel zu bekommen. selbst nicht billigte; denn erstens 129 ist so etwas zur Seligkeit nicht nothwendig, und dann war es bey einem guten Theil der Damen gewiß mehr Neugierde als Verehrung; indessen scheint mir ein Kuß auf einen Pantoffel, der noch zum Ueberfluß mit einem (freylich nicht am schicklichsten angebrachten) Kreuze versehen ist, bey weitem nicht so lächerlich, als die Ceremonienküsse, die gerade die Spötter des Pantoffelkusses den Händen der Damen, die nichts weniger als geweiht sind, bey jeder Gelegenheit ohne Unterschied geben.

Unsre braven Voreltern wußten von diesem Huldigungsakte nichts; aber eben, weil sie den Weibern nicht huldigten, blieben sie Herren im Haus. Ich habe aber noch einen andern Grund vor mir, warum ich die Ablegung dieses Ceremoniels wünschte.

Die Damen sind, wie alle Kenner behaupten, sehr reizbare Geschöpfe; es erfordert also die Klugheit der Männer, 130 daß sie dieser Reizbarkeit nicht zu viele Nahrung geben. Nichts soll aber ihre weichgeschaffenen Nerven leichter in Erschütterung bringen, und ihre sanften Seelen mehr zum Zorn reizen, als der Vorzug, den diese oder jene Dame vor ihnen erhält, und so können die Handküsse nicht anders als grosse Verwüstungen in dem weiblichen Nervensystem anrichten.

Die betagte Dame glaubt, daß ihr dieser Tribut wegen ihrem Alter am ersten gebühre; die Reiche fordert ihn ihres Reichthums wegen, und die Schöne – wegen ihrer Schönheit. Es ist aber unmöglich, daß ein Mann (er sey selbst ein Ceremonienmeister) in diesem Punkte zugleich der alten, der reichen und der schönen Dame genug thun könne.

In Gesellschaften von dem so genannten alten Adel kommen die Handküsse so ziemlich ausser Mode, und so 131 habe ich gute Hoffnung, daß auch der Halbadel einmal einem guten Beyspiel folgen werde, besonders wenn er bedenkt, daß man in Frankreich keine Hand küßt.

Als ein Kapuziner soll ich wohl noch eine andere schädliche Folge des Handküssens rügen. Wie leicht lassen sich bey dieser Gelegenheit Liebesbriefchen in die Hand drücken, oder sich durch einen blossen Fingerdruck andere Verabredungen trefen? Ja unser Pater Prediger behauptet sogar, daß die blosse Berührung einer WeiberhandIch sehe Herrn Obermayer, als wenn er vor mir stünde, wie er bey dieser Stelle seinen Mund in ein boshaftes Lächeln zieht, und vielleicht wohl laut die Frage thut: warum dann wir Geistliche, wenn die Berührung einer weiblichen Hand der Unschuld des Herzens so gefährlich ist, uns so gern von weiblichen Händen berühren lassen, und dem andächtigen Geschlecht nach der Beicht, oder auch, wann wir vom Predigtstuhl kommen, gleich den regierenden Herren oft beyde Hände zum Küssen vorhalten? Diese bedenkliche Frage betrift zwar mehr die gottseligen Jesuiten, als uns Kapuziner; denn diese hatten die fromme Gewohnheit ihre sämmtliche Zuhörerinnen nach einer trostreichen Anrede zum Handkuß zu lassen; indessen läßt sich doch darauf antworten, und ich weiß, daß Herr Obermayer, wenn er wüßte, was eine geweihte Hand sagen will, diese Frage nie gethan hätte. die Unschuld der Seele 132 tödte; allein das hieß vom schönen gutherzigen Geschlechte und von Weiberhänden zu arg gedacht.

Dies wäre nun so eine freundschaftliche Erinnerung über die Komplimente der Männer gewesen. Ueber die Komplimente der Weiber läßt sich sehr wenig sagen; denn sie sind mehr gewöhnet, sie anzunehmen, als solche zu machen; daher sind sie in ihrem Betragen gegen die Männer ganz zwanglos; lassen sich Geschenke geben, spazieren fahren, spielen ihnen das Geld ab, ohne Komplimente zu machen, und so kömmt es dann auch, daß die meisten Frauen ohne alle Komplimente über die Börse ihrer Männer disponiren. 133

Unter sich sind sie freylich voll Ceremonien; machen tiefe Bücklinge, nennen sich ebenfalls gehorsame, ergebenste und unterthänigste Dienerinnen, küssen sich, als wenn sie in einander verliebt wären, fast nach jedem dritten Wort; aber im Grunde sind sie klüger als die MännerEs giebt wirklich noch viele gutherzige Männer, die sich durch Komplimente hintergehen lassen, und noch nicht die Wahrheit einsehen lernen, daß ein gehorsamer Diener aus dem Munde eines Grossen eben so viel heißt als: das Begehren findet keine Statt.; denn sie wissen es zu gut, daß es nur blosse Komplimente sind, und daher traut keine der andern.

Das Ceremoniel, oder vielmehr die Komplimente, die sich die Grossen durch ihre Gesandte machen lassen, gäben wohl auch zu verschiedenen Bemerkungen Anlaß. So wird es wohl manchen, und vielleicht den grossen Herren selbst, aufgefallen seyn, daß Leute, die das Gesicht vorne tragen, mit dem Rücken zur 134 Thüre hinaus gehen; oder daß man diesem oder jenem, der uns mit einem Besuch beehren will, bis an die Treppe, oder wohl gar bis an die Karrosse entgegen gehen müsse; allein diese Misbräuche sind viel zu heilig und vornehm, als daß sich ein unbedeutender Exkapuziner daran wagen sollte.

Ich schliesse also dieses Kapitel in der Zuversicht, Herr Obermayer werde nun eingestehen müssen, daß an den Komplimenten der Layen das Herz eben so wenig Antheil habe, als an dem Kompliment, das die Ordensgeistliche täglich dem lieben Herr Gott mit ihremIch habe mir Wahrheitsliebe zur Pflicht gemacht; deswegen trage ich kein Bedenken, öffentlich zu bekennen, daß unsre nach Stunden ausgemessene Chorsängerey, wenigstens bey dem größten Theil der Ordensleute, unmöglich etwas anders seyn könne, als ein Kompliment. Chor machen. 135

 


 

Erklärung des allegorischen Kupfers.

  1. Ein Zimmer mit sehr einfachen Meublen.
  2. Ein Vater, den ein jugendlicher Fehltritt um Vermögen und Ehre gebracht hat, sitzt mit gegen Himmel empor gerichteten Augen an seinem Schreibtisch. Thränen des Kummers rollen seine Wangen herab.
  3. Seine Gemahlinn liegt in einer Seitenalkove krank zu Bette.
  4. Auf dem Schreibtische des Vaters liegen verschiedene Billets von ergebensten, unterthänigsten Dienern, die alle herzlich bedauren, daß sie ihrem liebsten besten Freund diesmal nicht dienen können.
  5. Zwey kleine Knaben spielen auf dem Boden mit einem Stück Papier, das ein Brief ist, worinn ein ganz gehorsamer Diener ihrem Vater wegen einer Schuldforderung mit dem Arrest drohet. 136
  6. Der Hausherr kömmt zur Thüre herein, und bedeutet dem ohnehin gekränkten Vater unter tiefen Komplimenten, und vielen Entschuldigungen, daß er gezwungen sey, ihm das Zimmer sperren zu lassen, wenn er bis morgen die Miethe nicht bezahlen werde. 137

 


 


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