Joseph Richter
Bildergalerie weltlicher Misbräuche
Joseph Richter

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Siebentes Kapitel.

Ueber Titulaturen.

Unter den verschiedenen Maßstäben, nach denen man die Schritte berechnet, die diese oder jene Nation in der Aufklärung vor sich hingethan hat, sollten meines Erachtens wohl auch die Titulaturen ihren Platz finden.

Römer und Griechen kannten diese barbarischen Gepränge nicht, und Frankreich hat sie längst aus seiner Sprache verbannt; nur wir Deutsche wollen uns von diesem Titeletiquette nicht losreissen, und so geben wir klar zu verstehen, daß wir in der wahren Aufklärung noch nicht so weit vorgerückt sind, als wir glauben. 94

Unsre Titulaturen sind aber nicht nur äusserst überladen, sondern zum guten Theil auch übel anpassend und lächerlich, und tragen also, ohne daß wir weiter ihrem Ursprunge nachforschen dürfen, den Namen ihres Erfinders, des dummen Stolzes an ihrer Stirne.

Ich will nur die Titulaturen anführen, die im Briefstil üblich sind. Der niedrigste Titel, der mir bekannt ist, und den sich sogar die Herren Schneider und Schustermeister wechselweise in ihren Zuschriften geben, ist wohledler Herr. Nun glaub ich zwar gern, daß mancher Schneider und Schuster der Denkart nach ein edler Herr sein könne, da aber dieser Titel sich nicht auf den innerlichen Karakter sondern auf den äusserlichen bezieht, so ist der wohledle Herr hier sehr übel angebracht; denn wie kann derjenige wohl edel seyn, der nicht einmal edel ist. 95

Nach dem wohledeln Herrn kömmt der Hochedle. Dieser Titel ist vorzüglich unter den Herren Kaufleuten üblich. Nach seiner Herleitung soll er nur gegen Leute von hohen Adel gebraucht werden: denn nur diese sind Hochedel; daher mögen sich wohl unsere Nachkömmlinge wundern, wenn sie vielleicht in einem aus unsern Zeiten übrig gebliebenen Handlungsbrief lesen, daß der eine hochedle Herr dem andern hochedlen Herrn eine Kommission auf Häringe, Sardellen und StockfischeHerr Obermayer hat bey Gelegenheit, als er von unserm heiligen Orden sprach, der Stockfische wegen eine sehr zweydeutige Bemerkung gemacht, die ich ihm aber, weil er es vielleicht nicht so übel meinte, herzlich gern verzeihe. gegeben hat.

Hochedelgebohrne Herrn sind Aerzte, Advokaten, Professoren, Gelehrte und Künstler, ein Titel dessen Lächerlichkeit nie mehr auffällt, als wenn man 96 sich in dem hochedelgebohrnen Herrn einen Gelehrten denkt, der in einem Dachstübchen wohnt.

Die Ritter des heil. röm. Reichs, so auch die Reichsfreyherrn, und andere Personen von Karakter, z. B. Hofräthe, geheime Sekretäre und dergleichen heissen wohlgebohrne Herren, wenn sie gleich krumm oder buklicht zur Welt gekommen, und also im Grunde übel gebohrne Herren sind.

Die Grafen sind hoch- und wohlgebohrne Herren zugleich. Vielleicht schreibt sich erstere Benennung aus den Zeiten her, wo sie ihre Raubschlösser auf hohen Bergen hatten, und die niedrig gebohrne Kaufleute, wenn sie auf die Messe giengen, standesmässig plünderten Durchlauchtige Herren sind endlich die Fürsten des heil. röm. Reichs.

Man hat sich aber nicht begnüget, diese albernen Titulaturen blos in den Briefstil einzuführen, sondern hat sogar 97 die Sprache des Umgangs damit beladen, und es giebt wohl auch, besonders in der Schweiz, einige Städte, wo sich die Bürger, die doch nichts auf Adel halten, in ihren Trinkstuben Euer Hochedel und Euer Hochedelgebohren nennen.

Wenn die Menschen dieses Titelgepränge blos für das, was es ist, nämlich für einen Schall unbedeutender Worte hielten, so stünde dieser Misbrauch gewis nicht in der Bildergalerie weltlicher Misbräuche, so aber sehen es viele wohl und hochgebohrne Herren für einen wesentlichen Theil ihrer Grösse an, und sind äusserst empfindlich, wenn man ihnen etwas davon benehmen will; und so hat oft der blosse Titel in einer Bittschrift das Glück oder Unglück eines ehrlichen Mannes gemacht.

Nicht also blos, weil sie ein Uiberbleibsel der Barbarey sind, sondern weil sie auch wirklich nachtheilige Folgen haben können, wünschte ich, daß sie zur 98 Ehre der Nation und der Menschheit aus dem Geschäftstil und der Sprache des Umgangs verbannet würden.

Die Sache soll nach meiner Ansicht so schwer nicht halten, besonders wenn die Grossen den Anfang machen. Haben sie, ohne von ihrer Hochheit zu verlieren, die spanischen Perücken und Mantelkleider ablegen können, so dürften sie sich wohl auch unbeschadet von den gothischen Titulaturen los machen.

Sr. Majestät der Kaiser haben, was ihre Person betrift, sich alle überflüssigen Titeln verbeten. Ich zweifle auch gar nicht, daß so ein Beyspiel Nachahmer finden werde, um so mehr, wenn einige Herren und Damen es sich zu Gemüth führen wollen, daß die Titulaturen aus dem beliebten Frankreich (bald hätte ich gesagt, so wie die Jesuiten) vertrieben worden.

Damit man mir nicht vorwerfe, daß ich einen Sprung von der Natur 99 verlange, so wünschte ich wenigstens, zum ersten Schritte, eine Reformation und eine vernünftigere Anpassung dieser Titulaturen. So sollte zum Beyspiel der Beysatz Edel nur den wirklich Adelichen der letzten Klasse gegeben werden. Wohledler wäre für die zweyte Klasse, und hochedler Herr endlich für den ersten Rang: ohne mir also den Kopf zu zerbrechen weiß ich, daß ein Reichsritter ein edler Herr, ein Baron und Graf ein wohledler und ein Fürst ein Hochedler Herr ist, und darf also nicht besorgen, wegen Ubersehung der gebührenden Titulatur bey dieser oder jener Beförderung ebenfalls übersehen zu werden.

Was nun die Gelehrten, Künstler, Kaufleute, und (die ich aus Versehen zu letzt anführe) die Beamten betrift, so mögen sie sich, wenn ihnen das blosse: mein Herr, zu wenig scheint, eines angemessenen Beysatzes bedienen. Ein gelehrter könnte also ein gelehrter Herr, 100 der Künstler, ein geschickter Herr, der Kaufmann, ein spekulativer Herr, und der Beamte ein feiner Herr heissen; für einen guten Theil der Handwerker würde es aber nicht übel lassen, wenn sie sich des altdeutschen Ausdruckes: Fester Herr, bedienten; und so wäre der Entwurf zu einem neuen Titulatursistem fertig.

Da ich nun schon einmal die kleine Thorheit begieng, und mich von der Reformationssucht anstecken ließ, so will ich mich, bevor ich dieses Kapitel schliesse, auch noch etwas im weiblichen Gebiete umsehen, und da muß mir freylich der Titel Euer Gnaden am ersten in die Augen fallen: denn er ist nicht nur ein Schandfleck für die deutsche Sprache, sondern auch in vielen Fällen ein Satire auf die DameEs lassen sich zwar auch die Männer Euer Gnaden nennen; sie haben diesen Titel aber nur von den Weibern entlehnt; denn im Grunde ist doch nur das weibliche Geschlecht: das Gnädige Geschlecht. die ihn bekömmt. 101

Die Benennung Gnädige Frau ist mehr deutsch, und passet wirklich auf viele Damen; indessen mußte ich immer bey mir lachen, so oft ich eine unbarmherzige zanksüchtige Dame eine gnädige Frau nennen hörte.

Ich weiß, daß viele Herren Autoren den Titel, Frau von, lächerlich zu machen suchten; allein hierin bin ich ganz und gar nicht ihrer Meinung; denn ich lobe vielmehr diese Benennung, und wünsche von Herzen, daß die Frau von X – ja die Frau von X – und folglich die Frau von ihrem Manne seyn, und heissen möge.

Wenn aber das schönere Geschlecht auch immer das folgsamere Geschlecht wäre, so hätte ich eine viel wichtigere Vorstellung an dasselbe zu thun. 102

Es hat sich seit geraumer Zeit der Misbrauch unter den löblichen Frauen eingeschlichen, daß sie sich den Karakter oder wenigstens die Benennung von dem Karakter ihrer Männer beylegen. So nennt sich die Frau des Hofraths, Frau Hofräthinn, jene des Einnehmers, Frau Einnehmerinn; im Reich giebt es wohl sogar, Professorinnen, Sekretärinnen, und Mauthbeschauerinnen.

Alle diese Benennungen sind zwar an sich unschuldig, und wenn ich die Damen bitte, solche abzulegen, so geschieht es nicht, weil ich vermuthe, daß etwan einige von ihnen diesen Titel nicht umsonst tragen wollten, und nach und nach gesucht hätten, wirklich zu werden, was sie hiessen, sondern weil ich überhaupt befürchte, daß die Ehre ihrer Männer und ihre eigene darunter leide: denn nicht Jedermann denkt so gut von ihnen, als ich, und es giebt leider böse Leute, die es nicht blos vermuthen, sondern 103 wohl auch laut sagen, daß manche Frau Hofräthinn wirklich Hofräthinn, und die Frau Einnehmerinn im buchstäblichen Verstand eine Einnehmerinn gewesen sey.

Wenn sie mir in diesem Punkte meine Bitte gewähren (und als einem Exkapuziner sollen sie mir so etwas kaum versagen) so will ich ihnen gern alle ihre übrigen Titulaturen gönnen.

Noch liegt das Gebiet geistlicher Titulaturen vor mir; allein mir geziemt es nicht die wohlehrwürdigen, Hochwürdigen, in Gott Geistlichen, Hochwürdigsten und Gnädigen Herren lächerlich zu machen; denn ich erinnere mich immer an das alte Sprichwort; jeder Vogel soll sein Nest sauber halten. 104

 


 

Erklärung des allegorischen Kupfers.

  1. Ein grosses Vorzimmer.
  2. Ein hochgebohrner Herr wirft einem hochedelgebohrnen Gelehrten, der um einen Dienst anhielt, die Bittschrift vor die Füsse, weil er ihn darin blos Herr Graf hieß.
  3. Statt des hochedelgebohrnen Herrn erhält ein wohledler Handlungsdiener den Dienst, weil er in der Titulatur jedes unbedeutende Dorf angeführet, das schon vorlängst den Gläubigern des Herr Grafen gehört. Der wohledle Herr küßt dem Hochgebohrnen den Schlafrock.
  4. Seitwärts steht ein hochedler Kaufmann und ein wohledler Schneidermeister. Beyde haben bereits das ganze Titelregister erschöpft, und sogar neue Titel erfunden, ohne aber einen Kreuzer durch diesen Kunstgrif zu erhalten.
  5. Der Kammerdiener heisset einen wohlgebohrnen bucklichten Herrn in das Nebenzimmer treten. 105
  6. Ein Schreiner, der sich gar nicht auf Titulaturen versteht, und die Grille hat, daß ein arbeitsamer Bürger dem Staat nützlicher sey, als ein hochgebohrner Müssiggänger, will mit Gewalt zur Thüre eindringen.
  7. Die Bedienten drücken den wohledlen Herrn hinaus. 106

 


 


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