Joseph Richter
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Joseph Richter

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Zwölftes Kapitel.

Ueber Apothecken.

Wir leben in einem Jahrhundert, wo man Dinge sagt und schreibt, die sich unsre Vorfahren kaum zu denken getrauet hätten. Man begnügt sich nicht damit, die von Sr. unfehlbaren päbstlichen Heiligkeit zum besten der Kirche nach und nach errichtete heilige Orden für unnütz und schädlich zu erklären, sondern wirft nun wohl auch die ärgerliche Frage auf: ob denn die Geistlichkeit überhaupt so unentbehrlich zur Aufrechthaltung der Religion, und zum Wohl des Staates sey, 167 als man vorgiebt?

Die Herren, die diese Fragen thun, waren sehr erfindungsreich, alle die Uebel zu berechnen, die durch die Geistlichkeit angerichtet, und so gar das Blut in Anschlag zu bringen, das durch Priester vergossen worden. Aus diesem allen schliessen sie nun, daß es vielleicht besser um die Menschheit stünde, wann die liebe Geistlichkeit gar nicht existirte, und jeder Hausvater wieder, wie es in den ersten Jahrhunderten der Christenheit war, mit der Würde des Familienoberhauptes zugleich die Würde des Priesters verbände.

Hat man nun einmal so nachtheilige Gesinnungen von den Seelenärzten, so dürfen sich die Arzte des Körpers wohl keine bessere versprechen, und so giebt es Leute, die es geradezu heraussagen, daß die ganze Arzneykunst mehr Menschen hinweggeraffet habe, als die Pest, und daß ihr ganzer Nutzen dieser sey, daß sie hie und da eine Krankheit heile, die sie verursachet hatte. 168

Die HerrenUnter diese Herren gehörte vorzüglich der schon mehrmal angeführte Herr Rousseau; allein dafür wurde er auch, wie er es verdiente, von der beleidigten Geistlichkeit und den Aerzten bis an das Ende seines Lebens verfolgt, und mußte zur Belohnung seines Frevels ohne alle geistliche und weltliche Arzneymittel zur Welt hinaus wandern., die dies behaupten, sind auch hier nicht ganz leer an Scheingründen. Ihre Hauptstütze ist die Unzuverläßlichkeit dieser Wissenschaft: Man soll es versuchen, sagen sie, und zu einem Kranken hundert verschiedene Arzte ruffen, und man werde finden, daß jeder von ihnen die Krankheit anders nenne, und daß jeder andere Medizin verschreibe. Ferners führen sie den Umstand an, daß die Herren Aerzte selbst das größte Mistrauen in ihre Kunst setzen, und in ihren Krankheiten, wenigstens so lang sie bey gesunder Vernunft sind, nicht leicht eine Arzney zu sich nehmen, sondern alles der lieben Mutter Natur überlassen. Ihr letzter Grund endlich ist, daß mit der 169 Entstehung dieser Kunst ein Heer von Krankheiten sich über das Menschengeschlecht gezogen habe, von denen die Vorwelt nichts wußte.

Nun läßt es sich zwar nicht läugnen, daß wirklich noch itzt manche Nation existirt, die diese edle Kunst nicht einmal dem Namen nach kennt, und doch ihre Täge gesund bis in das späteste Alter hinlebtIch habe nicht nöthig in den Reisebeschreibern nach amerikanischen Völkern nachzusuchen, da mir Europa ein Volk anbietet, daß ohne Arzneykunst sehr alt wird. Dieses Volk sind die Zigeuner. Abgerechnet, daß sie von Blattern und Maßern eben so gut als andere Menschen, jedoch mit ungleich geringerer Gefahr des Todes heimgesucht werden, und etwan noch bey manchem die Augenkrankheiten ausgenommen, die der Rauch in ihren Hütten verursachet, so wandelt sie ihr ganzes Leben hindurch nichts an, bis zur Zeit, da die Natur das Ihrige zurückfordert und ihre Maschine auf ewig stockt. Ihre Liebe zum Leben ist unbeschreiblich; gleichwohl sind die Beyspiele fast unerhört, daß einer bey seiner noch so gefährlichen Krankheit einen Arzt, und ordentlich bereitete Mittel gebrauchte. Alles lassen sie auf die Natur und gutes Glück ankommen. Merkt aber der Kranke, daß es schlimmer mit ihm wird, und der allgemeine Feind des Lebens wirklich Ernst machen will; nun so bricht er in Aechzen und Wehklagen aus, bis er endlich auf seinem gewöhnlichen Lager, unter einem Baum, oder Zelte, oder in seiner düstern Hütte, seinen Geist völlig aufgiebt. S. Grellmanns histor. Versuch über die Zigeuner. so wie in dem heidnischen Amerika 170 von den glaubwürdigen Missionarien mehr als eine Völkerschaft angetroffen wurde, die, ohne Licht des Glaubens, und ohne alle Geistlichkeit, die schönsten Handlungen der Grosmuth, der Gastfreyheit, und der Nächstenliebe ausübet.

Allein diese einzelne Beyspiele beweisen eben so wenig etwas als die Scheingründe der Modephilosophen wider die geistliche und weltliche Arzneykunst, und so lang die Stimme des Volkes, die wie das Sprichwort sagt, dieDises Sprichwort hat zwar seit einiger Zeit gleich mehr andern Sprichwörtern von seinem Werth verloren, und wollten es viele schon gar nicht glauben, daß die Stimme des Volkes, die Stimme Gottes seyn könne, daher sagen sie vox populi vox diaboli, und entschuldigen sich damit, daß die Wahrheit nur immer ein Antheil des kleinern Theils der Menschen sey; der grosse nämlich das Volk, aber nie wisse, was gut oder böse wäre. Stimme Gottes ist, zu unserm 171 Vortheil entscheidet, können sowohl die Herrn Mediziner als wir Geistliche bey den satirischen Ausfällen dieser starken Geister ganz ruhig bleiben.

Wenn diese Herren Recht hätten, würde wohl der größte Theil der Menschen, denen man doch unmöglich die Gabe der Vernunft abstreiten kann, in den unbedeutendsten Seelenkrankheiten an ihren geistlichen Arzt, und bey körperlichen Gebrechen an ihren Leibmedikus sich wenden?

Was mich aber vollends von der Nothwendigkeit unsers Daseyns und der Treflichkeit unsrer Kunst überzeugt, ist, daß selbst unsre größten Feinde bey einem Anfall von hitzigen Fieber ihre Zuflucht zum Medikus nehmen; die eckelhaftesten Speisen der lateinischen Küche, die bey gesunden Tagen so oft eine Scheibe für ihre Wizpfeile abgeben mußten, hinabschlucken, und sich im Paroxismus mit gleicher Bereitwilligkeit die heilsamen 172 Arzneymittel aus der geistlichen Apothecke verschreiben lassen.

So anschauend ich aber nun auch die Unentbehrlichkeit der Leib- und Seelenärzte bewiesen habe, so muß ich doch aus Liebe zur Wahrheit eingestehen, daß Herr Obermayer nicht so ganz Unrecht hatte, wenn er behauptet, daß die Apothecke der Seelenarzneyen eine Reforme bedürfe, und daß aus UngeschicklichkeitWer es nicht erfahren hat, kann sich keine Idee machen, was das sagen wolle, durch vier bis fünf Stunden im Beichtstuhl hinsitzen, und einige hundert Pazienten abfertigen. Der Kopf wird einem am Ende so voll, daß man kaum mehr steht und hört, und so muß es dann geschehen, daß man in der Verwirrung nach einer unrechten Arzney langt, und einen Pazienten, den sanftmüthige Verstellungen auf den Weg der Besserung geführet hätten, durch Scheltworte und Verdammen nur noch verstockter mache. des geistlichen Arztes oft sehr unwirksame, manchmal auch ganz entgegen gesetzte Mittel verschrieben werden.

Von dem Zustand der weltlichen Apothecken läßt sich freylich so etwas nicht so 173 unbedingt sagen, da sie einer strengen Untersuchung ausgesetzt sind; indessen glaube ich doch immer, daß die Menschheit nichts dabey verlieren würde, wenn man, da man nun schon einmal im Reformiren ist, einen guten Theil der Medizintiegel zu Exmedizintiegeln machte.

Die aufgeklärtern Aerzte verschreiben ohnehin sehr wenig mehr aus der Apothecke, sondern suchen der Natur gemeiniglich dadurch zu Hilfe zu kommen, daß sie den Pazienten auf eine vernünftige Diät setzen; oder wenn sie doch Arzneyen verschreiben, so geschieht es oft blos, um das Gemüth des Kranken, der nun einmal von der Arzney seine Genesung erwartet, zu beruhigen.

Alle Herrn Aerzte sind freylich nicht aufgeklärt, und daher bauen noch viele von ihnen mehr auf die Apothecke als auf die Kräften der Natur. Sie begnügen sich nicht, den ohnehin geschwächten Magen ihrer Pazienten mit eckelhaften 174 einfachen Arzneymitteln noch mehr zu schwäche, sondern überladen ihn wohl auch, weil die Krankheit zusammengesetzt ist mit so viel zusammengesetzten Arzneyen, daß der kranke Körper durch lauter zusammensetzung endlich aufgelöset wird.

Die Herren Apothecker fühlen das Lächerliche dieser Recepte am besten, und werden oft in ihrem Herzen den Pazienten bedauern, dem sein Arzt so ein medizinisches Ragout verschreibt, das aus stärkenden und abführenden; zertheilenden und zusammziehenden; kühlenden und hizenden; süssen und sauern, kurz aus lauter sich entgegen wirkenden Ingredienzen besteht; indessen wäre es Unklugheit von ihrer Seite dem Pazienten diese Speisen abzurathen, da sie bey dieser Gelegenheit auf so gute Art und um so theures Geld ihrer Eyerschalen, Pfirschekörne, Wurzel und Baumrinden los werden. 175

Die Reducktion der Medizintiegel wird also bey solchen Umständen schwerlich ein Werk der Herren Apothecker seyn können, und werden wir sie, um mich mit Herrn Obermayer auszudrücken, wohl abermal von der alles heilenden Zeit erwarten müssen; denn gleichwie der Staat die Vorsicht trift, daß das Seelenheil seiner Bürger in Zukunft nur aufgeklärten Priestern anvertrauet werde, so sorgt er auch für einen Nachwuchs von geschickten, menschenfreundlichen und helldenkenden Aerzten.

Wenn aber einmal die blinden Verehrer der Arzneyen zu komponiren aufgehört, und Eskulaps Söhne mit der Mutter Natur nicht mehr im Kriege seyn werden, so ist nicht zu zweifeln, daß ein guter Theil der Arzneytiegel von selbst verschwinde, die gewiß auf die göttliche Heilkunst ein eben so nachtheiliges Licht werfen, als die gehäuften Gesetze auf die Verfassung eines Landes. 176

Durch diese Herabsetzung des Arzneystatus werden zwar die Herren Apothecker von der einen Seite verlieren, allein sie gewinnen es wieder von der andern, indem sie nicht mehr nöthig haben werden, für die Armee ihrer Medizintiegel so prächtige und ungeheure Kasernen zu miethen, und so kostbare Pillenfabricken anzulegen. Niemand wird aber besser bey dieser Reducktion fahren, als die armen Pazienten, die, statt der Ehre methodisch zu sterben, dann wieder öfter das Glück haben werden ohne alle Methode zu genesen.

 


 

Erklärung des allegorischen Kupfers.

  1. Eine grosse Apothecke, die von oben bis unten mit Medizintiegeln und Büchsen angefüllet ist. In der Mitte hängen zween grosse Luster. Im Hintergrund ist in 177 einer Nitsche ein Brunnen angebracht, aus dem lebendiges Wasser quillt.
  2. Dem Haupteingange über steht das Porträt des Landesfürsten en buste auf einem hohen Fußestelle, und neben und über ihm stehen verschiedene Syrupbuchsen und andere Medizintiegel.
  3. Ein verliebtes Apotheckersubjeckt sagt einem Stubenmädchen, das für ihren Herrn eine Arzney holt, so viel schöne Dinge vor, daß er darüber in der Zerstreung, statt spanischer China, nach der Rhebarbarbüchse langt.
  4. Das Weib eines arbeitsamen Bürgers trägt ihre letzten 30 kr. zur Apothecke, um für ihren sterbenden Mann eine Arzney zu holen, die weder hilft noch schadtDergleichen Arzneyen, die nicht helfen und nicht schaden, giebt es sehr viele in der Apothecke. Die klugen Aerzte verschreiben sie, theils um das Gemüth des Pazienten zu beruhigen, hauptsächlich aber um der Krankheit Zeit zu ihrer Entwicklung zu lassen. Einige moderne Aerzte treiben die Bedenklichkeit wohl so weit, daß sie auch dann, wenn sich die Krankheit wirklich erklärt hat (vielleicht aus Furcht, die Natur in ihrer Wirkung zu stören) noch immer mit dergleichen unschädlichen Medikamenten fortfahren. Den Apothecken machen sie auf diese Art freylich nicht das feinste Kompliment; indessen scheint mir diese Bedenklichkeit das wahre Kennzeichen des grossen Arztes – nur wünschte ich, daß sie bey diesen Medikamenten, die nicht helfen und nicht schaden, auch auf die Glücksumstände des Pazienten Rücksicht nähmen, damit nicht durch die Wiederholung dieser unschädlichen Mittel dem Beutel des Kranken wirklicher Schaden zugefügt werde. 178
  5. Der Provisor hält ein Recept in der Hand, und lächelt bey sich über den Kunstgriff des Herrn Medikus, der, weil es gegen das neue Jahr geht, nun mit einem mal kostbare Elexire verschreibt.
  6. Der gnädige Herr (nämlich der Prinzipal) geht mit einem Arzt im Saal auf und nieder. Der Apothecker klagt, daß er nun keine Häuser mehr kaufen, und keine neuen Kapitalien anlegen könne. Der alte Medikus schimpft seiner Seits, daß man ihn zu keinen Konzilien mehr zöge, und auf seine Magentropfen, die doch eine Universalmedizin wären, nichts mehr halte.
  7. Ein armer Taglöhner bittet, daß man ihm doch endlich um seinen kr. etwas 179 Kühlsalbe gebe, da er schon über eine Stunde warte. Ein Subjeckt schnurrt ihn an, und heißt ihn, wenn er nicht warten wolle, seinen kr. in eineIn einer gewissen Stadt verkauften die Herren Apothecker ihre Fabrikata nach Gutdünken. Endlich erweckte der erzürnte Himmel einen grossen Arzt, der von dem Ansehen des Regenten unterstützt, der Freybeuterey dieser Herren dadurch Einhalt that, daß er die Medikamenten taxirte. Nun soll es aber in besagter Stadt schon verschiedene Apothecken geben, die von der festgesetzten Taxe noch die Hälfte herablassen. Dies ist wahre Wohlthat für den Staat, wenn sich anders der Herr Prinzipal für die nachgelassene halbe Taxe nicht an der Qualität der Arzney zu erholen sucht, und sie um die Hälfte schlechter macht.
        Der oben angeführte Herr Apotheckergesell muß ungefähr so eine Idee im Kopf gehabt haben, als er den armen Taglöhner mit seinem kr. an eine von diesen Halbtaxapothecken angewiesen hatte.
    Halbetaxapothecke tragen.
  8. Der Hausknecht zerstosset im Mörser ein stinkendes Kraut, das die Luft ansteckt, und der ganzen Nachbarschaft die Eßlust benimmt.
  9. Ein Apotheckerjunge verfertigt Pillen, die er, weil sie für einen Hofmann gehören, stark vergoldet. 180

 


 


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