Joseph Richter
Bildergalerie weltlicher Misbräuche
Joseph Richter

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Siebenzehntes Kapitel.

Ueber Tanzsääle.

Manche werden sich wohl gewundert haben, daß ich, als ein gewesenes Mitglied des Seraphischen Ordens bis itzt noch keine Erwähnung von Tanzsäälen gemacht habe, da doch unsre berühmten Prediger sich so gern darauf herumtummelten, und die Tanzsääle, wenn gar keine andere Materie zum Predigen da war, gar oft den Nothnagel abgeben mußten; und doch kann ich meine Leser und Leserinnen bei meiner WeiheEs wäre wohl überflüssig zu erinnern, daß die Kapuziner nicht wie die Glocken oder die Kalbsschlegel geweihet werden. Wenn wir also etwas bey unsrer Weihe versichern, so ist es gewis so heilig wahr, als wann der Soldat bey seiner Ehre und der Kaufmann bey seinem Gewissen schwört. Dies sey gewisser Freygeister wegen angemerkt, die gar nichts mehr glauben, was Geistliche sagen. 226 versichern, daß ich zu diesem Gemälde nicht einen Pinselstrich verwendet hätte, wäre nicht Herr Obermayer so boshaft gewesen, gleich auf das erste Kupfer seiner Galerie klösterliche Misbräuche einen Kapuziner mit einer Dormeuse hinzusetzen, und einen wohlerwürdigen Franziskaner mit einem (und was am unverzeihlichsten ist) mit einem alten Weibe einen Walzerischen tanzen zu lassen.

Freylich hat das ganze Gemälde so eine gute Haltung, und so viel Wahrheit, daß es der Herr Verfasser unmöglich anders, als nach der Natur kann kopiert haben; indessen war es nicht sehr brüderlich gehandelt, dasjenige, was wir nur in bona charitate thun, zur öffentlichen Schau auszustellen, und so 227 mags sich Herr Obermayer gefallen lassen, wenn ich, da er uns einmal die Geschicklichkeit zum Tanzen zutraut, auch ein vertrautes Wort über Tänze und Tanzsääle sage: denn er weiß es ja, daß wir gar zu viel auf das Jus Talionis halten.

Ich habe schon im vorhergehenden Kapitel die Bemerkung gemacht, daß Bewegung unentbehrlich zur Erhaltung der Gesundheit sey, und so würde ich mich ja selbst auf die Finger klopfen, wenn ich läugnete, daß auch mässiges Tanzen der Gesundheit zuträglich seyn könne; allein ich glaube nicht zu irren, wenn ich behaupte, daß man weder um Bewegung zu machen, noch um der Gesundheit willen die Sääle besuche, und daß unsre Art zu tanzen, wenn man auch wirklich diese Absicht hätte, die gewünschte Wirkung nie hervorbringen würde. 228

Die Franzosen, die zu gern an der lieben Mutter Natur stutzen, haben die Schere auch an das Kind der unschuldigen Freude, an den kunstlosen Tanz gesetzt, und den Füssen gewisse geometrische Grade bestimmt, nach denen sie die Empfindungen des Herzens beschreiben sollen. Dieser geometrische Tanz ist die so berühmte Minuete, die, vielleicht weil sie aus Frankreich kam, auch im lieben Deutschland angenommen wurde. Ich will diesem Tanz sein Verdienst nicht abstreiten; es mag meinetwegen auch so gar schön lassen, wenn ein Hut und eine Haube auf den vorgezeichneten vier Linien bald zu vier und bald zu acht Schritten auf und niedersteigen, itzt zweymal die Knie beugen und mit der Fußspitze schleifen, und gleich darauf, als hätten sie Zukungen, die Beine steif anspannen, sich dann mit vieler Grazie den Rücken weisen, darauf die linke und rechte Hand geben, und sich endlich ein Kompliment 229 machen; allein bey allen ihren Schönheiten taugt die Minuete nicht auf öffentliche Sääle, weil sie zu viel Raum fordert, und durch das beständige ab- und anspannen der Beine die Tänzer vor der Zeit ermüdet.

Der deutsche Tanz nähert sich freylich der Natur mehr, und könnte, so wie die englischen Tänze, vieles zur Gesundheit beytragen, wenn man sie mässig und nach langsamern Tackt tanzte. Allein man glaubt nicht getanzt zu haben, wenn nicht die Sohle zum Fließpapier dünn getretten, der Schweis nicht aus allen Oeffnungen hervorgedrungen, und ein Fluß von Haarpuder und Pomade, gleich der Lava am Aetna, nicht die Wangen und Schultern herablauft.

Eine kreisförmige Bewegung ist, weil sie das Blut dem Kopf zutreibt, schon an sich der Gesundheit nachtheilig; aber sie kann wohl auch tödtlich werden, wenn sie zu lang anhält, und, wie es 230 leider geschieht, junge Leute von beyden Geschlechtern, wohl noch Ruhm darin suchen, daß sie durch Stunden einen Wirbel machen können. Es sind solches aber nicht etwan rüstige, mannhafte Bauernbursche, oder muntre, körnichte DirnenIch weis zwar, daß auch das Landvolk in ihren Tänzen ausschweifet; allein die Folgen davon sind nie so traurig, weil die wahre Freude des Herzens jede Erschöpfung bald wieder ersetzt und die Dorfdamen nichts von Schwindel wissen. sondern größtentheils zarte, schwächliche Zuckermännchen, und kränkliche Damen, die nicht über das Zimmer gehen, ohne über Schwindel zu klagen; daher ist es aber auch kein Wunder, wenn so viele Fehltritte geschehen; denn kann man wohl wissen, was man thut, wenn einem der Kopf schwindelt?

Das Uebelste für die Gesundheit ist endlich, daß diese Bachantentänze nicht unter ländlichen freyen Himmel, sondern, 231 weil das Tanzfest im Winter fällt, fast immer in eingesperrten Säälen gehalten werden, wo der Dunst der Lichter, der eckelhafte Geruch der Speisen, und endlich eine Quintessenz von ungesunder Ausdünstung auch bey dem mässigsten Tanze manche Gesundheit untergraben müßte.

 

Allein ich sagte ja schon, daß man nicht der Gesundheit wegen diese Freudenörter besuche; denn wem daran gelegen ist, eine gesunde Bewegung zu machen, wird seinen Kopf nicht mit einem Arsenal von Haarnadeln oder einem kleinen Peru voll Edelgestein beladen, oder sich die Schnürbrüste so eng zusammen ziehen lassen, daß er kaum athmen kann. Man geht also auf den Tanzsaal, um gesehen und bewundert zu werden; und wenn man diesen Endzweck erreicht, so thut es ja nichts zur Sache, ob man sich den Schnuppen, oder die Expektanz zur Lungensucht und Abzehrung holt, und um 232 zehn oder zwanzig Jahre früher aus der Welt tanzt.

Ueber die masquirten Bälle wäre wohl auch ein und anders zu erinnern; allein ich sehe vor, daß meine Predigt wenig fruchten würde; da man sich so wenig aus dem Predigen macht, und wohl gar en masque in die Kirche kömmt, um eine Predigt über die Masken anzuhören. Wenn ich mich endlich zu sehr über diese lustige Materie ausbreitete, so könnte wohl ein loser Spötter sagen: wie kann der Exkapuziner alles so genau wissen, wenn er nicht selbst mitgemacht hat? Und dann müßte ich geschwind meine Predigt mit einem Amen beschliessen, und mich damit trösten, daß ich nicht der einzige Kapuziner wäre, der die Redouten und Tanzsääle besucht hatEs gab wohl gute Zeiten, wo die arme Geistlichkeit besser geehret wurde, und man uns Kapuziner nicht nur einlud, sondern wohl auch fast mit Gewalt zu einem öffentlichen maskirten Ball in unserm heiligen Ordenshabit hinzog. Freylich machten wir unter so vielen Dominolarven nicht die beste Figur; indessen waren wir doch lustig und vergnügt, und wurden nicht einmal verdrüßlich, als uns einige vorwizige Damen fragten: ob wir dann wirkliche Kapuziner, oder – – Masken wären.. 233

 


 

Erklärung des allegorischen Kupfers.

  1. Ein großer Tanzsaal voll Hängleuchter und Spiegel. Der Raum wäre vielleicht für 8 oder 10 Paare zur Minuete geräumig, es tanzen aber noch einmal so viel, daher geht es so verwirrt zu, daß Tänzer und Tänzerinnen nicht mehr wissen, wie sie zusammen gehören, und daher mancher den Tanz, den er mit einem Stubenmädchen angefangen, mit seiner Frau endigen muß.
  2. Ein Schuster, der sich aufs Aushalten nicht versteht, und streng über das eins, zwey, drey und vier hält, tritt einer Köchin auf das Hühneraug, die ihrem Fleischhacker darüber ohnmächtig in die Arme fällt. 234
  3. Verschiedene Herren in Wildschuren und Ansagermänteln, die blos da sind, um den Tänzern den Plaz zu verstellen, klatschen in die Hände, und schreyn: einen Deutschen, einen Deutschen; die Minuetliebhaber hingegen fordern, daß man Minuete fortmache. – Die Gesellschaft der Tonkünstler, von denen jeder zum Kunstzeichen eine große Flasche Wein vor sich stehen hat, sind wie die holländischen Provinzen in ihren Stimmen getheilt; daher spielt die eine Hälfte Minuete und die andere einen Deutschen auf, worüber die ohnehin unter den Tänzern herrschende Verwirrung den höchsten Grad erreicht.
  4. An den Seitenwänden des Saals stehen verschiedene Tische voll Schüsseln und Weinflaschen. Einige Väter und Mütter sitzen mit ihren hofnungsvollen Töchtern daran herum.
  5. Verschiedene von diesen lassen incognito ihre Schnürbrüste nach, weil die Lust zum Kapaunfleisch auf einen Augenblick das Verlangen zu gefallen überwältigt.
  6. Einer von den Tischen ist blos von Franzosen besezt, die sich wechselweise die 235 affairs d'honneur erzählen, die sie aus ihrem Paradis in das vilain pais, nach Deutschland, trieben; indessen sind sie doch so billig einzugestehen, daß der Kapaun recht schmackhaft war.
  7. In einer Ecke des Saals gießt der Kellner verschiedene Weinüberbleibsel in eine Bouteille zusammen, um eine Kompagnie damit zu bedienen, die einen alten Wein verlangt hat.
  8. Der Herr Wirt, der zugleich die Grundobrigkeit istMan pflegt sehr gern die Wirthe zur Grundobrigkeit zu machen, und da hat man recht; denn sie lassen es bey Streitigkeiten selten zum Ausbruch kommen, und setzen den kriegführenden Mächten so lange Wein vor, bis sie sich vergleichen. Müßen sie doch ihre Jurisdiktion ausüben, so denken sie doch viel zu menschlich, um die Schlachtopfer ihrer Gerechtigkeit in Gefängnisse zu schliessen, sondern weisen ihnen den Hundsstall zum Nachtquartier an. trägt in eigner Person ein Ragout auf, das schon zum 5ten mal bezahlt ist, aber noch nicht berührt worden.
  9. Ein Aufwärter stellt mitten unter die Tänzer eine Doppelleiter hin, um die Lichter zu putzen, die fast vor Staub ersticken. 236
  10. Einige Herren von DistinktionDer Sprachgebrauch begreift unter Herren von Distinktion entweder wirklich adeliche, oder Leute von ansehnlichem Karakter. Nach seiner wahren Herleitung aber bedeutet dieses Wort einen Mann, der sich, durch was immer, besonders ausgezeichnet hat. sehen von der Galerie zu, wie die gemeinen Leute tanzen. Sie finden es wieder ihren Stand, sich im Saal selbst mit dem Pöbel zu vermischen, tragen aber keine Bedenken, ihre gemeine Ausdünstungen auf der Galerie in sich zu hauchen. 237

 


 


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