Joseph Richter
Bildergalerie weltlicher Misbräuche
Joseph Richter

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Sechstes Kapitel.

Ueber Rangstreit.

Ich habe es zwar in vielen geistlichen Büchern gelesen, und selbst von unserm gelehrten Sonntagsprediger mehr als einmal gehört, daß alle Menschen von Natur gleichMan wird mir einwerfen, daß hier nur von der moralischen Gleichheit die Rede sey, da muß ich aber recht aufrichtig bekennen, daß ich gar nicht begreife, was moralische Gleichheit sagen wolle, und noch weniger, wenn es eine giebt, wie sie mit phisischer Ungleichheit bestehen könne. Vielleicht versteht aber unser gelehrter Pater Sonntagsprediger unter dieser moralischen Gleichheit die gleichen Ansprüche, die alle Menschen auf den Himmel haben, und da möchte ich ihm gerne Recht geben, wenn auch nur wieder hier die Natur nicht bey den gleichen Ansprüchen zum Himmel, so ungleiche Kräfte, sie geltend zu machen, ausgetheilt hätte. Leuten von kaltem Blut, oder (um mich verständlicher auszudrücken) Leuten, die den wahren Beruf zum heiligen Klosterleben haben, hält die Natur freylich gleichsam die Leiter zum Himmel; aber welche Steine liegen nicht den feurigen, zum Bösen geneigten Weltmenschen in dem Weg? seyen; allein sogern ich auch 80 alles glaube, was in geistlichen Büchern steht, und so viele Ehrfurcht ich auch für die Worte unsers ehrwürdigen Predigers trage, so konnte ich mich doch nie enthalten, so oft ich so was las oder hörte, heimlich darüber zu lachen.

Wenn alle Menschen von Natur gleich wären, sagte ich dann zu mir, so müßten sie ja von der Natur gleiche Kräfte des Geistes und des Körpers erhalten; da aber dieser schwach und gebrechlich, der andere stark und nervigt zur Welt kömmt, da dieser einen durchdringenden Verstand, der andere einen mittelmäßigen, und mancher gar keinen von der Natur erhält, 81 so scheinet ja vielmehr, daß die Natur keine gleichen Menschen haben wolle.

Auf einem Klavier, dessen Tasten aus lauter G oder F bestünden, ließ sich unmöglich ein Stück der Musik ausführen, und so mag wohl die Ungleichheit der Menschen für das Glück der Gesellschaft eben so nothwendig seyn, als die ungleichen Töne für die Musik; denn wo keine Ungleichheit ist, ist keine Harmonie.

Ich werde mich also wohl hüten über die aus der Ungleichheit der Körper- und Geisteskräfte nach und nach entstandene Ungleichheit der Stände zu klagen, und kann, wie es ohnehin die Demuth eines Exkapuziners mit sich bringt, ganz gelassen ansehen, daß dieser oder jener in der Rangordnung weit ober mir stehe; nur wünsch' ich dann immer bey mir, daß diejenigen, die die Natur in diesem grossen musikalischen Instrumente 82 zu ganzen Tönen bestimmte, nicht, wie es leyder zu oft geschieht, auf die Semitöne mit Verachtung herabblicken mögen, und sich immer hübsch dabey erinnerten, daß eben diese Semitöne unentbehrlich zu vollkommener Harmonie seyen. Aber dann müssen auch die Semitöne mit ihrem Posten zufrieden seyn, und sich nicht mit Gewalt in ganze Töne verwandeln wollen.

Freylich ist dies ein frommer Wunsch, dem, wie es die Erfahrung zeigt, beyde Theile wenig Gehör geben; aber eben deswegen ist schon seit geraumer Zeit das ganze Instrument so verstimmt.

Zwar ist auch noch itzt edle Herablassung das Merkmal des wahren Adels. Dieser fühlt zu gut, daß eine Reihe von Ahnen, und ein Stück alten Pergaments keinen Anspruch auf persönliche Achtung geben, und daß es lächerlich wär, auf Titeln stolz zu seyn, die sich jeder ohne alle Ahnen und Verdienste auch für Geld 83 erkaufen kann. Dann übersieht der wahre Adel auch mehr das Ganze, und begreift gar wohl, daß sein Stand eben nicht so unentbehrlich im Staat sey, und daß seine ganze Existenz von dem Wohlstand des Bürgers und des Bauers abhänge. Daher sucht er sich wirkliche Verdienste um den Staat zu machen, daher ist er herablassend, großmüthig, wohlthätig und ganz Menschenfreund; dafür aber genießt er auch die allgemeine Liebe und Hochachtung seiner Mitbürger.

Man sieht also wohl, daß zwischen alten Adel und wahren Adel immer noch ein grosser Unterschied ist, und daß diejenigen Kavaliere und Damen, die keine andere Verdienste als ihre Ahnen haben, und dabey mit einem unerträglichen Stolz auf dieses Nichts pochen, oder wohl gar die Nase verhalten, wenn sie mit einem Bürger oder Bauer sprechen, nie, auch wenn sie mit dem König Herodes verwandt wären, unter den wahren Adel 84 gehören; obwohl ich bekennen muß, daß dieser lächerliche Stolz bey dem alten Adel, im Durchschnitte genommen, eine ungleich seltnere Erscheinung ist, als bey dem Neuen, und daß vielleicht aus eben der Ursache jeder Handwerksmann ungleich lieber mit dem so genannten höhern Adel, als mit einer eben zur edlen Frau gestempelten Bürgerin zu thun habe.

Was meine Person betrift, so habe ich zwar wenig Ursache über den Stolz der Damen zu klagen, und wenn ich keinen andern Beweis von der Heiligkeit meines vorigen Ordenshabit hätte, so wär schon dieser hinlänglich, daß alle stolze Damen bey seinem Anblick herablassend wurden, und mir, was sie vielleicht dem ersten Fürsten nicht gegönnet hätten, sogar den Platz auf ihrem adelichen Sopha einräumten. Aber auf eben diesem Sopha war es, wo ich meine Bemerkungen über den Rangstreit sammelte. 85

Noch ehe manche Dame zur Thüre eingetretten war, wußte ich schon aus den Bewegungen der Frau vom Hause, welchen Karakter sie habe. Einigen lief man bis an die Thüre entgegen; andern nur bis an die Hälfte des Zimmers; diese empfieng man mit drey Schritten vorwärts; jene nur mit einem; war die ankommende Dame von gleichem Range, so ließ man es bey einem stehenden Kompliment bewenden; stand sie um eine Stufe niedriger, so hob man sich blos etwas vom Stuhl, und nickte mit dem Kopf; hatte sie aber das Unglück, daß ihr Mann in Amtsgeschäften dem Gemahl der Frau vom Hause untergeordnet war, so hieß man sie blos mit einem gnädigen Lächeln, und einem eben so gnädigen Handwink den untersten Plaz nehmen.

Es ist eine bekannte Wahrheit, daß die Kleinen die Grossen, wenn sie dieselben in ihren Thorheiten nachahmen wollen, jederzeit übertreffen, und so 86 versteht es sich von selbst, daß dergleichen Auftritte in manchen Häusern des HalbadelsEin gewisser satirischer Autor, dessen Namen ich vergessen habe, vergleichet diesen Halbadel mit den Fledermäusen, die für sich ein trauriges Geschlecht ausmachen. Denn gleichwie diese weder unter die Vögel noch unter die vierfüssige Thiere gehören, so gehört auch der Halbadel weder zum Bürgerstande noch zum wahren Adel, und werde daher von dem erstern verspottet und von dem andern verachtet. Der Verfasser kann freylich unter dem Halbadel unmöglich die würdigen Männer verstanden haben, die der Staat zur Belohnung ihrer Verdienste in den Adelstand erhob, wohl aber mag dieses Gleichniß manchem braven Bürger die Lehre geben, daß sich wahrer Adel nicht erkaufen lasse, und daß es Thorheit sey, ein paar tausend Gulden auszugeben, um von den Grossen verachtet, und von den Kleinern ausgelacht zu werden. noch viel komischer, und die Unterhaltungen in diesen Zusammenkünften ungleich abgeschmackter, schläfriger und unerträglicher ausfallen müssen.

Aber die nämliche Schwäche des Rangstreites klebt auch einem guten Theil des stärkern Geschlechtes an. Ich habe 87 selbst oft Beyspiele davon gesehen, wann wir jährlich ein paar Male im Jahre unsere Gutthäter (wie der boshafte Herr Obermayer anmerket,) für ihr Geld gratis bewirtheten, und unserm viel geliebten Pater Quardian über die rangmässige Auftheilung der Pläze oft der Angstschweis an der Stirne stand: denn er wußte wohl, daß er unsermEs wird vielleicht manchen Leser befremden, daß ich als ein Exkapuziner, so oft von dem Kapuzinerorden die Rede ist, mich jedesmal des Beywortes mein oder unser bediene. Ich glaube mich aber hierüber gar nicht entschuldigen zu dürfen, da die so vielgeliebten Exjesuiten, deren Orden doch von Sr. päbstlichen Heiligkeit Klemens dem 14. aufgehoben worden, immer, so oft sie von ihrem Orden, oder auch nur von einzelnen Gliedern desselben reden, die Beynamen mein oder unser gebrauchen. Kloster durch das kleinste Versehen in diesem Punkte unversöhnliche Feinde erzeugen würde. 88

Er war auch wirklich so unglücklich, einst einem sehr berühmten Künstler den Plaz vor einem Kanzleyherrn anzuweisen, wodurch dieser so aufgebracht wurde, daß er während der Tafel das Refektorium verließ, und uns in der ganzen Stadt als grobe Leute verschrie, die keinen Unterschied zwischen einem Manne von Karakter und einem elenden Künstler zu machen wüßten.

Doch wie jede Thorheit ihre Strafe mit sich führt, so folgt auch der stolzen Rangsucht die Züchtigung auf dem Fuß nach. Ihr Gefolge ist Zwang, Langeweile, und Verachtung, und seitdem man zu bemerken angefangen, daß Dummheit eine unzertrennliche Begleiterinn des Stolzes sey, sind stolz und dumm fast gleichbedeutende Ausdrücke geworden.

Herr Obermayer sagt in seinem zweyten Theile der Bildergalerie, daß 89 unsern Klosterschmausereyen die beste Würze, nämlich Wiz und Scherz fehle: wenn er aber einen unparteyischen Blick auf weltliche Mahlzeiten werfen will, so wird er wohl gestehen müssen, daß man auch bey diesen einen grossen Mangel an dieser Spezereywaare verspüre, und daß man oft gezwungen sey, Spaßmacher von Profession einzuladen, um nur die Gesellschaft etwas lebhaft zu erhalten.

Wie soll auch das süsse Geschenk des Himmels, die muntere Freude, in Gesellschaften einen Tempel finden, wo Zwang, Rangstreit und Eifersucht die Hausgötter sind???

 


 

Erklärung des allegorischen Kupfers.

  1. Ein grosser Garten, der zur öffentlichen Promenade bestimmt ist. 90
  2. In der Hauptallee sieht man zwo Damen vom Halbadel in gerader Linie auf einander zugehen. Sie scheinen beyde die Absicht zu haben, daß sie ehe bis an den andern Morgen stehen bleiben, als sich ausweichen wollen. Ihre Liebhaber bemühen sich, sie seitwärts zu ziehen.
  3. Etwas vorwärts geht die Tochter eines armen Bürgers, die ein Beamter vor wenigen Tägen zur noch ärmern gnädigen Frau gemacht hat, mit ihrem Hund und ihrem Bedienten spazieren. Sie blickt immer nach ihrem Bedienten um, ob er ihr nachtritt.
  4. Zwo andere Damen drücken eine brave Bürgersfrau mit ihren Buffanten von einer Bank weg.
  5. Ein Oberbeamter geht mit einem Unterbeamten am Ende der Allee. Sie wenden sich eben um. Der Unterbeamte springt auf die linke Seite, um ja seinen 91 Vorgesetzten, dessen StolzVerschiedener Damen wegen muß ich hier eine Note machen; denn diese scheinen mir das edle Selbstgefühl oder Werthgefühl nicht von dem gemeinen Stolz unterscheiden zu wissen. In ihren Augen heißt oft ein junger würdiger Mann, ein stolzer Mensch, weil er zu edel denkt, um durch Kriechen, Bücklinge und niederträchtige Schmeicheleyen sein Glück zu machen. Stolze Leute sind ferners in ihren Augen alle dieienigen, die sich durch Fleiß und Industrie kümmerlich fortbringen, und sich bey ihrer Dürftigkeit nichts aus den reichen Damen machen, besonders wenn diese Damen kein anderes Verdienst als ihren Reichtum besitzen. Stolz sind endlich in ihren Augen alle ihre guten Freundinen, die im Schoos ihrer Familien ihr Glück suchen, das Vermögen ihres Mannes nicht am Spieltische durchbringen, und daher sehr wenig in der grossen Welt erscheinen. er kennt, nicht zu beleidigen.
  6. In einer Seitenallee erblickt man einen eben aus dem Backofen gekommenen Edelmann, der mit aufgesetzten Hut gravitätisch daher steigt, und verschiedenen Herren, 92 die ihn grüssen, mit einem blossen Nicker dankt.
  7. In der entgegengesetzten Allee kömmt der Landesfürst, der mit abgezogenen Hut jedermann auf das leutseligste dankt. 93

 


 


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