Joseph Richter
Bildergalerie weltlicher Misbräuche
Joseph Richter

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Zehntes Kapitel.

Ueber das Fahren in Städten.

Der Mensch hat sich nun einmal die Grille in den Kopf gesezt, daß er der Herr der Welt sey, und daß alle übrigen GeschöpfeWenn eine gewisse Klasse von Insekten (die Kapuziner werden errathen, welche ich meine) Verstand hätte, so würde sie über die menschliche Grille von Oberherrschaft herzlich lachen müssen. blos zu seinem Besten von dem lieben Gott wären auf die Welt gesetzt worden. Es haben zwar verschiedene Thiere wider diese von dem Menschen an sich gerissene Oberherrschaft protestirt; es hat wohl auch mancher aufrührische Bär oder Wolf, wenn er gerade mit so einem Herrn der Welt an einem schicklichen Ort von 138 Angesicht zu Angesicht zusammentraf, handgreiflich das Gegentheil bewiesen; indessen hat doch der Mensch noch bis diese Stunde bald durch List, und bald durch Gewalt sein Souverenitätsrecht zu behaupten gewußt.

Dem zu Folge spannt er den Ochsen vor den Pflug, und ißt ihn dann zur Dankbarkeit; daher legt er dem Esel die größten Lasten auf, und macht zur Vergeltung welsche Salamien aus seinem Fleisch; so muß auch der Wolf seine Haut zu Wildschuren hergeben, und der falsche Fuchs die aufrichtigen Damen mit seinem Balg bedecken helfen, und so ist nichts natürlicher, als daß der Mensch auch dasZweyfüssige edle Thiere giebt es sehr viele, aber unter den vierfüssigen Thieren ist das einzige Pferd bis itzt für adelich angegeben worden; denn man nennt es das edle Pferd, und vielleicht hat auch wirklich hie und da ein Pferd mehr Verdienst um den Staat, als mancher Landjunker, den es zieht. edle Pferd seinem Willen unterjochet habe. 139

Es muß ihm Länder erobern, und Schlachten gewinnen; unzähliche Bedürfnisse aus fernen Ländern herbeyschaffen, und die eignen Landesproduckten hinausführen, seine Leidenschaft zur Jagd unterstützen; kurz es muß ihm zur Bequemlichkeit, zum Vergnügen und zum Nutzen dienen.

Die Belohnung ist freylich nicht die beste, und es ist gar nichts seltnes, so ein edles Pferd, das seinem Herrn die redlichste Dienste geleistet, und ihm wohl auch in der blutigen Schlacht das Leben gerettet hatte, in seinen alten Tagen an einem Fiackerwagen ziehen zu sehen.

Indessen ist meine Absicht gar nicht, diese dienstfertige Geschöpfe wider den Herrn der Welt in Schutz zu nehmen; denn erstens finde ich es selbst noch viel zu bequem, besonders auf Reisen, mich von diesen edeln Tieren tragen oder fahren zu lassen, und dann würden mir die Bauern vielleicht für diese 140 Pferdprotecktion wenig Dank wissen, weil es wohl manchem Landjunker, Falls die Pferde den Prozeß gewännen, einfallen könnte, statt ihrer die Bauern an seinen Pflug oder Wagen zu spannen.

Der Mensch mag also noch ferners seine Oberherrschaft über diese Mitgeschöpfe ausüben, nur soll er sich ihrer so bedienen, daß er damit seinen eignen Mitbürgern nicht zur Last falle.

Unsre Vorfahrer besassen freylich die grossen Kenntnisse nicht, die wir besitzen; dafür aber wußten sie auch von mancher Thorheit nichts, die uns eigen ist.

So hätten sie es vielleicht für eine Satire gehalten, wenn ihnen jemand zumuthete, daß sie bey gesunden Leib zur Kirche fahren, oder ihren Freund, der mit ihnen in einer und eben der Gasse wohnte, im Wagen besuchen sollten. Schon blos die vielen engen Gässen sind ein Beweis, daß sie ihre Städte für Menschen, und nicht für Pferde gebauet 141 haben. Dann hatten die französischen Köche ihr Fußgestell noch nicht so sehr verderbt, daß sie nöthig gehabt hätten, sich der Pferdfüsse bey Besuchen oder Promenaden zu bedienen, endlich liebten sie auch ihre Kinder zu sehr, um ihnen durch Pferde das Brod wegfressen zu lassen.

Um so grösser müßte also ihr Erstaunen seyn, wenn sie wieder zur Welt kommen und sehen sollten, daß nun ihre Nachkömmlinge bald mit einem Zug von Viern und Sechsen in der Stadt herum Post fahren, bald in einer Pirutsche im gestreckten Lauf durch die engsten Gässen hinrollen, und mit den armen Fußgehern eine Parforce-jagd anstellen.

Aber wie würde nicht ihr Erstaunen zunehmen, wenn sie hörten, daß viele dieser fahrenden Nachkömmlinge aus Müssiggängern bestehen; daß die meisten aus ihnen den vis à vis, den Solitaire, das Cabriolet den 142 Pot de chambreEine gewisse Art französcher Wägen, in denen die Pariser und auch Fremde, die bey Hofe etwas zu suchen haben, nach Versailles fahren., oder den Gallawagen, in welchem sie Figur machen, noch nicht bezahlt haben; daß der schnurbärtige Kutscher und die Riesen von Bedienten Bauernbursche seyen, die der Hang zur Faulheit in die Stadt gezogen; daß man die müssige Bettelmönche einzuschränken suche, der Troß vom noch müssigern Lackeyvolke aber zum Nachtheil des AckerbauesIn einem Band des Herrn Hanns Rousseau, den ich, wie zu vermuthen, nicht in unsrer Klosterbibliothecke gefunden habe, wird mit sehr wahrscheinlichen Gründen bewiesen, daß der Luxus in Hauptstädten schon blos deswegen verdammlich sey, weil er dem Ackerbau so viele nothwendige Hände entziehe; aber kurz darauf las ich in einem ebenfalls aus dem Französchen übersetzten Buche, daß gerade dieser vom Herrn Rousseau so sehr verschriene Luxus der wahre Grundstein der Nationalglückseligkeit sey, weil er tausend Nahrungswege eröffnet, die Industrie erwecket, und das Kommerz (die Seele der allgemeinen Wohlfahrt, das Mark der Staaten) blühend erhält. Man weiß am Ende wirklich nicht, was man glauben soll; inzwischen halte ich es mit unserem lieben Pater Sonntagprediger, der zwar nicht der zeitlichen (denn was bekümmert uns Kapuziner die zeitliche Wohlfahrt der Menschen?), sondern der ewigen Glückseligkeit wegen den Luxus gänzlich verwirft, weil er der Hofart, der Wollust, der Eitelkeit, der Freygeisterey und allen übrigen teuflischen Lastern Thüre und Thore öffnet, und seine Anhänger in einer höllischen Equipage der ewigen Verdammung zuführt. immer anwachse; daß in 143 mancher Hauptstadt nun bald so viele Pferde als Menschen wohnen, und daß man beynahe anfange, das Fußgehen für eine Infamie zu halten; daß die Advokaten ihre Parteyen, die Aerzte ihre PazientenWie mir mein Freund erzählt, soll in der Hauptstadt der Mittelmark Brandenburg ein Büchergericht existiren, vor dem allen deutschen Autoren das Urtheil gesprochen wird, ob sie recht geschrieben haben. Weil aber das Sprichwort sagt: tot capita tot sententiæ, so soll es auch hier öffters sehr komische Urtheile geben, und einer und eben der Autor, nachdem er nämlich einem Refferenten in die Hände fällt, bald auf den Altar und bald an den Pranger gestellt werden. So lang indessen die Beysitzer dieses Hochgerichts noch immer nach ihrem eigenen Caput entschieden, soll sich dieses Tribunal bey der deutschen Autorwelt so ziemlich in Ansehen erhalten haben, weil es auch einige gute Capita unter ihnen gab; seit dem sie aber nicht mehr nach ihrem eignen Caput, sondern nach dem Caput ihres Präsidenten, der ein grosser Buchhändler, tüchtiger Theolog, und noch stärkerer Reisebeschreiber ist, entscheiden und richten müssen, soll die Autorität dieses Hirntribunals sehr herabgesunken seyn; denn, wie mein Freund hinzusetzte, wird nun nicht mehr auf die causa, sondern blos auf die Person gesehen, daher soll man auch in den meisten Konklusen selten ein Urtheil über den Werth oder Unwerth eines Buches, wohl aber immer einen Ausspruch über den moralischen Karackter des Autors (der nach meiner Meinung nie vor ein Litteraturgericht gehörte) mit allen nur möglichen wahren und falschen Privataneckdoten aufgeputzt antrefen. Ferners sollen sie, wenn doch vom Buche die Rede ist, weder die Absicht des Autors, noch den Plan seines Werkes durchforschen, dafür aber um so länger bey den Fehlern (ohne zu bedenken, ob sie nicht durch Schönheiten aufgewogen werden.) verweilen, manchmal auch einen dicken Band mit einem blossen Bonmot abfertigen. Weil es sich nun fügen könnte, daß mein Werk von diesen gelehrten Herren zur Inquisition gezogen würde, und sie sich leicht an dem Wort: Pazienten stossen möchten, so habe ich hiemit erklären wollen, daß ich blos jene Art von Pazienten meine, die bey ihrer Krankheit eben nicht Bett und Haus hüten dürfen, sondern ihren Geschäften nachgehen, und meinetwegen auch mit ihren kranken Köpfen über gesunde Bücher Rezensionen schreiben; denn wenn ich gleich ein unbedeutender Exkapuziner bin, so weiß ich doch, daß unmöglich ein Pazient, der zu Bette liegt, von seinem Medikus könne mit Koth bespritzet werden., die Wirthe ihre Gäste, und die 144 Kaufleute ihre Kundschaften mit Koth besprizen; daß wider das starke Fahren die 145 weisesten Verordnungen ergangen, und daß keine befolgt werde?

Wenn man den guten Vorfahren alles dies sagte, und sie endlich mit ihren eignen Augen unsre Kavaliere und Damen als Kutscher erblickten, und sehen sollten, wie unsre Kaufmannsherren, die durch die Woche Häringe, Stockfische und andere Spezereywaren nach Haus geführet haben, mit eben denselben Pferden (aber freylich nicht auf einem Leiterwagen.) ihre theure Ehehälften zur Kirche führen, würden sie nicht in ihrem Erstaunen ausrufen?

O tempora! o mores! 146

 


 

Erklärung des allegorischen Kupfers.

  1. Ein grosser Platz in einer Hauptstadt mit vielen Kutschen angefüllet.
  2. Seitwärts ist eine grosse Kirche.
  3. Zween Bediente ruffen nach dem Kutscher ihrer Herrschaft.
  4. Die Damen, die ihren Pallast der Kirche über haben, stehen in einem theatermässigen Kopfpuz unter dem Eingange der Kirche und thun, weil sie eine halbe Sekunde ausser dem Fußsacke sind, sehr erfroren.
  5. Ihre Kutscher kommen im vollen Laufe angefahren. Die Fußgeher wissen kaum, wie sie sich retten sollen; daher laufen einige mit den Köpfen zusammen, oder werfen sich auch über den Hauffen, viele retten sich mit Noth an die Seitenhäuser.
  6. Ein junger Kavalier jagt im Pirutsche in eine enge Gasse hinein, und nimmt die Reihe so kurz, daß er sich den Hals 147 brechen müßte, wenn seine Pferde nicht mehr Verstand hätten, als er.
  7. Aus der entgegen gelegenen Gasse kömmt eine Dame mit vieren gefahren. Der Vorreiter zerhaut mit der Peitsche eine Lanterne. Die Glasscherben fliegen den Fußgehern ins Gesicht.
  8. An der andern Seite der Häuser führt ein Reitknecht zwey Sattelpferde an der Hand. Sie schlagen von allen Seiten aus, bespritzen die Fußgeher mit Koth, und setzen ihr Leben in Gefahr.
  9. Ein Herr, der am übelsten vom Koth zugerichtet worden, will mit seinem Stock nach den Reitknecht schlagen, der ihm unter die Nase lacht; aber indem er ausholt, kommen SänftenträgerSo sehr ich ein Feind von Noten bin, so kann ich mich doch nicht enthalten, abermal eine zu machen, und zwar, um auf gute Art einen Vorschlag anzubringen, auf den mich das Wort Sänftenträger geleitet hat; denn ich weiß, daß man sich in einer Note oft Dinge sagen läßt, die man im Text nie verziehen hätte. Es schickt sich freylich nicht wohl, wenn sich Geistliche mit Projecktmachen abgeben; da indessen aber schon vor mir so manigfältige Projeckte von geweihten Personen nicht nur entworfen, sondern auch ausgeführet wurden, und, wenn alles zu glauben ist, die im Herrn entschlafene Jesuiten so gar das Projeckt einer Universalmonarchie im Kopf gehabt, und noch itzt post mortem als leibhafte Projektanten herumspucken sollen, so könnte man ja auch einem armen Kapuziner einen Vorschlag erlauben, der gewiß der unschädlichste Vorschlag ist, den je ein Geistlicher (in politicis nämlich) gemacht hat. Ich glaubte also unmasgeblich, daß man, theils um das Leben der Fußgänger in grossen Städten in Sicherheit zu setzen, theils auch, um durch eine gesunde Bewegung die halbstokende Säfte der Kavaliere und Damen wieder in Umlauf zu bringen, und ihr adeliches Blut zu verbessern, das Fahren in grossen Städten gänzlich verbieten oder doch höchstens nur im Schritte erlauben sollte. Damit aber durch mein Projeckt Niemand brodlos würde, könnte man die vielen unnöthigen Wägen in eben so viele Tragsessel verwandeln und sich der bisherigen Kutscher und Reitknechte dazu als Träger bedienen, bis sich nämlich die zarten Füsse der Erdengötter an das Pflaster und die Hände der Letztern wieder an die harte Landarbeit gewöhnet, oder sich andere civile oder militärische Nahrungswege für selbe eröffnet haben. Den Fiakern, von denen es noch nicht entschieden ist, ob sie bequem oder unbequem sind, würde ich den Platz vor den Thören anweisen, und wem es zu beschwerlich wird, zu Fuß dahin zu gehen, der kann sich dahin tragen lassen.
        Auch die Herren Arzte, Räthe, und andere Geschäftspersonen würden sich bey ihren Tragsesseln besser als bey ihren kostbaren Wägen befinden, weil sie leichter damit fortkommen, und nicht oft zu viertelstunden in den engen Gässen stecken blieben. Mein Projeckt könnte wohl auch für die sämmtlichen Bewohner der Hauptstadt einen andern wesentlichen Nutzen nach sich ziehen. So wie der durch vieles Fahren erregte Staub ihrer körperlichen Gesundheit nachtheilig ist, so kann das Rasseln der Wägen und die dadurch im Gehirn entstehende Erschütterung unmöglich einen günstigen Einfluß auf die Verstandskräfte haben, und also wohl eine von den Hauptursachen mit seyn, daß man so wenig gesunden Menschenverstand in grossen Städten antrift. Doch wie soll je so ein Projeckt zu Stande kommen, da meine theuren Landesleute sich wider die viel nothwendigern und viel weisern Einrichtungen gleich Kindern vor der Arzney zu streiben pflegen, und nie einsehen wollen, was ihnen gut ist?
    hinter ihm her, 148 die ihn sehr unsanft an die Wand schleudern, und dann aufgeschaut schreyn. 149

 


 


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