Leopold von Ranke
Savonarola – Geschichte des Don Carlos – Die großen Mächte
Leopold von Ranke

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Tod des Prinzen Don Carlos.

Wie in allen seinen Geschäften, so zeigte Philipp auch in diesem unerbittliche, konsequente Strenge. Einer Junta, aus dem Kardinal Spinosa, dem Fürsten Ruy Gomez und dem Lizentiaten Birvieska zusammengesetzt, übergab er den Prozeß seines Sohnes; der einzige, welcher von demselben eine gewisse Kunde gehabt, wenngleich eine dunkle, sagt uns, um die Gefangennehmung des Prinzen zu rechtfertigen, habe er dies getan. Einen ähnlichen hatte einst Johann II. von Aragon gegen seinen Sohn, Prinzen von Viana, eingeleitet. Philipp II. ließ die Akten darüber aus dem Archiv von Barcelona abholen und aus dem katalonischen Idiom in das kastilianische übersetzen.

Am 2. März ordnete er das Nähere über die Gefangenhaltung auf das sorgfältigste an. Der Fürst Ruy Gomez, ohnehin Mayordomomayor des Prinzen, behielt die oberste Aufsicht und Verantwortlichkeit. Sechs Mitglieder der ersten Häuser, ein Lerma, Mendoza, Benavides, Manrique, Borja, Chacon wurden ihm an die Seite gegeben. Sie hatten den Befehl, abwechselnd bei dem Prinzen zu sein und ihn zu unterhalten; nur über seine Sache selbst sollten sie nie mit ihm reden; sie sollten ihm sagen, es könne nichts helfen, aber wohl schaden. Sie waren angewiesen, dem Prinzen alle Ehrfurcht zu beweisen; weil er keine Waffen hatte, sollten auch sie immer ohne Degen erscheinen, aber in keiner Sache sollten sie irgendeine Veränderung vornehmen; so sei es gerecht und des Königs würdig. Vornehmlich war dafür gesorgt, daß kein anderer Mensch in der mindesten Verbindung mit dem Prinzen stand. Monteros hatten den untergeordneten Dienst. Hellebardiere standen in verschiedenen Posten vor seiner Türe. Die Anordnungen wurden genau beobachtet. Der Fürst Ruy Gomez zog in die Zimmer, die der Prinz, außer demjenigen, worin er geblieben, früher bewohnt hatte. Der venezianische Gesandte urteilt, er sei fast enger gebunden, als der Prinz selbst. Der ganze Palast war wie ein Kloster. Der König lebte wie unter der strengsten Klausur; er litt nicht, daß die Königin, ja nicht einmal daß die Prinzessin, die den Prinzen erzogen und zum Gemahl gewünscht, ihn besuchen durfte. Jener portugiesische Gesandte bat um die Gunst, den Prinzen sprechen zu dürfen; denn wie könne er seiner Königin einen genügenden Bericht erstatten, ohne auch ihn gehört zu haben? Nachdem man es ihm das erstemal abgeschlagen, bat er noch einmal und dringender darum. Hierauf ward er von Spinosa auf eine Weise abgewiesen, daß er kein Wort wieder sagte. Die Königin von Portugal selbst hatte kommen wollen; Philipp zeigte, daß er das nicht wünsche.

Als der Prinz, stündlich mehr in Verzweiflung, einige Tage lang keine Speise anrührte, meldete man das dem König, voll Furcht, er wolle sich auf diesem Wege umbringen. Philipp fürchtete das nicht; er antwortete mit schneidender Kälte: »Er wird schon essen, wenn ihn hungern wird.«

Und indes liebkoste er den Don Johann; als der Kaiser seiner Söhne Rückkehr ernstlich forderte, schien es den Beobachtern, als fühle der König wahre Betrübnis darüber. Hatte er ein Bedürfnis, Jugend und Hoffnung um sich zu sehen, um so mehr, da er seinen Sohn gefangen hielt? Für diesen wenigstens schien er kein Gefühl übrig zu haben.

Don Carlos indes, wohin war er mit allen den Hoffnungen und Entwürfen geraten, die er einst in seiner Kindheit, dem Kaiser gegenüber, so freudig geäußert hatte! Nun war er gefangen und zwar von seinem eigenen Vater; und seine anfängliche Meinung, die Haft werde nur eine kleine Weile dauern, war bald widerlegt worden. Auf die ausschweifendsten Pläne und Aussichten war ihm unmittelbar hoffnungslose Absonderung vor aller Welt gefolgt. Er erfuhr eine Behandlung, von der zwar einige urteilten, sie werde ihn vorsichtiger machen, andere aber, die ihm näher standen, habe er je Verstand gehabt, so müsse er ihn jetzt verlieren. Jedoch überdies auch nach seinem eigenen Begriffe, denn noch immer wollte er nicht beichten, war er mit Gott nicht versöhnt.

Wir gedachten bereits des Briefes, den Suarez in den Irrungen des vorigen Jahres an ihn richtete. Er hat ihm darin vorgehalten, bei den Tränen des Volkes, das in seiner Krankheit für ihn gebetet, bei dem seligen Fray Diego, durch dessen Interzession er damals gesund geworden, hat er ihn angefleht, zu Gott und seinem Vater zurückzukehren.

Ein schwerer Schritt, den man von dem Prinzen forderte; er mußte seinen ganzen Sinn ändern, die Prätentionen gegen seinen Vater mußte er aufgeben und bekennen, daß er unrecht gegen ihn habe; er mußte sich vor dem beugen, in dessen Gewalt er war. Anders war keine Absolution, kein Teil an dem Trost der Kirche für ihn zu erwarten. Auch dauerte es lange, ehe er ihn tat. Erst im Anfang des Mai gelangte er dahin, zu beichten; auch seinen Vater um Verzeihung zu bitten, bezwang er sich. Vielleicht daß er hiervon Erlösung aus seiner Haft erwartete.

Verzeihung gewährte ihm der Vater, die Freiheit nicht. Nur die Rückgabe einiger Zimmer ließ er ihm anbieten. Doch Don Carlos lehnte das ab, er erwiderte, für den Gefangenen sei eins hinreichend; dem Freien werde Spanien zu enge sein. So blieb er in jenem einzigen, der Turm genannt, in das er anfangs eingeschlossen worden.

Da suchte ihn bald jenes körperliche Leiden heim, mit dem er von Jugend auf behaftet war. Wie ihn sein Fieber, das er seit 1559 gehabt, auch seit 1564 zwar nicht so anhaltend wie vorher, aber immer noch häufig und immer wieder belästigte, so litt er auch jetzt daran. Man mußte ihm zuweilen Blut nehmen, täglich ward er magerer, sichtlich schwand er hin. Er war nicht gewohnt, in einem Zimmer, das zum Winteraufenthalt tauglich gewesen, auch den Sommer zuzubringen. In den Gärten von Aranjuez, in den Gehölzen von Segovia, der frischen Luft von Alcala, war er die Hitze des spanischen Sommers gemildert zu fühlen gewöhnt worden. Jetzt hielt ihn dies unglückliche Zimmer, Zeuge seiner Züchtigungen, fest; und unerträglich ward ihm die Hitze. Können wir uns wundern, wenn ihm dies hoffnungslose Dasein zur Beschwerde ward? Konnte er dies ertragen, er, der Gott und Menschen verletzt hatte, um aus mäßiger Beschränkung frei zu werden? Er wünschte zu sterben. Hätte man ihm Waffen gelassen, so ist nicht zu bezweifeln, daß er sie wider sich selbst gerichtet haben würde. Aber so wie man während des Winters den Kamin, in welchem das Feuer brannte, mit einer Vorrichtung umgeben hatte, so daß er nicht mit dem ganzen Leibe zur Flamme gelangen konnte, so versagte man ihm ferner schneidende Werkzeuge, selbst bei Tisch. Jede Möglichkeit des Todes hatte man ihm sorgfältig genommen und ihm nur die Notwendigkeit desselben zu fühlen gegeben. Da erinnerte sich Karl, gehört zu haben, daß der Diamant tödlich sei. Vielleicht hatte man es ihm damals gesagt, als er selbst gern in den Edelsteinen arbeiten mochte, um ihm Vorsicht zur Pflicht zu machen. Jetzt erinnerte er sich dessen und noch trug er einen Diamantring an seiner Hand, die einzige Waffe, die man ihm gelassen. In einer jener Stunden der Verzweiflung, wie sie ihn wohl trafen, kam er so weit, den Stein zu verschlucken. Jedoch unschädlich ging derselbe von ihm.

Und war wohl ein gewaltsamer Schritt nötig, um diesen an sich schwachen, durch immerwährende Krankheit ermatteten, durch die Einwirkung wilder Leidenschaftlichkeit und unerträgliche Behandlung zerrütteten Leib der Erde wiederzugeben? Zwar scheint uns nicht so gewiß, wie es einige vorstellen, daß er ernstlich beschlossen gehabt, sich durch Übermaß zu töten. Aber er war ohnehin gewohnt, jeder Begierde ihren Lauf zu lassen. Sollte er sich jetzt Zwang auflegen? Mochte daraus folgen, was da wollte; das Leben hatte für ihn keinen Wert mehr.

Wozu ihn nun die Hitze in Madrid reizte, darauf drang er mit einer Heftigkeit, daß man es ihm, ohne schlimmere Ausbrüche zu fürchten, nicht immer versagen konnte. Er ließ seine Zimmer mit Wasser begießen, so daß es hoch darin stand, fast als sei es ein Bad, barfuß und halbnackt ging er darin herum; er schlief ohne alle Bekleidung, tagelang nahm er nichts anderes zu sich als eiskaltes Wasser im Übermaß. Da wich, wie seine Ärzte sagten, die letzte haltende Kraft, die Wärme der Natur allmählich von ihm. Aber gleich darauf warf er sich mit einer Art von Heißhunger auf unverdauliche Speisen. Als er einst (man verzeihe uns dies Detail in einer so viel bezweifelten Sache) eine Pastete, mit den stärksten Gewürzen angemacht, genossen hatte und darauf durstig zu seinem Eiswasser zurückkehrte, kam sein Übel zu völligem Ausbruch. Seit dem 14. Juli besuchte ihn sein Arzt Olivarez. Aber der Magen nahm keine Arznei mehr an, und Olivarez sagte ihm bald, daß er wenig Hoffnung habe. Was der Arzt nicht sagte, fühlte er selbst.

Hierauf begann man in allen Klöstern zu Madrid für ihn zu beten. Die Prinzessin Juana ließ die Türen ihres Hauses schließen; von jedermann abgesondert, in Gesellschaft zweier kleiner Mädchen, brachte sie den ganzen Tag im Gebete zu.

Don Carlos aber, im Angesicht des Todes, ward endlich ruhig. Erst mit der Lebenskraft des Leibes haben die Gärungen seiner stürmischen Seele ausgetobt. Jetzt ersuchte er nun seinen Beichtvater um eine Fürbitte bei Gott, daß ihm die Zeit zu beichten noch gewährt sein möge. Vier stille Tage widmete er den Vorbereitungen zu seinem Tode; da war er wie verwandelt; man hörte nichts als vernünftige Worte von ihm. Er verschrieb seinen Gläubigern sein natürliches Erbteil und bat den Vater um der Ruhe seines Gewissens willen, die übrigen zu befriedigen; auch seine Diener empfahl er demselben dringend. Jene kleinen Besitztümer, wie die goldnen Becher, deren er sich bedient hatte, hinterließ er denen, welchen er am geneigtesten gewesen und einigen frommen Stiftungen.

Selbst Ruy Gomez, dessen Gegenwart und Aufsicht alle die harten Tage seines Gefängnisses bezeichnet hatte, bedachte er mit einem Geschenk. Nachdem er gebeichtet, ließ er dem König sagen, nun fehle ihm nichts als sein väterlicher Segen. Man hat es für eine Grausamkeit gehalten, daß Philipp nicht selbst kam, ihn dem sterbenden Sohn zu bringen. Aber so heftig war ihre Entzweiung gewesen, daß der Beichtvater fürchtete, der Anblick des Vaters möge in dem Sohne Erinnerungen aufwecken, die für seinen ruhigen Tod nicht heilsam wären. Auch ohnedies war Karl getröstet. Er sagte, es sei ihm lieb, seinen Vater durch den Tod aller der Sorgen und Qualen zu entledigen, die ihm sein Leben gemacht habe und hätte machen können. In einem Frieden, wie er ihn, solange er lebte, noch nie gehabt, verschied er kurz darauf.

Mit Schmerz sahen die Spanier ihren Thronfolger gestorben. In vielen Inschriften beklagten sie den Verlust von soviel Großmut, Wahrheitsliebe, Freigebigkeit; für sein großes Herz sei die Welt zu klein gewesen. Den Granden und vornehmen Männern, die seine Leiche nach dem Chor von San Domingo el Real getragen oder begleitet, zeigte man dieselbe noch einmal. Einer von ihnen, der Herzog von Infantado, wandte sich zu dem venezianischen Botschafter. »Bei Gott, Herr Ambassador, müssen wir immer auswärtige Könige bekommen? Glücklich, ihr Herren Venezianer, die ihr stets einen natürlichen Fürsten habt und von Edelleuten regiert werdet. Da darf doch einer, der eine Beschwerde hat, sich freimütig beklagen, und man gewährt ihm Gerechtigkeit.« Die Granden hatten gehofft, Karl würde ein Fürst nach ihren Herzen werden.

Philipp kannte alle diese Neigungen; in den letzten Monaten hatte er wohl, wenn er einen außerordentlichen Lärm im Palast hörte, gefürchtet, man komme, den Prinzen zu befreien. Damals hatte ihm Alba geschrieben, er habe entdeckt, daß sich in Flandern einige verschworen, ihn, den König, umzubringen. Aber das schlimmste war, daß man ihm selbst den Tod des Sohnes schuld gab. Und zwar hat sich diese Meinung an dem nächst befreundeten Hofe, dem österreichischen, geäußert. Manche verglichen König Philipp mit Sultan Soliman I., welcher seine Söhne umgebracht habe. Nicht, als hätte man an eine geheime Hinrichtung des Prinzen geglaubt; man klagte diejenigen an, welche während der letzten Krankheit des Prinzen keine besseren Vorkehrungen gegen die Unordnungen, die er beging, getroffen hatten. Der Kaiser entschuldigte den König, daß er den Prinzen nicht noch vor dessen Tode besucht habe; nur durch andere, unter ihnen Ruy Gomez, sei er daran verhindert worden. »Herr Ambassador,« sagte er zu dem venezianischen Gesandten, von dem diese Nachrichten stammen, »mir hat diese Sache von Anfang bis zu Ende mißfallen.« Die Kaiserin hatte den unglücklichen Ausgang längst vorausgesehen.


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