Leopold von Ranke
Savonarola – Geschichte des Don Carlos – Die großen Mächte
Leopold von Ranke

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Drittes Kapitel.

Sinnesweise Savonarolas.

Wenn man die Mächte des inneren Lebens erwägt, welche in dieser Epoche aufeinander wirkten, so repräsentiert das Haus Medici die Richtung einer universalen Kultur, die auf dem Wege der eben erneuerten Studien des klassischen Altertums die geistige Welt umzubilden in Begriff war. Die Kunst, die sich eben von dem herkömmlichen Typus entfernte, um das allgemein Menschliche zu fassen; die Poesie, welche, indem sie die alten Stoffe behandelte, sich doch zugleich in einen Gegensatz zu denselben warf; die Philosophie, die das Christentum mit dem Platonismus zu vereinigen suchte, – alles beruht auf dem nämlichen Moment der Autonomie des Geistes, die sich der christlichen Religion und Kirche nicht zwar entgegensetzt, aber, an ihr festhaltend, aus den Regionen der Scholastik zu entkommen und an Stelle derselben eine freiere, den eingeborenen Ideen des menschlichen Geistes homogene Auffassung zu setzen strebt. Das Geheimnis wird nicht geradezu abgeleugnet; die ganze Äußerlichkeit der Kirche wird aufrechterhalten; aber man verbindet das mit Gedanken, die doch einen ganz anderen Ursprung haben. Zu allgemeiner Herrschaft waren jedoch diese Tendenzen nicht gekommen, noch auch geeignet, eine solche zu erlangen. Das Volk kann des vollen religiösen Glaubens nie entbehren; es hat ein unmittelbares Bedürfnis desselben für sein Tun und Lassen, sowie für sein persönliches Bewußtsein. Ebendies Bedürfnis aber hatte damals in Florenz eine eigentümliche Befriedigung und einen Interpreten gefunden. Indem die Freunde der Medici in Carreggi platonische Symposien feierten, in welchem sie über die zwiefache Aphrodite philosophierten und den wahren Eros sogar an das Christentum anzuknüpfen versuchten, predigte in San Marco der Dominikanerbruder Hieronymus Savonarola gegen jede Einmischung der Philosophie in die christliche Lehre, gegen alle die Abweichungen, welche das Treiben des Tages in Florenz mit sich brachte, von der strengen Moral und dem echten christlichen Leben. Das ist das Geheimnis der Religion, das unaufhörlich frisch entspringt und die Gemüter durch eine denselben eingeborene Sympathie mit sich fortreißt.

Hieronymus Savonarola war im Jahre 1452 in Ferrara geboren, welches damals an Lebensfülle und Glanz mit Florenz wetteiferte. Ein junges Leben aber entwickelt sich niemals an und für sich; es hängt mit den öffentlichen Angelegenheiten mehr zusammen, als man glaubt. Wenn man den Eindrücken nachforscht, die Savonarola in seiner Jugend erhalten haben mag, so hat bewußt oder unbewußt nichts tiefer auf ihn wirken können, als die auf das festlichste gefeierte Anwesenheit Papst Pius II., als er damit umging, die Christenheit zu einem Unternehmen gegen die Türken zu vereinigen. Das Mißlingen dieser Absicht muß man besonders in Ferrara tief empfunden haben, dessen damaliger Herzog, ehrgeizig und prächtig wie er war, eine sehr bedeutende Summe zu dem Unternehmen beigesteuert hatte. Daß der Krieg gegen die Ungläubigen zu ihrer Bekehrung unternommen werden müsse, war und blieb eine der vornehmsten Ideen Savonarolas. Er trat, soviel man sieht, aus moralisch-religiösen Gründen, aus Überdruß an den Iniquitäten des weltlichen Lebens, besonders dem Emporkommen der Bösen über die Guten, in den Orden der Dominikaner, in welchem er gar bald, da er sich als ein guter Thomist erwies, zu einem gewissen Ansehen gelangte. Aber im Jahre 1482, also dem dreißigsten seines Alters, erfuhr sein klösterliches Leben in Ferrara eine plötzliche Störung. Ein Krieg der italienischen Staaten untereinander war ausgebrochen, in welchem Ferrara von dem Papst und den Venezianern zugleich bedrängt wurde. Es geschah im Interesse des Girolamo Riario, der von Imola her ein selbständiges Fürstentum in der Romagna aufzurichten trachtete, daß Papst Sixtus IV. sich den Venezianern anschloß. Indem die Venezianer den Po heraufkamen, griffen zwei verschiedene Heere Ferrara an und bedrohten es mit dem Untergang. Nur durch Zureden des florentinischen Gesandten wurde der Herzog Ercole bewogen, den Sturm zu bestehen. Aber die Dominikaner zu Ferrara wollten ihren damals sehr angesehenen Convent degli Angeli nicht der Plünderung und Verwüstung preisgeben; die Brüder wurden unter die benachbarten Provinzen verteilt. Savonarola wurde nach Florenz in das Kloster San Marco geschickt, eine Stiftung des mediceischen Hauses.

Mit dem politischen Streite verknüpfte sich aber in diesem Moment ein geistlicher; die Florentiner hielten dem Interdikt, das Papst Sixtus IV. über Lorenzo de' Medici ausgesprochen hatte, gegenüber zusammen und ergriffen die Idee einer konziliaren Gegenwirkung gegen das Papsttum. Die sonst so rätselhafte Erscheinung des Erzbischofs von Krain, der sich vermaß, noch einmal ein Konzil in Basel zu eröffnen, bekommt dadurch einiges Licht oder erscheint wenigstens in einem allgemeinen Zusammenhang, wenn man erfährt, daß die Florentiner den König von Frankreich ermahnten, mit anderen Fürsten vereinigt, ein Konzil zur Gegenwehr gegen den Papst zu versammeln. Der Erzbischof schritt zu den heftigsten Anklagen gegen den Papst, den er kannte, und dem er schuld gab, daß er gleichsam den heidnischen Götzendienst an die Stelle der christlichen Religion setze; er lud ihn zu seiner Verantwortung vor ein Konzil und bedrohte ihn sogar mit der Absetzung, wenn er Folge zu leisten verweigere. Das verflog nun alles wirkungslos; aber man darf doch nicht vergessen, daß die Florentiner ihre Abgeordneten bei dem Erzbischof gehabt und die Manifestationen desselben gebilligt haben.

Mit diesen politischen und geistlichen Tendenzen der Opposition gegen das Papsttum traf nun Savonarola in Florenz zusammen. Eben bei diesem seinem ersten Aufenthalt in Florenz ist es gewesen, daß er eine dem Papsttum entgegengesetzte Richtung ergriff. Bei der Vorbereitung zu einer Predigt wurde es ihm klar, daß der gegenwärtige Zustand nicht dauern könne, und indem er dann weiter forschte, namentlich in den Propheten des Alten Testamentes und in der Apokalypse des Johannes, so glaubte er mit Händen zu greifen, daß der ganzen Kirche eine Renovation nicht allein not tue, sondern auch bevorstehe; und da alles ersterbe und von dem rechten Wege abweiche, so setzte er voraus, daß die Erneuerung in kurzem folgen werde, so gewiß, wie das Frühjahr auf den Winter. Von Überzeugungen und Ahnungen wie diese durchdrungen, predigte er in verschiedenen Städten Italiens mit vielem Erfolg. Er schreibt einmal seiner Mutter, in der Fremde sei ihm wohler als in seiner Vaterstadt, wo er schon deshalb, weil man ihn so gut kenne, wenig ausrichten würde; aber in den Städten, in denen er jetzt predige, weine das Volk, wenn er wieder abreise; sie müsse wissen, sagt er, daß er Leib und Leben und seine Wissenschaft dem Dienste Gottes und des Nächsten widme. So kam er im Jahre 1490 nach Florenz zurück. Der frühere Streit mit dem Papsttum bestand nicht mehr; Lorenzo Medici hatte sich vielmehr mit dem Nachfolger Sixtus' IV., Innozenz VIII., eng verbunden. Aber der Zustand der Kirche war darum um nichts besser geworden; auch Innozenz bewegte sich in Kriegsunternehmungen gegen seine Nachbarn und hatte einen Sohn, welchem Lorenzo, wie erwähnt, seine Tochter vermählte. Die auf eine Reform der Kirche gerichtete Sinnesweise Savonarolas mußte dadurch eher verstärkt als verringert werden; sie konnte ihrer Natur nach mit dem Regiment Lorenzos, durch welche das Papsttum unterstützt wurde, so wenig einverstanden sein, wie mit der Förderung einer Kultur, die der Religion nicht homogen war. Und welche Aussicht eröffnete sich dadurch, daß Lorenzo unaufhörlich von gefährlichen Krankheiten heimgesucht und der Papst ein alter Mann war. Alle die, denen eine Veränderung der Politik erwünscht gewesen wäre, hielten sich an Savonarola; man sagte wohl, er sei der Prediger der Mißvergnügten; doch hielt Savonarola sehr an sich. Seine Andeutungen über eine bevorstehende stürmische Zukunft erschienen nur als Auslegung der vorliegenden Texte. Savonarola erzählt, Lorenzo habe ihn einmal warnen lassen, doch nicht in seinem eignen Namen, worauf er nur geantwortet habe, er möge Buße für seine Sünde tun. Zum offenen Zerwürfnisse aber zwischen Lorenzo und Savonarola ist es nicht gekommen. In seinen letzten Stunden hat Lorenzo den Mönch berufen lassen und um seinen Segen gebeten. Savonarola lebte ganz in seiner religiösen und monastischen Welt. Sein vornehmstes Geschäft war damals und in der nächstfolgenden Zeit, die Novizen, welche in den Orden treten wollten, zu unterrichten; indem er ihnen die Schrift auslegte, wies er sie zugleich zu strengem Leben und eifrigem Fleiße an, um zu dem eigensten Geschäft des Ordens der Dominikaner, d. h. der Predigt, fähig zu werden. An den Brüdern des Konventes tadelte er es, wenn sie das Kloster reich zu machen trachteten oder auch durch besondere Gelehrsamkeit zu glänzen bemüht seien; denn wie weit sei das von dem Beispiel der alten ägyptischen Mönche entfernt, auf deren Regel er die Klosterbrüder unaufhörlich hinwies; es widerstrebe selbst dem ursprünglichen Christentum. Seine Reform gab sich in einigen Äußerlichkeiten, z. B. einer kürzeren und engeren Kleidung kund und erstreckte sich zugleich über die Nachbarklöster; er legte Hand an, um eine besondere, von der Ordensprovinz der Lombardei getrennte Kongregation zu bilden.

Diese Absonderung wurde von der florentinischen Signorie gewünscht und gefördert. Man hat einige Briefe des Rates der Zehn, durch die sie der römischen Kurie empfohlen wird; unter den Abgeordneten von San Marco, welche in dieser Sache nach Rom gesendet wurden, war ein Florentiner aus der Familie der Rinuccini, so daß der Entwurf etwas speziell Florentinisches hat. In Rom wurde er dagegen von den Abgeordneten der Dominikanerkonvente von Mailand, Ferrara, Bologna, Genua und Venedig bekämpft. Der Provinzial der Lombardei hatte bereits die Verfügung erlassen, daß Savonarola aus dem Konvent von San Marco entfernt werden solle, als noch zur rechten Zeit das Breve des Papstes Alexander VI. in Florenz eintraf, welches die Absonderung guthieß. Die Sache war besonders durch den Kardinal Carafa von Neapel durchgesetzt worden, an den die Florentiner sich deshalb gewandt hatten; die Willensmeinung Alexanders VI. scheint an sich nicht dahin gegangen zu sein, aber er fügte sich den an ihn gerichteten Bitten, zumal, da auch Piero de' Medici sich dafür verwandte. Die übrigen Konvente von Toskana schlossen sich mit Freuden an; eine Versammlung von Deputierten derselben wählte Savonarola zum Generalvikar, so daß er nun dadurch eine bedeutende Stellung in der ganzen Provinz, eine Art von monastischer Unabhängigkeit erhielt.

Auch auf das Volk erstreckte sich bereits seine unmittelbare Einwirkung. Einst, im Jahre 1482, waren die Florentiner mit den Medici in einer antipäpstlichen Richtung einverstanden gewesen. Die Medici waren von derselben zurückgewichen; aber es wäre sehr begreiflich, wenn die in jener Krisis entwickelte Gesinnung der Florentiner den Boden gebildet hätte, auf welchem Savonarola seine Wirksamkeit entfalten sollte. In seinen Predigten schlug er überhaupt einen anderen Ton an, wie bisher. Es war die Gewohnheit der Zeit, auf der Kanzel schwierige Fragen zu erörtern, die man dann mit spitzfindigem Scharfsinn, wie in einer Disputation aufzulösen versuchte. Soviel wir vernehmen, folgte ihr anfangs auch Frate Hieronimo; durch einen älteren Ordensbruder aber wurde er aufmerksam gemacht, daß der Zweck der Predigt nur dahin gehe, das Volk mit einfachen Worten zu einem guten Leben anzuleiten. Diesen Rat nun befolgte Hieronymus, indem er zugleich den Anstoß von sich abstreifte, welchen die Eigentümlichkeiten seines Dialektes darboten, so daß er selbst ein Muster eines guten Predigers wurde und sich auch in Florenz eines großen Beifalls erfreute. Scholastische Syllogismen hat er nicht ganz vermieden, aber die Hauptsache war ihm die Auslegung der Texte nach ihrem inneren tieferen Sinn und die Anmahnung des Volkes zu einem christlichen Leben in der Weise der ersten Jahrhunderte der Kirche. Er gelangte dadurch zu hohem Ansehen; man bewunderte seinen Geist und seine Kenntnisse, so daß sich auch vornehme Bürger der Stadt um ihn gruppierten; das Volk riß er mit sich fort. Im Laufe der Zeit kehrte Savonarola die einmal eingeschlagene Richtung immer stärker hervor; er begann, und zwar geschah das in der Hauptkirche zu Florenz, ein nahes Unheil zu verkündigen, welches die Stadt und ganz Italien, vor allem aber die verderbte Kirche treffen werde. Am meisten fiel dabei auf, daß er seine Verkündigungen als eine Botschaft Gottes aussprach.

Diese Behauptung, der Anspruch, den er auf die Gabe der Prophetie machte, ist in seinem Leben überhaupt der wichtigste Moment, der gleich von vornherein eine nähere Erörterung verdient. Francesko Guicciardini hat in seinem Jugendwerke über die florentinische Geschichte die Meinung geäußert, Savonarola müsse entweder in der Tat ein Prophet gewesen sein, oder doch ein großer Mann, da er dies Vorgeben sein ganzes Leben hindurch zu behaupten gewußt habe. Vielleicht gibt es noch ein drittes; er war überzeugt, ein Prophet zu sein; aber man muß erst untersuchen, ob er das wirklich war, was man in alten und neuen Zeiten unter dem Wort Prophet verstanden hat. Vergegenwärtigen wir uns zunächst den Gang seiner Studien in Gedanken.

Noch vor seinem Eintritt in das Kloster hatte er sich ernstlich mit der peripatetischen Philosophie beschäftigt, wie sie damals gelehrt ward, und war dabei zu der Überzeugung gelangt, daß der wahre Ausleger des Aristoteles Thomas von Aquino sei. Schon darin liegt ein überwiegend theologischer Gesichtspunkt, da es ja die Lehre des Thomas ist, daß die Philosophie allein zur Erkenntnis der göttlichen Wahrheit nicht führen könne. Aber wie Thomas und selbst Albertus Magnus in dem Studium der natürlichen Dinge als der Wirkungen Gottes einen Weg zur wahren Erkenntnis erblicken, so auch Savonarola. Er erzählt einmal, daß er sich in seiner Jugend emsig mit der Wissenschaft der natürlichen Dinge beschäftigt und dabei viele Wahrheiten erkannt habe, die er alsdann auch auf die moralischen und religiösen Fragen habe anwenden können; bei der Betrachtung der Natur habe er die Regeln und Ordnungen, in denen sich alles bewege, wahrgenommen; durch seine Studien sei er dann weiter gelangt, als viele andere; doch nicht durch die Kräfte seines Geistes allein; dazu sei noch ein anderes Licht gekommen, das ihn dann auch in seinen moralischen Betrachtungen weitergeführt habe, als er je gehofft hätte. Wenn er nun die ihm zuteil gewordene höhere Erkenntnis mit dem inneren Lichte zusammenstellt, das ihn zur Prophezeiung geführt habe, so könnte es scheinen, als meine er damit die Gabe der Intuition, durch welche die gewöhnlichen Gegenstände der Erkenntnis in ein allgemeines Licht treten, wie er denn auch sagt, daß vieles von dem, was er schon gewußt, ihm erst später durch diese über seinen Geist hinausgehende Erleuchtung klar geworden sei. So setzt er das Wesen der Prophetie in ein Sehen desjenigen, was gewöhnlichen Augen verborgen bleibe, denn Prophet heiße nur eben ein Seher. Allein dabei bleibt er keineswegs stehen; er nimmt eine Kenntnis der zukünftigen Dinge durch unmittelbare göttliche Vermittlung in Anspruch. Mit Lebhaftigkeit bekämpft er die Astrologie, denn nicht aus dem Geschaffenen könne man die Zukunft erkennen, schon darum nicht, weil diese von dem freien Willen, also von Zufälligkeiten abhänge, die nur Gott allein wisse; denn vor dem dreieinigen Gott sei alles gleich offenbar, das Vergangene, Gegenwärtige und Künftige; das Zukünftige zu wissen, sei daher ein Vorrecht der Gottheit. Er spricht das Wort aus, daß die Wissenschaft desselben eine Teilnahme an dem göttlichen Wesen sei. Von diesem theosophischen Gedanken finde ich weiter keine Entwicklung, wie denn bei ihm überhaupt von den theosophischen Richtungen der deutschen Theologie nicht die Rede ist. Die Kenntnis des Zukünftigen beruht nach Savonarola auf einer unmittelbaren Erleuchtung oder auch einer Vermittlung der Verkündigungen durch die Engel. Er teilt die Vorstellungen der Schriften, welche dem Dionysius Areopagita zugeschrieben werden; er hat keine Ahnung davon, daß das Werk » de coelesti hierarchia« untergeschoben und in monophysitischen, also der katholischen Kirche entgegengesetzten Tendenzen verfaßt worden ist. Erleuchtung durch die Engel Gottes nimmt er ohne alles Bedenken an. Er scheint darin durch einen anderen Klosterbruder von San Marco, Fra Silvestro Maruffi, der, eigentlich ein Nachtwandler, unaufhörlich Erscheinungen hatte oder doch zu haben vorgab, bestärkt worden zu sein. Auch Savonarola bezieht sich auf Visionen, denen er volle Wahrhaftigkeit zuschreibt. Die Frage, ob er nicht vielleicht durch böse Engel getäuscht werde, hat er nicht ganz außer acht gelassen; aber er behauptet, da seine Erleuchtung nur zu dem Guten und echt Christlichen führe, so könne sie nicht von bösen Engeln kommen, deren Sinn nur auf das Böse gerichtet sei; überdies aber stimme alles, was er sage, mit der Schrift zusammen. In der Anschauung des allgemeinen christlichen Verderbens hatte er im Studium der Apokalypse die Meinung gefaßt, daß das Ende der Welt bevorstehe; es sei eben alles so, wie in der Zeit, die der Sündflut vorangegangen; das in der Apokalypse durch das fahle Pferd bezeichnete Zeitalter der Lauheit sei eingetreten. In diesem Sinne hatte er schon auf den erwähnten Reisen gepredigt. In Florenz vermehrte sich sein Abscheu vor dem weltlichen Treiben, in welchem das ganze Universum versunken sei; auch er hatte Visionen oder glaubte sie zu haben – denn an seiner persönlichen Wahrhaftigkeit dürfte man nicht zweifeln, – in denen sein Hauptsatz, daß eine schwere Strafe bevorstehe, bestätigt wurde. Einst in der Nacht glaubte er ein Schwert an der Himmelsfeste zu sehen mit der Aufschrift: »das Schwert Gottes über die Erde bald und geschwind.« Er war überzeugt, daß besonders Italien zur Züchtigung reif sei und ihr nicht entgehen könne. Zugleich wirkte auf ihn die damalige Verwicklung der europäischen Angelegenheiten, die er mit dem Zustand Italiens kombinierte; schon lange vor der Ankunft des Königs von Frankreich kündigte er einen neuen Cyrus an, der über die Alpen kommen und gegen den keine Feste und keine Waffe standhalten werde; er stützt sich dabei auf eine Stelle des Jesaias, welche wörtlich noch einmal erfüllt werden müsse. Überhaupt hat kein Teil der Heiligen Schrift so viele Wirkung auf ihn gehabt, wie die prophetischen Bücher des Alten Testaments; die Propheten leben vor seinen Augen wieder auf, und historisch genommen, bildet er sich in Florenz eine der ihren analoge Stellung. Denn jeden Augenblick setzt er dem weltlichen Treiben die göttliche Idee entgegen, selbst in bezug auf die kommenden Dinge, die er, wie auch jene, zwar im allgemeinen als weltumfassend betrachtete, aber doch auch an das zunächst Vorliegende anknüpfte. Und aus den Formen der lateinischen Übersetzung bildete er sich Ansichten von dem prophetischen Wesen, die auf ihn selbst paßten und durch welche seine Idee von der Verähnlichung des menschlichen Geistes mit dem göttlichen, sowie von dem Verhältnis der Intuition zur Prophetie bestätigt wurde. Es ist unleugbar, daß er die Stellen unrichtig verstand, aber ebensosehr, daß er sie so verstand, wie er sagt.

Seine Theorie, die sich auf mißverstandene Stellen aus dem Alten Testament und eine untergeschobene Schrift aus dem sechsten Jahrhundert gründete, stand in Tat und Wahrheit auf sehr schwachen Füßen; er aber hielt sie für unumstößlich und trug seine Anschauungen, die ein sehr subjektives Element in sich hatten, mit voller Sicherheit und einer Beredsamkeit, die nur aus dem Gefühl dieser Sicherheit entspringt, dem florentinischen Volke vor. Und für jedermann einleuchtend war es doch, was er von dem Gegensatz zwischen der ursprünglichen christlichen Lehre, dem Leben der alten Christen überhaupt und dem damaligen Zustande der Christenheit predigte. Mit der Verkündigung über die nahe Züchtigung Italiens verknüpfte er die andere, daß eine Erneuerung der Kirche von Grund aus bevorstehe, und zugleich die Bekehrung der Türken und Mauren, der Ungläubigen insgesamt zum christlichen Glauben.

Der Frate war ein Mann von kleiner Statur, aber wohlgebildet. In seinem Antlitz verband sich eine hohe, von Runzeln durchfurchte Stirn mit blauen Augen, die unter buschigen, ins rote fallenden Brauen mit ungewöhnlichem Glanze hervortraten. In seinem Auftreten verriet er bei allem mönchischen Habitus doch eine gewisse Urbanität. Er war zufrieden mit der ärmlichen Kleidung des Klosterbruders, aber er hielt darüber, daß sie vollkommen rein war; er sagte wohl, er liebe die Armut, ohne Schmutz. Er schien nichts anderes zu kennen und zu wollen, als das strenge, der Welt abgewandte geistliche Leben; doch gab er nach, daß dasselbe den ganzen Menschen nicht durchdringen könne; es werde in demselben noch immer etwas nach dem Irdischen Hineinneigendes zurückbleiben – eine den Zeloten ungewohnte Toleranz. Er war zugänglich für jedermann, auch für seine Feinde, von denen man bemerkte, daß sie nicht selten als Freunde und Verehrer von ihm schieden. Niemals fuhr er auf und vermied allen bitteren Tadel; bei den Schmähungen, die er erfuhr, sah man ihn doch keine Miene verändern. Seine ganze Art und Weise brachte es mit sich, daß er die Menschen überzeugte. Er erwarb sich den Ruf eines ausgezeichneten Philosophen – denn er kannte Aristoteles und St. Thomas durch und durch –; noch mehr aber eines großen Theologen, denn so tief sei noch nie jemand in die Geheimnisse der Heiligen Schrift eingedrungen; man erklärte ihn für einen göttlichen Verkünder des Wortes Gottes. Wenn er im persönlichen Umgang keinen Anspruch auf eine besondere Heiligkeit durchblicken ließ, so hob er denselben in seinen Predigten um so stärker hervor; er wollte immer als der Gesandte Gottes anerkannt sein.

Daß er nun die Ankunft Karls VIII. vorhergesagt hatte, verschaffte ihm, als diese eintrat, in Florenz das Ansehen eines Propheten. Zwischen den Absichten, welche die Unternehmung des Königs hervorgerufen hatten und den Ideen Savonarolas bestand eine innere Verwandtschaft; was im Jahre 1482 vergeblich angestrebt worden, aber bei Ludwig XI. niemals zu erreichen gewesen wäre, schien sich jetzt erfüllen zu sollen. Karl VIII. hatte eine Reform der Kirche sehr ernstlich im Sinne; er wollte die päpstliche Gewalt nach den Satzungen des Baseler Konzils, welche in Frankreich noch gesetzliche Kraft hatten, beschränken und schwärmte für einen Zug gegen die Ungläubigen. Es waren die großen Tendenzen der abendländischen Christenheit in dem Mittelalter, welche einerseits in den Kreuzzügen, andererseits in den Versuchen, der Kirche eine konziliare Verfassung zu geben, zutage getreten waren.

Eben in diesen Gedankenkreisen bewegte sich Hieronymus Savonarola zeit seines Lebens. Die Haltung Alexanders VI. war in jeder Beziehung eine andere; er wollte die absolute Gewalt des Papsttums festhalten, von einem Unternehmen gegen die Türken aber nichts hören. Bei allen denen, die in der Idee der Christenheit als einer Gesamtheit lebten, mußte es tiefe Indignation hervorrufen, als man vernahm, Papst Alexander stehe im Bunde mit den Türken und fordere den Sultan auf, ihm Hilfe gegen den allerchristlichsten König zu leisten. Die Sache wurde damals allgemein bekannt; der Kardinal San Pietro in Vincoli hat sie ohne alles Hehl in Florenz mitgeteilt; niemand war im Zweifel darüber. Der Eindruck konnte kein anderer sein, als Savonarola und die Ratgeber des Königs in den Ideen einer kirchlichen Reform zu bestärken. Der Bischof von St. Malo, Briçonnet, der bei dem König alles zu vermögen schien, hat eines Tages im Zwiegespräch mit Savonarola dessen Hand in die seine gefaßt; sie haben sich zu der Meinung vereinigt, daß eine Erneuerung der Kirche notwendig sei. An dies Verhältnis mag es anknüpfen, wenn Savonarola der Gesandtschaft an den König beigeordnet wurde und später an den Unterhandlungen mit ihm teilgenommen hat. Als Karl VIII. Florenz verließ, durfte man die Beseitigung des Papstes Alexander und die Durchführung eines reformatorischen Unternehmens, wie es Savonarola beabsichtigte, erwarten. Unleugbar ist, daß Karl VIII., erfüllt von diesen Absichten, in Rom anlangte. Er wurde von einer Anzahl von Kardinälen aufgefordert, die Absetzung des Papstes, der durch Simonie zur Tiara gelangt sei, vorzunehmen und zu unterstützen; ungefähr wie manche von den deutschen Kaisern, wenn sie in Rom anlangten. Hätte man sich dazu entschlossen und, wie in den Manifesten Karls angedeutet wurde, ein allgemeines Konzil berufen, so würde Savonarola, in welchem gleichsam die Ideen von Basel wieder auflebten, der größte Mann in der damaligen Kirche geworden sein. Aber König Karl hatte zunächst doch ein anderes Ziel; ihm lag alles daran, von dem Papst in seiner Unternehmung gegen Neapel nicht gestört zu werden; er trat in Unterhandlungen mit ihm ein, in deren Folge er die wichtigsten Seeplätze des Kirchenstaates in seine Hand bekam, wie in Toskana die Festungen der Florentiner; der Papst opferte ihm zugleich seinen Bund mit den Türken auf, indem er ihm den Bruder Bajazeths, der nach Rom geflüchtet war, überließ; der König hat gesagt, nicht die Absetzung des Papstes, sondern eine kirchliche Reform habe er versprochen. Aber auch eine solche in Gang zu setzen, so versichert Comines, war seine Umgebung wenig geeignet. Wenn Savonarola bei seinen Entwürfen auf König Karl zählte, so war durch die Abkunft, die dieser mit dem Papst Alexander traf, die Gelegenheit, zu einem solchen Werke zu schreiten, wenigstens sehr in die Ferne gerückt. Vor der Hand war Savonarola darauf angewiesen, die kirchliche Reform, die keineswegs aufgegeben, sondern bloß vertagt war, in der Republik Florenz anzubahnen und vorzubereiten. Mit der kirchlichen Reform verknüpfte sich eine weltliche.


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