Leopold von Ranke
Savonarola – Geschichte des Don Carlos – Die großen Mächte
Leopold von Ranke

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Zehntes Kapitel.

Verdammung und Tod Savonarolas.

Schlußbemerkungen

Savonarola trug eine Doktrin vor, welche in sich selbst nicht ungeeignet war, dem Papsttum eine nachhaltige Opposition zu erwecken; das wahrhaft christliche Leben, das er in der Stadt einführte, gab ihm eine geeignete Grundlage zu einer Abweichung von dem herrschenden kirchlichen System, welches durch das Verhalten Papst Alexanders in sich selbst zweifelhafter wurde, als jemals früher. Und die politischen Verhältnisse, durch welche Florenz in eine dem Papsttum feindselige Haltung geriet, versprachen ihm einen Rückhalt bei jeder Abweichung von demselben. Aber nach und nach hatten sich diese Verhältnisse geändert. Im Interesse von Florenz lagen Friede und Freundschaft mit dem Papste. Hierüber erwachten die alten Gegner Savonarolas, in denen der Widerwille gegen seine demokratische Politik sich mit den Zweifeln an seiner göttlichen Mission vereinigte. Eben diese nun unternahmen die Dominikaner durch eine Feuerprobe zu erhärten. Indem Savonarola eine übernatürliche Bekräftigung seiner Doktrin in Anspruch nahm, hielt er die Einwohner in aufgeregter Spannung; da eine solche nicht eintrat, so wendete sich die Meinung gegen ihn, und seine städtischen Feinde bekamen das Übergewicht; er war jetzt ihr Gefangener. Was nun aber mit ihm geschehen sollte, war noch ein Gegenstand schwieriger Erwägung.

Um darüber Beschluß zu fassen, berief die Signoria gleich am nächsten Tage eine zahlreiche Pratika. Der Gonfaloniere eröffnete dieselbe mit einer leichten Andeutung über die vorgefallenen Unruhen und die Bemerkung, daß Bruder Hieronimo in den Händen der Signoria sei, wie deren Ehre erfordere; aber sie begehre Rat darüber, wie man weiter zu verfahren und ob man ihn dem Verlangen des Papstes gemäß nach Rom auszuantworten habe. Dieser ersten Frage fügte er noch eine zweite, auf den Zustand der Parteiung, in der man sich befand, bezügliche hinzu; Savonarola hatte nicht allein noch viele Anhänger in der Stadt, sondern die beiden vornehmsten Behörden, unter welche die Staatsangelegenheiten und die Kriminaljustiz gehörten, die Dieci und die Otto waren Freunde desselben, die letzteren in so hohem Grade, daß sie sich, als die Menge Partei gegen den Frate genommen, in der Stadt nicht hätten zeigen dürfen; so verhaßt waren auch sie dem Volke geworden. Der Gonfaloniere fragte nun, ob diese Ämter ihren bisherigen Inhabern verbleiben oder durch Neuwahl an andere übertragen werden sollten. Von den Ratschlägen, die dann geäußert wurden, erscheint der, welchen Bernardo Rucellai, einer der Angesehensten von der aristokratischen Faktion, gab, als der umsichtigste; er erinnerte, die Stadt sei in diesem Augenblicke nur schwach; denn verleitet vom Frate Hieronimo habe man seit langer Zeit verabsäumt, die nötigen Maßregeln zu ergreifen, die alten Verbindungen der Republik außerhalb und innerhalb Italiens zu unterhalten; er erklärte sich zwar für ein Verhör des Bruder Hieronimo in aller Form, gedachte jedoch zugleich der Gefahr, die daraus entspringen könne, wenn ein Teil der Cittadini durch diese Konfession kompromittiert werde; man müsse sich hüten, neue Aufregungen zu veranlassen. Wenn wir ihn recht verstehen, so war seine Meinung darauf gerichtet, vor allen Dingen die auswärtigen Verhältnisse ins Auge zu fassen, was nach der Beseitigung des Frate leicht geschehen könne, und allen ferneren inneren Entzweiungen, die aus den Bekenntnissen desselben hervorgehen könnten, möglichst vorzubeugen. Ein guter Kenner des Altertums, wie er war, erinnerte er an das Beispiel Cäsars, der die Briefschaften des Pompejus nicht hatte sehen wollen; er beurteilte die Sache aus dem Standpunkte des inneren Friedens und der Notwendigkeit einer veränderten, aber festen Politik. So hatte auch Vespucci auf die Gefahr aufmerksam gemacht, die darin liege, wenn man alles publizieren wolle, was Frate Hieronimo aussage; man sollte vielmehr davon nichts bekannt machen, als was die Signoria bekannt zu machen für gut halte. Für die Auslieferung des Frate an Rom war eigentlich keine Stimme, dagegen die große Mehrheit für eine Veränderung in den Dieci und Otto, welche denn auch sofort ins Werk gesetzt wurde. Der mailändische Gesandte versichert, daß wenigstens in den Rat der Otto lauter Feinde Savonarolas eingesetzt worden seien. Auch Doffo Spini hatte in demselben Platz gefunden. Unter dieser Stimmung wurde nun auch das Verhör des Frate eingeleitet; gleich am 9. April ist es gewaltsam und formlos unter den Martern der Tortur begonnen worden. Zwei Tage darauf wurden 17 Essaminatori ernannt, ebenfalls fast alle seine Gegner.

Die Verhöre folgten dann bis zum 17. April ohne Anwendung der Folter. Wenn man sie liest, so findet man eine Anzahl von Angaben von hohem Interesse über Savonarolas Stellung, seine Verhältnisse im allgemeinen, die man nicht verwerfen dürfte, wiewohl die Art und Weise des Verhörs eher Abscheu erweckt. Das Bestreben war besonders dahin gerichtet, den verschiedenen Intelligenzen, durch welche Savonarola Autorität erlangt hatte, auf die Spur zu kommen; seine Aussagen darüber haben alle mögliche innere Wahrscheinlichkeit. Diese Verständnisse waren nicht von ihm provoziert, ihm aber deshalb lieb und wert, weil sie ihm auch in Rom ein gewisses Ansehen verschaffen mußten. Daß die Konfessionen vieles enthalten hätten, was man nicht ohnehin wissen konnte, läßt sich nicht sagen; eben deshalb schienen die Ergebnisse der Verhöre manchem noch nicht genügend, denn in dem Ausgesagten sei gleichsam nur die Rinde enthalten und nicht der Kern. Andere fürchteten, daß man durch ferneres Inquirieren nur neue Aufregungen veranlassen werde; für diejenigen, welche kompromittiert waren, wurde Rücksicht und Milde gefordert, denn nur die Führer seien strafbar, nicht die Menge, die ohne Verstand hinter anderen herlaufe. Die vornehmste Frage war allezeit, wie man sich gegen den Papst zu stellen habe, der die Auslieferung der Angeklagten noch immer forderte; sie wurde bereits am 13. April in einer Pratika erwogen.

In derselben war die überwiegende Meinung, die Forderung des Papstes, daß Savonarola und die beiden anderen in Haft genommenen Frati nach Rom geschickt würden, weder anzunehmen, noch geradezu abzulehnen, vor allem nur darauf zu dringen, daß der Papst den Zehnten von den geistlichen Gütern bewillige, auf so lange, als es irgend möglich sei, und in solchen Formen, daß das Zugeständnis nach seinem Tode von seinen Nachfolgern nicht zurückgenommen werden könne.

Ohne darauf ausdrücklich einzugehen, forderte Alexander VI. die Auslieferung aufs neue, so daß am 5. Mai noch eine Pratika stattfinden mußte. Girolamo di Filippo Rucellai gab den Rat, den Papst zu ersuchen, die Exekution in Florenz geschehen zu lassen, damit die Schuldigen da bestraft würden, wo sie gesündigt hätten. Dem fügten andere hinzu, daß die Exekution auch deswegen in Florenz geschehen müsse, weil es daselbst noch viele Anhänger des Frate gebe; und zugleich müsse man den Papst auffordern, den Zehnten zu bewilligen. Da man nun aus dieser Rücksicht vermeiden mußte, ihn zu verletzen, noch auch für ratsam hielt, die Gefangenen ihm zuzuschicken, so traf man die Auskunft, daß er gebeten werden möge, Kommissare zu senden, um die Frati darüber zu vernehmen, was er von ihnen erforscht zu sehen wünsche; man verlangte Kommissarien auch für die Degradation, um alsdann die Exekution von der weltlichen Gewalt vornehmen zu lassen.

In diesen Deliberationen trat ein anderes Motiv unerwartet hervor; der große Gegensatz, welcher die Geschichte aller europäischen Kommunen durchzieht, der Widerstreit zwischen Adel und Gemeinde, mischte sich in diese Sache noch auf eine andere Weise, als es bisher der Fall gewesen war. Bisher hatte der Dominikanermönch das Volk für sich gehabt; in diesem Augenblicke erweckte er Sympathien auch bei den großen Geschlechtern. Diese waren mit dem Gange der Dinge nicht ganz zufrieden. Manche bedauerten das Schicksal Valoris; den Frate Hieronimo hätten sie lieber gerettet, um sich seiner ein andermal bei vorkommender Gelegenheit bedienen zu können; sie trugen auf eine milde Behandlung der Gefangenen und möglichste Geheimhaltung ihrer Geständnisse an. Die Popolanen aber, welche an dem Anteil an der Regierung, den sie dem Dominikanerbruder selbst verdankten, Geschmack gefunden hatten, forderten mit lautem Zuruf strenge Gerechtigkeit; besonders verlangten sie die Bestrafung aller derer, die an den in San Marco gepflogenen Intelligenzen teilgehabt hatten; die Hoffnung regte sich unter diesen, auf diese Weise die Macht der großen Geschlechter aufzulösen; die Lage war so drohend, daß die Großen in diesem Augenblick nicht ungern ein Oberhaupt an ihre Spitze gestellt hätten, nämlich Lorenzo di Pier Francesko de' Medici, mit welchem der Herzog von Mailand einverstanden war. Allein man sah, daß das bei dem Volk niemals durchzusetzen gewesen wäre und mußte zufrieden sein, die Regierung in dem schwankenden Zustand zu lassen, in dem sie sich befand. Die Sache des Frate war hiernach bereits nicht mehr die vornehmste, weder für die äußeren, noch für die inneren Angelegenheiten; aber wie sie einmal in Gang gesetzt worden, so mußte sie weiter zu Ende geführt werden.

Am 11. Mai erging ein neues Breve, in welchem der Papst die nahe Ankunft zweier päpstlicher Kommissare zu weiterem Verhör der drei Kinder des Verderbens – so bezeichnet er die Gefangenen – ankündigte und zugleich über die Degradation derselben Verfügung traf.

Am 19. Mai langten die beiden Kommissarien an; es waren der Dominikanergeneral Giovacchino Turriano und der Bischof von Ilerda, Francesko Romolino, ein Spanier; das Verhör begann am 20. Mai; es bezog sich besonders auf die kirchlichen, namentlich die konziliaren Angelegenheiten. Das Aktenstück durchzulesen ist ein sehr peinliches Geschäft, da man doch nicht alles verwerfen kann, was der Gefangene über seine Absichten aussagte, aber doch auch bei den Gewaltsamkeiten, die dem armen, schwachen Manne angetan wurden, nicht eben jedes Wort annehmen darf; seine Haltung war nicht unwürdig, aber nachgiebig.

Es ist unleugbar, daß die Bekenntnisse des Frate, soweit etwas davon verlautete, einen ungünstigen Eindruck auf die gläubigen Anhänger gemacht haben, denn sein Prophetentum, sein göttlicher Beruf selbst wurde dadurch zweifelhaft. Man sagte, auch unter den heftigsten Qualen der Tortur hätte ein wahrer Prophet nicht zugestehen dürfen, daß er das Volk mit falschen Weissagungen hintergangen habe; viele behaupteten, das Falsche seines Vorgehens erkenne man ja nun auch daraus, daß er von den päpstlichen Kommissaren zum Tode verurteilt werde. Darauf erwiderten andere, das habe er ja alles selbst vorausgesagt; wenn es nun geschehe, so diene es eben zum Beweis, daß er ein wahrer Prophet sei.

Was in ihm selbst vorging, sieht man aus seiner Auslegung der ersten Verse des einunddreißigsten Psalms, die er in der Einsamkeit seines Gefängnisses niedergeschrieben hat. Auf seine Weise führt er die Figuren der Traurigkeit und der Hoffnung redend ein; wenn man von dieser Form absieht, so hat man ein Selbstgespräch vor sich aus den Tagen, in welchen er zwischen Leben und Tod schwebte, von einer tiefen, inneren Wahrhaftigkeit. Er war von der gräßlichen Besorgnis ergriffen, daß die göttliche Gerechtigkeit in aller ihrer Strenge an ihm vollzogen werden würde; denn die göttliche Gerechtigkeit suche die Welt heim mit ihren Züchtigungen; habe sie nicht die Sündflut geschickt, Jerusalem zerstören lassen? Aus der Hölle sei keine Erlösung. Was habe ihm sein tränenvolles Gebet gefruchtet?

Zu dieser in den Traditionen der Kirche wurzelnden Angst gesellten sich aber noch andere, außerhalb derselben liegende Zweifel. Er höre sagen, Gott kümmere sich gar nicht um die untergeordneten Dinge dieser Welt. Wäre es wahr, daß er auf die Erde herabgestiegen und sich an das Kreuz habe schlagen lassen, so würde er auch herabkommen, um den Unglücklichen und Bedrängten beizustehen, und wenn die Engel und Heiligen wirklich Erbarmen fühlten, wie sollten sie nicht erscheinen, um ihn zu trösten? Wir wissen, er hatte immer an eine übernatürliche Rettung geglaubt; darüber, daß eine solche nicht erschien, war er an seinem Glauben beinahe irre geworden. Die Besorgnis wird in ihm wach, daß es auf Erden doch nichts weiter gebe, als was man mit Augen sehe und der Geist der Menschen dem verschwindenden Rauche gleiche. Noch sei niemand aus der andern Welt zurückgekehrt, um von ihr Kunde zu geben. Auf diese Weise der Verzweiflung nahe gebracht, erinnert sich Savonarola doch wieder der Förderung Gottes, die er in allen seinem Tun sichtlich erfahren habe; eine sichtbare Hilfe, wie er sie immer gehofft habe – so sagt er sich jetzt –, sei doch weder notwendig, noch auch vielleicht nützlich; der Umgang mit den Engeln und den Heiligen, den er vermisse, sei nur wenigen zuteil geworden und auch diesen nur in den letzten schwersten Augenblicken; es gebe auch einen göttlichen Beistand, der dem menschlichen Auge verborgen bleibe; in seinem Herzen empfinde er Gott. Indem er sich hierauf gestützt zu neuem Gebete ermannt, so bestürmen ihn neue Beängstigungen; er erinnert sich, daß er nicht zu den Auserwählten gehöre, denen die Verheißung des ewigen Lebens gelte, denn er habe große Sünden begangen; er habe, so gesteht er ein, in der Kirche Ärgernis gegeben, er habe Himmel und Erde beleidigt. Der Himmel weise ihn von sich; die Erde wolle nichts von ihm wissen; für ihn sei das beste der Tod, selbst ein freiwilliger. Er sagt es nicht, aber es versteht sich ja, daß der freiwillige Tod auch ein ewiger sein müßte. Fragen wir nun, was ihn in diesem verzweiflungsvollen Zustand wieder aufrichtete, so war es allein die Idee der Barmherzigkeit Gottes, die noch größer sei, als die Gerechtigkeit; derer, welche nicht auserwählt, aber doch gerettet werden, sei eine unzählige Menge; auch ihn habe Gott doch nicht völlig fallen lassen; du hast, sagt er zu sich, dem Herrn viele Jahre gedient, dann aber dein Herz erhöht; du bist deinen eigenen Gedanken nachgegangen. Hierauf hat Gott seine Hand von dir abgezogen, dann bist du in die Tiefe des Meeres gefallen. Aber die Gnade Gottes hat dir die Hand gereicht, so daß du nicht umgekommen bist. Daraus schließt er, daß er, wenn nicht zu den Auserwählten, so doch auch nicht zu den Verworfenen gehöre.

Die Schrift ist dieselbe, in der auch die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben in voller Deutlichkeit hervortritt; von mönchischer Werkheiligkeit ist darin keine Spur zu finden. Sie ist wie eine Beichte, ein religiöses Selbstgespräch, in welchem bei aller scholastischen und exegetischen Spitzfindigkeit ein tiefes, warmes und echtes religiöses Gefühl obwaltet.

Die darin unternommene Auslegung des Psalms geht nicht über die ersten Verse hinaus; man erzählt, Savonarola habe sie nicht zu Ende gebracht, weil ihm die Schreibmaterialien weggenommen wurden.

Am 22. Mai wurde er zum Tode verurteilt; die Motive, die zur Begründung dieses Urteils und seiner Ausführung angegeben wurden, finde ich nur in dem oft benutzten Tagebuche Parentis. Von seiten der Kirche wurden die drei Gefangenen für Ketzer erklärt, weil sie den Papst nicht als den wahren Papst anerkannt, die Worte der Heiligen Schrift verdreht und die ihnen anvertrauten Beichtgeheimnisse unter dem Schein, daß sie ihnen durch Visionen kund geworden seien, verlautbart hätten; von seiten der Stadt machte man ihnen zum Verbrechen, daß sie große Geldausgaben unnützerweise veranlaßt, die Stadt in Zwietracht erhalten und den Tod vieler ihrer Mitbürger verursacht hätten.

Die hochgebildeten Florentiner in der Fülle ihrer intellektuellen Entwicklung entschlossen sich, doch die kirchliche Satzung, daß die Ketzerei mit dem Tode durch das Feuer zu bestrafen sei (de häretico comburendo) zur Ausführung zu bringen (23. Mai 1498). Die Verurteilten wurden zuerst an den Galgen angeschlagen und dann dem Feuer preisgegeben. Von Frate Hieronimo erzählt man, er habe, als er die Leiter hinaufgestiegen, die Augen weit geöffnet und den Blick über das unermeßliche Volk hinschweifen lassen. Die einen wollen wissen, er habe dann ausgerufen: »Was tat ich dir, mein Volk?« die anderen, er habe gesagt: »Was tust du fortan, Florenz?« Ich wage nicht, die eine oder die andere dieser Äußerungen zu bestätigen; die Reflexion ist gleichsam unwillkürlich. Denn in der Tat, was sollte aus diesem Volke werden, nachdem es seinen Führer in geistlichen und weltlichen Angelegenheiten verloren und gleichsam preisgegeben hatte.

Format Schlußbemerkungen.

Wenden wir noch zum Schluß einen Blick auf die Neuerungen Savonarolas in den beiden Richtungen, in denen er sich bewegte, und ihre nächsten Folgen.

Die Demokratie, die er mit religiösen Antrieben belebt hatte, erhielt sich auch, nachdem diese durch seinen Tod unwirksam geworden waren. Im ersten Augenblick wurde der Einfluß der demokratischen Partei durch gewaltsame Maßregeln zurückgedrängt und die Idee gefaßt, die Staatsgewalt an einen kleinen Rat, etwa von 150 Personen zu bringen, und zwar im Einverständnis mit dem Herzog Lodovico Moro von Mailand. Aber diese Kombination scheiterte daran, daß der Herzog selbst von Frankreich und von Venedig, nicht ohne Beistimmung des Papstes, bekämpft und endlich gestürzt wurde. In dem Maße, als die Macht von Mailand zerfiel, kamen die Frateschi wieder empor; im März 1499 hatten sie alle Ämter im Besitz. Auch die Bigi gelangten wieder zu Ansehen, jedoch zugleich mit ihnen auch ihre alten Gegner, die im Jahr 1434 ausgeschlossenen Geschlechter, wie Peruzzi Guadagni, so daß die Gleichberechtigung die Grundlage der Verfassung wurde, deren Mittelpunkt das Consiglio grande war und blieb. Die großen Geschlechter, die Urheber der Revolution von 1494, deren Verständnis mit Mailand und dem Papst Savonarolas Tod herbeigeführt hatte, wurden aufs neue bei den wichtigsten Ämtern, z.B. bei den Dieci, ausgeschlossen.

Der Popolo fühlte sich nun wahrhaft als Herr und alle Kräfte wurden angestrengt, um Pisa zu erobern. Daß der Kapitän der Stadt, Paolo Vitelli, den Krieg doch nicht nach dem Wunsch des Popolo zum Ziele führte, gereichte ihm zum Verderben, weil er mit den Großen in gutem Vernehmen stand. Diese aber wurden durch die Hinrichtung, die man über ihn verhängte, doch nur sehr indirekt betroffen.

Eine fortwährende Agitation im Innern nahm überhand, bei der die Großen eine Vermehrung der Amtsbefugnisse der höheren Stellen, die sie zu erlangen hofften, beabsichtigten, die Gemeinen eine solche aber verwarfen, so daß jenen nichts daran gelegen war, dieselben an sich zu bringen.

In der Republik spielte der Geldbesitz nach wie vor eine einflußreiche Rolle. Die Großen nehmen eine Prärogative in Anspruch, weil sie das Geld zu zahlen haben, dessen man bedarf; da man ihnen die erste nicht gewähren will, so verweigern sie, das Geld aufzubringen, welches doch für die Fortführung des Krieges gegen Pisa nicht entbehrt werden konnte.

In dieser widerspruchsvollen Lage regte sich ein allgemeines Gefühl, daß es so nicht weiter gehen könne. In einer Pratika der vornehmsten Bürger wurden mancherlei Mittel und Wege angegeben, um eine Veränderung zustande zu bringen; sie liefen aber sämtlich darauf hinaus, entweder vom Consiglio grande geradezu abzusehen, oder doch den Senat der Ottanta anders zusammenzusetzen und ihm zugleich größere Gewalt zu verleihen. Bald aber wurde man inne, daß keines von beiden der Macht des Popolo gegenüber erreicht werden konnte. Nur das eine war möglich, durch eine stärkere Organisation des Amtes eines Gonfalonieren di Giustizia dem Staat mehr Einheit zu verleihen. Es war schon ein großer Schritt auf diesem Weg, daß Piero Soderini, auch einer der Granden und Reichen, aber der populärste von allen (er hatte sich gehütet, an der letzten Pratika Anteil zu nehmen) im März 1501 zum Gonfaloniere ernannt wurde. Die größere Autorität, die er ausübte, beruhte darauf, daß man ihm Genossen zur Seite setzte, denen er durch Geist und Ansehen weit überlegen war. Er vermied eine Pratika der vornehmen Bürger zu berufen, verständigte sich aber mit den Gonfalonieren di Compagnia, so daß das popolare Element die Oberhand behielt und sogar neue Energie gewann. Solange aber die Signorie von zwei Monat zu zwei Monat wechselte, war doch dem Bedürfnis, das jedermann fühlte, nicht genug geschehen. Die Überzeugung brach sich Bahn und wurde immer allgemeiner, daß Florenz auf diese Weise nicht bestehen, noch zu seinem alten Range wieder würde gelangen können.

Endlich trat eine Signorie ein, welche sich entschloß, eine Veränderung der Verfassung ernstlich in die Hand zu nehmen; sie schlug dem großen Rate die Gründung eines lebenslänglichen Gonfalonierats vor. In der natürlichen Konsequenz des Vorangegangenen lag es, daß derselbe Mann, der dieser Würde wieder einiges Ansehen verschafft hatte, jetzt dazu bestimmt wurde, sie zeit seines Lebens zu bekleiden; sie wurde mit Attributen ausgestattet, welche ihm zwar nicht eine unbeschränkte Autorität, aber doch einen durchgreifenden Einfluß gewährten.

Man darf nicht verkennen, daß auch hierbei eine Idee Savonarolas ausgeführt wurde; nur ohne Vorwalten der religiösen Impulse, die er in die Sache legte. Soderini gelangte zu einer Stelle, wie der Frate sie für Francesko Valori bestimmt hatte, jedoch ohne neuen Kampf und ohne Gewaltsamkeiten. Eine friedliche Regierung wurde gebildet, von wirklicher Autorität, aber auf populärer Grundlage. Mit dem Siege der Liga über die Franzosen ist doch alles wieder umgeschlagen. Die Optimaten machten dann gemeinschaftliche Sache mit den Medici, um das Gonfalonierat zu zerstören und die Demokratie niederzuhalten. Was sie jedoch auch dann noch zu bedeuten hatte, kann man daraus abnehmen, daß Niccolo Machiavelli aus ihr hervorgegangen ist; früher ein Freund Valoris schloß er sich später an Soderini an, unter dem er eigentlich seine Schule machte; er war immer der Meinung, die Regierung auf dem Popolo zu gründen.

Noch weitere Aussichten und Beziehungen knüpften sich an die religiöse Haltung des Dominikanerbruders. Man ist versucht, Wahrheit und Wahn, die sich in ihm vereinigten, wieder voneinander zu scheiden. Der Wahn betraf die unmittelbare Teilnahme Gottes an den irdischen Dingen, die Erleuchtung durch Vermittlung von Engeln oder auch ohne dieselbe, das Erwarten des Mirakels. Alles, was sich darauf bezieht, mußte zugrunde gehen. Die Wahrheit dagegen ist die Bedeutung des sittlichen Lebens und die Überzeugung von dem Widerspruch der wahren Religion mit dem Tun und Treiben der damaligen Hierarchie.

Seine Opposition gegen das Papsttum beruht auf ethischen und religiösen Grundlagen und hat eine Wirkung auf immer ausgeübt. Was von seinen Prophezeiungen im einzelnen in jener Zeit geglaubt wurde, ist sehr zweifelhafter Natur; in der Idee der Verbindung der französischen Kriegsmacht mit der Umgestaltung der Kirche ging Savonarola völlig irre. Allein es hat sich bewahrheitet, wenn er verkündigte, daß aus all den europäischen Verwicklungen eine neue Überflutung Italiens durch Barbaren, wozu er alle Transalpiner rechnete, folgen werde; von allen seinen Vorhersagungen war die vornehmste, daß eine Umgestaltung der Kirche bevorstehe; diese aber hat sich auf eine Weise erfüllt, von der er keine Idee hatte.

Wollte man ihn mit Luther vergleichen, der ihn doch in bezug auf die Lehre von der Rechtfertigung als seinen Vorgänger anerkannte, so beruht der Unterschied zwischen beiden auf zwei Momenten. Savonarola rechnete auf übernatürliche Zeichen und Wunder, während Luther dies, einzig auf das geschriebene Wort trauend, nicht allein verschmähte, sondern verabscheute und bekämpfte. Das andere, daß Savonarola an der konziliaren Idee festhielt und den Papst durch ein Konzilium zu stürzen gedachte; im Geist malte er sich aus, welch eine Rolle ihm dann zu spielen vergönnt sein werde, – nicht in irgendeiner hohen Würde, sondern durch den leitenden Einfluß, den er sich verschaffen werde. Der Ausgangspunkt Luthers dagegen ist, daß er die Infallibilität so gut der Konzilien, wie des Papstes selber leugnete; er nahm also Stellung außerhalb der Hierarchie der Kirche, Savonarola hielt an derselben fest. Luther wollte vor allem die Lehre, Savonarola nur das Leben und die Verfassung reformieren.

Eines der größten Verdienste Luthers um die spätere Entwicklung der Welt überhaupt liegt in der Unterscheidung des bürgerlichen und des kirchlichen Lebens; Savonarola aber suchte die Verbindung von beiden noch enger zu machen, als sie schon war. Denn für seine städtische Reform nahm er zugleich eine göttliche Autorität in Anspruch, während Luther mit sicherem Takt sich immer hütete, die bürgerliche und die religiöse Verfassung in eine unauflösliche Verkittung zu bringen. Bei weitem größere Verwandtschaft hat Savonarola in dieser Beziehung mit Kalvin, der damit umging, ein städtisches Gemeinwesen dem religiösen Begriff gemäß einzurichten. Eine gewisse Ähnlichkeit mit den florentinischen haben die Genfer Ereignisse im Jahre 1538. Kalvin und Fayel setzten sich dem Genfer Rate mit nicht minderer Heftigkeit entgegen, als Savonarola einer von ihm abweichenden Signorie; auch sie leiten den Widerstand, den sie finden, von satanischen Einwirkungen her und besteigen dem Verbote des großen Rates zum Trotz die Kanzel, umgeben von den vornehmsten Gläubigen. Auch von ihnen wurde die Menge, die ihnen früher angehangen, damals abtrünnig. Doch wurde in Genf der blutige Kampf noch vermieden; die Prediger wurden verwiesen und kamen später wieder zurück, um ihr Werk wieder aufzunehmen. Aber allezeit blieb zwischen ihnen und Savonarola der Unterschied, daß sie keine ihnen persönlich verliehene Autorität, kein Prophetentum in Anspruch nahmen. Alles beruhte bei Kalvin auf der Auffassung der Stellen der Schrift, aus denen er die Form des christlichen Lebens herleitete. Und wenn Savonarola die weltliche Verfassung, durch die er seinen geistlichen Begriff zu realisieren suchte, erst in das Leben rief, so war dagegen bei Kalvin ein Zusammentreffen der Beschlüsse des großen Rates, welcher bereits bestand, mit seinen Ideen die Grundlage von allem, so daß in Genf und in der Schweiz überhaupt die republikanische Verfassung doch immer die Priorität hatte und die geistlichen Anordnungen nur eben annahm, während Savonarola durch sein prophetisches Ansehen das Oberhaupt zugleich der geistlichen und der weltlichen Verfassung sein wollte und werden mußte. Die Verwicklung seiner Geschichte liegt eben in dem Versuch, dies durchzusetzen. Die göttliche Autorität des Propheten und die göttliche Autorität des Papstes traten einander in Florenz gegenüber. An jenem Tag der Feuerprobe ging die erste zu Ende und die letzte stellte sich wieder her.

Wie aber die politischen, so sind auch die religiösen Tendenzen Savonarolas einige Jahrzehnte später noch einmal zu voller Geltung gekommen. Den Fortschritten der Reformation jenseits der Alpen zur Seite haben sich auch in Italien analoge Regungen erhoben. Man darf unbedenklich annehmen, daß die Predigten Savonarolas, kurz vorher viel gedruckt und viel verbreitet, namentlich durch die venezianische Presse, einen nicht geringen Einfluß auf diese Entwicklung ausgeübt haben. Aber wir wollen nicht auf die Agonien des italienischen Geistes eingehen; seine Regungen und ihre Unterdrückung bilden einen Teil der Geschichte der Wiederherstellung des Papsttums.


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