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Fünfzehntes Kapitel.

Adeline mußte in der Gesellschaft so geliebter Freunde bald den Eindruck von Schwermuth verlieren, den das Schicksal ihres Vaters in ihr zurückgelassen hatte. Sie gewann alle ihre natürliche Lebhaftigkeit wieder, und als sie das Trauerkleid ablegte, welches zu tragen kindliche Frömmigkeit gefodert hatte, gab sie Theodor ihre Hand.

Der Graf und die Gräfinn D. schmückten die Hochzeit, die zu St. Maur gefeyert wurde, durch ihre Gegenwart, und La Lüc genoß das hohe Glück, das frohe Schicksal seiner beyden Kinder an einem Tage bestätigt zu sehn. Als die Ceremonie vorüber war, segnete und umarmte er sie beyde mit Thränen väterlicher Zärtlichkeit.

»Ich danke dir, o Gott!« sprach er, »daß du mir vergönntest, diese Stunde zu sehn: wenn es dir nunmehro gefallen mag, mich abzurufen, so werde ich in Frieden scheiden!«

»Lange, lange noch mögen Sie zum Glück Ihrer Kinder leben!« antwortete Adeline.

Clara küßte weinend ihres Vaters Hand.

»Lange, lange!« wiederhohlte sie in kaum hörbarer Stimme.

La Lüc lächelte heiter, und lenkte das Gespräch auf einen minder rührenden Gegenstand.

Allein die Zeit kam heran, wo er es für nothwendig hielt, zu den Pflichten seines Amtes zurückzukehren, von dem er so lange entfernt gewesen war. Auch seine Schwester klagte sehr über Einsamkeit, und dieß war ihm ein Bewegungsgrund mehr, zu eilen. Theodor und Adeline, die den Gedanken an Trennung von diesem ehrwürdigen Vater nicht ertragen konnten, suchten ihn zu bereden, seine Stelle niederzulegen, und zu ihnen nach Frankreich zu ziehn: aber zu starke Bande fesselten ihn an Leloncourt. Viele Jahre hindurch war er das Glück und der Trost seiner Pfarrfinder gewesen: sie ehrten und liebten ihn als Vater, er betrachtete sie ebenfalls beynahe mit Vaterzärtlichkeit. Auch hatte er den Beweis von Liebe, den sie bey seiner Abreise ihm gaben, nicht vergessen; diese Scene hatte einen tiefen Eindruck bey ihm zurückgelassen, und er konnte den Gedanken nicht ertragen, jetzt, da der Himmel seinen Segen über ihn ausgegossen hatte, sie zu vergessen.

»Es war süß, für sie zu leben,« sagte er, »und ich will auch unter ihnen sterben.«

Ein Gefühl von noch mehr zärtlicher Art und daß nicht der Stoische Richter es mit dem Nahmen Schwäche, oder der Weltmann es unnatürlich nenne, – ein noch zärtlicheres Gefühl zog ihn nach Leloncourt. – Dort ruhten die Gebeine seiner Gattinn!

Da La Lüc sich nicht bewegen ließ, in Frankreich zu wohnen, entschlossen sich Theodor und Adeline, für welche die glänzenden Freuden, die Paris ihnen darboth, wenig Reiz gegen die süßen häuslichen Vergnügungen und den höhern Genuß von La Lücs Umgang haben konnten, ihren Vater und Herrn und Madame Verneuil dahin zu begleiten. Adeline richtete ihre Angelegenheiten so ein, daß ihre Anwesenheit in Frankreich entbehrt werden konnte, und reiste nach einem zärtlichen Abschied von dem Grafen und der Gräfin D. und von ihrem lieben Herrn Amand, mit ihren Freunden nach Savoyen.

Sie reisten gemächlich, und verließen oft die gerade Straße, um alles zu sehn, was ihre Bemerkung verdiente. Nach einer langsamen angenehmen Reise sahn sie noch einmahl die Schweizergebürge, deren Anblick in Adelinens Seele tausend lebhafte Erinnerung weckte. Sie erinnerte sich der Lage, der Gefühle, womit sie zuerst sie sah – eine Waise, die vor Verfolgung floh, um Schutz unter Fremden zu suchen; verloren für den Einzigen auf Erden, an dem sie hing! – sie erinnerte sich an alles dieses, und mit inniger Rührung schmiegte sie sich fester an ihres Gatten Brust.

Claras Gesicht glänzte vom Lächeln des lebhaftesten Entzückens, als sie den geliebten Scenen ihrer kindlichen Freuden wieder nahe kam; und Theodor staunte mit patriotischer Begeistrung die prächtigen immer wechselnden Schauspiele an, welche die zurückweichenden Gebirge nach einander enthüllten.

Es war Abend, als sie Leloncourt vor sich sahen, und der Weg, der sich um den Fuß eines ungeheuren Felsen wand, gewährte ihnen eine volle Ansicht des Sees, und La Lücs friedlicher Wohnung. Ein Freudenausruf von der ganzen Gesellschaft kündigte die Entdeckung au und der Glanz der Freude strahlte aus jedem Auge wieder. Der Sonne letzter Schimmer fiel auf das Wasser, das in krystallner Reinheit unten ruhte, schmolz jeden Zug der Landschaft und tauchte die Wolken, die über den Bergen hinrollten, in Purpurglanz.

La Lüc bewillkommte seine Familie zu seiner glücklichen Heimath, und schickte ein schweigendes Dankgebet auf, daß ihm diese Rückkehr vergönnt ward. Adelinens Blick verweilte auf jedem wohl bekannten Gegenstande, und wiederum erinnerte sie sich an den Wechsel von Freude und Schmerz, an die wunderbare Glücksveränderung, die sie seit dem erfuhr. Sie blickte auf Theodor, den sie in eben diesen Gegenden als verloren auf immer beweinte; der, als sie ihn wieder fand, durch schmählichen Tod von ihr gerissen werden sollte; – der jetzt neben ihr saß, ihr sichrer und glücklicher Gatte, der Stolz seiner Familie und der ihrige!

Das Gefühl ihres Herzen strömte in Thränen von ihren Augen, während ein Lächeln unaussprechlicher Liebe ihm alles sagte, was sie empfand. Er drückte sanft ihre Hand an sein Herz und antwortete ihr durch einen Blick voll Zärtlichkeit.

Indem tönte eine Musik über das Wasser zu ihnen hin, und sie sahn einen großen Haufen der Dorfbewohner, die sich auf einen grünen Platze, der bis zum Saume der Wellen herabglitt, zum Tanze versammlet hatten. Es war der Abend eines Festes. Die ältern Bauern saßen unter dem Schatten der Bäume, die diese kleine Anhöhe krönten, aßen Milch und Früchte, und sahen ihre Söhne und Töchter fröhlich nach den Tönen der Pfeife und Trommel hüpfen, zu welchem sich die sanftere Melodie der Mandoline gesellte.

Der Anblick war äusserst interessant und seine mahlerische Schönheit wurde durch eine Gruppe von Rindvieh bereichert, das theils am Ufer, theils zur Hälfte im Wasser stand, während andere auf dem Rasen wiederkäuten, und verschiedne Dirnen, in der reinlichen Einfalt ihres Landes geschmückt, sich zum Melken anschickten.

Peter ritt voran; und bald versammelte sich eine Menge um ihn, die, als sie die Nähe ihres geliebten Predigers hörten, ihm entgegen eilten, um ihn zu begrüßen. Ihre warmen, herzlichen Freudenergüße strömten hohe Zufriedenheit in das Herz des guten La Lüc, der sie mit der Zärtlichkeit eines Vaters bewillkommte, und kaum die Thränen zurückhalten konnte.

Als der jüngere Theil der Versammlung seine Ankunft er fuhr, ging die allgemeine Freude so weit, daß sie, von Trommel und Pfeifen angeführt, vor dem Wagen hertanzten bis an sein Haus, wo sie aufs neue, ihn und die Seinigen mit der fröhlichsten Musik bewillkommten. Am Thore kam ihnen Mademoiselle La Lüc entgegen, und nie war wohl eine glücklichere Gesellschaft beysammen.

Weil der Abend ungewöhnlich milde und schön war, wurde das Essen im Garten aufgetragen. Nach geendigter Mahlzeit schlug Clara, deren Herz ganz Freude war, einen Tanz bey Mondenlicht vor.

»Seht,« sagte sie, »wie die Mondstrahlen schon auf dem Wasser hüpfen! welch einen Strom von Licht sie über den See hinwerfen, wie sie um das kleine Vorgebürge zur linken funkeln! Auch die kühle Stunde ladet zum Tanz ein.«

Alle waren es zufrieden.

»Und lasset auch die guten Leute, die uns so herzlich bewillkommten, herzurufen,« sagte La Lüc, – »sie sollen alle sich mit uns freuen. Peter bringt noch mehr Wein, und setzt einige Tische unter die Bäume.«

Peter flog, und in wenig Minuten war der Rasen mit Landleuten eingefaßt. Die ländlichen Instrumente wurden auf Claras Bitte unter ihre geliebten Acacien am Rande des Sees gestellt; die fröhlichen Noten erklangen; Adeline führte den Reihen an, und die Berge hallten die melodischen Töne der Freude wieder.

Der ehrwürdige La Lüc saß unter den ältern Bauern, und wenn er die Scene überschaute – seine Kinder und sein Volk so versammlet in einem großen Kreis der Eintracht und Freude sah, träufelten Thränen über seine Wangen, und er fühlte Vorschmack höhern Entzückens.

So ganz war jedes Herz zur Freude erweckt, daß schon die Morgendämmerung den Schauplatz röthete, als jeder Hüttenbewohner unter Segnungen des gütigen La Lüc in seine Heimath zurückkehrte.

Nachdem Herr Verneuil einige Wochen bey La Lüc zugebracht hatte, kaufte er sich ein Haus in Leloncourt, das einzige, was unbelegt war, Theodor sah sich nach einer Wohnung in der Nachbarschaft um. Einige Stunden weit, an den schönen Ufern des Genfer Sees, wo das Gewässer sich in eine kleine Bucht zusammen schmiegt, kaufte er ein Landhaus. Das Gebäude zeichnete sich mehr durch ein Ansehn von Einfachheit und Geschmack, als durch Pracht aus, wiewohl diese letzte der umliegenden Gegend ihren Stempel aufgedrückt hatte. Es lag beynahe eingefaßt von Waldung, die ein großes Amphitheater bildete, sich bis zum Rande des Waldes hinabsenkte, und die schönsten, romantischen Spaziergänge darboth.

Die Natur trieb hier in aller schönen Üppigkeit ihr Spiel, ausgenommen wo hie und da die Kunst das Laub gebogen hatte, um eine Aussicht auf das blaue Wasser des Sees und die weissen Segel, die auf ihm hin glitten, oder auf die fernen Berge zu geben. Vor dem Schlosse öffnete sich die Waldung in einen grünen Platz, und das Auge konnte über den See hinwegstreifen, dessen Busen ein immer sich bewegendes Gemählde darstellte, während sein bunter Rand, von Lusthäusern, Wäldern und Wohnungen eingefaßt, und jenseits mit den beschneyten, erhabnen Alpen gekrönt, die hinter einander in majestätischer Verwirrung sich aufthürmten, eine Scene beynahe beyspielloser Pracht zeigte. Die Dichterin führt hier das neue ›gotische‹ Landschaftsideal mit dem traditionellen arkadischen Ambiente zusammen, nachdem beim vorangehenden Fest der Bukolik mit ihrer ländlichen Idylle ebenfalls Rechnung getragen wurde. ( D. Hrsg.)

Hier, den Schimmer falscher Glückseligkeit verachtend, im Genuß der reinen, höhern Entzückungen einer zur zärtlichsten Freundschaft gereiften Liebe, umgeben von den Freunden, die ihrem Herzen theuer waren, und besucht von einem kleinen, auserlesnen Zirkel, hier, im Schooße des wahren Glücks lebten Theodor und Adeline.

 

Louis de La Mottens Leidenschaft wich endlich der Gewalt der Zeit und Entfernung. Noch liebte er Adelinen, aber mit der ruhigen Zärtlichkeit der Freundschaft, und als er auf Theodors dringende Einladung sie besuchte, sah er unvergiftet von Neid ihr Glück mit Entzücken an. Er vermählte sich bald nachher mit einer Genferinn, legte seine Offiziersstelle nieder, um an den Rand des Sees zu ziehn, und vermehrte Theodors und Adelinens Freuden.

Ihr vergangnes Leben gab ihnen ein Beyspiel, wie das Schicksal wohl überstandne Prüfungen lohnt; und ihr jetziges Glück, das sie nicht engherzig nur auf sich selbst einschränkten, goß Freude über alle, die in die Sphäre ihres Einflusses kamen. Der Dürftige und Leidende freute sich ihrer Menschenliebe, der Edle und Aufgeklärte ihres Umgangs, und ihren um sie blühenden Kindern drückte ihr Beyspiel die Lehren ins Herz, die sie ihrem Verstande darbothen.


 


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