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Vierzehntes Kapitel.

Der so ängstlich erwartete Tag des Verhörs, an dem das Schicksal so vieler Personen hing, brach endlich an. Adeline, von Herrn Verneuil und Frau von La Motten begleitet, erschien als Anklägerinn des Marquis de Montalt; und d'Aunoy, Dü Bosse, Louis de La Motte und verschiedene Andere, als Zeugen in ihrer Sache. Die Richter gehörten zu den angesehensten in Frankreich, und die Advokaten auf beyden Seiten waren Männer von entschiedenem Ruf. Bey einem so wichtigen Verhör, war, wie sich leicht denken läßt, das Gericht mit Personen vom Stande angefüllt, und das Schauspiel, welches sich darboth, feyerlich und prachtvoll.

Als Adeline vor dem Tribunal erschien, vernichtete ihre Bewegung alle Kunst der Verstellung; allein sie gab der natürlichen Würde ihres Anstandes einen Ausdruck sanfter Furchtsamkeit, und ihren niedergesenkten Augen, eine süße Verschämtheit, die sie doppelt interessant machte: sie zog das allgemeine Mitleid und die Bewunderung der ganzen Versammlung auf sich.

Als sie die Augen aufzuschlagen wagte, sah sie, daß der Marquis noch nicht da war; und während sie in ängstlichem Harren seine Ankunft erwartete, erhub sich in einer fernen Ecke des Zimmers ein verworrnes Gemurmel. Jetzt verließ sie beynahe ihr Muth: die Gewißheit, sogleich den Mörder ihres Vaters zu sehn, durchschauerte sie mit Entsetzen, und mühsam kämpfte sie gegen eine Ohnmacht.

Ein leises Murmeln lief jetzt durch den Saal, und es zeigte sich eine allgemeine Bestürzung, die sich bald dem Tribunal selbst mittheilte. Verschiedene Mitglieder standen auf; einige verließen den Saal, der ganze Ort gerieth in Unordnung, und endlich drang das Gerücht, daß der Marquis mit dem Tode ränge, bis zu Adelinen. Eine geraume Zeit verstrich in Ungewißheit: die Verwirrung aber dauerte fort, und auf Adelinens Bitte, ging Herr Verneuil, um bestimmtere Nachricht einzuziehn.

Er folgte einem Gedränge, das sich nach dem Chatelet zog, und erhielt mit vieler Mühe Zutritt ins Gefängniß; allein der Thürsteher, den er durch ein reichliches Geschenk gewann, konnte ihm keine gewisse Nachricht geben, und, da er seinen Posten nicht verlassen durfte, ihn nur unbestimmt nach dem Zimmer des Marquis bescheiden. Die Vorhöfe waren still und öde, wie er aber vorwärts ging, wies ein fernes Gesumse von Stimmen ihn zurecht, bis er verschiedene Personen nach einer Treppe queer vor dem Kreuzwege eines langen Ganges laufen sah, ihnen folgte, und vernahm, daß der Marquis wirklich in letzten Zügen läge.

Die Treppe war voll Menschen, er suchte sich durchzudrängen, und erreichte mit vieler Mühe und Stoßen die Thüre des Vorzimmers zum Gemach des Marquis, aus welcher verschiedene Personen heraus kamen. Hier erfuhr er, daß der Gegenstand seiner Nachfragen bereits todt sey. Doch drang er durch das Vorzimmer in das Gemach, wo der Marquis von obrigkeitlichen Personen und zwey Notarien, welche Aussagen niedergeschrieben zu haben schienen, umgeben, auf dem Bette lag. Sein Gesicht war mit einer schwarzen Todtenfarbe überzogen, und mit allen Schrecknissen des Todes geprägt. Herr Verneuil wandte mit Entsetzen sich von dem Anblick ab, und vernahm auf Befragen, daß der Marquis an Gift gestorben sey.

Überzeugt, daß alle Hoffnung für ihn verloren sey, schien er diesen Ausweg ergriffen zu haben, um einen schimpflichen Tode zu entgehen. In den letzten Stunden des Lebens, gefoltert von seinen Verbrechen, beschloß er, alle Vergütung zu leisten, die noch in seiner Macht stände; und nachdem er das Gift verschluckt hatte, ließ er einen Beichtvater kommen, um das volle Geständniß seiner Schuld zu empfangen, und zwey Notarien, um es niederzuschreiben; und setzte auf solche Art Adelinen, ausser einem beträchtlichen Vermächtniß aus seinem eigenen Vermögen, in die unbestreitlichen Rechte ihrer Geburt.

Zufolge dieser Aussagen, wurde sie bald nachher förmlich als Tochter und Erbinn von Henry, Marquis de Montalt anerkannt, und die reichen Güter ihres Vaters ihr wieder gegeben, Sie warf sich unverzüglich zu des Königs Füßen, um für Theodor und La Motten Begnadigung zu flehn. Der gute Ruff des erstern, die Sache, für die er sein Leben wagte, und die Ursache der Feindseligkeit des verstorbenen Marquis gegen ihn, waren so einleuchtend, und mußten so nachdrücklich für ihn sprechen, daß der Monarch wahrscheinlich auch einer weniger unwiderstehlichen Vorbitterinn, als Adeline de Montalt war, seine Begnadigung nicht würde verweigert haben. Theodor La Lüc erhielt nicht nur volle Begnadigung, sondern wurde auch bald nachher zur Belohnung seines tapfern Betragens gegen Adelinen, zu einem ansehnlichen Posten bey der Armee erhoben.

Für La Motten, der auf gültig befundenes Zeugniß wegen Räuberey verurtheilt und ausserdem des Verbrechens, das ihn vorher aus Paris trieb, angeklagt worden war, konnte keine Begnadigung ertheilt werden: doch wurde auf Adelinens dringendes Bitten, und in Rücksicht des Dienstes, den er ihr zuletzt geleistet, sein Urtheil vom Tode in Verbannung gemildert. Diese Nachsicht würde ihm indessen wenig genützt haben, hätte nicht die großmüthige Adeline, andere Verfolgungen, die auf ihn einzudringen drohten, abgelenkt, und ihm eine Summe geschenkt, die mehr als hinreichend war, ihn in einem fremden Lande anständig zu erhalten.

Diese Güte wirkte so tief auf sein Herz, das mehr durch Schwäche als natürliche Lasterhaftigkeit verderbt war, und erweckte so scharfe Gewissensbisse wegen des Unrechts, das er einst gegen eine so edle Wohlthäterinn begehen wollte, in ihm, daß seine vorigen Gewohnheiten ihm verhaßt wurden, und sein Charakter nach und nach die Farbe wieder erhielt, die er wahrscheinlich stets würde behalten haben, wäre er nie in die lockenden Versuchungen von Paris gerathen.

Die Leidenschaft, welche Louis so lange für Adelinen empfunden hatte, wurde durch ihr letztes Betragen beynahe zur Anbetung erhöht; allein er gab nunmehr auch die schwache Hoffnung hin, die bisher, fast ihm selbst unbewußt, noch in seiner Brust geglimmt hatte; und da das Leben, welches seinem Freunde geschenkt ward, dieß Opfer heischte, konnte er nicht klagen. Er beschloß, in Entfernung die verlorne Ruhe wieder zu suchen, und seine künftige Glückseligkeit im Glück der beyden Menschen, die ihm so herzlich theuer waren, zu finden.

Am Abend seiner Abreise nahm La Motte nebst seiner Familie einen sehr rührenden Abschied von Adelinen: er vertauschte Paris mit Deutschland, wo er sich niederzulassen gedachte, und Louis, der nicht schnell genug vor ihrem Zauber fliehen konnte, ging an dem nähmlichen Tage ab zu seinem Regimente.

Adeline blieb noch einige Zeit in Paris, um ihre Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, und wurde von Herrn Verneuil bey den wenigen, weitläuftigen Verwandten eingeführt, die noch von ihrer Familie am Leben waren. Unter diesen befanden sich der Graf und die Gräfinn D., und – eine Person die sie lebhaft intereßirte – Herr Amand, der zu Nizza ihr Mitleid und Achtung so sehr auf sich zog. Die Gattinn, deren Tod er beweinte, war aus der Familie Montalt, und die Ähnlichkeit, welche er zwischen ihren und Adelinens Zügen fand, war etwas mehr als bloße Fantasie. Der Tod seines ältern Bruders hatte ihn plötzlich aus Italien zurück geruffen; allein Adeline sah mit großer Freude, daß die schwere Melancholie, die zu Nizza auf ihm lag, einer stillern Ergebung Platz gemacht hatte, und das zu Zeiten sogar ein Strahl von Heiterkeit seine Züge wieder belebte.

Der Graf und die Gräfinn D., die durch ihre Güte und Schönheit sehr für sie eingenommen wurden, luden sie ein, während ihres Aufenthalts in Paris zu ihnen in ihr Hotel zu ziehn.

Ihre erste Sorge war, die Überreste ihres Vaters aus der St. Clairs Abtey herbeyschaffen, und im Gewölbe seiner Vorfahren begraben zu lassen. D'Aunoy wurde gehangen, und beschrieb auf dem Richtplatze den Ort, wo die Gebeine des unglücklichen Marquis verborgen waren. Herr Verneuil begleitete die abgeschickten Gerichtsdiener, und folgte der Asche des Marquis nach St. Maur, einem Gute in einer der nördlichen Provinzen. Hier wurde sie mit dem feyerlichen Leichenpomp, der seinem Range gebührte, beygesetzt: Adeline folgte als vornehmste Leidträgerinn, und nachdem diese letzte Pflicht dem Andenken ihres Vaters gezollt war, wurde sie ruhiger und gelaßener. Das Manuscript hatte Herr Verneuil auf der Abtey gefunden, und händigte es ihr ein; sie bewahrte es mit der frommen Schwärmerey, die eine so heilige Reliquie verdient.

Bey ihrer Zurückkunft nach Paris erwartete Theodor La Lüc, der von Montpellier herüber gekommen war, ihre Ankunft. Die Wonne dieses Wiedersehns wurde nur durch die Nachricht, die er von seinem Vater brachte, getrübt; dessen äusserste Gefahr allein Theodor abhalten konnte, gleich in dem Augenblick, wo er seine Freyheit erhielt, herbey zu eilen, und Adelinen für das Leben, welches sie ihm gerettet hatte, zu danken.

Sie empfing ihn jetzt als den Freund, dem sie ihre Erhaltung verdankte, und als den Geliebten, der ihre zärtlichste Neigung besaß und verdiente. Ihre Liebe zu Theodor hatte sie vermocht, verschiedene Bewerber abzuweisen, die ihre Güte, Schönheit und Reichthum ihr bereits zugezogen hatten, und die zwar an Vermögen ihn bey weitem übertrafen, zum Theil aber an alter Geburt und sämmtlich an Werth ihm weit nachstanden.

Die mannigfaltigen und tumultuarischen Bewegungen, welche die letzten Begebenheiten in Adelinens Brust erzeugen mußten, hatten sich nunmehr gelegt. Doch ließ das Andenken an ihren Vater noch immer eine gewiße Melancholie bey ihr zurück, welche nur die Zeit überwinden konnte, und sie verweigerte sich Theodors Bitten, bis die Zeit, die sie selbst zu ihrer Trauer angesetzt hatte, verflossen seyn würde. Die Nothwendigkeit, wieder zu seinem Regiment zu gehn, zwang ihn, vierzehn Tage nach seiner Ankunft, Paris wieder zu verlassen; doch nahm er die tröstende Hoffnung mit, sobald sie ihre Trauer abgelegt haben würde, ihre Hand zu empfangen.

Herrn La Lücs mißlicher Gesundheitszustand war eine Quelle unaufhörlicher Unruhe für Adelinen, und sie beschloß Herrn Verneuil, der jetzt Claras erklärter Liebhaber war, nach Montpellier, zu begleiten, wohin La Lüc gleich nach der Befreyung seines Sohns gegangen war. Zu dieser Reise schickte sie sich an, als ihre Freundinn ihr eine sehr günstige Nachricht von seiner Beßerung schrieb; da nun ihre Angelegenheiten ihre Gegenwart zu Paris noch erforderten, gab sie auf diesen Brief ihre Absicht auf, und ließ Herrn Verneuil allein reisen.

Als Theodors Sache ein günstigeres Anseht gewann, hatte Herr Verneuil an La Lüc geschrieben, und ihm das Geheimniß seines Herzens eröffnet. La Lüc, der ihn schätzte und liebte, und mit seinen Glücksumständen nicht unbekannt war, sah die angetragene Verbindung gern. Clara glaubte, noch nie einen Mann gesehn zu haben, den sie zu lieben so geneigt wäre; und Herr Verneuil empfing eine seinen Wünschen so günstige Antwort, daß er Muth faßte, selbst nach Montpellier zu reisen.

Die Wiederherstellung seiner Zufriedenheit und die Luft von Montpellier that für La Lüc alles, was nur seine besorglichsten Freunde wünschen konnten, und er gewann bald so viel Kräfte wieder, Adelinen auf ihrem Gute St. Maur zu besuchen. Clara und ihr Geliebter begleiteten ihn, und ein Friedensschluß zwischen Frankreich und Spanien erlaubte bald nachher Theodorn, diese glückliche Gesellschaft zu vermehren.

Wenn La Lüc, wiedergegeben denen, die ihm das theuerste waren, auf das Elend, dem er entgangen war, zurückblickte, so klopfte sein Herz von erhabnen Regungen der Freude und Dankbarkeit; und sein ehrwürdiges Gesicht, durch einen Ausdruck beschauenden Entzückens verklärt, zeigte ein vollkommnes Gemählde des glücklichen Alters.



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