Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel.

Adeline sah ein, wie nothwendig ihre schleunige Abreise nach Paris sey. La Mottens Leben, der ihr mehr als das ihrige gerettet hatte, vielleicht das Leben ihres geliebten Theodors hing von dem Zeugniß, das sie geben sollte, ab; und sie, die noch vor kurzem unter Krankheit und Verzweiflung erlag, die kaum ihr mattes Haupt empor heben, oder anders, als in den schwächsten Tönen reden konnte, traute jetzt, von Hoffnung neu belebt, gestärkt durch das Bewußtseyn der Wichtigkeit des ihr bevorstehenden Geschäfts, sich Kraft genug zu, eine schnelle Reise von einigen fünfzig Meilen zu machen.

Theodor bat sie zärtlich, aus Rücksicht auf ihre Gesundheit diese Reise wenigstens einige Tage zu verschieben: allein mit einem Lächeln bezaubernder Zärtlichkeit versicherte sie ihn, sie wäre jetzt zu glücklich, um krank zu seyn, und die nähmliche Ursache, welche ihr Glück befestigen würde, würde auch ihre Gesundheit stählen. So stark wirkte jetzt Hoffnung auf ihre Seele, daß sie Leiden und Kummer verdrängte, daß sie das Entsetzliche des Gedankens, eine Tochter des Marquis zu seyn, und jede andere schmerzhafte Betrachtung überwog. Sie sah nicht einmahl die Hindernisse, die sich ihrer Vereinigung mit Theodor entgegen stellen könnten, wenn ihm auch endlich das Leben geschenkt würde.

Es wurde beschlossen, daß sie in wenig Stunden mit Louis, und von Petern begleitet, nach Paris abreisen sollte. Diese Stunden brachte La Lüc mit seiner Familie im Gefängniß zu.

Als die Seit ihrer Abreise heranrückte, verließ ihr Muth sie aufs neue; und die Täuschung der Freude schwand. Sie sah Theodor nicht mehr als einen vom Tode Erretteten, sondern nahm mit einem traurigen Vorgefühl, daß sie ihn nicht wieder sehn würde, von ihm Abschied. So stark hatte diese Ahndung sich ihrer Seele eingeprägt, daß es lange dauerte, ehe sie Stärke genug fassen konnte, ihm Lebewohl zu sagen; und als sie schon das Zimmer verlassen hatte, kehrte sie nochmahls zurück, um noch einen letzten Blick zu hohlen.

Als sie zum zweytenmahl hinausging, stellte ihre finstre Einbildungskraft ihr Theodor auf dem Richtplatz, bleich und in Zuckungen des Todes vor: sie wandte nochmahls ihre zögernden Augen auf ihn: allein die Fantasie griff ihre Sinnen an, sie wähnte daß sein Gesicht sich unter ihrem Anschaun veränderte, und einen Geisterhauch annahm. Alle ihre Entschlossenheit schwand, und so groß war die Angst ihres Herzens, daß sie ihre Reise bis auf morgen zu verschieben beschloß, wiewohl sie dadurch Louis Schutz verlieren mußte, dessen Ungeduld, seinen Vater zu sehen, feinen Verzug zuließ.

Doch war der Sieg fantastischer Leidenschaft nur kurz; ihre Betäubung wich, und die Vernunft trat wieder in ihre Rechte: sie sah die Nothwendigkeit ihrer unverzüglichen Abreise ein, und faßte Entschlossenheit genug, sich ihr zu unterwerfen.

La Lüc würde sie begleitet haben, um nochmahls den König für seinen Sohn anzuflehn, hätte nicht seine äusserste Schwäche und Ermattung es durchaus unmöglich gemacht.

Endlich verließ Adeline mit schwerem Herzen ihren Theodor, ohngeachtet seines Bittens, bey ihrem so schwachen Zustande die Reise nicht zu unternehmen, und Clara und La Lüc begleiteten sie in den Gasthof. Die erstere trennte sich mit vielen Thränen und vieler Angst um ihr Wohl, doch mit der Hoffnung, sie bald wieder zu sehn, von ihrer Freundinn. Sollte Theodor begnadigt werden, so hatte La Lüc die Absicht, sie von Paris abzuhohlen, wo aber nicht, so wollte sie mit Petern zurückkommen. Mit Vaters-Zärtlichkeit sagte er ihr Lebewohl, und sie beschwur ihn in ihren letzten Worten auf seine Gesundheit zu achten: sein mattes Lächeln schien zu sagen, daß ihre Sorgfalt vergebens, und Genesung für ihn dahin sey.

Auf solche Art verließ Adeline die Freunde, die ihr mit Recht so theuer waren; die sie so spät gefunden, um in Paris, wo sie fremd, und beynahe schutzlos war, öffentlich vor Gericht einem Vater unter die Augen zu treten, der sie mit äusserster Grausamkeit verfolgt hatte.

Der Wagen, in welchem sie Vaceau verließ, fuhr vor dem Gefängniß vorbey; sie warf einen sehnlichen Blick darauf hin, seine dicken, schwarzen Mauern, und noch vergitterten Fenster schienen finster ihren Hoffnungen die Stirne zu runzeln – aber Theodor war da; er bog sich ans Fenster, und sie starrte nach ihm hin, bis eine Ecke der Straße das Gebäude schnell ihrem Blicke entzog.

Sie sank zurück in den Wagen, und hing still weinend der Wehmuth ihres Herzens nach. Louis war nicht gestimmt, sie zu unterbrechen; seine Gedanken hingen ängstlich an seines Vaters Lage, und die Reisenden legten viele Meilen zurück, ohne ein Wort zu wechseln.

 

Zu Paris, wohin wir jetzt zurück kehren wollen, betrieb man ohne Erfolg die Aufsuchung des Jean d'Aunoy. Das Haus an der Haide wurde leer gefunden, und an den öffentlichen Orten, wohin er sonst zu kommen pflegte, und wo die Polizeydiener ihm aufpaßten, war er seit langer Zeit nicht mehr erschienen. Es schien sogar zweifelhaft, ob er noch lebte; denn schon eine geraume Zeit vor La Mottens Verhör hatte er sich in den Häusern seiner gewöhnlichen Zusammenkünfte nicht mehr sehen lassen, woraus erhellte, daß die Vorgänge in den Gerichtshöfen wenigstens nicht an seinem Verschwinden Schuld waren.

In der Einsamkeit seines Verhafts hätte der Marquis de Montalt Muße gehabt, an das Vergangene zu denken, und seine Verbrechen zu bereuen; allein Nachdenken und Reue waren noch fern von ihm. Er wandte mit Ungeduld sich von Erinnerungen ab, die nur Schmerz erregten, und sah nur mit ängstlicher Bekümmerniß, wie er die Schande und Strafe, die über ihm schwebte, ablenken könnte, in die Zukunft hin. Die Feinheit und Anmuth seiner Sitten hatten die Schwäche seines Herzens so tief verheelt, daß er der Liebling reines Monarchen war, und auf diesen Umstand gründete er seine Hoffnung.

Doch bereute er bitterlich, daß er dem schnellen Geist der Rache, der ihn zur Verfolgung La Mottens anreizte, Gehör gegeben, und dadurch so unerwartet sich in eine gefährliche Lage verwickelt hatte – denn, wenn Adeline nicht gefunden ward, so mußte er in Verdacht ihrer Ermordung fallen.

Unter allen aber fürchtete er d'Aunoy's Erscheinung am meisten, und um der Möglichkeit derselben vorzubeugen schickte er verschiedene geheime Bothschafter ab, um seinen Aufenthalt aufzuspüren, und ihn zu seinen Gunsten zu bestechen. Allein diese waren eben so unglücklich in ihren Nachforschungen als die Gerichtsdiener, und der Marquis fing endlich an zu hoffen, daß er wirklich todt wäre.

La Motte erwartete indessen mit zitternder Ungeduld die Ankunft seines Sohnes, die ihn, wie er hoffte, einigermaßen aus seiner Ungewißheit wegen Adelinen reißen würde. An ihrer Erscheinung hing seine einzige Hoffnung des Lebens, weil die Aussage gegen ihn durch die Bestätigung, die sie von dem schlechten Charakter seines Verfolgers geben konnte, vieles von ihrer Kraft verlieren mußte: und wenn sogar das Parlament So hießen in Frankreich damals die Gerichtshöfe. ( D. Hrsg.) La Motte verdammte, konnte doch die Güte des Königs sein Urtheil noch mildern.

Adeline kam nach einer Reise von mehrern Tagen, auf welcher vorzüglich Louis zärtliche Aufmerksamkeit sie unterstützte, zu Paris an. Frau von La Motte eilte sogleich zu ihr: die Zusammenkunft war rührend von beyden Seiten. Ein Gefühl ihres vorigen Betragens erregte in Madam eine Verlegenheit, welche Adelinens Delikatesse und Güte ihr gern erspart hätte: indessen ertheilte sie die Verzeihung, die von ihr erbeten wurde, mit so bereitwilliger Gefälligkeit, und so ganz von Herzen, daß Frau von La Motte nach und nach Fassung und Zuversicht wieder erhielt.

Adeline hätte diese Vergebung bey aller Herzensgüte nicht so bereitwillig ertheilen können, wenn sie das Betragen dieser armen Frau für freywillig gehalten hätte: nur die Überzeugung, daß sie unter Zwang und Schrecken gehandelt hatte, bewegte sie, das Vergangene zu entschuldigen.

Sie vermieden bey dieser ersten Zusammenkunft alle nähere Erläuterungen. Frau von La Motte bat Adelinen, aus ihrem Gasthofe mit ihr in ihre Wohnung nahe beym Chatelet zu gehn, und Adeline, die einen Aufenthalt in einem öffentlichen Gasthofe für unschicklich hielt, nahm gern ihr Erbiethen an.

Madame ertheilte ihr einen umständlichen Bericht von La Mottens Lage, und endigte damit, daß man das Urtheil ihres Mannes aufgeschoben hatte, bis man zu größerer Gewißheit über die sträflichen Absichten des Marquis gelangt seyn würde; und da Adeline das hauptsächlichste von La Mottens Aussage bekräftigen konnte, ließ sich erwarten, daß das Gericht nunmehr, da sie erschienen war, sogleich fortschreiten würde.

Erst jetzt erfuhr sie den vollen Umfang ihrer Verbindlichkeit gegen La Motte; denn sie hatte noch nicht gewußt, daß er damahls, als er aus dem Walde sie schickte, vom Tode sie errettet hatte. Ihr Abscheu vor dem Marquis, den sie unmöglich als Vater betrachten konnte, und ihr Dank gegen ihren Befreyer verdoppelte sich, so daß sie mit Ungeduld das Zeugniß abzulegen verlangte, welches zu seiner Erhaltung so nothwendig war.

Madame glaubte, es würde nicht zu spät seyn, noch diesen Abend ins Chatelet zugelassen zu werden, und da sie wüßte, wie sehnlich ihr Mann Adelinen zu sehn wünschte, bat sie diese um Erlaubniß, sie hinzuführen. So ermüdet auch Adeline war, ließ sie sichs gefallen, und so bald Louis von Herrn Nemours, seines Vaters Advokaten, zurückkam, machten sie sich insgesammt nach dem Chatelet auf.

Der Anblick des Gefängnisses, das sie jetzt betraten, erinnerte Adelinen so lebhaft an Theodors Lage, daß sie kaum sich bis zu La Mottens Zimmer aufrecht halten konnte. Sobald er sie erblickte, schoß ein Strahl von Freude über sein Gesicht; bald aber versank er wieder in seine Niedergeschlagenheit, sah traurig sie, dann Louis an, und seufzte tief.

Adeline, bey der alle Erinnerung seiner vergangenen Grausamkeit sich in Dank für seine nachherige Güte verloren hatte, bezeugte ihre Dankbarkeit für das Leben, welches er ihr erhielt, und ihr Verlangen, ihm zu dienen, in den wärmsten Ausdrücken. Allein ihre Dankbarkeit beängstigte ihn sichtlich: statt ihn mit sich selbst zu versöhnen, schien sie eine Erinnerung an die schändlichen Absichten, die er einst unterstützte, aufzuwecken, und die Stacheln des Gewissens tiefer in sein Herz zu schlagen.

Um seine Bewegung zu verheelen, sprach er von seiner gegenwärtigen Gefahr, und unterrichtete Adelinen, wie sie bey dem Verhör sich zu verhalten hatte. Nach einer Stunde Gesprächs mit ihm, ging sie wieder mit Madame in ihre Wohnung, wo sie krank und ermattet, sich in ihr Schlafzimmer begab, und ihre Sorgen im Schlafe zu begraben suchte.

Das Gericht versammlete sich wenige Tage nach Adelinens Ankunft, und die zwey übrigen Zeugen des Marquis, auf die er seine Klage gegen La Motten jetzt stützte, erschienen. Sie wurde zitternd ins Gericht geführt, wo der Marquis de Montalt beynahe der erste Gegenstand war, der ihr ins Auge fiel. Sie sah ihn jetzt mit einer ihr ganz neuen Bewegung an, die stark mit Abscheu vermischt war.

Als Du Bosse sie erblickte, beschwur er sogleich ihre Identität, und der Eindruck, den sein Anblick auf sie machte, bestätigte sein Zeugniß: sie erblaßte, wie sie ihn sah, und ein Zittern ergriff ihren ganzen Körper. Jean d'Aunoy konnte nirgends gefunden werden, und La Motte verlor dadurch einen Zeugen, der seiner Sache wesentlichen Vortheil hätte bringen können.

Adeline trug, als sie aufgerufen ward, ihre kleine Erzählung bestimmt und deutlich vor; und Peter, der sie von der Abtey weggebracht hatte, unterstützte ihre Aussage. Diese Aussage war für die meisten Anwesenden hinreichend, den Marquis der Absicht der Ermordung zu beargwöhnen; allein sie war nicht gültig genug, um das Zeugniß seiner zwey letzten Zeugen zu entkräften, die bestimmt auf die Begehung des Raubes und auf die Person La Mottens schwuren, über den sogleich das Todesurtheil gesprochen ward.

Bey Anhörung dieses Ausspruchs sank der Unglückliche in Ohnmacht, und das Mitleid der Versammlung, deren Empfindung ungewöhnlich für den Ausgang aufgeregt worden war, äusserte sich in einem allgemeinen Seufzer.

Plötzlich aber wurde ihre Aufmerksamkeit auf einen neuen Gegenstand gerufen. – Jean d'Aunoy trat jetzt ins Gericht! Allein sein Zeugniß, wenn es auch La Motten hätte helfen können, kam zu spät. Er wurde ins Gefängniß zurückgeführt; Adeline aber, die vor Schrecken über seine Verurtheilung, beynahe ausser sich war, erhielt Befehl, während d'Aunoys Abhörung im Gericht zu bleiben.

Man hatte diesen Menschen endlich im Gefängniß einer Landstadt gefunden, wohin einige seiner Gläubiger ihn geworfen hatten, und aus welchem sogar das Geld, das der Marquis ihm vor seinem Verhaft zur Befriedigung von Dü Bosses ungestümen Forderungen geschickt hatte, nicht zu befreyen hinreichte. Dieses Geld, wovon Dü Bosse nichts erhielt, wurde von d'Aunoy üppig verschwendet, während jener durch vermeinte Vernachlässigung zur Rache gegen den Marquis aufgereitzt war.

Er wurde mit Adelinen und Dü Bosse confrontirt und befehligt, alles, was er von dieser dunkeln Sache wüßte, zu bekennen, oder sich der Tortur zu unterwerfen. D'Aunoy, der nicht wußte, wie weit der Verdacht gegen den Marquis sich erstreckte, und wohl fühlte, daß seine eignen Worte ihm das Urtheil sprechen könnten, beharrte eine Weile im hartnäckigen Schweigen: als er aber auf die Folter gebracht wurde, verließ ihn sein Muth, und er bekannte ein Verbrechen, das man sich gar nicht hatte einfallen lassen.

Es kam an den Tag, daß im Jahre 1642 d'Aunoy nebst einem gewissen Jacques Martigny und Francis Balliere, auf dem Wege überfallen und ergriffen hatten, Henry, Marquis de Montalt, Philipp de Montalts Halbbruder. Nachdem sie den erhaltnen Befehlen zu Folge, ihn beraubt, und seinen Bedienten an einen Baum gebunden hatten, brachten sie ihn nach der St. Clairs Abtey im fernen Fontaneiller Walde. Hier wurde er eine Zeitlang eingesperrt, bis fernere Verhaltungsbefehle von Philipp de Montalt, dem gegenwärtigen Marquis, einliefen, der sich damahls auf seinen Gütern in einer nördlichen Provinz von Frankreich befand. Diese Befehle waren zum Tode, und der unglückliche Henry wurde in der dritten Woche nach seinem Verhaft auf der Abtey in seinem Schlafzimmer ermordet.

Bey Anhörung dieser Worte fühlte sich Adeline einer Ohnmacht nahe: sie erinnerte sich des Manuscripts, das sie fand, nebst allen seltsamen Umständen, die mit dieser Entdeckung verbunden waren. Jede Nerve bebte vor Entsetzen, und als sie die Augen aufschlug, sah sie das Gesicht des Marquis mit der gelben Blässe der Schuld überzogen. Sie suchte ihre fliehenden Lebensgeister fest zu halten, während der Mann in seinem Bekäntniß fortfuhr.

Nach vollbrachtem Morde begab sich d'Aunoy zu seinem Anstifter, der ihm die ausgemachte Belohnung gab, und wenige Monathe nachher ihm die kleine Tochter des verstorbnen Marquis einhändigte, die er nach einer fernen Gegend des Königreichs brachte, wo er unter dem angenommenen Nahmen St. Pierre sie als sein eignes Kind aufzog und von dem jetzigen Marquis ein ansehnliches Jahrgehalt für seine Verschwiegenheit erhielt. –

Adeline, nicht länger vermögend mit dem Aufruhr an Bewegungen, die sich jetzt zu ihrem Herzen drängten, zu kämpfen, stieß einen lauten Schrey aus, und sank in Ohnmacht. Man trug sie aus dem Gericht fort, und als die durch diesen Umstand erregte Unruhe gestillt war, fuhr Jean d'Aunoy fort. Er erzählte, daß bey dem Tode seiner Frau, Adeline in ein Kloster gebracht, und nachher in ein andres gekommen sey, wo der Marquis sie zum Schleyer bestimmte, Ihre entschloßne Weigerung bestimmte ihn, ihr das Leben zu rauben, und sie wurde zu diesem Ende nach dem Hause auf der Haide gebracht.

D'Aunoy setzte hinzu, daß er nach dem Willen des Marquis dem Dü Bosse eine falsche Geschichte von ihrer Geburt aufgeheftet hätte. Nachdem er in der Folge erfuhr, daß seine Helfer ihn wegen ihres Todes hintergangen hatten, trennte er sich in Feindschaft von ihnen: doch beschlossen sie einstimmig, dem Marquis ihre Entwischung zu verheelen, um den Lohn ihres vermeinten Verbrechens nicht zu verscherzen.

Demohngeachtet erhielt d'Aunoy verschiedne Monathe nachher einen Brief von dem Marquis, worin dieser ihn der Wahrheit anklagte, und ihm Verzeihung und große Belohnung anboth, wenn er ihm gestünde, wohin er Adelinen gebracht hätte. Auf diesen Brief gestand er, daß seine Kameraden sie einem Fremden übergeben hätten. Wer aber dieser sey, oder wo er sich aufhalte, wüßten sie nicht.

Auf diese Aussagen wurde Philipp de Montalt wegen der Ermordung seines Bruders Henry zur Rechenschaft gezogen; d'Aunoy wurde in einen Kerker des Chatelets geworfen, und Dü Bosse befehligt, als Zeuge zu erscheinen.

Die Gefühle des Marquis, der durch eine von Rache eingegebne Verfolgung so unerwartet seine Verbrechen dem Auge des Gerichts bloß gestellt hatte, können nicht beschrieben werden. Die Leidenschaften, die ihn zur Begehung eines so abscheulichen Verbrechens, als Mord, verleitet hatten; ja was dessen Barbarey, wo möglich noch erhöhte, zum Morde eines, der durch Bande des Blutes und durch Gewohnheit kindlicher Vertraulichkeit mit ihm verbunden war, – die Leidenschaften, die zu einer so scheuslichen That ihn anreitzten, waren Ehrgeitz und Hang zum Vergnügen. Der erste wurde unmittelbar durch den Rang und Titel seines Bruders, der andre durch die Reichthümer befriedigt, die ihn in Stand setzten, seinen wollüstigen Neigungen nachzuhängen.

Der ermordete Marquis de Montalt, Adelinens Vater, erbte von seinen Vorfahren ein Vermögen, das dem Glanze seiner Geburt nicht angemessen war; allein er vermählte sich mit der Erbinn einer erlauchten Familie, deren Vermögen den Abgang des seinigen reichlich ersetzte. Er hatte das Unglück, sie bald nach der Geburt einer Tochter zu verlieren, ein Verlust, den er schmerzlich beklagte: denn sie war schön und liebenswürdig; und nunmehr entwarf der jetzige Marquis den teuflischen Plan, seinen Bruder umzubringen.

Die Verschiedenheit ihrer Gemüthsart verhinderte zwischen ihnen die Herzlichkeit, welche ihre nahe Verwandtschaft zu fordern schien. Henry war wohlwollend, sanft und ernst. In seinem Herzen herrschte die Liebe der Tugend; in seinen Sitten war die Strenge der Gerechtigkeit durch mitleidige Güte gemildert, nicht geschwächt; sein Geist ward durch Wissenschaft erweitert und durch schöne Litteratur geschmückt. Philipps Charakter ist bereits durch seine Handlungen geschildert; die Schatten desselben waren mit einem glänzenden Firniß überzogen, aber dieser Firniß diente nur, die Dunkelheit des ganzen Gemähldes durch den Contrast noch auffallender zu machen.

Er hatte sich mit einer Frau vermählt, die bey dem Tode ihres Bruders ansehnliche Güter erbte, worunter die St. Clairs Abtey, und die Villa am Fontaneiller Walde, die vornehmsten waren. Demohngeachtet brachte seine Liebe zur Pracht und Zerstreuung ihn bald in Schwierigkeiten, und ließ ihn fühlen, wie angenehm es seyn würde, seines Bruders Reichthum zu besitzen. Dieser Bruder und seine kleine Tochter standen seinen Wünschen einzig im Wege.

Auf welche Art er sich ihres Vaters entledigte, ist schon erzählt: warum er nicht dieselben Mittel anwandte, um das Kind in Sicherheit zu bringen, wissen wir nicht. Ein Verhängniß scheint hier seinen Arm zurückgehalten, und sie zum Werkzeug der Strafe an dem Mörder ihres Vaters aufbehalten zu haben. Ihre Erhaltung war gleichsam das Werk einer höhern Macht und ein auffallendes Beyspiel, daß die Gerechtigkeit, so lange sie auch zögert, oft durch wunderbare Wege die Schuldigen einhohlt.

Während der unglückliche Henry auf der Abtey litt, blieb sein Bruder, um Verdacht zu vermeiden, im nördlichen Frankreich, und verschob die Vollziehung der schrecklichen That aus der natürlichen Furchtsamkeit eines noch nicht zu aller Abscheulichkeit der Schuld gehärteten Herzens. Ehe er es wagte, seine letzten Befehle zu ertheilen, wartete er ab, ob die Geschichte, die er von seines Bruders Tode zu verbreiten suchte, sein Verbrechen vor allem Argwohn sichern würde.

Es gelang ihm nur zu gut. Der Bediente, dem man das Leben gelassen hatte, damit er die Geschichte erzählen könnte, glaubte natürlich, daß sein Herr von Räubern ermordet sey; und der Bauer, der wenig Stunden nachher den Bedienten verwundet, blutend, und an einen Baum gebunden fand, und zudem wußte, daß diese Gegend nicht sicher war, glaubte ihm eben so natürlich, und breitete das Gerücht aus.

Von dieser Zeit an besuchte der Marquis, dem die St. Clairs Abtey, vermöge seiner Frau gehörte, sie nur zwey Mahle nach sehr langen Zwischenräumen, bis er nach vielen Jahren zufällig La Motte als ihren Bewohner fand. Er hielt sich für gewöhnlich zu Paris, oder auf seinem nördlichen Gut auf; einen Monath des Jahrs aber brachte er gewöhnlich auf seiner reizenden Villa am Fontaneiller Walde zu. Er suchte im Gewühl des Hofes und in den Zerstreuungen der Freude, die Erinnerung seines Verbrechens zu vergessen; allein es gab Zeiten, wo die Stimme des Gewissens sich nicht betäuben ließ, wenn sie auch bald nachher im Getümmel der Welt wieder verstummte.

Wahrscheinlich rief in der Nacht, wo er so plötzlich von der Abtey abreiste, die einsame Stille und Düsterniß der Stunde an einem Orte, der Zeuge seines Verbrechens gewesen war, die Erinnerung seines Bruders mit einer für die Fantasie zu mächtigen Kraft in ihm hervor, und erweckte Schrecknisse, die ihn zwangen, diesen mit Blut befleckten Ort zu verlassen. Wenn dem so war, so ist es gewiß, daß die Dämonen des Gewissens mit der Dunkelheit verschwanden; denn am folgenden Tage kam er wieder nach der Abtey, wiewohl man bemerkt haben wird, daß er nie wieder eine Nacht daselbst zuzubringen wagte.

Allein dieß erregte Schrecken war nur von vergänglicher Dauer; weder Mitleid noch Reue folgte darauf; sobald die Entdeckung von Adelinens Geburt Besorgnisse für sein eignes Leben erregte, stand er nicht an, das nähmliche Verbrechen zu wiederhohlen, und wollte aufs neue seine Seele mit Menschenblut besudeln. Diese Entdeckung geschah vermöge eines Siegels mit ihrer Mutter Wappen, auf dem Billet, welches sein Bedienter zu Caux ihm brachte.

Man wird sich erinnern, daß er dieses Billet zuerst in eifersüchtiger Wuth von sich warf; als er es aber noch einmahl besehn hatte, es sorgfältig in seiner Brieftasche aufbewahrte. Die heftige Erschütterung, welche ein Verdacht der schrecklichen Wahrheit in ihm hervorbrachte, beraubte ihn auf eine Zeitlang aller Kraft zu handeln. Sobald er sich wohl genug befand, um schreiben zu können, schickte er einen Brief, dessen Inhalt schon erwähnt ist, an d'Aunoy, und erhielt von diesem die Bestätigung seiner Furcht.

Da er wußte, daß er sein Verbrechen mit dem Leben würde büßen müssen, wenn Adeline jemahls Wissenschaft von ihrer Geburt erhielte, und nicht wagte, der Verschwiegenheit eines Menschen nochmahls zu trauen, der einmahl ihn hintergangen hatte, so beschloß er nach einiger Überlegung ihren Tod. Er machte sich sogleich auf den Weg nach der Abtey, und gab die Anweisungen, welche Furcht für seine Sicherheit weit mehr noch, als das Verlangen, ihre Güter zu behalten, ihm eingab.

Da der Umstand mit dem Siegel, welcher Adelinens Geburt verrieth, allerdings merkwürdig ist, so dürfen wir nicht unterlassen zu erzählen, daß Jean d'Aunoy nebst einer goldnen Uhr es dem unglücklichen Marquis abnahm. Die Uhr veräußerte er bald, das Petschaft aber behielt seine Frau als ein niedliches Kleinod, und bey ihrem Tode kam es unter Adelinens Sachen mit ins Kloster. Adeline behielt es sorgfältig auf, weil es einst der Frau gehört hatte, die sie für ihre Mutter hielt.



 << zurück weiter >>