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Sechstes Kapitel.

Beynahe ein Monath verstrich, ohne daß sich etwas merkwürdiges ereignete. La Mottens Schwermuth verminderte sich wenig, und seiner Frau Betragen gegen Adelinen, wiewohl etwas milder, war noch immer weit entfernt, gültig zu seyn. Louis bezeugte durch unzählige kleine Achtsamkeiten seine wachsende Neigung für Adelinen, die sie als leichte Höflichkeit zu behandeln fortfuhr.

An einem stürmischen Abend, als sie sich zum Schlafengehen anschickten, wurden sie durch ein Trampeln von Pferden nahe bey der Abtey beunruhiget: der Ton mehrerer Stimmen folgte darauf und ein lautes Klopfen am großen Thore der Halle bestätigte bald nachher ihr Schrecken. La Motte zweifelte nicht, daß die Gerichtsdiener endlich seinen Aufenthalt entdeckt hätten, und die Angst raubte ihm beynahe alles Bewußtseyn; indessen befahl er, die Lichter auszulöschen, und ein tiefes Stillschweigen zu beobachten, um auch nicht die kleinste Möglichkeit von Rettung unversucht zu lassen.

Kaum waren seine Befehle vollzogen, als das Klopfen erneuert wurde und mit vermehrter Heftigkeit. La Motte ging jetzt nach einem kleinen Gitterfenster am Thore, um die Zahl und das Ansehen der Fremden zu bemerken. Die Dunkelheit vereitelte seinen Vorsatz; er konnte nur einen Trupp Menschen zu Pferde sehen, doch hörte er bey scharfem Aufmerken einen Theil ihres Gesprächs. Einige stritten, daß sie sich in dem Orte geirrt hätten, bis ein Mann, der nach seiner gebiethrischen Stimme zu urtheilen, ihr Anführer zu seyn schien, behauptete, er hätte an dieser Stelle Licht gesehen, und wüßte gewiß, daß Menschen hier seyn müßten. Hierauf klopfte er nochmahls laut an, und erhielt nur hohlen Widerschall zur Antwort. La Mottens Herz erbebte, und er war unvermögend, sich zu bewegen.

Nachdem die Fremden eine Zeitlang gewartet hatten, schienen sie etwas zu berathschlagen, allein ihr Gespräch wurde so leise geführt, daß La Motte den Inhalt nicht verstehen konnte. Sie verließen das Thor als wollten sie fortgehen; gleich darauf aber glaubte er sie unter den Bäumen an der andern Seite des Gebäudes zu hören, und wurde bald überzeugt, daß sie die Abtey nicht verlassen hatten. Er hielt noch einige Minuten in peinlicher Ungewißheit aus, und verließ dann das Thor, an welches Louis sich stellte, um sich nach der Seite des Gebäudes zu begeben, wo er den Ort, an welchem sie sich seiner Meinung nach aufhielten, übersehen konnte.

Der Sturm tobte laut und die hohlen Windstöße, die zwischen den Bäumen rauschten, hinderten ihn, irgend einen andern Ton zu unterscheiden. Einmahl, als der Wind stille war, glaubte er deutlich Stimmen zu hören; allein er brauchte sich nicht lange mit Vermuthungen zu begnügen; das erneuerte Klopfen am Thore erschreckte ihn, und ohne auf seine Frau und Adelinen Rücksicht zu nehmen, lief er, um sein letztes Heil durch die Fallthüre zu versuchen.

Kurz darauf, da die Heftigkeit der Bestürmer mit jedem Windstoße zu wachsen schien, brach das alte verfallene Thor aus seinem Schwingen und ließ sie in die Halle. So wie sie hereintraten, bestärkte ein Schrey von Frau von La Motte, die an der Thüre des angrenzenden Zimmers stand, die Vermuthung des vornehmsten Fremden, der so schnell als die Dunkelheit es ihm zuließ, näher kam.

Adeline war in Ohnmacht gefallen, und Frau von La Motte schrie laut nach Hülfe. Peter trat mit Licht herein und sah die Halle voll Menschen und sein junges Fräulein sinnlos auf der Erde liegen. Ein Herr trat hervor, bat Madam um Verzeihung wegen seines unartigen Betragens, und wollte eine Entschuldigung vorbringen, als er Adelinen wahrnahm und auf sie zueilte, um sie aufzuheben; allein Louis, der jetzt zurückkam, nahm sie in seine Arme und bat den Fremden, sich nicht zu bemühen.

Der Mann, zu dem er dieß sagte, trug den Stern von einem der höchsten Orden in Frankreich, und hatte ein Ansehen von Würde, das seinen vornehmen Rang bezeugte. Er schien nahe an vierzig zu seyn, vielleicht aber machte das Feuer seines Gesichtes den Eindruck der Zeit auf seinen Zügen weniger merklich. Seine sanfte Miene und einnehmendes Wesen, während er, ohne auf sich selbst zu achten, nur um Adelinens Zustand bekümmert schien, zerstreute nach und nach Frau von La Mottens Angst und milderte Louis plötzliche Empfindlichkeit.

Adelinen, die noch immer nicht bey sich selbst war, staunte er mit einer heißen Bewunderung an, die alle Fähigkeiten seiner Seele zu verschlingen schien. In der That war sie auch ein Gegenstand, den man nicht mit Gleichgültigkeit betrachten konnte.

Ihre Schönheit, mit der Blässe der Unpäßlichkeit überzogen, gewann bey dem Gefühle, was sie an Blüthe verlor. Ihre nachlässige Kleidung, die man, um ihr Luft zu machen, geöffnet hatte, zeigte die glühenden Reize, welche ihre braunen, herabfallenden Locken nur beschatteten, aber nicht verheelen konnten.

Noch ein Fremder trat jetzt herein, ein junger Ritter, der eilends etwas zu dem ältern sagte, und dann zu der Gruppe trat, die Adelinen umringte. Er war schön gewachsen, und sein Gliederbau eben so sein proportionirt, als männlich; sein Gesicht war beseelt, aber nicht stolz; edel, doch unaussprechlich sanft. Es wurde noch interessanter durch den Antheil, den er an Adelinen zu nehmen schien, die jetzt auflebte, und ihn, den ersten Gegenstand, den ihre Augen trafen, in stummer Angst über sich hängen sah.

Eine schnelle Röthe überflog ihre Wangen, sie erkannte ihn für den Fremden, den sie im Walde gesehen hatte. Augenblicklich aber verwandelte sich ihre Farbe in die Blässe des Schreckens, als sie das Zimmer mit Menschen angefüllt sah. Louis führte sie in ein anderes Zimmer, wohin die beyden Herren ihr folgten, und sich auf das neue wegen des Schreckens, den sie verursacht hatten, entschuldigten. Der ältere wandte sich zu Frau von La Motte:

»Ohne Zweifel, Madame, ist Ihnen nicht bekannt, daß ich der Besitzer dieser Abtey bin;« – sie erschrack. – »Beunruhigen Sie sich nicht, Madame, Sie sind sicher willkommen. Ich habe diesen verfallenen Ort längst verlassen, und schätze mich glücklich, wenn er Ihnen eine Zuflucht gewährt hat.«

Frau von La Motte bezeugte ihren Dank für diese Güte, und Louis äußerte, wie sehr er die Höflichkeit des Marquis de Montalt zu schätzen wüßte: denn dieß war der Nahme des edeln Fremden.

»Ich halte mich meistens in einer fernen Provinz auf,« sagte der Marquis, »allein ich besitze ein kleines Lustschloß nahe an diesem Walde und bey der Rückkehr von einer kleinen Reise habe ich mich von der Nacht überfallen lassen und meinen Weg verloren. Ein Licht, welches durch die Bäume schimmerte, zog mich hieher, und die Dunkelheit außen war so tief, daß ich nicht wußte, woher es kam, bis ich vor der Thüre der Abtey war.«

Das edle Ansehen der Fremden, ihre vornehme Kleidung und mehr als alles, diese Worte, zerstreuten jeden übrig gebliebenen Zweifel bey Madame, und sie wollte eben Befehl geben ihnen Erfrischungen vorsetzen zu lassen, als La Motte, der gehorcht hatte, und nun überzeugt war, daß er nichts zu fürchten brauchte, in das Zimmer trat.

Er ging mit gefälliger Miene auf den Marquis zu, als er aber reden wollte, erstarben die Worte des Willkommens auf seinen Lippen, seine Glieder zitterten und Todtenblässe überzog sein Gesicht. Der Marquis war nicht viel weniger bestürzt, und legte im ersten Augenblicke der Überraschung die Hand an den Degen, besann sich aber, zog sie zurück und bemühete sich, die Bewegung seines Gesichtes zu verbergen. Es erfolgte eine Pause ängstlichen Schweigens. La Motte machte eine Bewegung gegen die Thüre, allein sein erschütterter Körper weigerte sich ihn zu unterstützen, und er sank in einen Stuhl.

Das Schrecken in seinem Gesichte und sein ganzes Betragen erregten die höchste Befremdung bey seiner Frau, deren Augen den Marquis mehr fragten, als er zu beantworten gut fand: seine Blicke vermehrten das Geheimniß statt es zu erläutern und verriethen ein Gemisch von Bewegungen, die sie nicht zu erklären wußte. Indessen suchte sie ihrem Manne beyzuspringen, allein er stieß sie zurück, wandte das Gesicht ab und bedeckte es mit beyden Händen.

Der Marquis, der seine Gegenwart des Geistes wieder zu erhalten schien, wollte nach der Thüre der Halle gehen, wo seine Leute versammelt waren, als La Motte, mit verstörtem Blick, ihn umzukehren bat. Der Marquis sah sich um und stand still, schien aber noch unentschlossen; ein Blick auf Adelinen, deren stumme Angst für La Motten zu flehen schien, bestimmte ihn, und er setzte sich nieder.

»Ich ersuche Sie, gnädiger Herr!« sagte La Motte, »mir eine geheime Unterredung von einigen Augenblicken zu erlauben.«

»Diese Foderung ist etwas stark und mehr, als ich gewähren kann. Sie können mir nichts zu sagen haben, was nicht Ihrer Familie bekannt wäre; tragen Sie also Ihre Sache vor, und fassen sich kurz.«

La Mottens Gesicht verändert sich bey jedem Worte dieser Rede.

»Unmöglich, gnädiger Herr,« sagte er, »meine Lippen sollen sich auf ewig schließen, ehe sie vor einem andern Sterblichen die Worte aussprechen, die Ihnen allein aufbehalten sind. Ich bitte Sie, ich flehe Sie nur um einige Augenblicke!«

Bey diesen Worten traten ihm Thränen in die Augen, und der Marquis, durch seinen Kummer besänftigt, willigte, wiewohl mit sichtlicher Unruhe und Widerwillen, in sein Verlangen.

La Motte nahm ein Licht und führte den Marquis in ein kleines Zimmer in einem entlegenen Theile des Gebäudes, wo sie beynahe eine Stunde blieben. Madame, durch ihre lange Abwesenheit beunruhigt, ging ihnen nach: eine Neugier, die unter diesen Umständen vielleicht nicht zu tadeln war, trieb sie an zu horchen. La Motte sprach, mit großer Bewegung.

»Der Wahnsinn der Verzweiflung,« sagte er – das Folgende konnte sie nicht verstehen. »Ich habe mehr gelitten, als ich sagen kann,« fuhr er fort, »dieses Bild hat mich in meinen nächtlichen Träumen, und bey meinen Wanderungen am Tage begleitet. Es gibt keine Strafe, außer dem Tode, die ich nicht erdulden wollte, um den Seelenzustand wieder zu erlangen, den ich mit in diesen Wald brachte. Ich flehe Sie nochmahls um Mitleid.«

Ein lauter Windstoß, der den Gang hinab scholl, wo Frau von La Motte stand, überwältigte seine Stimme und des Marquis Antwort; bald darauf aber hörte sie folgende Worte:

»Morgen, gnädiger Herr, wenn Sie wieder hierher kommen, will ich Sie nach dem Orte führen.«

»Das ist kaum nöthig, und dürfte gefährlich seyn,« erwiederte dieser.

»Ich kann Ihnen diese Zweifel nicht verdenken,« versetzte La Motte, »allein ich will schwören, was Sie mir vorlegen. Ja, was auch die Folge seyn mag, ich will schwören, mich Ihrem Ausspruche zu unterwerfen!«

Der Sturm verschlang auf das neue den Laut ihrer Stimmen, und Frau von La Motte bemühte sich vergebens die Worte zu hören, woran wahrscheinlich die Erläuterung dieses seltsamen Geheimnißes hing. Sie gingen jetzt nach der Thüre zu und sie begab sich eilends in das Zimmer zurück, wo sie Adelinen mit Louis und dem jungen Chevalier gelassen hatte.

Der Marquis und La Motte kamen bald nach ihr: der erste stolz und kalt; der letzte etwas gefaßter als zuvor, wiewohl der Eindruck des Schreckens noch nicht von seinem Gesichte verwischt war. Der Marquis ging nach der Halle, wo sein Gefolge wartete; der Sturm hatte sich noch nicht gelegt, allein er schien ungeduldig fortzukommen, und befahl seinen Leuten, sich bereit zu machen.

La Motte beobachtete ein finsteres Stillschweigen, ging mit schnellen Schritten im Zimmer auf und ab, und schien dann wieder in Nachsinnen verloren. Indessen setzte sich der Marquis zu Adelinen, und widmete ihr seine ganze Aufmerksamkeit, außer wenn plötzliche Anwandlungen von Geistesabwesenheit sich seiner bemächtigten und ihn in kurzes Stillschweigen versenkten: zu solchen Zeiten richtete der junge Chevalier sein Gespräch an sie, die zwischen Furchtsamkeit und Unruhe getheilt, gegen beyde gleich zurückhaltend blieb.

Der Marquis war nun beynahe zwey Stunden auf der Abtey gewesen, und da das Ungewitter noch immer anhielt, both ihm Frau von La Motte ein Bett an. Ein Blick von ihrem Manne machte sie für die Folge zittern. Doch wurde das Anerbiethen höflich abgelehnt, weil der Marquis sichtlich eben so ungeduldig fort verlangte, als sein Wirth ihn loszuwerden wünschte. Er ging oft in die Halle und sah ungeduldig nach den Wolken. Man konnte in der Finsterniß der Nacht nichts wahrnehmen, nichts hören, als das Pfeifen des Sturms.

Der Morgen dämmerte ehe sie fortgingen; als er sich anschickte, die Abtey zu verlassen, zog ihn La Motte nochmahls bey Seite und sprach einige Augenblicke leise mit ihm. Seine heftige Gestikulation, die Frau von La Motte aus einem andern Ende des Zimmers bemerkte, erhöhte ihre Neugier zu wilder Angst. Ihr Bemühen, die Worte zu verstehen, war vergebens, weil sie zu leise gesprochen wurden.

Endlich zog der Marquis mit seinem Gefolge ab, und La Motte, nachdem er mit eigener Hand die Thore befestigt hatte, begab sich schweigend und düster in sein Schlafzimmer. Sobald sie allein waren, drang Madame in ihn, ihr den vorgefallenen Auftritt zu erklären.

»Legen Sie mir keine Fragen vor,« sagte La Motte wild; »denn ich will keine beantworten; ich habe mir bereits alles Reden über die Sache verbethen.«

»Über welche Sache?« fragte seine Frau.

La Motte schien sich zu besinnen –

»Gleichviel ich irrte mich; ich glaubte, Sie hätten mich schon mit diesen Fragen gequält.«

»Ach,« sagte Frau von La Motte, »so ist es also, wie ich fürchtete. Ihre bisherige Schwermuth und die Angst dieser Nacht haben eine Ursache!«

»Und warum forschen, oder fragen Sie darnach? Soll ich ewig mit Vermuthungen verfolgt werden?«

»Verzeihen Sie mir, es war nicht meine Absicht, Sie zu verfolgen: allein meine Angst für Ihr Wohl wird mich unter dieser schrecklichen Ungewißheit nicht ruhen lassen. Lassen Sie mich das Vorrecht einer Gattinn fodern, und den Kummer theilen, der Sie niederdrückt. Verweigern Sie mir nicht –

La Motte unterbrach sie –

»Was auch die Ursache der Bewegungen seyn mag, die Sie mit angesehen haben,« sagte er, so schwöre ich hiemit, sie jetzt nicht zu entdecken. Vielleicht wird eine Zeit kommen, wo ich es nicht länger nöthig glauben werde, sie zu verheelen. Bis dahin schweigen Sie und stehen von allen Fragen ab: vor allen Dingen enthalten Sie sich, gegen irgend jemand zu erwähnen, was Sie ungewöhnliches an mir bemerkt zu haben glauben. Begraben Sie Ihre Zweifel in Ihrer eigenen Brust, wenn Sie meinen Fluch und Verderben zu vermeiden wünschen.«

Der schreckliche Ton, womit er dieses sprach, während eine hohe Röthe sein Gesicht überzog, machte seine Frau schaudern, und sie enthielt sich aller Antwort.

Frau von La Motte legte sich zur Ruhe, aber nicht zum Schlaf. Sie dachte über das Vorgefallene nach, und ihre Befremdung und Neugier über ihres Mannes Worte und Betragen wurde durch Nachdenken nur noch geschärft. Eine Wahrheit sah sie indessen: sie konnte nicht zweifeln, daß La Mottens geheimnißvolles Betragen, welches seit so vielen Monathen sie mit Angst erfüllt hatte, und der Auftritt mit dem Marquis aus der nähmlichen Ursache entsprangen.

Diese Überzeugung, die zu beweisen schien, wie ungerecht sie Adelinen in Verdacht gehabt hatte, brachte einen peinlichen Selbstvorwurf mit. Sie sah mit Ungeduld dem morgenden Tage entgegen, der den Marquis wieder nach der Abtey bringen würde. Endlich trat die ermattete Natur in ihre Rechte und gab einer kurzen Vergessenheit des Kummers Raum.

 

Den folgenden Tag kam die Gesellschaft erst spät beym Frühstück zusammen. Jedes Glied schien schweigend und abgezogen, sehr verschieden aber war der Ausdruck ihres Gesichts und mehr noch, der Inhalt ihrer Gedanken. La Motte schien von ungeduldiger Angst gequält, doch herrschte die Düsterkeit der Verzweiflung in seinen Zügen. Eine gewisse Wildheit in seinem Blicke verrieth oft das plötzliche Auffahren des Schreckens, und dann sanken wiederum seine Züge in trübe Niedergeschlagenheit zurück.

Frau von La Motte schien unter einer ängstlichen Unruhe zu arbeiten: sie beobachtete jeden Zug in ihres Mannes Gesicht und erwartete ungeduldig des Marquis Ankunft. Louis war still und nachdenkend.

Adeline schien ihr volles Maß von Unruhe zu empfinden. Sie hatte mit äußerster Befremdung La Mottens Betragen in der vergangenen Nacht bemerkt, und das glückliche Zutrauen, was sie bisher zu ihm fühlte, war sehr erschüttert worden. Auch fürchtete sie, daß dringende Umstände ihn wieder in die Welt werfen und ihn unfähig oder ungeneigt machen würden, ihr ferner eine Zuflucht unter seinem Dache zu geben.

La Motte ging während des Frühstücks oft an das Fenster und sah ängstlich hinaus. Seine Frau verstand die Ursache seiner Ungeduld nur zu gut, und bemühte sich die ihrige zu unterdrücken. Louis versuchte in diesen Zwischenzeiten oft einige Erläuterung von seinem Vater zu erhalten, allein La Motte ging immer wieder an den Tisch zurück, wo Adelinens Gegenwart ein ferneres Gespräch verhinderte.

Nach dem Frühstücke ging er auf dem freyen Platz, wohin Louis ihm folgen wollte; La Motte erklärte kurz, er wollte allein seyn, und entfernte sich bald nachher, da der Marquis noch nicht erschien, weiter von der Abtey. Adeline verfügte sich mit Frau von La Motte in ihr gewöhnliches Arbeitszimmer. Diese nahm ein heiteres, ja sogar freundliches Wesen an, und weil sie es nothwendig fühlte, eine Ursache wegen La Mottens auffallender Bewegung anzuführen und der Befremdung vorzubeugen, die des Marquis unerwartetes Wiederkommen Adelinen verursachen mußte, wenn sie es mit dem Betragen der vorigen Nacht zusammen hielt, erwähnte sie, daß der Marquis und La Motte einander lange gekannt hätten, und daß dieß unvermuthete Wiedersehen nach einer Trennung von vielen Jahren, und zwar unter so veränderten und beschämenden Umständen von Seiten ihres Mannes, ihm eine schmerzliche Empfindung verursacht hätte; dazu käme noch, daß der Marquis vormahls einige Umstände seines Betragens gegen ihn gemißdeutet, wodurch eine Aufhebung ihres freundschaftlichen Verhältnisses veranlaßt sey.

Die Erläuterung überzeugte Adelinen nicht, weil sie den Grad von Bestürzung, welche sowohl der Marquis als La Motte verrathen hatten, nicht zu rechtfertigen schien. Ihre Verwunderung und Neugier wurde durch die Worte, welche sie ablenken sollten, nur noch mehr erhöht, doch enthielt sie sich, ihre Gedanken zu äußern.

Madame fuhr fort, und sagte: ›sie erwartete den Marquis diesen Morgen und hoffte, alles noch übrige Mißverständniß würde dann ganz beygelegt werden.‹

Adeline erröthete und wollte antworten, aber ihre Lippen bebten. Sie fühlte ihre Bewegung, und daß Madame sie bemerkte; ihre Verwirrung stieg und wurde durch ihr Bemühen, sie zu verbergen, nur noch sichtlicher. Immer noch bemühte sie sich, das Gespräch anzuknüpfen, und immer fand sie es unmöglich, ihre Gedanken zu sammeln. Voll Angst, daß Madame die Empfindung entdecken würde, die bis jetzt ihr selbst Geheimniß gewesen war, verlor sie die Farbe, ihre Augen sanken zur Erde und sie konnte nicht mehr athmen.

Frau von La Motte fragte, ob ihr nicht wohl sey? und Adeline, froh, einen Vorwand gefunden zu haben, ging auf ihr Zimmer, um ihren Gedanken nachzuhängen, die jetzt ganz mit der Erwartung beschäftigt waren, den jungen Chevalier, der den Marquis begleitet hatte, wieder zu sehen.

Sie sah aus dem Fenster den Marquis zu Pferde mit verschiedenen Begleitern in der Ferne heran kommen und eilte, der Frau von La Motte seine Ankunft zu melden. In kurzer Zeit war er am Thore, und Madame und Louis gingen hinaus, ihn zu empfangen, weil La Motte noch nicht wieder gekommen war. Er trat in Begleitung des jungen Chevaliers in die Halle, begrüßte Madam mit etwas förmlicher Höflichkeit und fragte nach ihrem Manne, den Louis aufzusuchen eilte.

Der Marquis schwieg einige Augenblicke und fragte dann Frau von La Motte, wie sich ihre schöne Tochter befände? Madame merkte, daß er Adelinen meinte, und nachdem sie seine Frage beantwortet und leichthin gesagt hatte, Adeline wäre nicht mit ihr verwandt, wurde sie herunter gerufen, weil der Marquis einen Wunsch nach ihrer Gesellschaft äußerte. Sie trat mit bescheidenem Erröthen und einem furchtsamen Wesen herein, welches alle seine Aufmerksamkeit zu beschäftigen schien. Sie beantwortete seine Höflichkeit mit holder Anmuth, als aber der junge Chevalier sich ihr nahete, machte seine wärmere Anrede sie unwillkührlich zurückhaltender, und sie wagte kaum die Augen aufzuschlagen, um nicht den seinigen zu begegnen.

La Motte kam herein und der Marquis beantwortete die Entschuldigung seiner Abwesenheit nur durch eine leichte Verneigung mit dem Kopfe, indem er zugleich in seiner Miene Mißtrauen und Stolz verrieth. Sie verließen gleich darauf die Abtey mit einander, und der Marquis winkte seinen Leuten, ihm in einiger Entfernung zu folgen. La Motte hieß seinen Sohn zurückbleiben, doch bemerkte Louis, daß er den Weg in die dickste Gegend des Waldes nahm. Er verlor sich in einem Chaos von Vermuthungen, und Neugier und Besorgniß für seinen Vater bewegten ihn, in einiger Entfernung zu folgen.

Der junge Fremde, den der Marquis Theodor genannt hatte, blieb indessen bey den Frauenzimmern. Frau von La Motte konnte mit aller Kunst ihre Unruhe nicht ganz verbergen. Sie ging unwillkührlich nach der Thüre, so oft sie einen Fußtritt hörte, und begab sich mehrmahls in die Halle, um nach dem Walde zu sehen, kehrte aber eben so oft in ihrer Erwartung betrogen zurück. Niemand erschien. Theodor schien so viel von seiner Aufmerksamkeit auf Adelinen zu richten, als die Höflichkeit ihm von Frau von La Motte abzuziehen erlaubte. Sein so sanftes und zugleich edles Wesen überwältigte unmerklich ihre Furchtsamkeit und verbannte alle Zurückhaltung.

Ihr Gespräch litt nicht länger unter einem peinlichen Zwang, sondern enthüllte allmählich die Schönheit ihres Geistes, und schien ein wechselseitiges Vertrauen zu erzeugen. Bald verrieth sich eine Gleichheit ihrer Denkungsart und das ungeduldige Vergnügen, welches Theodors Gesicht beseelte, verrieth, daß er oft ihre Gedanken voraus las.

Ihnen däuchte die Abwesenheit des Marquis kurz, so lang sie auch der Frau von La Motte zu dauern schien, deren Gesicht sich aufklärte, als sie endlich die Pferde am Thore trampeln hörte.

Der Marquis zeigte sich nur einen Augenblick und ging mit La Motte in ein anderes Zimmer, wo sie eine kurze Zeit blieben, worauf er sich sogleich entfernte. Theodor nahm von Adelinen, die nebst La Motte und seiner Frau, sie bis an das Thor begleitete, mit einem Ausdruck zärtlichen Schmerzes Abschied, und sah sich um, bis die zwischenstehenden Bäume die Abtey seinem Blicke gänzlich verbargen.

Der vorübergehende Glanz der Freude verschwand mit dem jungen Fremden von Adelinens Wange, und mit einem Seufzer ging sie in die Halle zurück. Theodors Bild verfolgte sie bis in ihr Zimmer; sie rief sich jedes Wort seines Gesprächs zurück. Seine mit den ihrigen so gleich tönende Gefühle, sein so einnehmendes Wesen, ein seelenvolles Gesicht, so offen und edel, in welchem männliche Würde mit süssen Wohlwollen vereinigt war, – alles dieses und tausend andere Reize drangen vor ihre Fantasie, und eine süsse Schwermuth bemeisterte sich ihrer.

»Ich werde ihn nicht mehr sehen,« sagte sie zu sich selbst.

Ein Seufzer, der diesen Worten folgte, verrieth ihr mehr, als sie zu wissen wünschte. Sie erröthete und seufzte wieder, raffte sich dann plötzlich auf und suchte ihre Gedanken auf einen andern Gegenstand zu leiten. La Mottens Verhältniß mit dem Marquis beschäftigte eine Weile ihre Aufmerksamkeit, unfähig aber, das Geheimniß, welches hier im Grunde zu liegen schien, zu enträthseln, suchte sie Zuflucht vor ihren eigenen Betrachtungen in den angenehmern, die sie aus Büchern schöpfte.

Indessen wagte Louis, betroffen, und befremdet über die äußerste Bestürzung, welche sein Vater bey der ersten Zusammenkunft mit dem Marquis verrieth, ihn darüber zu befragen. Er zweifelte nicht, daß der Marquis in genauem Zusammenhange mit dem Vorfall stehen müßte, der La Motten nöthigte Paris zu verlassen, und sagte seine Gedanken unverhohlen, indem er zugleich den unglücklichen Zufall beklagte, der ihn an einem Orte Zuflucht suchen ließ, welcher unter allen sie am wenigsten gewähren konnte – das Haus seines Feindes. La Motte wiedersprach seines Sohnes Meinung nicht, wiewohl er alle deutliche Erklärung vermied, und beklagte ebenfalls das Mißgeschick, welches ihn hieher geführt hätte.

Louis Urlaub war nunmehr beynahe verflossen, und er äußerte seine Betrübniß, seinen Vater in so mißlicher Lage so bald verlassen zu müssen.

»Ich würde Sie mit weniger Schmerz verlassen,« fuhr er fort, »wenn ich nur den ganzen Umfang Ihres Unglücks kennte. So aber muß ich mich mit Vermuthungen von Übeln quälen, die vielleicht keine Wirklichkeit haben. Befreyen Sie mich, liebster Vater, aus dieser peinlichen Ungewißheit, und lassen Sie mir zu, mich Ihres Vertrauens würdig zu beweisen.«

»Ich habe dir über die Sache bereits geantwortet, und dir verbothen, ihrer wieder zu erwähnen; jetzt sehe ich mich genöthigt, dir zu sagen, daß deine Entfernung mir nicht sehr nahe gehen kann, wenn du fortfährst, mich mit solchen Fragen zu peinigen.«

Mit diesen Worten eilte er schnell fort, und ließ seinen Sohn in Zweifel und Bekümmerniß.

 

Des Marquis Erscheinung hatte die eifersüchtigen Besorgnisse der Frau von La Motte zerstreut, und sie zum Gefühl ihrer Grausamkeit gegen Adelinen gebracht. Wenn sie an ihre verwaiste Lage dachte, an die zärtliche Anhänglichkeit, die stets aus ihrem Betragen hervor leuchtete, an die Sanftheit und Geduld, womit sie ihre Ungerechtigkeit' verschmerzt hatte, so fühlte sie sich beklommen und ergrif die erste Gelegenheit, ihre vorige Güte zu erneuern. Allein sie konnte diese anscheinende Inconsequenz ihres Betragens nicht erläutern, ohne ihren gehabten Verdacht zu verrathen, an den sie jetzt mit Erröthen. gedacht, und eben so wenig ihr voriges Betragen entschuldigen, ohne diese Erläuterung zu geben. Sie mußte sich also begnügen, durch ihr bloßes Betragen ihre erneuerte Freundschaft zu zeigen.

Adeline fand sich anfänglich befremdet, empfand aber zu viel Freude über die Veränderung, um bedenklich nach der Ursache zu forschen. Allein ungeachtet der Zufriedenheit, die Adeline bey ihrer Freundinn erneuerten Güte fühlte, beschäftigten sich doch ihre Gedanken oft mit ihrer so besonders hülflosen Lage. Sie konnte nicht umhin, weniger Vertrauen in die Freundschaft der Frau von La Motte zu sehen, als zuvor; ihr Charakter mußte ihr minder liebenswürdig scheinen, als sie sich vormahls ihn gedacht hatte, und sie glaubte ihn abwechselnden Launen unterworfen.

Auch dachte sie oft an die seltsame Erscheinung des Marquis auf der Abtey, an die gegenseitige Bestürzung und anscheinendes Mißfallen zwischen ihm und La Motte, und konnte es nicht reimen, wie unter solchen Umständen La Motte in seinem Gebiethe bleiben, und der Marquis ihn darin dulden mochte.

Ihre Seele kehrte vielleicht öfter zu diesen Gegenständen zurück, weil er mit Theodor zusammen hing, doch war sie sich dieser Vorstellung nicht deutlich bewußt. Sie schrieb den Antheil, den sie bey dieser Sache fühlte, ihrer Sorge für La Mottens Wohl und für ihr eigenes künftiges Geschick zu, welches jetzt so tief mit dem seinigen verwebt war. Zuweilen ertappte sie sich zwar auf Vermuthungen über den Grad der Verwandtschaft zwischen Theodor und dem Marquis, dann aber that sie plötzlich ihren Gedanken Einhalt, und tadelte sich streng, zu einem Gegenstand übergeschweift zu seyn, den sie für ihre Ruhe nur zu gefährlich fühlte.



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