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Achtes Kapitel.

Als Adeline beym Frühstück erschien, fiel ihr blasses verstörtes Ansehen der Frau von La Motte auf, und sie fragte sie, ob ihr nicht wohl wäre? Adeline erzwang ein Lächeln, und erwiederte, sie hätte nicht gut geschlafen, und wäre von fürchterlichen Träumen gequält worden: sie war im Begriff, sie zu erzählen, aber ein starkes, unwillkührliches Widerstreben hielt sie ab. Zugleich verspottete auch La Motte ihre Beängstigungen so unbarmherzig, daß es sie fast gereute, ihrer erwähnt zu haben, und sie die Erinnerung daran zu überwinden suchte.

Nach dem Frühstück suchte sie durch Unterhaltung mit Frau von La Motte ihren Gedanken eine andere Richtung zu geben; allein die Vorfälle der zwey letzten Tage beschäftigten sie zu sehr. Sie hatten eine Weile beysammen gesessen, als der Laut von Stimmen vor dem großen Thore der Abtey erscholl; Adeline trat an das Fenster und sah den Marquis und seine Begleiter unten auf dem Platz. Das Thor der Abtey verbarg einige Personen vor ihr, und sie hielt es für möglich, daß Theodor, der noch nicht erschienen war, unter ihnen seyn könnte. Mit heißer Ungeduld blieb sie stehen, bis der Marquis nebst La Motte und einigen andern Personen in die große Halle trat; Madame ging hinaus, ihn zu empfangen, und Adeline zog sich in ihr Zimmer zurück.

Kurz darauf rief eine Botschaft von La Motte, sie zur Gesellschaft, wo sie vergebens Theodor zu finden hoffte. Der Marquis stand auf, als sie in das Zimmer trat, und nach einigen allgemeinen Höflichkeiten nahm das Gespräch eine sehr lebhafte Wendung. Adeline, der es unmöglich war, Munterkeit zu erkünsteln, da ihr Herz unter Kränkung und Ängstlichkeit erlag, nahm wenig Antheil daran; Theodors Nahme wurde nicht einmahl genannt. Sie hätte gern nach ihm gefragt, wenn es der Anstand erlaubt hatte; so aber mußte sie sich mit der Hoffnung begnügen, daß er vor Tisch, oder wenigstens vor der Abreise des Marquis erscheinen würde.

So verstrich der Tag in Erwartung und vereiteltem Hoffen. Der Abend nahete heran, und sie sah sich verdammt, in des Marquis Gesellschaft zu bleiben, und dem Scheine nach auf ein Gespräch zu merken, das sie in der That kaum hörte, während die Gelegenheit verstrich, die vielleicht ihr Schicksal entschieden hätte. Plötzlich aber wurde sie aus dieser Qual gerissen, und wo möglich in eine noch peinlichere gestürzt.

Der Marquis erkundigte sich nach Louis, und da er seine Abreise hörte, erwähnte er beyläufig, daß Theodor Peyrou diesen Morgen zu seinem Regiment in einer fernen Provinz abgegangen wäre. Er beklagte den Verlust seiner Gesellschaft und äußerte sich sehr vortheilhaft über die Talente seines jungen Freundes. Der Stoß dieser Nachricht überwältigte Adelinens lange geängstigten Lebensgeister; das Blut verließ ihre Wangen, und eine plötzliche Ohnmacht wandelte sie an, von der sie sich nur zu dem peinlichen Bewußtseyn erhohlte, ihre Bewegung verrathen zu haben, und in Gefahr eines zweyten Rückfalls zu seyn.

Sie begab sich in ihr Zimmer, wo in der Einsamkeit ihr Herz Linderung in Thränen fand, denen sie freyen Lauf ließ. Gedanke drängte sich so schnell an Gedanken, daß es lange dauerte, ehe sie zu einem vernünftigen Schlusse kommen konnte. Sie suchte Theodors plötzliche Abreise zu erklären.

»Ist es möglich,« sagte sie, »daß er an meinem Wohl Antheil nehmen, und dennoch mich der vollen Gewalt einer Gefahr Preis geben kann, die er selbst vorher sah? Oder soll ich glauben, daß er mit meiner Einfalt ein Spiel trieb, und mich nun den wundervollen Besorgnissen überläßt, die er in mir erregt? Unmöglich! ein so edles Gesicht, ein so liebenswürdiges Betragen kann kein Herz verbergen, das eines so abscheulichen Vorhabens fähig wäre. Nein! – was mir auch vorbehalten seyn mag, soll doch nichts mir das Vergnügen rauben, ihn meiner Achtung werth zu halten.«

Sie wurde aus diesen Betrachtungen durch einen fernen Donnerschlag erweckt, und sah nunmehr, daß das kommende Gewitter die Dunkelheit des Abends vertiefte; es rollte heran, und bald flammten Blitze durch ihr Zimmer. Adeline war über erzwungene Furcht erhaben, und kannte keine wirkliche; doch fand sie es unangenehm, jetzt allein zu seyn, und in der Hoffnung, daß der Marquis längst fort seyn würde, ging sie herunter; allein der drohende Anblick des Himmels hatte ihn bisher aufgehalten und jetzt bey dem wirklich eingetretenen Gewitter war es ihm lieb, daß er diese Zuflucht nicht verlassen hatte.

Das Gewitter dauerte fort, und die Nacht kam heran. La Motte nöthigte seinen Gast, ein Bett auf der Abtey anzunehmen, und er ließ es sich endlich gefallen; ein Umstand, der Madame in einige Verlegenheit setzte, weil sie nicht wußte, wohin sie ihn bringen sollte. Doch richtete sie bald alles zu ihrer vollen Befriedigung ein, gab dem Marquis ihr eigenes Zimmer, und seinen zwey vornehmsten Bedienten das, welches Louis bewohnte: Adeline mußte das ihrige an Herrn und Frau von La Motte abtreten, und sich nach einer innern Kammer verfügen, wo ein kleines Bett von Annetten für sie aufgeschlagen ward.

Bey Tisch war der Marquis weniger heiter als gewöhnlich: er beschäftigte sich oft mit Adelinen, und seine Blicke und Wesen schienen den zärtlichen Antheil auszudrücken, den ihre Unpäßlichkeit, die man noch immer auf ihrem blassen Gesichte las, erregt hatte. Adeline strengte, wie gewöhnlich, sich an, ihre Unruhe zu vergessen und froh zu scheinen; allein der Schleier erkünstelter Heiterkeit war zu dünn, um die Züge des Kummers zu verheelen, und ihr mattes Lächeln gab ihrem Gesichte eine rührende Anmuth.

Der Marquis sprach mit ihr über verschiedene Gegenstände und zeigte seinen aufgeklärten Geist. Adelinens Bemerkungen, die sie, so oft es die Gelegenheit mit sich brachte, mit bescheidenem Anstand in eben so einfachen als kraftvollen Worten äußerte, schienen seine Bewunderung zu erregen, die er oft durch einen anscheinend unvorsetzlichen Ausdruck verrieth.

Sie begab sich früh in ihr Schlafzimmer, das von einer Seite an Frau von La Mottens, und von der andern an das anfangs erwähnte Kabinet stieß. Es war hoch und geräumig, und die wenige Möblirung, die es noch enthielt, zerfiel in Stücke; vielleicht aber trug ihre Seelenstimmung mehr noch als diese Umstände bey, ihm das Ansehen von Melancholie zu geben, welches darin zu herrschen schien. Sie fühlte keine Neigung, sich schlafen zu legen, weil sie die Wiederkehr der Träume fürchtete, welche in der vorigen Nacht sie beängstigt hatten, und nahm sich vor, aufzubleiben, bis sie sich des Schlafs nicht mehr erwähren könnte, der alsdann wahrscheinlich fest seyn würde. Sie setzte das Licht auf einen kleinen Tisch und las über eine Stunde in einem Buche, bis ihre Seele sich einer längern Abziehung von ihren eigenen Sorgen verweigerte, und sie eine Zeitlang den Kopf nachdenkend auf ihrem Arm gestützt, da saß.

Der Wind war heftig, und wenn er durch die öden Zimmer strich, und die schwachen Thüren erschütterte, fuhr sie oft zusammen, und glaubte zu Zeiten sogar Seufzer zwischen den Windstillen zu hören; doch trieb sie diese Täuschungen zurück, welche sie durch die Stunde der Nacht und durch ihre trübe Einbildungskraft erregt glaubte.

Indem sie sinnend da saß, die Augen starr auf die Wand gegen ihr über geheftet, sah sie die Tapeten, womit das Zimmer behangen war, sich hin und her bewegen, und nachdem sie dieß einige Minuten angesehen hatte, stand sie auf, um es näher zu untersuchen. Der Wind war die Ursache und sie schämte sich ihrer augenblicklichen Furcht; doch bemerkte sie, daß auf einer Stelle die Tapete sich stärker bewegte, und daß ein Geräusch, welches mehr als bloßer Wind zu seyn schien, dort hervorging. Die alte Bettstelle, die La Motte in diesem Zimmer gefunden hatte, war aus der Stelle gerückt worden, um Adelinen bequemern Platz zu machen, und gerade an dieser Stelle schien der Wind mit besonderer Gewalt zu rauschen.

Neugier trieb sie zu näherer Untersuchung an: sie fühlte an den Tapeten umher, und da sie die Wand dahinter unter ihrer Hand schüttern fühlte, hob sie den Umhang auf, und entdeckte eine kleine Thüre, deren lose Angeln den Wind zuließen und das Geräusch verursachten.

Die Thüre war nur durch einen Riegel befestigt, und nachdem sie diesen zurückgeschoben und das Licht genommen hatte, stieg sie durch einige Stuffen in ein anderes Zimmer hinab: sie erinnerte sich sogleich ihrer Träume. Zwar glich das Zimmer nicht eigentlich dem, in welchem sie den Sterbenden und nachher die Todtenbahre gesehen hatte, doch erregte es ihr eine dunkle Erinnerung an eines, durch das sie gegangen war.

Bey näherem Besehen mit dem Lichte überzeugte sie die Bauart, daß es zu den ältern Anlagen gehörte. Ein zerbrochenes, hoch angebrachtes Fenster schien die einzige Öffnung zu seyn, welche Licht einließ. Sie bemerkte an der andern Seite eine Thüre, und nach einigen Augenblicken der Unschlüssigkeit, faßte sie Muth, ihre Untersuchung fortzusetzen.

»Ein Geheimniß scheint über diesen Zimmern zu schweben,« sagte sie, »welches zu enthüllen vielleicht mir aufbehalten ist; wenigstens will ich sehen, wohin diese Thüre führt.«

Sie machte sie auf, und ging mit wankenden Schritten durch eine Reihe Zimmer, die an Bauart und Beschaffenheit den ersten glichen, und mit einem endigten, welches genau dem ähnlich war, wo ihr Traum ihr den Sterbenden vorstellte. Diese Erinnerung bemächtigte sich ihrer so ganz, daß sie einer Ohnmacht nahe war, und sich im Zimmer umsehend, beynahe das Phantom ihres Traums zu erblicken erwartete.

Unvermögend den Ort zu verlassen, setzte sie sich auf einige alte Bretter, um sich zu erhohlen, während ihre Seele beynahe einer abergläubigen Angst, wie sie noch nie empfunden hatte, erlag. Sie begriff nicht, zu welchem Theile der Abtey diese Zimmer gehörten, und wie sie so lange hatten unentdeckt bleiben können. Die Fenster waren alle zu hoch, um hinaus zu sehen.

Als sie sich wieder genug gesammlet hatte, um die Lage betrachten zu können, zweifelte sie nicht, daß sie einen innern Theil des ursprünglichen Gebäudes ausmachten.

So wie sie diese Betrachtungen anstellte, fiel ein plötzlicher Mondschimmer auf einen Gegenstand außer dem Fenster. Da sie sich hinlänglich erholt hatte, um die Untersuchung fortzusetzen, und glaubte, dieser Gegenstand könnte ihr nähere Aufklärung über die Lage der Zimmer verschaffen, so bekämpfte sie ihr noch übriges Schrecken, und stellte, um ihn deutlicher zu unterscheiden, das Licht in ein anderes Zimmer; ehe sie aber zurückkommen konnte, trat eine dicke Wolke vor den Mond, und außen war alles dunkel: sie blieb einige Augenblicke stehen, um einen wiederentstehenden Schein zu erwarten, allein die Dunkelheit hielt an.

Als sie leise wieder nach dem Lichte ging, stieß sie mit dem Fuße an etwas auf der Erde, und während sie still stand, um es zu untersuchen, schien der Mond wieder so, daß sie durch das Fenster die östlichen Thürme der Abtey unterscheiden konnte. Diese Entdeckung bestärkte sie in ihren ersten Vermuthungen über die innere Lage der Zimmer. Die Dunkelheit des Orts verhinderte sie zu entdecken, was ihr unter die Füße gerathen war, als sie aber das Licht näher brachte, sah sie einen alten Dolch an der Erde liegen. Mit zitternder Hand nahm sie ihn auf, und fand ihn mit Blut befleckt, und verrostet.

Betroffen und erschreckt sah sie sich rings im Zimmer nach einem Gegenstande um, der den schrecklichen Verdacht, welcher jetzt in ihr aufstieg, bestätigen oder vernichten könnte: allein sie sah nur einen großen Stuhl mit zerbrochenen Lehnen in einer Ecke des Zimmers, und einen eben so gebrechlichen Tisch; außer einem Haufen alten Gerümpels, das in einem Winkel lag. Sie ging darauf zu, und fand eine zerbrochene Bettstelle, nebst einigen verfallenen Überresten von Möbeln, mit Staub und Spinneweben bedeckt, die seit vielen Jahren nicht angerührt zu seyn schienen.

Weil sie indessen weiter zu untersuchen wünschte, versuchte sie ein Stück von der alten Bettstelle aufzuheben, allein es fiel ihr aus der Hand, und indem es auf der Erde hinrollte, nahm es etwas von dem übrigen Schutt mit. Adeline fuhr zur Seite um sich in Sicherheit zu bringen; als das dadurch entstandene Geräusch vorbey war, hörte sie etwas rauschen, und sah es leise zwischen den Lumpen fallen.

Es war eine kleine Rolle Papier, mit einem Faden umwunden, und mit Staub bedeckt. Sie nahm es auf, und fand, als sie es öffnete, ein Manuscript. Sie versuchte es zu lesen, allein an der Stelle, da sie aufschlug, war die Handschrift so erloschen, daß sie es schwer fand, wie wohl die wenigen lesbaren Worte sie mit Neugier und Schauder erfüllten, und sie bewegten, es mit auf ihr Zimmer zu nehmen.

Sobald sie dieses erreicht hatte, verriegelte sie die geheime Thüre, und ließ den Vorhang herunter wie zuvor. Es war nun Mitternacht. Stille der Stunde, nur zu Zeiten durch das Geheule des Sturms unterbrochen, erhöhte den feyerlichen Ton ihres Gefühls. Sie wünschte nicht allein zu seyn, und ehe sie daß Manuscript vornahm, lauschte sie, ob Frau von La Motte noch nicht in ihrem Zimmer wäre: sie hörte keinen Laut, und öffnete leise die Thüre. Die tiefe Stille überzeugte sie beynahe, daß niemand mehr da wäre, um aber ganz gewiß zu seyn, nahm sie das Licht und fand das Zimmer leer. Sie wunderte sich, daß bey so später Stunde Frau von La Motte noch nicht in ihrem Zimmer war, und ging an die Treppe des Thurms, um zu hören, ob noch jemand auf wäre.

Sie vernahm Stimmen von unten, und La Motte sprach in seinem gewöhnlichen Ton. Beruhigt, daß alles wohl sey, wollte sie wieder in ihr Zimmer gehen, als sie den Marquis mit besondern Nachdruck ihren Nahmen aussprechen hörte. Sie stand still.

»Ich bete sie an,« sagte er, »und beym Himmel! –«

La Motte unterbrach ihn.

»Denken Sie an Ihr Versprechen, gnädiger Herr!«

»Ich denke daran,« versetzte der Marquis, »und werde dabey bleiben. Allein wir verlieren unnütze Zeit. Morgen will ich mich erklären, damit wir beyde wissen, woran wir sind, und wie wir zu verfahren haben.«

Adeline zitterte so sehr, daß sie sich kaum auf den Füßen halten konnte; sie wünschte wieder in ihr Zimmer zu gehen, doch war sie zu sehr bey den vernommenen Worten interessirt, um nicht mehr Aufklärung zu wünschen. Es entstand eine kleine Pause, worauf leiser fortgesprochen wurde. Adeline dachte an Theodors Winke und beschloß, wo möglich, sich aus ihrer schrecklichen Ungewißheit zu reißen; sie schlich leise einige Stuffen hinab, um die Töne der Sprechenden zu haschen, allein sie waren so leise, daß sie nur selten einige Worte verstehen konnte.

»Ihr Vater, sagen Sie? –« fragte der Marquis. –

»Ja, ja gnädiger Herr, ihr Vater, ich weiß wohl was ich sage.«

Adeline schauderte bey dem Nahmen ihres Vaters: ein neues Schrecken ergriff sie, und mit zunehmender Begierde bemühte sie sich, ihre Worte zu verstehen, fand es aber eine Zeit lang unmöglich.

»Hier ist keine Zeit zu verlieren,« sagte der Marquis, »morgen also.«

Sie hörte La Motten aufstehen, und in der Meinung, daß sie das Zimmer verlassen würden, eilte sie die Treppe hinauf in das ihrige, und sank beynahe leblos in einen Stuhl.

Nur an ihren Vater dachte sie jetzt. Sie zweifelte nicht, daß er sie verfolgt, und ihren Aufenthalt entdeckt hätte, und so unzusammenhängend dieß auch mit seinem vorigen Betragen schien, gab ihr doch die Furcht ein, daß es mit einer neuen Grausamkeit endigen würde. Sie hielt ohne Anstand dieß für die Gefahr, vor der Theodor sie warnen wollte, so wenig sie auch begreifen konnte, wie er diesen Umstand entdeckt, oder ihre Geschichte erfahren haben könnte; es müßte denn durch La Motte seyn, ihren vermeinten Freund und Beschützer, den sie ungern in Verdacht einer Verrätherey zog.

Warum sollte La Motte einzig vor ihr sein Wissen um ihres Vaters Vorhaben verbergen, wofern er nicht sie in seine Hände zu liefern, willens war? Doch konnte sie lange sich nicht dahin bringen, diesen Schluß zu ziehen. Niederträchtigkeit bey denjenigen zu entdecken, die wir liebten, ist einer der höchsten Qualen für eine schöne Seele und die Überzeugung wird oftmahls verworfen, bis sie sich endlich aufdringt.

Theodors Worte: er fürchtete, daß man sie hinterginge, bestätigten diesen peinlichen Argwohn auf La Motte und einen andern noch quälendern, daß auch seine Frau sich gegen sie verbunden hätte. Dieser Gedanke überwand auf einen Augenblick den Schrecken, und ließ sie nur Schmerz empfinden. Sie weinte bitterlich.

»Ist dieß die Menschheit?« sagte sie. »Bin ich verdammt, alle Welt falsch zu finden?«

Eine unerwartete Entdeckung des Lasters in denjenigen, die wir bewunderten, macht uns geneigt, unsern Tadel auf alle Einzelnen des ganzen Geschlechts zu erstrecken: wir verwerfen nachher den Schein und schließen nur zu leicht, daß keinem zu trauen sey.

Adeline nahm sich vor, den andern Morgen sich La Motten zu Füssen zu werfen und sein Mitleid und Schutz zu erflehen. Ihre Seele war jetzt zu geängstigt mit ihren eigenen Sorgen, um ihr die Untersuchung der Handschrift zuzulassen: und sie blieb nachdenkend auf ihrem Stuhle sitzen, bis sie Frau von La Motte zu Bette gehen hörte. La Motte ging bald nachher in sein Zimmer hinauf, und Adeline, die sanfte, die verfolgte Adeline, die jetzt zwey Tage peinlicher Angst und eine Nacht voll schrecklicher Träume durchlebt hatte, suchte sich in Schlaf zu wiegen.

Bei der dermahligen Stimmung ihrer Seele mußte sie leicht alles, was außer ihr vorging, gewahr werden, und kaum war sie in Schlummer gefallen, als sie durch ein lautes, ungemächliches Lärmen erweckt wurde. Sie horchte; es schien aus den untern Zimmern zu kommen, nach wenig Minuten aber hörte sie hastig an La Mottens Zimmer klopfen.

La Motte, der eben eingeschlafen war, ließ sie nicht so leicht erwecken, allein das Klopfen wurde so arg, daß Adeline, im äußersten Schrecken aufstand, und nach der Thüre ging, die aus ihrem Zimmer an das seinige stieß, um ihn zu rufen. Die Stimme des Marquis, den sie jetzt deutlich an der Thüre hörte, hielt sie auf. Er rief La Motten, daß er aufstehen möchte, und seine Frau bemühte sich zugleich ihn zu erwecken, bis er endlich in großen Schrecken aufstand und bald nachher mit dem Marquis die Treppe hinunter ging.

Adeline warf sich; so schnell ihre zitternden Glieder es erlaubten; in ihre Kleider und ging in das anstoßende Zimmer, wo sie Frau von La Motte äußerst bestürzt und erschrocken fand. Der Marquis sagte indessen mit sichtlicher Verstörung zu La Motte, er besänne sich, einige Leute in einer wichtigen Angelegenheit früh Morgens zu sich bestellt zu haben, und müßte aus dieser Ursache sich unverzüglich nach seinem Schlosse aufmachen.

Indem er dieß sagte und seine Leute zu rufen bat, konnte La Motte nicht umhin, die Todtenblässe seines Gesichts zu bemerken, und eine Besorgniß zu äußern, ob ihm nicht wohl sey? Der Marquis versicherte ihn, er befände sich vollkommen wohl, nur wünschte er unverzüglich fortzureiten. Peter mußte nun die andern Bedienten rufen, und der Marquis, der es abschlug, irgend eine Erfrischung zu sich zu nehmen, sagte ihm eilig Adieu und verließ, so bald seine Leute bereit waren, die Abtey.

La Motte kehrte in sein Zimmer zurück, nachdenkend über die plötzliche Abreise seines Gastes, dessen Unruhe ihn zu groß gedünket hatte, um von der angeführten Ursache herzurühren. Er stillte Frau von La Mottens Angst und erregte zugleich ihre Befremdung, als er die Ursache dieser Störung sagte. Adeline, die sich bey La Mottens Annäherung in ihr Zimmer zurückgezogen hatte, sah aus dem Fenster, als sie das Trampeln von Pferden hörte. Es war der Marquis der mit seinen Leuten in kleiner Entfernung vorüber ritt. Nicht im Stande, die Personen zu unterscheiden, erschrack sie, um diese Zeit eine solche Gesellschaft bey der Abtey zu sehen; sie rief La Motten, um ihn davon zu benachrichtigen, und erfuhr, was vorgegangen war.

Endlich legte sie sich zu Bette, und ihr Schlummer blieb diese Nacht ungestört von Träumen.

Als sie frühmorgens aufstand, sah sie La Motten allein vor dem Hause spazieren gehen, und eilte die Gelegenheit zu benutzen, die sich jetzt darboth, ihre Sache zu führen. Sie näherte sich ihm mit wankenden Schritten, während die Blässe und Ängstlichkeit auf ihrem Gesicht die Unruhe ihres Gemüths verrieth. Ohne sich auf eine Erklärung einzulassen, flehten ihre ersten Worte ihn um Mitleid.

La Motte stand still, sah ihr scharf in das Gesicht und fragte, womit er den Argwohn verdienet hätte, der in dieser Bitte zu liegen schien? Adeline erröthete, einen Augenblick seine Redlichkeit bezweifelt zu haben, allein die Worte, die sie gehört hatte, fielen ihr wieder ein.

»Ich wäre ungerecht und undankbar, wenn ich nicht anerkennen wollte, daß Ihr Betragen gütig und großmüthig gewesen ist, weit mehr als ich zu erwarten ein Recht hatte, aber –«

Sie schwieg und wußte nicht, auf welche Art sie äußern sollte, was sie zu glauben erröthete. La Motte sah sie in stummer Erwartung an und bat sie endlich weiter zu reden, und ihre Meinung zu erläutern. Sie bat ihn, sie vor ihrem Vater zu schützen. La Motte schien bestürzt und überrascht.

»Vor Ihrem Vater!« sagte er.

»Ja,« erwiederte Adeline, »es ist mir nicht unbekannt, daß er meinen Aufenthalt entdeckt hat. Ich muß alles von einem Vater fürchten, der mich mit solcher Grausamkeit behandelt hat, und flehe Sie nochmahls an, mich aus seinen Händen zu retten.«

La Motte stand in tiefen Gedanken und Adeline fuhr auf das rührendste fort, sein Mitleiden zu erflehen.

»Aus was für Ursachen vermutheten Sie oder vielmehr, wie haben Sie erfahren, daß Ihr Vater Sie verfolgt?«

Diese Frage machte Adeline verlegen; sie schämte sich zu gestehen, daß sie sein Gespräch behorcht hatte, und verabscheute es, eine Falschheit zu erfinden oder zu sagen; endlich gestand sie die Wahrheit. La Mottens Züge nahmen eine wilde Heftigkeit an, und mit einem scharfen Verweise wegen eines Betragens, zu welchem mehr Zufall als Vorsatz sie gereizt hatte, fragte er, was sie gehört hätte, das sie so sehr beunruhigen könnte? Sie wiederhohlte treulich die unzusammenhängenden Reden, die sie aufgefaßt hatte. Er sah sie mit scharfer Aufmerksamkeit an, während sie sprach.

»Und das war alles, was Sie gehört haben? Aus diesen wenigen Worten ziehen Sie einen so festen Schluß? Überdenken Sie sie näher, und Sie werden finden, daß dieses nicht daraus folgt.«

Sie sah nun, was ihre heftige Furcht sie zuvor nicht hatte bemerken lassen, daß die Worte, so unzusammenhängend als sie da waren, wenig enthielten, und daß ihre Einbildungskraft das Leere dazwischen so ausgefüllt hatte, um das gefürchtete Übel daraus zu folgen; dem ungeachtet waren ihre Besorgnisse wenig vermindert.

»Jetzt ist wahrscheinlich Ihre Furcht aus dem Wege geräumt, sagte La Motte, allein um Ihnen einen Beweis von der Aufrichtigkeit zu geben, die Sie bezweifeln konnten, will ich Ihnen sagen, daß Sie recht hatten. Sie scheinen zu erschrecken, und ich verdenke es Ihnen nicht. Ihr Vater hat Ihren Aufenthalt entdeckt, und Sie bereits gefodert. Zwar habe ich aus einer Regung von Mitleid Sie herauszugeben verweigert, allein ich habe weder Macht, Sie zurückzuhalten, nach Mittel Sie zu schützen. Wenn er kommt, um seine Forderung zu erzwingen, so werden Sie dieses gewahr werden. Machen Sie sich also auf das Übel gefaßt, das, wie Sie sehen, unvermeidlich ist.«

Adeline konnte eine Zeitlang nur durch Thränen reden. Endlich sagte sie mit einer Fassung, welche Verzweiflung ihr gab:

»Ich ergebe mich in den Willen des Himmels!«

La Motte sah sie schweigend an, und sein Gesicht verrieth eine starke Bewegung. Doch vermied er, das Gespräch wieder anzuknüpfen, und ging nach der Abtey zurück, indem er Adelinen, verloren in Schmerz, auf dem Vorplatze zurück ließ.

Ein Ruf zum Frühstück trieb sie in das Zimmer, wo sie den Morgen im Gespräch mit Frau von La Motte zubrachte, der sie alle ihre Besorgnisse und ihren Kummer klagte. Mitleid und oberflächlicher Trost war alles, was Frau von La Motte ihr geben konnte, so sichtlich sie auch durch Adelinens Rede gerührt ward. So verstrichen schwerfällig die Stunden, während Adelinens Angst wuchs, und die Crisis ihres Schicksals schnell heran zu nahen schien.

Kaum hatten sie zu Mittag gegessen, als zu ihrem großen Erstaunen der Marquis erschien. Er trat mit seiner gewöhnlichen Ungezwungenheit in das Zimmer, und entschuldigte sich, unter Wiederhohlung dessen, was er zu La Motte gesagt hatte, wegen der Unruhe, die er vergangene Nacht verursacht hätte.

Der Gedanke an das gehörte Gespräch verursachte anfangs Adelinen einige Verlegenheit, und zog ihre Seele von dem Gefühl der Übel ab, die sie von ihrem Vater besorgte. Der Marquis, der ihr wie gewöhnlich, seine Aufmerksamkeit widmete, schien bekümmert, sie nicht munter zu sehen, und äußerte vielen Antheil an der Niedergeschlagenheit, die aller Anstrengung ungeachtet, aus ihrem Wesen hervorleuchtete. Als Frau von La Motte hinausging, wollte Adeline ihr folgen: allein der Marquis bat sie um ein kleines Gehör und führte sie wieder zu ihrem Stuhl. La Motte verschwand sogleich.

Adeline wußte nur zu gut; wovon die Rede seyn würde, und des Marquis Worte vermehrten bald die Bestürzung, worin ihre Furcht sie gesetzt hatte. Während er die Wärme seiner Leidenschaft in Ausdrücken erklärte, die nur zu oft Heftigkeit für Aufrichtigkeit gelten lassen, unterbrach ihn Adeline, der diese Erklärung, wenn sie anständig gemeint, beängstigend, und auf andere Weise anstößig war, und dankte ihm für die Ehre einer Auszeichnung, die sie mit bescheidenem, aber entschlossenem Wesen ablehnen zu müssen, erklärte. Sie stand auf, um sich zu entfernen.

»Bleiben Sie, allzuliebenswürdige Adeline,« sagte er, »und wenn Mitleid mit meinem Leiden Sie nicht für mich gewinnen kann, so lassen Sie eine Erwägung Ihrer eigenen Gefahr es thun. Herr von La Motte hat mich von Ihrem unglücklichen Schicksal und von dem Übel, daß jetzt Ihnen droht, unterrichtet: nehmen Sie von mir den Schutz an, welchen er Ihnen zu geben nicht im Stande ist.«

Adeline wollte wieder nach der Thüre zugehen, als der Marquis sich ihr zu Füßen warf, und ihre Hand mit heißen Küssen bedeckte. Sie strebte, sich loszumachen.

»Hören Sie mich, süsses Mädchen,« rief er, »hören Sie mich! Ich lebe nur für Sie. Hören Sie auf meine Bitten, und alles, was ich habe, soll Ihre seyn. Treiben Sie mich nicht durch unzeitige Härte zur Verzweiflung, oder weil –«

»Gnädiger Herr,« unterbrach ihn Adeline mit unaussprechlicher Würde, indem sie sich noch immer das Ansehen gab, seinen Antrag für anständig zu halten, »ich erkenne die Großmuth Ihres Betragens, und finde mich durch die mir zugedachte Ehre geschmeichelt. Aus diesem Grunde halte ich es für meine Pflicht, zu der bestimmten Ablehnung Ihres Antrags noch das hinzuzusetzen, daß die wärmern Empfindungen meines Herzens nicht in meiner Macht sind, und daß es mir unmöglich ist, mehr als bloße Achtung gegen Sie zu hegen, welche durch nichts mehr erhöht werden kann, als wenn Sie in Zukunft mit ähnlichen Unterhaltungen mich verschonen.«

Sie versuchte aufs neue, das Zimmer zu verlassen, allein der Marquis verhinderte sie, und trug nach einigem Zögern seine Bewerbung nochmahls in Ausdrücken vor, die ihr nicht länger zuließen, ihn mißzuverstehen. Thränen stiegen ihr in die Augen; sie preßte sie gewaltsam zurück, und sagte mit einem Blick, worin Schmerz und Unwillen kämpften:

»Gnädiger Herr! dieß verdient keine Antwort. Entlassen Sie mich!«

Die Würde ihres Betragens setzte ihn einen Augenblick in Ehrfurcht, und aufs neue warf er sich zu ihren Füssen, um Vergebung zu erflehen. Sie winkte ihm schweigend abwärts und eilte aus dem Zimmer. So wie sie das ihrige erreichte, verschloß sie die Thüre, sank in einen Stuhl und gab allem Kummer ihres Herzens Raum.

Es war nicht das geringste ihrer Leiden, argwöhnen zu müssen, daß La Motte ihrer Achtung unwerth sey: denn fast unmöglich konnten ihm die wirklichen Absichten des Marquis unbekannt seyn. Frau von La Motte glaubte sie, wäre unter dem Vorwande einer anständigen Neigung getäuscht worden, und dieser Glaube ersparte ihr wenigstens die Qual, auch an ihrer Freundinn Redlichkeit zu zweifeln.

Sie sah mit Beben in die Aussicht, die vor ihr lag. Auf einer Seite ihr Vater, dessen Grausamkeit sich bereits zu deutlich gezeigt hatte; auf der andern der Marquis, der sie mit einer unwürdigen, schimpflichen Leidenschaft verfolgte. Sie beschloß, der Frau von La Motte den Inhalt seines Gesprächs mitzutheilen, und in Hoffnung auf ihren Schutz und Theilnahme trocknete sie ihre Thränen und war eben im Begriff das Zimmer zu verlassen, als Frau von La Motte hereintrat. Sie vergoß Thränen bey Adelinens Erzählung, und schien äußerst bewegt zu seyn; doch sprach sie ihr Trost zu, versicherte, sie wollte allen ihren Einfluß aufbiethen, um ihren Mann zu bewegen, daß er die Anträge des Marquis abwehrte.

»Sie wissen, meine Liebe,« sagte sie, »daß unsere jetzigen Umstände uns zu gewissen Rücksichten gegen den Marquis zwingen, und bitte Sie deßwegen, in Ihrem Betragen so wenig Empfindlichkeit als möglich, gegen ihn merken zu lassen. Seyn Sie so ungezwungen in seiner Gegenwart wie sonst, und ich zweifle nicht, daß diese Sache ohne weiterer Belästigung für Sie vorüber gehen wird.«

»Ach Madame, sagte Adeline, was für ein

schweres Geschäft legen Sie mir auf! Ich ersuche Sie inständigst, mir nie wieder die Demüthigung aufzulegen, in seiner Gesellschaft zu seyn, und so oft er die Abtey besucht, mir zu vergönnen, daß ich in meinem Zimmer bleiben darf.«

»Herzlich gern würde ich dieses zugestehen, ja vielleicht die erste seyn, die dazu riethe,« erwiederte Frau von La Motte, »wofern unsere Lage es zuließe. Allein Sie wissen, daß unsere Zuflucht in dieser Abtey von dem guten Willen des Marquis abhängt, den wir nicht muthwillig verscherzen dürfen. Ein solches Betragen würde alles bey ihm verderben; lassen Sie uns gelindere Maßregeln ergreifen, wodurch wir seine Freundschaft uns erhalten, ohne Sie einem ernsthaften Übel auszusetzen. Erscheinen Sie mit Ihrer gewöhnlichen Gefälligkeit – das Geschäft ist nicht so schwer als Sie glauben.«

Adeline seufzte:

»Ich gehorche Ihnen, Madame, weil es meine Pflicht ist, aber erlauben Sie mir zu sagen, mit äußerstem Wiederstreben.«

Frau von La Motte versprach, sogleich zu ihrem Manne zu gehen, und Adeline ließ einigermaßen beruhigt, wiewohl nicht überzeugt von ihrer Sicherheit, sie von sich.

Bald nachher sah sie den Marquis fortreiten, und da nun nichts mehr Frau von La Motte abhalten konnte, erwartete sie mit höchster Ungeduld ihre Zurückkunft. Nachdem sie beynahe eine Stunde in dieser Erwartung zugebracht hatte, wurde sie endlich heruntergerufen, und fand Herrn von La Motte im Zimmer allein. Er stand bey ihrem Eintritt auf, und ging schweigend einigemahl im Zimmer auf und ab; dann setzte er sich und redete sie an:

»Was Sie meiner Frau erzählt haben, würde mich sehr bekümmern, wenn ich des Marquis Betragen in eben so ernsthaftem Lichte betrachtete, als Sie. Ich weiß, daß junge Frauenzimmer geneigt sind, unbedeutende Modegalanterien zu mißdeuten, und Sie Adeline, können nie zu vorsichtig seyn, zwischen einer Plaisanterie dieser Art, und einem ernsthaften Antrage zu unterscheiden.«

Adeline fand sich befremdet und beleidigt, daß La Motte so gering von ihrem Verstande und Charakter dachte.

»Kann es möglich seyn,« erwiederte sie, »daß Sie würklich das Betragen des Marquis wissen?«

»Es ist sehr möglich und sehr gewiß,« versetzte La Motte mit einiger Bitterkeit; »und auch sehr möglich, daß ich die Sache mit weniger Vorurtheil ansehe als Sie. Doch will ich nicht über diesen Punct streiten. Ich bitte nur, daß, da Sie meine Lage kennen, Sie sich ein wenig darnach fügen, und mir nicht durch eine unzeitige Empfindlichkeit die Feindschaft des Marquis zuziehen. Er ist jetzt mein Freund, und es ist für meine Sicherheit nothwendig, daß er es bleibt; wenn ich aber zulasse, daß ihm von jemand in meiner Familie unartig begegnet wird, so muß ich erwarten, ihn mir zum Feinde zu machen. Sie können ihm ohne alles Bedenken wenigstens höflich begegnen.«

Adeline fand den Ausdruck unartig ein wenig stark, doch enthielt sie sich ihr Mißfallen zu äußern.

»Zwar hätte ich gewünscht,« sagte sie, »daß mir die Freyheit vergönnt wäre, mich zu entfernen, so oft der Marquis erscheine, allein, da Sie glauben, daß dieses Ihnen Nachtheil bringen würde, so muß ich mich unterwerfen.«

»Diese Klugheit und Gefälligkeit freut mich, und wenn es Ihr Wunsch ist, mich zu verbinden, so sage ich Ihnen, daß Sie es nicht stärker können, als wenn Sie den Marquis als Freund behandeln.«

Das Wort Freund in Verbindung mit dem Marquis war Mißlaut in Adelinens Ohr; sie sah La Motten bedeutend an:

»Als Ihren Freund werde ich suchen ihn zu behandeln, als den meinigen aber« –

Sie mochte ihre Rede nicht endigen, und bat ihn nur noch, sie vor ihrem Vater zu schützen.

»Auf den Schutz, den ich Ihnen geben kann, dürfen Sie sicher rechnen,« sagte er, »aber Sie wissen, wie wenig Recht sowohl als Mittel ich habe, mich ihm entgegen zu setzen, und wie sehr ich selbst schutzbedürftig bin. Da er Ihren Aufenthalt entdeckt hat, so sind ihm auch wahrscheinlich die Umstände nicht unbekannt, die mich hier halten, und wenn ich mich ihm widersetze, so muß ich befürchten, daß er mich den Gerichtsdienern verräth, als das sicherste Mittel, sich Ihrer zu versichern. Wir sind mit Gefahren umgeben, wollte der Himmel, ich sähe einen Ausweg, uns herauszuziehen.«

»Verlassen Sie diese Abtey und suchen in der Schweiz oder in Deutschland eine Zuflucht; Sie werden sich alsdann von aller fernern Verbindlichkeit gegen den Marquis so wie von der gefürchteten Verfolgung befreien. Verzeihen Sie mir, daß ich so frey meinen Rath anbiete, den allerdings größentheils Sorge für meine eigene Sicherheit mir eingibt, der mir aber zugleich das einzige Mittel zu seyn scheint, die ihrige zu befördern.«

»Ihr Plan wäre recht gut, wenn ich nur Geld hätte, ihn auszuführen. So aber muß ich mich begnügen, hier verborgen zu bleiben, und mir diejenigen, die mich kennen, zu Freunden zu machen. Vorzüglich liegt mir an der Gunst des Marquis. Er kann viel ausrichten, sollte auch Ihr Vater verzweifelte Maßregeln ergreifen. Doch warum rede ich so? Ihr Vater kann bereits zu diesen Maßregeln geschritten seyn, und vielleicht schwebt schon die Wirkung seiner Rache über meinem Haupt. Meine Freundschaft für Sie, Adeline, hat mich diesem ausgesetzt: hätte ich Sie ihm überliefert, so würde ich sicher geblieben seyn.«

Adeline fühlte sich durch diesen Beweis von La Mottens Freundschaft, den sie nicht bezweifeln konnte, so tief gerührt, daß sie keine Worte finden konnte. So bald sie zu reden vermochte, äußerte sie in den wärmsten Ausdrücken ihre Dankbarkeit.

»Ist das Ihr Ernst?« fragte La Motte.

»Könnte es möglich seyn, daß er es nicht wäre,« erwiederte Adeline, bis zu Thränen empfindlich über diesen Verdacht von Undankbarkeit.

»Empfindungen sind leicht ausgesprochen,« sagte La Motte, »wenn auch das Herz nichts davon weiß: ich kann sie nur in so fern für aufrichtig halten, als sie sich in unsern Handlungen zeigen.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Ich will sagen, ob Sie bey diesen Gesinnungen bleiben würden, wenn sich eine Gelegenheit zeigte, mir Ihren Dank zu beweisen?«

»Nennen Sie mir eine, und sehen Sie, ob ich sie ausschlagen werde,« versetzte Adeline mit Wärme.

»Wenn zum Beyspiel der Marquis in der Folge eine ernsthafte Liebe erklärte, und Ihnen seine Hand antrüge, würde nicht kleinliche Empfindlichkeit, oder Parteylichkeit für einen begünstigten Liebhaber Sie anreizen, ihn auszuschlagen?«

Adeline erröthete und sah zur Erde.

»Sie haben in der That das einzige Mittel meine Aufrichtigkeit zu beweisen genannt, das ich ausschlagen mußte. Ich kann den Marquis niemahls lieben, ja aufrichtig zu reden, ihn niemahls schätzen. Ich gestehe, daß die Ruhe eines ganzen Lebens, selbst für die Dankbarkeit ein zu großes Opfer ist.«

La Motte sah unzufrieden aus.

»Es ist, wie ich glaubte,« sagte er; »diese feinen Empfindungen lauten im Reden recht schön, und machen die Person, welche sie äußert, unendlich liebenswürdig; kommen sie aber zur That, so verfliegen sie in der Luft, und lassen nur den Schiffbruch der Eitelkeit hinter sich.«

Dieser unbillige Spott kränkte Adelinen tief:

»Weil denn Ihre Sicherheit von meinem Betragen abhängt, so geben Sie mich meinem Vater hin. Ich bin bereit, zu ihm zurückzukehren, weil mein Bleiben Sie in ein neues Unglück stürzt. Lassen Sie mich nicht des Schutzes, den ich bisher erhielt, mich unwürdig zeigen, indem ich mein Wohl dem Ihrigen vorzöge. Wann ich fort bin, so werden Sie keine Ursache haben, des Marquis Mißfallen zu fürchten, das Sie sich zuziehen könnten, wenn ich bliebe: denn es ist mir unmöglich, je seine Anträge anzunehmen, selbst wenn sie anständig wären.«

La Motte schien betroffen.

»Nein, auf keine Weise; lassen Sie uns nicht durch Aussinnen möglicher Übel uns quälen, und um sie zu vermeiden, zu wirklichen schreiten. Nein, Adeline, wann Sie gleich edel genug sind, sich meiner Sicherheit aufzuopfern, werde doch ich nie es zugeben. Ich werde Sie Ihrem Vater nimmermehr gutwillig überliefern. Seyn Sie also über diesen Punct ruhig, die einzige Vergeltung, die ich wünsche, ist ein höfliches Betragen gegen den Marquis.«

»Ich werde mich bemühen, Ihnen zu gehorchen, erwiederte sie.

Frau von La Motte trat jetzt herein, und das Gespräch wurde abgebrochen. Adeline brachte den Abend in traurigen Gedanken hin, und begab sich, so bald als möglich, auf ihr Schlafzimmer, um im Schlummer Zuflucht vor dem Kummer zu suchen.



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