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Zweyt- und driter Theil.

 

Das
Abentheuer im Walde.


Erstes Kapitel.

Die Morgendämmerung schimmerte durch die Wolken, als die Reisenden in einer kleinen Stadt anhielten, um Pferde zu wechseln. Theodor bat Adelinen, auszusteigen, und einige Erfrischungen zu nehmen, allein die Leute im Wirthshause waren noch nicht auf, und es dauerte einige Zeit, bis das Klopfen und Rufen des Postillions sie erweckte.

Nach einem leichten Frühstück stiegen Theodor und Adeline wieder in den Wagen. Den einzigen Gegenstand, wovon er mit Antheil hätte sprechen können, verbot ihm die Delikatesse zu erneuern; und nach einigen Bemerkungen über die schöne Gegend, und einigen andern Versuchen eine Unterhaltung zu führen, fiel er wieder in Stillschweigen. Seine Seele war zwar noch beklommen, aber doch jetzt von der Angst befreyt, die so lange ihn drückte.

Als er zuerst Adelinen sah, machte ihre Liebenswürdigkeit einen tiefen Eindruck auf sein Herz; aus ihrer Schönheit sprach ein Adel der Seele, den die seinige sogleich erkannte, und dessen Eindruck nachher ihr Betragen und Gespräch verstärkten. Ihre, ihm bekannte hilflose Lage und die Gefahren, womit sie umringt war, hatten in seinem Herzen das zärtlichste Mitleid erweckt, und waren dem Übergang von Bewundrung zu Liebe günstig gewesen.

Sein Schmerz, als er sie diesen Gefahren überlassen mußte, ohne sie einmahl warnen zu können, war unaussprechlich. Während seines kurzen Aufenthalts bey seinem Regiment war sein Innres ein steter Raub von Angst und Schrecken, die er zu lindern kein Mittel sah, als wenn er wieder in die Nähe der Abtey zurückkehrte, wo er frühzeitig Nachricht von des Marquis Anschlägen erhalten, und bereit seyn konnte, Adelinen beyzustehn.

Um Urlaub konnte er nicht ansuchen, ohne seine Absichten da zu verrathen, wo er sie gekannt zu wissen am meisten fürchten mußte, und endlich verließ er mit raschem Edelmuth, den die Tugend eingab, wiewohl er dem Gesetz Trotz both, heimlich sein Regiment. Mit ängstlicher Besorgniß bemerkte er den Fortschritt von des Marquis Plan, bis die Nacht, die Adelinens Schicksal und das seinige mit ihr entscheiden sollte, alle seine Thätigkeit aufrief, und ihn in einen Aufruhr von Hoffnung, Furcht, Schrecken und Erwartung stürzte.

Nicht eher bis jetzt hatte er sie in Sicherheit zu glauben gewagt; jetzt aber ließ ihn die Entfernung vom Schlosse, die sie glücklich erreicht hatten, alles hoffen, Es war unmöglich, an Adelinens Seite zu sitzen, Versicherungen ihres Danks und ihrer Freundschaft zu erhalten, ohne die kühnere Hoffnung auf Liebe zu nähren. Er pries sich glücklich, ihr Retter gewesen zu seyn, und genoß die Scenen der Glückseligkeit im Voraus, wenn sie unter dem Schutze seiner Familie seyn würde. Die Wolken des Trübsinns und der Ängstlichkeit verschwanden von seiner Seele und ließen sie nur dem Sonnenscheine der Freude offen. Wann zu Zeiten ein Schatten von Furcht zurückkehrte: oder er sich mit Beängstigung an die Umstände erinnerte, unter welchen er sein Regiment an den Grenzen und zur Kriegszeit verließ, so sah er Adelinen an, und ihr Gesicht strahlte mit schneller Zauberkraft Frieden in sein Herz.

Allein Adeline empfand eine Ursache der Ängstlichkeit, die ihn nicht drückte: die Aussicht ihrer künftigen Lage war in Dunkelheit und Ungewissheit gefüllt. Aufs neue ging sie der Güte von Fremden entgegen; aufs neue der Gefahr, dieser Güte nicht gewiß zu seyn: dem Ungemach der Abhängigkeit, oder der Schwierigkeit eines unsichern Lebensunterhaltes ausgesetzt. Diese Vorstellungen trübten die Freude über ihre Entwischung und das süße Gefühl, welches Theodors Betragen und Geständniß in ihr erregte. Seine Delikatesse, allen Vortheilen, die ihre gegenwärtige Lage ihm gab, zu entsagen, und von seiner Liebe zu schweigen, vermehrte ihre Achtung und schmeichelte ihrem Stolz.

In diesen Betrachtungen war Adeline versunken, als der Postillion still hielt, um ihnen auf einem Wege, der seitwärts einen Berg hinter ihnen herab ging, einige Reuter zu zeigen, die ihnen nachzusetzen schienen. Theodor bat ihn, so schnell als möglich zu fahren, und von der Landstraße ab, den ersten dunkeln Nebenweg einzuschlagen. Der Postillion ließ seine Peitsche durch die Lüfte schallen, und jagte davon, als gälte es ums Leben. Indessen bemühte sich Theodor, Adelinen aufzurichten, die ihrer Angst erlag, und jetzt glaubte, daß sie jeder Zukunft Trotz biethen könnte, wenn sie nur dem Marquis entwischte.

Sie kamen bald in einen Nebenweg, den dickes Gesträuch schützte, und überschattete. Theodor sah wieder aus dem Fenster; allein, die dichten Zweige verhinderten ihn weit genug zu sehen, um bestimmen zu können, ob man noch nachsetzte. Um seinetwillen suchte Adeline ihre Bewegung zu verbergen.

»Dieser Weg,« sagte Theodor, »führt gewiß zu einem Dorf oder Städtchen und dann haben wir nichts mehr zu fürchten; den obgleich mein einzelner Arm Sie nicht gegen die Zahl unsrer Verfolger würde schützen können, so zweifle ich doch nicht, einige von den Einwohnern für uns zu gewinnen.«

Adeline schien durch diese Hoffnung beruhigt zu werden, und Theodor sah wieder zurück; allein die Krümmung des Wegs verschloß ihm die Aussicht, und das Rasseln der Räder überwältigte jeden andern Laut. Endlich rief er dem Postillion still zu halten, und nachdem er aufmerksam gelauscht hatte, ohne Pferde zu hören, fing er an zu hoffen, daß sie in Sicherheit wären.

»Weiß Er, wohin dieser Weg führt?« fragt er. –

Der Postillion antwortete, er wüßte es nicht, allein er sähe einige Häuser zwischen den Bäumen und glaubte, daß es dahin ginge.

Diese Nachricht war Theodor sehr willkommen, der nun aufsah und ebenfalls die Häuser erblickte. Der Postillion fuhr weiter.

»Fürchten Sie nichts, meine angebetete Adeline,« sagte er; »Sie sind jetzt sicher; nur mit dem Leben will ich von Ihnen scheiden.«

Adeline seufzte, nicht nur um sich selbst, sondern um die Gefahr, worin Theodor für sie gerathen könnte.

Sie waren wohl eine halbe Stunde fortgefahren, als sie ein kleines Dorf erreichten, und vor einem Wirthshause still hielten. Als Theodor Adelinen aus dem Wagen hob, bat er sie aufs neue, alle Furcht fahren zu lassen, und sprach mit einer Zärtlichkeit, die sie mit einem Lächeln, das ihre Angst nur schwach verbarg, beantwortete. Nachdem er einige Erfrischungen bestellt hatte, ging er hinaus, um mit dem Wirth zu sprechen; kaum aber hatte er das Zimmer verlassen, als Adeline einen Trupp Reiter in den Hof sprengen sah, und nicht zweifelte, daß es die nähmlichen waren, die sie unterwegs bemerkt hatten. Zwey hatten das Gesicht nach ihr gewandt, doch schien es ihr nicht, daß sie dem Marquis ähnlich sähen.

Ihr Herz erstarrte, und auf einige Augenblicke wich ihre Vernunft. Ihr erster Vorsatz war, sich zu verstecken; allein indem sie an die Mittel dachte, sah einer von den Reutern zu ihrem Fenster herauf, und sprach etwas mit seinen Gefährten, worauf sie ins Wirthshaus herein gingen. Es war unmöglich, das Zimmer zu verlassen, ohne bemerkt zu werden; darin zu bleiben, allein und unbeschützt, war eben so gefährlich. Sie schritt in tödtlicher Angst das Zimmer auf und ab, rief oft insgeheim Theodor und wunderte sich, wo er so lange bliebe. Es waren Augenblicke unbeschreiblicher Qual. Ein lautes und verworrenes Gewühl von Stimmen stieg jetzt aus einer fernen Gegend des Hauses auf, und sie unterschied bald die Worte der Streitenden:

»Ich verhafte Sie im Nahmen des Königs,« sagte einer, »und Sie mögen es auf Ihre Gefahr wagen, ohne Wache von hier zu gehn.«

Gleich darauf hörte Adeline Theodors Stimme antworten:

»Ich will mich des Königs Befehlen nicht widersetzen, und gebe Ihnen mein Ehrenwort, nicht ohne Sie fortzugehen; nur machen Sie mir die Hände frey, damit ich in das Zimmer zu einer Person zurückgehen kann, mit der ich zu sprechen wünsche.«

Anfangs machten sie Einwendungen gegen diese Bitte, die sie nur als einen Vorwand zu entwischen betrachteten; nach vielem Wortwechsel aber gewährten sie es ihm. Er sprang schnell nach Adelinens Zimmer; ein Sergeant und noch ein Unterofficier folgten ihm bis zur Thüre, und die zwey Soldaten mußten in den Hof heruntergehen, um die Fenster des Zimmers zu bewachen.

Mit begieriger Hand öfnete er die Thüre, allein Adeline eilte ihm nicht entgegen: denn sie war fast beym Anfang des Streits in Ohnmacht gesunken. Theodor rief laut um Hülfe, und die Wirthinn erschien mit ihrem Vorrath von Hausmitteln, die vergebens bey Adelinen versucht wurden. Sie blieb ohne Gefühl, und verrieth nur durch Athemhohlen, daß sie noch lebte.

Theodors Pein wurde indessen noch durch den Eintritt der Unterofficiere erhöht, die bey dem Anblick der vorgeblichen Person ein lautes Gelächter aufschlugen, und erklärten, daß sie nicht länger warten könnten. Mit diesen Worten wollten sie ihn von Adelinens lebloser Gestalt fortreißen, über der er mit unaussprechlichem Schmerz hing, als er sich mit Heftigkeit umdrehte, den Degen zog, und schwur, daß keine Macht auf Erden ihn fortbringen sollte, ehe das Frauenzimmer wieder ins Leben gekommen wäre.

Die Leute, durch seine Handlung und entschloßne Miene aufgebracht, riefen: ›ob er sich des Königs Befehlen widersetzte?‹ und wollten ihn ergreifen, als er ihnen die Spitze seines Degens vorhielt, und sie auf ihre Gefahr näher kommen hieß. Einer zog sogleich – Theodor behauptete seinen Stand, trat aber nicht vor:

»Ich verlange nur hier zu warten, bis das Frauenzimmer sich erhebt, Sie wissen die Bedingung,« sagte er.

Der Sergeant, bereits aufgebracht durch seinen Widerstand, nahm diese letzten Worte als eine Drohung auf, und beschloß, seinen Punct nicht aufzugeben: er drang auf ihn ein, und während sein Kammerad die Soldaten aus dem Hofe herauf rief, verwundete Theodor ihn leicht in die Schulter, und erhielt selbst einen Hieb in den Kopf:

Das Blut stürzte in Strömen aus der Wunde: Theodor schwankte in einen Stuhl, als eben die andern ins Zimmer traten, und Adeline schlug die Augen auf, um ihn todtenblaß und mit Blut bedeckt zu sehn. Sie stieß einen unwillkührlichen Schrey aus, und fiel mit dem Ausruf: »sie haben ihn ermordet!« beynahe in ihren vorigen Zustand zurück. Bey dem Ton ihrer Stimme richtete Theodor der Kopf empor, und reichte ihr lächelnd die Hand.

»Ich bin nicht sehr beschädigt,« sagte er, »und werde mich bald wieder erhohlen, wenn nur Sie wieder hergestellt sind.«

Sie eilte zu ihm und gab ihm die Hand.

»Ist niemand nach einem Wundarzt gegangen?« fragte sie.

»Beunruhigen Sie sich doch nicht,« fing Theodor wieder an; »es ist nicht so schlimm als Sie denken.«

Das Zimmer war nun voll von Menschen, die das Gerücht des Streits herbey geführt hatte; unter diesen war ein Mann, der die Stelle des Arztes, Apothekers und Wundarztes im Dorfe vertrat und jetzt näher kam, um Theodor beyzuspringen.

Nachdem er die Wunde untersucht hatte, lehnte er es ab, seine Meinung zu sagen, befahl aber den Kranken sogleich ins Bett zu bringen, wogegen die Unterofficiere einwendeten, daß es ihre Pflicht erfordere; ihn zum Regiment zu liefern.

»Das kann nicht ohne große Lebensgefahr geschehn,« versetzte der Arzt, »und –«

»O sein Leben, damit haben wir nichts zu thun,« sagte der Sergeant; »wir müssen unsre Pflicht versehn.«

Adeline, die bisher in stummer Angst da gestanden hatte, konnte sich nun nicht länger halten.

»Da der Arzt,« sagte sie, »erklärt hat, daß dieser Herr nicht ohne Lebensgefahr weggebracht werden kann, so werden Sie bedenken, daß, im Fall er stürbe, die Verantwortung auf Sie fallen wird.«

»Ja,« fiel der Wundarzt ein, der seinen Patienten nicht gern einbüßen wollte; »ich erkläre vor diesen Zeugen, daß der Herr nicht ohne Gefahr weggebracht werden kann; Sie werden also gut thun, die Folgen zu bedenken. Er hat eine sehr gefährliche Wunde erhalten, die die sorgfältigste Behandlung erfordert, und der Ausgang wird dann doch noch zweifelhaft seyn; wenn er aber reist, so kann er sich ein tödtliches Fieber zuziehn.«

Theodor hörte diesen Ausspruch mit Fassung; Adeline aber konnte kaum den Jammer ihres Herzens verbergen. Sie both alle Stärke auf, um die Thränen, die in ihre Augen drangen, zurückzupressen, und ohngeachtet sie die Menschlichkeit der Leute zu bewegen, oder sie in Furcht zu setzen wünschte, wagte sie doch nicht, ihrer Stimme einen Laut zu vertrauen.

Das Mitleid der Leute, die das Zimmer erfüllten, befreyte sie von diesem innern Kampf; sie wurden alle laut und erklärten, die Soldaten würden sich eines Mordes schuldig machen, wenn sie ihn wegführten.

»Nun sterben muß er doch auf allen Fall,« sagte der Sergeant, »weil er seinen Posten verlassen, und auf mich gezogen hat, da ich in des Königs Nahmen handelte.«

Eine Schwäche überfiel Adelinen, und sie lehnte sich an Theodors Stuhl, dessen Bekümmerniß für sich selbst sich auf eine Zeitlang in seiner Angst um sie verlor. Er unterstützte sie mit seinem Arm, zwang sich zu lächeln und sagte mit leiser Stimme, die nur sie verstehen konnte:

»Dieß ist eine falsche Vorstellung; ich zweifle nicht, daß die Sache, wenn sie zum Verhör kommt, ohne ernsthafte Folgen wird, beygelegt werden.«

Adeline wußte, daß diese Worte nur gesagt wurden, um sie zu trösten, und maß ihnen nicht viel Glauben bey, wiewohl Theodor ähnliche Versicherungen wiederhohlte. Indessen fühlten sich die Umstehenden, deren Unwillen durch die Härte des Sergeanten erregt war, durch die anscheinende Gewißheit seiner Strafe, und durch die Fühllosigkeit, womit sie ihm angekündigt ward, zur höchsten Theilnahme und Mitleiden bewegt. In kurzer Zeit wurden sie so heftig, daß theils aus Furcht vor weitern Folgen, theils aus Scham wegen der Grausamkeit, deren sie ihn anklagten, der Sergeant einwilligte, den Kranken zu Bette zubringen, bis der commandirende Officier bestimmen könnte, was man mit ihm anfangen sollte. Adelinens Freude hierüber verschlang auf einen Augenblick das Gefühl ihres Unglücks und ihrer Lage.

Sie wartete in einem Nebenzimmer den Ausspruch des Wundarztes ab, der sich jetzt mit Untersuchung der Wunde beschäftigte; und ihr Schmerz war um so heftiger, da sie sich als die Ursache von allem betrachten mußte. Das Unglück ihres Geliebten, welches seine Liebe nur heller ins Licht setzte, band ihn näher an ihr Herz, und schien die Heftigkeit ihres Kummers zu schärfen. An die schreckliche Behauptung, daß Theodor, wenn er auch genäse, mit dem Tode würde gestraft werden, wagte sie kaum zu denken und bemühte sich, sie für nichts als eine grausame Übertreibung seines Feindes zu halten.

Bey alle dem aber erweckte Theodors Lage ihre ganze Zärtlichkeit und verrieth ihr den wahren Stand ihrer Empfindungen. Die schöne Gestalt, das edle geistvolle Gesicht und einnehmende Wesen, welches vom ersten Augenblick an sie zu Theodor hinzog, wurde noch interessanter durch die Schönheit seines Geistes und seiner Denkungsart, die er im Gespräch verrieth. Sein Betragen seit ihrer Flucht hatte ihre wärmste Dankbarkeit erregt, und die Gefahr, in die er sich jetzt um ihrentwillen gestürzt hatte, rief ihre Zärtlichkeit hervor, und erhöhte sie in Liebe. Der Schleyer war von ihrem Herzen gezogen, und sie sah zum erstenmahl seine ächten Empfindungen.

Der Wundarzt kam endlich aus Theodors Zimmer zu ihr. Sie fragte, wie es um die Wunde stände?

»Vermuthlich sind das gnädige Fräulein eine Verwandte von dem Herrn; vielleicht seine Schwester?«

Die Frage verdroß und verwirrte sie, und ohne sie zu beantworten, wiederhohlte sie die ihrige.

»Vielleicht sind Sie ihm noch näher verwandt,« fuhr der Wundarzt fort, indem er ihre Frage ebenfalls nicht zu beachten schien; »vielleicht sind Sie mit ihm verheyrathet?«

Adeline erröthete, und wollte antworten, allein er fuhr fort:

»Der Antheil, den Sie an seinem Befinden nehmen, ist wenigstens sehr schmeichelhaft, und ich möchte fast meinen Zustand mit ihm vertauschen, wenn ich eines so zärtlichen Mitleids von einer so schönen Dame gewiß wäre.«

Mit diesen Worten verneigte er sich bis zur Erde; Adeline nahm eine sehr ernsthafte Miene an und sagte:

»Nun, da Sie mit Ihrem Kompliment fertig sind, mein Herr, wird es Ihnen vielleicht gefällig seyn, meine Frage zu beantworten: ich erkundigte mich, wie Sie Ihren Kranken verlassen hätten?«

»Diese Frage läßt sich vielleicht nicht gar gut beantworten, so wie es überhaupt ein sehr unangenehmes Geschäft ist, böse Nachrichten zu sagen. – Ich fürchte, er wird sterben.«

Der Wundarzt öfnete seine Tobacksdose und both Adelinen eine Prise. – » Sterben!« rief sie mit schwacher Stimme – » sterben?«

»Erschrecken Sie sich nur nicht,« fuhr er fort, da er sie blaß werden ab, »erschrecken Sie nicht. Es ist möglich, daß die Wunde nicht bis an die« – er stockte – »im Fall die« – wieder stockend – »nicht beschädigt ist, so sind auch die innern Theile des Gehirns nicht berührt; in diesem Falle wird die Wunde vielleicht vor Inflammation bewahrt werden, und der Kranke kann möglicher Weise genesen. Allein wenn auf der andern Seite« –

»Ich ersuche Sie, mein Herr, drücken Sie sich verständlich aus, und spaßen Sie nicht mit meiner Angst. Glauben Sie ihn wirklich in Gefahr?

»In Gefahr, Madame? – in Gefahr? ja wohl in der höchsten Gefahr!«

Mit diesen Worten verließ er mit unzufriednem Gesicht das Zimmer. Adeline blieb einige Augenblicke in einem Übermaß von Schmerz, dem sie keinen Einhalt zu thun vermochte, dann aber trocknete sie ihre Thränen, und suchte ihr Gesicht in Ordnung zu bringen, um nach der Wirthinn fragen zu können, die sie durch einen Aufwärter rufen ließ.

Nachdem sie eine ganze Weile vergebens gewartet hatte, zog sie die Glocke und schickte ihr nochmahls eine dringendere Bothschaft. Die Wirthinn erschien immer nicht, und Adeline ging endlich selbst hinunter, wo sie die Frau mit einer Menge von Leuten umgeben fand, denen sie mit lauter Stimme und lebhaften Gestikulationen die nähern Umstände des Vorfalls erzählte. Sobald sie Adelinen gewahr ward, rief sie – »o hier ist das Fräulein selbst,« und die Augen der ganzen Versammlung waren sogleich auf sie gerichtet.

Adeline, durch das Gedränge verhindert, sich ihr zu nähern, winkte ihr, und wollte sich zurückziehn, allein die Wirthinn, die allzueifrig in der Fortsetzung ihrer Geschichte war, wollte den Wink nicht verstehn. Vergebens suchte Adeline ihren Blick aufzufangen: er fiel auf alle, nur nicht auf sie, die sich scheute, durch lautes Rufen die Aufmerksamkeit des ganzen Haufens auf sich zu ziehn.

»Gewiß es ist ein Jammer, daß er erschossen werden soll,« sagte die Wirthinn, »es ist so ein schöner Mann; allein sie sagen, es könnte nicht fehlen, wenn er wieder genäse. Herr! allein wahrscheinlich wird er dieß nicht erleiden: denn der Doctor sagt, er würde nimmermehr lebendig aus dem Hause kommen!«

Adeline wandte sich nun mehr an einen Mann, der neben ihr stand, und bat ihn, der Wirthinn zu sagen, daß sie mit ihr zu sprechen wünschte.

Nach ohngefähr zehn Minuten erschien sie endlich:

»Ach gnädiges Fräulein,« ragte sie, »mit Ihrem Herrn Bruder steht es sehr schlecht: sie fürchten, er wird es nicht überstehen.«

Adeline fragte, ob kein andrer Arzt im Orte wäre, als den sie gesehn hätte?

»Gott behüte, Fräulein, dieß ist ein schöner, gesunder Ort, wir brauchen hier wenig Doctors: solch ein Vorfall ist hier noch nicht geschehen. Der Doctor ist schon über zehn Jahre hier; allein es gibt wenig für ihn zu thun, und es mag ihm wohl selbst knapp genug gehen. Einer von dem Handwerk ist mehr als genug für uns.«

Adeline unterbrach sie mit einigen Fragen nach Theodor, den die Wirthinn mit in sein Zimmer hatte bringen helfen. Sie fragte, wie er den Verband der Wunde ausgehalten hätte, und ob ihm besser darauf geworden wäre? – Fragen, worauf die Wirthinn keine sehr befriedigende Antwort gab. Sie erkundigte sich hierauf, ob nicht in der Nähe ein andrer Wundarzt wäre, hörte aber, daß man von keinem wüßte.

Der Schmerz auf Adelinens Gesicht schien das Mitleid der Wirthinn zu rühren, und sie suchte zu trösten, so gut sie konnte. Sie rieth ihr, nach ihren Freunden zu schicken; und erboth sich, einen Bothen zu schaffen. Adeline seufzte und sagte, es wäre nicht nöthig.

»Ich weiß nicht, Fräulein; was Sie für nöthig halten; so viel aber weiß ich, daß es mir sehr hart vorkommen würde, an einem fremden Orte zu sterben, ohne daß ich jemand von den meinigen um mich hätte; und der arme Herr denkt gewiß auch so; und zudem; wer soll die Kosten bezahlen, wenn er stirbt?«

Adeline bat sie, nur unbekümmert zu seyn, und dem Kranken alle Pflege zu verschaffen, ihre Mühe sollte reichlich belohnt werden; und forderte sogleich Dinte und Feder.

»Nun, so ist es recht, Fräulein; Ihre Freunde würden es Ihnen nimmermehr vergeben, wenn Sie ihnen nichts zu wissen thäten; ich weiß das an mir selbst. Und was die Pflege anbelangt, so soll er alles haben, was das Haus vermag: und ich wette, es gibt kein besseres Wirthshaus im ganzen Lande, obschon der Ort nur klein ist.«

Adeline mußte nochmahls Feder und Dinte fordern, ehe die geschwätzige Wirthinn hinausging.

Der Gedanke, Theodors Freunde zu benachrichtigen, war ihr bey dem Tumult der letzten Auftritte nicht eingefallen, und die Aussicht auf Trost, die sich jetzt für ihn öfnete, erleichterte sie etwas. Sobald sie Schreibzeug erhielt, schrieb sie ihm folgende Zeilen:

 

»In Ihrem gegenwärtigen Zustande bedürfen Sie jeden Trost, der Ihnen verschafft werden kann, und gewiß gibt es in Krankheiten keinen würksamern, als die Gegenwart eines Freundes; erlauben Sie mir also, Ihre Familie von Ihrer Lage zu benachrichtigen: es wird mir zur Beruhigung und Ihnen hoffentlich zum Trost gereichen.«

 

Theodor ließ zur Antwort zurückfragen, er bäte sie inständigst, auf einige Minuten zu ihm zu kommen. Sie ging sogleich in sein Zimmer, wo ihre ärgsten Besorgnisse bestätigt wurden, als sie sein blasses Gesicht sah: der Eindruck, den es auf sie machte, und ihr Bemühen, ihre Bewegung zu verbergen, überwältigte sie beynahe.

»Ich danke Ihnen für diese Güte,« sagte Theodor, und reichte ihr die Hand entgegen, die sie hinnahm, und in einen Strom von Thränen ausbrechend, sich an sein Bette setzte. Als ihre Bewegung ein wenig nachgelassen hatte, sah sie ihn wieder an: ein Lächeln der zärtlichsten Liebe drückte aus, wie innig er den Antheil, der sie an ihm nahm, empfand, und goß einen kleinen Trost in ihr Herz.

»Vergeben Sie mir diese Schwäche,« sagte sie, »meine Lebensgeister sind seither auf so mancherley Art angegriffen.«

»Diese Thränen sind äußerst schmeichelhaft für mein Herz,« unterbrach sie Theodor; »aber um meinetwillen, suchen Sie sich zu fassen: ich werde gewiß bald besser seyn; der Wundarzt –«

»Er gefällt mir nicht;« fiel Adeline ein, »aber sagen Sie mir aufrichtig, wie Sie sich fühlen?«

Er versicherte sie, es wäre ihm weit leichter als zuvor, und bey Erwähnung ihrer gütigen Zeilen, kam er auf die Sache, weswegen er mit ihr zu sprechen verlangt hatte:

»Meine Verwandten,« sagte er, »wohnen weit von hier; und wiewohl ihre Liebe für mich groß genug ist, um sie auf den ersten Wink zu mir zu führen, könnten sie doch nicht eher hier seyn, bis ihre Gegenwart wahrscheinlich nicht mehr nöthig seyn wird:« – Adeline sah ihn bekümmert an – »denn ich werde wahrscheinlich wieder hergestellt sein,« sagte er lächelnd, »ehe ein Brief zu ihnen gelangen kann: es würde ihnen also nur unnützen Kummer, und eine unnöthige Reise machen. Um Ihrentwillen, Adeline, möchte ich sie hieher wünschen; aber in wenig Tagen wird sich der Ausgang meiner Wunde deutlicher zeigen, und so lange lassen Sie uns wenigstens warten.«

Adeline enthielt sich, weiter in ihn zu dringen, und kam auf etwas, das ihr noch wichtiger schien:

»Ich wünschte herzlich,« sagte sie, »daß Sie einen geschicktern Wundarzt hätten; Sie kennen die Gegend besser, als ich; liegt nicht eine Stadt in der Nähe, wo wir einen bekommen könnten?«

»Ich glaube nicht; allein dieß hat auch nichts zu sagen, denn meine Wunde ist so unbedeutend, daß eine sehr mäßige Geschicklichkeit zu ihrer Heilung hinreicht. Aber warum, meine geliebteste Adeline, geben Sie diesen Besorgnissen Raum? Warum quälen Sie sich durch diesen Hang, alles aufs Schlimmste zu deuten? Ich bin geneigt, vielleicht mit allzuviel Verwegenheit, es Ihrer Freundschaft zuzuschreiben, und erlauben Sie mir die Versicherung, daß sie meinen heißen Dank erregt, und meine höchste Achtung vermehrt. O Adeline, wenn Sie meine schnelle Genesung wünschen, so lassen Sie mich Sie ruhig sehen; so lange ich Sie bekümmert weiß, kann ich nicht wohl seyn.«

Sie versicherte ihn; sich alle Mühe zu geben, und aus Besorgniß ihm durch längeres Reden zu schaden, verließ sie ihn.

So wie sie aus dem Gange kam, begegnete ihr die Wirthinn, auf die gewisse Worte von Adelinen wie ein Talisman gewirket, und Nachlässigkeit und Unverschämtheit in dienstfertige Höflichkeit verwandelt hatten. Sie kam, um zu fragen, ob der Herr alles hätte, was er wünschte: denn sie wollte gewiß dafür sorgen, daß er es bekäme.

»Ich habe ihm eine Wärterinn kommen lassen, gnädiges Fräulein, die ihm gewiß gute Dienste thun wird; doch werde ich selbst öfters nachsehn, ob auch alles recht ist. Der arme Herr, wie geduldig er leidet! Man sollte nicht glauben, daß er wußte, daß er nicht davon kommen kann; doch hat es ihm der Doctor selbst gesagt, oder wenigstens eben so viel.«

Adeline war äußerst aufgebracht über das unsinnige Betragen des Menschen, und nachdem sie ein leichtes Mittagsessen bestellt hatte, schickte sie die Wirthinn fort.

Gegen Abend stellte sich der Wundarzt wieder ein, und nach einem Besuche bey seinem Kranken kam er zu Adelinen, um sie, auf ihr Verlangen, von seinem Zustande zu benachrichtigen. Er beantwortete ihre Fragen mit großer Feyerlichkeit.

»Es ist unmöglich, Madame, jetzt ein bestimmtes Urtheil zu fällen, allein ich habe Ursache bey meiner Meinung von diesem Morgen zu bleiben. Es ist in der That nicht meine Sache, aufs ungewisse zu urtheilen, wovon ich Ihnen ein Beyspiel erzählen will.

Vor ohngefähr vierzehn Tagen wurde ich zu einem Kranken einige Meilen weit von hier gerufen. Ich war nicht zu Hause, als der Bothe kam, und da die Sache dringend war, hatte man, ehe ich kommen konnten einen andern Arzt gerufen; dieser hatte Arzeneyen verschrieben, wie er für gut fand, und sie hatten dem Anscheine nach dem Kranken gute Dienste gethan. Seine Freunde wünschten sich zu seiner Besserung Glück, als ich kam, und waren einer Meinung mit dem Arzte, daß keine Gefahr vorhanden sey. ›Verlassen Sie sich drauf,‹ sagte ich, ›Sie irren; diese Arzney kann ihm nicht geholfen haben, der Patient ist ist der äußersten Gefahr‹. Der Kranke stöhnte, allein mein College blieb dabey, daß seine Arzney ihm nicht nur sichre, sondern auch schleunige Hülfe verschaffen würde, da sich bereits gute Wirkung davon gezeigt hätte. Hierüber verlor ich alle Geduld, und behauptete meine Meinung, daß diese Wirkung betröge und der Fall verzweifelt wäre; ich versicherte den Kranken selbst, daß sein Leben in der äußersten Gefahr sey. Ich bin keiner von denen, Madame, die ihre Kranken bis zum letzten Augenblick betrügen; – aber Sie sollen hören, wie es ablief.

Mein College schien über meinen festen Widerstand in Zorn zu gerathen; und machte ein grimmiges Gesicht, woran ich mich aber nicht im mindesten kehrte. Er wandte sich zu dem Kranken, und verlangte, er möchte entscheiden, welchem von uns er sich anvertrauen wollte; denn gemeinschaftlich mit mir könnte er nicht verfahren. Der Kranke that mir die Ehre,« (er sagte dieß mit wohlgefälligem Gesicht, indem er die Halskrause zurechte schob) »vielleicht höher von mir zu denken, als ich verdiente; denn er schickte meinen Gegner auf der Stelle fort. ›Ich hätte nicht geglaubt,‹ sagte er, als der Arzt hinausgegangen war, ›ich hätte nicht geglaubt, daß ein Mann, der so viel Jahre im Amte steht, so ganz unwissend seyn könnte.‹

›Auch ich nicht,‹ sagte ich – ›Ich bin erstaunt, daß er meine Gefahr nicht einsah,‹ fuhr der Kranke fort. – ›Ich auch,‹ erwiederte ich. – Ich nahm mir vor, alles was möglich war, für den Kranken zu thun: denn er war ein Mann von Verstand, wie Sie sehen, und ich schätzte ihn hoch. Ich veränderte also die Vorschriften und besorgte selbst die Arzney: allein es half alles nichts, meine Meynung bestätigte sich, und er starb vor dem nächsten Morgen.«

Adeline, die diese lange Geschichte hatte anhören müssen; seufzte bey dem Schlusse.

»Ich wundre mich nicht, Madame, daß Sie gerührt sind. Der Fall, den ich erzählt habe; ist allerdings sehr rührend. Es ging mir so nahe, daß ich lange nicht daran denken, oder davon reden mochte. Aber Sie müssen doch zugeben, Madam, daß es ein auffallender Beweis von der Unfehlbarkeit meines Urtheils war?«

Adeline schauderte bey dieser Unfehlbarkeit, doch schwieg sie; plötzlich aber fiel ihr ein guter Gedanke ein, und mit aller verstellten Gleichgültigkeit, die sie nur annehmen konnte, fragte sie:

»Wie hieß denn der Arzt, der sich Ihnen so unwissend entgegen setzte?«!

»Er heißt Lafance.

»Vermuthlich lebt er in der Dunkelheit, die er verdient?«

»Ach nein, Madame; er wohnt in einer Stadt von einiger Bedeutung, ohngefähr anderhalb Meilen von hier, und gibt einen Beweis mehr ab, wie unvernünftig das Publikum gewöhnlich urtheilt. Sie werden sich kaum vorstellen, was ich Ihnen versichre, daß dieser Mann sehr viel Praxis hat, während man mich vernachläßigt, und fast ungekannt hier leben läßt.«

Sie fragte ihn noch einiges über Theodors Wunde und hörte, es stände noch wie vorher, ausser daß ein Fieber hinzugekommen wäre.

»Allein ich habe befohlen, das Zimmer zu heizen,« fuhr er fort, »und noch einige Decken auf das Bett zu legen, wovon ich mir gute Wirkung verspreche. Indessen muß man ihm sorgsam alles Getränke verweigern, einige herzstärkende Tropfen ausgenommen, die ich schicken werde. Er wird natürlich zu trinken fordern, allein es darf ihm durchaus nicht gegeben werden.«

»Sie sind also kein Freund von der Methode, in solchen Fällen der Natur zu folgen.«

»Natur, Madame! – Natur ist der allerunsicherste Wegweiser, ich folge immer gerade dem Gegentheil von dem, was sie angibt; denn was kann die Kunst nützen, wenn sie bloß der Natur folgen soll? Dieß war meine Meinung so wie ich meinen Stand ergrif, und ich bin treulich dabey geblieben. Sie werden vielleicht aus meinen Reden abnehmen, Madam, daß man sich auf meine Meinungen verlassen kann; was sie einmahl sind, bleiben sie immer: denn mein Gemüth ist nicht von so leichter Art, daß es sich durch die Umstände bestimmen ließe.«

Adeline war seiner müde, und verlangte sehnlich, Theodorn ihre Entdeckung eines andern Arztes mitzutheilen, allein der Wundarzt schien auf keine Weise geneigt, sie zu verlassen, und wollte sich noch über verschiedne Gegenstände und neue Beyspiele seines bewunderungswürdigen Scharfsinns ausbreiten, als der Aufwärter ihm sagte, daß jemand nach ihm geschickt hätte. Er war indessen mit einer zu angenehmen Materie beschäftigt, um sich so leicht stören zu lassen, und erst als der Aufwärter zum zweyten Mahle erschien, machte er Adelinen eine Verbeugung, und empfahl sich. Sobald er fort war, schickte sie ein Billet an Theodor, und bat ihn um Erlaubnis, den Doctor Lafance rufen zu lassen.

Das eingebildete Wesen des Wundarztes hatte Theodor bereits eine ungünstige Meinung von seinen Talenten beygebracht, welche die letzte Vorschrift so vollkommen bestätigte, daß er gern zufrieden war. Adeline verlangte sogleich einen Boten, da sie sich aber besann, daß der Wohnort des Arztes ihr noch ein Geheimniß war, wandte sie sich an die Wirthinn, die es aber entweder nicht wußte, oder nicht wissen wollte. Alle andere Nachfragen waren gleich unwürksam, und sie brachte einige Stunden in äußerster Unruhe zu, während Theodor sich sichtlich verschlimmerte.

Als das Abendessen gebracht wurde, fragte sie den Knaben, der dabei aufwartete, ob er einen Arzt Namens Lafance in der Nachbarschaft kennte.

»Nicht in der Nachbarschaft, Madame, aber ich kenne einen Doctor Lafance in Chancy, denn ich bin aus der Stadt.«

Adeline fragte weiter und erhielt sehr befriedigende Antworten. Allein die Stadt lag einige Meilen entfernt, und diese Verzögerung beunruhigte sie aufs neue: doch schickte sie unverzüglich einen Eilboten ab, und nachdem sie sich nochmals nach Theodors Befinden erkundigt hatte, legte sie sich zu Bette.

Die anhaltende Ermüdung, die sie seit den letzten vierzehn Stunden erlitten hatte, überwältigte ihre Angst, und ihre abgematteten Lebensgeister sanken in Ruhe. Sie schlief bis an den hellen Morgen, und wurde von der Wirthinn aufgeweckt, die ihr sagte, daß Theodor sich weit schlimmer befände, und sie fragte, was geschehen sollte. Der Arzt war noch nicht gekommen. Adeline stand eilends auf, und erkundigte sich näher nach Theodor. Die Wirthinn sagte ihr, er hätte eine sehr unruhige Nacht gehabt, über Hitze geklagt, und verlangt, daß man das Feuer im Zimmer auslöschen sollte: allein die Wärterinn wüßte ihre Schuldigkeit zu gut, und hatte sich streng an des Wundarztes Vorschrift gehalten.

Sie setzte hinzu, er hätte regelmäßig die Tropfen genommen, wäre aber demohngeachtet immer schlimmer geworden, und hätte endlich fantasiert. – Indessen wäre der Bube, der nach dem Arzt gemußt hätte, noch immer nicht zurück.

»Und kein Wunder,« fuhr die Wirthinn fort, »es sind wenigstens drei Meilen von hier, und der Bube wird zu thun gehabt haben, den Weg bei der Dunkelheit zu finden. Aber gewiß, Fräulein, Sie hätten sich eben so gut auf unsern Doctor verlassen können: denn wir brauchen nie einen andern: und wenn ich meine Meinung sagen soll, so wäre es besser gewesen, zu des jungen Herrn Freunden zu schicken, als diesem fremden Doctor, den niemand kennt.«

Adeline hörte wenig auf dieses Gespräch und wartete mit Sehnsucht auf die Ankunft des Arztes. Sie fühlte jetzt stärker als je ihre verlaßne Lage, und Theodors Gefahr; und wünschte inständig, seinen Freunden Nachricht geben zu können. Allein diesen Wunsch konnte sie nicht befriedigen: denn Theodor, der einzig ihr den Ort ihres Aufenthalts sagen konnte, war des Bewußtseyns beraubt.

Als der Wundarzt kam, und den Zustand seines Kranken sah, bezeugte er nicht die mindeste Verwunderung, sondern ging nach einigen Fragen und allgemeinen Vorschriften zu Adelinen. Nachdem er die gewöhnlichen Complimente gemacht hatte, nahm er plötzlich eine wichtige Miene an.

»Es thut mir leid, Madame, daß es mein Amt ist, unangenehme Nachrichten, mitzutheilen, allein ich wünschte, daß Sie sich auf den Ausgang gefaßt machten, der, wie ich fürchte, nahe ist.«

Adeline verstand seine Meinung, und so wenig sie auch bisher auf sein Urtheil gebaut hatte, konnte sie ihr doch nicht von Theodors unmittelbarer Gefahr reden hören, ohne in Schrecken zu gerathen.

Sie bat ihn, ihr alles zu sagen, was er fürchtete, und er erklärte, daß Theodor, wie er vorher gesehen hätte, sich diesen Morgen weit schlimmer befände als den Abend zuvor; und da das Übel jetzt den Kopf angegriffen hätte, so wäre alle Ursache zu fürchten, daß es in wenig Stunden einen unglücklichen Ausgang nehmen würde.

»Es können die schlimmsten Folgen entstehen,« fuhr er fort; »wenn die Wunde in Entzündung geräth, so ist keine Hoffnung mehr da.«

Adeline hörte mit schrecklicher Ruhe diesen Ausspruch an, und äußerte ihren Schmerz weder durch Worte, noch Thränen.

»Ich vermuthe, der Herr hat Anverwandte, Madame, und je eher Sie ihnen seinen Zustand kund thun, je besser. Wenn sie weit von hier wohnen, so ist es freylich zu spät; allein es gibt andere nothwendige – Sie werden übel, Madame –«

Adeline wollte reden, aber die Stimme versagte ihr. Der Wundarzt forderte mit lauter Stimme ein Glas Wasser: sie trank es, und ein tiefer Seufzer schien ihr beklommenes Herz etwas zu erleichtern; Thränen folgten. Da der Wundarzt sah, daß sie besser war, obschon nicht wohl genug, um auf sein Gespräch zu hören, nahm er Abschied und versprach in einer Stunde wieder zu kommen. Der Arzt war noch nicht da, und Adeline erwartete seine Ankunft mit einer Mischung von Furcht und ängstlicher Hoffnung.

Um Mittag kam er, und nachdem er von dem Umstand, der das Fieber zuwege gebracht, und von der Behandlung des Wundarztes sich hatte Nachricht geben lassen, gieng er zu Theodor: in einer Viertelstunde kam er wieder in das Zimmer, wo Adeline ihn erwartete.

»Der Herr liegt noch immer im Fieber, allein ich habe ihm einen kühlenden Trank verschrieben.«

»Ist denn noch einige Hofnung?« fragte Adeline.

»Gewiß, Madame, die Sache ist zwar jetzt etwas zweifelhaft, in wenig Stunden aber werde ich mit mehr Sicherheit urtheilen können. Indessen habe ich verordnet, dem Kranken frische Luft zu verschaffen, ihn ruhig zu halten und ihn häufig trinken zu lassen.«

Er hatte kaum auf Adelinens Bitte einen andern Wundarzt statt des jetzigen empfohlen, als der alte erschien. So wie er den Arzt sah, warf er einen Blick voll Unwillen und Erstaunen auf Adelinen, die ihm in ein anderes Zimmer nahm, wo sie ihn mit einer Höflichkeit verabschiedete, die er nicht zu erwiedern würdigte, und gewiß nicht verdiente.

Den andern Morgen in aller Frühe kam der Wundarzt; allein entweder die Arzneyen, oder die Crisis der Krankheit hatten Theodor in einen festen Schlaf geworfen, worin er mehrere Stunden blieb. Der Arzt gab nunmehr Hofnung zu einem glücklichen Ausgang, und man trug alle Sorge, ihn nicht zu stören. Er erwachte vollkommen vernünftig und frei vom Fieber, und sein erstes Wort war nach Adelinen, die nunmehr bald vernahm, daß er außer Gefahr wäre.

In wenig Tagen war er hinlänglich genesen, um aus seiner Kammer in ein anderes Zimmer gebracht zu werden, wo Adeline ihn mit einer Freude empfing, die sie nicht zurückhalten konnte: er sah es, und sein Gesicht glänzte von Vergnügen: Adeline, höchst dankbar für seine so edel bewiesene Liebe, und erweicht durch die Gefahr, welche er ausgestanden hatte, that sich nicht länger Gewalt an, ihre zärtliche Achtung zu verheelen, und wurde endlich dahin gebracht, ihm den Antheil zu gestehn, den er vom ersten Augenblick an in ihrem Herzen erregt hatte.

Nach einer Stunde rührenden Gesprächs, worin das Glück einer ersten und gegenseitigen Liebe ihre Seelen ganz beschäftigte, und alle Vorstellungen ausschloß, die nicht mit ihrem Entzücken in Einklang standen, kehrten sie zu dem Gefühl ihrer mislichen Lage wieder zurück. Adeline erinnerte sich, daß Theodor wegen Ungehorsams gegen seine Ordre und Verlassung seines Postens verhaftet war, und Theodor, daß er in kurzem von Adelinens Seite würde gerissen werden, und sie allen Übeln, wovon er erst so kürzlich sie errettet hatte, aufs neue Preis geben müßte.

Dieser Gedanke überwältigte ihn mit Schmerz, und nach einer langen Stille wagte er vorzuschlagen, was seine Wünsche ihm schon oft eingegeben hatten – eine Trauung mit ihr, eh er den Ort verließe. Dieß sah er für das einzige Mittel an, ewige Trennung zu verhindern; und wiewohl er die mancherley gefahrvollen Unannehmlichkeiten nicht vergaß, denen eine Heirath mit einem Manne in seinen Umständen sie aussetzen mußte, schienen sie ihm doch so wenig denjenigen das Gewicht zu halten, welche sonst ihr allein drohten, daß seine Vernunft nicht länger Bedenken trug, zu genehmigen, was seine Liebe eingegeben hatte.

Adeline war eine Zeitlang zu bewegt, um zu antworten; und wiewohl sie seinen Gründen und Bitten wenig entgegen zu setzen wußte, wiewohl sie keine Freunde zu Rathe zu ziehn brauchte, und durch keine entgegenlaufende Vortheile in Verlegenheit gesetzt ward, konnte sie sich doch nicht dahin bringen, so übereilt in eine Heyrath mit einem Manne zu willigen, den sie seit so kurzer Zeit erst kannte, und in dessen Familie und Bekanntschaften sie nicht eingeführt war. Endlich bat sie ihn, von der Sache abzubrechen, und die Unterhaltung war den übrigen Tag allgemeiner, obgleich noch immer höchst interessant.

Die Ähnlichkeit in Geschmack und Denkungsart, welche zuerst sie zu einander hinzog, enthüllte sich mit jedem Augenblick mehr. Ihr Gespräch wurde durch Mittheilung schöner Kenntniße bereichert und durch gegenseitige Achtung erwärmt. Adeline hatte wenig Gelegenheit gehabt zu lesen, allein die Bücher, welche sie fand, wirkten auf einen Geist, der nach Kenntniß dürstete, und auf einen Geschmack, der allem Schönen und Erhabnen vorzüglich geöfnet war, und theilten ihren ganzen Inhalt ihrem Verstande mit.

Theodor hatte von der Natur viele Talente und von der Erziehung alles, was sie geben konnte, erhalten; zu diesen Vorzügen kam eine edle Unabhängigkeit des Geistes, ein fühlendes Herz und Sitten, die eine glückliche Mischung von Würde und Sanftheit verriethen.

Gegen Abend kam ein Gerichtsdiener, der auf Vorstellung des Sergeanten vom Kriegsgericht abgeschickt war, im Dorfe an; er trat in Theodors Zimmer, welches Adeline sogleich verließ, und sagte ihm mit einer Mine, in die er unendliche Wichtigkeit legte, daß er den folgenden Tag zu seinem Hauptquartier abreisen sollte. Theodor antwortete, er sey noch nicht im Stande, die Reise auszuhalten; und verwieß ihn an seinen Arzt: allein der Gerichtsdiener versicherte, daß er sich diese Mühe nicht geben würde, weil der Arzt wohl unterrichtet seyn würde, was er sagen sollte, und daß er sich nur anschicken möchte, morgen die Reise anzutreten.

»Es ist schon lange genug gezögert worden,« sagte er, »und Sie werden genug zu thun finden, wenn Sie im Hauptquartier ankommen; der Sergeant, den Sie schwer verwundet haben, ist willens, gegen Sie aufzutreten, und dieses nebst dem Vergehn, dessen Sie sich schuldig gemacht haben, da Sie von Ihrem Posten desertirt –«

Theodors Augen flammten Feuer.

» Desertirt!« rief er, stand von seinem Stuhl auf und schoß einen drohenden Blick auf seinen Ankläger – »wer wagt es, mich mit dem Nahmen Deserteur zu brandmarken?«

Augenblicklich aber besann er sich, wie sehr sein Betragen diese Beschuldigung zu rechtfertigen schien, suchte seine Bewegung zu unterdrücken, und sagte mit fester Stimme und Fassung, wenn er in seinem Quartier anlangte, so würde er bereit seyn, auf alles zu antworten, was ihm vorgelegt würde; bis dahin aber würde er schweigen.

Die Unverschämtheit des Gerichtsdieners wurde durch den Muth und Würde, womit Theodor diese Worte sagte, zurückgetrieben, und mit einer Antwort, die er so leise murmelte, daß man sie kaum verstand, verließ er das Zimmer.

Theodor saß nachdenkend über seine gefährliche Lage: er wußte, wie viel er von den besondern Umstanden seiner plötzlichen Abreise von seinem Regiment, das in einer Garnison an den Spanischen Grenzen lag, wo die Disciplin sehr streng war, und von der Macht seines Obersten, des Marquis de Montalt zu fürchten hatte, den Stolz und vereitelte Hoffnung zur Rache reizen und unermüdet in Bewirkung seines Verderbens machen mußten. Bald aber flohen seine Gedanken von seiner eignen Gefahr zu der, welche Adelinen umgab, und bey dieser Betrachtung verließ ihn aller Muth: er konnte den Gedanken nicht ertragen, sich allen Übeln, die er voraus ahndete, zu überlassen; so wenig als den Gedanken an die plötzliche Trennung, die jetzt ihm drohte; und als sie wieder ins Zimmer kam, erneute er sein Bitten um eine schleunige Verheyrathung mit allen Gründen, die nur Zärtlichkeit und Scharfsinn aufbiethen konnten.

Adelinen, als sie hörte, daß er morgen abreisen sollte, war, als fühlte sie sich ihres letzten Trostes beraubt. Ade Schrecknisse seiner Lage stiegen vor ihrer Seele auf, und in unaussprechlichem Schmerz wandte sie sich von ihm.

Er deutete ihr Schweigen als eine günstige Vorbedeutung und wiederhohlte seine Bitten, daß sie einwilligen möchte, die Seinige zu seyn, und dadurch ihm Sicherheit zu geben, daß ihre Trennung nicht ewig seyn würde. Adeline seufzte tief bey diesen Worten.

»Und wer kann bestimmen, ob nicht unsre Trennung dennoch ewig seyn würde, wenn ich auch in unsre Verbindung willigte? Aber klagen Sie wegen meines Entschlusses mich keiner Gleichgültigkeit an: denn Gleichgültigkeit gegen Sie würde nach allem, was Sie für mich gethan haben, in der That Verbrechen seyn.«

»Und ist eine kalte Empfindung der Dankbarkeit alles, was ich von Ihnen erwarten darf? Ich weiß, das Sie im Begriff sind, mich mit einem Beweise Ihrer Gleichgültigkeit zu kränken, den Sie fälschlich für Eingebung der Klugheit halten, und daß ich dahin gebracht werden soll, ohne Widerstreben auf die übel hinzusehn, die im Kurzen mich erwarten. Ach Adeline! wenn Sie meinen Vorschlag zu verwerfen gesonnen sind, vielleicht die letzte Bitte, die ich Ihnen je vortragen kann, so täuschen Sie sich nur nicht länger mit dem Gedanken, daß Sie mich lieben: dieser Traum schwindet selbst von meiner Seele!«

»Können Sie denn so leicht diesen Morgen vergessen,« sagte Adeline erröthend; »ach! wenn Sie das können; so werde ich allerdings wohl thun, auch zu vergessen, daß je ein Geständniß meiner Empfindung über meine Lippen kam, und daß Sie es hörten.«

»Vergeben Sie, o meine Adeline, vergeben Sie die Zweifel und Unmännlichkeit, die ich verrieth: lassen Sie die Ängstlichkeit der Liebe und meine bedrängte Lage für mich sprechen!«

Adeline lächelte schwach durch ihre Thränen, und reichte ihm ihre Hand, die er feurig an seine Lippen drückte.

»Aber treiben Sie mich nicht durch Verwerfung meiner Bitte zur Verzweiflung,« fuhr er fort; »denken Sie sich selbst, was ich leiden muß, wenn ich Sie ohne Freunde und Schutz hier zurücklassen soll!«

»Ich denke, wie ich eine so traurige Lage vermeiden könnte. Es soll hier in der Nähe ein Kloster seyn, wo man Kostgängerinnen annimmt, und dahin wünschte ich zu gehn.«

»Ein Kloster! Sie wollten in ein. Kloster gehn? Wissen Sie denn, welchen Verfolgungen Sie dort ausgesetzt seyn würden? und wie unwahrscheinlich es ist, wenn der Marquis Ihren Aufenthalt entdeckte, daß die Vorsteherinn desselben seiner Gewalt, oder seinen Bestechungen widerstehn würde?«

»Ich habe dieß alles überlegt, und bin gefaßt, lieber es zu wagen, als eine Verbindung einzugehn, die unter den jetzigen Umständen uns beyde nur elend machen kann.«

»Ach Adeline! könnten Sie das glauben, wenn Sie wirklich liebten? Ich stehe auf dem Puncte getrennt, vielleicht auf immer von dem Gegenstande meiner zärtlichsten Liebe getrennt zu werden, und kann den Schmerz nicht unterdrücken, der mein Innres zerreißt. Ich kann mich nicht enthalten, jeden Grund zu wiederhohlen, der auch nur die leichteste Möglichkeit zur Veränderung Ihres Entschlusses darbiethet. Aber Sie, Adeline, Sie sehen mit Heiterkeit auf das hin, was mich zur Verzweiflung bringt.«

Adeline, die lange gekämpft hatte, ihren Muth in seiner Gegenwart aufrecht zu halten, während sie auf einem Entschlusse beharrte, den die Vernunft eingab, so sehr auch die Gefühle ihres Herzens ihm widersprachen, konnte nun ihren Schmerz nicht länger verhalten, und brach in Thränen aus. Theodor fühlte sich zugleich von seinem Irrthum überzeugt und gekränkt über den Schmerz, den er ihr verursacht hatte. Er zog seinen Stuhl zu ihr hin, ergrif ihre Hand, bat sie aufs neue um Vergebung., und suchte in den zärtlichsten Ausdrücken sie zu besänftigen und zu trösten.

»Wie strafwürdig war ich, Ihnen durch unsinnige Zweifel diesen Schmerz zu verursachen! Vergeben sie mir, Adeline; sagen Sie nur, daß Sie mir vergeben, und was für Pein ich auch bey dieser Trennung fühlen mag, will ich mich doch nicht länger widersetzen.«

»Sie haben mir Schmerz gemacht, aber mich nicht beleidigt,« sagte Adeline, und ihre Lippen sanken auf seine Stirne. Er schlang seine Arme um sie, und preßte sie an seine Brust. Trennung und alles Bewußtseyn von Gefahr schwand im seligen Entzücken der Liebe. Endlich riß Adeline ihre glühenden Wangen von seinen Lippen los, und der Taumel der Empfindung mußte wieder den nothwendigen Überlegungen der Vernunft weichen.

Sie erwähnte aufs neue des Klosters. Theodor suchte den Schmerz der nahen Trennung zu bekämpfen, und mit Fassung über Plane der Zukunft mit ihr zu berathschlagen. Nach und nach trug sein Verstand über Leidenschaft den Sieg davon, und er sah ein, daß ihr Plan für ihre Sicherheit am zuträglichsten seyn würde. Er erwog, was er im Aufruhr seiner Seele vergessen hatte, daß er auf die gegen ihn eingebrachten Klagen könnte verurtheilt werden, und daß sein Tod sie nicht nur ihres Beschützers berauben, sondern sie noch unmittelbarer den Absichten des Marquis Preis geben müßte, der ohne Zweifel seinem Verhöre beywohnen, und auf diese Art erfahren würde, daß Adeline wieder in seiner Gewalt wäre.

Erstaunt, dieses nicht gleich bedacht zu haben, und erschrocken über die Unbesonnenheit, womit er in eine so gefährliche Lage sie zu stürzen im Begrif war, söhnte er sich auf einmahl mit dem Gedanken aus, sie in ein Kloster zu lassen. Es würde ihm lieber gewesen seyn, in seiner Familie ihr eine Zuflucht zu verschaffen, allein die Umstände, unter welchen sie auftreten mußte, waren so unangenehm und peinlich, und vor allem war die Entfernung so weit, daß er nicht daran denken konnte, sie der Gefahr einer solchen Reise auszusetzen. Er bat sie nur um Erlaubniß, ihr schreiben zu dürfen; da er sich aber besann, daß seine Briefe dem Marquis den Ort ihres Aufenthalts verrathen könnten, nahm er seine Bitte zurück.

»Auch dieses traurige Vergnügen muß ich mir versagen, damit nicht meine Briefe Ihre Wohnung verrathen, aber wie werde ich fähig seyn die Ungeduld und Ungewißheit zu ertragen, zu welcher Klugheit mich verdammt! Ich werde es nicht wissen, wenn Sie in Gefahr sind; – doch wenn ich es auch wüßte,« sagte er mit einem Blick der Verzweiflung, »könnte ich Ihnen ja doch nicht zu Hülfe fliegen. O Jammer! jetzt erst fühle ich alle Schrecken meines Gefängnisses – jetzt erst empfinde ich den ganzen Werth der Freyheit!«

Die heftige Erschütterung seiner Seele raubte ihm die Sprache; er stand von seinem Stuhle auf, und lief mit schnellen Schritten im Zimmer auf und ab. Adeline saß da, überwältigt von dem Bilde, welches Theodor von seiner herannahenden Lage entworfen hatte, von dem Gedanken, daß sie in der schrecklichsten Ungewißheit über sein Schicksal bleiben müßte. Sie sah ihn im Gefängniß – bleich – entkräftet, und in Ketten: – sie sah alle Rache des Marquis auf ihn herabgeschmettert, und dieß, weil er edelmüthig sich ihrer annahm! –

Theodor, beunruhigt durch die starre Verzweiflung auf ihren Zügen warf sich vor ihr hin; er ergrif ihre Hände und wollte ihr Trost zusprechen, aber die Worte erstarben auf seinen Lippen, und er konnte sie nur mit Thränen baden.

Dieses traurige Schweigen wurde durch das Rasseln eines Wagens, der vor dem Wirthshause still hielt, unterbrochen. Theodor lief ans Fenster, aber die Dunkelheit des Abends verhinderte ihn, die Gegenstände außen zu erkennen. Man brachte Licht aus dem Hause, und er nahm nun einen Wagen mit vier Pferden und von verschiedenen Bedienten umgeben wahr. Gleich darauf sah er einen Herrn in einen Mantel gewickelt aussteigen und ins Wirthshaus gehn, und hörte in dem nähmlichen Augenblick des Marquis Stimme.

Er war Adelinen zu Hülfe geflogen, die vor Schrecken umsank, als die Thüre sich aufthat, und der Marquis von Wache und Bedienten begleitet, herein trat. Wuth flammte aus seinen Augen, als er Theodorn erblickte, der mit ängstlicher Bekümmerniß über Adelinen hing.

»Ergreift den Verräther,« sagte er zur Wache, »warum hat man ihn so lange hier bleiben lassen.«

»Ich bin kein Verräther,« antwortete Theodor mit fester Stimme und der Würde selbstbewußten Werths; »sondern ein Beschützer der Unschuld, die der verrätherische Marquis de Montalt zerstören wollte.«

»Thut eure Pflicht!« sagte der Marquis zu der Wache.

Adeline schrie, klammerte sich fester an Theodors Arm und flehte die Wache an, sie nicht zu trennen.

»Nur Gewalt vermag es!« rief Theodor und sah sich nach einem Werkzeug der Vertheidigung um, erblickte aber keins, und wurde in demselben Augenblick umringt und ergriffen.

»Fürchten Sie alles von meiner Rache,« sagte der Marquis zu Theodor, als er Adelinens Hand ergrif, die alle Kraft zum Widerstande verloren hatte – »fürchten Sie alles von meiner Rache: Sie müssen sich bewußt seyn, sie verdient zu haben.«

»Ich trotze Ihrer Rache, und fürchte keine Quaalen des Gewissens, die Ihre Macht nicht auflegen kann, wenn gleich Ihre Laster Sie dazu verdammen.«

»Führt ihn augenblicklich aus dem Zimmer, und legt ihm starke Fesseln an,« rief der Marquis außer sich vor Wuth – »er soll bald erfahren, was einem Verbrecher, der Unverschämtheit mit Schuld vereinigt, bevorsteht!«

Theodor wurde aus dem Zimmer geschleppt, während Adeline, deren betäubte Sinne durch seinen letzten Blick und Abschiedsruf erweckt wurden, dem Marquis zu Füßen fiel, und mit Thränen bittrer Todesquaal Mitleid für Theodor flehte: ihr Flehn für seinen Nebenbuhler schien den Stolz des Marquis zu empören, und seinen Haß nur noch mehr zu reizen. Er gelobte Rache auf sein Haupt, und stieß Verwünschungen aus, vor welchen sich Adelinens Innres empörte. Endlich hob er sie auf, suchte die Ausbrüche der Wuth, die Theodors Gegenwart erregt hatte, zu ersticken, und redete sie in seiner gewöhnlichen Sprache der Bewundrung an.

Die unglückliche Adeline, die ohne auf seine Reden zu achten, fortfuhr, für ihren unglücklichen Liebhaber zu flehen, gerieth endlich über die Wuth, welche auf dem Gesichte des Marquis zurückkehrte, in Schrecken, und sprang mit Aufbiethung aller noch übrigen Kraft, von ihm weg nach der Thüre des Zimmers; allein er hatte sie ergriffen, ehe sie die Thüre erreichen konnte, führte sie zu ihrem Stuhle zurück und wollte reden, als man Stimmen im Vorsaal hörte, und der Wirth mit seiner Frau, durch Adelinens Geschrey erschreckt, herein traten. Der Marquis wandte sich wüthend zu ihnen und fragte, was sie wollten; ohne aber eine Antwort abzuwarten, hieß er sie folgen, und verließ das Zimmer, das er hinter sich zuschloß.

Adeline lief zu den Fenstern, die unbefestigt waren, und in den Hof gingen. Außen war alles dunkel und still. Sie rief laut um Hülfe, aber niemand erschien, und die Fenster waren so hoch, daß es unmöglich war, ohne Hülfe herab zu kommen. In aller Angst des Schreckens und Schmerzens ging sie im Zimmer umher, stand jetzt still, weil sie unten Stimmen im Zank zu hören glaubte, und beschleunigte jetzt wieder ihren Schritt, so wie die Unruhe ihrer Seele sie trieb.

Beynahe eine halbe Stunde hatte sie auf diese Art zugebracht, als sie plötzlich unten im Hause ein Lärmen hörte, welches zunahm, bis alles in Aufruhr und Verwirrung war. Leute gingen schnell hin und her; Thüren wurden auf und zugeschlagen. Ihr erster Gedanke war, daß Theodor ihr Schreyen gehört, und ihr zu Hülfe hätte eilen wollen, und daß der Widerstand der Wache diesen Tumult verursacht hätte. Da sie die Härte und Grausamkeit dieser Menschen kannte, fühlte sie sich von den schrecklichsten Besorgnissen für Theodors Leben ergriffen.

Ein verworrenes Gewühl von Stimmen scholl jetzt von unten herauf, und das Geschrey der Weiber überzeugte sie, daß gefochten würde: sie glaubte sogar, Degen klirren zu hören. Theodors Bild, wie er von der Hand des Marquis starb, stieg vor ihrer Einbildungskraft auf, und die Schrecken der Ungewißheit wurden beynahe unerträglich. Sie machte einen verzweifelten Versuch, die Thüre zu sprengen, und rief aufs neue um Hülfe: aber ihre zitternden Hände waren kraftlos, und im Hause schien alles zu sehr beschäftigt, um auf sie zu hören.

Ein lauter Schrey drang jetzt in ihr Ohr, und in dem Gelärm, das darauf folgte, unterschied sie deutlich tiefes Stöhnen. Diese Bestätigung ihrer Furcht raubte ihr alle noch übrige Lebenskraft, und ermattet sank sie in einen Stuhl neben der Thüre. Der Aufruhr ließ allmählig nach, bis alles still war, aber niemand näherte sich ihr. Bald nachher hörte sie Stimmen im Hofe, allein sie hatte nicht die Kraft, durchs Zimmer zu gehn, um nur die Fragen zu thun, deren Antwort sie ängstlich wünschte, und fürchtete.

Nach ohngefähr einer Viertelstunde wurde die Thüre geöfnet, und die Wirthinn trat mit todtenblassem Gesicht herein.

»Um Gotteswillen,« rief Adeline ihr entgegen, »sage Sie mir, was vorgegangen ist. Ist er verwundet? Ist er todt?«

»Nicht todt, Fräulein, aber« –

»Sterbend? – O wo ist er, lasse Sie mich zu ihm!«

»Halt Fräulein, Sie müssen hier bleiben: ich wollte nur das Hirschhorn hier aus dem Schranke hohlen.«

Adeline wollte durch die Thüre entwischen; allein die Wirthinn stieß sie zurück, schloß ab und ging die Treppe hinunter. Adelinens Jammer überwältigte sie nunmehr ganz, und sie saß ohne Bewegung, kaum sich bewußt, ob sie lebte, bis der Laut von Fußtritten an der Thüre sie erweckte, und drey Leute, die sie für des Marquis Bedienten erkannte, hereintraten. Sie hatte Bewußtseyn genug, um die Fragen, die sie vorhin der Wirthinn that, zu wiederhohlen; allein sie sagten statt aller Antwort, daß sie mit ihnen gehn müßte, weil unten ein Wagen auf sie wartete. Immer noch drang sie mit Fragen in diese Leute.

»Sagt mir nur, ob er lebt?« rief sie.

»Ja Fräulein, er lebt, allein er ist schwer verwundet, und so ist eben der Wundarzt zu ihm gegangen.«

Bey diesen Worten trieben sie sie den Gang hinan, und brachten sie, ohne auf ihr Bitten und Flehen, wohin man sie führe? zu achten, bis zum Fuß der Treppe, als ihr Schreyen verschiedene Leute an die Thüre brachte. Die Wirthinn erzählte diesen, das Frauenzimmer sey die Gemahlinn eines Herrn, der eben angekommen wäre, und sie auf der Flucht mit ihrem Liebhaber eingehohlt hätte – ein Bericht, den des Marquis Bediente bestätigten.

»Es ist der Herr, der sich eben geschlagen hat,« setzte die Wirthinn hinzu; »und das Duell war um ihrentwillen.«

Adeline, die theils es verachtete, auf dieß Mährchen zu achten, theils zu voll Begierde war, die nähern Umstände des Vorgangs zu wissen, begnügte sich, ihre Fragen zu wiederhohlen; worauf einer der Umstehenden endlich antwortete, daß der Herr gefährlich verwundet sey.

Des Marquis Leute wollten sie nun in den Wagen schleppen, allein sie sank leblos in ihre Arme, und ihr Zustand rührte die Menschlichkeit der Zuschauer so sehr, daß sie ohngeachtet ihres Glaubens an die vorgebliche Geschichte, sich laut widersetzten, sie in dieser Bewußtlosigkeit in den Wagen schleppen zu lassen.

Endlich brachte man sie in ein Zimmer, wo durch gehörige Mittel ihre Sinne zurückgerufen wurden. Sie bat nunmehr so flehentlich um eine Erläuterung von dem, was geschehen war, das die Wirthinn ihr einige Umstande erzählte.

»Als der kranke Herr Ihr Schreyen hörte,« sagte sie, »gerieth er ganz außer sich, wie ich gehört habe, und nichts konnte ihn stillen. Der Marquis, denn es heißt, daß er ein Marquis ist, wie Sie am besten wissen müssen, war gerade mit mir und meinem Manne in der Stube, und als er den Lärmen hörte, ging er hinunter, um zu sehen, was es gäbe; so wie er ins Zimmer kam, sah er den Capitain mit dem Sergeanten kämpfen. Der Capitain wurde nun noch wüthender als vorher, und ohngeachtet er seinen Degen hatte, und an einem Beine gefesselt war, wußte er doch dem Sergeanten den Degen von der Seite zu reißen, und flog wie ein Blitz auf den Marquis zu, dem er eine gefährliche Wunde beybrachte.«

»Der Marquis ist also der Verwundete?r. fiel Adeline schnell ein, »und der andere Herr ist nicht beschädigt?«

»Nein, nein« antwortete die Wirthinn, »aber er wird seinen Theil schon bekommen, denn der Marquis schwört, daß er der Strafe nicht entgehen soll.«

Adeline vergaß auf einen Augenblick alle ihr Unglück und alle Gefahr in freudiger Dankbarkeit, daß Theodors Leben gerettet war; sie wollte sich noch weiter nach ihm erkundigen, als des Marquis Bedienten herein kamen und erklärten, daß sie nicht langer warten könnten. Adeline, jetzt zum Gefühl der Übel, die ihr drohten, erweckt, suchte das Mitleid der Wirthinn zu gewinnen, die aber an die Wahrheit der vom Marquis erfundenen Geschichte glaubte, oder doch so that, und folglich gegen alles, was sie vortrug, unempfindlich blieb. Sie wandte sich wieder an die Bedienten, aber eben so vergebens; sie wollten sie weder länger im Zimmer bleiben lassen, noch ihr sagen, wohin man sie führte; und im Beyseyn verschiedener Personen, die bereits durch die ungünstige Aussage der Wirthinn gegen sie eingenommen waren, trieb man Adelinen in den Wagen; ihre Führer stiegen auf die Pferde, und in wenig Augenblicken war die ganze Partie aus dem Dorfe verschwunden.

So endigte für Adelinen ein Abenteuer, das mit einer Aussicht nicht nur auf Sicherheit, sondern auf Glück anfing; ein Abenteuer, welches sie fester an Theodor band, und ihn ihrer Liebe würdig zeigte; welches aber zugleich ihr die neue Kränkung mitbrachte, ihren edelmüthigen und jetzt angebeteten Geliebten, verhaftet und sowohl ihn als sie selbst in die Gewalt eines Nebenbuhlers geliefert zu sehn, den Verzögerung, Verachtung und Widerstand aufs höchste erbittert hatte.



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