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Drittes Kapitel.

Indessen setzte die verfolgte Adeline mit wenig Unterbrechung, ihre Reise die ganze Nacht durch fort. Ihre Seele lag in einem solchen Kampf von Schmerz, Sehnsucht, Verzweiflung und Schrecken, daß man nicht sagen kann, sie dachte. Der Kammerdiener des Marquis, der sich zu ihr in den Wagen gelegt hatte, schien anfangs zum Reden geneigt; allein ihre Unaufmerksamkeit brachte ihn bald zum Schweigen und sie blieb ungestört ihrem Jammer überlassen.

Sie schienen durch dunkle Feld- und Nebenwege zu fahren, durch welche die Kutsche mit so schmetternder Eile rollte, als die Dunkelheit es zuließ: beym Anbruch der Morgendämmerung sah sie sich an den Grenzen des Waldes, und erneute ihr Bitten, ihr zu sagen, wohin man sie brachte. Der Bediente antwortete, er hätte keinen Auftrag, es ihr zu sagen, allein sie würde es bald sehn.

Adeline, die bisher geglaubt hatte, es ginge wieder nach der Villa, fing jetzt zu zweifeln an; und da jeder Ort ihr minder schrecklich schien, als dieser, legte sich ihre Verzweiflung einigermaßen, und sie dachte nur an den unglücklichen Theodor, den sie zum Opfer der Bosheit und Rache geweiht wußte.

Sie fuhren jetzt in den Wald und sie kam auf den Gedanken, daß es nach der Abtey ginge: denn wiewohl sie sich der Gegend nicht erinnerte, war es darum nicht weniger wahrscheinlich, daß dieses der Fontaneiller Wald sey, dessen Grenzen viel zu weit waren, um in den Bezirk ihrer ehemaligen Spaziergänge gekommen zu seyn.

Diese Vermuthung erneute einen Schrecken, der nicht viel geringer war, als die Furcht vor der Villa: denn auf der Abtey war sie nicht minder in der Macht des Marquis und auch in der Macht ihres grausamen Feindes La Motte. Ihre Seele empörte sich vor dem Gemählde, das ihre Fantasie entwarf, und so wie der Wagen unter den Schatten hinfuhr, sah sie ängstlich aus dem Fenster, ob sie nicht einen Gegenstand entdeckte, der ihre Besorgniß bestätigen oder aufheben könnte; sie brauchte nicht lange umher zu blicken – eine Öfnung im Walde zeigte ihr bald die fernen Thürme der Abtey!

»So bin ich denn verloren,« sagte sie, und brach in Thränen aus.

Sie erreichten bald den Vorplatz, und Peter lief, das Thor aufzumachen, vor welchem der Wagen hielt. Als er Adelinen erblickte, sah er bestürzt aus, und machte einen Versuch zu sprechen, allein der Wagen fuhr vor die Abtey, wo an der Thüre der Halle La Motte selbst erschien. Als er herzu trat um sie aus dem Wagen zu heben, überfiel sie ein Zittern am ganzen Körper; mit äusserster Mühe konnte sie sich aufrecht halten, und einige Augenblicke lang, sah sie weder sein Gesicht noch hörte sie feine Stimme. Er both ihr den Arm, um sie herein zu führen, sie wies ihn anfangs zurück, mußte ihn aber ergreiffen, nachdem sie einige Schritte kraftlos fortgeschwankt war.

Sie traten in das gewölbte Zimmer, wo sie in einen Stuhl sank, und eine Fluth von Thränen ihr zu Hülfe kam. La Motte unterbrach ihr Stillschweigen nicht, und ging in anscheinender heftigen Unruhe im Zimmer auf und ab. Als Adeline wieder so viel Bewußtseyn hatte, um äußere Gegenstände zu bemerken, beobachtete sie sein Gesicht, und las da den Aufruhr seiner Seele, während er eine Festigkeit anzunehmen strebte, welche seine bessern Gefühle Lügen straften.

La Motte ergrif ihre Hand, und wollte sie aus dem Zimmer führen; allein sie stand still, und machte mit der Anstrengung der Verzweiflung einen Versuch, ihn um Mitleid und Rettung zu bitten.

Er unterbrach sie:

»Es ist nicht in meiner Macht,« sagte er in sichtlicher Erschütterung. »Ich bin nicht Herr über mich und mein Betragen. Fragen Sie nicht weiter – es ist genug, daß ich Sie beklage; mehr kann ich nicht.«

Er ließ ihr keine Zeit zu antworten, sondern nahm sie bey der Hand und führte sie die Treppe zum Thurm hinauf, und von da in das Zimmer, welches sie vormahls bewohnte.

»Hier müßen Sie fürs erste in einer Verhaftung bleiben, die vielleicht an meiner Seite eben so unfreywillig ist, als sie von der Ihrigen nur seyn sann. Ich wünsche sie Ihnen so leicht als möglich zu machen, und habe deswegen befohlen, Ihnen einige Bücher zu bringen.«

Adeline machte einen Versuch zu reden, allein er eilte aus dem Zimmer, weil er sich der Rolle zu schämen schien, die er übernommen hatte, und vielleicht ihre Thränen nicht ansehn mochte. Sie hörte die Thüre verschließen, und sah, daß auch die Fenster gesichert waren; auch die Thüre, die nach den andern Zimmern ging, war verschlossen. Solche Vorkehrungen zur Sicherheit erschreckten sie, und ohngeachtet sie schon längst alle Hoffnung aufgegeben hatte, fühlte sie doch jetzt ihre Seele tiefer in Verzweiflung sinken.

Als Thränen sie etwas erleichtert hatten, und sie fähig war, ihre Gedanken von den Gegenständen ihres unmittelbaren Zimmers abzuziehn, war ihr die gänzliche Abgeschiedenheit, die man ihr angewiesen, lieb, weil ihr die Pein, die sie in Herrn und Frau von La Mottens Gegenwart fühlen mußte, dadurch erspart, und ihr Freyheit gelassen ward, ungestört ihrem Kummer und eigenen Betrachtungen nachzuhängen; Betrachtungen, die ihrer traurigen Natur ohngeachtet, doch immer der Pein weit vorzuziehn waren, welche die Seele erleidet, wenn sie unter den Erschütterungen von Sorge und Furcht ein ruhiges Äusseres anzunehmen genöthigt ist.

Nach Verlauf einer Viertelstunde wurde ihre Thüre aufgeschlossen und Annette trat mit Erfrischungen und Büchern herein. Sie schien sich zu freuen, Adelinen wieder zu sehn, fürchtete sich aber zu sprechen, weil es wahrscheinlich gegen La Mottens Befehl war, der unten an der Treppe auf sie wartete. Als sie fort war, nahm Adeline einige Erfrischungen, deren sie in der That bedurfte, denn sie hatte nichts zu sich genommen, seit sie das Wirthshaus verließ. Es war ihr lieb, daß Frau von La Motte nicht zum Vorschein kam, die sichtlich ihren Anblick vermied, weil sie sich ihres unedlen Betragens bewußt war; ein Bewußtseyn, welches vermuthen ließ, daß sie noch nicht ganz unfreundschaftlich gegen sie gesinnt wäre.

Adeline dachte über La Mottens Worte nach: »ich bin nicht Herr über mich selbst und über mein Betragen,« und wiewohl sie ihr keinen Grund zur Hoffnung gaben, schöpfte sie doch einen kleinen Trost aus dem Gedanken, daß er Mitleid mit ihr hätte. Nachdem sie einige Zeit in traurigem Nachdenken und mancherley Vermuthungen hingebracht hatte, schienen ihre lange gequälten Lebensgeister Ruhe zu fordern, und sie legte sich auf ihr Bette.

Sie schlief einige Stunden ruhig und erwachte mit erquickter und beruhigter Seele. Um diesen kurzen Frieden zu verlängern und dem Einbruch ihrer eigenen Gedanken zu wehren, untersuchte sie die Bücher, die La Motte ihr geschickt hatte: sie fand einige darunter, die in glücklichern Tagen ihren Geist erhoben und ihr Herz erwärmt hätten; ihre Wirkung war jetzt geschwächt, doch enthielten sie noch immer genug, um das Gefühl ihres Unglücks auf eine Weile zu lindern.

Allein dieser Lethäische Lethe ist einer der Flüsse in der Unterwelt der griechischen Mythologie. Der Name bedeutet Vergessen. Man glaubte im alten Griechenland, wer vom Wasser der Lethe trinke, verliere seine Erinnerung vor dem Eingang ins Totenreich. ( D. Hrsg.) Balsam für ein verwundetes Herz war nur ein vorübergehender Segen: La Mottens Hereinkunft löste die Täuschung der Buchstaben auf, und erweckte sie wieder zum Bewußtseyn ihrer Lage. Er kam mit Essen, und sobald er es auf den Tisch gesetzt hatte, verließ er ohne zu reden das Zimmer. Aufs neue versuchte sie zu lesen, aber seine Erscheinung hatte den Zauber gelöst – bittere Betrachtungen kehrten wieder vor ihre Seele, und brachten Theodors Bild mit – Theodors, der auf immer für sie verloren war! –

La Motte erfuhr indessen alle Quaalen, die nur ein noch nicht ganz zum Verbrechen gehärtetes Gewissen auflegen kann. Leidenschaft hatte ihn zu Ausschweifung – Ausschweifung zu Lastern geführt; nachdem er aber einmal den Rand der Schande berührt hatte, folgten die fortschreitenden Stufen einander schnell, und er sah sich jetzt zum Kuppler eines Nichtswürdigen, zum Verräther eines unschuldigen Mädchens gemacht, welches jeder Anspruch der Gerechtigkeit und Menschlichkeit auf seinen Schutz berechtigte.

Er betrachtete sein Gemählde – er schauderte davor zurück, aber er konnte dessen Scheußlichkeit nur durch einen Schritt verändern, der zu edel und kühn für ein bereits von der Gewohnheit des Lasters entnervtes Herz war. Er sah das gefährliche Labyrinth, in welches er sich verwickelt hatte, und seinen Fortschritt im Bösen; fälschlich wähnte er, daß nur weiters Fortgehen ihn aus diesem Labyrinth herausziehen könnte.

Statt auf Mittel zu sinnen, wie er Adelinen retten, und sich selbst von der Schande befreyen könnte, zu ihrem Verderben behülflich zu seyn, bemühte er sich, die Stacheln seines Gewissens zu betäuben, und sich zu überreden, daß es jetzt zu spät sey, in dem einmal angefangenen Laufe umzukehren. Er wußte, daß er in des Marquis Gewalt war, und fürchtete diese Gewalt mehr, als die sichre, wenn auch ferne Strafe, welche auf den Schuldigen wartet. Adelinens Ehre und die Ruhe seines eigenen Gewissens, vermäkelte er willig gegen einige kurze Lebensjahre.

Er wußte nichts von der Krankheit des Marquis, sonst würde er vielleicht eine Möglichkeit, der angedrohten Strafe um einen minder abscheulichen Preis als Schande und Verbrechen zu entgehen, vor sich gesehn, und darauf gedacht haben, sich und Adelinen durch Flucht zu retten. Der Marquis war scharfsinnig genug, dieß vorher zu sehen, und hatte seinem Bedienten scharf anbefohlen, La Motten nichts von dem Umstande, der ihn im Bette zurück hielt, wissen zu lassen, sondern zu sagen, daß er in wenig Tagen selbst nach der Abtey kommen würde, wo sein Bedienter ihn erwarten sollte. Adeline konnte weder Lust noch Gelegenheit haben, des Vorfalls zu erwähnen, und auf solche Art blieb der Umstand La Motten unbekannt, welcher vielleicht ihn von fernern Verbrechen, und Adelinen vom Elende errettet hatte.

 

Höchst ungern hatte La Motte seiner Frau die Handlung eröfnet, welche ihn durchaus in des Marquis Willkühr geliefert hatte, aber die Unruhe seines Gemüths verrieth ihn größtentheils. Oftmals murmelte er im Schlafe unzusammenhängende Worte, und oft fuhr er aus unruhigem Schlummer auf, und rief Adelinen. Diese Anzeigen eines beängstigten Herzens hatten Frau von La Motte beunruhigt und erschreckt; sie belauschte seinen Schlaf, und erhielt bald aus seinen Worten einen dunkeln Begriff von des Marquis Absichten.

Sie ließ La Motte ihren Verdacht merken: er warf ihr vor, ihn gefaßt zu haben, aber die Art, wie er es that, statt ihre Furcht für Adelinen zu vernichten, vermehrte sie nur; eine Furcht, die des Marquis Betragen bald bestätigte. In der Nacht, wo er auf der Abtey schlief, war ihr eingefallen, daß jetzt wahrscheinlich über den vorhabenden Plan berathschlagt würde, und Besorgniß für Adelinen bewegte sie, sich zu einem Schritt herabzulassen, den sie unter andern Umständen als niederträchtig würde verachtet haben.

Sie ging leise aus ihrem Zimmer in ein Gemach, welches an das große Zimmer stieß, wo sie den Marquis und ihren Mann gelassen hatte, und behorchte ihr Gespräch. Er betraf den Gegenstand, den sie erwartet hatte, und enthüllte ihr den ganzen Umfang des Plans. Erschrocken für Adelinen, und empört über die sträfliche Schwäche ihres Mannes, war sie eine Zeitlang unfähig nachzudenken, oder einen Entschluß zu fassen. Sie wußte, wie große Verbindlichkeit ihr Mann dem Marquis schuldig war, dessen Gebieth ihm diese Zuflucht vor der Welt verschafte, und in dessen Macht es stand, ihn in die Hände seiner Feinde zu verrathen. Auch zweifelte sie nicht, daß der Marquis dazu fähig seyn würde, wenn man ihn reizte; doch glaubte sie, La Motte müßte bey einer solchen Gelegenheit einen Ausweg finden können, ohne seine Ehre Preis zu geben.

Nach einiger Überlegung wurde ihr Gemüthe ruhiger, und sie ging in ihr Schlafzimmer zurück, wohin La Motte ihr bald folgte. Doch waren ihre Lebensgeister jetzt nicht in der Verfassung, sich entweder seinem Unwillen oder seinem Widerspruch auszusetzen, welches beydes sie nur zu gewiß erwarten mußte, wenn sie die Ursache ihrer Bekümmerniß erwähnte; und sie beschloß es lieber bis morgen zu verschieben.

Des andern Morgens sagte sie ihrem Manne alles, was er in seinen Träumen geäußert hatte, und erwähnte noch andere Umstände, die ihn überzeugten, daß es vergeblich sey, ihr länger die Wahrheit läugnen zu wollen. Sie stellte ihm nunmehr vor, wie gut er die Schande, worein er sich zu stürzen im Begriff war, vermeiden konnte, wenn er des Marquis Gebiet verließe, und redete so warm für Adelinen, daß La Motte in finstern Schweigen über die Sache nachzudenken schien.

Allein seine Gedanken wurden bald auf ganz andere Art beschäftigt: er war sich bewußt, eine schreckliche Strafe von dem Marquis verdient zu haben, und sah wohl ein, daß er von Flucht wenig zu hoffen hatte, wenn er ihn durch Verweigerung seiner Wünsche aufbrachte: denn das Auge der Gerechtigkeit und Rache würde ihn mit unermüdeter Schärfe verfolgt haben.

La Motte dachte nach, wie er seiner Frau dieses beybringen sollte, denn er sah, daß kein andres Mittel war, ihrem edlen Mitleid für Adelinen, und den gefährlichen Folgen die er davon befürchten mußte, entgegen zu würken, als wenn er Furcht für seine Sicherheit ihm entgegen setzte; und dieses konnte er nur dadurch, daß er sie den ganzen Umfang der Übel sehn ließ, welche die Empfindlichkeit des Marquis begleiten mußte.

Das Laster hatte noch nicht so ganz sein Gewissen geschwärzt, daß nicht die Röthe der Schaam seine Wange bedeckt, und seine Zunge gestammlet haben sollte, als er im Begriff war, seine Schuld zu bekennen. Endlich, als er es unmöglich fand, das schreckliche Geheimniß zu entdecken, begnügte er sich ihr zu sagen, daß wegen einer Sache, welche zu erläutern ihn keine Bitten bewegen würden, sein Leben in des Marquis Hand sey.

»Sie sehn die Alternative,« sagte er, »wählen Sie zwischen Übeln, und wenn Sie es können, so sagen Sie Adelinen ihre Gefahr, und opfern Sie mein Leben, um sie von einer Lage zu befreyen, welche zu erlangen manchem Mädchen schmeichelhaft seyn würde.«

Frau von La Motte, in die schreckliche Nothwendigkeit gesetzt, die Verführung der Unschuld zuzulassen, oder ihren Mann dem Verderben zu widmen, versank in einen Schmerz, der ihr Innres aufs grausamste zerriß. Doch sah sie ein, daß Widerstand gegen des Marquis Absichten La Motten zu Grunde richten würde, ohne Adelinen zu helfen, und beschloß nachzugeben, und schweigend zu dulden.

Um die Zeit, wo Adeline mit ihrer Flucht umging, hatten Peters bedeutende Blicke La Motten argwöhnisch gemacht und bewogen, sie schärfer zu beobachten. Er sah sie im Vorsaal in sichtlicher Bestürzung aus einander gehn, und bemerkte sie nachher in den Kreuzgängen. So ungewöhnliche Umstände ließen ihn nicht zweifeln, daß Adeline ihre Gefahr entdeckt hätte, und mit Petern über Mittel zur Flucht zu Rathe gingen. Er stellte sich, als wüßte er die ganze Sache, beschuldigte Petern der Verrätherey, und drohte ihm mit der Rache des Marquis, wenn er nicht alles bekennte.

Diese Drohung jagte Petern in Furcht, und da er glaubte, daß doch alle Möglichkeit, Adelinen zu helfen, nunmehr vorbey sey, legte er eine umständliche Beicht ab, und versprach Adelinen nichts von der Entdeckung des Anschlags zu sagen. Bey diesem Versprechen folgte er zum Theil seiner eigenen Neigung, denn er fürchtete sich vor dem Schmerz und Unwillen, den Adeline äußern würde, wenn sie erführe, daß er sie verrathen hätte.

Am Abend des Tages, wo ihre vorgenommene Flucht heraus kam, wollte der Marquis sich auf der Abtey einfinden, und Adelinen nach seiner Villa entführen. La Motte sah auf den ersten Blick, wie sehr es ihnen zu statten kommen würde, wenn man Adelinen in dem Glauben, nicht entdeckt worden zu seyn, nach dem Grabe gehn ließe. Sie ersparten sich dadurch viel Mühe und Widerstand, und er selbst brauchte nicht die Quaal ihrer Gegenwart und ihre Vorwürfe zu leiden.

Ein Bedienter des Marquis konnte um die bestimmte Zeit sich nach dem Grabe verfügen, und in den Mantel der Nacht gehüllt, sie ruhig unter Peters Gestalt entführen. Auf solche Art kam sie ohne Widerstand nach der Villa, und entdeckte ihren Irrthum nicht eher, bis es zu spät war.

Als der Marquis anlangte, sagte ihm La Motte, der seine Besinnung nicht ganz im Rausche verloren hatte, was vorgegangen war, und was er ausgedacht hätte. Der Marquis fand es gut, und sein Bedienter wurde von der Rolle unterrichtet, die er spielen mußte, um Adelinen in seine Hände zu locken.

 

Ein tiefes Gefühl der unwürdigen Unthätigkeit, wozu sie sich bey Adelinens Sache hatte bewegen lassen, machte, daß Frau von La Motte sorgfältig ihren Anblick vermied, da sie jetzt wieder in der Abtey war. Adeline verstand ihr Betragen, und freute sich, daß ihr die Pein erspart ward, diejenige als Feindinn zu sehn, die sie einst als Freundinn liebte.

Mehrere Tage verstrichen ihr in Einsamkeit, in traurigern Rückblick auf das Vergangene und schreckliche Ahndungen der Zukunft. Theodors gefährliche Lage war der unabläßige Gegenstand ihrer Gedanken Oft athmete sie einen ängstlichen Wunsch für seine Sicherheit; oft sah sie im Kreise der Möglichkeit nach Hoffnung sich um: aber Hoffnung war aus dem Horizont ihrer Aussicht gewichen, und wenn sie erschien, ruhte sie nur auf dem Tode des Marquis, dessen Rache das sicherste Verderben drohte.

 

Der Marquis lag indessen in sehr zweifelhaftem Zustande in dem Wirthshause zu Caux. Der Arzt und der Feldscher, von welchen er keinen abschaffen, oder aus dem Dorfe lassen wollte, verfuhren nach entgegengesetzten Grundsätzen, und dem guten Mittel des einen wurde oft durch die unvernünftige Behandlung des andern entgegengewirket. Menschlichkeit allein bewegte den Arzt, seine Hülfe nicht abzuziehn.

Die Ungeduld des Marquis, die Furcht vor dem Tode und die Wallung seiner Leidenschaften verschlimmerten die Krankheit. Den einen Augenblick glaubte er sich dem Tode nahe, im andern konnte er kaum sich zurückhalten, Adelinen nach der Abtey zu folgen. So abwechselnd waren die Bewegungen in seinem Innern, und so schnell die Pläne, die einander verdrängten, daß seine Leidenschaften in stetem Kampfe lagen.

Der Arzt suchte ihn zu überzeugen, daß seine Genesung größtentheils von seiner Seelenruhe abhinge, und ihn wenigstens zu einiger Selbstbeherrschung zu bringen; allein er wurde bald durch die ungeduldigen Antworten des Marquis zu verdrüßlichem Stillschweigen gebracht.

Endlich kam der Bediente der Adelinen fortgeführt hatte, zurück, und der Marquis, der ihn an sein Bett kommen ließ, legte ihm so viele hastige Fragen in einem Athem vor, daß der Mensch sich nicht zu helfen wußte. Zuletzt zog er ein zusammengelegtes Papier aus der Tasche, welches Fräulein Adeline, wie er sagte, im Wagen hätte fallen lassen, und welches er in der Meinung, daß Ihro Gnaden es gerne lesen würden, zu sich gesteckt hatte. Der Marquis reichte begierig die Hand und empfing ein an Theodor gerichtetes Billet. Als er die Überschrift las, überwältigte die Wuth der Eifersucht ihn auf einen Augenblick so ganz, daß er unvermögend war es zu lesen.

Endlich brach er es auf und fand einige Zeilen, worin Adeline sich während Theodors Krankheit nach seinem Befinden erkundigte, und die sie ihm zu schicken wahrscheinlich durch einen Zufall verhindert war. Die zärtliche Besorgniß, die dieses Billet ausdrückte, schmerzte den Marquis bis in die Seele, und zwang ihm eine Vergleichung ihrer Gefühle bey seines Nebenbuhlers Krankheit und bey der seinigen ab.

»Um seine Genesung,« sagte er, »konnte sie ängstlich bekümmert seyn; die meinige aber fürchtet sie nur!«

Als wollte er die Pein verlängern, die diese Zeilen ihm verursachten, las er sie noch einmal; aufs neue verwünschte er sein Schicksal, und überließ sich wie gewöhnlich dem Sturm seiner Leidenschaften. Er wollte das Billet zerreissen, als ihm das Siegel in die Augen fiel, welches er sorgfältig betrachtete. Seine Wuth schien jetzt andern Betrachtungen zu weichen; er legte das Billet sorgsam in seine Brieftasche und schien einige Zeit in tiefem Nachdenken verloren.

 

Nach vielen Tagen der Hoffnung und Furcht überwand die Stärke seiner Natur die Krankheit, und er befand sich wohl genug, um verschiedene Briefe zu schreiben, wovon er einen sogleich an La Motten schickte, um ihm seine nahe Überkunft zu melden. Dieselbe Politik, die ihn bewogen hatte, seine Krankheit vor La Motte zu verbergen, ließ ihn jetzt schreiben, was, wie er selbst wußte, unmöglich war, das er den Tag nach seinem Bedienten auf der Abtey eintreffen würde. Er wiederholte seine Einschärfung, Adelinen scharf zu bewachen, und erneuerte sein Versprechen, La Mottens Dienste reichlich zu belohnen.

La Motte, dessen Verwunderung und Verlegenheit über des Marquis Abwesenheit mit jedem Tage gestiegen war, empfieng diese Nachricht mit Bekümmerniß: denn er hatte zu hoffen angefangen, daß der Marquis seine Absichten auf Adelinen aufgegeben hatte, weil entweder ein neues Abentheuer ihn beschäftigte, oder er vielleicht eine Reise nach seinen entfernten Gütern hätte unternehmen müssen: er wäre herzlich gern auf solche Art eines Handels losgeworden, der so viel Schimpf auf ihn werfen mußte.

Diese Hoffnung war nunmehr verschwunden und er befahl seiner Frau, sich zu des Marquis Empfang anzuschicken. Adeline brachte diese Tage in einem Zustande von Ungewißheit hin, den bald Hoffnung erheiterte, bald Verzweiflung schwärzte. Dieses Zögern, so weit länger, als sie erwartet hatte, schien zu beweisen, daß des Marquis Krankheit gefährlich war, und wenn sie auf die Folgen seiner Genesung hinblickte, konnte sie sich nicht darüber grämen. So verhaßt war ihrer Seele der Gedanke an ihn, daß sie seinen Nahmen nicht über ihre Lippen bringen, noch an Annetten eine Frage thun mochte, die für ihre Ruhe so wichtig war.

Ohngefähr eine Woche, nachdem La Motte des Marquis Brief empfangen hatte, sah Adeline aus ihrem Fenster einen Trupp zu Pferde die Allee herab sprengen, und erkannte den Marquis mit seinen Begleitern. Sie zog in einem Seelenzustande, der keine Beschreibung leidet, sich vom Fenster zurück, sank in einen Stuhl, und war sich eine zeitlang kaum der Gegenstände um sie her bewußt.

Als sie von ihrem ersten Schrecken sich erhohlt hatte, schwankte sie wieder ans Fenster; sie konnte die Reiter jetzt nicht sehen, hörte aber aus dem Trampeln der Pferde, daß der Marquis sich nach dem großen Thor der Abtey geschwenkt hatte. Sie flehte den Himmel um Schutz und Stärkung, und setzte mit etwas beruhigter Seele sich wieder, um den Ausgang abzuwarten.

La Motte empfing den Marquis mit Äußerungen der Verwunderung über seine lange Abwesenheit, worauf dieser bloß erwiederte, daß Krankheit ihn abgehalten hatte, und sogleich nach Adelinen fragte. Es hieß, sie wäre in ihrem Zimmer, und könnte sogleich gerufen werden, wenn er sie zu sehn verlangte. Der Marquis besann sich, sagte aber endlich, es wäre nicht nöthig, man sollte sie nur genau bewachen.

»Vielleicht, gnädiger Her,« sagte La Motte lächelnd, »ist Adelinens Hartnäckigkeit Ihrer Liebe zu mächtig gewesen; Sie scheinen nicht mehr den vorigen Antheil an ihr zu nehmen.«

»O nicht doch,« erwiederte der Marquis; »ich nehme wo möglich, mehr Antheil an ihr als je: in der That so viel, daß ich sie nicht zu scharf bewacht wissen kann, und deswegen ersuche ich Sie, La Motte, niemand zu ihr zu lassen, wenn Sie nicht selbst sie beobachten können. Ist das Zimmer, wo sie sich aufhält, hinlänglich verwahrt?«

La Motte bejahte es, äusserte aber zugleich den Wunsch, daß man sie nach der Villa bringen möchte:

»Wann sie auf eine oder die andere Art Mittel fände zu entwischen,« sagte er, »so weiß ich, was mir von Ihrem Unwillen, gnädiger Herr, bevorstehn würde; und dieser Gedanke hält mich in steter Angst.«

»Für jetzt kann sie nicht dorthin gebracht werden; sie ist hier sicherer: und Sie haben Unrecht, sich mit Besorgnissen wegen ihrer Entwischung zu ängstigen, wenn ihr Zimmer wirklich so gut verwahrt ist, als Sie vorgeben.«

»Ich kann keinen Bewegungsgrund haben, Sie hierin zu hintergehn, gnädiger Herr!«

»Ich habe Sie auch wegen keines in Verdacht; bewachen Sie sie nur sorgfältig, und glauben Sie mir, daß sie nicht entwischen wird. Ich kann mich auf meinen Bedienten verlassen, und wenn Sie es lieber sehn, soll er hier bleiben.«

La Motte hielt es nicht für nöthig, und es wurde beschlossen, ihn nach Hause zu schicken.

Der Marquis unterhielt sich ohngefähr eine halbe Stunde mit La Motte, und verließ dann die Abtey, von welcher Adeline ihn mit einer Mischung von Verwunderung und dankbarer Freude, ihr fast zu mächtig ward, abreisen sah. Sie hatte jeden Augenblick in Erwartung geschwebt, herunter gerufen zu werden, und sich mit Entschlossenheit zu waffnen gesucht, um seinem Anblick entgegen zu gehn. Sie hatte auf jeden Laut, der von unten herauftönte, auf jeden Fußtritt gehorcht, und ihr Herz klopfte von steter Furcht, daß La Motte hereintreten würde, um sie zu dem Marquis zu führen. Dieser Zustand ängstlicher Quaal hatte beynahe länger gedauert, als sie auszuhalten vermochte, als sie Stimmen unter ihrem Fenster hörte, und da sie aufstand, den Marquis fortreiten sah.

Nachdem sie der Freude und Dankbarkeit, die ihr Herz schwellten, Raum gegeben hatte, suchte sie sich dieses Fortgehn zu erklären, das nach allem vorgefallnen allerdings befremdend war. Sie konnte es nicht ergrübeln, und nach langem fruchtlosen Nachsinnen, ließ sie den Gegenstand fahren und suchte sich zu überreden, daß es nur etwas Gutes bedeuten konnte.

Die Zeit, wo La Motte gewöhnlich erschien, war jetzt nahe, und Adeline erwartete ihn, mit der zitternden Hoffnung, zu hören, daß der Marquis von seiner Verfolgung abgestanden sey; allein La Motte war wie gewöhnlich mürrisch und schweigend, und erst als er im Begriff war, wieder hinaus zu geben, faßte Adeline Muth ihn zu fragen, wenn er den Marquis wieder erwartete.

La Motte antwortete, die Thüre in der Hand, »Morgen,« und Adeline, die Furcht und Delikatesse verlegen machte, sah, daß sie nichts von Theodor erfahren konnte, ausser durch gerades Fragen: sie sah aus als wollte sie reden; La Motte stand still; allein sie erröthete und schwieg wieder, bis sie als er hinaus gehen wollte, ihn schwach zurück rief:

»Ich wollte nach dem unglücklichen Capitain fragen,« sagte sie, »der durch sein Bemühen mich zu retten, des Marquis Rache gereitzt hat. Hat der Marquis nichts von ihm erwähnt?«

»Allerdings und Ihre Gleichgültigkeit gegen den Marquis ist nun hinlänglich erläutert.

»Eben so gut, als ich Unwillen gegen die empfinden muß, welche mich beleidigen,« sagte Adeline ernsthaft, »wird es mir auch vergönnt seyn, denjenigen dankbar zu seyn, die mir Dienste leisten. Hätte der Marquis meine Achtung verdient, so würde er sie wahrscheinlich erlangt haben.«

»Gut, gut,« fiel La Motte ein, »dieser junge Held, Ihr Theodor, der wie es scheint, tapfer genug gewesen ist, sich an seinem Obristen zu vergreifen, ist in guter Verwahrung, und wird, wie ich nicht zweifle, bald den Preis seines Donquischottismus empfangen.«

Unwillen, Schmerz und Furcht kämpften in Adelinens Brust; sie verachtete es, La Motten Gelegenheit zu geben, noch einmahl Theodors Nahmen zu entweihn; doch trieb die Ungewißheit, worunter sie erlag, sie zu der Frage, ob der Marquis von ihm gehört hätte, seit er Caux verlassen.

»Ja,« sagte La Motte, »er ist sicher nach seinem Regiment gebracht, wo er verhaftet wird, bis der Marquis dem Verhör gegen ihn beywohnen kann.«

Adeline hatte weder Lust noch Muth, weiter zu fragen, und als La Motte das Zimmer verließ, blieb sie dem Schmerze, den er erneut hatte, überlassen. Wiewohl diese Nachricht keine neue Bestätigung ihres Unglücks enthielt, (denn sie hörte nun, was sie lange erwartet hatte) schien doch eine neue Last von Kummer auf ihr Herz zu fallen, und sie wurde gewahr, daß sie ohne es zu wissen, der heimlichen Hoffnung nachgehangen hatte, daß Theodor entwischen würde, ehe er seinen Bestimmungsort erreichte.

Jetzt war alle Hoffnung verschwunden, er schmachtete im Elend eines Kerkers und unter den Quaalen seiner Besorgnisse für sein eignes Leben, und für ihre Sicherheit. Sie mahlte sich das dunkle feuchte Gefängniß, wo er lag, mit Ketten beladen, bleich vor Krankheit und Kummer; sie hörte ihn in einer Stimme, die auf ihrem Herzen zitterte, ihren Nahmen rufen, und in stummen Flehn seine Hände zum Himmel aufheben: sie sah die Todesangst auf seinem Gesicht; die Thränen, die langsam seine Wangen hinab rollten, und erinnerte sich zugleich des Edelmuths, der ihn in diesen Abgrund des Elendes gestürzt; erinnerte sich, daß sie es war, um die er litt, – ihr Schmerz stieg zur Verzweiflung – ihre Thränen versiegten, und sie sank in einen Zustand schrecklicher Betäubung.

Der Marquis kam den andern Morgen und ging fort wie den Tag zuvor. Mehrere Tage verstrichen, ohne daß er sich wieder sehn ließ, bis er eines Abends, als La Motte und seine Frau in ihrem gewöhnlichen Zimmer saßen, hereintrat. Er sprach eine Weile von allgemeinen Gegenständen, verfiel aber bald in tiefes Nachdenken, stand auf, und zog La Motten ans Fenster.

»Ich möchte Sie gern allein sprechen, wenn Sie Zeit haben,« sagte er; »sonst aber kann es ein andermal geschehn.«

La Motte versicherte ihn, er habe vollkommen Zeit und wollte ihn in ein anderes Zimmer führen, allein der Marquis schlug einen Spaziergang ins Holz vor. Sie gingen zusammen fort, und als sie einen einsamen Platz erreicht hatten, wo die ausgebreiteten Zweige der Eiche und Buche die Schatten der Dämmerung vertieften, und eine feyerliche Dunkelheit rings umher verbreiteten, wandte sich der Marquis zu La Motten und redete ihn mit folgenden Worten an:

»Sie befinden sich in einer unglücklichen Lage, La Motte; diese Abtey ist ein trauriger Aufenthalt für einen Mann Ihres Gleichen, der Gesellschaft liebt und Talente besitzt, sie zu schmücken.« –

La Motte verneigte sich –

»Ich wünschte, Sie der Welt wieder geben zu können,« fuhr der Marquis fort, »und vielleicht könnte Ihnen mein Einfluß wirklich nützen, wenn ich von den nähern Umständen, die Sie daraus vertrieben haben, unterrichtet wäre. Mich dünkt von Ihnen verstanden zu haben, daß es eine Ehrensache war?« –

La Motte schwieg. –

»Ich möchte Sie nicht gern in Verlegenheit setzen; und es ist nicht gewöhnliche Neugier, die mir diese Fragen eingibt, sondern der aufrichtige Wunsch, Ihnen zu dienen. Sie haben mir schon einiges von Ihren Umständen gesagt: ich denke, Ihre Lebhaftigkeit verleitete Sie zu Ausgaben, die Sie nachher durchs Spiel zu bestreiten suchten.«

»Ja, gnädiger Herr, ich verschleuderte den größten Theil eines ansehnlichen Vermögens in üppigen Befriedigungen, und ergriff nachher unwürdige Mittel, es wieder zu gewinnen – allein ich wünschte, daß Sie mich dieses Gespräch überhöben. Wo möglich möchte ich die Erinnerung an eine Handlang verlieren, die meine Ehre auf immer beflecken muß, und deren harte Folgen zu mildern, wie ich fürchte, nicht in Ihrer Macht ist.«

»Darin könnten Sie sich doch vielleicht irren: mein Einfluß bey Hofe ist nicht gering. Fürchten Sie von mir keinen strengen Tadel: es ist nicht mein Fehler, hart über andere zu urtheilen. Ich weiß, was man den Umständen zu gute halten muß, und ich denke, La Motte, Sie haben mich bisher als Ihren Freund gefunden.«

»Das habe ich gewiß, gnädiger Herr!«

»Und wenn Sie sich erinnern, daß ich eine gewiße Sache aus spätern Zeiten vergeben könnte –«

»Gnädiger Herr, erlauben Sie mir zu sagen, daß ich Ihre Großmuth tief fühle. Die Handlung, deren Sie erwähnen, ist die schlimmste meines Lebens, und was ich außerdem zu erzählen habe, kann mich folglich in Ihrer Meinung nicht tiefer herabsetzen: Nachdem ich den größten Theil meines Vermögens in wollüstigen Vergnügungen verschwendet hatte, suchte ich im Spiel die Mittel, ihren Genuß zu verlängern. Ein anhaltendes Glück setzte mich eine Zeitlang dazu in Stand, und da es meine feurigsten Erwartungen begünstigte, fuhr ich auf dieser Laufbahn fort.

Bald aber zerstörte eine plötzliche Wendung des Glücks meine Hoffnungen, und brachte mich auf den äußersten Punct. In einer Nacht verminderte sich meine Casse bis auf zweyhundert Louisd'or. Auch diese beschloß ich zu wagen, und mein Leben mit ihnen. Denn ich war entschlossen, ihren Verlust nicht zu überleben. Nie werde ich das Schreckliche des Augenblicks vergessen, an dem mein Schicksal hing; nie die Todesangst, die mein Herz ergriff, als der letzte Einsatz dahin war! Ich stand eine Weile in gänzlicher Betäubung, bis das Gefühl meines Unglücks erwachte, und ich meinen Zorn in Flüchen gegen meine glücklichen Nebenbuhler, und in allem Wahnsinn der Verzweiflung austoben ließ. Während dieses Anfalls von Tollheit näherte sich mir ein Mann, der still schweigend alles, was vorging, beobachtete. – ›Sie sind unglücklich, mein Herr,‹ sagte er – ›Ich bedarf dieses nicht zu hören, mein Herr!‹ antwortete ich.

›Man hat Ihnen vielleicht übel mitgespielt,‹ fuhr er fort – ›Ja mein Herr, ich bin zu Grunde gerichtet, und kann also wohl sagen, daß mir übel mitgespielt ist.‹

›Kennen Sie Ihre Mitspieler?‹ – ›Nein, aber ich habe sie in den ersten Gesellschaften getroffen.‹ – ›Dann irre ich wahrscheinlich,‹ sagte er und ging fort.

Diese letzten Worte machten mich aufmerksam, und erregten die Hoffnung in mir, daß mein Geld vielleicht nicht auf ehrliche Art verloren wäre. Ich wünschte nähere Aufklärung und ging dem Manne nach, allein er war schon fort. Ich suchte meine Hitze zu unterdrücken, ging wieder an den Tisch, wo ich mein Geld verloren hatte, stellte mich hinter den Stuhl eines der Leute, die es gewonnen, und beobachtete das Spiel genau. Eine Zeitlang sah ich nichts, das meinen Verdacht bestätigen konnte, endlich aber wurde ich überzeugt, daß er gerecht war D. h., zu Recht bestand. ( D. Hrsg.).

Nach geendigtem Spiel rief ich einen meiner Gegner heraus, und sagte ihm was ich bemerkt hatte, indem ich zugleich drohte, ihn augenblicklich preis zu geben, wenn er mir mein Geld nicht wieder schaffte. Er war eine Zeitlang eben so bestimmt als ich, spielte den Bravo und drohte mich für meine schimpflichen Behauptungen zu züchtigen.

Ich war indessen nicht in der Stimmung, mich so leicht schrecken zu lassen, und sein Betragen brachte meinen Zorn, der ohnehin durch mein Unglück schon entflammt war, aufs Höchste. Ich gab ihm seine Drohungen zurück, und war im Begriff ins Zimmer zurück zu gehen und öffentlich zu sagen, was geschehen war, als er mit verstelltem Lächeln und gemäßigter Stimme mich bat, nur einige Augenblicke zu warten, und ihn mit seinem Mitspieler reden zu lassen.

Dieß letzte war ich nicht willens zu gestatten, allein indem trat der Herr selbst herein. Sein Mitspieler erzählte ihm in wenig Worten, was zwischen uns vorgegangen war, und das Schrecken auf seinem Gesicht verrieth genugsam sein Bewußtseyn der Schuld.

Sie gingen bey Seite, und nach einem leisen Gespräch kamen sie mit dem Antrage eines Vergleichs, wie sie es nannten, zu mir. Ich wollte nichts von der Art hören, und schwur hoch und theuer, daß ich nichts geringers als die ganze verlorne Summe annehmen würde. – ›Wäre es nicht möglich, mein Herr, Ihnen etwas eben so vortheilhaftes als das Ganze, anzubiethen?‹ – Ich verstand ihre Meinung nicht; und nach einigen entfernten Winken von der nehmlichen Art, fanden sie für gut; sich deutlich zu erklären.

Da sie ihre Ehre ganz in meiner Gewalt sahen, wünschten sie mich zu sichern und sagten mir, sie gehörten zu einer Gesellschaft, die auf Kosten der Thorheit und Unerfahrenheit Anderer lebte; worauf sie mir antrugen, ihnen beyzutreten. Meine Umstände waren schlecht genug, und dieser Vorschlag konnte mir nicht nur unmittelbare Aushülfe verschaffen, sondern mich auch in Stand setzen, die ausschweifenden Vergnügungen wieder zu genießen, woran anfangs Leidenschaft und nachher lange Gewohnheit mich kettete. Ich wurde mit ihnen eins – und sank vom zerstreuten Leben in Schande.«

La Motte hielt inne, als wenn die Erinnerung dieser Zeiten ihn mit Vorwürfen erfüllte. Der Marquis verstand sein Gefühl.

»Sie urtheilen zu hart von sich selbst,« sagte er, »es gibt wenig Menschen, mögen sie auch einen noch so großen Anstrich von Redlichkeit haben, die unter solchen Umständen anders würden gehandelt haben. Die strenge Tugend, welche Sie verdammen würde, mag sich immerhin mit dem Nahmen Weisheit brüsten – ich mag sich nicht. Möge sie immerhin da wohnen, wo sie meistens gefunden wird, in den kalten Herzen derer, die, da Menschengefühl ihnen fehlt, sich mit dem Titel Philosophen schmücken. – Aber fahren Sie fort –«

»Unser Glück war eine zeitlang unbegrenzt: denn wir hielten das Rad der Göttinn und trauten ihren Launen nicht. Unbesonnen und wollüstig von Natur hielten meine Ausgaben gleichen Schritt mit meiner Einnahme. Endlich aber machte ein junger Deutscher eine unglückliche Entdeckung unsers Verfahrens, welche uns in die Nothwendigkeit setzte, auf einige Zeit mit äußerster Vorsicht zu Werke zu geben. Es würde langweilig seyn, Ihnen alle Umstände zu erzählen, die uns endlich so verdächtig machten, daß durch die entfernte Höflichkeit und kalte Zurückhaltung unserer Bekannten, uns die öffentlichen Gesellschaften sowohl unangenehm, als unnütz wurden. Wir dachten auf andre Mittel Geld zu bekommen, und eine sehr mißliche Verhandlung von hohem Belang, worauf ich mich unglücklicher Weise einließ, zwang mich bald Paris zu verlassen. Sie wißen das übrige, gnädiger Herr!«

La Motte schwieg, und der Marquis dachte eine Weile nach.

»Sie sehen, gnädiger Herr,« fing La Motte endlich wieder an, »Sie sehen, daß meine Lage hoffnungslos ist.«

»Schlimm ist sie allerdings, aber nicht ganz hoffnungslos. Ich bedaure Sie von ganzem Herzen. Doch glaube ich, wenn Sie in die Welt zurückkehren, und es darauf ankommen lassen wollten, Sie durch meinen Einfluß bey dem Minister vor schwerer Strafe schützen zu können. Allein Sie scheinen den Geschmack an Gesellschaft verloren zu haben, und vielleicht ist es nicht mehr ihr Wunsch, zu ihr zurückzukehren?

»Ach gnädiger Herr, können Sie daran zweifeln? – Aber das Übermaß Ihrer Güte beschämt mich. Wollte der Himmel, ich könnte Ihnen die Dankbarkeit beweisen, welche sie in mir erregt!«

»Reden Sie nicht von Güte,« versetzte der Marquis. »Ich will nicht behaupten, daß mein Wunsch, Ihnen zu dienen, von allem Eigennutz frey ist. Ich mache keinen Anspruch darauf, mehr als Mensch zu seyn, und glauben Sie mir, diejenigen, die es thun, sind, weniger. Sie haben es in Ihrer Macht, mir Ihren Dank zu bezeugen, und mich auf immer zu gewinnen.« –

Er schwieg.

»Sagen Sie mir nur wodurch,« rief La Motte, »sagen Sie mir wodurch, und wenn es in den Grenzen der Möglichkeit liegt, soll es geschehen.«

Der Marquis schwieg noch.

»Zweifeln Sie an meiner Aufrichtigkeit, gnädiger Herr, weil Sie schweigen? Fürchten Sie dem Manne Ihr Vertrauen zu schenken, den Sie bereits mit Verbindlichkeiten überhäuft haben, der durch ihre Schonung, ja fast nur durch Ihre Unterstützung lebt?«

Der Marquis sah ihn ernsthaft an, ohne aber zu reden.

»Ich habe dieß nicht von Ihnen verdient, gnädiger Herr, sprechen Sie, ich beschwöre Sie!«

»Es gibt gewisse Vorurtheile, die dem menschlichen Gemüth eingewurzelt sind,« sagte der Marquis mit langsamer, feyerlicher Stimme, »Vorurtheile, welche nicht auf unsre Glückseligkeit einwirken zu lassen, alle unsre Weisheit erfordern wird; gewisse eingeführte Begriffe die wir in der Kindheit einsaugen, und unwillkührlich mit dem Alter nähren: die in uns aufschießen und einen so trüglichen Schein annehmen, daß wenig Menschen in sogenannten civilisirten Ländern sich nachher davon losreißen können. Wahrheit wird oftmahls durch Erziehung verdreht. Während der verfeinerte Europäer sich rühmt; ein Maasstab der Ehre, ein erhabenes Muster der Tugend zu seyn, die ihn oft vom Vergnügen zum Elend, von der Natur zu Abirrungen führt, folgt der einfache, unaufgeklärte Amerikaner den Eingebungen seines Herzens, und gehorcht dem Triebe natürlicher Weisheit.«

Der Marquis hielt inne, und La Motte horchte mit begieriger Erwartung.

»Die von keiner falschen Verfeinerung befleckte Natur,« fuhr der Marquis fort, »handelt allenthalben bey wichtigen Vorfällen des Lebens sich gleich. Der Indianer entdeckt, daß sein Freund treulos ist, und ermordet ihn: der wilde Asiate macht es eben so: der Türke, wenn Ehrgeitz ihn befeuert, oder Rache ihn reitzt, befriedigt seine Leidenschaft auf Kosten des Lebens und nennt es nicht Mord. Selbst der feine Italiener, von Eifersucht geleitet, oder durch starke Versuchung gelockt, zieht seinen Dolch und führt sein Vorhaben aus. Es ist der erste Beweis einer größern Seele, sich von Vorurtheilen des Landes oder der Erziehung los zu machen. Sie schweigen La Motte – sind Sie nicht meiner Meinung?«

»Ich höre, gnädiger Herr, auf Ihr Raisonnement

»Es gibt Leute, ich wiederhole es,« sagte der Marquis, »deren Geist so schwach ist, daß er vor Handlungen zurückbebt, welche sie lange als unrecht anzusehn, gewohnt waren, so nützlich sie auch seyn mögen. Sie lassen sich nie von den Umständen leiten, sondern bestimmen einen gewissen Maasstab fürs Leben, von dem sie nichts abzubringen vermag. Selbsterhaltung ist das große Gesetz der Natur. Wenn eine Fliege uns flicht, oder ein Raubthier uns droht, so suchen wir ohne Bedenken es zu vernichten. Wann mein Leben, oder was zu meinem Leben wesentlich ist, ein andres, zum Opfer fordert, ja, wenn nur eine durchaus unüberwindliche Leidenschaft es fordert, so wäre ich unsinnig, wenn ich mich bedächte. – La Motte, ich denke ich kann Ihnen trauen – es gibt gewisse Wege, gewisse Dinge zu thun – Sie verstehn mich. – Es gibt Zeiten, Umstände und Gelegenheiten – Sie begreifen, was ich meine?«

»Erklären Sie sich gnädiger Herr!«

»Freundschaftsdienste, die – mit einem Worte, es gibt Dienstleistungen, die unsre ganze Dankbarkeit heischen, und die wir nie genugsam belohnen können. Es steht in Ihrer Macht, mich in diesen Fall zu setzen.«

»In meiner Macht, gnädiger Herr? sagen Sie mir die Mittel!«

»Ich habe sie bereits genannt. Diese Abtey ist dem Vorhaben günstig, alles bleibt in ihren Mauern verborgen: sie ist dem Auge der Beobachtung verschlossen – die Stunde der Mitternacht sieht die That, und der Morgen dämmert nicht auf, sie zu enthüllen: diese Wälder sind stumm! – O La Motte, habe ich Recht, Ihnen zu trauen; darf ich glauben, daß Sie wünschen mir zu dienen und sich selbst zu erhalten?

– Der Marquis schwieg und sah starr La Motten an, dessen Gesicht die Dunkelheit des Abends fast verbarg.

»Gnädiger Herr, Sie können mir in allem trauen; erklären Sie sich deutlicher.«

»Welche Sicherheit wollen Sie mir für Ihre Treue geben?«

»Mein Leben, gnädiger Herr, ist es nicht bereits in Ihrer Hand?«

Der Marquis zögerte, und sagte dann:

»Morgen um diese Zeit werde ich wieder hier seyn, und mich Ihnen erklären, wenn Sie mich wirklich noch nicht verstanden haben sollten. Sie mögen indessen Ihre Entschlossenheit prüfen und sich bereiten, entweder meinem Plan beyzutreten, oder das Gegentheil zu erklären.«

La Motte gab eine verwirrte Antwort.

»Adieu bis Morgen,« sagte der Marquis. »Bedenken Sie, daß Freyheit und Überfluß jetzt vor Ihnen liegt!«

Er ging nach der Abtey zu, stieg zu Pferde, und ritt mit seinen Bedienten davon.

La Motte schlich langsam und tiefsinnig nach Hause.



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