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Eilftes Kapitel.

Adeline wartete ängstlich vor ihrem Kammerfenster ab, bis die Sonne hinter den fernen Hügeln verschwand, und die Zeit ihrer Abreise nahe kam: sie ging mit ungewöhnlichem Glanze unter, und warf einen feurigen Schein über die Wälder und auf einige zertrümmerte Ruinen, die sie nicht mit Gleichgültigkeit ansehen konnte.

»Nimmer,« sagte sie, »nimmer werde ich die Sonne unter diesen Hügeln wieder versinken, oder diese Gegend erleuchten sehen! Wo werde ich seyn, wann sie wieder untergeht? vielleicht im Elende versunken? – Noch wenig Stunden und der Marquis wird kommen, wenig Stunden und diese Abtey wird sich in eine Scene des Aufruhrs und der Verwirrung verwandeln; jedes Auge nach mir forschen, jeder Winkel ausgespäht werden.«

Diese Betrachtungen flößten ihr neuen Schrecken ein, und verstärkten ihre Ungeduld, sich zu entfernen.

Nach und nach kam die Dämmerung heran, und sie glaubte es nun dunkel genug, sich herauszuwagen; ehe sie aber ging, kniete sie nieder, und betete zum Himmel. Sie flehte um Schutz und Stärkung, und gab sich dem Gott der Barmherzigkeit hin.

Dann verließ sie ihr Zimmer, und ging mit behutsamen Schritten die Treppe hinab. Niemand ließ sich sehen, und sie ging durch die Thüre des Thurms in den Wald. Sie sah sich rings umher: die Dunkelheit des Abends hüllte alle Gegenstände ein.

Mit klopfendem Herzen suchte sie den Weg, den Peter ihr gezeigt hatte, und ging furchtsam und verlassen darauf fort. Oft fuhr sie zusammen, wenn der Wind das lose Laub schüttelte, oder die Fledermaus durch die Dämmerung schwirrte, und noch öfter glaubte sie im Zurücksehen nach der Abtey Gestalten von Menschen durch die immer dichter werdende Finsterniß zu erkennen.

Nachdem sie eine Weile fortgegangen war, hörte sie plötzlich Pferde trampeln, und kurz darauf den Laut von Stimmen, worunter sie bald den Marquis erkannte, sie schienen aus der Gegend zu kommen, der sie zuging, und drangen immer näher. Schrecken hielt einige Minuten über ihre Schritte gefesselt; sie stand in ängstlicher Unentschlossenheit – weiter zu gehen; hieß dem Marquis in die Hände laufen; umkehren, sich in La Mottens Gewalt liefern.

Nachdem sie eine Weile unschlüssig gewesen war, wohin sie fliehen sollte, nahmen plötzlich die Töne eine andere Richtung, und die Gesellschaft trabte auf die Abtey zu. Adelinens Schrecken verschwand nun auf kurze Zeit. Sie sah jetzt, daß der Marquis nur auf seinem Wege nach der Abtey hier vorbey gekommen war, und eilte, sich in den Ruinen zu verstecken.

Endlich mit vieler Mühe fand sie sich dahin: denn die tiefen Schatten verbargen sie beynahe vor ihrem Suchen. Sie stand beym Eingange still, geschreckt durch die Feyerlichkeit, die von innen herrschte, und durch die gänzliche Dunkelheit des Orts; endlich beschloß sie, außen zu warten, bis Peter käme.

»Wenn Leute kommen,« sagte sie, »so kann ich sie hören, ehe sie mich sehen, und mich dann in der Zelle verbergen.«

In zitternder Erwartung lehnte sie sich an die Trümmer des Grabes und kein Laut brach das Schweigen der Stunde. Die Crisis ihres Schicksals hing an diesem Augenblick.

»Jetzt,« dachte sie, »hat man meine Flucht entdeckt; jetzt sucht man mich in jedem Winkel der Abtey. Ich höre ihre schrecklichen Stimmen mich rufen; ich sehe ihre feurigen Blicke!«

Die Macht der Einbildungskraft überwältigte sie beynahe; auf einmahl sah sie in einiger Ferne Lichter sich bewegen: oft schimmerten sie zwischen den Bäumen; oft verschwanden sie gänzlich.

Sie schienen in gleicher Richtung mit der Abtey zu seyn, und sie besann sich nun, diesen Morgen durch eine Öffnung des Waldes einen Theil des Gebäudes gesehen zu haben. Sie zweifelte also nicht, daß diese Lichter von Leuten kämen, welche sie suchten, und, wie sie fürchtete, ihren Weg nach dem Grabe nehmen könnten, wenn sie in der Abtey sie nirgends fänden. Ihre Zuflucht schien ihr nun ihren Feinden zu nahe, um sicher zu seyn, und sie wäre gern in eine entlegnere Gegend des Waldes geflohen, hätte sie sich nicht besonnen, daß Peter sie nicht würde zu finden wissen.

Während diese Gedanken durch ihre Seele fuhren, hörte sie ferne Stimmen im Winde, und eilte, sich in der Zelle zu verbergen, als sie die Lichter plötzlich verschwinden sah. Alles war wieder in Dunkelheit und Schweigen gehüllt, doch bemühte sie sich, den Weg nach der Zelle zu finden. Sie besann sich auf die Lage der äußern Thüre und des Ganges und erreichte glücklich die Thüre der Zelle. Es war stockfinster darin; sie zitterte heftig, ging aber doch hinein, und nachdem sie an den Wänden herumgetappt hatte, setzte sie sich endlich auf einen hervorragenden Stein.

Hier wandte sie sich wieder zum Himmel und suchte ihre Lebenskraft anzufeuern, bis Peter käme. Über eine halbe Stunde verstrich in dieser finstern Höhle, und kein Laut verkündigte seine Annäherung. Ihre Lebensgeister erlagen, sie fürchtete, ein Theil ihres Plans möchte entdeckt oder vereitelt seyn, und La Motte ihn zurückhalten. Diese Überzeugung wirkte zu Zeiten so stark auf ihre Furcht, daß sie einen Drang fühlte, die Zelle allein zu verlassen, und in der Flucht das einzige Rettungsmittel zu suchen.

Während dieser Vorsatz in ihrer Seele schwebte, vernahm sie von oben den Schall eines Pferdehufs. Das Geräusch kam näher, und hielt endlich bey dem Grabe an. Gleich darauf vernahm sie drey Peitschenschläge; ihr Herz klopfte, und einige Augenblicke war sie in so großer Bewegung, daß sie keinen Schritt thun konnte, um die Zelle zu verlassen.

Die Schläge wurden wiederholt; sie rafte ihren Muth auf, ging hervor und rief: »Peter!« denn die Finsterniß ließ ihr nicht zu, weder Mann noch Pferd zu unterscheiden. Sie erhielt schnell zur Antwort:

»Still Fräulein, unsere Stimmen werden uns verrathen.«

Sie stiegen auf und ritten so schnell davon, als die Dunkelheit es zuließ. Adelinens Herz lebte bey jedem Schritte, den sie weiter kamen, auf. Sie fragte, wie es auf der Abtey abgelaufen, und wie er fortgekommen wäre?

»Sprechen Sie leise, Fräulein, Sie sollen alles erfahren; jetzt nur still!«

Kaum hatte er dieß gesagt, als sie Lichter in der Ferne sahen; und da sie jetzt an eine offne Stelle des Waldes kamen, setzte er das Pferd in Gallop und jagte fort, bis es nicht länger konnte. Sie sahen sich um, und da sie keine Lichter wahrnahmen, ließ Adelinens Schrecken nach.

Sie fragte wieder, was auf der Abtey vorgegangen sey, und wie bald man ihre Flucht entdeckt hätte?

»Er kann ohne Furcht reden?« sagte sie, »ich hoffe, wir sind jetzt vor ihnen sicher.«

»Nun Fräulein, Sie waren noch nicht lange fort, als der Marquis kam, und Herr von La Motte entdeckte, daß Sie entwischt wären. Hierauf entstand ein großer Aufruhr, und er sprach viel mit dem Marquis.«

»Rede Er doch lauter, ich kann Ihn nicht verstehen.«

»Das will ich Fräulein! –«

»Himmel, was ist das für eine Stimme! Dieß ist nicht Peter. Um Gotteswillen, wer seyd Ihr, und wohin werde ich gebracht?«

»Das werden Sie bald genug erfahren, junges Fräulein,« antwortete der Fremde, denn es war würklich nicht Peter, »ich bringe Sie dahin, wo mein Herr befiehlt.«

Adeline, die nun nicht länger zweifelte, daß es ein Bedienter des Marquis sey, versuchte herunter zu springen; allein der Mensch stieg ab, und band sie ans Pferd. Ein schwacher Strahl von Hoffnung dämmerte endlich in ihr auf: sie bemühte sich, ihn zum Mitleid zu bewegen, und sprach mit aller Beredsamkeit des Schmerzes: aber er verstand seinen Vortheil zu gut, um nur einen Augenblick dem Mitleid Gehör zu geben, welches, trotz seiner selbst, ihr kunstloses Flehen in ihm erregte. –

Sie gab sich nun der Verzweiflung hin, und unterwarf sich in leidendem Stillschweigen ihrem Schicksal. Auf diese Art setzten sie ihre Reise fort, bis ein Regensturm, von Blitz und Donner begleitet, sie unter den Schutz dichter Bäume trieb. Der Mensch hielt das für eine sichere Lage, und Adeline war jetzt zu unbekümmert um ihr Leben, um ihm seinen Irrthum zu sagen.

Der Sturm war heftig und hielt lange an; sobald er sich aber legte, sprengten sie in vollem Gallop davon, und nachdem sie wohl zwey Stunden zurückgelegt hatten, kamen sie an die Gränze des Waldes, und bald nachher an eine hohe, einsame Mauer, die Adeline nur eben beym Mondlicht unterschied, welches jetzt durch die sich zertheilenden Wolken schimmerte.

Hier hielten sie still: der Mensch stieg ab, und nachdem er eine kleine Thüre in der Mauer geöffnet hatte, band er Adelinen los, die einen unwillkührlichen und unnützen Schrey that, als er sie vom Pferde herunter hob. Die Thüre stieß auf einen schmalen Gang, schwach erleuchtet von einer Lampe, die am andern Ende hing. Er führte sie weiter: sie kamen zu einer andern Thüre und traten nun in einen großen prächtigen Saal, der hell erleuchtet und im feinsten Geschmack verziert war.

Die Wände waren in Fresco, mit Ovidischen Scenen gemahlt, und mit aufgezogener reich mit Franzen besetzter Seide behangen. Die Sofas waren von gleicher Seide. Aus dem Plafond, der eine Scene aus Tassos Armide vorstellte, stieg ein silberner Kronleuchter herab, und verbreitete eine Flamme von Licht, die aus großen Spiegeln zurückstrahlte, und den ganzen Saal erhellte. Büsten von Horaz, Ovid, Anacreon, Tibull und andern Dichtern schmückten die Ecken, und Blumen aus prächtigen Vasen hervorragend; hauchten die köstlichsten Wohlgerüche aus.

In der Mitte des Zimmers stand ein kleiner Tisch; mit Früchten, Eis und Getränken besetzt. Niemand erschien – das Ganze schien das Werk der Bezauberung und glich mehr dem Pallast einer Fee, als einer Wohnung von menschlichem Bau.

Adeline fragte voll Erstaunen den Mann, wo sie wäre, allein er weigerte sich ihr zu antworten, und nachdem er sie gebethen hatte, einige Erfrischungen zu nehmen, verließ er sie. Sie ging ans Fenster, wo ein Mondstrahl ihr einen großen Garten entdeckte, in welchem Lustwäldchen und Rasenplätze und Wasser das im Mondenlichte glänzte, eine mannigfache, romantisch schöne Scene bildete.

»Was kann dieß bedeuten?« fragte sie sich. »Ist dieß ein Zauber, mich ins Verderben zu locken?«

Sie bemühte sich, in der Hoffnung, zu entwischen, die Fenster zu öffnen, allein sie waren alle befestigt: sie versuchte es bey den Thüren; auch diese waren verwahrt.

Da sie sah, daß alle Möglichkeit zu entkommen, vergebens war, blieb sie eine Zeitlang in Kummer und Nachdenken versunken; wurde aber bald durch die Töne einer sanften Musik erweckt, die so süße, zauberische Melodien hauchte, daß der Schmerz wich, und die Seele zu Zärtlichkeit und süssem Gefühl erweckt ward. Adeline lauschte voll Erstaunen und fühlte sich unmerklich gesänftigt und angezogen; eine süsse Schwermuth schlich sich in ihr Herz und überwand jedes herbere Gefühl: allein so wie die Harmonie aufhörte, verschwand der Zauber und das Bewustseyn ihrer Lage kehrte wieder.

Aufs neue ertönte die Musik, und aufs neue gab sie ihrer süssen Magie nach. Eine weibliche Stimme, von einer Flöte und einigen andern Instrumenten begleitet, schwoll nach und nach zu einer so hinreißenden Höhe, daß die Aufmerksamkeit in Entzücken stieg. Allmählig sank sie wieder und berührte einige einfache Töne mit rührender Sanftheit, als plötzlich das Tonmaß sich veränderte, und eine leichte, lebhafte Arie angestimmt ward.

Die Musik hörte auf, aber die Melodie schwebte noch immer vor ihrer Fantasie und sie versank in die süsse Erwartung, die sie ihr eingehaucht hatte, als die Thüre sich öffnete, und der Marquis de Montalt herein trat. Er näherte sich dem Sofa, wo Adeline saß und redete sie an – allein sie hörte seine Stimme nicht; sie war in Ohnmacht gesunken. Er bemühte sich, sie wieder zu sich selbst zu bringen, und es gelang ihm endlich; so wie sie aber die Augen aufschloß, und ihn vor sich sah, fiel sie aufs neue in Fühllosigkeit zurück, und da er vergebens allerley Mittel bey ihr versucht hatte, sah er sich genöthigt, Hülfe zu rufen.

Zwey junge Mädchen kamen herein, und so bald sie wieder Leben bekam, ging er hinaus, um sie auf seinen Empfang vorbereiten zu lassen. Sobald Adeline sah, daß der Marquis fort war, und sie sich unter der Sorge von Frauenzimmern befand, kehrten ihre Lebensgeister schnell wieder; sie sah ihre Gesellschafterinnen an und erstaunte, sie so schön und elegant zu finden.

Sie machte einen Versuch, sie zum Mitleid zu bewegen, allein sie schienen völlig unempfindlich gegen ihren Schmerz zu seyn, und ergossen sich in hohe Lobpreisungen des Marquis. Sie versicherten, es würde ihre eigene Schuld seyn, wenn sie nicht glücklich wäre, und riethen ihr, sich in seiner Gegenwart so zu stellen.

Mit äusserster Mühe überwand sich Adeline, den Unwillen auszudrücken, der auf ihre Lippen stieg, und ihren Reden schweigend zuzuhören: allein sie sah, wie unangenehm und fruchtlos hier Widerstand seyn müßte, und bekämpfte ihr Gefühl.

Sie fuhren noch in ihren Lobeserhebungen des Marquis fort, als er selbst erschien und ihnen mit der Hand winkte, das Zimmer zu verlassen. Adeline sah ihn mit einer Art von stummer Verzweiflung an, indeß er zu ihr trat, und ihre Hand ergriff, die sie eilends zurückzog, sich von ihm abwandte und in einen Strom von Thränen ausbrach.

Er schwieg eine Weile und schien gerührt durch ihren Schmerz, bald aber näherte er sich wieder, redete sie mit sanfter Stimme an, und bat sie um Verzeihung wegen eines Schrittes, wozu Verzweiflung und was er Liebe nannte, ihn bewogen hätten. Sie war zu versenkt in Schmerz, um ihm zu antworten, bis er um eine Erwiederung seiner Liebe flehte, und nun Kummer dem Unwillen Platz machte und ihr Kraft gab, ihm seyn Betragen vorzuwerfen.

Er schützte vor, daß er sie lange geliebt und auf anständigen Fuß um sie geworben hätte, und wollte seinen Antrag wiederholen, als er die Augen auf Adelinen richtete, und in ihren Mienen die Verachtung las, welche zu verdienen er sich bewußt war. Auf einen Augenblick gerieth er in Verwirrung und schien zu merken, daß sowohl sein Plan entdeckt, als seine Person verachtet war: bald aber gewann er seine gewöhnliche Herrschaft über seine Züge wieder, drang aufs neue in sie, und bat um Liebe.

Ein kleines Nachdenken zeigte Adelinen, wie gefährlich es sey, seinen Stolz durch eine Erklärung der Verachtung, welche sein Heiratsantrag ihr einflößte, zu reizen; und sie hielt es nicht für unwürdig, bey einer Gelegenheit, wo die Ehre und Ruhe ihres Lebens auf dem Spiele stand, sich der Verstellung zu bedienen. Sie sah ein, daß ihre einzige Möglichkeit, seinem Vorhaben zu entgehen, in Verzögerung desselben bestand, und wünschte also, ihn bey dem Glauben zu lassen, das sie von dem Leben der Marquise und der Betrüglichkeit seiner Anträge nichts wüßte.

Er bemerkte ihr Schweigen; und aus Begierde es zu seinem Vortheil zu deuten, erneuerte er seinen Antrag mit verstärktem Feuer.

»Der morgende Tag soll uns vereinigen, liebenswürdige Adeline; morgen müssen Sie einwilligen, Marquise de Montalt zu werden. Dann werden Sie meine Liebe erwiedern, und –«

»Zuvor müssen Sie meine Achtung verdienen, gnädiger Herr.«

»Ich will es, ich verdiene sie. Sind Sie nicht in meiner Gewalt, und enthalte ich mich nicht, einen Vortheil aus Ihrer Lage zu ziehen? Mache ich Ihnen nicht die anständigsten Anträge?«

Adeline schauderte.

»Wenn Sie meine Achtung wünschen, gnädiger Herr, so suchen Sie zuvor mich vergessen zu machen, durch was für Mittel ich in Ihre Hände kam; und wenn Ihre Absichten würklich anständig sind, so beweisen Sie es dadurch, daß Sie mich meines Verhaftes entlassen.«

»Können Sie, süsses Mädchen, vor dem zu fliehen wünschen, der Sie anbetet?« erwiederte der Marquis mit studirter Zärtlichkeit. »Warum wollen Sie einen so harten Beweis meiner Uneigennützigkeit fodern, der nicht mit Liebe bestehen kann. Nein, reizende Adeline, lassen Sie mich wenigstens das Vergnügen genießen, Sie zu sehen, bis die Weihe der Kirche jedes Hinderniß meiner Liebe aus dem Wege räumt. Morgen –«

Adeline sah die Gefahr, in welcher sie schwebte, und unterbrach ihn.

» Verdienen Sie meine Achtung, gnädiger Herr, und Sie werden sie erhalten; als den ersten Schritt dazu befreyen Sie mich aus einer Verhaftung, die mich zwingt, Sie nur mit Schrecken und Widerwillen anzusehen. Wie kann ich Ihnen Betheurungen von Liebe glauben, so lange Sie zeigen, daß Ihnen nichts an meiner Zufriedenheit liegt?«

So ließ Adeline, der bisher die Künste und Ausübung der Verstellung gleich unbekannt waren, sich dazu herab, um ihren Unwillen und Verachtung zu verbergen. Allein obschon sie diese Künste nur zu dem Zwecke der Selbsterhaltung gebrauchte, bediente sie sich ihrer doch mit Widerstreben und fast mit Abscheu; ihre Seele war in Gedanken, Worten und Handlungen mit der Liebe der Tugend erfüllt, und ungeachtet der unwidersprechlichen Güte ihres Zwecks, glaubte sie doch kaum die Mittel entschuldigen zu können.

Der Marquis beharrte auf seiner Sophisterey.

»Können Sie an der Wahrheit einer Liebe zweifeln, die, um Sie zu gewinnen, selbst Ihrem Unwillen sich auszusetzen, nicht scheute? Aber habe ich nicht selbst bey dem Betragen, welches Sie verdammen, Ihr Glück zu Rathe gezogen? Ich habe Sie von einsamen und öden Trümmern nach einer fröhlichen, prächtigen Villa gebracht, wo jeder Genuß Ihnen zu Gebote steht, und wo alles Ihren Wünschen gehorchen soll.«

»Mein erster Wunsch ist von hier zu gehen; ich bitte, ich beschwöre Sie, gnädiger Herr, mich nicht länger zu halten. Ich bin eine freundlose, arme Waise, mancherley Übeln ausgesetzt, und wie ich fürchte, dem Unglück Preis gegeben. Ich möchte nicht gern unartig seyn, allein erlauben Sie mir zu sagen, daß kein Elend dasjenige übersteigen kann, was ich hier fühle, oder eigentlicher allenthalben, wo ich mit Ihren Anträgen verfolgt werde.«

Adeline hatte jetzt ihre Politik vergessen. Thränen verhinderten sie, weiter zu reden, und sie wandte das Gesicht ab, um ihre Bewegung zu verbergen.

»Beym Himmel o Adeline! Sie thun mir Unrecht,« sagte der Marquis, indem er ihre Hand ergriff. »Ich liebe, ich bete Sie an, und doch zweifeln Sie an meiner Leidenschaft, und sind unempfindlich gegen meine Gelübde. Alles Vergnügen, was nur in diesen Mauern genossen werden kann, sollen Sie genießen; allein ihren Bezirk dürfen Sie nicht verlassen.«

Sie machte ihre Hand los, und ging in schweigender Angst nach einem fernen Ende des Saals: tiefe Seufzer quollen aus ihrem Herzen und beynahe kraftlos lehnte sie sich an ein Fenster, um nicht umzusinken.

Der Marquis folgte ihr:

»Warum weigern Sie sich so hartnäckig, glücklich zu seyn?Erinnern Sie sich, welchen Vorschlag ich Ihnen gemacht habe, und nehmen Sie ihn an, so lange es in Ihrer Macht ist. Morgen soll ein Priester unsere Hände vereinigen. – Gewiß, da Sie jetzt so ganz in meiner Macht sind, muß es Ihr Vortheil seyn, hierein zu willigen.«

Adeline konnte nur durch Thränen antworten: sie verzweifelte, sein Herz zum Mitleid zu erweichen, und fürchtete, durch Verachtung ihn aufzubringen. Er führte sie nunmehr, und sie ließ sich führen, zu einem Sitz neben dem Tische, und bat sie, einige Erfrischungen, besonders Liqueur anzunehmen, wovon er selbst reichlich trank. Adeline nahm nur einen Pfirsich.

Und nun nahm der Marquis, der ihr Stillschweigen als eine geheime Einwilligung deutete, alle seine Munterkeit und Feuer wieder an, und die langen, heißen Blicke, die er auf Adelinen heftete, erfüllten sie mit Verwirrung und Unwillen. Mitten bey der Mahlzeit ließ aufs neue eine sanfte Musik die zärtlichsten, leidenschaftlichsten Arien hören; allein ihre Wirkung war jetzt bey Adelinen verloren: ihre Seele war durch die Gegenwart des Marquis zu sehr niedergedrückt, um der süssen Eindrücke der Harmonie empfänglich zu seyn.

Ein Lied wurde gesungen, das mit der ohnmächtigen Kunst gedichtet war, wodurch gewisse wollüstige Dichter die Grundsätze des Lasters zugleich zu verbergen und zu empfehlen glauben. Adeline hörte es mit Verachtung und Mißfallen an, und der Marquis, da er diese Wirkung merkte, gab sogleich ein Zeichen, ein anderes anzustimmen, worin die Macht der Poesie mit dem Zauber der Musik vereint, ihre Seele von der gegenwärtigen Scene abziehen, und sie in süsses Vergessen einwiegen könnte.

Als die Stimme, die es sang, aufhörte, ertönte eine zärtlich klagende Melodie mit höchstem Ausdruck gespielt, aus einer fernen Flöte. Die Töne schwirrten in sanften Schwingungen durch die Luft, schwollen bald zu voller, eingreifender Melodie, und erstarben dann schwach: plötzlich stiegen sie und bebten in so zärtlich süssem Tone, daß Adeline in Thränen und der Marquis in Ausrufungen des Entzückens ausbrach. Er schlang seinen Arm um sie, und wollte sie an sich drücken, allein sie wand sich aus seiner Umarmung los, und schreckte durch einen Blick, worin die feste Würde der Tugend durch Schmerz gemildert war, ihn in Ehrfurcht.

Eine Übermacht fühlend, die er anzuerkennen sich schämte, und sich bestrebend, die Gewalt zu verachten, der er nicht widerstehen konnte, stand er einen Augenblick da, der Sclave der Tugend, wiewohl der Bekenner des Lasters. Bald aber gewann er seine Zuversichtlichkeit wieder, und redete aufs neue von Liebe, als Adeline, nicht länger durch den Muth, den sie zuvor bewies, belebt, und unter der Erwartung, welche die mancherley und heftigen Erschütterungen ihrer Seele erregten, beynahe erliegend, ihn anflehte, sie zur Ruhe zu lassen.

Die Blässe ihres Gesichtes und ihre bebende Stimme waren zu ausdrucksvoll, um verkannt zu werden: und der Marquis zog mit der Warnung, daß sie an Morgen sich erinnern möchte, sich ungern zurück.

Sobald sie sich allein sah, gab sie der brechenden Angst ihres Herzens nach, und war so ganz versenkt in Schmerz, daß es einige Zeit dauerte, ehe sie gewahr ward, daß sie sich in der Gegenwart der zwey jungen Mädchen befand, die zuvor bey ihr gewesen, und kurz darauf, als der Marquis den Saal verließ, wieder hereingekommen waren: sie erschienen, um sie in ihr Schlafzimmer zu führen.

Eine Zeitlang folgte sie ihnen schweigend, bis sie, von Verzweiflung getrieben, aufs neue ihr Mitleid zu erwecken suchte: allein wiederum wurde das Lob des Marquis wiederholt, und da sie sah, daß alle Versuche, sie zu gewinnen, vergebens waren, schickte sie sie fort. Sie verriegelte die Thüre, durch welche sie hinausgingen, und besah dann in der schwachen Hoffnung, eine Möglichkeit zur Flucht zu entdecken, das Zimmer.

Die feenmäßige Pracht, womit es ausgeschmückt war, und die üppige Bequemlichkeit, schienen bestimmt zu seyn, die Einbildungskraft zu blenden und das Herz zu verführen. Es war mit strohfarbner Seide behangen, mit einer Menge von Landschaften und historischen Gemählden verziert, deren Inhalt den wollüstigen Geist des Eigenthümers verrieth: auf dem Kaminstück, von Parischem Marmor, ruhten verschiedene antike Figuren. Das Bett war von Seide, gleicher Farbe mit den Tapeten, reich mit Purpur und silbernen Franzen besetzt, und oben in Form eines Thronhimmels. Die Stuffen, welche vorn angebracht waren, um hinein zu steigen, wurden von kleinen Cupidos, dem Ansehen nach von gediegnen Silber, getragen. Vasen, mit Wohlgerüchen angefüllt, standen in verschiednen Ecken auf Gestellen von eben der Form wie der Nachttisch, der äußerst prächtig und mit allen Zubehörden zum Putz geschmückt war.

Adeline warf einen flüchtigen Blick auf alle diese Pracht, und schritt zur Untersuchung der Fenster, die bis zum Fußboden herabgingen, und sich in Balcons nach den Garten, den sie vom Saale ab gesehen hatte, öffneten. Sie waren befestigt, und da sie alles Bemühen, sie aufzumachen, fruchtlos fand, stand sie endlich von dem Versuch ab.

Eine Nebenthüre erregte ihre Aufmerksamkeit; sie fand sie nicht verschlossen, und öffnete ein Ankleidekabinet, in welches sie durch einige Stuffen hinabging; sie sah zwey Fenster, und eilte darauf zu: das eine wollte nicht nachgeben, aber, o Freude! das andere wich ihrer Hand.

Im Entzücken des Augenblicks vergaß sie, daß seine Höhe von der Erde ihre Flucht dennoch verwehren könnte. Sie ging zurück, um die Thüre des Kabinets zu verriegeln, welches unnöthig war, da sie die Thüre des Zimmers bereits verwahrt hatte.

Sie sah nun aus dem Fenster: der Garten lag vor ihr, und sie fand, daß das Fenster, welches ebenfalls bis auf dem Fußboden stieß, der Erde so nahe lag, daß sie ohne Gefahr den Sprung wagen konnte. Fast in dem nähmlichen Augenblick sprang sie hinab und befand sich in einem großen Garten, dessen Anlage mehr einem englischen Luftort, als einer Reihe französischer Felder glich.

Sie zweifelte nunmehr nicht, entweder durch irgend eine lockere Stelle der Hecke, oder einen niedrigen Ort der Mauer entwischen zu können; leichten Fußes trippelte sie fort; denn Hoffnung spielte um ihr Herz. Die Wolken des Sturms waren verschwunden, und das Mondlicht, das auf dem Rasen hinlief und durch die Blumensträuche schimmerte, die noch schwer von Regentropfen waren, ließ sie einen fernen Blick auf die umliegende Gegend werfen.

Sie folgte der Richtung der hohen Mauer, die an das Schloß gränzte, bis ein dickes Gebüsch, sie ihr entzog. Es war mit Zweigen so sehr verflochten, und von der Finsterniß so verdunkelt, daß sie sich fürchtete, hinein zu gehen und seitwärts einen Weg zur rechten einschlug, der sie an den Rand eines mit hohen Bäumen überhangenen Teiches führte.

Die Mondstrahlen hüpften auf dem Wasser, dessen sanfte Wellen längs dem Ufer spielten, und die stille Schönheit dieses Anblicks würde ein minder geängstigtes Herz entzückt haben. Sie seufzte, und ging mit einem flüchtigen Blick schnell vorüber, um die Gartenmauer wieder zu suchen, von der sie weit abgekommen war.

Nachdem sie lange durch Alleen und Beete geirrt war, ohne etwas einer Gränze ähnliches zu sehen, befand sie sich wieder an dem See, und ging nun mit dem Schritt der Verzweiflung an seinem Ufer hin – Thränen liefen ihr die Wangen hinab. Die Gegend rings um sie zeigte nur Bilder des Friedens und Vergnügens: alle Gegenstände schienen zu ruhen; kein Lüftchen wehte in den Blättern, kein Laut schlich sich durch die Luft; nur in ihrer Brust herrschten Aufruhr und Kummer.

Sie folgte der Krümmung des Ufers nach, bis eine Öffnung im Walde sie eine lehne sanft ansteigend ( D. Hrsg.) Anhöhe hinauf führte: der Weg wand sich an einem Hügel hin, wo die Dunkelheit so tief war, daß sie ihn nur mit Mühe finden konnte; plötzlich aber öffnete sich der Eingang in ein hohes Lustwäldchen und sie sah in einer Entfernung ein Licht aus einer Ecke schimmern.

Sie stand still und ihr erster Gedanke war, zurückzugehen, da sie aber lauschte und nichts vernahm, dämmerte eine schwache Hoffnung in ihr auf, daß sie die Person, zu der das Licht gehörte, vielleicht zur Begünstigung ihrer Flucht gewinnen könnte. Sie nahte sich mit zitternden behutsamen Schritten dem Lichte, um heimlich die Person betrachten zu können, ehe sie sich zu ihr wagte.

Ihre Bewegung stieg, so wie sie näher kam; und nachdem sie die Laube erreicht hatte, sah sie durch ein offnes Fenster den Marquis auf einem Sopha liegen, neben welchem ein mit Früchten und Wein besetzter Tisch stand. Er war allein, und sein Gesicht flammte.

Während sie vom Schrecken versteinert da stand, sah er nach dem Fenster auf: das Licht schien ihr hell ins Gesicht, allein sie blieb nicht, um zu sehen, ob er sie bemerkt hatte, sondern lief mit der Schnelligkeit des Blitzes fort, ohne zu wissen, ob man sie verfolgte.

Nachdem sie eine weite Strecke gelaufen war, mußte sie endlich aus Mattigkeit stehen bleiben, und halb ohnmächtig von Furcht und Müdigkeit warf sie sich an die Erde. Sie wußte, daß der Marquis, wenn er ihre Flucht entdeckte, aller Wahrscheinlichkeit nach die Gränzen überschreiten würde, worin er sich bisher gehalten hatte, und daß sie das ärgste erwarten mußte. Ihr Herz klopfte so stark, daß sie mit Mühe athmete.

Sie wartete und horchte in zitternder Angst, aber keine menschliche Gestalt traf ihr Auge, kein Laut ihr Ohr – in diesem Zustande blieb sie eine lange Zeit. Sie weinte, und die Thränen, die sie vergoß, erleichterten ihr gepreßtes Herz.

»O mein Vater,« sagte sie, »warum verliessest du dein Kind? Wann du die Gefahren wüßtest, welchen du es ausgesetzt hast, o gewiß, du würdest Mitleid haben, und mir zu Hülfe eilen. Ach, soll ich nie einen Freund finden – bin ich bestimmt zu vertrauen und betrogen zu werden? – Auch Peter konnte verrätherisch seyn.«

Sie weinte aufs neue und erwachte zu dem wiederkehrenden Gefühl ihrer Gefahr, und zu der Betrachtung, wie sie ihr entgehen könnte – ach sie sah kein Mittel!

Der Grund schien ihrer Einbildung gränzenlos, sie war von Rasen zu Rasen, von Wäldchen zu Wäldchen gegangen, ohne ans Ende zu kommen: sie konnte die Gartenmauer nicht finden, doch beschloß sie, weder nach dem Schlosse zurückzugehen, noch ihr Suchen aufzugeben.

So wie sie aufstand, um weiter zu gehen, sah sie einen Schatten in einiger Ferne sich bewegen, und stand still, um ihn zu beobachten. Er nahte langsam heran und verschwand wieder; plötzlich aber sah sie einen Menschen aus der Dunkelheit hervorgehen und sich dem Orte nähern, wo sie stand. Sie zweifelte nicht, daß der Marquis sie bemerkt hatte, und lief mit aller Eile nach dem Schatten einiger Bäume zur linken. Fußtritte verfolgten sie, und sie hörte sich beym Nahmen rufen, während sie mit kraftloser Anstrengung ihren Schritt zu beschleunigen suchte.

Plötzlich schien der Ton der Verfolgung eine andere Richtung zu nehmen: sie stand still, um Athem zu schöpfen, sah sich um, und niemand erschien. Sie ging nun langsam die Allee hinab, und hatte beynahe das Ende erreicht, als sie die Gestalt aus den Bäumen hervorgehen und quer in die Allee schießen sah; es verfolgte sie und kam näher. Eine Stimme rief sie beym Nahmen, allein sie konnte nicht von ihr erreicht werden, sie war fühllos zur Erde gesunken: es dauerte lange, ehe sie erwachte, und als sie endlich die Augen aufschlug, fand sie sich in den Armen eines Mannes, und strebte sich loszuwinden.

»Fürchten Sie nichts, holdes Mädchen,« sagte er, »fürchten Sie nichts; Sie sind in den Armen eines Freundes, der alles für Sie wagen, der Sie mit seinem Leben beschützen wird.«

Er drückte sie sanft an sein Herz.

»Haben Sie mich denn so ganz vergessen?« fuhr er fort.

Sie sah ihn scharf an, und erkannte Theodor. Freude war ihre erste Regung; als sie sich aber an seine unvermuthete Abreise zu einer für sie so gefährlichen Zeit, und daß er des Marquis Freund war, erinnerte, kämpften tausend gemischte Empfindungen in ihrer Brust und überwältigten sie mit Mißtrauen, Besorgniß und Kränkung.

Theodor hub sie von der Erde auf und sagte, während er noch sie umfaßt hielt:

»Lassen Sie uns eilends von diesem Orte fliehen; ein Wagen wartet auf uns: er soll fahren, wohin Sie befehlen, und Sie zu Ihren Freunden führen.«

»Ach ich habe keine Freunde,« sagte sie, »und weiß nicht, wohin ich gehen soll.«

Theodor drückte sanft ihre Hand zwischen den seinigen, und sagte mit dem Tone des zartesten Mitleids:

»So sollen meine Freunde die Ihrigen seyn, lassen Sie mich Sie zu ihnen bringen. Aber ich schwebe in Todesangst, so lange Sie an diesen Ort sind; lassen Sie uns hinweg eilen.«

Adeline wollte antworten, als sie Stimmen zwischen den Bäumen hörten, und Theodor sie mit seinem Arme unterstützend, eilends die Allee hinab führte: sie setzten ihre Flucht fort, bis Adeline nach Luft schnappend, nicht weiter konnte.

Nachdem sie eine Weile still gestanden waren, ohne Fußtritte hinter sich zu hören, erneuten sie ihren Lauf, Theodor wußte, daß sie nicht weit von der Gartenmauer waren, allein er wußte auch, daß in dem zwischenliegenden Raum verschiedene Wege aus fernen Alleen in diesen Gang stießen, aus welchen des Marquis Leute hervorkommen und sie einholen konnten. Doch verschwieg er seine Besorgnisse vor Adelinen und suchte sie nur zu trösten, und ihr Muth einzusprechen.

Endlich erreichten sie die Mauer, und Theodor wollte sie zu einer niedrigen Stelle führen, neben welcher jenseits der Wagen stand, als sie wieder Stimmen in der Luft hörten. Adelinens Kräfte waren erschöpft, allein sie strengte noch den letzten Rest an, und sah in einiger Entfernung die Leiter, durch welche Theodor in den Garten gestiegen war.

»Noch eine kleine Anstrengung,« sagte er, »und Sie sind im Sichern!«

Er hielt die Leiter, während sie hinan stieg: die Mauer war oben breit und eben, und Adeline blieb stehen, bis Theodor folgte, und die Leiter an der andern Seite niederließ.

Als sie herunter gestiegen waren, sahen sie den Wagen stehen, aber keinen Kutscher. Theodor fürchtete sich zu rufen, damit seine Stimme ihn verriethe: er hob Adelinen in den Wagen und ging, um den Kutscher zu suchen, den er nicht weit davon unter einem Baum schlafen fand; er weckte ihn auf, und kam mit ihm zu dem Wagen, der nun in äußerster Geschwindigkeit davon flog.

Adeline wagte noch nicht, sich für sicher zu halten; nachdem sie aber eine ganze Weile ungehindert fortgefahren waren, brach Freude in ihr Herz und sie dankte ihrem Befreier in den wärmsten Ausdrücken. Die Theilnahme, die aus seiner Stimme und seinem ganzen Wesen hervorschien, bewieß, daß seine Freude der ihrigen nicht nachstand.

So wie das Nachdenken sich wieder bey ihr einfand, trat Unruhe an die Stelle der Freude: im Aufruhr der letztern Augenblicke dachte Sie nur an Flucht, jetzt aber erschienen ihr die Umstände ihrer gegenwärtigen Lage in einem Lichte, welches sie still und nachdenkend machte: Sie hatte keine Freunde, zu denen sie fliehen konnte, und gieng mit einem jungen Manne, der ihr beynahe fremd war, ohne zu wissen, wohin.

Sie erinnerte sich, wie oft man sie hintergangen und verrathen hatte, wo sie am meisten vertraute, und ihr Muth erlag: auch erinnerte sie sich an die Aufmerksamkeit, welche Theodor ihr vormahls bewiesen hatte, und fürchtete, daß eine eigennützige Leidenschaft sein Betragen möchte eingegeben haben. Sie sah dieß für möglich an, doch verachtete sie, es wahrscheinlich zu finden, und konnte sich nichts schmerzlicheres denken, als an Theodors Rechtschaffenheit zu zweifeln.

Er unterbrach ihre Träumerey durch eine Erwähnung ihrer Lage in der letzten Zeit auf der Abtey.

»Sie mußten sehr befremdet, und wie ich fürchte, beleidigt werden,« sagte er, »daß ich nach den beunruhigenden Winken, die ich Ihnen bey unserm letzten Gespräch gab, mich nicht um die bestimmte Zeit einfand. Vielleicht hat dieser Umstand mir in Ihrer Achtung geschadet, wenn ich je so glücklich war einen Theil davon zu besitzen! allein die höhere List des Marquis de Montalt vereitelte meine Absichten, und ich darf sicher behaupten, daß mein Schmerz hiebey wenigstens Ihren Besorgnissen gleich kam.«

Adeline antwortete: ›Sie wäre allerdings durch die Winke, die er ihr von ihrer Gefahr gegeben hätte, und durch sein Unterlassen, ihr weitere Nachricht zu geben, sehr beunruhigt worden, so wie –‹

Sie hielt zurück, was noch auf ihren Lippen schwebte, weil sie sah, daß sie ohne daran zu denken, den Antheil, den er in ihrem Herzen besaß, verrathen wollte. Es entstand eine Stille von einigen Augenblicken, und keines von beyden schien sich ganz ruhig zu fühlen.

Theodor knüpfte endlich das Gespräch wieder an:

»Erlauben Sie mir,« sagte er, »Ihnen die Ursachen zu erzählen, die mich von der erbetnen Zusammenkunft abhielten; ich wünschte sehnlich, mich zu rechtfertigen.«

Ohne ihre Antwort abzuwarten, erzählte er ihr, daß der Marquis, er wußte nicht zu erklären, auf welche Art, den Inhalt ihres letzten Gesprächs erfahren, oder gemuthmaßt und aus Furcht, seine Absichten vereitelt zu sehen, wirksame Mittel ergriffen hätte, zu verhindern, daß sie keine weitere Nachricht davon erhielte. Adeline besann sich sogleich, daß La Motte sie mit Theodor im Walde gesehen hatte, und zweifelte nicht, daß er ihn erkannt, (ungeachtet er es sich nicht merken ließ) und Sorge getragen hätte, den Marquis zu benachrichtigen.

»Den Tag darauf, als ich Sie zuletzt gesehen hatte, fuhr Theodor fort, »hieß mir der Marquis, der mein Obrister ist, mich zu meinem Regiment zu begeben, und bestimmte den folgenden Morgen zu meiner Abreise. Dieser plötzliche Befehl befremdete mich einigermaßen, allein ich war nicht lange um die Ursache desselben verlegen: ein Bedienter des Marquis, der mir sehr ergeben war, trat bald, nachdem mich sein Herr verlassen hatte, in mein Zimmer, äusserte seine Bekümmerniß über meine plötzliche Abreise, und ließ einige Winke fallen, die mich befremdeten. Ich forschte weiter und wurde in dem Argwohn bestärkt, den ich seit einiger Zeit wegen der Absichten des Marquis auf Sie gehabt hatte.

Jakob sagte mir ferner, daß meine gestrige Zusammenkunft mit Ihnen bemerkt, und dem Marquis hinterbracht worden sey. Er hatte seine Nachrichten von einem andern Bedienten erhalten, und sie beunruhigten mich so sehr, daß ich mich anheischig machte, mir von Zeit zu Zeit Nachricht von des Marquis Verfahren zu geben. Ich sah nun mit Ungeduld dem Abend entgegen, der mich wieder zu Ihnen führen würde; allein die List des Marquis wußte mein Bemühen und meine Wünsche zu vereiteln. Er hatte eine Parthie auf der Villa eines Freundes, die einige Meilen von ihm lag, verabredet, und ungeachtet aller Einwendungen, die ich vorschützte, mußte ich ihn begleiten. So brachte ich mit höchstem Zwang einen Tag in mehr Angst und Unruhe hin, als ich noch jemahls erfahren hatte. Es war Mitternacht, ehe wir zurückkamen. Ich stand des andern Morgens in aller Frühe auf, um meine Reise anzutreten, und nahm mir vor, eine Zusammenkunft mit Ihnen zu suchen, ehe ich die Provinz verließe.

Als ich zum Frühstück ins Zimmer kam, erstaunte ich nicht wenig, den Marquis bereits da zu finden, der den schönen Morgen pries und seine Absicht erklärte, mich bis zum Chineau zu begleiten. Auf so unerwartete Art meiner letzten Hoffnung beraubt, mochte mein Gesicht wahrscheinlich ausdrücken, was ich fühlte: denn das forschende Auge des Marquis verwandelte sich augenblicklich von anscheinender Nachläßigkeit in Mißfallen. Chineau liegt wenigstens drey Meilen von der Abtey entfernt, doch war ich willens, von da zurückzukehren, sobald der Marquis mich verlassen hätte; als ich aber bedachte, wie unwahrscheinlich es wäre, ob ich Sie allein zu sehen bekommen, und ob nicht meine Erscheinung von La Motten bemerkt werden, und nicht nur seinen Verdacht aufs höchste bringen, sondern auch künftige Entwürfe zu Ihrer Rettung vereiteln könnte: diese Betrachtungen siegten endlich, und ich ging zu meinem Regiment.

Jakob schickte mir öfters Nachricht von des Marquis Verfahren, allein seine Art zu beschreiben, war so verworren, daß ich nur in Verlegenheit und Unruhe darüber gerieth. Sein letzter Brief aber, warf mich in solche Angst, daß mir der Aufenthalt bey meinem Regiment unerträglich wurde, und da ich es unmöglich fand, Urlaub zu erhalten, verließ ich es heimlich und verbarg mich in einer Hütte nicht weit vom Schlosse, wo ich alles, was der Marquis unternahm sogleich erfahren konnte. Jakob brachte mir täglich Nachricht, und endlich eine Erzählung von dem abscheulichen Anschlage, der auf die folgende Nacht gegen Sie geschmiedet war.

Ich sah keine Möglichkeit, Sie vor der Gefahr zu warnen. Wenn ich mich in die Nähe der Abtey wagte, so lief ich Gefahr, daß La Motte mich entdeckte und jeden Versuch Sie zu retten vereitelte; doch war ich entschlossen, es zu wagen, da es doch vielleicht möglich war, Sie zu sehen; und wollte gegen Abend mich eben nach dem Walde aufmachen, als Jakob kam, und mir berichtete, daß Sie nach dem Schlosse gebracht werden sollten. Der Marquis hatte die Absicht, Sie durch Reizungen der üppigsten Sinnlichkeit, womit er nur zu gut bekannt ist, zu seinen Wünschen zu verführen, und Sie durch eine erdichtete Heirath zu täuschen. Nachdem ich das für Sie bestimmte Zimmer erfahren hatte, bestellte ich einen Wagen, der an der Gartenmauer halten mußte, und begab mich in der Absicht, an Ihre Fenster zu steigen, und Sie von da wegzuführen, um Mitternacht in den Garten.«

»O wie kann ich Ihnen je warm genug für Ihre Großmuth danken,« rief Adeline.

»Ach, nennen Sie es nicht Großmuth; es war Liebe. –«

Er schwieg, selbst überrascht durch die Kühnheit dieser Worte. Auch Adeline schwieg mit hohem Erröthen.

»Verzeihen Sie,« fing er nach einigen Augenblicken stummer Bewegung wieder an, »verzeihen Sie diese rasche Erklärung: aber warum nenne ich sie rasch, da meine Handlungen bereits entdeckt haben müssen, was meine Lippen bisher nicht auszusprechen wagten.«

Er hielt inne. Adeline schwieg noch.

»Aber lassen Sie mir die Gerechtigkeit wiederfahren,« fuhr er fort, »mir zu glauben, daß ich das Unschickliche, jetzt von Liebe zu reden, fühle, und daß dieses Geständniß mir unwillkührlich entschlüpfte. Ich verspreche Ihnen, desselben nie wieder zu erwähnen, bis Sie in eine Lage gesetzt sind, wo Sie meine aufrichtige Weihe frey annehmen oder zurückweisen können. Wie glücklich würde ich für jetzt mich schätzen, wäre ich nur Ihrer Achtung und Freundschaft gewiß.«

Adeline fühlte sich befremdet, daß er nach dem großmüthigen Dienste, den er ihr geleistet hatte, noch hieran zweifeln konnte; sie kannte die zärtliche Besorglichkeit der furchtsamen Liebe nicht.

»Können Sie mich,« antwortete sie mit zitternder Stimme, »für so undankbar halten? Kann ich Ihre Freundschaft für mich ansehen, ohne sie innigst zu schätzen und zu erwiedern?«

Theodor drückte schweigend ihre Hand an seine Lippen. Sie waren beyde zu sehr bewegt, um reden zu können, und reisten mehrere Stunden fort, ohne ein Wort zu wechseln.



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