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Zweytes Kapitel.

Nachdem der Wundarzt des Ortes die Wunde des Marquis untersucht hatte, gab er sogleich seine Meinung und befahl, den Kranken zu Bette zu bringen: allein der Marquis, so krank er auch war, fühlte kaum eine andere Besorgniß, als die, Adelinen zu verlieren, und behauptete, er würde in wenig Stunden im Stande seyn, seine Reise anzutreten. In dieser Absicht ertheilte er Befehl, die Pferde bereit zu halten, als der Wundarzt mit fester Beharrlichkeit und sogar mit Zorn ausrief, daß diese Raschheit ihm das Leben kosten würde, und er endlich sich in ein Schlafzimmer bringen ließ, wo nur sein Kammerdiener zu ihm kommen durfte.

Dieser Mensch, der bequeme Vertraute aller seiner Händel, war das Hauptwerkzeug, das ihm zur Ausführung seiner Absichten auf Adelinen geholfen hatte, und war der nähmliche, der sie nach des Marquis Villa am Rande des Waldes brachte. Ihm gab der Marquis seine fernern Aufträge ihrentwegen; und weil er sowohl die Unannehmlichkeit als die Gefahr einsah, sie länger im Wirthshause zu lassen, hatte er ihm befohlen, sie mit Hülfe einiger andern Bedienten unverzüglich in einem Miethwagen fortzubringen. Nachdem der Kammerdiener hinweggegangen war, um diese Befehle auszuführen, blieb der Marquis seinen eigenen Betrachtungen und der Heftigkeit streitender Leidenschaften überlassen.

Die Vorwürfe und hartnäckige Widersetzlichkeit Theodors, des begünstigten Liebhabers von Adelinen, entflammten seinen Stolz und reizten seine ganze Bosheit. Er konnte keinen Augenblick an diese Widersetzlichkeit denken, die in einiger Rücksicht gelungen war, ohne ein Übermaß von Erbitterung und Haß zu fühlen, das nur die Aussicht auf schleunige Rache ihn konnte ertragen lassen.

Als er Adelinens Flucht von der Villa entdeckte, glich im ersten Augenblick sein Erstaunen seinem Verdrusse: und nachdem er den ersten Anfall seiner Wuth an seinen Domestiken ausgetobt hatte, schickte er sie sämmtlich auf verschiedenen Wegen aus, um ihr nachzusetzen; er selbst begab sich nach der Abtey, in der schwachen Hoffnung, daß sie, von aller andern Hülfe entblößt, vielleicht dahin zurück geflohn wäre.

Da er aber La Motten in nicht geringerm Erstaunen über ihre Flucht und gänzlich unwissend von ihrem Wege fand, kehrte er voll Ungeduld nach weitern Nachrichten zu seiner Villa zurück, wo einige von seinen Leuten wieder angelangt waren, ohne etwas von Adelinen entdeckt zu haben, so wenig als diejenigen, die nach ihnen zurückkamen.

Wenig Tage nachher schrieb ihm der Obristlieutenant des Regiments, daß Theodor seine Compagnie verlassen hätte, ohne daß man seinen Aufenthalt wüßte. Diese Nachricht bestärkte ihn in dem Verdacht, der schon oft in ihm aufgestiegen war, daß Theodor auf eine oder die andere Art zu ihrer Flucht behülflich gewesen wäre. Alle seine Leidenschaften schmiegten sich auf eine Zeitlang unter seine Rache, und er gab Ordre Theodor unverzüglich nachzusetzen und ihn zu ergreifen: allein dieser war schon indessen eingehohlt und in Sicherheit gebracht worden.

Die wachsende Neigung zwischen Theodor und Adelinen, die dem scharfen Auge des Marquis nicht entwischt war, und die Nachricht, welche La Motte, der ihre Zusammenkunft im Walde bemerkt hatte, ihm gab, hatten ihn zu dem Entschlusse gebracht, einen so gefährlichen Nebenbuhler zu entfernen, der so leicht seine Absichten erfahren und vereiteln konnte. Dem zu Folge sagte er auf so scheinbare Art als möglich zu Theodor, daß es nothwendig für ihn sey, zum Regiment zu gehn; eine Benachrichtigung, die diesem nur in Beziehung auf Adelinen unangenehm war und ihn um so weniger befremden durfte, da er bereits eine weit längere Zeit auf der Villa zugebracht hatte, als die vom Marquis eingeladenen Offiziere sonst pflegten. Theodor kannte im Grunde des Marquis Charakter sehr gut, und hatte seine Einladung mehr, um seinen Obristen nicht zu beleidigen als aus Neigung zu seiner Gesellschaft angenommen.

Der Marquis erhielt von den Leuten, die Theodor eingehohlt hatten, die Nachricht, welche ihn in Stand setzte, Adelinen zu verfolgen, und wieder zu bekommen: allein ohngeachtet ihm dieses gelungen war, wurde er doch innerlich von den bittern Empfindungen verschmähter Leidenschaft und verwundeten Stolzes zerrissen. Den Schmerz seiner Wunde vergaß er über seiner größern Seelenpein, und jede Quaal, die er fühlte, schien seinen Durst nach Rache zu entflammen, und neue Schärfe in sein Herz zu gießen.

In diesem Zustande hörte er die Stimme der unschuldigen Adeline um Hülfe flehn; allein ihr Geschrey erregte bey ihm weder Mitleid noch Gewissensbisse, und als bald nachher der Wagen abfuhr, und er nunmehr sie in Sicherheit und Theodor elend wußte, schien er einige Linderung seiner Seelenquaal zu fühlen.

Theodor litt in der That alles, was nur ein tugendhaftes Herz unter so schwerem Druck leiden konnte: doch war er wenigstens von den gehäßigen und boshaften Leidenschaften frey, die des Marquis Brust zerrissen, und die demjenigen, der sie fühlt, eine härtere Strafe auflegen, als sie ihn für einen andern können aussinnen lassen. Aller Unwillen, den er gegen den Marquis fühlte, war seiner ängstlichen Besorgniß für Adelinen untergeordnet. Seine Gefangenschaft war ihm schmerzhaft, weil sie ihn hinderte, eine anständige und ehrenvolle Rache zu suchen; allein sie war ihm schrecklich, weil sie ihn von der Rettung derjenigen zurückhielt, die er mehr als sein Leben liebte.

Als er die Räder des Wagen rollen hörte, der sie wegführte, empfand er eine Todesquaal, die beynahe seine Vernunft überwältigte. Selbst die harten Herzen der Soldaten, die ihn bewachten, blieben nicht ganz fühllos bey seinem Jammer, und wagten sogar das Betragen des Marquis zu tadeln, um ihren Gefangenen zu trösten. Der Arzt, der eben während dieses Anfalls von Verzweiflung zu ihm ins Zimmer trat, empfand wahre Bekümmerniß über seinen Zustand und fragte mit äußerster Befremdung, warum man ihn so plötzlich in dieß für einen Kranken so unschickliche Zimmer gebracht hatte?

Theodor erläuterte ihm die Ursache hievon, von seinem Schmerze und von den Ketten, die ihn schändeten; da er sah, daß der Arzt ihm mit Aufmerksamkeit und Mitleiden zuhörte, wünschte er, ihm noch mehr zu entdecken, und bat die Wache, sie allein zu lassen. Sie erfüllten sein Verlangen und stellten sich von außen vor die Thüre.

Er erzählte nunmehr den ganzen Zusammenhang des letzten Vorfalls und seines Verhältnisses mit dem Marquis. Der Arzt hörte seine Erzählung mit tiefem Beyleid an, und sein Gesicht drückte oftmahls starke Bewegung aus. Er schwieg eine Zeitlang und schien tief nachzusinnen; endlich erwachte er aus seiner Träumerey und sagte:

»Ich fürchte, Ihre Lage ist verzweifelt. Des Marquis Charakter ist zu bekannt, um auf Liebe oder Achtung Anspruch machen zu können; von einem solchen Manne haben Sie nichts zu hoffen, da er kaum etwas zu fürchten braucht. Ich wünschte, es wäre in meiner Macht, Ihnen nützlich zu seyn; allein ich sehe keine Möglichkeit.«

»Ach,« erwiederte Theodor, »meine Lage ist allerdings verzweifelt; und diese leidende Unschuldige –«

Tiefes Schluchzen erstickte seine Stimme, und seine heftige Bewegung ließ ihn nicht weiter fortfahren. Der Arzt konnte ihm nur sein inniges Mitleid bezeugen, und ihn bitten, sich zu beruhigen, als ein Bedienter vom Marquis herein kam, und ihn ersuchte, unverzüglich zu seinem Herrn zu gehn. Er versprach zu kommen; und nachdem er eine Fassung anzunehmen, sich bemüht hatte, die ihm schwer war, drückte er seinem jungen Freunde die Hand, und versprach wieder zu kommen, ehe er das Haus verließe.

Er fand den Marquis in äußerster Unruhe des Körpers und Geistes, und ängstlicher besorgt um die Folgen der Wunde, als er erwartet hatte. Seine Bekümmerniß für Theodor gab ihm jetzt einen Plan ein, durch dessen Ausführung er ihm dienen zu können hoffte. Nachdem er dem Kranken den Puls gefühlt und einige Fragen vorgelegt hatte, nahm er eine sehr bedenkliche Miene an; und der Marquis, der sein Gesicht ängstlich beobachtete, bat ihn, ohne Zögern, seine Meinung zu sagen.

»Es thut mir leid, Sie zu beunruhigen, gnädiger Herr, allein hier ist allerdings Ursache zu Besorgnißen; wie lange ist es her, das Sie die Wunde erhielten?«

»Großer Gott, also ist Gefahr vorhanden,« rief der Marquis und stieß einige bittre Verwünschungen gegen Theodor aus.

»Unstreitig ist Gefahr da,« erwiederte der Arzt – »in einigen Stunden werde ich von dem Grade derselben zu urtheilen im Stande seyn.«

»In einigen Stunden, Herr Doctor? – in einigen Stunden!« rief der Marquis.

Der Arzt bat ihn ruhiger zu seyn.

»Seltsam! ein Gesunder kann allerdings mit großer Fassung einen Sterbenden Ruhe predigen. Ein Trost ist es mir, daß Theodor auf dem Rade sterben wird.«

»Sie mißverstehen mich, gnädiger Herr! Wenn ich Sie für einen Sterbenden, oder auch mir dem Tode sehr nahe hielt, so würde ich nicht auf diese Art gesprochen haben. Allein es ist nur durchaus nothwendig zu wissen, seit wie lange Sie die Wunde bekommen haben.«

Des Marquis Schrecken ließ nun etwas nach; er erzählte ihm umständlich das Duell und gab vor, bey einer Sache niederträchtig behandelt zu seyn, wo er selbst sich vollkommen gerecht und menschlich betragen hätte. Der Arzt hörte diese Erzählung mit großer Kaltblütigkeit an, und so bald sie zu Ende war, sagte er dem Marquis, ohne eine Anmerkung darüber zu machen, er wollte ihm ein Arzney verschreiben, die er unverzüglich einnehmen möchte.

Der Marquis, aufs neue beunruhigt durch sein ernsthaftes Wesen, bat ihn, sich deutlich zu erklären, ob er ihn in unmittelbarer Gefahr glaubte. Der Arzt zögerte, und des Marquis Angst stieg:

»Es ist mir von äußerster Wichtigkeit, meinen Zustand genau zu wissen.«

Der Arzt sagte ihm nunmehr; wenn er einige weltliche Angelegenheiten in Ordnung zu bringen hätte, so würde er wohl thun, darauf bedacht zu seyn: denn es wäre nicht möglich, für den Ausgang gut zu sagen.

Er veränderte darauf das Gespräch, und sagte, daß er eben bey dem jungen Offizier gewesen wäre; er hoffte, daß man ihn gegenwärtig nicht fortbringen würde, weil ein solches Verfahren sein Leben in Gefahr setzen könnte. Der Marquis stieß einen schrecklichen Fluch aus, verwünschte Theodor, der ihn in seinen jetzigen Zustand gebracht hätte, und erklärte, er sollte noch in dieser Nacht von der Wade fortgeschaft werden.

Der Arzt versuchte gegen diesen grausamen Ausspruch Vorstellungen zu machen, und suchte eifrig die Menschlichkeit des Marquis für Theodor zu erwecken. Allein diese Verwendung, die ein eben so ungünstiges Licht auf des Marquis Charakter warf, als sie dem Charakter des Arztes Ehre machte, erregte nur seine Empfindlichkeit und zündete alle Heftigkeit seiner Leidenschaften aufs neue an.

Der Arzt begab sich niedergeschlagen fort; nachdem er auf Bitte des Marquis versprochen hatte, das Wirthshaus nicht zu verlassen. Er hatte gehoft, durch Übertreibung der Gefahr für Adelinen und Theodor etwas zu gewinnen, allein seine Absicht brachte gerade den entgegengesetzten Erfolg hervor. Die Furcht des Todes, die dem schuldigen Geiste des Marquis so schrecklich war, vermehrte, statt ihn zur Reue zu erwecken, seine Rachbegierde gegen den Mann, der ihn in diesen Zustand gebracht hatte. Er beschloß, Adelinen an einen Ort bringen zu lassen, wo Theodor, sollte er auch durch einen Zufall entwischen, sie nie erreichen könnte: und dadurch sich wenigstens ein Mittel zur Rache zu sichern. Doch wußte er, daß Theodors. Untergang gewiß war, wenn er nur erst sicher beym Regiment angebracht wäre; denn sollte er auch wider Vermuthung von der Absicht zu desertiren freygesprochen werden, so konnte er doch der Strafe, sich an seinem Obristen vergriffen zu haben, nicht entgehn.

Der Arzt ging wieder zu Theodor. Die Heftigkeit seines Schmerzes hatte sich jetzt in eine finstre Verzweiflung verwandelt, die schrecklicher war, als sein voriger Zustand. Die Wache verließ wiederum auf seine Bitte das Zimmer, und der Arzt erzählte ihm einen Theil seines Gesprächs mit dem Marquis. Theodor bezeugte ihm seinen Dank, und sagte, er hätte keine Hoffnung mehr. Für sich selbst empfand er wenig; nur für seine Familie und Adelinen blutete sein Herz. Er fragte, welchen Weg man sie gebracht hätte; und wiewohl er keine Aussicht hatte, von dieser Nachricht einigen Nutzen zu ziehn, bat er doch den Arzt, sich darnach zu erkundigen: allein der Wirth und die Wirthinn wußten oder wollten nichts davon wissen, und es war vergebens, sich an jemand anders zu wenden.

Der Sergeant trat jetzt mit Ordre vom Marquis zu Theodors unverzüglicher Abreise herein; dieser hörte den Befehl mit Ruhe an, wiewohl der Arzt sich nicht enthalten konnte, seinen Unwillen zu äußern. Theodor hatte kaum Zeit seinen Dank für die Güte dieses treflichen Mannes zu äußern, ehe die Soldaten eindrangen, um ihn in den Wagen zu bringen. Beym Abschiede drückte Theodor dem Arzt seine Börse in die Hand, und drehte sich schnell um; allein der Arzt rief ihn zurück, und schlug das Geschenk mit so edler Wärme ab, daß er es wieder nehmen mußte; er drückte seinem jungen Freunde die Hand, und eilte unvermögend zu sprechen fort.

Der Wagen fuhr schnell davon, und dem unglücklichen Theodor blieb nichts als die Erinnerung seiner verschwundenen Hoffnungen, seines Leidens und seiner Angst um Adelinens Schicksal; die Betrachtung seines gegenwärtigen Elends und dessen, was ihm die Zukunft noch aufbehalten hatte. Für sich selbst sah er nichts als gewisses Verderben und nur die schwache Hoffnung rettete ihn vom gänzlichen verzweifeln, daß sie, die er mehr liebte als sich selbst, eines Tages die Glückseligkeit wieder genießen möchte, deren Theilnahme ihm auf ewig abgeschnitten war.



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