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Zwanzigstes Kapitel

Was Klaus Eckenbrecher am heiligen Born von der Schlacht bei Saint Quentin erzählte.

War im Jahre fünfzehnhundertsechsundfünfzig ein großes Getöse und gewaltiger Tumult um den heiligen Born von Pyrmont gewesen, so brachte der Sommer des Jahres fünfzehnhundertsiebenundfünfzig dem grünen Waldtale die Menschenflut in schier noch verdoppeltem Maße zurück. Aber eine sehr merkbare Veränderung war in der Zusammensetzung des Volksspiels, welches sich um die Wunderquelle versammelte, vorgegangen. Es waren viel weniger Kranke und viel mehr Gesunde als im vorigen Jahre gekommen; viel, sehr viel hatte der heilige Born von Pyrmont von seinem Nimbus verloren.

Wieviel frische Gräber waren aufgeworfen auf den Kirchhöfen zu Oestorf, Löwenhausen, Holzhausen und Lügde – Gräber, um die niemand sich kümmerte, an denen niemand klagte und betete –, landfremde Gräber!

Ein guter Teil der Kranken des vorigen Jahres war auf der Heimreise den Beschwerden des Weges unterlegen oder gleich nach der Rückkehr in die Heimat gestorben; ein guter Teil war viel elender und kränker heimgekommen, als er ausgezogen war.

Viel verlor der heilige Born zu Pyrmont von seiner Glorie auch durch den Brodneid des Brunnendoktors von Schwalbach, des Meisters Tabernaemontanus, zu deutsch Schenkenberg, welcher eine Schmähschrift gegen ihn drucken ließ und schnöde darin behauptete: das heilige Wasser zu Pyrmont enthalte wohl genug Auripigment, Arsenik, Rattengift, um einen Menschen in die andere Welt zu befördern, aber durchaus nichts, was einem Kranken die Gesundheit wiedergeben könne.

Auch der Ruhm des Pyrmontschen Quells als ein solcher Jungbrunnen, wie ihn Lukas Cranach so ergötzlich geschildert hat – ein Jungbrunnen, in welchen man auf der einen Seite alt, lahm, krüppelhaft hineinsteigt, um auf der andern Seite jung, frisch und rosig daraus hervorzugehen –, auch solcher Ruhm verblich allgemach, sintemalen kein einzig verdorrt, eingehutzelt Mütterlein auf dem heiligen Anger wieder als eine blühende Jungfrau mit den des Wunders harrenden lustigen Gesellen getanzt hatte.

Bedeutend weniger Wagen und Schubkarren voll alter Weiber und vertrockneter Jungfrauen wurden im Jahr fünfzehnhundertsiebenundfünfzig am heiligen Born abgeladen. –

Freilich hatte sich trotz alledem an der dicken Linde, an welcher die Gesetztafeln des Rektors Hermann Huddäus angeschlagen waren, eine ziemliche Menge von Krücken und Wachsgebilden menschlicher kranker Glieder, von den Geheilten daselbst dankbaren Herzens aufgehängt, angesammelt. Und manch ein armer Kranker, dessen Nachbar nicht gestorben war nach der Heimkehr, auch nicht kränker heimkehrte, manch ein armer Kranker, welcher des Doktors Tabernaemontani Giftbüchlein nicht gelesen hatte, hatte noch Vertrauen und machte sich auf, zu Pyrmont neue Gesundheit zu holen.

Aber, wie gesagt, die Gesunden hatten im zweiten Jahre, nachdem der Ruf von dem Wunderborn im Land ausgegangen war, die Oberhand auf dem heiligen Anger. Für jeden Gaukler, Gauner, Taschenspieler, Musikanten, für jeden heimatlosen Abenteurer, für jede liederliche Dirne, welche im vorigen Jahre hier ihr Wesen getrieben hatten, waren fünfzig erschienen, um das grüne Waldtal zu ihrem Tummelplatz zu machen.

Ein wüstes, gottloses Treiben, viel, viel greulicher als im vorigen Jahre, brach los; Raub, Mord und Unzucht gingen hoch im Schwange und hatten frei Spiel!

Die alten Chronikenschreiber sind auch allgesamt der Meinung: der heilige Quell habe nur durch die Schuld des sündhaften Volkes seine Wunderkraft verloren; ein Teil der Besucher habe sie trotz der Warnung des Rektors Huddäus nicht wie eine gnädige Gabe Gottes, sondern wie einen Abgott, dem man heidnische Verehrung schulde, angesehen; ein anderer Teil habe aber durch »öffentliche Schande, Sünde, Hurerey und Büberey« dazu beigetragen, daß der Allmächtige sein Geschenk zurückgezogen und dem Brunnen seine Macht und Kraft wieder genommen habe. –

Keine männliche Hand hielt mehr die eiserne Rute über das wilde, gottverlassene Gesindel; im Mai schon war Herr Philipp von Spiegelberg, der Graf zu Pyrmont, ausgeritten aus dem Schloß seiner Väter, fortgezogen in den Krieg, aber nicht für die Franzosen, nicht mit dem Herrn von Wrisberg, sondern für den König von Hispanien und gegen den Wrisberg.

Zum Wrisberger hatte sich ja Don Cesare Campolani geflüchtet, und mit den Herzögen von Braunschweig, Heinrich und Erich dem Jüngern, warf sich Philipp von Spiegelberg auf den alten Bandenführer und die in Niedersachsen geworbenen Haufen. Die dreißig Fähnlein Fußknechte und Reiter, welche Herrn Heinrich von Valois zuziehen sollten, wurden zwar auseinandergesprengt, aber den Campolani erreichte das Schwert des Grafen von Pyrmont nicht, und manch einer seiner Hintersassen mußte bei diesem Anlauf das Leben lassen nach dem alten Sprüchel:

Wann die Jungherrn zum Raufen schreien,
Müssen die Bauern die Haare herleihen.

Christof von Wrisberg wurde auf der Flucht von Hans Barner ereilt und gefangen; der alte Bursche hatte viel Unglück in seinem Leben, aber er verlangte es im Grunde gar nicht besser, und als nun wieder einmal die Gefängnistür hinter ihm verriegelt wurde, fügte er sich diesem Geschick mit philosophischem Gleichmut und würfelte und soff mit den ihn bewachenden Partisanenträgern Tag und Nacht, solange seine Haft dauerte.

Mit fünfzig tollkühnen Gesellen entkam Don Cesare Campolani dem ihm nachjagenden Philipp von Spiegelberg, welcher ihm gar oft dicht auf den Fersen war. Don Cesare hatte mehr Glück als der arme Christof von Wrisberg und rettete sich zum Rheingrafen; für den führte er einen Trupp deutscher Hülfsvölker zum Coligny und Andelot in die feste Stadt Saint Quentin in der Pikardie, gegen welche sich die Kriegeswolken langsam, drohend heranwälzten.

Wacker hielt sich Klaus Eckenbrecher in diesem Strauß gegen den Wrisberger und machte gute Beute, von welcher der Monika Fichtner zu Holzminden ein silbern Ringkettlein zu Händen kam. Freudigen Mutes zog er sodann mit seinem jungen Herrn und Herrn Erich dem Jüngern fürder zu neuen Taten; man hätt Ihm viel bieten müssen, wenn er seine Hoffnungen dafür hätte hingeben sollen. –

Aus Brüssel, wo Don Philipp von Spanien prächtig Hof hielt, wo der leichtsinnige Erich von Braunschweig von den Reizen der wunderschönen Katharina von Wedden sich fesseln ließ und wo Klaus Eckenbrecher nicht viel Gutes lernte, kam der letzte Brief des Grafen Philipp von Pyrmont an die beiden armen, verlassenen Schwestern auf dem Schloß am heiligen Born. Ein trauriger, finsterer Brief war's; Ursula von Spiegelberg weinte bitterlich darüber, bedenklich schüttelte der Kaplan Bellin das Haupt darob, und selbst die wilde, sorgenlose Walburg wurde ganz melancholisch dadurch gemacht.

Die arme Ursula! Sie wußte sich fast keinen Rat mehr. Von den Fenstern ihres Gemaches aus blickte sie oft in Verzweiflung auf das Gewoge des heiligen Angers, der sein Beiwort »heilig« schon lange nicht mehr mit Recht trug, da die wüste Menge darauf ihr scham- und sittenloses Wesen immer toller, immer unbändiger, immer frecher trieb, da niemand war, der ihr wehrte.

Wie mochte solch ein junges, schwach Mägdelein diese wirbelnde, kreischende, jauchzende, in Wut und Lust brüllende, ruchlose Menschensündflut bändigen? Die Hintersassen, die Knechte, welche der Kriegszug des Grafen zurückgelassen hatte zum Schutz des Heimwesens, waren selbst nur allzu bereit, dem ansteckenden, dem üppigen, liederlichen, rasenden Veitstanze zu verfallen. Bis in die Ringmauern des Schlosses erstreckte die große Verderbnis ihre ekeln Fangarme und zog allgemach, unwiderstehlich die Dirnen und Frauen in den Strudel der Schande und der Sünde hinein. Keine Zucht, keine Ordnung galt mehr; einem kochenden, brodelnden Giftkessel glich das sonst so friedliche, liebliche Waldtal, welches die Emmer durchrauscht; Sitte und Scham hatten längst ihre weißen Flügel entfaltet und hatten schaudernd sich in reinere Lüfte geflüchtet.

War schon im Lichte des Tages der Anblick des Wesens am heiligen Born widerlich und abstoßend, so nahm die Szene mit hereinbrechender Dämmerung, mit der Nacht erst die rechte Färbung an. Dann schlangen oft trunkene Tausende von wahnwitzigen Männern und Weibern um die hochlodernden roten Feuer endlose Reihentänze, und Orgien fanden statt, von denen sich das Auge mit Schauder und Entsetzen abwandte. Dazwischen krachten bei Tag und bei Nacht, in Glimpf und im blutigen Ernst die Feuergewehre; vollständige Schlachten lieferte sich die rasende Menge und zerriß sich selbst im Wahnsinn viehischer Wut und Lust.

Gleich zu Anfang des Sommers hatten die Vornehmen, die Ehrbaren und Reichen, welche der Ruf der Heilquelle noch herbeigezogen hatte, die Flucht genommen und dem Gesindel das Feld geräumt; die edeln Herren der Umgegend waren sämtlich gen Flandern zu den Heeren geritten, die Autorität der Geistlichkeit war gleich Null – nirgends war Rat und Hülfe zu finden für die beiden verlassenen, jungen Waisen auf dem Schloß Pyrmont.

Dazu kamen von Zeit zu Zeit die tollsten, abenteuerlichsten Gerüchte aus der Ferne, ohne daß man erfuhr, wie und von wem sie ausgegangen waren. Bald war Brüssel und der Haag, bald war Paris genommen, bald hatten die Spanischen, bald die Franzosen große Schlachten gewonnen, bald sollte der König von Spanien, bald der allerchristlichste König tot oder gefangen sein, bald war Herr Philipp von Spiegelberg mit großem Pomp als Sieger in die gestürmte Stadt Quentin eingezogen, bald lag er darin elendiglich gefangen.

Das war wohl eine Zeit des Schreckens und der Angst für die beiden Fräulein auf dem Schloß Pyrmont!

Vorgesichte und unheildrohende Zeichen aller Art schreckten das Hofgesinde und die beiden Herrinnen. Eine weiße Elster nistete sich über dem Schloßtore ein, und oft huschten vor den Augen des Fräuleins Ursula weiße Mäuslein durch die Säle, Gänge und über die Treppen der Burg, welches beides großes Trübsal bedeutet und unfehlbar anzeigt, daß ein Haus bald einen andern Herrn erhalten werde. Im Waffensaal löste sich eine zurückgelassene Rüstung des Grafen plötzlich, ohne daß jemand den Grund davon anzugeben vermochte, vom Nagel und fiel klirrend zu Boden. Viel unheimliches Gepolter, Schleichen, Rauschen ließ sich in nächtlicher Weile hören, daß Mägde und Knechte und Jungen zitternd zusammenkrochen. Auch eine weiße Gestalt wollten die Wachen gesehen haben, und allnächtlich pickte eine Totenuhr hinter dem Getäfel am Bett der alten Amme Herrn Philipps von Spiegelberg, allnächtlich umflatterte das Leichenhuhn mit kläglichem Geschrei das Schloß und streifte mit den Flügeln die Kammerfenster der zwei Schwestern.

Gegen Ende des Sommers häuften sich diese Vorzeichen immer mehr, und am achten September ging wieder einmal unter dem Volk am heiligen Born ein Gemurmel aus, der Grundherr sei – tot, sei gefallen »drunten in Flandern«.

Kaspar Wicht, der Fiedelmann, brachte die Nachricht zuerst in das Schloß, wo das Gesinde sie anfangs nur mit halbem Glauben aufnahm, da ähnliche Gerüchte schon öfters entstanden waren und sich doch stets als grundlos erwiesen hatten. Aber dieses Mal hielt sich die Nachricht leider Gottes! Immer lauter und bestimmter erklang das anfangs leise geflüsterte Wort. Eine gewaltige Feldschlacht sei geschlagen worden, wußte man, doch waren die Meinungen darob verschieden, welche von den beiden Parteien den Sieg behalten habe.

In das Frauengemach drang das böse Gerücht, und laut weinend umschlangen sich die Schwestern von Spiegelberg, welche das Schloßgesinde ratlos umringte. Boten ritten ins Land aus nach sichern Nachrichten, aber kehrten zurück, ohne viel mitzubringen: im Franziskanerkloster des heiligen Liborius zu Lügde, wo man sonst politische Neuigkeiten immer am ersten und genauesten holen konnte, wußte man weiter nichts, als daß in der Tat eine große Schlacht in der Pikardey vorgefallen sei; von den Gebliebenen konnte man noch keine Auskunft geben.

»Es wird so sein – er ist tot! Er ist tot!« klagten die Schwestern von Spiegelberg.

Am folgenden Tage sang man zu Paderborn Te Deum laudamus und Gloria in excelsis über den Sieg bei Sankt Quentin, und der Bischof sandte einen Trauerboten gen Schloß Pyrmont. –

Das Gerücht hatte diesmal wahr gesprochen: Herr Philipp von Spiegelberg war ritterlich gefallen auf dem Siegesfelde! Das alte berühmte Geschlecht war zu Grabe gegangen, die weiße Elster über dem Schloßtore, die weißen Mäuslein hatten recht gehabt: die Burg auf dem heiligen Anger bekam einen andern Herrn! –

Graf Philipp zu Pyrmont war tot und lag in ritterlichen Ehren begraben zu Kammerich, welches von den Welschen Cambray genannt wird. Sein verwüstet Herz hatte unter dem schweren Leichenstein Ruhe gefunden, sein stolzes, untadeliges Schild war zerbrochen worden über dem Sarge, Schwert und Helm hatte er mit in die Gruft genommen nach ritterlichem Brauche.

Und – seltsamerweise – veränderte sich mit der Nachricht von dem Tode des Grafen der Anblick des Tales von Pyrmont ganz und gar. Wie vor dem Anhauche Gottes zerstob urplötzlich die gewaltige, zusammengelaufene Volksmenge nach allen Seiten mit solcher Schnelle, daß die Chronisten nicht genug Wunder darüber rufen können. Wie der Ruf des heiligen Bronnens meteorartig geleuchtet hatte, so verging er meteorartig wieder, und für lange, lange Zeit versanken die heilenden Quellen in die allertiefste Vergessenheit. Gegen Ende des Septembers befand sich bis auf wenige vereinzelte Nachzügler, die den Wölfen glichen, welche auf einem unbegrabenen Schlachtfelde umherirren, kaum mehr ein Fremder in dem armen, in jeder Art zertretenen und verwüsteten Waldtale, welches Zeuge so mannigfacher, bunter Schauspiele gewesen war. Noch viel betäubter als im vergangenen Jahr nahmen die eigentlichen Bewohner des Tals ihre halbvergessenen Arbeiten wieder auf. Verdrießlich, müde schlichen sie umher – vorbei war der Rausch, die große Orgie der letzten Zeit; Mensch und Natur sanken zusammen und verkümmerten unter den Folgen.

Recht früh ward es in diesem Jahre Herbst. Vorzeitig verblühten die Blumen, welche von den Füßen der Menge verschont geblieben waren; vorzeitig machten die Wandervögel ihre Flugordnung und zogen südwärts von dannen.

Viel zu früh war der Herbst gekommen! –

Und es war ein solcher, die Seele niederdrückender Herbsttag, wo die Sonne freilich wohl den ganzen Tag über schien, wo man aber stundenlang ungeblendet ihre bleiche Kugel auf ihrer Bahn durch den bleigrauen, leichenfarbenen Duft, welcher das Himmelsgewölbe überzog, verfolgen konnte. Mit feinen Schimmerfäden waren die Stoppelfelder überspannt, und Reineke Fuchs lag, auf Beute lauernd, geduckt in der Furche, umkreise von erbosten, krächzenden Krähenscharen. Über alle Wege und Stege wurde durch kurze, eisige, hohlbrausende Windstöße das welke Laub der Wälder getrieben und mit den Staubeswolken in Wirbeln auf und nieder gekreiselt.

Und es neigete sich zum Abend. –

In ihren schwarzen Trauergewändern saßen auf dem Schloß Pyrmont, welches finster und altersgrau in der grauen Beleuchtung dalag, die beiden Fräulein Ursel und Walburg von Spiegelberg, bleich und mit verweinten Augen, und horchten stumm den tröstenden und ermahnenden Worten des Kaplans Bellin, welcher mit dem Gebetbuch auf den Knieen neben ihnen saß.

Verstaubt und mit gelockerten Saiten lehnte die Harfe der jüngern Schwester im Winkel; niemand hatte darauf gespielt, seit die falsche Gauklerin Fausta La Tedesca mit dem Ritter Campolani vom Schloß geflohen war. Des Grafen Philipps Wolfshund hatte den klugen Kopf in den Schoß Ursulas gelegt und blickte mit den treuen, traurigen Augen zu ihr auf und winselte leise, als wisse er recht gut, daß sein Herr nie mehr zurückkehren würde aus der Ferne, daß der Greif nie mehr mit fröhlichem Gebell ihm über die Zugbrücke entgegenspringen werde.

Wohl lag es trübe und schwer auf dem Tal Pyrmont, aber am trübsten und schwersten lag es doch auf dem Herrenschloß im Tal! Die Wappen und Ahnenbilder waren mit Trauerfloren verhängt; tiefstes Schweigen herrschte in den Gängen, in den Sälen, in dem Hofe; nie hörte man wie sonst ein lustiges, loses Wort der Knechte und Dirnen, nie hörte man ein fröhliches Gelächter – nirgends erblickte man ein lächelndes Gesicht. Wie war das frühere bunte Leben verhallt und verblichen – das Schloß auf dem heiligen Anger war tot, wie sein Herr tot war! –

Jetzt wurde der Kaplan zu einem Schwerkranken in Holzhausen, der ebenfalls des Trostes des alten geistlichen Herrn bedürftig war, gerufen; auf den Zehen schlich der geistliche Herr fort und ließ das Schwesternpaar allein in der Dämmerung, die immer tiefer herabsank. Immer unbändiger sauste der Wind um die Schloßtürme. – Während nun der Kaplan Bellin am Lager des sterbenden Bauern zu Holzhausen weilte, erreichte ein kleiner Zug Reiter, welchem zwei Wagen folgten, bei Hagen den Grenzstein von Pyrmont, nachdem er spät am Nachmittag durch Lemgo gezogen war. Langsam schritten die Rosse einher auf dem Wege, auf welchem der Graf Philipp gen Flandern aus der Heimat fortgeritten war. Reitern und Pferden sah man an, daß sie einen langen, mühseligen Weg zurückgelegt hatten: verrostet und bestaubt waren die Waffen, Harnischstücke und Kleider, hager und gebräunt waren die Gesichter der Reiter, hager und abgetrieben sahen die Pferde aus. Sobald der kleine Kriegerhaufen die Grenze der Grafschaft erreicht hatte, begrüßten sie die Männer mit einem lauten, wilden, langhallenden Geschrei, welches auf den benachbarten Feldern seinen Widerhall fand. Von allen Seiten eilten die Bauern und Arbeiter von den Fluren gegen die aus Flandern heimkehrenden Spiegelbergschen Mannen heran, und blitzschnell wußte man zu Holzhausen:

»Sie kommen, sie kommen! ... sie sind da!«

Aus allen Türen stürzten die Männer und Frauen, die jungen Leute, die Greise und die Kinder in Angst und Hoffnung. Freunde und Verwandte waren ja die meisten der in den Krieg mit dem Grafen Ausgezogenen: nun sollte man erfahren, wer heil und wohlbehalten die Heimat wiedergewann. Lautes Wehklagen und Weinen und Schluchzen mischte sich bald in lärmende Ausrufe des Jubels und der Freude. Auch der Kaplan Bellin begrüßte mit Tränen in den Augen die Krieger, die er fast alle hatte aufwachsen sehen. Vorwärts bewegte sich der Zug dem Schlosse zu. Die ganze Bevölkerung von Hagen, Holzhausen, Oestorf und der umliegenden Gegend schloß sich ihm an, und bald klang durch das Brausen des Windes das dumpfe Getöse der nahenden Menge empor zu den Fenstern Walburgs und Ursulas von Spiegelberg.

Vom Turm erklang das Horn des Wärtels, in das Fräuleinzimmer stürzte der Haushofmeister:

»Das Banner, das Banner von Spiegelberg! Sie kommen, sie kommen!«

Mit einem Schrei hoben Ursula und Walburg die Hände, in langgezogenen Tönen klang rufend, klagend vor der Zugbrücke eine andere Drommete. In lautes Weinen brach die arme kleine Walburg aus; aber Ursula stand jetzt bleich und stolz in der Mitte des Gemaches, und ihrer Stimme merkte man kaum ein leises Zittern an, als sie rief:

»Öffnet das Tor den Mannen von Pyrmont!«

Lichter und Fackeln durchirrten das Schloß und sammelten sich auf dem Burghofe. Die Zugbrücke rasselte nieder, und dumpf erklangen der Hufschlag und die Fußtritte der nachdringenden Menge auf den eichenen Planken. Vorauf den Kriegern ritt der Führer, der quer über die Stirn und das linke Auge eine schwarze Binde trug. Matt und krank schien er sich kaum noch im Sattel halten zu können; aber hoch und stolz hielt er mit Aufwendung der letzten Kräfte das schwarzumflatterte Banner von Spiegelberg und Pyrmont empor. Klaus Eckenbrecher war dieser Führer – da alle Bessern vor ihm gefallen waren, so durfte er dem geringen Rest des Spiegelbergschen Häufleins in die Heimat voranreiten.

Die Fackeln im Burghofe gossen ihr rotes, phantastisches Licht über die Reiter, die Rosse und das Volk aus; erklirrend in ihren Harnischen schwangen sich die Mannen von Spiegelberg von den Pferden, und hätten nicht der Schloßkaplan Bellin und andere zugegriffen, so wäre Klaus Eckenbrecher vor übergroßer Erschöpfung dabei zusammengebrochen.

In der gotischen Türe, welche zum Hauptgebäude der Burg führte, erschien jetzt der Haushofmeister, der sich schnell in sein festlich Gewand geworfen hatte, neigete seinen Stab gegen die sieghaft heimkehrenden Krieger und rief:

»Im Rittersaal harren eurer die gnädigen Fräulein, Fräulein Ursula von Spiegelberg, Gräfin zu Pyrmont, und Fräulein Walburg von Spiegelberg, Gräfin zu Pyrmont. Tretet ein und seid willkommen!«

Vor schritt Klaus Eckenbrecher mit dem Panier, ihm folgten paarweise die Reisigen die Treppe hinauf, hinein in den großen Saal, und alles Volk, Männer und Weiber, Kinder und Greise, ging auch hierhin mit, und niemand wehrete ihm sein Recht.

Wachskerzen und hängende Lampen erleuchteten hell die weite Halle, die jetzt einen merkwürdigen, feierlichen Anblick darbot.

Auf einer mit Teppichen belegten Erhöhung am Ende des Saales saßen die beiden Schwestern Ursula und Walburg; zwischen ihren Sitzen stand ein dritter Sessel, an dessen Rücklehne die Wappen von Spiegelberg und Pyrmont, in Holz geschnitzt, prangten. Dieser Stuhl – der Sitz des Grafen Philipp – war leer.

Kopf an Kopf gedrängt, füllte das Volk den Saal hinter den heimgekehrten Kriegsmannen, auf deren Sturmhauben und Harnischen rötlich der Wiederschein der Lichter glänzte.

Aller Augen richteten sich auf die beiden jungen Mädchen, deren Blicke sich dagegen auf die bärtigen, verwilderten Gesichter der Krieger richteten, von welchen die meisten durch Pflaster und schlechtverheilte Narben dartaten, daß sie nicht für ein Kinderspiel die Heimat verlassen hatten.

Allmählich löste sich nun das verwirrte Getöse, welches den Eintritt der Reisigen und der Menge in die Halle begleitet hatte; man vernahm nur dann und wann das leise Rasseln und Klirren eines Waffenstückes, dann und wann ein tieferes Atmen, einen Seufzer oder das stille Weinen einer Mutter oder Braut, welche ihren Schmerz um den verlorenen Gatten, Sohn oder Herzliebsten nicht mehr zu unterdrücken vermochten.

Auch Walburg von Spiegelberg weinte, es weinte aber nicht Ursula von Spiegelberg.

Nun trat Klaus Eckenbrecher vor, beugte mühsam die Knie vor den Herrinnen und senkte die zerschossene und zerrissene Reiterfahne. Die beiden Fräulein neigten sich darüber und küßten das zerfetzte, geschwärzte, blutbefleckte Tuch; dann fragte Ursula von Spiegelberg mit klarer, voll den Saal durchtönender Stimme:

»Wer hat dieses edle Banner von Spiegelberg aus der Feldschlacht heimgeführt gen Schloß Pyrmont?«

»Ich!« sprach Klaus Eckenbrecher. »Es waren alle, denen das Recht darzu zustand, gefallen vor dem Feind. Ich, Klaus Eckenbrecher, hab das edle Panier heimgetragen.«

»Wir danken Euch!« sprach das Fräulein, das Haupt gegen den Reiter neigend. »So möget Ihr nun, Klaus Eckenbrecher, Uns und dem Volk erzählen, wie sich alles begeben und zugetragen hat und wie das alte, berühmte Haus Spiegelberg ritterlich zu Grund gegangen ist.«

Ein dumpfes Gemurmel zog durch die Halle, ein jeder suchte vorwärts zu drängen, und Kaspar Wicht, der wandernde Sänger, hob sich so hoch als möglich auf den Zehen und lauschte mit atmenlosester Aufmerksamkeit. Lag's nicht ganz und gar an ihm, wenn in den kommenden Tagen im Lande von dem Fall des edlen Hauses Spiegelberg gesungen und gesagt werden sollte?

Alle Schwäche und Mattigkeit schüttelte der wunde Klaus von sich ab, und mit kräftiger Stimme, halb gegen die Fräulein, halb gegen das Volk gewandt, begann er seinen Bericht von der »großen Schlachtung für Sankt Quintin«:

»So horchet denn, wie es angegangen ist, seinen Fortgang genommen hat und wie es zu einem Ende kommen ist! Vor Sankt Quintin, der festen Stadt, hatten wir abgesattelt, Deutsche, Hispanier, Engelländer, Wallonen, Burgunder, Niederländer und noch allerlei Volk aus allerlei Völkern, ob wir die Vestung in der Berennung nicht nehmen möchten. Ein Lager war aufgeschlagen und als oberster Feldhauptmann war uns vom König in Hispanien gesetzet Herr Immanuel Philibertus von Sophoi (Savoyen). Viel Städte, Dörfer und Flecken haben wir vorher gewonnen durch Gewalt oder in Güte, und sind auch viel derselben an allen vier Ecken mit Feuer angestoßen worden. Nun lag in der Stadt Sankt Quintin der Franzosen-Ammiral und sein Bruder in großer Not, denn es ward ihnen keine Ruhe gelassen bei Tag und bei Nacht, und ward ihnen fort und fort sehr hart zugesetzet mit der Bestürmung. Als sie nun sahen drinnen, daß es bald Matthäi am letzten sein würde, wenn ihnen nicht baldigst Entsatz würde, so schickten sie Eilboten über Eilboten an den Connestable, so der Französischen oberster Feldherre genennet wird. Es war aber dieser Connestable der Herzog von Momerantz, ein hochgewaltiger Kriegesmann. Und weil nun in der Vestung Not an 'n Mann gekommen war und die Guarnison allbereits großen Mangel erlitt an Proviant und Munition, so hat der Momerantz dem Ammiral zugesaget, daß er kommen wolle, die Stadt Sankt Quintin mit Gewalt zu entsetzen und zu bespeisen. Hatte er aber die Rechnung gemacht ohne den Wirt und ist ihm und seinem Volke weidlich die Kolbe gelauset, und in der großen Feldschlacht, die darob geschlagen ward, hat unser Herr Philipp ritterlich sein Blut verstürzet und hat sein jung Leben allda auf dem Plan lassen müssen. Und mit ihme sind gestorben als treue, tapfere Spiegelbergsche Herzen des Grafen Lieutenant Hennig Rodendeck, und Franz Lindwurm, und der lange Meier, und der Sohn des Wirts zum letzten Heller Peter Rosenhagen, und der Bub Hans Bösendahl, und Meister Martin Speck der Posauner, und Peter Mann der Sudler, und Hans Kahle und Hans Ritter und Hans Nothdurft! Ob noch aber noch welche in der welschen Gefangenschaft sind, kann ich nicht sagen ...«

Unaufhaltsam brach während dieser Aufzählung die Wehklage des Volkes los; laute Verwünschungen und heller Jammer durchtosten den weiten Saal, so daß der Redner abbrechen mußte und erst nach geraumer Zeit in seinem Berichte weiter fortfahren konnte:

»Die ich euch genennet habe, sind gewißlich tot, und Gott möge ihren Seelen gnädig sein!«

»In Ewigkeit, Amen!« rief das Volk.

»Sie sind auch weidlich gerächet«, fuhr der Klaus fort, »und manch ein französischer Schnarchhans, Pocher und Pracher hat ins Gras beißen müssen ihnen zu Ehren und zulieb – ist es nicht also, ihr Reiter von Spiegelberg?«

Wildjauchzend rasselten und klirrten die heimgekehrten Krieger zur Bestätigung der Worte ihres Vorsprechers mit den Waffen.

»Sie haben's gespürt! Bei allen Teufeln, wir haben's ihnen wohl heimgezahlt, doppelt und dreifach!«

Weiter sprach der Eckenbrecher:

»Also um sein Werk zu einem guten End zu bringen, hat der Connestable vorrücken lassen zweiunddreißig Fähnlein deutscher Knechte, an die eilftausend stark unter des Rheingrafen Befehl, darzu viel französisches Fußvolk und alle französischen und gaskonischen Reiter, in die fünftausend Pferde samt achthundert Schützenpferden. Darauf hat er vierzehen große Büchsen auf eine Höhe gestellet unserm Lager grad gegenüber zwischen zwei Dörfern, so sie in ihrer Sprache heißen Essigni und Lizerolles. Alles am zehenten August dieses selbigen Jahres. Diese große Macht sollte aber nur unseren Feldhauptleuten und Herren die Augen voll Sand streuen, auf daß sie nicht sähen, worauf es eigentlich abgesehen war. Es wollte nämlich der Momerantz, während wir mit diesem Haufen anbänden, sich mit einem andern Zug gegen die Stadt schleidien, sie also zu bespeisen und seiner Schwester Sohn den Ammiral zu entsetzen. Aber es kam ganz anders, als er's sich eingebildet hatte, weilen unsere Herren Wind darvon bekamen und auf ihrer Hut waren, daß sie nichts verabsäumeten. Durch das Lager ritt der Herzog Immanuel Philibertus mit seinem Gefolge, und alles hob sich in Waffen, daß es eine herrliche Pracht war. Die Posauner und Drommeter bliesen, die Heerpauker ließen ihre Pauken erschallen, alle Fähnlein weheten lustig im Winde, und lustig klang der Trummelschlag der hinter den Reitern aufrückenden Landsknechte. Zuerst ritten nun die Reiter ins Feld, dem Feind entgegen, und wir Spiegelberger zogen mit den Braunschweigern, und vor jedem Geschwader ritten die Herren in stolzer Rüstung mit gesenktem Visier und hielten Speer und Schwert zur kühnen Arbeit bereit. Es waren aber benebst unserm Herrn der Rossefähnlein-Führer, der Graf von Egmont, für die leichten Pferde, die Herren von Braunschweig Erich und Ernst der Alte, dann Graf Peter Ernst von Mansfeld und Graf Otto von Schauenburg, der Graf von Wittgenstein und Der von Horn mitsamt den andern niederländischen Bannerherren. Den Reitern nach zog das Fußvolk, doch blieben zurück Graf Günther von Schwarzburg und Herr Curd von der Boyneburg, das Lager und den Troß zu schützen. Wir andern zogen mit wehenden Fahnen und dem Gespiel recht freudigen Herzens gegen den Feind, auf daß sein Anschlag zu Schanden würde. Es war ihm auch allbereits das Herz ziemlich in die Hosen gesunken, und eilends ließ der Connestable von Momerantz sein vorgeschickt Volk mit dem Geschütz zurückziehen. Als er sah, daß es Ernst werden sollte, wollte er noch in der letzten Stund das Spiel aufgeben, hatte aber wiederum falsch gerechnet; denn zwo Meilen von der Stadt Sankt Quintin bei den Dörfern Essigni und Lizeroll stelleten wir ihn und waren auf ihn mit aller Macht. Und als nun die Trompeten und Heerpauken zum Sturm riefen, da hab ich das Aug unseres genädigen Herrn seit langer Zeit zum erstenmal hell wieder leuchten gesehen, als er sich rückwärts auf dem Sattel wandte und einmal das Helmvisier hob und uns zurief: ›Nun haltet euch wacker, ihr Mannen von Spiegelberg – drauf und dran mit Macht – vorwärts gehet der Weg!‹ – Ich glaub, der Herr Grafe hat es vorgewußt, daß er in den Tod ging, und ich glaub auch, er hat sich gefreut darob. Verflucht seien in alle Ewigkeit die, so schuld daran haben.«

»Fluch der Zauberin! Fluch der Unhuldinne, der Hexe! Fluch dem falschen Ritter Campolan!« brach wütend das Volk von Pyrmont los, und höher hob sich Klaus Eckenbrecher und zog aus seiner Gürteltasche eine zerrissene goldene Kette, welche er mit wildem Triumph in die Luft hielt.

»Das ist die Brustkette des falschen Verräters Cäsar Campolani, der unsern Herrn Philipp erschossen hat in der Schlacht für Sankt Quintin, und hab ich ihn vom Pferde gehauen, und hab ich ihm den Dolch dazu in die Kehle gestoßen, als ich auf der Erd mit dem welschen Hund rang und die Reiterschlacht über uns weg ging!«

Von ihren Sesseln sprangen die beiden Fräulein von Spiegelberg auf; ein unbeschreiblicher Tumult erhob sich in der weiten Halle. Eine zitternde Hand streckte Ursula von Spiegelberg gegen die Kette aus, und Klaus Eckenbrecher legte das Kleinod des Ritters in diese kleine Hand, welche die Kette krampfhaft faßte und zu Boden schleuderte. Den Fuß setzte die Schwester des Grafen zu Pyrmont auf das Ehrenzeichen Don Cesare Campolanis, welches ihm von dem französischen König Heinrich von Valois gegeben worden war.

»Fluch, Fluch dem Verräter! Fluch dem falschen Elenden!« rief die Ursel.

»Fluch! Fluch! Fluch!« und »Vivat dem Klaus!« hallte die Menge nach und drängte abermals soviel als möglich gegen die Estrade an.

»Weiter, weiter, Klaus Eckenbrecher!« rief Walburg von Spiegelberg dem tapfern Reiter zu. »Segen und Glück über Euch, Klaus! Weiter, weiter!«

Tief holte der Klaus Atem und fuhr fort in seinem Bericht:

»Kaum hatte unser Herre uns angesprochen, wie ich gesaget habe, so wurde das Zeichen zum Anlauf gegeben mit allen Trommeten, Zinken, Trommeln, Pauken und Posaunen. Auf schrieen und schnoben Mann und Roß, vor stürzte alles, dann kam ein gewaltiger Anprall, schwarz wurde es einem vor den Augen, und der Himmel wurde dunkel wie die Nacht, und alles war Schwindel und Verwirrung in einem und um einen, daß man nicht wußt, wo man war, ob an der Erden oder ob hoch in den Lüften. Dann erkannte man zuerst wieder das große Geschütz, das Krachen und Brummen der Kartaunen, Büchsen und Feldschlangen, und dann wurden die Sinne wieder frei, und man kannte sich aus. Wir waren mitten unter den Gaskognern, doch sah ich zuerst unsern Grafen nicht mehr; das Getümmel hatte ihn zur Seite fortgerissen von uns –«

»Ich war bei dem Herrn«, rief hier einer der Krieger. »Wir waren zu den niederländischen Völkern, so der Herr von Habrincourt führete, geraten. Unser Herr Philipp rief ihm etwas zu, was ich nicht verstand; aber der Habrincourt fiel in demselben Augenblick unter die Gäule und war tot, ehe er antworten kunnt.«

»So ist es geschehen«, sagte Klaus Eckenbrecher. »Ach, ihre beiden Seelen sind allzubald in der ewigen Seligkeit wieder zusammengekommen! ... Lange Zeit war nun alles ein verworrener Knäuel, daß niemand wußt, wer das Feld behalten sollt; aber unter den französischen Schützen bin ich wieder zu unserm Grafen gestoßen und bin bei ihme geblieben bis an seinen Tod. Unter den französischen Schützen rettete unser Herre dem Fürsten von Braunschweig, dem Herzog Erich, der mit seinem Gaul zu Boden lag, das Leben, und sein Hengst wurde dabei am Schenkel wund, und ich hab ihm meinen Fuchs geben und hab für mich selbst ein reiterlos französisch Pferd erhaschet. Indem schied sich aber Freund und Feind aus der ersten Wirrnis besser auseinander, und man sahe sein Werk klarer vor sich. Es brachten Braunschweigische den Vizegrafen von Turone, des Connestables Eidam, gefangen rückwärts, und ist derselbe am siebenten Tage nach der Schlachtung in des Herzogs Erichs Lager verschieden an seinen Wunden. Imgleichen lagen schon auf dem Feld der Herzog von Momyonsier, wie auch der Marschalk von Sankt Andreä, des Königs in Frankreich oberster Kämmerer. Von neuem Anlauf und Sturm, und immer von neuem, bis zuletzt sich die Franschen zur Flucht wandten. Und nur die deutschen Schlachthaufen zu Fuß unter Hans Philipp dem Rheingrafen, dem Grafen von Barby, Friedrich Reiffenberger und Hauptmann Stern, des Rheingrafen Lieutenant, hielten sich noch wacker und zogen sich gleich einem Igel in einen bösen, stachlichten Klumpen zusammen. Gegen diesen Klumpen warf sich die ganze Hauptmacht unserer Fußvölker, doch nicht wir Reiter; denn wir waren alle – Spiegelberger, Mansfeldsche, Braunschweiger, vermenget mit den Spießen des Herrn von Horn hinter und unter der flüchtigen Cavalcada des Feindes, daß alles über und über ging. Da jageten vor uns her in wilder Hast und Angst, auf daß sie erretteten, was sie im Wams trugen, die allergrößesten Herrn, als: der Herzog von Langeville, Herr Ludwig von Gonzaga, des Herzogen zu Mantua Bruder, der Herr von Mambron, des Constabels jüngster Sohn, der Herr von Lansack, der Herr von der Rosche-Foucaut, der Graf Georg von Westerburg, der Graf Arbogast von Heben, der Herr von Roschefort, der Herr von Allii, Oberster über des Königs von Frankreich Adel im Nachzug, der Herr von Kapelle, des Constabels Lieutenant, der Herr von Bottesin, der Herr von Schenü, der Herr von Esden, der Herr von Estrolt und viel andere edle und fürtreffliche Herrn – Gaskognier, Schützen, Pikarden, Deutsche und Franzosen durcheinander. Es wurden aber die genannten Herren allesamt gefangen, und retteten sich durch die Flucht nur der Herzog von Nivers, der Graf von Villars, der Prinz von Conde, der Prinz von der Rosche-Scirion und der Herzog von Anguien, so aber an zwei Schüssen nicht lange nachher verstarb. In Staub und Feuer und Qualm ging es durch das Gebrüch und das Gemöse fort und fort. Wie wetterte unser Herre gleich einem wütigen Leuen darzwischen! Da ward auch der Momerantz, der Connestabel, durch die Hüfte geschossen und gefangen; da fielen auf unserer Seit viel gute deutsche, spanische und niederländische Herren und auch Graf Philipp von Waldeck und Hans von Braunschweig-Grubenhagen, da – erjageten wir auch den Campolan! ... Und als er ihn erblickte, schrie unser Herre auf, daß es den allerschrecklichsten Tumult der Feldschlacht übertönete, und –«

Eine neue Bewegung entstand im Saal des Schlosses Pyrmont.

»Weiter, weiter, Klaus Eckenbrecher!« rief Ursula. Zitternd, atemlos, vorgebeugt standen die Schwestern und ihre Hintersassen, finster und schweigend die heimgekehrten Kriegsmannen.

»Wir erkannten den Ritter, weil er den Helm verloren hatte; er ritt einen stolzen Falben und trug die Rüstung und Feldbinde von des französischen Königs Adelhaufen. Vergeblich mühete er sich ab, die fliehenden Scharen zum Stehen zu bringen; alles stürmte in wilder Eile an ihm vorüber. Als ihm unser Herre zuschrie, wandte er sich und erkannte uns sogleich, und ein höhnisch Lachen lief über sein Gesicht. Ich hatte eben noch mit einem von den Gaskogniern zu schaffen; aber mein Herr Graf war gleich auf den italischen Hund mit aller Wut. Um uns her krachte und rasselte, stampfte und klirrte und brüllte es wie tausend Schock losgelassene Teufel – das war alles Blitz und Schlag – ich hatte meinen Windbeutel zu Boden und flog über Roß und Mann weg und war im nächsten Augenblick dem Herrn wieder zu Seiten; aber da war das Unheil schon geschehen. In den Dampf und Qualm der Schlacht fuhr aus dem Feuerrohr des welschen Hallunken ein neuer Blitz, und unser Herr griff mit der Hand in die Luft, sein Schwert entfiel ihm; ehe ich zugreifen konnte, stürzt' er zu Boden; sein scheu geworden Pferd hob sich hoch und jagte ausschlagend davon und schleifte unsern Herrn noch eine Strecke mit hinein in das dickste Getümmel; dann lösete sich der Fuß aus dem Bügel, und die Speerreiter Des von Horn rasselten über den ritterlichen stolzen Leib meines Grafen weg! Das hab ich alles in Not und Wut erschauet, der einzige von den Spiegelbergern; denn wir waren alle voneinander gekommen, und jeder jagte den Feind auf seine eigene Faust. Aber in meiner Todesstunde noch soll mir ein Trost sein, daß mir es gegeben war, meinen lieben Herrn an dem Campolan zu rächen! Zu Boden hab ich ihn gerungen, und sein Leben hat er verhauchen müssen unter meiner Hand, und ob er gleich um Pardon schrie, hat es ihm doch nichts geholfen.«

Nun hob noch einmal die Wehklage des Volkes von Pyrmont um den gefallenen Grafen Philipp an; in übergroßer Ermattung sank jetzt aber auch Klaus Eckenbrecher zusammen, als er in seiner Erzählung soweit gekommen war, und ein anderer Reiter, Jobst Bügel aus Löwenhausen, trat hervor und berichtete in einfacher, unbeholfener Weise weiter von dem Verlauf der großen Schlacht. Von dem wackern Widerstand der deutschen Landsknechte unter dem Rheingrafen sprach er: wie sie standen, »den linken Fuß voran fest aufgestemmt, das Schaftende der Picken vor dem rechten Fuß in den Boden gestoßen, ihre Speerspitzen den Reitern und Fußvolk gleich eiserner Hecke entgegenstreckend«. – Von der endlichen Zertrennung und Niedermetzelung dieses tapfern Haufens erzählte er, von des Geschützes Eroberung und den gewonnenen »zweiundsiebenzig Reiter- und Knechtsfahnen«.

Dann hatte sich der Klaus ein wenig wieder erholt und konnte den Bericht zu Ende bringen:

»Ja, und am andern Tage nach dieser großen Viktorien ist auch der König Philipp von Hispanien, der von der Schlacht sich ferngehalten hatte, in das Lager kommen und auch zu unseres Herrn Leiche, die, mit Grün und Blumen geschmückt, auf einer Bahre im Zelt lag und mit großen Ehren bewachet und angesehen wurde, bis wir sie mit stolzem Geleit gen Kammerich führeten, allwo nun unser Herre Philipp mit den andern gefallenen Helden begraben lieget in der Domkirche. Alle Fürsten, Grafen, Ritter und Kriegsmänner, so vom Heeresdienst abkommen konnten, sind den Särgen in Wehr und Waffen mit den Panieren gefolget, und hat also unser Herr den ewigen Ruhm davongetragen. Am siebenundzwanzigsten Augusti ist die Stadt Sankt Quintin zum letzenmal angelaufen und mit stürmender Hand eingenommen. Ist darinnen fast kein Stein auf dem andern blieben, und wurde der Ammiral mit allen seinen Leuten, so dem Schwert entrannen, gefangen genommen. Darnach sind wir Spiegelberger mit des Herzogs Erich Gnaden heimgezogen, in Trauer und Wehmut, daß unser Herr Graf nicht mit uns kehrete. Viel fürnehme französische Gefangene samt dem Rheingrafen Hans Philipp hat der Herzog mit ihm geführet nach seinem festen Haus Calenberg, auf daß sie sich lösen sollen, ihres Leibes Gewicht in Gold, und wird auch ein gut Teil solcher Lösung auf uns fallen. – So sind wir jetzo trotz der großen, herrlichen Viktoria in Jammer und Leid nach langem, mühesamem Weg hier! Gott segne euch, ihr Fräulein von Spiegelberg – es ist nicht unsere Schuld, daß unser Grafe, der Herre Philipp, nicht mit uns heimkommen ist!«

Und wiederum klang der Schrei des Volkes von Pyrmont auf, daß die alten, festen Mauern des Schlosses auf dem heiligen Anger es bis in den Grund spürten. Mit wilder Gewalt brachen die Tränen der beiden Schwestern aus, und sie sanken einander in die Arme. Es weinte jedermann ob des jungen Grafen Philipp von Spiegelberg, der so früh den blutigen Tod hatte finden müssen. Es klagte jedermann den Fall des uralten, stolzen Hauses Spiegelberg. Nun konnte Kaspar Wicht, der Spielmann, sein Lied davon machen und im Land umtragen! ...


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