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Vierzehntes Kapitel

Wie das Eis aufging und es wieder einmal Frühling wurde.

Mit dem Ritter Christof von Wrisberg verläßt auch der Erzähler das gastliche Schloß Pyrmont, die Geschwister von Spiegelberg, den Ritter Campolani, die schöne Fausta und den Reiter Klaus Eckenbrecher. Aber nicht lange zieht er mit dem Söldnerführer, an der nächsten Wegteilung nimmt er von dem griesgrämlichen, fluchenden alten Patron Abschied und zieht allein weiter im Schmutz vor Ostern.

Grundlos sind die Wege in den triefenden Wäldern, jeder Schritt ist eine ermüdende Arbeit, und wenn man sich bis zum Weserfluß durchgerungen hat, kann man noch nicht einmal ein Schiff besteigen, um die Reise nach der Stadt Holzminden bequemer fortzusetzen! Der Strom, geschwellt vom Andrange der Frühlingsgewässer aus den thüringischen und hessischen Bergen, hat soeben den ihn bedeckenden Eispanzer mit Macht zerbrochen und schickt Scholle auf Scholle krachend, donnernd dem Meere zu, einer Riesenschlange gleich, welche sich von ihrer alten Haut befreit.

Jetzt gewährte die Weser einen andern Anblick als im vorigen Sommer. In allen Dörfern, Städten und Flecken, welche an ihren Ufern liegen, waren die Männer und Jünglinge mit Haken und Stangen auf den Beinen, das drohende Unheil der Stauung der Eismassen, welches bei den unendlichen Krümmungen des Flusses und dem steilen Abfall so leicht eintritt, abzuwehren.

Zu solcher Zeit läßt die Weser nicht mit sich spaßen, und oft schon hat sie über die Bewohner ihrer Ufer Verderben und Verwüstung ergossen.

Manche Sturmglocke klang hülferufend in das Land hinein; hie und da hatte sich eine flache Gegend schon in einen See verwandelt; Angst, Schrecken, Verzweiflung, Arbeit, Not herrschten überall.

Nur das Flügelroß der Phantasie schwingt sich leicht darüber weg und setzt uns ab an unserm Bestimmungsort, dem Städtlein Holzminden.

Wäre das Nestchen nicht so höchst vortrefflich an seiner Planetenstelle befestigt gewesen, es würde ohne Gnade in die Weser hin ab geschwemmt worden sein; – so aber stemmte es sich wacker den aus dem Solling herabflutenden Wassern und dem Regen entgegen und hielt mit anerkennenswerter Ausdauer stand. Höchst schmutzig und verwahrlost sah es freilich dabei aus; aber das ließ sich nicht ändern. Bei Regenwetter zeichneten sich die Städte, Dörfer und Flecken des sechzehnten Jahrhunderts nie durch übergroße Sauberkeit aus. –

Auch zu Holzminden war die Bürgerschaft natürlich in großer Aufregung – Rat und Geistlichkeit in allem voran.

Der feiste Bürgermeister Uhlenhut und der Pastor loci Valentin Fichtner vervielfältigten sich schier. Überall waren sie mit Rat und Tat zur Hand: hier überwachten sie die Leerung eines Stalles, in welchem das Wasser den kläglich rufenden Kühen bis an den Bauch gestiegen war; dort suchten sie ein Unterkommen für eine arme Familie aus Lüchtringen, deren Anbauerhütte in diesem Augenblick höchst wahrscheinlich schon bei der Porta Westfalica angekommen war; – hier trieben sie einen Haufen junger Burschen am Stromufer zu erneueten Anstrengungen an, dort suchten sie einen Haufen weinender Weiber und heulender Kinder zu trösten. Keiner Mühe, keiner Gefahr entzogen sie sich; wie es einer christlichen Obrigkeit zukam, verhielten sie sich in dieser allgemeinen Not. –

Auf der wohlbekannten Mauer des Pfarrgartens aber stand die holde Monika und blickte hinaus auf die Wasser- und Eiswüste, welche sich zu ihren Füßen ausbreitete und immer höher emporstieg zu ihr und ihren Gartenbeeten. Das arme Kind sah nicht mehr so rotwangig aus wie im vergangenen Sommer. Die Monika war bleich, recht bleich geworden und schien sich nur mit Mühe aufrecht zu halten. Sie war fast noch schöner geworden; aber – es war die Schönheit, welche nur das Herzweh und die allertiefste Sorge geben kann, über sie gekommen.

Sonst hatte sie sich jedenfalls helfend und sorgend mit in solches Getümmel gestürzt; jetzt aber schaute sie müde, gleichgültig den nach Norden hinab sich drängenden Eisschollen nach. Seit der wandernde Spielmann ihr jenes Briefelein ihres Herzliebsten gebracht hatte, war ihr kein Gruß, kein Bote, kein Lebenszeichen von ihm gekommen.

Auf den heißen Sommer war der Herbst gefolgt, und die Menschen hatten die kümmerliche Ernte, welche ihnen die böse Glut übergelassen hatte, eingebracht in ihre Scheunen: – vergeblich war das Hoffen der kleinen Monika gewesen.

Nach dem Herbst war der kalte, lange Winter mit seinem Regen, Schnee und Eis gefolgt: – nichts, nichts hatte die arme Monika von dem Klaus erfahren.

Nun kam der Frühling wieder, und wie das Herz im Frühling sich regt, das hat wohl jeder erfahren in Leid und Freud!

Die Monika Fichtner spürte es zu großem Leide; – bängliche Schwermut drückte ihr fast das Herz ab. Lebte er noch? Hatte er sie noch lieb?

Die Monika wurde krank in dem Gedanken, daß er tot, daß er hülflos in der Fremde gestorben sei; oder noch schlimmer, daß er sie längst vergessen habe um eine Schönere drüben hinter den blauen Bergen.

»Die Disteln und die Dornen, die stechen allzusehr;
Die falschen, falschen Zungen, die stechen noch viel mehr.«

Alle neidischen Gespielinnen der Monika erzählten ihr mit verhaltener Schadenfreude von dergleichen Vorkommnissen, und wie so etwas gar nicht so selten sei in der Welt, wie man sich wohl vorstellen möchte.

»Die eine redt dies, die andre redt das,
Das macht mir gar oft die Äuglein naß.«

Auch die Monika lachte schon lange nicht mehr über solches Zischeln, Flüstern und Sticheln. Mehr und mehr hatten die bösen Gedanken Raum gewonnen in ihrem armen, kleinen, ängstlichen Herzen.

O wie sie sich quälte, wie sie häßliche Träume hatte und lange schlaflose Nächte, in welchen sie ihr Kopfkissen feucht weinen mußte! Und das alles so unnötigerweise und nur, weil die guten, lieben Weiber um so viel besser sind als die Männer, welche gar nicht verdienen, daß die guten, lieben Weiber ihretwegen geschaffen worden sind.

Wie leicht hätte dieser nichtsnutzige Klaus dieses ängstliche, sorgende Herz beruhigen können; wie wenig ahnete er den Wert des Schatzes, der ihm in diesem kleinen Herz zugefallen war! Wie sehr hatte Ehrn Valentin recht, als er sein Töchterlein warnte, dieses Herz nicht gar so leichtsinnig wegzugeben!

Aber wer konnte etwas dagegen tun?

Geschehen war einmal das Unglück und konnte nicht wiedergutgemacht werden. Was die arme kleine Monika auf sich genommen hatte, das mußte sie nun tragen. –

Drüben am linken Ufer der Weser hatte der Vikarius Festus auch seine liebe Not. Auf dem linken Ufer des Stromes war die Gefahr und die Verwirrung fast noch größer als auf dem rechten. In dem Augenblick, wo wir uns zu dem jungen Mönch wenden, schritt er, ein Kind auf dem rechten Arm, ein Vogelbauer mit einem höchst verwunderten Dompfaffen im linken Arm tragend, eilfertig hervor aus einem dicht am Fluß gelegenen und fast halb fortgeschwemmten Fischerhause, dessen sämtliche Bewohner in niedersächsischer Hartnäckigkeit sich in den Kopf gesetzt hatten, mit ihrem Obdach abzusegeln, obgleich damals noch nicht so viel Leute aus dem deutschen, gesegneten Vaterlande auswanderten nach Amerika.

Auf seinen Stab gelehnt, stand der Vater Chrysostomus inmitten seiner sich um ihn drängenden Gemeinde. Er war nun ganz blind geworden und vermochte nichts weiter, als die Kügelchen seines Rosenkranzes durch die zitternden Finger rollen zu lassen; auf dem Bruder Festus allein lag alle schwere Sorge und Arbeit der Zeit. – Immer höher stiegen die Wasser. Schon erreichten sie das Pfarrhaus, und wenn nicht bald ein Stillstand eintrat, so mußte in kurzer Frist das ganze Dorf ihrem wilden Spiel anheimfallen.

In stumpfsinniger Apathie standen die armen Bauern da, vergebens bat und flehete der Vikarius und ermunterte zu rettender Anstrengung.

Man betete, man rief alle Heiligen an, man weinte und ballte auch wohl die Fäuste, man entgegnete dem mahnenden Geistlichen: »Es hilft doch nichts! Alles ist vergeblich! Was sollen wir uns quälen?«

»Nicht also! Wehren sollt ihr euch! Gott gibt die Rettung, wenn ihr euch dazuhaltet.«

»Es hilft nichts – 's ist alles verloren – die Sündflut bricht herein – der Komet hat's vorausgesagt!«

Der Bruder Festus sank fast zusammen vor übergroßer Ermattung.

»Wehren sollt ihr euch!« murmelte er noch einmal, als wiederum sein Auge an dem weißen Gewande auf der Mauer des lutherischen Pfarrgartens haftete. »Glaube ich denn an das, was ich ihnen sage?«

Ratlos, die Hände ringend, irrte er umher am Rande der steigenden Flut, der donnernden Eismassen. Da erschien plötzlich hoch zu Roß inmitten des verzweifelnden Volkes ein Mann, dem einige Diener folgten. Das Auge des Ankömmlings flog über die Menschen und die Wasser; im nächsten Augenblick war er von seinem Pferde gesprungen, winkte er seinen Dienern, dasselbe zu tun.

Schnell hatte er erkannt, wo es hier fehle, und was dem Vikarius Festus nicht gelingen wollte, das gelang dem – Arzt Simone Spada aus Bologna!

Drohungen, welsche Flüche erweckten die Bauern aus ihrem Stumpfsinne. Das unerwartete frische Eingreifen übte seine Macht über die Gemüter. Von neuem griffen die Leute von Stahle zu ihren Haken und Stangen, um von neuem den Kampf gegen die sich aufeinanderschiebenden Eismassen aufzunehmen. Die am meisten bedrohten Häuser und Hütten wurden geräumt – alles half nach Kräften; die Männer arbeiteten am Fluß, die Weiber und Kinder trieben das Vieh auf die Höhen und bargen die ärmlichen Habseligkeiten.

»Avanti, avanti! Nicht den Mut verloren – vorwärts, Leute – Gott hilft den Wackeren! Schauet drüben die Ketzer; – wollt ihr euch von ihnen beschämen lassen? Auf, auf im Namen der allerheiligsten Jungfrau!«

Das half. Der Mut kehrte wieder, und der Himmel tat dazu das Seinige: die Wasser stiegen nicht mehr, wenngleich sie auch fürs erste noch nicht fielen.

Als die Abenddämmerung hereinbrach, konnte der Bruder Festus dem Fremden an dem flammenden, behaglichen Feuerherd seines Pfarrhauses mit Tränen in den Augen danken.

»Das war Hülfe in der Not! Gesegnet sei der Herr, welcher Euch gesandt hat. O nennet mir Euern Namen, daß ich ihn ewiglich in meinem Herzen aufbewahre!«

»Ach, schreibet nicht meinem geringen Verdienst das glückliche Ende dieses Tages zu! Übrigens ist mein Name Simone Spada, ich bin ein Arzt und soeben auf der Reise nach meinem Vaterland Italien begriffen. Von Osnabrück komme ich, allwo ich einen teuren, väterlichen Freund zur Erde habe bestatten müssen und allwo ich vorher selbst lange Zeit krank gelegen habe.«

»Noch einmal den herzlichsten Dank! O, nun setzet Euch und nehmet mit dem vorlieb, was unser armes Dach und die schwere Zeit Euch bieten kann.«

Der Arzt Simone ließ sich am Kamin des Pfarrhauses zu Stahle nieder. –

Scholle auf Scholle knirschte und krachte an der Mauer des Pfarrgartens zu Holzminden im wildesten Getümmel vorüber, so daß Monika schwindelnd sich an der Brüstung halten mußte. Eben kam ein größeres Eisstück vorbei, und auf ihm saß ein Rabe, welcher des Fliegens müde geworden war. Frech blickte der schwarze, drollige Gesell, als er vorüberschiffte, zu dem jungen Mädchen in die Höhe, als wolle er sagen:

»Jaja, Jungferchen, wenn du meine Flügel hättest, so wüßt ich wohl, wohin du den Flug um Kundschaft richten würdest – krah – kräh – kräh.«

Weiter stromabwärts wurde dem seltsamen Reisenden solche Fahrt wieder langweilig. Mit lautem, höhnischem Geschrei schüttelte er die Flügel, schwang sich in die graue Abendluft und flatterte gen Nordwest. Die arme Monika aber starrte ihm nach und nickte mit dem Kopfe den Takt zu einem Wanderlied, welches sie vor sich hinsummte, fast ohne es zu wissen.

Jetzt kam der todmüde Vater in den Garten vom Hause her. Einige Augenblicke beobachtete er still sein Kind und schüttelte dabei sorgenvoll das graue Haupt. Als er die Monika dann leise und sanft anredete, schrak sie heftig zusammen.

»Nun, mein Töchterlein«, sprach der Pastor Fichtner, »ist das nicht ein bös, bös Schauspiel? Aber wahrlich, der allmächtige Gott ist prächtig in seinen schrecklichen Werken, trotz dem Grauen wird man solches Anblicks doch nicht müde. Wehe, da gehet schon wieder ein eingedrückt Fachwerk! Wo mag das nun wieder fortgerissen sein?«

»Die armen Leute!« seufzte Monika.

»Jawohl, die armen Leute! Horch, da läuten sie Sturm zu Albaxen – da muß alles ein wüstes Meer sein. Die Wasser schlagen Wellen, wo die grüne Saat vor Stunden noch lustig aufsproß. Ach, was soll das Läuten – wer kann da helfen? Wir selbsten haben kaum Arme genug, das Verderben von uns abzuwehren. Gott mag Kraft geben. Da unten am Kiekenstein haben sie am meisten zu schaffen, um die Schollen im Gang zu halten. Der Küster sagt, vom Kirchturm sehe man weit ins Land hinein alles wie einen See. Das ist gleich den Tagen der Sündflut: der Herr lasse bald die Taube mit dem Ölzweig ausfliegen, der Herr sende bald den siebenfärbigen Bogen des Friedens!«

»Der Herr schütze alle betrübten Herzen in der Nähe und in der Ferne!« seufzte Monika.

»Amen!« sprach der Pastor von Holzminden und fuhr dann fort: »Du bist recht bleich, mein Kind; – komm mit mir ins Haus, der böse Anblick macht dich krank.«

»O nein, mein lieber Vater, ich fühle mich ganz wohl.«

»Ganz wohl? Kind, Kind, du machst mir viele Sorgen.«

»Mein lieber Vater?!«

»Jaja, Monika, viele Sorgen machst du deinem alten Vater. Schau, die Welt ist schon so voll böser Listen und Tücken; es dräuet auf allen Seiten dem Reich Gottes und der reinen Lehre so viel Gefahr, daß man sich schier verkriechen möcht mit seinem Glauben und seinem letzten Glück wie die Schneck in ihr Häuselein, wenn solches nicht feige und unmännlich und unchristlich wär! O lieb Kind, schaff deinem Vater nicht noch mehr Herzeleid!«

Monika verbarg ihr Köpfchen an der Brust des sorglichen Alten, und dieser führte sie fort von der Mauer, indem er sagte:

»Wacker soll der Mensch kämpfen gegen jeden bösen Feind, komme er von außen oder von innen. Vielen Geistern hat der Herr die Macht gegeben über unsere Herzen und Nieren, aber auch viele Kräfte und gute Waffen hat er uns gegeben, sie wieder zu schlagen. Komm ins Haus, Töchterlein, die Luft des Frühjahrs machet müde; auch meine alten Knochen spüren den schweren Tag.«

Ach, nicht die Frühlingsluft war's allein, welche die Monika Fichtner so bleich und müde machte, und Ehrn Valentin schob ihr auch nicht die ganze Schuld des kummervollen Aussehens seiner Tochter zu. Ob er aber den eigentlichen Grund davon wußte, das wollen wir dahingestellt sein lassen, der Pastor Fichtner war ein gar kluger Mann mit scharfen Augen, aber im höchsten Grade schweigsam in gewissen Angelegenheiten.

Nachdem er sein krankes Kind in das Haus geführt hatte, stieg er an diesem Abend nicht, wie es sonst seine Gewohnheit war, sogleich hinauf in sein Studierstüblein, sondern blieb sitzen neben dem schnurrenden Spinnrad der Monika. Das Rollen und Grollen des nahen Flusses würde ihn doch allzusehr in seinen Arbeiten gestört haben.

Fein, fein, fein lief der Flachsfaden durch die zierlichen Finger der geschickten Spinnerin, die sich auch nicht mehr, wie ihre Mutter noch, mit der unbequemen Spindel abzuquälen hatte. Fein, fein, fein wickelte sich der Faden auf die Rolle, damit später der Meister Weber ein schönes, weißes Stück Leinen daraus webe – zum Brauthemd? Zum Totenhemd? – ach, was für Gedanken liefen auf dem feinen, feinen Flachsfaden!

Draußen tobte die Weser immerfort. Von Zeit zu Zeit verließ der Pastor das behagliche Kaminfeuer, um neue Nachricht über den Stand der Wasser einzuholen. Auch kamen wohl Leute, um Nachricht zu bringen oder von neuem Trost und Rat von dem geistlichen Herrn zu erbitten. Es war ein fortwährendes Ab- und Zugehen.

Auch der Herr Bürgermeister erschien nach eingenommenem Nachtmahl. Wir haben den Mann bereits kennengelernt an jenem Abend, wo der Graf Philipp von Spiegelberg ihm und der guten Stadt Holzminden einen so großen Schrecken einjagte. Er hatte sich wenig verändert in dem Jahr, nur sein Leibesumfang war noch ein klein, klein wenig ins Breite gegangen.

Der Bürgermeister Uhlenhut hatte sich heute jedenfalls eine Bürgerkrone verdient, indem er trotz seiner körperlichen Unbeholfenheit die Rührigkeit und den guten Willen des jüngsten Mannes seiner Stadtgemeinde übertraf. Wenn die Stadt Holzminden nicht untergegangen und fortgeschwemmt war, so hatte sie das einzig und allein ihrem Bürgermeister und ihrem Pastor zu verdanken. Diese beiden Männer konnten wirklich stolz auf ihr Tagewerk sein. –

Die Begrüßung zwischen den beiden Würdenträgern des Weichbilds war würdig und anstandsvoll wie immer, aber doch weniger zeremonienhaft wie sonst. Man schüttelte sich herzlicher wie gewöhnlich die Hände, man kam eher wie gewöhnlich »zur Sache« und in eine fließende Unterhaltung.

Anfangs drehte sich das Gespräch nur um die große allgemeine Not des Tages und die dagegen anzuwendenden Schutzmittel, als da sind: Haken, Stangen, Bibelsprüche, lutherische Kirchenlieder usw. Nachher wandte sich die Rede jedoch auch zu andern Gegenständen wie: der Welt Regiment, und wie alles zum Schlechtem sich wende, und wie der liebe Gott recht bald ein Einsehen werde haben müssen, wenn nicht der Teufel die Oberhand gewinnen solle.

Vom Teufel kam man auf den Türken, vom Türken auf den heiligen Vater zu Rom, vom Papst natürlich auf den Antichrist und das Tausendjährige Reich, vom Tausendjährigen Reich gelangte man zum Deutschen Reich und dem Kaiser, von diesen wandte sich das Gespräch naturgemäß zu den Spaniern und den Franzosen, auf welchem ausgiebigen Felde es mit am längsten verweilte.

Beim Abschiednehmen sprach der Bürgermeister seufzend:

»So ist es, Herr Pastore, und es ist so! Wie ich Euch sage, es wird ein böses Jahr werden, ein noch viel schlimmeres als das vorige. Der Komet hat's wohl angekündigt; – drunten in Flandern stehen sie schon dicht aneinander, und was Kaiser und Reich tun werden, das weiß allein Gott. Nun, er schütze nur unsern lutherischen Glauben; behalten wir den, so mag alles andere dahinfahren.«

»Das ist das Wahre, Meister Uhlenhut«, sprach Ehrn Valentin Fichtner. »Halten wir uns an das, was der hochselige Herr Doktor gesungen hat:

Nehmen sie uns den Leib,
Gut, Ehr, Kind und Weib,
Laß fahren dahin,
Sie haben's kein Gewinn,
Das Reich muß uns doch bleiben!«

»So ist es!« sagte der Bürgermeister, erhob sich und lüftete das Barett.

»Gott behüt Euch, Jungfräulein Monika; sorgt aber auch Ihr selber, daß mit dem Frühling Eure roten Wangen wiederkehren. Weshalb wollet Ihr das gute Mittel, so meine Hausfrau gegen die Bleichsucht hat, nicht nehmen? Laßt sie's doch versuchen, Herr Pastore – probatum est!«

Sittsam grüßend erhob sich die Monika von ihrem Binsenstuhl und verneigte sich vor dem sich zur Tür wendenden guten, alten, dicken Hausfreunde, versicherte aber: sie fühle sich durchaus nicht krank und sei des heilsamen Mittels ganz und gar nicht bedürftig. Der Pastor begleitete seinen Gast hinaus und schritt nochmals mit ihm gegen den Fluß, über welchen sich jetzt nächtliches Dunkel gelagert hatte, hinab, um noch einmal sich die Sicherheit zu holen, daß das Wasser nicht mehr gewachsen sei.

Die Monika knüpfte den zerrissenen Flachsfaden nicht wieder an. Sie faltete erst die Hände im Schoß und verbarg sodann das Gesicht in ihnen.

»Ach je, deshalb hör ich nichts von ihm, deshalb weiß ich nicht, ob er tot oder noch am Leben ist. In den Krieg wird er gezogen sein – wie er es immer gesagt hat! O, nun kann er freilich Generalfeldmareschall werden gleich Herrn Schartlin von Burtenbach, von welchem der Vater vorhin sprach; aber ihm kann auch eine Kugel durch das Herz gehen wie dem Johannes oder wie dem wilden Fritz, dem einzigen Sohne der alten Christine, die nun im Siechenhause wohnt. Weh mir, und das letztere wird kommen – o Klaus, Klaus!«

Wahrlich, der Eckenbrecher wußte wenig davon, wie lieb er gehalten wurde; aber ein neues Brieflein hatte er doch geschrieben, und war dasselbige auch schon unterwegs.

Zu Münden verheiratete soeben Herzog Erich der Jüngere von Braunschweig seine Schwester an Wilhelm von Rosenberg, einen adeligen Herrn aus dem Böhmerland. Dieser Feierlichkeit wegen hatte der Graf zu Pyrmont einen glückwünschenden Boten an den Herzog abgesandt, und in der Tasche dieses Boten ruhte neben dem gräflichen Schreiben, welches dem stolzen, üppigen, landstreicherischen Braunschweiger galt, ein winziges Liebesbrieflein, welches der kleinen Monika Fichtner zu Holzminden bestimmt war.

Mit einbrechender Nacht war der Spiegelbergsche Reiter in Stahle angekommen und hatte daselbst die Gastfreundschaft des Bruders Festus für die Nacht angenommen, nachdem er sich überzeugt hatte, daß es nicht möglich sei, das Brieflein seines Kameraden über den wilden Strom zu tragen.

Ach, hätte doch die arme Monika gewußt, wie nahe ihr der Trost in ihrem Leide sei! Eine schlaflose Nacht wäre ihr dadurch erspart worden. –


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