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Drittes Kapitel

Wie Herr Philipp von Spiegelberg, Graf zu Pyrmont, mit dem Abt von Corvey zu Tisch saß, einen Brief erhielt, dem Gemeinwesen von Holzminden einen gewaltigen Schreck einjagte und den Klaus Eckenbrecher mit sich nahm.

Ja, was war alles in dem kurzen Zeitraum von 1519-1556, dem Jahre des großen Kometen, geschehen in der Welt!

Welche Namen hat während dieser Spanne Zeit die Geschichte eingegraben auf ihre ehernen Tafeln!

Was knüpft sich alles an die leuchtenden Zeichen: Karl der Fünfte – Franz der Erste – Soliman der Große – Luther – Melanchthon – Zwingli – Calvin – Ulrich Hutten – Albrecht Dürer – Cortez – Magalhaens – Thomas Münzer – Fiesco – Ariosto – Raffael – Michelangelo – Theophrastus Paracelsus – Lucas Cranach – Kopernikus – Holbein! Hundert mindere nicht zu nennen!

Die Bibel war übersetzt, der Jesuitenorden gegründet, und der Zwiespalt der deutschen Nation war zum Besten der Welt, zum Jammer des Vaterlandes aber, von nun an auf lange, lange schwere, sich mühende, ringende Zeiten ein Faktum geworden!

Und diese Teilung des Volkes in die zwei großen geistigen Heerlager war auch auf den kleinen Schauplatz unseres stillen Wesertals nicht ohne Wirkung geblieben. Von dem rechten Ufer des Stromes war der Katholizismus ziemlich vollständig verdrängt worden durch das Licht der neuen Lehre. Die gelben Fluten rauschten hier nun als Grenzmarke der beiden Glaubensparteien, in welche sich die Nation geschieden hatte.

Doch was schwatzt der Geschichtenerzähler davon?

Möge er sich genügen lassen, von dem zu sagen, was er versteht, und möge er seine Nase nicht in Dinge stecken, welche sehr kluge Leute viel besser verstehen als er. –

Jetzt zogen nicht mehr die Zisterziensermönche von Amelungsborn, die Benediktiner von Corvey, die Franziskaner aus den Paderbornschen Klöstern auf der rechten Seite der Weser umher, zu taufen, zu trauen, zu firmeln und zu begraben. Überall saßen hier die lutherischen Pastöre bereits fest genug in den lutherischen Pfarrhäusern neben den lutherischen Kirchen, deren Turmhähne nach wie vor nur nach dem Wind sich drehten und nicht nach den großen Weltbegebenheiten.

In Holzminden aber saß Ehrn Valentin Fichtner, predigte das unverfälschte, reine Wort Gottes und schrieb an seinem gelehrten Werke: De Daemonibus. Ehrn Valentin hatte noch den großen Doktor zu Wittenberg lehren hören und war ihm mit aller Glut der Seele zugefallen. Er war auf derselben Universität zum Magister gemacht worden und hatte bald darauf eine Nonne aus einem aufgehobenen und ausgeflogenen Kloster geheiratet. Katharina hieß diese treue Gefährtin, welche ihm den Johannes und die Monika geboren hatte und dadurch selig wurde, wie Katharina von Bora, deren Bildnis Meister Lucas Cranach zu Wittenberg mit der Inschrift gemalt hat: K. von Bora salvabitur per filiorum generationem, d. i. Katharina von Bora wird selig werden durch Kindergebären.

Längst ruhte nun die Gute auf dem Stadtkirchhof zu Holzminden dicht neben der Kirche unter einem schmucklosen Leichenstein, auf welchem nur das Jahr ihrer Geburt und ihres Todes eingegraben war, auf welchem aber ebensogut wie auf jenem römischen Stein hätte stehen können:

Fuit lanifica pia, pudica, frugi, casta, domiseda.

Katharina Fichtnerin ahmte nicht jener dritten Katharina, dem Ehegespons des guten Philipp Melanchthon, nach, von der Camerarius leider schreiben muß, sie sei et victus et cultus negligens gewesen. Katharina Fichtnerin war fromm, eine gute Hausfrau und Mutter, sandte mit blutendem, aber ergebenem Herzen den einzigen Sohn in den heiligen Krieg, beweinte ihn und starb drei Jahre nach der Geburt der kleinen Monika, welche im Jahre 1556 kaum achtzehn Jahre alt war und welche der Taugenichts Klaus Eckenbrecher mit seinem starken Arm erobern wollte.

Wir lassen die Toten und schauen wieder nach, wie die Lebendigen mit den Verwickelungen des Lebens fertig werden!

Mancherlei trieb sich unter den wirren, blonden Locken und der harten Hirnschale Klaus Heinrich Eckenbrechers im Kreis, wie er in seinem Kummer auf der Mauer des Pastorengartens saß und, wie man zu sagen pflegt, mit den Beinen den Esel ausläutete. Mit dem, was ihm sein Vater als Erbteil hinterlassen hatte, war er ohne große Mühe bald genug fertig geworden. Von hundert Bürgern und Bürgerinnen Holzmindens haßten und fürchteten ihn neunundneunzig wie das Wildfeuer, den Brand im Getreide oder den Fuchs im Hühnerstall und den Marder auf dem Taubenschlag. Er war verrufen wie der Türke und der Papst, und sämtliche Hausväter der Stadt hätten ihn, seiner Streiche und Eulenspiegeleien wegen, nur allzugern zu Brei geklopft, wenn sie es gewagt hätten. Aber ein jeder hütete sich wohl, in ein Wespennest zu schlagen, und ein jeder kratzte sich gar bedenklich und trübselig hinter dem Ohr, wenn er des Schwanzes gedachte, den der Klaus, als ein Anführer und Häuptling aller wilden, unbändigen Gesellen des Gemeinwesens, hinter sich herzog.

Die Monika aus dem Pfarrhause war bis jetzt fast das einzige Menschenwesen gewesen, welches den Tollkopf bändigen konnte. Und Tränen, bittere Tränen rannen eben diesem Tollkopf jetzt über die Wangen, wie er daran dachte, daß die gute Maid ihn nun nicht mehr ausschelten und nachher, hinter dem Rücken des Vaters, streicheln und küssen werde, sintemalen der »Alte« nun gar scharfe Wacht halten werde mit seinen scharfen Augen und Fußangeln und Selbstschüsse legen werde durch den ganzen Garten und rund um das Haus und rund um das holde Töchterlein her.

Eben dieser Alte hatte es versucht, sich einen Gotteslohn an dem verwaisten Klaus zu verdienen, indem er denselben nach dem Tode des Trompeters, als niemand sonst sich um die junge Brut kümmern wollte, ins Haus nahm. Er gedachte dabei seiner eigenen hungrigen, durstigen, frierenden Jugend, seines Gesanges vor den Türen mildherziger Leute, und wie er zuletzt doch ein stattlicher, wohlangesehener Mann und Pastor zu Holzminden geworden sei mit Gottes Hülfe durch Gebet und Arbeit. Er hatte sich vorgenommen, aus dem Jungen etwas Rechtes zu machen – einen Lateiner, einen Gelehrten, ein Licht der evangelischen Kirche. Aber er hatte die Rechnung abgeschlossen, ohne das Musikantenblut und das Dasselsche Räuberblut, welches in den Adern seines Zöglings floß, als Faktoren aufzustellen. Je gedeihlicher der Bube an Körper aufwuchs, desto weniger wollte er mit den Büchern zu schaffen haben, und er fürchtete dieselben fast so sehr, wie die Nachbarn ihn fürchteten. Am liebsten strich er in Wald und Feld umher auf der Jagd nach Vogelnestern und dergleichen. Wie ein Fisch konnte er schwimmen, laufen wie ein Rehbock, klettern und springen wie ein Eichhorn. Körperliche Schmerzen und Anstrengungen achtete er nicht, um desto mehr aber geistige. Wie viele Prügel bekam er! Wieviel Gleichnisse, gute Lehren und Exempel ließ er zum rechten Ohr hinein, zum linken hinaus gehen!

Gutmütig war der Bursch, eine frische, helle Stimme hatte ihm die Natur ebenfalls gegeben, mit ihr auch ein feines Gefühl für jede Musik, sei es, daß sie hervorgebracht wurde durch herumziehende Sänger und Pfeifer oder durch die Vögel im grünen Wald oder durch die Orgel in der feierlichen Kirche. Sein Lieblingsinstrument blieb aber das ganze Leben hindurch die Zinke – das hing ihm an wie die Erbsünde.

Die Jahre kamen und gingen: der Knabe wuchs heran gleich einer jungen Tanne, welche einen guten Stand hat. Was er wollte, lernte er, und der Pastor Valentin Fichtner hielt es für sehr wenig. Er sagte deshalb auch seinem Zögling öfters voraus, daß er ihn einmal aus dem Hause werfen müsse und werde. Und – dictum, factum! – nach einer große Klage sämtlicher Nachbarn und Nachbarinnen trat das Vorhergesagte ein.

»So geh, wenn du es nicht besser haben willst, du verlorener Sohn. Geh, und komm mir nicht wieder vor die Augen; in Unschuld wasch ich meine Hände!«

Und der Klaus ging.

Beim Abschiednehmen wurde ihm zum erstenmal klar, daß er die kleine Monika doch recht lieb habe und daß er wirklich ein recht großer Schlingel sei.

Aber er ging doch, seine Reuetränen herunterschluckend, und lief mit einem Geleitbrief des guten Pastors zu einem Förster im Solling, dessen Freundschaft er schon lange erworben hatte und der ihn in seinem halbwilden Waldleben gern aufnahm. Hier, im düstern Forst, bildete er sich in allen den Künsten, an welchen sein Herz hing, mit größerm Eifer aus, als er in dem stillen Studierstüblein des geistlichen Herrn zu Holzminden an den Tag gelegt hatte. Er lernte mit der Armbrust und der Büchse umgehen, lernte jeden Laut und Ton der Vögel und Vierfüßler des Waldes nachahmen, so daß ihm der Jäger in Hellenthal bald das Zeugnis geben mußte: es stecke ein weidgerechter Jägersmann in ihm.

Auf allerlei Kreuz- und Querwegen schlug sich Klaus Eckenbrecher durch die Welt bis zum fünfundzwanzigsten März des Kometenjahres 1556, wo er uns zum erstenmal vor die Augen trat. Wie alle im wilden Wald ohne Gnade, dem Erdenleben, von einem Mißgeschick Betroffenen gab er sich, nachdem der Pfarrherr sein weinendes Töchterlein fortgeführt hatte, einem etwas verworrenen Selbstgespräch hin, welches endlich in folgenden Worten zum Abschluß gelangte:

»Ja, ich muß fort! Hier ist's vorbei für mich! Ich muß in die weite Welt; ich halte es hier nicht mehr aus. Wahrlich, ich will sehen – bei Sankt Georgen Gaul! wie mein Vater sagte – ob es hinter den Bergen auch noch Menschen gibt oder ob da wirklich alles mit Brettern vernagelt ist, wie die Dummköpfe meinen. Ja, in der weiten Welt will ich mir die schöne Braut erobern. Ach Gott, wenn ich sie nur gleich mitnehmen könnte, die Monika! O du lieber Gott, warum hab ich doch keinen Sinn und Schick gehabt fürs Lernen und für die grausamen Bücher! Wenn der Alte nur wollte, so könnte sich wohl alles machen; aber der Alte will ja nicht! – ach, der Alte, der Alte!«

Der Redner stand plötzlich auf den Füßen und schlug die Arme übereinander: »In die weite Welt!«

Der Nachtwind, welcher in seinen Haaren wühlte, schien ihm zuflüstern und auseinandersetzen zu wollen, daß die weite Welt, welche er aus Erfahrung kenne, wohl das Beste für ihn – den Klaus – sein werde.

»Aber wohin, wohin?«

Klaus rieb sich die Stirn, biß die Zähne aufeinander und war eben daran zu beschließen, die Sache sich während eines ruhigen Schlafes in der Dachkammer eines seiner Kameraden zu überlegen, als eine ungewöhnliche Lichterscheinung am Horizont seine ganze Aufmerksamkeit erregte und ihn fürs erste noch festbannte auf der Mauer des Pfarrgartens.

In der Biegung, welche die Weser in der Nähe der Tonenburg macht, schlug plötzlich ein roter Schein empor wie von vielen Fackeln oder von einer Feuersbrunst. Zugleich glaubte Klaus den Klang ferner Trompeten und Hörner zu vernehmen.

Er täuschte sich auch nicht. Die Töne näherten sich, und bald wurde es ihm deutlich, daß der Feuerschein ebenfalls nicht an einer Stelle hafte, sondern sich langsam den Fluß hinunter bewege.

Nach einiger Zeit vernahm der aufmerksam Horchende zwischen dem Hörnerklang deutlich jubelnde Menschenstimmen und lauten, fröhlichen Gesang.

»Holla! Was gibt's da? Alle Teufel, was ist das?« ...

Das war Herr Philipp von Spiegelberg, der Graf zu Pyrmont, welcher von einem Besuche beim Abt von Corvey, einem sehr liebenswürdigen und gastfreundlichen Herrn, zurückkehrte nach seinem Schloß am heiligen Born und seiner Grafschaft, nachdem er einen sehr dringenden Brief von seiner ältesten Schwester Ursula erhalten hatte und dadurch zu seinem höchsten Ärger und zu größester Unruhe aus dem angenehmen Leben der reichen Abtei aufgestört worden war.

Der Brief, geschrieben in der Orthographie der Damen jener Zeit, welche – ich meine die Rechtschreibung – noch ein klein wenig schlechter war als die, in welcher die weiblichen Gemüter heutiger Ära ihren Herzchen in Schimpf und Glimpf Luft machen, lautete, nachdem der junge Graf mit Hülfe des Abtes die »Uilen un Apen« – Eulen und Affen – , welche das Papier bedeckten, mühsam zu Buchstaben und Worten umgesetzt hatte, folgendermaßen:

»Viel und sehr geliebter Herr Bruder!

Der Walburg und meinen besten Gruß allzuvoran Euch und unserm Herrn Abt von Corvey, dessen geistlichen Segen wir allhier in Ehrfurcht erbitten. – Kehrt doch, geliebter Bruder, nachdem Euch dieses zu Händen geworden ist, sobald heim, als es angehen wird; denn wir finden uns allhier in großer Verlegenheit, und schwindelt uns armen Weiblein der Kopf mächtiglich. Es hat sich auf einmal angefangen das bresthafte Volk um unsern heiligen Born zu sammeln, daß nun eine fast große Vergadderung daraus worden ist und niemand hier weiß, was noch daraus werden wird. Erst kam es einzeln wie Tropfen vor dem Platzregen, dann immer mehr und mehr, gleich dem Platzregen selbst, in ganzen Strömen. In hellen Haufen hat sich urplötzlich das Volk versammelt, und jetzt liegt in allen unsern Dörfern und in Lügde und weit ins geistliche Land hinein alles voll. Ja, sie haben in den Gehölzen umbher ein ordentlich Heerlager aufgeschlagen, tun großen Schaden an Wild und Wald, und ist ihnen nicht zu wehren und zu steuern.

Liebster Bruder, fahret doch heim; es tut weidlich not, daß Ihr zu Land und Leuten sehet!

Die Knechte sitzen Tag und Nacht zu Pferde, Ordnung zu halten. Sie kommen aber nicht dazu, weil der Herr im Haus fehlt. – Viel Gaukler und fahrend, liederlich Gesindel hat sich allbereits auch schon angesammelt und treibet ein bös, gottlos Wesen. Lieber Bruder, kommet doch gleich, das Volk hat nichts zu essen, denn es ist ja nicht vorgesehen und vorgesorgt. Kommet doch ja bald, Philippe; kommet gleich!

Sonst sind wir mit Gottes Hülfe hier allesamt wohl und heil, aber sehr unruhig in dem großen, schreckhaften Lärm und Getümmel.

Es sind auch Briefe für Euch ankommen, geliebter Bruder, welche wir nicht geöffnet haben, sintemalen sie so große Siegel tragen, von Brandenburg und von Koburg.

Der Herr nehme Euch und unsern lieben Herrn Abt und Gastfreund in seinen Schutz!

Eure Schwester
Ursula von Spiegelberg.

Nachgeschrift: Wir haben viel geschlagen Holz verkauft an die geistlichen Herren zu Paderborn, und der Walburg weiße Stute hat geworfen ein schwarz Füllen.

Ursula und Walburg.«

Weidlich hatte der junge Graf zu Pyrmont geflucht, und sehr nachdenklich und bedächtig hatte der Abt von Corvey das ehrwürdige tonsurierte Haupt geschüttelt und das milde, glänzende Gesicht in düstere Falten gelegt, als beide über der Mittagstafel das schwesterliche Notschreiben zwischen den geleerten und vollen Flaschen und Humpen, den geleerten und vollen Schüsseln studierten, während der kotbespritzte Bote an der Tür wartete und das abgejagte Roß desselben im Schloßhofe auf und ab geführt wurde.

Dann hatten beide Herren – der geistliche und der weltliche – diesen Boten weitläufig ausgefragt, und derselbe hatte eine umständliche Beschreibung von dem »seltsamen, tollen, unerhörten« Leben und Wesen in dem grünen Waldtal von Pyrmont geliefert.

Darauf hatte der Abt betrübt gesagt:

»Da ist nichts weiter zu machen, Philippe! Die armen Weiblein scheinen in der Tat drunten in großer Not zu sein. Also – macht, daß Ihr nach Haus kommt, Philippe!«

Und der Herr von Spiegelberg, welcher den gastlichen geistlichen Herd gar ungern so bald verließ, fluchte noch ingrimmiger als zuvor und schlug mit der geballten Hand auf den Tisch, daß alles Geschirr klirrend hoch aufhüpfte.

»Bei des Teufels Schnupftuch, das hat man nur von dem heilsamen Wasser, der allzu gesunden Gottesgabe! Nichts als Ärger und Not und Schaden! Der böse Feind hole den Spaß – wartet, ich will euch auskehren, wenn ich heimkehre!«

Ob solcher bösen, unbedachten Worte bekreuzigte sich jedoch der Abt, verwies sie ernstlich seinem jungen Gaste in einer zierlich gesetzten Rede und hob die Tafel auf. Daraufhin hielt er dem Grafen eine zweite, noch eindringlichere Rede über seine gottlose Ansicht von der Sache, daß endlich Herr Philipp, wenn auch mit Widerstreben, einsah, der alte Herr habe recht.

Die Abreise des Gastfreundes wurde schon auf denselben Abend festgesetzt. –

Wohl war es unangenehm genug, dem behaglichen Leben, dem guten Keller, der vortrefflichen Küche der berühmten Abtei auf so schnöde, schnelle Weise den Rücken wenden zu müssen! Wer konnte es dem jungen Grafen verdenken, daß er, nachdem sich der Abt entfernt, seinen Gefühlen doch noch nach Herzenslust Luft machte?

Nichtsdestoweniger aber befahl er seinem Gefolge, sich zur Abreise bereitzuhalten.

Auch in die große Halle des Klosters schlug die unerwartete Nachricht ein gleich einem Blitzstrahl aus heiterem Himmel. Rosse und Reiter schüttelten darob traurig entsagend die Köpfe, und gewaltiges Getöse bewegte die Gewölbe und Höfe der sonst so stillen Abtei. Schon wurden auf Befehl des Abtes die Schiffe des Stiftes gerüstet und die Ruderer aufgeboten; denn der Graf zu Pyrmont wollte seine Heimfahrt wenigstens so lustig als möglich machen und zog die Wasserfahrt dem Ritte quer durch das Land vor.

Gegen fünf Uhr des Nachmittags war alles bereit zur Fahrt die Weser hinunter.

Drei große Kähne lagen unter den hohen, noch kahlen Kastanienbäumen am Ufer des Flusses und nahmen gegen sechs Uhr die Mannen von Pyrmont auf.

Der erste Kahn trug ein Zelt, geziert mit den Farben der Abtei. In dieses stieg gestiefelt und gespornt, äußerlich beruhigt, aber innerlich grollend, Herr Philipp samt seinen Adelbursen, seinem Bannerträger, seinem Stallmeister und zwei Hornbläsern. In den beiden andern, größeren richteten sich die Knechte ein. Neben jedem Reiter stand das aufgezäumte Roß.

Jetzt wurden Fässer mit Getränken, gut gegen die kühle Nachtluft, herbeigetragen und ebenfalls in die Schiffe gebracht. Der Abt samt seinen Mönchen gab den scheidenden Gästen das Geleit bis ans Ufer. Noch einmal entstand ein bedeutendes Händeschütteln zwischen Laien und Pfaffen, Beteuerungen, Freundschafts- und Dienstversicherungen aller Art mischten sich darein; dann stießen die Ruderer ab vom Lande, und unter lautem Zuruf glitten die Schiffe in die Mitte des Flusses.

Die Hörner bliesen der gastlichen Abtei und ihren frommen Bewohnern zu Ehren zum Abschied ein lustiges Stücklein, die Reisigen riefen: Hallo und Vivat – die Rosse wieherten und ließen sich kaum bändigen, die Pagen schrieen: Heil dem Bruder Kellermeister! Heil dem Küchenmeister! Dreimal Heil dem Herrn Abt von Corvey!

Die guten Benediktiner aber, mit ihrem freundlichen Abt an der Spitze, winkten vom Ufer mit den Händen und den Sacktüchlein und lachten fröhlich in geistlicher Dezenz ob dem unverhohlenen Unmut, mit welchem die Gäste schieden. Die Hintersassen der Abtei drängten sich ebenfalls an das Ufer von den Klosterfeldern her und schrieen ebenfalls aus vollem Halse: Vivat! Vivat! Heil! Heil!

Aber schon ward die Dämmerung zur Nacht. Die Sterne und der große Komet mitten unter ihnen traten hervor am Himmelsgewölbe. Auf den drei Kähnen zündete man die mitgenommenen Fackeln an. Lustig spiegelte sich der Feuerschein im Strom, in den Brustharnischen der Reisigen, in den Bechern, in den Augen und allem, was sonst noch glänzen konnte.

Jetzt riefen die Glocken der in Nebel und Dämmerung schwindenden Abtei zur Abendmette, und aus der Ferne drang leise das Geläut der Stadt Höxter herüber, während das protestantische Ufer stumm liegenblieb.

Vorüber glitten die Berge und die Ebenen, die Dörfer und die einzelnen Gehöfte und Häuser,

»Ho, ho, immer donne, immer donne!« erklang der Ruf der Ruderer, wie sie sich kräftig an die Ruder legten. In den beiden letzten Schiffen stimmten die Männer mit rauhen, unharmonischen Kehlen ein Wanderlied an, welches gar keine üble Wirkung machte.

Nun lief der Schein der Fackeln an der Tonenburg herauf. Aus Albaxen strömten die aufgeschreckten und neugierigen Bauern haufenweise an das Ufer – nun war der Augenblick gekommen, wo Klaus Eckenbrecher von der Mauer des Pfarrgartens verwundert nach dem seltsamen Lichterglanz auf dem Flusse ausschaute.

Aber nicht allein die Aufmerksamkeit der Albaxener Bauern und des Klaus wurde erregt, sondern ein jäher Alarm lief blitzschnell durch das ganze Städtlein Holzminden. Boten eilten zum Bürgermeister Herrn Henning Uhlenhut und zum fürstlichen Amtmann.

Das Volk stürzte aus den Häusern in die Gassen und hinunter zum Fluß, und manch eine Abendsuppe wurde kalt darob, und manch ein Krug voll Bier wurde schal und stand ab.

Die wackeren Bürger, nun schon wochenlang durch den greulichen Kometen in großer Aufregung gehalten, witterten in dieser ungewöhnlichen Lichterscheinung das verderbenbringende Geschick, welches der Schweifstern verkündigt hatte. Sie waren der Meinung, nun nahe das Schrecknis, nun komme Krieg, Mord und Brand, nun seien die bösen Zeiten des Glaubenskrieges von neuem vor der Tür.

Mit unbegreiflicher Schnelligkeit hatte sich die Panik durch die Stadt verbreitet. Es wurde ein Leben in den Gassen, wie wenn der Ruf durchs Dorf erschallt: Der Weih kommt, der Weih kommt!, ein schwarzer Punkt, kaum bemerkbar dem unbewaffneten Auge, in der blauen Luft schwebt und Weiber und Hühner vor Angst und Not nicht wissen, wohin.

Die Mutigsten der Bürger langten die verrosteten Hakenbüchsen von den Wänden und sahen sich nach Pulver, Kugeln und Lunten um; Spieße und Hellebarden wurden aus den Winkeln gerissen, die alten Schwerter umgeschnallt oder auf die Schulter gelegt, wenn die Mäuse das Lederwerk zerfressen hatten. Pickelhauben wurden auf gekämmte und ungekämmte Köpfe gestülpt, Brustharnische wurden umgeschnallt. –

Die Hasenherzen dagegen und die Weiber warfen trostlose Blicke auf die Tapfern und auf ihre Habseligkeiten, ließen das Wertvolle unbeachtet und suchten mit zitternden Händen allerlei Rumpelei zusammen, um sich im Notfall damit zu retten aus der hereinbrechenden Verwüstung und dem Weltuntergang.

Der Bürgermeister Uhlenhut, der Amtmann, die Ratsleute und alles Federvieh samt Ferkeln, Hunden, Katzen und Kindern war befehlend, rufend, gackernd, schnatternd, quietschend, bellend, miauzend, kreischend urplötzlich auf den Beinen.

Wer konnte wissen, was da feurig die Weser herabschwimme, ob der Kaiser, der Teufel, der Papst oder der Türke? Alle vier gleich gefürchtet zu jener Zeit von den Anhängern Martin Luthers.

Auf dem von der alten Burg der Grafen von Eberstein allein noch übriggebliebenen festen, runden Turme brachten die strategischen Genies des Gemeinwesens die einzige, verrostete Kartaune, welche die Stadt besaß, in solche Lage gegen den Spiegel des Flusses, daß wenigstens sein Schuß – wenn es Gottes Wille sein sollte und das alte Ding losging – ein Boot voll Übeltäter und Raubgesindel treffen und in den Grund bohren könne.

Reisig häuften andere Kriegskundige an der Fähre zusammen, um es beim Näherkommen des Abenteuers in Brand zu setzen, damit man doch sehen könne, mit wem man es eigentlich zu tun habe.

Hinter den Holzhaufen, welche zum Verflößen am Ufer bereit lagen, postierten sich die besten Schützen der Stadt, die Männer, welche gewöhnlich den Vogel auf dem Schützenhofe abschossen, und eifrig bliesen sie ihre Lunten an.

Der Pfarrer Fichtner, welcher den Chorrock übergeworfen, die Bibel in die Tasche gesteckt und das Schwert seines Johannes unter den Arm genommen hatte, schritt hin und wider durch die Menge, ermutigend, tröstend, beruhigend, wie es einem mutigen, echten Seelenhirten zukam; denn überall herrschte Verwirrung und Not, und der einzige Gleichmütige und Sorglose in diesem wimmelnden und aufgestörten Ameisenhaufen war Klaus Eckenbrecher. Er sah sogar den kommenden Schrecknissen mit einem gewissen kitzelnden Behagen entgegen. Zu verlieren hatte er nichts, und vielleicht konnte er alles gewinnen, wenn ihm das Schicksal wohlwollte und ihm eine Gelegenheit gab, die holde Monika aus hundert Fährlichkeiten zu retten.

Wie vortrefflich würde es dann sein, wenn der »Alte« nun einsähe und eingestände, der Klaus sei doch ein ganz ausgezeichneter Bursche! Wie hübsch würde es sein, wenn er – der Alte – aus Dankbarkeit ihn – den Klaus – auf der Stelle mit der holden Monika kopuliere und alles Volk von Holzminden dabeistünde mit abgezogenen Hüten und jämmerlich dem Klaus das angetane Unrecht abbitte!

Mochte der Feuerschein bringen, was er wollte, dem Klaus Eckenbrecher sollte es nicht zum Schlechten ausschlagen!

Der Bube hatte längst seinen Lugaus auf der Mauer des Pastorengebäudes aufgegeben und trieb sich nun, die Hände in den Taschen, das kohlblattähnliche Barett mit der Falkenfeder verwegen zur Seite gerückt, am Ufer der Weser umher, um das nahende Abenteuer aus der ersten Hand zu haben. Den Bürgermeister Uhlenhut, welcher in zitternder Hast, obgleich er vollkommen nüchtern war, einherwackelte gleich einem alten Bacchanten oder einem Leinweber – trat er auf den Fuß, ohne sich nur zu entschuldigen, ja, der abscheuliche Bösewicht lachte sogar noch hämisch über den Würdigen, welcher sich kaum regen konnte unter seinem Panzer und seiner Sturmhaube. Noch unverschämter aber gebärdete sich der Eckenbrecher, als der Vater der Stadt verlangte, Klaus möge ihm das gewichtige Schwert tragen, bis es zur Schlacht komme.

»Davon schreibt Lukas noch lange nichts!« brummte das Dasselsche Blut. »Tragt's Euch selber oder reitet darauf; aber schneidet Euch um Gotteswillen um Eurer Frau wegen nicht daran!« lachte der Spötter und drehte sich auf den Fersen kurz um und wies dem ehrbaren Herrn den Rücken. Der Bürgermeister sah sich wütend nach seinem Ratsdiener um, daß er den verwegenen Burschen beim Kragen nehme. Da aber Schöppelmann, der Stadt-Haltefest, eben mit an der Donnerbüchse auf dem Burgturm beschäftigt war, so mußte der ergrimmte Herr seine Wut hinterschlucken.

Näher und näher kam der Fackelschein, immer deutlicher vernahm man die Hornklänge, das Geschrei der Schiffenden. Immer größer wurde die Angst und Aufregung des Städtleins Holzminden.

Jetzt war das Schrecknis grade der Stadt gegenüber funkensprühend und waffenblitzend!

Eine tiefe Stille trat ein; die tapfersten Herzen klopften sehr vernehmbar, die stärksten Kniee schlugen aneinander!

»Eins – zwei – drei!... Drei Schiffe! Drei Schiffe voll Kriegesvolk!« ging es durch das atemlose Volk. Die Lunten waren aufgeschroben, die Spieße gesenkt; alles hielt sich bereit zur mutigen Abwehr des unbekannten Feindes; und das blutdürstige, brandsüchtige, heillose Geschöpf, der Komet, richtete vor Vergnügen seinen Schweif steilrecht empor, und manch ein ehrlicher Bürger behauptete nachher sogar, es habe damit gewedelt.

Und nun hielten die Schiffe grade auf das rechte Ufer und die Stadt zu; aber damit – endete auch die Angst, denn zwischen dem Jauchzen und Rufen vernahm man deutlich ein lustiges und friedfertiges Becherklingen, und aus Schlachtgesängen wurden Trinklieder; einige scharfäugige Bürger erkannten die Farbe des Zeltdaches über dem ersten Kahn und die Zeichen des Banners, welches sich im Vorderteil entfaltete.

»Die Klosterschiff von Corvey! Die Fahn von Spiegelberg! Das Banner von Pyrmont!« schallte es jubelnd aus jedem Mund. Alle Not und Angst machte sich in einem unendlichen Geschrei Luft. Jedes Herz wurde leicht, jede Brust atmete freier!

Man feuerte zum Willkommensgruß die Büchsen in die Luft und versparte die Ladung der Kartaune auf eine andere Gelegenheit. Man sprang und tanzte das Ufer entlang, man fiel sich um den Hals, langjährige Feinde schlossen einander in die Arme.

Fröhliches Getümmel drängte sich um die landenden Schiffe und um Herrn Philipp von Spiegelberg, welcher grüßend an das Land trat und nicht wenig über den geharnischten Bürgermeister und seine mit allerlei Schwierigkeiten verknüpften Verbeugungen lachte. Noch mehr lachte der der Stadt wohlbefreundete Herr über die verworrene Erzählung der Bürgersleute und den unnötigen Angstschweiß, den sie sich immer noch von den Stirnen wischten.

Der Graf zu Pyrmont war ein lustiger junger Bursch, kaum sechsundzwanzig Jahre alt, und fuhr nicht gern umsonst in solch lauer Vorfrühlingsnacht den alten Weserfluß hinab.

Die hübschen niedersächsischen Mädchengesichter in den Haustüren und Fensteröffnungen den Strom entlang, die Wirtshäuser rechts und links waren wohl schon manchmal eines kleinen Aufenthaltes wert, und ein lustiges Abenteuer war auch nicht zu verachten. Ob das hübsche Mädchen oder das gute Bier protestantischen oder katholischen Ursprungs war, kümmerte den Spiegelberg wenig.

Wie hätte er vorüberfahren können, ohne der guten Stadt Holzminden einen Abendbesuch abzustatten und wie der gemütlichste Vetter Michel ein klein Geschwätz zu halten mit dem Senat und Volk? Einen Becher Rheinwein, Bastard oder Muskatell aus dem Ratskeller auf das Wohl der Stadt, ihrer Bürger und Bürgerinnen zu leeren, hatte auch durchaus nichts Unangenehmes an sich.

Solches geschah nun, und gewaltiger Jubel schlug an das Ohr des geschwänzten Ungetüms oben in der Luft. In ritterlichem Barett und grünem Jagdgewand, die goldenen Sporen an den Stiefeln, stand der Graf im Kreise der Bürgersleute, wohlgemut den Becher, welchen des Bürgermeisters schönes Töchterlein errötend kredenzt hatte, in der Hand haltend.

Von allem mußte Philipp von Spiegelberg wissen: von Heirat, Taufe und Tod, vom letzten großen Viehsterben und vom greulichen Haselwurm, welchen man im Pipping gesehen haben wollte.

Auf jede Gesundheit, welche im Kreise ausgebracht wurde, stieß er freudig an und lachte herzlich über jede Schnurre, welche zu Tage gefördert wurde. Über die Schulter des Bürgermeisters aber glotzte Klaus Eckenbrecher und hielt das jetzige Ereignis für die günstigste Gelegenheit, hinauszukommen in die weite Welt.

Er wußte ganz genau, daß Herr Philipp von Spiegelberg nur seinetwegen in dieser Nacht an der Stadt Holzminden vorüber geschifft worden war.

»Also einen solchen Schrecken hab ich euch eingejagt, ihr guten Leut?« rief nochmals lachend Herr Philipp. »Das ist mir wahrlich ein großes Leid, Herr Bürgermeister. Auf Euer Wohl, Herr Pastor! ... Ja, denk wohl, ihr hättet mir ein heißeres Willkommen gebracht als dies Gläslein kühlen Weines, wenn ich kommen wär, eure Stadt mit Sturm anzulaufen! Na, nichts für ungut: wir bleiben doch Freunde und Nachbaren, nicht wahr, ihr wackeren Männer und lieben Freunde, ihr schönen Frauen allgesamt?«

»Ja, ja, ja – das sind und bleiben wir – vivat der Graf von Pyrmont!« schrie und jauchzte man umher.

Nachdem man noch mancherlei hin und wider geredet hatte, nahm der Graf Abschied und wandte sich, um in sein Schifflein zurückzutreten. Nun aber sprang ihm der Klaus in den Weg, sein Barett in der Hand.

»O, gnädiger Herr, noch ein einziges Wörtlein! Braucht Ihr nicht einen Jäger, einen Reiter, einen Büchsenspanner? O, gnädiger Herr, wollt Ihr mich nicht mit Euch nehmen? Ach, wenn Ihr doch wüßtet, wie es mir hier zu eng geworden ist im Nest!«

Graf Philipp warf einen gutlaunigen Blick auf die frische, kecke Gestalt vor ihm.

»Ho, ho, zu enge ist's dir hier worden? Was will das bedeuten, mein Meister?«

»Gnädiger Herr«, fiel eifrigst der Bürgermeister Uhlenhut hier ins Gespräch, »zu ewiger Dankbarkeit wär Euch die Stadt verpflichtet, wenn Ihr dem Buben seine Bitte gewährtet.«

»Wahrlich, Herr Graf zu Pyrmont, nehmt ihn mit Euch!« sagte die ehrliche, rauhe Stimme des alten Fichtner. »Vielleicht wird er draußen besser tun und gedeihen als hier, wo er nichts als Unfug anstiftet.«

»Nehmet ihn mit, nehmet ihn mit, gräfliche Gnaden!« erschallte es im Chor rund umher, und alle ältern Weiber waren voran dabei. Die jungen Mädchen jedoch hielten sich ganz still; ihnen war der Eckenbrecher jedenfalls am wenigsten verhaßt, und wenn ihn der Graf mit sich fortnahm, ging ihnen der beste Tänzer auf den Kirchweihen, wenn man den Rosenkranz sang und den Ringelreihen schlang, verloren.

»Nehmet das Unkraut mit Euch!« klang es lachend und ärgerlich zugleich, und Herr Philipp von Spiegelberg lachte am lautesten und hellsten über den Eifer, welchen das Weichbild von Holzminden, das räudige Schaf loszuwerden, an den Tag legte.

»Wahrlich, mein Bub«, sprach er, »du scheinest mir ein loser Vogel zu sein. Was hast du ausgefressen, daß niemand ein gutes Wort von dir zu sagen weiß?«

Klaus seufzte, schaute schief empor zum großen Kometen und zog nur die Achseln ein wenig zusammen, als jetzt alle Schleusen sich öffneten und eine wahre Flut von Vorwürfen und Anschuldigungen auf ihn einschoß.

»Ein Taugenichts, ein Tagedieb, ein Nichtsnutz ist er! Ein Vagant, ein Galgenstrick, ein Fuchsschwänzer!«

»Nein, Herr Graf«, sprach aber der Pastor Fichtner, »nein, ein Fuchsschwänzer ist er nicht, sondern nur ein Tollkopf, welcher sich die Hörner abrennen muß. Aber dazu ist's auch die allerhöchste Zeit! ... Vielleicht kann noch durch Hunger, Durst und Prügel bei ihm Rat geschafft und der Hangmann um seinen Hals betrogen werden. Wollt Ihr Euch damit befassen, dem Burschen die Ränke und Schwanke, deren er voll sitzt, wie der Buchenbaum voll Maikäfer, auszutreiben, so greifet Ihr ein verdienstlich Werk an.«

»Und Euer Töchterlein, die süße Monika, führ ich doch heim!« schrie Klaus Eckenbrecher schluchzend. »O, Herr Graf, kehret Euch nicht an das, was sie sagen; ich tue wohl schon gut; aber meinen Schatz muß ich mir erreiten können!«

»Ha«, rief Herr Philipp, »eigentlich gefällst du mir, Bub! Also, du willst mit mir gehen, in meinem Dienst dein Glück zu probieren? Kannst du schießen?«

»Den Vogel im Flug!« schrie Klaus.

»Ja, schießen kann er und Fische fangen und Vögel stellen!« riefen die Bürgersleute.

»Und die Mädchen küssen!« schrie eine einzelne Stimme hell aus dem Haufen. Ein Genosse des Eckenbrechers gab so seinen Senf dazu.

Einen wütenden Blick warf der Angeschuldigte nach der Seite, von welcher diese letzte schnöde Behauptung kam.

»Nur die Monika! Bei Gott, nur die Monika, du Schuft!« brüllte er. »Komm heraus, wenn du was willst, und verkriech dich nicht hinter den Weiberröcken!«

»Halt da!« rief der Spiegelberger lachend. »Ich will's schon glauben, daß du nur die Monika küssest! Das ist auch recht! Immer nur eine, die aber dann tüchtig! Wie nennst du dich eigentlich?«

»Klaus Heinrich Eckenbrecher!«

»Ins Schiff mit dir, Klaus! Ich geb dir ein Pferd, Wehr und Waffen und lasse dich aufhängen, wenn du nicht gut tust. Ich nehme dich mit mir; die Schwester schreibt mir ja, daß wir daheim nicht Leute genug haben, Haus und Hof zu schützen. Ade ihr Herren allgesamt! Grüß euch Gott und schütz euch Gott!«

»Behüt Euch Gott und schütze Euch, Herr Graf zu Pyrmont!« rief das Bürgervolk und schwang die Hüte hoch in die Luft. Philipp von Spiegelberg sprang zurück in seinen Kahn, die Hornbläser setzten ihre Instrumente zu einem kräftigen Tusch an die Mäuler, die Ruderer legten sich an die Stangen und stießen ab vom Ufer.

Wie im Traum stand Klaus Eckenbrecher neben dem Sitz des Grafen, seines jetzigen Herrn. Im roten Licht der Fackeln starrten ihn alle die Gesichter der Leute von Holzminden an, – er träumte, er träumte jedenfalls!

Und jetzt glitt das Schifflein, welches ihn forttrug, vorüber an dem Pfarrgarten, und auf der Mauer stand, kaum erkennbar, eine zarte, schlanke Gestalt, und es war dem Klaus, als höre er ein leises Weinen und den klagenden Ruf:

»Lebe wohl, lebe wohl, Klaus, und behüt dich Gott in der weiten Welt!«

Zentnerschwer fiel's dem Knaben auf sein leichtsinniges Herz, er hob sich hoch und rief in die Höhe zu der wohlbekannten Mauer empor:

»Ade, ade, ade, Monika! Bleibe treu; ich komme wieder! Ade, ade, ade!«

Mit der Mütze winkte er und schaute rückwärts, bis Städtlein und Pfarrgarten und die Gestalt auf der Mauer versanken in der dunklen Nacht und das Schifflein unter den Felsen des Kiekensteins in die Biegung und die Stromschnelle schoß.

»Wann sich zwei Herzen scheiden,
Müssen vier Augen darob weinen!«

In dieser Minute erst wurde dem wilden Klaus die ganze Bedeutung dieses alten, trüben Reimsprüchleins klar. –


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