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Sechzehntes Kapitel

zeigt, wer der Monika Fichtner den zweiten Brief des Spiegelbergschen Reitersmanns, Klaus Eckenbrechers, zustellte.

Am dritten Tage nach der im vorigen Kapitel beschriebenen Nacht brach die Sonne wieder durch die Wolken; ein Kahn schaukelte über die immer noch aufgeregten Wellen der Weser von Stahle nach Holzminden hinüber. Der Knecht des katholischen Pfarrhauses regierte die Ruder, Simone Spada stand aufrecht in dem gebrechlichen Schifflein und schaute, die Hand über die Augen haltend, nach einer Mädchengestalt auf einer der Mauern des lutherischen Ufers. Simone Spada trug das Brieflein des Klaus zur Monika; der Vikar Festus war krank und konnte sein Lager nicht verlassen.

Bald erreichte der Kahn das rechte Ufer und landete am lutherischen Pfarrgarten. Simone sprang ans Land.

»Gott grüß Euch, Signorina. Seid Ihr die Monika Fichtner, welche einen Brief erwartet aus der Ferne?«

Das erschrockene Mägdlein vermochte ob der unerwarteten Frage kaum den Gegengruß und die leise bejahende Antwort auf die Frage hervorzubringen.

Noch mehr erschrak sie fast, als ihr der fremde Mann das Brieflein hinaufreichte auf ihre sichere Höhe. Kaum wußte sie, ob sie es nehmen oder ob sie davonlaufen sollte.

»Von dem Schatz in der Ferne!« sagte lächelnd Simone, und mit einem Schrei griff das Jungfräulein nach dem gefalteten Blatte und barg es erglühend im Busen.

Sie mußte sich, um das Schreiben zu nehmen, niederbeugen, und der Arzt hatte die beste Gelegenheit, ihr in das liebliche Gesichtchen zu schauen. Eine der blonden Locken des Kindes berührte seine Hand.

Also das war die, welche den Bruder Festus verzaubert hatte, wie er selbst durch die Fausta verzaubert worden war.

Der Arzt mußte sich gestehen, daß er noch nie etwas Anmutigeres gesehen habe. So war ihm die Liebe in der Fausta nicht erschienen!

»Armer Festus!« dachte er.

»Dank, Dank! O, Gott segne Euch!« rief Monika. »Mit wem sprichst du da, Monika?« fragte eine andere Stimme.

Das graue Haupt des Pastors erschien neugierig forschend über der Schulter seiner Tochter. Der Arzt kam schnell der tödlichen Verlegenheit des jungen Mädchens zu Hülfe, indem er den Alten höflichst grüßte und sagte:

»Ich bin ein Reisender und wurde an jenem Ufer durch den großen Eisgang aufgehalten. Ich bin ein Arzt, und da den Vikarius drüben die übermächtige Anstrengung bei der Bändigung der Weser auf ein bös Krankenlager niedergeworfen hat, so bin ich herübergefahren, Herr, um in Euerm Städtlein nach Heilmitteln zu suchen, welche mir drüben allgesamt mangeln. Ich wollte Euch um Rat ersuchen und erkundete soeben den Weg zu Euch von Euerm Töchterlein, ehrwürdiger Herr!«

Der gewandte Redner blickte während dieser Rede verstohlen nach der Monika, aber diese hatte die Hand auf den Busen gelegt, auf die Stelle, wo der Brief Eckenbrechers im heimlichen Versteck lag. Ihr Auge glitt mit unbeschreiblichem Glanze einem Schwarm silberfarbiger Tauben, welche in der blauen Luft ihre ersten Frühlingsspiele trieben, nach.

»Armer Bruder Festus!« dachte abermals Simone Spada.

»Seid mir gegrüßt, Herr Doktore!« sprach Ehrn Valentin Fichtner. »Tretet ein bei mir; ich will Euch nach Kräften behülflich sein, daß Ihr bei uns findet, was Ihr suchet.« Er öffnete dem Arzt die Gartentür und führte ihn ins Haus unter teilnehmenden Erkundigungen nach dem Befinden des Vikars.

Als die Monika sich allein sah, atmete sie aus voller Brust auf, zog schnell den Brief aus seinem süßen Versteck hervor und erbrach ihn mit zitternden Händen. Lange dauerte es, ehe sie durch die hervorbrechenden, erleichternden Tränen einen Buchstaben erkennen konnte; aber noch länger dauerte es, ehe sie irgendeinen Sinn in das tolle Gekritzel des Spiegelbergschen Reiters brachte. Dreimal überflog sie das Schreiben vom Anfang bis zum Ende. Er lebte noch, er war ihr noch treu, und einen Brief hatte der Kaspar Wicht verloren, das wußte sie dann; aber was und wie er eigentlich geschrieben hatte und was der Brief außer den beiden großen Hauptsachen weiter enthielt, solches zu fassen, mußte sich ihr Herzklopfen doch noch mehr legen.

Und jetzt rief gar der Vater!

Und man sah es ihr gewiß an, daß sie geweint hatte!

Und wieder rief der Vater, und sie mußte dem Ruf folgen – antworten! In ihrem Köpfchen drehete sich alles und alles tanzte um ihr und in ihr.

Aber er lebte ja, er war treu!

Sie war so glücklich, so überglücklich, so unsäglich glücklich!

»Gleich, gleich, liebster Vater!«

Sie trocknete die Augen und eilte dem Hause zu.

»Bring einen Trunk und einen Imbiß!« rief ihr der Pastor oben von der Treppe zu.

Wie gut doch der liebe Gott war! Nun konnte sie auch noch verweilen in der Küche und in dem Keller, daß der Vater sich nicht zu ängstigen brauchte über ihre roten Augen und ihren fliegenden Atem.

Wie wohl der Klaus an den fremden, ausländischen Mann gekommen war? War es nicht seltsam, daß er einen so vornehm dreinschauenden Boten senden konnte? Der gute Bursche! O nun war alles, alles gut! Recht töricht war es doch gewesen, sich so zu ängstigen! O der böse Geigenkaspar! Wie hatte sie nur denken können, daß der Klaus sie vergessen würde? Ach, wenn der Vater ihm nur nicht so böse wäre, sie könnten alle, alle so glücklich sein; aber – nun, der liebe Gott ist ja gut, und er wird ja wohl ein Einsehen haben; die Hochzeitsmusik wird erschallen und die Myrte ihre schönsten Zweiglein hergeben zum Brautkranz! ...

Der Arzt Simone Spada aus Bologna schaute ganz verwundert ob dem Glanz, der von dem Angesicht der Jungfrau ausstrahlte, als sie ihm das silberne Ehrenkrügel des Hauses bot. Auch der alte Fichtner fragte sich innerlich:

»Was hat die Dirne? Was ist dem Mägdlein begegnet, seit es heute Tag geworden ist? Nun, der Herr sei gepriesen, wenn seine Frühlingssonne solchen Einfluß auf ihre Wangen und Augen hat! Wahrlich, ganz verändert ist das Mägdlein!«

Bereitwillig hatte der Pastor dem fremden Arzte seinen ganzen Vorrat von Hausmitteln, Spiritibus, Arcanis, Kräutern, Tinkturen, kurz allen Medikamenten, welche ein vorsorglich eingerichtetes Haus jener Zeit darzubieten hatte, zur Verfügung gestellt. Er führte ihn dann auch zu dem einzigen Jünger Äskulaps, welchen das Städtchen Holzminden aufzuweisen hatte, dem Meister »Balbierer«, welcher den Fremden aber ein wenig mißgünstig und schnöde ansah. Jedoch gab er, wenn auch murrend, einige gebrannte Wasser heraus zusamt seinem Aderlaßapparat.

Mit alledem beladen schiffte Simone Spada über den Strom zurück, und Ehrn Valentin Fichtner begleitete ihn willigen Herzens.

Erleichternden Herzens aber sah Monika den Kahn über die blinkenden Wogen tanzen. Nun durfte sie ohne Furcht, gestört zu werden, ihren Schatz von neuem hervorziehen und mit Muße nachschauen, was der Klaus eigentlich schrieb. Scheu, in lieblichster Schamhaftigkeit, wich sie dem Sonnenstrahl aus, welcher durch das Fenster in das Gemach fiel, in das dämmerigste Eckchen zog sie sich zurück und las:

»Allerliebstes Herzlieb, wir reiten, wir reiten, wir reiten! Wir sind gesattelt und gespornt und stehen schon mit einem Fuß im Bügel! Daß es doch das liebe Glück so gut mit einem Taugenichts meinen kann! Um Pfingsten sind wir schon im Feld mit dem Wrisberger. Dreißig Fähnlein Knechte und etlich Reiterfahnen sammelt er, und wir ziehen ihm zu, der Graf zu Pyrmont mit Wagen, Roß und Mann, und ich mit, gegen die Hispanier. Wir reiten in Flandern, allwo der große Krieg schon losgehet. Es ist allhier auf dem Schloß ein lustiger Lärm mit Waffenputzen und Zureiten der Rosse und allem, was sonsten darzu gehöret. – Daß ich Dir erzähle: es ist hier zu Pyrmont ein fürnehmer Herr ankommen, genannt der Ritter von Kamplan. Solchen hat der Wrisberger hergeführt, auf daß er meinen Grafen aufbiete ins Feld gegen die Spanier. Nun war freilich im Anfang der Trunk meinem Herrn Grafen sauer, und wollte er nicht recht dran, aber nun will er, und alle Leute sagen, daran sei nur die schöne fremde Maid, die Fausta, welche der blinde Zauberer im vorigen Jahr vom Teufel befreiet hat, schuld. Sie gehet immer noch um allhier auf dem Schloß, hat auch große Macht, und ich will es dahingestellt sein lassen, ob Wahres an dem ist, was die Leute schwatzen. Früher mochten wir alle im Stall und in der Küche sie nicht; aber wenn sie unsern gnädigen Herrn Philipp wirklich herum- und in den Krieg gebracht hat, so hat sie nun doch ein gut Werk getan. – Dem Wichtelkaspar hab ich einen Tritt gegeben. Er hat gestanden, daß er den Brief verloren hat, den ich Dir um Sankt Gallus schrieb. Da könnt ich wohl auf Antwort harren! Es ist hier jetzt am heiligen Born keine Menschenseel zu finden, das große Getümmel hat sich verlaufen wie Wasser durch ein Sieb. – Der Schloßkaplan Bellin hat mir auf der Landkarten anzeigen müssen, wohinaus das Flandern eigentlich lieget. Ach, der Weg gehet leider Gottes nicht durchs Städtlein Holzminden und nicht vorüber an Eurer Gartenmauer. Juchhe – aber der Rückweg! Sperre nur die Augen auf, Herzlieb – heut übers Jahr sind wir Mann und Frau! In der Neujahrsnacht hab ich um Mitternacht aus einer Büchsenkugel das Blei gegossen, und es sind zwei verbundene Herzen daraus worden. O wie hab ich mich gefreuet über solches gute Vorzeichen! Dem Herrn Vater wird es wohl auch lieb sein, daß ich gegen die Spanier ausziehe – meinest du nicht, Monika? Ich weiß, er hat eine große Tücke auf sie, und Euern Johannes haben sie ja auch erschossen. Drunten in Flandern soll die allerherrlichste Beut zu machen sein, sagen die Alten, welche schon einmal dorten waren. Die Leute sind allda so reich, daß sie ihre Stuben mit eitel Silbergülden pflastern, und die Bettlermäntel sind aus lauter Sammet und Seide zusammengeflicket. Heiliger Gott, wenn ich doch einmal auf solchen Silbergüldenfußboden den Fuß zuerst setzte! Das sollte eine Lust werden, Monika.«

Hier unterbrach die Lesende plötzlich ihre Lektüre, ließ den tollen Brief halb erschrocken in den Schoß sinken und seufzte:

»Ach du lieber Gott, das mag alles wohl so sein und ist auch recht gut; aber in Flandern sind auch die allerschönsten Mädchen – solches stehet schon im Liede! – , wie leichtlich mag das ein Unglück geben; ach, es würde mir das Herze abstoßen!«

Von neuem nahm sie das Schreiben des Liebsten auf und las weiter:

»Auch gibt es in Flandern die allerköstlichsten Schätze, so man aus fernen Weltteilen als wie aus Asia und Africa auch India bringet, denn um das ganze Land fließet das große Weltmeer. Aber über das Weltmeer brauchen wir nicht zu schiffen, um hineinzukommen, und das ist auch recht gut. – Wann ich ihn lassen kann, so will ich Dir einen Affen heimbringen oder einen Papagoyenvogel. Einen schwarzen Mohrenmenschen zu erbeuten, darauf steht mein ganzer Sinn. Ihre kurfürstlichen Gnaden von Brandenburg ließen sich von einem solchen kohlpechrabenschwarzen Ungeheuer die Schleppen tragen, und mein ich, es würde sich gar hübsch lassen, wenn hinter meinem lilienweißen und rosenroten Herzlieb auch solch ein schwarz Ding herzöge. – Herzallerliebste Monika, weine nur ja nicht deine Augen rot, weilen ich in so ferne Länder ziehe; wenn ich in Holzminden geblieben wäre, würd ich dich nimmermehr erangeln mit Fischfangen und fangen mit Vogelstellen. Du bleibest ewiglich mein alleredelst Vögelein und Fischlein; aber Du mußt mich lieb behalten in Deinem Herzen und kein falsch Wort und Werk zwischen uns aufkommen lassen nun und nimmer.«

An dieser rührenden Stelle ankommend, ließ die kleine Monika den Brief zum zweitenmal in den Schoß sinken, und abermals seufzte sie recht tief. Aber dieses Mal lächelte sie trotz ihrem Geseufz und sagte:

»Nein, nun und nimmermehr! Ach, der gute Knab!« Und abermals senkte sie ihr holdes Näselein herab auf das Schreiben, welches also seines wunderlichen Weges weiter lief:

»Wie ich Dir schon geschrieben habe, heißet Fausta die fremde, stolze Maid, so hier auf dem Schloß umgehet, und ich glaube doch, daß sie den Grafen, meinen Herrn, verhext hat. Ich möcht mich wahrlich nicht trauen, meinem Grafen alles das zu sagen, was die Leut auf den Dörfern und zu Lügde über ihn und die Maid in die Ohren flüstern. Und der Kamplan steckt mit der Fausta unter einer Deck, das ist fest und sicher, und ich weiß recht gut, wer stockblind ist und die Leute hängen lässet, wenn sie ihm die Augen öffnen wollen! – Hab neulich einen wandernden Pfaffen aus Paderborn predigen hören mit großem Wunder. Redete er auch von den bösen Geistern und ihrer Macht, und sagte er aus: im Anfang habe der Herrgott das ganze Gezücht in einer großen Tonne verschlossen gehalten und den Luzifer, der damalen noch ein allerheiligster Erzengel gewesen, darauf als Wacht gesetzet, auf daß kein Unhuld ausschlüpfe. Aber die Bösen seien so fein, daß sie durch die allerengste Ritze aus- und eingehen könnten, und so sei das große Unglück geschehen, daß sie allesamt eines Tages in den heiligen Engel fuhren, als er bei greulich heißer Witterung auf seiner Tonne eingeschlafen war. Da sei der Luzifer vom schrecklichen Bauchgrimmen aufgeweckt und habe einen greulichen Tanz im Himmel angefangen, habe Töpfe und Pfannen, Sessel, Tische und Bänke zerschmissen und sei umhergesprungen wie ein Verrückter. Kein Mittel habe anschlagen wollen, und endlich sei dem lieben Gott nichts übrig geblieben als das letzte Mittel – er habe also den Luzifer aus dem Himmel und der ewigen Seligkeit herausgeworfen, als worauf solcher in dem grausamen Fall wohl einen Teil des bösen Gezüchtes von ihm gegeben habe, einen andern Teil aber auch habe im Leibe behalten müssen. – Nun hätte ich wohl gewünschet, daß der Herr Vater, der Herr Pastore, diesen Pfaffen hätte predigen hören, das würd ein schöner Lärm in dem Waldkirchlein worden sein! – Doch was ich sagen wollt – ich glaub, wenn aus der Fausta ein Teil der bösen Geister ausgetrieben ist vom blinden Zauberer, so ist doch ein nicht kleiner Teil zurückgeblieben in ihr. Wer solches doch meinem Grafen sagen wollt! ...

Was schwatz ich doch für töricht Zeug, wenn ich von Rechts wegen heulen sollt vor Herzbrechen, weilen ich Abschied nehmen muß von meinem Lieb und in den Krieg ziehen muß! Aber ich bin so froh und so voller guter Hoffnung, daß die Monika nun binnen kürzester Frist meine eheleibliche Frau ist, daß ich um alles Unglück in der Welt nicht zu heulen vermöcht.

Also soll es darbey verbleiben: frisch Herz und Blut und frommen Mut, bis der Klaus in Ehren wiederkehrt und die allersüßeste Braut heimholt!

Franz Lindwurm, mein Reitersgesell, so gen Münden zur Hochzeit fahrt, bringt dieses Brieflein von dem

Klaus Eckenbrecher,        dem Kriegsmann und Bräutigam.

In diesem Jahr 1557 am 25sten des Hornung.

Um eines schönen Mägdleins Kranz
Setzt Klaus sein Blut an jede Schanz;
Um eines schönen Mägdleins Kuß
Wagt Klaus sein Blut zu Roß und Fuß.«

»Eia!« jubelte Monika über diesen Schlußvers, ließ aber in demselben Augenblick zum dritten und letzten Mal den Brief des hoffnungsreichen Eckenbrechers in den Schoß sinken und setzte klagend hinzu; »Ach lieber, lieber, lieber Gott, so ist es denn also fest und sicher, und er gehet wirklich in den abscheulichen Krieg! ... Der arme Knab, er tut es doch nur um meinetwillen! ... O mein herziges Reiterlein, wenn nur – ach Himmel, da ist der Vater schon wieder. Man hat doch nimmer ein ruhig Stündlein. Ach Klaus, Klaus, brich mir das Herz nicht um einen Affen oder Papagoyen oder einen schwarzen Mann oder um einen Haufen Silber und Gold! ... Wahrlich, der katholische junge Pastor zu Stahle muß recht krank sein, der Vater schaut gar betrübt aus. Wenn ich nur wüßt, was ich eigentlich gegen den jungen katholischen Pastor hab? Gott verzeih mir die Sünd; wenn ich nur wüßt, weshalb ich den Herrn Vikarius gar nicht leiden mag! O Gott, 's ist mir im tiefsten Herzen, als könnt ich nicht im kleinsten trauern über ein Unglück, so ihn überkäme!« – –

Der Pastor Valentin Fichtner kehrte wirklich recht betrübt heim von seinem Besuch im Pfarrhause am linken Ufer der Weser. Die geistige und körperliche Hinfälligkeit des uralten, blinden Chrysostomus war ihm schwer auf sein mutig Herz gefallen; mit warmem, christlichem Mitleid hatte er die heiße, fiebernde Hand, welche ihm der kranke Vikar Festus von seinem ärmlichen Lager entgegenstreckte, gedrückt.

Traurig sah es in dem katholischen Pfarrhause aus.

Öde und leer waren alle Räume desselben, denn die Bewohner hatten sich längst jedes irgend überflüssigen Hausrates entschlagen, um die Not ihrer Pfarrkinder während der vergangenen harten Zeit zu lindern. Dem Wort der Heiligen Schrift: Verkaufet, was ihr habt, und gebet Almosen – hatten sie buchstäblich Folge geleistet, so daß jetzt ein jeder nur das Gewand besaß, welches er auf dem Leibe trug. Längst hatten die armen Weiblein des Dorfes die überzähligen Röcke ihrer geistlichen Herren zu Röckchen für die nackten Kinder verschnitten und vernäht.

Wackere Herzen schlugen unter den beiden übrig gebliebenen groben Kutten!

Nur für die Kranken und Kinder des hungernden Dorfes hatten die Ziege und die Kuh des Pfarrhauses ihre Milch hergegeben; ach, und jetzt gehörte der arme Bruder Festus selbst zu den Todkranken!

Auf seinem Bett lag er regungslos, hohlwangig, mit halbgeschlossenen Augen, und »niemand konnte ihm helfen«.

Kopfschüttelnd stand der Pastor Fichtner mit dem Arzt Simone neben ihm, und der mitleidige Blick des Lutheraners wanderte von dem jungen Mönch zu dem blinden alten Mönch und wieder zurück. Der Vater Chrysostomus erkannte die Stimme seines Jugendfreundes nicht mehr und vergaß den Namen desselben im nächsten Augenblick. Zusammengebrochen saß er neben dem Lager seines Vikars, und er legte seine kalte Hand auf die glühende Stirn desselben, als glaube er, auf diese Weise das wilde Feuer, welches unter dieser Stirn loderte, löschen zu können.

In seinem Halbschlaf fühlte der Bruder Festus diese eisige Hand. Sie ängstigte ihn, als sei sie die Hand des Todes, aber Kraft sie abzuschütteln hatte er nicht. Dann und wann durchschauerte ihn eine Ahnung von der gräßlichen Ironie, welche in dieser eiskalten Hand des Alters auf dem jungen glühenden Scheitel verborgen lag. In einem heisern Gelächter machte sich diese Ahnung Luft, in einem Gelächter, welches den Pastor Fichtner besorgt fragende Blicke auf den Arzt Simone Spada werfen machte.

Einen bessern Arzt für das Leiden des Bruders Festus, als Simone Spada war, hätte man nirgends in der weiten Welt gefunden, und – Simone Spada zuckte die Achseln!

Was konnte hier seine Kunst, was konnten hier des Meisters Balbierers Arcana und des Pastors Fichtner Hausmittel helfen?

Aber ein ganzes Schifflein voll Lebensbedürfnisse sandte Ehrn Valentin nach seiner Heimkunft dem katholischen Pfarrhaus über den Strom. Daß allerlei Geschwätz in der eigenen Gemeinde über solche Mildtätigkeit entstand und daß die männlichen und weiblichen Frau-Basen ein großes Geschrei darob erhoben, kümmerte den Ehrenmann nicht im mindesten. Unbefugten Stänkern und Kläffern wußte der Pastor Fichtner trefflich heimzuleuchten.

Allen überfrommen Vermutungen eines Teils seiner Gemeinde zum Trotz schlief er in der folgenden Nacht recht gut und wurde nicht einmal durch irgendeinen neckenden Traum gestört. Dagegen träumte sein Töchterlein desto mehr, jedoch waren ihre Träume keineswegs unlieblich und beängstigend. Einen Ritter in silberner, funkelnder Rüstung erschaute sie. Die Weser lag hell im Sonnenschein, und über die glitzernden Fluten schritt leicht das weiße Roß des Ritters, ohne seine Hufe naß zu machen. Ein langer Zug von Mohren schwebte hinter dem schönen Ritter drein, und ein jeder schwarze Mann trug ein köstlich Ding aus den fremden Ländern. Viel Trommetenklang und Jubelruf vernahm die kleine Monika Fichtner bis zum dritten Hahnenschrei. Dann erwachte sie urplötzlich, als eben der Ritter unter der Gartenmauer seinen Schimmel anhielt und die Hand erhob, um das Helmvisier zurückzuschlagen – – verschwunden war das herrliche Traumbild, und es fühlte die schlaftrunkene Maid nach, ob die zwei Brieflein des Klaus sich noch unter ihrem Kopfkissen befänden!


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