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Achtes Kapitel

handelt von Zauberern, Zauberinnen und Verzauberten.

Es war ein gläubiges, ungläubiges, abergläubiges Jahrhundert, dieses sechzehnte nach Christi Geburt! Selbst in den aufgeklärtesten, hellsten Köpfen schlangen sich Licht und Finsternis zu so seltsamem Knäuel zusammen, daß man nie wissen konnte, welche tollen, phantastischen, verrückten oder – erhabenen Gedanken, Meinungen, Taten im nächsten Augenblick daraus emporschlagen würden.

Das siedete, kochte, brodelte, warf Blasen, sprühte Funken und flammte hier in leuchtenden, phantasmagorischen Farbenspielen auf, um dort in tiefster Finsternis zu versinken! Das Banner der religiösen Freiheit wird aufgeworfen, die Gewalt und Autorität des Papstes und seine Macht, »zu binden und zu lösen im Himmel und auf Erden«, wird siegreich angegriffen, die Rechtfertigung soll nicht mehr an das Individuum von außen kommen; aus dem Staub und Schutt der Jahrtausende wühlt und gräbt man die Pracht der versunkenen antiken Welt ans Licht zurück und – errichtet Scheiterhaufen und verbrennt Hexen. Ewig schöne Bilder und Gedichte werden geschaffen und – Volksleben und Gesellschaft sind dabei fast in Tierheit durch roheste Genußsucht verfallen! – Es war die Zeit der großen Gärung, die Zeit des Zersetzungsprozesses, der später seine Krisis im Dreißigjährigen Kriege fand, in welchem der morsche Bau des Mittelalters krachend zusammenbrach, damit aus der Blut- und Schmutzpfütze, aus dem gebirghohen Trümmerhaufen eine andere Welt mit andern Anschauungen sich erheben könne. – –

Das Treiben und Wesen um den heiligen Born zu Pyrmont war im kleinen ein treues Bild jener Zeit, Alle Elemente der geistigen und körperlichen Lebensbedingungen des Jahrhunderts wirbelten in dem abgelegenen Waldtal durcheinander und flossen zusammen in einem Hexensabbat sondergleichen.

Hinein in das bunte Gewirr und Gewimmel!

Müde und abgespannt erwachte Graf Philipp von Pyrmont aus seinem kurzen Schlummer und seinen bösen Träumen. Schnell kleidete er sich an und stieg, nachdem er seine Lieblingsbüchse von der Wand genommen und sie über die Schulter geworfen hatte, hinab in den Hof, um vor Sonnenaufgang die Kühle zu genießen. Alles schlief noch innerhalb der Ringmauer bis auf Klaus Eckenbrecher, welchem die beiden spanischen Kronen des italienischen Arztes das Blut noch viel zu unruhig in den Adern herumtrieben, als daß er es hätte aushalten können auf seinem Lager, Mißmutig war er vor einer halben Stunde aufgesprungen und hatte abermals, der Erfrischung wegen, den schwindelnden, wirren Kopf unter das sprudelnde Löwenmaul des Schloßbrunnens gesteckt. Das hatte etwas geholfen, aber nicht ganz. Jetzt war der Reiter beschäftigt, seinen Schecken zu striegeln und zu putzen, während die Kameraden, die Wände entlang, ruhig fortschnarchten.

Wir haben schon angedeutet, daß mit unserm Freund Klaus, seit ihn der Graf zu Pyrmont unter seine Reisigen aufgenommen hatte, eine günstige Veränderung vorgegangen war. Die hohen Hacken der Reitstiefeln erhöhten seinen Wuchs wenigstens um zwei Zoll; der eiserne Halskragen, das Schwert, der spitze Hut, das Spiegelbergsche Wappen auf dem Bruststück des Kollers erhöhten sein Selbstgefühl mindestens um das Doppelte, und daß Klaus Eckenbrecher ein nicht geringes Selbstgefühl auch vor seiner Standesveränderung hatte, wissen wir aus jenem Gespräch mit dem Pastor Fichtner im Pfarrgarten zu Holzminden. Sein größter Kummer nach dem Trennungsleid von seinem Schatz war, daß er es bis zu einem »türkischen Knebelbart« noch nicht hatte bringen können. Übrigens mußte man es dem Burschen lassen: er war ein tüchtiger, schmucker Reiter, und die Damen des Schlosses waren vollständig in ihrem Rechte, wenn sie ihn wohl leiden mochten. Aber zu seiner Ehre können wir hiermit verkündigen, daß der Gedanke an die Monika ihn freilich von keiner Tollheit, wohl aber von jeder Schlechtigkeit fernhielt, und das wollte viel sagen in jener Zeit. Auch die Gunst des jungen Grafen, seines Herrn, hatte sich Klaus bald errungen als ein wohlbefahrener Schütz und Jäger. Bald hatte er sich heimisch gemacht in den Wäldern von Pyrmont wie früher im Solling; bald genug wußte er wohl Bescheid zu Lügde, Holzhausen, Oestorf, Löwenhausen und Thal; bald genug kannte er Weg und Steg weit und breit umher, jeden Winkel und Eck im Wald und Feld. Daß er aber Weg und Steg in der Grafschaft und darüber hinaus so gut kannte, das hatte er nicht ganz allein den oft sehr kuriosen Aufträgen Herrn Philipps von Spiegelberg und der Jagd zu verdanken, sondern auch zum großen Teil einem unabweisbaren Bedürfnis nach Einsamkeit. Eine Art von Heimweh und Trübsinn überfiel ihn dann und wann; manchmal aus heiterm Himmel, manchmal begründeter wie jetzt, wo sie ihn nach dieser lustigen Nacht, in welcher er die Goldkronen Simons von Bologna auf so höchst vortreffliche und nützliche Weise losgeworden war, überkommen hatte.

Zwischen den Zähnen brummend, sich selbst und die Welt mit den absonderlichsten Beiwörtern belegend, war er eben beschäftigt, seinem Gaul die Hufen zu putzen, als sich die Türöffnung des Stalles durch den Eintritt des Grafen verdunkelte und der Schatten desselben über den niedergebeugten Reiter fiel.

Ärgerlich blickte dieser auf, doch sänftigten sich seine Gefühle, als er seinen Herrn erkannte.

Auf ziemlich formlose Weise begrüßten sich Herr und Diener; dann sagte der erstere:

»Laß den Gaul, Klaus, nimm deine Büchse und löse den Waldmann und den Dachshund von der Kette; wir wollen in den Wald, uns ein Maul voll frischer Luft zu holen, ehe die Sonne kommt; 's wird wieder eine schöne Hitze werden auf den Tag.«

»Zu Befehl, Herr Graf!« sagte Eckenbrecher, den Hut aufstülpend. Im nächsten Augenblick war er samt dem höchst erfreuten Waldmann und Dachshund bereit.

Der Graf schritt voran; aus seiner Höhle hervor fuhr der schlaftrunkene Torwärter, das Burgtor zu öffnen. Herr Philipp trat mit seinem Knappen hinaus auf den heiligen Anger.

»O du heiliger Gott«, rief der Graf, beim Beginne seiner Wanderung sogleich stehenbleibend. »Ist's mir nicht jedesmal, wenn ich die Nase aus dem Loch stecke, als liefe mir eine Spinne darüber oder ein altes Weib oder ein Mönch mir über den Weg? Halb zu Tode ärgere ich mich jedesmal, wenn ich den Fuß über die Zugbrücke setze. Da schau nur, Bursch, wie das Volk unsern Grund und Boden zurichtet! Der böse Feind hat uns die Plage über den Hals gesandt, und wenn ich für gewiß wüßte, daß ich sie loswürde, wenn ich mich ihm verschriebe, so tät ich's, bei Gott, ich tät's!«

Klaus Eckenbrecher zuckte die Achseln:

»Ja, 's ist wahr, Herr Graf zu Pyrmont, sie tun viel Schaden und zertrampeln alles wie das Vieh; aber – aber, 's ist doch eigentlich eine gute Gabe und eine große Berühmtheit.«

»Ich pfeife auf die Berühmtheit! Prosit!« schrie der Graf in Wut. »Von Land und Leuten muß ich, wenn das also fortgeht. Kahl fressen sie mich wie die Ratten, und die hier draußen sind noch lange nicht die Allerschlimmsten.«

Klaus Eckenbrecher lächelte schlau und zuckte abermals die Achseln:

»Weiß, wen Ihr meinet, gräfliche Gnaden; aber ich sag's nicht!«

»Ich auch nicht – 's hilft auch zu nichts«, brummte Herr Philipp von Spiegelberg und schob das Barett ein wenig zur Seite, um sich bequemer am Hinterkopf kratzen zu können. Dabei blickte er böse über die Schulter nach dem Schlosse zurück und seufzte:

»Das weiß der liebe Gott!«

Um seinen Ärger nicht noch zu steigern und den schönen Morgen sich nicht noch mehr verderben zu lassen, vermied er mit seinem Begleiter das Lager um den heiligen Born und gelangte, indem er einen Bogen um die Zelte, die Hütten und das schlafende Volk machte, unter die ersten, zerstreuten Bäume des Waldes am Bomberg. Hier atmete er freier auf, tat einen Sprung über wenigstens drei Büsche und drang mit den lustig bellenden Hunden und dem Eckenbrecher tiefer in das Gehölz ein. Allmählich schwand nun das Gefühl von Beklemmung, welches seit dem gestrigen Abend auf ihm lastete, der letzte Nachhall des Spukes, den die vergangene Nacht mit ihm getrieben hatte, aus seiner Seele. Laut jauchzte er auf in der Waldesfrische und wunderte sich im geheimen, wie ihn die Erscheinung jener fremden Maid so seltsam hatte erschrecken und erregen können. Fest nahm er sich vor, nach seiner Rückkehr ins Schloß sogleich kurzen Prozeß zu machen und das Mädchen noch an diesem selben Morgen dem fremden Arzte, welcher doch wohl recht haben konnte, über die Grenze nachzusenden. Hallo! Hussa! Eifrig folgte der Graf der Spur eines Wildes, welches die Hunde aufgescheucht hatten; aber das Getier, längst verschüchtert durch den ungewohnten Lärm der letzten Zeit, ließ sich nicht mehr so leichtlich überraschen wie früherhin; abgehetzt und schweißtriefend mußte Herr Philipp die Jagd aufgeben.

»Weshalb das gute Wasser nur nicht bei den singenden, betenden, glockenläutenden Paderbornschen Pfaffen aufgesprungen ist?« rief er ärgerlich. »Denen wär's ein gesundes Fressen gewesen! Die hätten es wahrlich besser brauchen können als der Graf zu Pyrmont! Die würden auf ihre Weise schon gesorgt haben, daß sie keinen Schaden dabei litten. Hoho, was haben die Hunde nun wieder? Ich tue keinen Schritt mehr ihnen nach. Ruf sie zurück, Klaus!«

»Sie werden einen Fuchs wittern«, sagte Eckenbrecher und folgte dem Grafen, welcher ungeachtet seines letztausgesprochenen Vorsatzes bereits dem Gebell nachsprang.

Nach fünf Minuten gelangten die beiden jungen Männer auf eine kleine Waldlichtung, wo sich ihren Augen ein unerwartetes Schauspiel darbot. Wütend umkreisten die Hunde ein kleines Zelt, welches hier aufgeschlagen war, und sprangen schnappend gegen einen ältlichen Mann an, welcher sich ihrer mit dem Kolben seiner Büchse kaum erwehren konnte. Ein anderer, jüngerer Mann, mit langem, schwarzem Bart und geschlossenen Augen, gekleidet in ein langes, schwarzes Gewand, welches um die Hüften durch einen feuerroten Gürtel zusammengehalten wurde, saß ruhig unter dem Zelt und schien sich nicht im mindesten um den Kampf seines Gefährten zu kümmern. Zwei Reitpferde und ein Lastpferd waren in der Nähe des Zeltes angebunden und benagten die herabhängenden Baumzweige.

Auf den Ruf ihres Herrn ließen die Hunde von ihren Angriffen ab und zogen sich knurrend hinter den Klaus zurück.

»Wer seid Ihr, und was treibt Ihr hier?« fragte der Graf ziemlich barsch, erbost über diese neue Beunruhigung seines Jagdgrundes. »Wer gab Euch die Erlaubnis, hier Euer Lager aufzuschlagen?«

»Und wer seid Ihr, daß Ihr solche Fragen auf so schnöde Art stellet?« fragte der Mann unter dem Zelte.

»Einer, der Euch hängen kann, wenn es ihm beliebt; Philipp von Spiegelberg, der Graf zu Pyrmont.«

Der Mann, welcher mit den Hunden gekämpft hatte, zog betroffen den Hut ab und trat zurück. Der andere Mann, welcher unstreitig der Herr war, erhob sich.

»Verzeihet, gnädiger Herr«, sprach er, indem er sich mit großer Würde verneigte, »mein Diener hat einen armen, blinden Mann zu schützen. Verzeihet meine Barschheit.«

»Richtig, er ist blind! Wieder jemand, welchem der heilige Born helfen soll!« murmelte Klaus Eckenbrecher.

»Wie nennet Ihr Euch?« fragte der gutmütige Herr Philipp, dessen Zorn sich bereits gelegt hatte.

»Simon, gnädiger Herr.«

»Simon? Wieder ein Simon? Gott schütze uns! ... Und was treibet Ihr? Wer seid Ihr?«

»Sie nennen mich Simon den Magier. Ich bin ein Arzt!«

»Alle guten Geister – Klaus Eckenbrecher, ich gehe nicht mehr hervor aus dem Schloß, ohne den Kaplan auf den Fersen zu haben. – Und was wollt Ihr hier, Meister Simon?«

»Die Kranken heilen, die Besessenen befreien, die Bezauberten erlösen! Der Herr hat mir große Macht gegeben.«

»Der Teufel mag Euch große Macht gegeben haben!« brummte Klaus Eckenbrecher, der Skeptiker, leise; aber des Blinden scharfes Ohr hatte die Zweifel an seiner göttlichen Sendung doch vernommen.

»Ich weiß nicht, wer Ihr seid, der da eben sprach: aber – ob vornehm oder gering, hütet Eure Zunge! Der Herr liebt es nicht, daß man seiner Begnadeten spotte.«

Klaus Eckenbrecher, welcher sich vor dem bösen Feinde nicht ganz so sehr fürchtete wie ein Professor der Theologie oder ein Oberkonsistorialrat des neunzehnten Jahrhunderts, tat einen Pfiff und wollte eben antworten, als ihm der Graf zu schweigen befahl.

»Und Ihr wollt auch, weiser Meister Simon, Euere geheime Kunst zeigen am heiligen Born zu Pyrmont?«

»Nicht meine Kunst will ich der sündhaften Welt zeigen, sondern die Gnädigkeit des allerhöchsten Gottes.«

»So will ich Euch nicht hindern. Aber ich selbst warne Euch nun, daß Ihr zuschauet, daß Euch gelehrte und fromme Männer nicht des Teufelsdienstes überweisen. Hütet Euch, ein Holzstoß ist baldigst aufgebaut.«

»Ich werde mich hüten!« sprach der Blinde, und ein unmerkliches Lächeln umspielte seine Mundwinkel.

»Steiget also nieder ins Tal! Ihr sollt mir willkommen sein«, sagte der Graf. »Steigt hernieder, wir sind begierig, Eurer Kräfte und Künste zu genießen.«

Simon der Magier verbeugte sich tief, und der Graf zog sich mit seinem Begleiter zurück. Hätte den beiden die aufgehende Sonne nicht so wohltuend und beruhigend auf die Köpfe geschienen, wer weiß, ob der Herr Graf zu Pyrmont trotz seiner Ritterlichkeit und Meister Klaus Eckenbrecher trotz seiner Wagehalsigkeit nicht ein leises Frösteln über den Körper und ein Kribbeln der Haare unter dem Barett gespürt haben würden. So aber eilten sie festen Schrittes durch den Wald, den Berg hinunter auf dem gradesten Wege dem Schlosse zu. Bald gelangten sie, aus dem Walde hervortretend, zu den Lagerstätten des Volkes, welche der Graf dieses Mal nicht vermied, obgleich nun das lebendigste Leben überall herrschte. Demütig drängte sich das Volk mit abgezogenen Hüten und Mützen an den Weg des Grundherrn und schielte nach einem gnädigen Blick oder einem Almosen. Es erhielt jedoch nichts von beiden, sondern der Graf schleuderte statt dessen mit einigen ärgerlichen Fußtritten verschiedenes Hausgerät, Körbe mit Lebensmitteln, Plunder und schreiende Kinder aus seinem Pfade fort und stieß seinen Büchsenkolben jedem ihm begegnenden arglosen Hunde so nachdrücklich in die Rippen, daß die Bestie jedesmal heulend davonflog.

Auf diese Weise bahnte er sich seinen Weg und war fast in die Mitte des heiligen Angers gelangt, als ihn ein neues Abenteuer aufhielt. Zwischen dem gewöhnlichen Lärm und Tumult der Menge erklang auf einmal ein durchdringender Schrei, so ungewöhnlich, so schrill und herzzerreißend, daß im nächsten Augenblick sich die tiefste Stille über die drängenden Haufen legte, daß jedes Ohr in Schrecken horchte, ob dieser Schrei sich nicht wiederholen werde.

Wirklich erklang er von neuem, und dann vernahm man einen wunderlichen, wildfremden Gesang, der in kurzen Absätzen von einem gellen, unnatürlichen Gelächter zerrissen wurde. Dann teilte sich dicht vor dem Grafen scheu das Volk, ein kreischendes, singendes, lachendes Weib sprang hervor und begann einen wilden, wahnsinnigen Tanz. Ihre Augen rollten, ihre gelösten Haare flogen, der Schaum stand ihr vor dem Mund. Das Volk sah im höchsten Entsetzen dem schrecklichen Schauspiel zu; der Graf und sein Reiter wußten nichts Besseres zu tun.

Jetzt traten zwei Franziskanermönche, ihre Kreuze in den Händen erhebend, vor die Tänzerin hin, um den bösen Geist, von welchem sie dieselbe besessen glaubten, als tapfere geistliche Ritter zu bannen. Die Kruzifixe hielten sie ihr vor, Beschwörungsworte schrieen sie ihr zu.

»Helfet ihr! Helfet ihr!« rief das entsetzte Volk. »Sehet, sehet, es packt sie wieder! O helfet ihr, helfet ihr!«

»Bei der heiligen Dreifaltigkeit, bei den Geheimnissen der Menschwerdung, bei der allerseligsten Jungfrau«, brüllte der eifrigste der Barfüßer, »Satan, maledico te in maledicta tua arte! – ich verfluche dich, Satan, in deiner verfluchten Kunst! Fahre aus, du höllischer Gast, welcher du dieses Weib marterst!«

Wie vom Blitz getroffen stürzte plötzlich das Weib nieder und wand sich in Krämpfen auf dem Boden. Der andere Mönch kniete neben ihr nieder und legte sein am Rosenkranz befestigtes Kreuz auf das Haupt der sich im Staube Windenden:

»Fahre aus, aus, aus, o irreverendissime et irreligiosissime! Hebe dich von diesem Weibe, so du quälest!«

»Komm, Klaus, ich habe genug davon!« rief Herr Philipp von Spiegelberg. »Komm fort, sie laden mir sonst auch noch dieses unglückliche Geschöpf auf. Beim Teufel, das ist ein Segen, der auf mein armes Land gefallen ist! Aus dem Wege, wenn's Euch beliebt, aus dem Wege sag ich!«

Fort stürzte der Graf, und wiederum erklang hinter ihm der Schrei der Besessenen; atemlos, seufzend und mit den Zähnen knirschend kam der Spiegelberger in den Hallen seiner Ahnen wieder an.

»Elsabe! Jadwiga! Kathinka! Fedora!« klang hier eine leider nur zu wohlbekannte Stimme ihm ins Ohr. Durch die Korridore des Schlosses stürzten die Dienerinnen; Fräulein Ursel von Spiegelberg, ebenso außer Atem wie ihr Bruder, eilte die Treppe empor: ihre kurfürstlichen Gnaden waren von ihrem alten Übel, dem Magenkrampf, befallen worden und schrieen aus vollem Halse und höchst gesunden Lungen nach Kraftwassern und heiß gemachten Topfdeckeln.

»Bei meiner ritterlichen Ehre, wenn ich mir nicht vorkomme wie ein Hund voller Flöh und Fliegen, so will ich mich hängen lassen, wie ein –« rief der Graf, die Büchse an die Wand hängend. »O du heiliger Blasius, wie das Frauenzimmer schreit! ... Wo ist die Walburg, du Affe?«

Diese letztere Frage galt einem Adelbursen, der ihm in den Weg kam.

»Im Schloßgarten pflückt sie Rosen«, lautete die Antwort, und seufzend sagte Graf Philipp:

»Das Kind ist die einzige, welche noch ein leichtes Herz hat im Schloß Pyrmont; Gott möge es ihr gesegnen! Arme Ursula!«

Trotz seinem Mißmut entwickelte der Spiegelberger beim einsamen Morgenimbiß im großen Saale einen tüchtigen Appetit, bis er zufällig in die Tasche griff und das zerknitterte Schreiben des Arztes Simone Spada hervorzog. In demselben Augenblick waren Hunger und Durst vergangen, der letzte Bissen blieb dem Grafen im Munde stecken.

»O, o, o!« sagte er und versank in tiefes Sinnen und Grübeln, aus welchem er mit der Frage erwachte: ob man die Dirne im Turmgemach auch mit allem Nötigen versehen habe?

Der Zauber, den er für alle Ewigkeit abgeschüttelt zu haben glaubte, hatte ihn mit dreimal stärkerer Gewalt gefaßt, und vergeblich waren alle Anstrengungen, sich seiner Macht zu entziehen. Auch die übrigen Vorkommnisse des Tages, als da waren; lange, lange, ziffernbedeckte Rechnungen des Haushofmeisters Plückebüdel, lange, lange, schöne Reden des Hauskaplans, kurze, spitzige Bemerkungen der Frau Hedwig von Brandenburg über Vernachlässigung, ferner die Botschaft des Stallmeisters über die Erkrankung eines Lieblingsrosses, ferner die Nachricht des Falkenierers von dem Unwohlsein des Lieblingsfalken – vermochten nicht mehr als des Grafen eigene Anstrengungen.

Das Bild Faustas war wieder emporgestiegen und schwebte siegreich dem Grafen auf Schritt und Tritt voran.

Gegen Abend war Philipp von Spiegelberg ganz in der Stimmung, an den blinden Simon und seine Kunst zu glauben.

Und grade um die sechste Stunde des Nachmittags brach ein so gewaltiges Geschrei los am heiligen Born, daß die Bewohner des Schlosses Pyrmont, welche doch gewiß durch die letzten Wochen an gräßlichen Lärm und Getöse gewöhnt waren, erschreckt auffuhren und an die Fenster oder aus dem Tore stürzten, die Bedeutung dieses Geschreis zu erkunden. Das Getöse legte sich nur, um im nächsten Momente desto kräftiger anzuschwellen. Alle die Tausende, die um den Gesundbrunnen lagerten, waren in Bewegung, gestikulierten mit den Armen und Händen in der Luft und sperrten die Mäuler so weit als möglich auf:

»Wunder! Wunder! Wunder! Simon Magus! Wunder! Simon Magus! Wunder! Wunder!«

Simon der Blinde war am heiligen Born erschienen und hatte seine erste große Tat vollbracht. Simon der Blinde hatte den ersten Teufel ausgetrieben, und niemand war auf dem heiligen Anger, der daran zweifelte.

»Wunder! Wunder! Wunder!«

Und in dem Augenblick, wo dieses Wunder-Geschrei das Waldtal von Pyrmont erfüllte, hatte Herr Philipp von Spiegelberg den Schlüssel jenes Turmgemaches, welches man der schönen Fausta angewiesen hatte, gedreht und stand auf der Schwelle und hielt sich an den Pfosten der Tür. Besiegt hatte ihn der Zauber, die enge Wendeltreppe hatte er ihn heraufgezogen. Ein blauer Nebel, in welchem alle Gegenstände tanzten, welchen tausend Funken und Lichter durchsprühten, lag vor den Augen des jungen Grafen, als sich die Tür öffnete; ihm schwindelte, er befand sich in einem durchaus unzurechnungsfähigen Zustande, und Fausta La Tedesca – wußte, daß er kommen würde!

Sie lag, wie es schien, im tiefsten, ruhigsten Schlummer auf ihrem Lager. In üppiger Pracht rollten ihre schwarzen Locken ihr über die Schultern. Halb auf die Seite gewendet lag sie da, und nur das regelmäßige Senken und Heben der Brust verkündete, daß Leben in dem herrlichen Bilde sei. Die linke Hand der Schläferin hing an der Seite des Lagers ein wenig herab – diese Hand, welche der große Meister Tiziano Vecelli da Cadore einst so bewundert hatte.

Mit blödem Herzen und bestürztem Mute stand der Graf zu Pyrmont, der sich heute morgen vorgenommen hatte, »kurzen Prozeß zu machen mit der Fremden«, in der Tür, und würde noch lange Zeit so gestanden haben, wenn nicht sein ihm nachfolgender großer Wolfshund es für angemessen gehalten hätte, ebenfalls sich nach dem, was es in diesem Turmzimmer gab, umzuschauen. Gravitätisch schob er sich neben seinem Herrn durch, und ehe dieser es verhindern konnte, hatte der Hund seine kluge, feuchte Schnauze ausgestreckt und beschnüffelte vorsichtig, ohne sich etwas Arges dabei zu denken, die wundervolle Hand, welche Tizian Vecelli in mehr als einem herrlichen Bilde der Nachwelt aufbewahrt hat.

Mit einem in romantischen Erzählungen selten so richtig und wohl begründeten Schrei fuhr die schöne Schlafende empor, strich mit der rechten Hand die wirren Locken aus der Stirn und zog mit der linken die herabgesunkenen Gewänder züchtig und schamhaft über dem Busen zusammen.

Wie die unschuldigste Unschuld, aus dem Schlaf aufgeschreckt, den Störenden anschauen kann, so blickte Fausta La Tedesca zu dem Grafen empor, und dieser – gab seinem Hunde einen Fußtritt und sagte zu seiner Gefangenen: »Verzeihung!«, was sehr viel war für einen Grafen des Heiligen Römischen Reiches einer Landstreicherin gegenüber.

»Und guten Tag!« setzte er hinzu, wodurch er klärlich bewies, daß die Männer in außergewöhnlichen Fällen und Vorkommnissen damals schon ebenso geistreich sein konnten wie heutzutage.

Die Weiber wissen sich seit Evas Apfelbiß bei derartigen Gelegenheiten viel besser zu benehmen. Schon hatte sich die schöne Fausta dem Herrn Philipp zu Füßen gestürzt. Sie schluchzte, rang die Hände, stieß unverständliche Worte und Sätze hervor und drohte in Ohnmacht zu fallen, welches letztere sie jedoch aus uns unbekannten Gründen nicht tat. So verblüfft und ratlos wie möglich machte sie den guten, ehrlichen, blondlockigen deutschen Tölpel.

Die große Vagabondin hatte ihre Rolle gut durchdacht und spielte sie noch besser.

Fausta La Tedesca, welche in Bologna, in Venedig, in Padua, in Rom, in Neapel alle Männer durch Schönheit und Geist bezwungen hatte, Fausta La Tedesca zwang den deutschen Grafen durch Schönheit und gut dargestellte Verzweiflung und Verrücktheit.

Großartig, herrlich war sie in ihrem Wahnsinn! Herrn Philipp von Spiegelberg standen die Haare zu Berge – er rief nach Hülfe, nach seinem Hauskaplan, nach seinen Schwestern, er rief nach Simon dem Blinden, nach Simon dem Magier!

Ja, nach Simon dem Teufelsbanner rief der Graf, und – »Wunder! Wunder! Wunder!« schrie das Volk am heiligen Born über denselben Teufelsbanner, welcher eben das unglückliche Weib, das heute morgen auf dem heiligen Anger angekommen war, aus den Krallen des Bösen befreit hatte. Was durch dieses Ereignis noch nicht aus dem Schlosse herausgelockt war, das stürzte dem Hülferuf des Grafen nach die Wendeltreppe hinauf in das Turmgemach.

»Zu Simon dem Magier! Zu Simon dem Zauberer!«


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