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Siebzehntes Kapitel

Wie der italienische Arzt Simone Spada seine Lebensgeschichte und die Geschichte der schönen Fausta erzählte, und was darnach erfolgte.

»Ihr habt mich neulich gefragt, armer, kranker Freund, ob man in unserer Welt, der Welt, welche Ihr nicht kennet, auch von so schlimmen Qualen, wie sie Euer Herz bedrängen, wisse. Wohlan, die Stunde ist gekommen, wo ich Euch die Geschichte erzählen mag, welche Euch Kunde davon geben soll. Wenn ich fern von Euch sein werde, möget Ihr daran gedenken und sie Euch wiederholen in den Augenblicken, wo Ihr vermeinet, das Dasein nicht mehr tragen zu können. Wohlbedachtsam hab ich diese Erzählung Euch und mir aufgesparet für die letzten Stunden, welche wir miteinander zubringen, Festus. Es ist Feuer, was ich auf die brennende Wunde legen muß – – wollet Ihr mich hören, Bruder Festus?«

Es war in der Nacht von dem vierundzwanzigsten auf den fünfundzwanzigsten März des Jahres 1557, als der Arzt Simone Spada aus Bologna also zum Vikarius Festus im Pfarrhause zu Stahle sprach. Sie saßen einander in der zehnten Stunde gegenüber am Kamin; denn seit einigen Tagen hatte sich der junge Mönch von seinem Krankenlager wieder erhoben, freilich ohne gesundet zu sein. Kränker, ruheloser, unglücklicher, verlorener als je war er; aber er wandelte umher, ging den Pflichten seines Amtes nach, und jedermann außer dem Arzt Simone war der festen Meinung, der Frühling, dem man alles klagen darf –

»was einem der Winter hat Leids getan –«

werde die vollständige Heilung des Vikars schon vollenden.

So glaubte die Gemeinde des katholischen Dorfes, so glaubte der Pastor Valentin Fichtner. Sie hatten keine Ahnung davon, wie anders der Lenz, welcher allen andern Kranken Trost und Hoffnung und Erleichterung bringt, solchen Leidenden wie der Bruder Festus erscheint! –

Der Fluß hatte sich längst gesänftigt, sein Grollen war wieder zum leisen Murmeln geworden; der volle Mond spiegelte sich in den leis hüpfenden Wellen. Aus den Fenstern des Gemaches, in welchem sich der Arzt und der Vikar befanden, hatte man die Aussicht auf einen Abschnitt der glänzenden Wasserfläche der Weser und auf einen Teil der Dorfgasse, die gegen die Fähre hinabführte.

»Wollet Ihr mich hören, Festus?« fragte Simone Spada, und der Vikarius nickte.

»Ich will, ich will es gern! Morgen gehet Ihr fort, und niemalen werd ich Euch wiedersehen – Euch, den einzigen Menschen, welchem ich meine Seele öffnen konnte, welchem ich keinen Winkel meines Herzens verschlossen gehalten habe.«

»Ja, Euer Herz hat Euch sicher geleitet; von allen Menschen auf dieser Erde war ich vielleicht der einzige, welcher Euch verstehen konnte, armer Bruder Festus, weil ich ähnlich gelitten habe wie Ihr, weil Ihr mir seid gleich einem Spiegelbild meines eigenen Ichs.«

Der Vikar reichte dem Arzt die magere Rechte über den Tisch:

»O redet – denket, wie kurze Stunden wir noch Zusammensein werden! Erzählet mir alles von Euch, den der Herr in seiner Gnade dem großen Sünder gesendet hat.«

Die Stirn mit der Hand stützend, begann Simone Spada:

»Welche seltsame Dinge haben geschehen müssen, um mich, das Kind des Südens, mit Euch, Bruder Mönch, an diesem Tische zusammenzuführen! Weit, weit zurück in die Vergangenheit muß ich greifen, um die ersten Fäden auszufinden, welche durch die Jahre bis in die heutige Nacht hinüberlaufen. – Es ist aber also geschehen! Vor langen Jahren wohnte in einer Euerer nordischen, großen und reichen Städte ein Mann, entsprossen aus edlem Patriziergeschlecht, wohlbegütert und von großem Ansehen in der Gemeinde. Sein Name war Martin Meyenberger; er war ein Witwer und besaß einen einzigen Sohn, welchen er sehr liebte. Er gab ihm die sorgsamste Erziehung und sandte ihn, als die rechte Zeit dafür gekommen war, auf eine deutsche Hochschule, damit er daselbst weiterstudiere. Ein reger Wissensdrang lebte in dem Jüngling, dessen Name Benediktus war. Mit dem glühendsten Eifer widmete er sich der Wissenschaft, welche er sich erkoren hatte, der edlen Medizin, ohne daß er jedoch seine anderweitige Ausbildung vernachlässigte. Herrlich an Geist und Körper wuchs er heran – in meinem Vaterhaus zu Bologna hänget ein jugendlich Bildnis von ihm, gemalt von einem deutschen Meister, das gibt Kunde davon – immer vorwärts trieb ihn die heilige Flamme des Wissensdranges, welche in seiner Seele angezündet war. – So mußte endlich der alte Vater den Bitten des Sohnes nachgeben und ihn ziehen lassen nach meinem Vaterland Italia, nach meiner Vaterstadt Bologna, in welcher damals mein Großvater Matteo Spada ein berühmter Lehrer der Chirurgie war. – In dessen Haus – jetzo ist es das meinige – zog nun Benediktus und schloß daselbst eine Herzens-Freundschaft mit dem Sohne des Matteo, mit Antonio Spada. Der war mein Vater und ist nun auch lange tot. Tot ist Matteo Spada, tot Antonio Spada, zu Osnabruga hab ich jetzt auch den alten Benediktus begraben! Tot ist meine Mutter, tot ist Lydia Santoni, welche die Frau des Benediktus war! – – Neben meinem väterlichen Haus, dicht an der großen Kirche San Domenico wohnte die Lydia mit ihrer Mutter, und so kam es, daß der deutsche Scholar sie täglich sah und in heißer Liebesglut gegen sie entbrannte. Als seine Zeit in meinem Vaterlande um war, gestand er der Lydia seine Liebe, und sie zog mit ihm als sein eheliches Weib in seine nordische Heimatstadt. Als sie nach langer Fahrt daselbst ankamen, erwartete den Benedetto ein großer Schmerz. Der alte Vater Martino war gestorben, ohne daß er seinen vielgeliebten Sohn wiedererschaut hatte. Aber das Volk – reich und arm – bewillkommnete den aus der Fremde heimkehrenden Benediktus mit Freuden und nahm ihn und sein Gemahl auf in großen Ehren; bald ward er ein gar berühmter Arzt in der Stadt und hatte viel Zulauf aus der Nähe und aus der Ferne. In Friede und Eintracht lebte der Benedetto nun mit der Lydia, seinem Weibe, mehrere Jahre hin; doch ward ihre Ehe anfangs nicht mit Kindern gesegnet, und zuletzt überfiel die Lydia ein schweres Übel, das Heimweh nach dem Süden, welches mit jedem deutschen Winterschnee stärker wiederkehrte. – Da ward endlich den Eltern ein Kind geboren, das nannten sie Fausta, die Glückbringende; aber das Mägdelein brachte kein Glück. Ein schauerlich Trauerspiel war jetzt nahe vor der Tür!

Nach langen, langen Wanderungen in allen Landen der Welt war der große, berühmte Arzt Theophrastus Paracelsus von Hohenheim, arm und elend, überall verfolgt von der Dummheit, dem Neide und der Mißgunst, heimgekehrt nach Deutschland und hatte endlich, endlich eine Zuflucht gefunden bei dem Fürstbischof von Salzburg, dem guten und gelehrten Pfalzgrafen Ernst, Herzog zu Bayern und bei Rhein, welcher den vielgeprüften, edlen Dulder mit offenen Armen aufnahm. – In Salzburg an der Brücke stehet das Haus, in welchem der hochweise Paracelsus starb kurze Zeit nach seiner Heimkunft aus der Fremde – und, bei Gott, die mögen wohl recht haben, welche da sagen: er sei keines natürlichen Todes gestorben!

Zu dem Theophrast zog es nun mit unwiderstehlicher Gewalt den Arzt Benedetto Meyenberger; zu den Füßen des großen Mannes zu sitzen, seinen Worten zu lauschen, war der höchste Wunsch seines Lebens. Und so ließ der Verblendete sein Weib und sein achtjährig Töchterlein und machte sich auf den Weg gen Salzburg, sein Wissen und seine Kunst zu mehren. Aber im folgenden Jahre bereits, als man schrieb: eintausendfünfhundertundeinundvierzig, ist der weise Meister Paracelsus gestorben – erlegen der Mörderhand abergläubischen Pfaffentums oder heimtückischer Kunstgenossenschaft. Wenige sind seinem Sarge in Trauer und Wehmut gefolgt zum Leichenhof Sankt Sebastian, allwo er seine letzte und einzig sichere Ruhestätte gefunden hat. Unter den wenigen, welche dem großen Doktor das letzte Geleit gaben, schritt natürlich auch der Benediktus Meyenberger einher, welcher nunmehr seine Heimfahrt zu Weib und Kind antreten konnte, wie denn auch geschah.

Ein großes Schrecknis erwartete ihn daheim!

Seine Abwesenheit hatte die Schande benutzt, um sich in sein Haus zu schleichen. Sie hatte darin genistet, bis des Benediktus ehrbare Mitbürger dem häßlichen Wesen ein Ende machten, indem sie es aus ihrer Mitte verscheuchten. Ein ödes Haus, ein entehrtes Haus erwartete den Heimkehrenden.

Mit einem vom Adel aus der Stadt Florenz, welcher mit dem Kaiser Karl dem Fünften nach Deutschland gekommen war, war die Lydia, des Benedettos Weib, vor dem Zorn, der Entrüstung der Nachbarn aus dem Heimwesen ihres Gatten geflohen! Treue und Eid hatte sie dem angetrauten, wackern Mann gebrochen, gefolgt war sie dem falschen Verräter, und ihr Kindlein hatte sie mit sich genommen auf die Flucht.

Da ist der Benediktus gleich einem Wahnsinnigen gewesen und hat alles hinter sich gelassen und ist der Spur der Flüchtigen jahrelang vergeblich durch die weite Welt nachgeeilt, bis er endlich zu Paris in einem Kirchhofswinkel das Grab des einst so heiß geliebten Weibes fand. Aber damit war die wilde, verzweiflungsvolle Jagd noch nicht zu Ende. Sein Kind, sein Kind wollte der unglückliche Vater wiederhaben; Rache wollte er nehmen an dem verräterischen Zerstörer seines Glückes!

So ist der Arzt Benediktus Meyenberger abermals gen Italia gezogen und hat seinen Aufenthalt zu Bologna im Hause des Jugendfreundes, in meines Vaters Hause, genommen. Da hat sich das Verhängnis meines Lebens erfüllen müssen! Denn als der deutsche Meister Benediktus kam und an die Tür meines Vaterhauses klopfte, ach, da kannte ich die Fausta schon und liebte mit der ganzen Glut der ersten Liebe die, welche ich für einen Engel des Lichtes hielt.

O Festus, Bruder Festus, die verlorene Maid, welche der Vater suchte, kannte ich seit Monden, als der Benediktus zu uns kam!

O Festus, Bruder Festus, neunzehn Jahr war ich alt, achtzehn war sie alt, als sie in all ihrer Schönheit zu Bologna erschien. Wir hielten sie für die Tochter Aleardo Pazzis, des florentinisthen Ritters, mit welchem sie kam, um als seine Schülerin ihr schreckliches Spiel zu treiben. Auf einer Villa in der Nähe der Stadt lebte der Ritter anfangs mit ihr in tiefster Zurückgezogenheit, aber bald ging ein leises Murmeln von der wunderbaren Schönheit der fremden Jungfrau von Mund zu Munde. Die, welchen das Glück geworden war, sie zu sehen, gingen einher gleich Verzauberten; die, welche ihr gutes Geschick vor solchem Glück bewahrt hatte, suchten in törichter Verblendung das leuchtende Verderben auch auf sich herabzuziehen. Unter diesen letzteren war ich, und wehe – wehe mir, ich sah sie! Ich sahe die Fausta – Fausta la Maga!

Nicht lange dauerte das Schweigen, das auf der Villa des Aleardo Pazzi lag; allnächtlich hub sie an zu strahlen im Schein der bunten Lichter und Lampen. Köstliche Musik erschallte hinter den blühenden Büschen hervor, welche den Garten und das Haus umgaben. Die edelsten Jünglinge der Stadt und der Fremde drängten sich vor den Gittertoren – die ganze Jugend der großen Universität umkreiste allnächtlich die Villa Pazzi, wie die leichtsinnigen Nachtfalter die tödliche Flamme umflattern.

Festus, Bruder Festus, da hab auch ich die Magierin Fausta gesehen und war – verloren wie hundert andere, aber schrecklicher als die andern; denn einen Augenblick – eine flüchtige Sekunde lang hat sie mich geliebt, geliebt mit dem vollsten Wert des Wortes! Eine Sekunde lang hat sie nicht mit mir gespielt wie mit den andern! In dieser Sekunde habe ich alle Freuden des Himmels und alle Qualen der Hölle genossen; denn in dieser Sekunde hat die Fausta – Fausta die Magierin weinend mich in die tiefsten Tiefen ihres Herzens blicken lassen, und in dieser Stunde habe ich erkannt, welch ein Herz hier in alle Ewigkeiten verloren – verloren sei!

O Bruder, Bruder Festus, da habe ich gezweifelt, ob ein Gott sei; denn wie könnt ich fassen in meinem armen Hirn und Herzen, daß ein Gott also sein schönstes Werk durch die Hand des Satans gleichgültig zerstören lassen würde? Wie könnt ich begreifen lernen, daß ein Gott der Güte und der Schönheit sein herrlichstes Geschöpf also dem Verderber zum Spielball in die Hände geben würde? ... O Bruder Festus, was hatte Aleardo Pazzi aus dem Kinde des deutschen Meisters Benediktus gemacht! Festus, Festus, du hast mich gefragt, ob ich die Qualen kenne, welche dich bedrängen – zweifelst du noch daran?«

»Nein, nein, schrecklich ist's, was Ihr erzählet! O weiter, weiter, sprechet weiter, auf daß das Grauen, welches Eure Worte mir erregen, zu einem Ende komme!« rief der Mönch, und der Arzt, nachdem er an das Fenster getreten war und die frische Nachtluft in sich gesogen hatte, ließ sich wieder nieder und fuhr fort:

»Blitzschnell ging der Augenblick vorüber, in welchem Fausta an meiner Brust schaudernd die höllischen Bande, die sie tödlich umstrickten, erkannte. Ihre Kräfte waren schwach, sie tastete an ihren Ketten eine flüchtige Minute herum; aber sie schlossen sich nur fester um sie – sie richtete ihr Haupt von meiner Brust empor, sie lächelte durch ihre Tränen – sie lachte – sie war verloren – ewiglich. Wie dem Wanderer auf nächtlichen Wegen, dem der Blitzstrahl zuckend eine himmlische Zauberlandschaft enthüllt und der in der folgenden Sekunde in desto tieferer Finsternis wandelt, so war Euch zumute, Bruder Festus, als Euch die Liebe überfiel; nun stellet Euch vor, welches Licht, welche Finsternis mich in ein und demselben Augenblick umgab! Und nun war ich gleich den andern, welche der Zauberstab der Magierin berührt hatte; ich lästerte Gott mit den Spöttern, ich trank mit den Trunkenen, ich ward der Wüsteste unter den Wüsten; denn – sie wollte es ja. Es war das Leben eines Verdammten im Pandämonium; aber außer diesem Kreise war kein Leben für mich; in den feurigen Wirbeln der Hölle schwebte sie ja – in engelhaftester Hülle, die große Sünderin Fausta! O Festus, Festus, Festus, ein schwerer Kampf ist Euch zuteil geworden; aber gedenket meiner und gedenket der Fausta La Tedesca, so werdet Ihr genesen und siegreich vorgehen aus Eurem Ringen!«

Der Vikarius barg sein Gesicht in den Händen, antwortete jedoch nicht, und weiter sprach Simone Spada:

»Meine Mutter war, als solches auf mich fiel, bereits tot, und auch mit meinem Vater neigete es sich zum Ende: der deutsche Arzt Benediktus Meyenberger fand, als er in unser Haus kam, seinen Jugendfreund auf dem Sterbebett. Wie bin ich da zwischen allen Schrecken umhergeworfen worden, bis sich das Verhängnis erfüllte und der Meister Benedetto den florentinischen Ritter Aleardo und die Fausta gesehen hatte! Das geschah in der Nacht, in welcher mein Vater starb. Mit einem gellen Mißton ist die lockende Musik, das Geflüster, Lachen und Kosen abgebrochen, als der Meister Benediktus mit dem Schwert in der Hand Rechenschaft von dem Ritter Pazzi forderte. Doch andere Klingen sind gegen den Deutschen gezückt worden, und ein großer Aufruhr ist darob ausgebrochen in der Stadt Bologna. In zwei Feldlager haben sich die Studenten geteilt. Für den Meister Benediktus zogen die Deutschen, die Engländer und die aus Dänemark und Schweden die Schwerter; auf des Aleardo Seite stellten sich die Romanen, und viel Blut ist in den Gassen meiner Vaterstadt um Fausta La Tedesca geflossen! Von dem Grabhügel meines Vaters fort habe ich mich in den Kampf gestürzt und zum erstenmal mit meinem zweiten Vater Benediktus Meyenberger den Kampf gegen das Geschick aufgenommen. Mit Hohnlachen hat die Fausta ihren Vater von sich gestoßen, und gelacht haben Aleardo Pazzi und Cesare Campolani, welchen letzteren nach mir die Magierin Fausta in ihre Arme aufgenommen hat. Drei Tage und drei Nächte durch währte der Kampf in den Gassen; in der dritten Nacht ging die Villa Pazzi in Flammen auf; denn nachdem ein Teil der Italiener und Franzosen und die Behörden der Stadt und Universität zu der germanischen Zunge übergetreten waren, gewann diese die Oberhand und trieb im Sturm die Gegner in die Kirchen und Kollegienhäuser. Aber von Hunderten geleitet, entkamen Aleardo Pazzi und Fausta La Tedesca aus der Stadt, und man konnte nun die Leichen in den Gassen aufheben und sie begraben. Mit dem unseligen Benediktus habe ich die Spur des fliehenden Verführers und der verlorenen Fausta verfolgt im Zickzackzug durch das Land, bis zu Venedig auf einer Laguneninsel Aleardo Pazzi von dem Schwert des deutschen Meisters gefallen ist. – Aus dem Palaste des großen Meisters Tiziano haben wir die Fausta fortgeführt; aber von neuem ist sie uns mit Hülfe ihres jetzigen Geliebten Cesare Campolanis entflohen, und zu Padua bin ich zu Tod verwundet worden durch ihren Buhlen. Da hat mich zum erstenmal Benediktus Meyenberger durch seine Kunst errettet und mich dem Leben wiedergegeben. Dann sind wir abermals der Verderblichen nachgeeilt und haben sie gesucht zu Florenz, zu Genua, zu Rom, zu Neapel; denn verbergen konnte sie sich nicht mehr, weil ihr Name – Fausta La Tedesca – von den Alpen bis zum Capo Spartivento in jedem Munde war. Freilich wechselte sie hundertmal diesen Namen, und Hunderte von mächtigen Beschützern warfen sich zwischen uns und sie; aber zu Neapel haben wir sie doch ereilet und sie mit Gewalt und List auf ein hanseatisch Schiff, welches nach der Heimat absegeln wollte, geführt. Wie konnte der Vater es aufgeben, die Seele seines Kindes retten zu wollen?

An der deutschen Küste ging das gute Schiff im Sturm zugrunde; doch erretteten wir uns in einem Boote an das Land. Tief in das Innere haben wir die Fausta in ein Kloster gebracht, daß sie in der Abgeschiedenheit ihr ferneres Leben hinbringe, bereue und – ihre Seele gerettet werde. Mit bittern Tränen hat der unglückliche Vater von ihr Abschied genommen, mit ihm bin ich in seine Heimat gezogen, und still haben wir dort eine Zeitlang gelebt, zusammen studieret und die Kranken geheilt und den Armen geholfen.

Aber wer konnte die Fausta fesseln?

Wer konnte sie halten?

Ihre Arme hat sie aus den Banden gezogen, und als ich, überredet von meinem zweiten Vater, zum erstenmal auf dem Heimzuge nach Italien war, im vorigen Sommer, als der große Komet am Himmel stand, da ist sie mir wieder vor die Augen getreten, schön und strahlend wie immer, am heiligen Born zu Pyrmont.

Diesmal hab ich nicht versucht, ihrem Geschick mich in den Weg zu werfen; diesmal hab ich nicht gewagt, dem schrecklichen Stern, welcher über ihr leuchtet, Trotz zu bieten; entsetzt bin ich geflohen und nach Osnabruga zum alten Benediktus zurückgeeilt, ihm Kunde zu geben, daß die Fausta wieder unter den Lebendigen wandele. Todkrank bin ich vor dem Hause des Meisters angelangt, und zum zweiten Male hat er mir das Leben gerettet. Auch er hat sich zu schwach gefühlt, um den Kampf mit der Fausta La Tedesca von neuem aufzunehmen; nachdem ich mich von dem Krankenlager erhoben, ist er darauf niedergesunken – vor sechs Wochen ist Benediktus Meyenberger, der Fausta Vater, in Kummer und Gram in meinen Armen verschieden. Ruhe, Ruhe seiner Asche!«

»Ruhe seiner Asche – wehe, welch ein ander Leben!« rief der Vikarius.

»Ja, wahrlich, welch ein ander Leben! O Festus, Festus, was ich versprochen habe, habe ich gehalten; nun gedenket in jeder bösen Stunde der Geschichte des alten Meisters Benediktus Meyenberger, gedenket der Geschichte Simone Spadas und der schönen Fausta La Tedesca! – Horch, was war das?«

»Nichts, nichts! Die Weser oder der Nachtwind in den Baumästen ... O, Eure Erzählung ist schrecklich, ist furchtbar!« rief der Bruder Festus. »Und sie – sie, wo ist sie jetzo?«

Der junge Arzt zuckte die Achseln.

»Wer weiß es? Vielleicht noch am heiligen Born zu Pyrmont, vielleicht zu Rom, vielleicht zu Paris! Wer kann es sagen? Der Herr schütze mich davor, daß ich je wieder den Saum ihres Gewandes erschaue; der Herr schütze mich vor dem Blicke ihrer Augen – todbringend sind sie!«

»Und er lebt – er ist nicht gestorben!« murmelte der Vikarius vor sich hin; aber Simone hörte doch die leisen Worte.

»Ja, ich lebe!« sprach er, und sein Haupt sank in die Hand, und ein Zittern überlief seinen Körper.

»Und das ist die Welt?!« murmelte der Vikarius, und tiefe Stille herrschte eine geraume Zeit in dem katholischen Pfarrhause. Außer dem leisen, eintönigen, ewigen Rauschen des Flusses wurde die Ruhe der Mondscheinnacht durch keinen andern Laut gestört. In den bittersten Tiefen Ihrer Seele wühlend, saßen die beiden Männer zu Stahle einander gegenüber.

Plötzlich blickte Simone Spada wiederum auf und horchte.

»Aber das ist nicht der Wind! Das ist nicht das Getön der Wasser! Horcht – horcht – da ist es wieder!«

»Wahrlich, das klang aus der Ferne gleich wildem Geschrei; zu Holzminden ist es nicht!«

»Und da ein Schuß! Was ist das?« rief Simone aufspringend und zum Fenster eilend.

Der Mond und die Sterne leuchteten im vollen Glanze, aber im tiefen Schlaf lag das Dorf, und nicht ein einziges Licht schimmerte aus irgendeiner Hütte.

»Hätte ich mich doch getäuscht?« fragte sich Simone Spada.

»Nein, nein – da ist es wieder! – Viele Pferde im Galopp! – Was ist das?«

Er nahm sein Schwert aus dem Winkel, in welchem es lehnte. Er gürtete es um die Hüften, zog es halb hervor und ließ es wieder zurückgleiten in die Scheide; denn in jenen Zeiten verließen sich die Männer, was ihr Leben, ihr Eigentum, die Ehre ihrer Weiber und Töchter anbetraf, mehr auf sich selbst, als auf die Polizei.

»Festus, Festus, wachet auf!«

Der Arzt legte dem Vikarius die Hand auf die Schulter, und der Vikarius fuhr aus seinem halb bewußtlosen Brüten in die Höhe.

»Ja, Ihr habet recht, das ist eine schreckliche Geschichte, eine Geschichte des Grauens!« sagte er.

Wiederum eilte Simone zu dem Fenster. Näher erklang der Hufschlag, und dann donnerte es die Dorfgasse hinunter, geradezu auf die Weser und die Fährstelle. Wieder erkrachte ein Schuß in der Ferne, dann ein zweiter. Die Waffen der Heransprengenden blitzten im Mondschein; »il fiume, il fiume! Der Fluß, der Fluß! Gerettet, gerettet!« riefen einzelne Stimmen; vor den Fenstern des Pfarrhauses bäumte sich ein weiß Pferd, welchem die andern Rosse nachdrängten.

Warum fuhr Simone Spada zusammen? Weshalb faßte seine Hand unwillkürlich nach dem Schwertgriff?

Das weiße Roß wurde von einer Frau gezügelt, und mit starren Augen folgte Simone Spada jeder Bewegung dieser Frau.

Nein, nein, es war nicht möglich! Es konnte nicht möglich sein!

»Holla, Holla, Fährmann! Fährmann!« wurde jetzt gerufen. Zwei der Reiter sprangen von den Pferden und schlugen an die nächsten Hüttentüren. Verschiedene Lebenskundgebungen zeigten an, daß die Dorfbewohner aus dem Schlaf erwachten.

»Wie weit ist der Herr noch zurück?« fragte jetzt die Frau auf dem weißen Roß in italienischer Sprache, und Simone Spadas Brust entrang sich beim Klang dieser Stimme ein dumpfes Stöhnen; aber noch immer vermochte er es nicht, seinen Sinnen zu trauen. Es war nicht möglich! Es konnte nicht möglich sein!

»Kaum zweihundert Pferdelängen, Signora«, klang die Antwort ebenfalls auf italienisch. »Sie wollten die Brücke hinter sich abwerfen.«

»Gut, Jacopo. Animo, animo! Schlagt die Türen ein, wenn die verschlafenen Tölpel nicht erwachen wollen! Alles geht vortrefflich, Jacopo!«

»Sicuramente, Signora! Holla, holla, Fährmann – zwanzig Goldgulden demjenigen, welcher uns an das andere Ufer schafft!«

Allmählich hatte sich jetzt ein Haufe verschüchterter Bauern, Männer und Weiber, um die Reiterschar versammelt, Lichter irrten hie und da durch das Dorf, Fackeln leuchteten auf und vermischten ihren roten Schein mit dem bleichen Glanz des Mondes; auch Simone Spada stürzte hervor aus dem Pfarrhause, auf dem Fuße gefolgt von dem Bruder Festus. Eine Bewegung des Schreckens entstand unter den Reitern; mehr durch Zeichen als durch Worte erfuhren sie, daß das Fährschiff drüben in Holzminden liege und daß es keinesfalls möglich sein werde, die Rosse der Fremdlinge in den zerbrechlichen Fischerkähnen des Dorfes über den Strom zu schaffen.

»Wo bleibt der Herr? Wo bleibt Don Cesare?« fragte die Frau, unruhig die Dorfgasse entlang schauend, und diesmal stieß Simone Spada einen Schrei aus –

Sie war es!

Fausta La Tedesca! …...

Im Schatten des Pfarrhauses stand der Arzt und faßte mit eiserner Faust die Schulter des Bruders Festus und deutete auf die hohe Gestalt auf dem weißen, schnaubenden Roß inmitten der bewaffneten Reiter und der angstvollen Bauern:

»Fausta La Tedesca!«

Der Mönch faltete zitternd die Hände, zwischen denen er den Rosenkranz hielt:

»Fausta La Tedesca?!«

»Fausta La Tedesca – in Mondlicht und Feuerschein – wie immer! Schau, schau, wie schön sie ist! – Wehe mir, was bedeutet solches? Schau die Schreckliche, Festus! Hat meine Erzählung sie wieder zu meinem Verderben herbeigerufen? Wehe mir, was soll das geben? Was soll das werden?«

Während der Arzt und der Vikar also aus dem Schatten des Pfarrhauses die Tochter Benedikt Meyenbergers belauschten, hatten die Diener Faustas am Ufer der Weser die Kähne des Dorfes überzählt, und Jacopo beschäftigte sich bereits damit, durch Schwerthiebe die Seile der den Flüchtigen unnötigen Fahrzeuge zu zerhauen und sie mit Fußtritten weit hinauszutreiben in den Strom. Den Eigentümern füllte Fausta die Hände mit Gold.

»Ich ahne, was es ist«, murmelte Simone Spada. »Aber –«

»II signore, il signore cavaliere!« schrieen plötzlich die Diener – wieder klang Hufschlag die Dorfgasse hinab, und ein Hüfthorn erklang.

»Va bene! Mut, Mut, meine Freunde!« rief Fausta, und ein triumphierendes Lächeln umkräuselte Ihre Lippen. »Verspielt, verspielt, Herr Graf zu Pyrmont!«

»Ah!« rief Simone Spada. Er wußte nun, weshalb die Fausta durch die Nacht floh.

Ein zweites Horn rief in der Ferne.

»Il signore conde!« riefen die flüchtigen Männer am Ufer der Weser und schauten ängstlich nach den Bergen, von denen her das zweite Horn erklang.

»Campolani hier! Hier Campolani!« rief der barhäuptig auf schäumendem Rosse, gefolgt von zwei Begleitern und einem ledigen Pferd, heransprengende Don Cesare.

»Hie Fausta La Tedesca!« rief die Tochter des Meister Meyenberger. »Alles in Ordnung, Cesare!«

»Cesare Campolani!« stöhnte Simone Spada, das Schwert aus der Scheide reißend. »O Fatum, Fatum!«

»Hie Campolani!« rief der italische Ritter, von seinem Pferd herabspringend. »Und dort die Weser! Wir sind also geborgen! Aber schnell, schnell, der wütende Narr ist dicht hinter uns!«

Mit kurzen Worten setzte Jacopo jetzt dem Ritter die Sachlage auseinander, und einen wilden Fluch stieß Don Cesare aus, als er erfuhr, daß die Pferde bei der Überfahrt zurückbleiben müßten; düster überflog sein Auge die um ihn her haltenden Reiter und die halbnackten, zitternden Dorfbewohner, welche scheu einen weiten Kreis um die fremdartige Gruppe bildeten.

»Acht Männer und ein Weib!« murmelte Cesare. »Wo ist Luigi?«

»Da ist sein Pferd. Reiterlos lief es mit – Blut auf dem Sattel!«

»Herunter, herunter von den Gäulen!« schrie der Ritter, zur Erde springend. Drohend näher erklang das Horn von Pyrmont. Von dem Zelter hob Cesare die Fausta.

»Seht nach den Lunten! In die Kähne – presto! presto! Lasset die Gäule – drüben findet sich das andere!«

Zwei Kähne befanden sich noch am Ufer, in sie verteilten sich die fliehenden Männer, die Ruder ergreifend, als man eben in der Ferne abermals Hufschlag und wildes Rufen vernahm.

In den Fluß hinein glitt das eine gebrechliche Fahrzeug, auf den Rand des zweiten setzte Cesare, nachdem er der Fausta beim Einsteigen behülflich gewesen war, soeben den Fuß.

»Hoho, die Narren! Zu spät, zu spät, mein Herr von Pyrmont! Hie Campolani! Campolani hie!«

»Hie Spada! Simone Spada hie!« schrie außer sich der Arzt, sich losreißend aus den Armen des Bruders Festus und mit gehobenem Degen aus der Dunkelheit, dem Schatten des Pfarrhauses vorspringend gegen den Todfeind.

Ein Ausruf der Verwunderung entrang sich der Brust des Ritters, und auch Fausta La Tedesca sprang von ihrem Sitze im Vorderteil des Kahnes in die Höhe.

»Teufel, Simone Spada?!« rief Don Cesare.

»Simone Spada, Simone Spada?!« rief Fausta.

»Ja, Mörder! Verräter! Simone Spada! Denk an Bologna, denk an Venedig, denk an Padua! Hab acht und wehre dich!«

»Maledetto!« murmelte Cesare, seine Klinge mit der des Arztes kreuzend und den ersten wilden, verzweifelten Angriff abwehrend. Ein guter Fechter war Simone, der Kampf konnte lang währen, und schon stürmten die Spiegelbergischen die Gasse des Dorfes hinab gegen die Fähre – die Rettung der Fliehenden hing an einem Haare.

In dem Kahne wurden zwei Feuerröhre erhoben und gegen die Brust des Arztes gerichtet.

»Schießt nicht – Diavolo, schießt nicht!« rief der Ritter. »Es freut mich, Euch zu sehen, Signor Spada – Schad, daß die Zeit zu kurz ist, um länger mit Euch zu plaudern!«

»Verräter, Verräter!« stöhnte Simone, immer wilder auf den Feind eindringend.

»Ereifert Euch nicht, Signor«, lachte Cesare, unterbrach sein Gelächter jedoch: »Diavolo!«

Das Schwert Simones fuhr in seine Achsel, ohne ihn freilich gefährlich zu verwunden. Aber nun stürzten im wildesten Galopp die Verfolger heran – allen voran Philipp von Spiegelberg, der Graf von Pyrmont

»Schießt, schießt!« schrie Fausta den beiden Knechten zu, welche ihre Feuerrohre schußfertig in den Händen hielten. In demselben Augenblick hallte auch schon der Krach der zwei Büchsen von den Bergen wider; Simone Spada griff nach seiner Brust, ließ den Degen sinken, taumelte und stürzte rückwärts in die Arme des Bruders Festus.

»Das war nicht meine Schuld, – entschuldigt, Signor Spada!« rief Cesare Campolani, in den Kahn springend und mit kräftigem Fußtritt denselben vom Land abstoßend.

Einem Wahnsinnigen glich Philipp von Spiegelberg, wie er sein Roß gegen den Strom spornte. Auch er blutete aus einer leichten Stirnwunde von einer rückwärts gesandten Kugel Don Cesares.

Und wieder leuchtete es in den Kähnen auf – zweimal, dreimal, schnell hintereinander, und die Kugeln pfiffen um die Köpfe des Grafen und seiner Reiter. Nach allen Seiten stoben mit lautem Angstgeschrei die Bauern, welche sich der zurückgelassenen abgetriebenen, zitternden Pferde der Flüchtigen bemächtigt hatten oder sich um ihren Vikarius und den blutenden Fremden drängten – auseinander.

In dem Flusse bäumte sich das entsetzte Roß des Grafen von Pyrmont hoch auf, und es war ein Glück, daß einer der Spiegelbergschen Reiter schnell seinem Herrn in die Zügel griff.

»So nicht! So nicht, Herr Graf!« rief Klaus Eckenbrecher und riß Herrn Philipp aus den Fluten empor. »Mörderbande! Hinterlistige, niederträchtige, falsche, welsche Halunken!« schrie er, als von den Kähnen aus eine Kugel ihm den Hut vom Kopf riß.

»Gebt es ihnen zurück! Feuer, Feuer auf die Hunde!«

Von ihren Gäulen springend, schossen die Spiegelbergschen ihre Büchsen auf die Kähne ab, und fort und fort krachten die Schüsse jetzt hinüber und herüber.

»Einen Kahn, einen Kahn – schafft einen Kahn!« schrie der Graf von Pyrmont.

»Einen Kahn, einen Kahn – wo sind eure Kähne?« schrieen seine Knechte die Bauern an.

»Die hat der Teufel allesamt geholt und stromab schwimmen lassen«, lautete die Antwort, und in ohnmächtiger Wut und Verzweiflung raufte sich Philipp von Spiegelberg die Haare. Die sicher geglaubte Rache entschlüpfte ihm, und zwischen dem Büchsenfeuer und dem Geschrei und Tumult glaubte er deutlich das Hohnlachen Don Cesare Campolanis und der falschen Zauberin Fausta La Tedesca zu vernehmen. – – –

Was wir soeben langsam nacheinander erzählt haben, folgte natürlich mit Blitzesschnelle eins dem andern, und unmöglich ist es bei solchen Gelegenheiten der Feder, treu zu schildern. Seitdem Fausta La Tedesca in dem Dorfe Stahle an der Weser erschienen war und Simone Spada mit dem Bruder Festus aus dem Pfarrhause hervorstürzte, waren noch keine zehn Minuten vergangen.

Nun lag Simone bereits zu Tode verwundet in den Armen des jungen Mönchs, wildester Aufruhr füllte das eben noch so stille, schlafende Dorf; die Männer schrieen, die Weiber kreischten, die Hunde bellten, die Pferde wieherten, bäumten sich und schlugen aus, die Büchsen knallten. Wie konnte das Drama; Fausta und Simone anders als im Lärm des Gefechtes zu Ende gehen? –

Auch die Stadt Holzminden am rechten Ufer der Weser ward jetzt lebendig. Lichter bewegten sich den Fluß entlang, die kurzen, ängstlichen Schläge der Sturmglocke riefen die Bürger aus den Betten, zu den Waffen. War das katholische Dorf drüben von Räubern überfallen? Rüsteten sich die Päpstlichen wieder einmal zum Angriff auf die Anhänger der reinen Lehre?

Zu den Waffen! Zu den Waffen!

Grade Jahrestag war's, seit das Städtlein von einer ähnlichen Panik überfallen wurde, und damals wie in dieser Nacht mußte der Graf von Pyrmont, der gute Freund der Stadt, der Urheber solches Schreckens sein. Ein Getümmel gleich dem vorjährigen entstand zu Holzminden, nur waren die Kostüme und Bewaffnungen noch regelloser und mangelhafter als damals, wo man doch etwas mehr Muße hatte, um sich auf das Kommende vorzubereiten. Gegen den Fluß stürzten die Bürger, Leben und Ehre, Gut und Blut zu verteidigen, und die Klugen behielten auch dieses Mal einen Fuß hinten, um im Notfall sogleich das Hasenpanier aufwerfen zu können. Im hellen Mondschein konnte man jede Bewegung in den sich nahenden beiden Kähnen erkennen, und es bedurfte kaum der angezündeten Fackeln. Daß dieses Mal ein ernstlich Spiel gespielt wurde, war keinem verborgen; daß es zwischen Verfolgern und Verfolgten um Leben und Tod galt, erkannte man aus mehr als einem Schrei, der kein Triumphruf war.

Und jetzt landete der eine Kahn, und die Waffen schwingend sprangen seine Insassen ans Land; der zweite Kahn folgte dem ersten im Augenblick darauf. Totenbleich stand in ihm Don Cesare Campolani. In der Rechten hielt er den blanken Degen, mit dem linken Arm umschlang er den Leib Faustas, welche schwer – schwer an seiner Brust lag und niedergesunken wäre, wenn der Ritter sie nicht gehalten hätte. Blutige Tropfen rieselten über die linke Hand Cesares, welche das schöne Weib aufrecht erhielt.

Eine Leiche war Fausta La Tedesca, als der Kahn das Ufer berührte! ...

Zu Ende war das große Trauerspiel; Fausta La Tedesca! Eine Kugel aus dem Rohre Klaus Eckenbrechers, des Spiegelbergischen Reiters, hatte ihm ein Ende gemacht. Jählings, blitzschnell war der Tod gekommen. Ein leiser Schrei – ein Griff nach dem Herzen – nichts weiter! Aufrecht stehend, sich festklammernd an die Brust Cesare Campolanis, war Fausta La Tedesca, Fausta die Zauberin gestorben – geh zur Ruh, Simone Spada! …...

Wankend unter der traurigen Bürde, die er in den Armen trug, stieg Don Cesare den Uferhang hinauf; scheu wichen die andrängenden Bürger von Holzminden zurück.

»Tot, tot!« murmelte Cesare, als er den Leichnam unter der Mauer des Pfarrgartens niederlegte, neben ihm niederkniete und mit zitternder Hand das einst so wild, so stolz klopfende Herz suchte.

»Tot! tot! Madonna, das war der Mühe nicht wert! O Fausta! Fausta!«

Stumm drängten sich die Knechte um ihren Herrn und die Leiche, stumm starrten die Bürger von Holzminden auf die schreckliche Szene. Aber die Zeit drängte; noch immer leuchtete und knallte es vom linken Weserufer her, und der Ruf: »Hol über, hol über« erklang immer drohender. Ängstliche Blicke warfen die italischen Knechte auf ihren Herrn, und endlich wagte es Jacopo, ihm leise die Hand auf die Schulter zu legen.

»Gnädiger Herr!«

Wirr schaute Cesare Campolani empor; dann fuhr er mit der Hand über die Stirn und sprang auf die Füße.

»Ihr habt recht, wir müssen fort. Jammer, Jammer – muß ich ihre Leiche dem blöden Knaben dort lassen?! Ihr habt recht – fort, fort! – Lebe wohl, Fausta – o daß du so enden mußtest, du Schöne, Stolze, Herrliche!«

Abermals kniete er neben der Leiche nieder und drückte einen letzten Kuß auf die bleichen Lippen Faustas. Dann erhob er sich, und düster überzählte sein Auge die Genossen. Zwei der Knechte, welche zu Stahle mit den andern in die Kähne gesprungen waren, fehlten; auch sie waren von Spiegelbergschen Kugeln ereilt, und ihre Leichname trieben bereits weit abwärts die Weser hinunter.

»Schafft mir Pferde für mich und meine Leute!« herrschte Don Cesare den Bürgermeister Uhlenhut an. »Ich will sie gut bezahlen.«

»Wer seid Ihr? Woher kommt Ihr? Wer ist diese tote Frau?« schallte es ihm von allen Seiten entgegen.

»Diener des Kaisers sind wir, verfolgt von des Kaisers Feinden! Pferde, Pferde! Im Namen Kaiserlicher Majestät! jegliche Verzögerung fällt schwer auf Euere Häupter.«

Das barsche, stolze Auftreten des Fremden, seine befehlende Redeweise, untermischt mit unverständlichen, ausländischen Worten, schüchterte die guten Bürger von Holzminden samt ihrem Bürgermeister gewaltig ein. Don Cesare Campolani erhielt, was er verlangte – Pferde für sich und seine Begleiter; ob dem Kaiser Ferdinand dem Ersten jedoch damit von der Stadt Holzminden ein Dienst erwiesen wurde, war mehr als zweifelhaft.

Noch einen letzten Blick warf Cesare auf die Leiche des Weibes, welches er einst geliebt hatte, welches er wieder zu Glück und Glanz führen wollte; dann schwang er sich auf eines der herbeigeschafften Rosse, erkundigte sich nach verschiedenen Wegen und jagte mit seinem Gefolge davon, während vom linken Ufer der Weser immer wilder und nachdringlicher das Rufen nach dem Fährmann ertönte:

»Hol über, hol über, hol über!«

Ratlos, außer sich vor Angst und Verlegenheit, rannte der Bürgermeister Uhlenhut, unter dessen Helm der Zipfel der weißen Nachtmütze verräterisch vorlugte, hin und her.

»Was soll ich tun? Was soll ich tun? O Herr Pastore, so höret doch und gebt mir einen Rat!«

Der Pastor Fichtner hörte weder noch gab er irgendeinen Rat; er sprach ein Gebet an der Leiche Fausta La Tedescas, die jetzt von den Weibern von Holzminden umgeben war.

»Hol über, hol über, hol über!«

»Gebet Kunde, wer ihr seid!« schrieen die kräftigsten Lungen im Haufen der Bürger.

Eine Antwort schallte herüber, war aber den meisten ganz unverständlich, während wenige behaupteten, das Wort »Spiegelberg« verstanden zu haben.

»Was sagen sie, Neckevedder?« fragte der Bürgermeister den Stadtschreiber, welcher das feinste Ohr in der Gemeinde hatte.

»Sie sagen, sie seien Spiegelberger, Leute des Grafen zu Pyrmont.«

»Ach du liebstes Wort Gottes, wenn's wahr war! Jobst Strohsack, frage sie mal, ob's auch auf ihrer Seelen Seligkeit wahr sei.«

Jobst Strohsack war der Nachtwächter der guten Stadt Holzminden, und seine Stimme war ebenso berühmt in der Gemeinde wie das Ohr des Schreibers Neckevedder.

Alle Kraft nahm der Wackere zusammen, als er den Befehlen des Bürgermeisters nachkam.

»Holla da – a – a!« brüllte er, »sin da – a gu'e Frünne? Sin da – a gu'e Frünne« (gute Freunde)?

»Ja, ja, ja«, schallte es immer ungeduldiger zurück. »Hal over, hal over, hal over!«

Zur Bestätigung der freundschaftlichen Gesinnungen knallten wieder einmal ein Paar Büchsen drüben, und die Kugeln pfiffen so bedrohlich dicht über die Köpfe der Bürger von Holzminden fort, daß die Schwachherzigen Reißaus nahmen, die Tapfern aber vor den bleiernen Liebesversicherungen höflichst sich verbeugten.

»Jobst Strohsack, schrei ihnen zu, daß wir kommen wollten«, rief der Bürgermeister den Ratsnachtwächter an, und dieser hielt beide Hände an den Mund und brüllte über den Strom:

»Wi kummet, wi kummet! Lat das verfluchtige Scheiten, et gifft süst noch'n Unglück!« (Wir kommen, wir kommen! laßt das verfluchte Schießen, es gibt sonst noch ein Unglück.)

»Also, in Gottes Namen; einen Tod sind wir Gott schuldig!« rief der alte, tapfere Vater der Stadt und stieg seufzend als der erste in die bereitliegende Fähre. Ihm nach stiegen die Mutigsten seiner Bürger, doch mußte er jeden einzelnen einzeln dazu auffordern.

Als nun das breite, flache Fährboot langsam nach dem linken Flußufer hinüberglitt, wandte sich der größte Teil des Volkes der Gruppe zu, welche sich um die Leiche der unbekannten schönen Frau, die von dem fremden, wilden Ritter ans Land gebracht und an dem Pfarrgarten niedergelegt war, gebildet hatte.

Hier stand immer noch mit gefalteten Händen der Pastor Valentin Fichtner, an dessen Arm sich die zitternde Monika klammerte. Kein lautes Wort wurde an dieser Stelle gesprochen, nur ein leises Flüstern ging von Zeit zu Zeit durch den Kreis, welchen die Männer und Frauen und Kinder von Holzminden um die tote Fausta La Tedesca schlossen.

»Wer ist sie? Wo kam sie her? Wer hat sie getötet? Weshalb ist sie tot?«

Das waren die Fragen, welche jeder an den andern tat, obgleich er wußte, daß niemand die rechte Antwort darauf finden würde.

Tot war sie – darauf konnte man sich nach dem Ausspruch des Meister Balbierers verlassen.

Man hatte den Körper ein wenig aufrecht an die Mauer des Pastorengartens gelehnt und ihm die herrlichen Arme auf die Brust ins Kreuz gelegt. Zugedrückt waren die Augen Faustas durch die zitternde Hand der Totenfrau von Holzminden – sie hatten ja ausgeleuchtet, diese Augen; was sollten sie noch in ihrer glanzlosen Starrheit die Menschen schrecken?

Wenig Blut war aus der tödlichen Wunde unter der linken Brust geflossen, und die unbeschreibliche Schönheit, welche der schnelle Tod durch eine Kugel bei Verblutung nach innen dem Verschiedenen verleiht, lag auf dem Gesichte Faustas. Es war, als spiele noch das Lächeln über die so nah geglaubte Rettung um den feinen Mund; nur die rechte Hand hatte sich krampfhaft geballt, und die Spannung der Muskeln wollte noch immer nicht weichen. Der Pastor Fichtner hatte es aufgegeben, diese drohende kleine rechte Hand mit der linken nach christlichem Gebrauch zusammenzufalten. – –

So lag Fausta La Tedesca am Ufer der Weser inmitten des fremden Volkes, und niemand kannte sie, niemand wußte von ihr zu sagen, bis das Fährschiff zurückkam und der Graf von Pyrmont Philipp von Spiegelberg mit seinen Mannen ans Ufer sprang.

Mit zerzaustem Haar, hohlwangig, gealtert um zehn Jahre, setzte Philipp von Spiegelberg den Fuß auf das lutherische Ufer und sandte seine irrenden Blicke suchend umher. Das war nicht mehr der Jüngling, welcher vor einem Jahre im Kreise eben dieser Bürger von Holzminden im jugendlichen Übermut gescherzt und gelacht hatte!

»Dort, dort, gnädiger Herr, da lieget sie!« rief und deutete der Bürgermeister Uhlenhut, welcher den Grafen und seine Leute vom katholischen Ufer herübergeholt hatte. Mit einem wilden Schrei stürzte der Graf von Pyrmont gegen die Leiche Faustas.

Dicht auf dem Fuße folgten ihm Klaus Eckenbrecher und die andern Knechte; Klaus Eckenbrecher, der nur auch sein Feuerrohr abgeschossen hatte.

Alle trugen sie die schußbereiten Feuerröhre und Lunten oder die blanken Schwerter in den Händen. Vom Pulver geschwärzt waren ihre Gesichter und Hände; auch unter den Spiegelbergern waren einige, die aus Streifwunden bluteten; und Tote und Schwerverwundete hatten sie in Stahle zurückgelassen.

»Fausta! Fausta!« rief Philipp von Spiegelberg, neben der Leiche der Magierin niedersinkend. Er hob das bleiche Haupt der Toten schluchzend empor; er ließ es wieder sinken und zerzauste sich das Haar.

»Fausta! O Fausta! Tot, tot, tot!«

In Stahle krähete zum ersten Male der Hahn.

»Sie ist tot, tot! In Staub und Asche ist die Schönste zerfallen, wie es vorausgesagt war! Wehe, wehe mir und ihr!«

Es kräheten jetzt auch die Hähne zu Holzminden. Es wollte Morgen werden.

»O Fausta, Fausta, höre mich! O Fausta, solches hab ich nicht gewollt. Erwache, Fausta ... in Staub und Asche sollte dein schöner Leib zerfallen? Nein, nein – erwache, o erwache, Fausta La Tedesca!«

Der greise Prediger von Holzminden beugte sich kopfschüttelnd nieder und legte dem jungen Grafen die Hand auf die Schulter.

»Fasset Euch, erhebet Euch, mein gnädiger Herre! Ich weiß nicht, was Euch diese Tote ist; aber Gottes Wille ist geschehen, als sie starb, und Gottes Wille und Ratschluß ist immer das beste. Erhebet Euch und lasset uns diesen irdischen Leib in mein Haus tragen – höret, und nehmet Vernunft an, Herr Grafe zu Pyrmont.«

»Wo ist der Verruchte? Der falsche Teufel?« schrie Philipp plötzlich sich aufrichtend. »Wo ist der Mörder Cäsar Campolani? Er – er hat sie getötet, nicht wir! Hie Spiegelberg! Spiegelberg! ... zu Roß, zu Roß – ihm nach, dem Verfluchten! Wohin er geflohen sein mag – ihm nach bis ans Ende der Welt, bis in die Hölle, die seine Heimat ist!«

Nach und nach hatte man vom linken Ufer auch die Pferde der Mannen von Pyrmont nach Holzminden übergeschifft. Jetzt galt kein gutes Wort, kein Zureden: Philipp von Spiegelberg warf sich von neuem auf sein schweißtriefendes, keuchendes, abgejagtes Roß, um dem falschen Abgesandten des Königs von Frankreich nachzusetzen. Seine Reiter mußten ihm folgen; der einzige Glückliche im Kreise um die Leiche Faustas – Klaus Eckenbrecher – drückte einen Kuß im Fluge auf den Mund der Monika. – – – – Zu Roß, zu Roß!

Vorwärts stürmten die Spiegelberger auf der ihnen angegebenen Straße.

Die erschossene Fausta trug man durch den Garten in das Pfarrhaus und legte sie auf einem schnell bereiteten weißen Lager nieder.

Es war graue Morgendämmerung.


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