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Neunzehntes Kapitel

Wie Simone Spada und die schöne Fausta La Tedesca begraben wurden, und was mit dem Bruder Festus geschah.

Es war, als blicke man in das öde, leere Nichts, welches herrschte, ehe Gott der Allmächtige das Wort sprach, das Licht ward und die Dinge auftauchten aus der großen Wüste. Undurchdringlich lag der Nebel über dem Weserflusse und den Bergen. Man sah nicht drei Schritte weit seinen Weg, man vernahm keinen Laut. Es war, als ob die ganze Natur teilnähme an dem, was sich vorbereitete in dem Dorfe Stahle und der Stadt Holzminden.

Zwei Tage waren vergangen seit dem großen Schrecken, welcher das Dörflein und das Städtlein überfallen hatte. Zwei Särge waren gezimmert worden: der eine stand am linken Ufer der Weser in dem katholischen Pfarrhause, der andere stand am rechten Ufer in dem lutherischen Pastorenhause.

Still lagen die bleichen Schläfer in den schwarzen Schreinen, zwischen denen der Strom seine Fluten rollte; aber noch lehnten die Sargdeckel an den Wänden, noch blickte in das Gesicht Faustas Philipp von Spiegelberg, der Graf zu Pyrmont.

Vergeblich war des letztern wilder Ritt hinter dem Ritter Cesare Campolani her gewesen. Glücklich hatte dieser sich zum Wrisberger gerettet, und manche gute Büchse und Hellebarde, geworben für den Dienst des Königs von Frankreich, lagerte sich jetzt zwischen ihn und seinen grimmigen Feind. Sein gutes Roß hatte der Spiegelberger zu Tode gejagt auf dieser wilden Jagd; dann war er zerschlagen, todmüde und krank zurückgekehrt nach Holzminden zur Leiche der falschen, schönen, geliebten Fausta. Den Sarg hatte er ihr zimmern lassen, und nun sollte sie begraben werden an diesem Nebelmorgen. In dem Pfarrhause zu Holzminden saß der Graf und mühete sich vergebens ab zu fassen, wie das alles so gekommen sei.

Wohl war der Bruder Festus über den Fluß gekommen, um dem Grafen den letzten Gruß zu bringen von Simone dem Arzte aus Bologna. Wohl hatte der Bruder Festus dem Grafen die Geschichte des toten Freundes und der toten Fausta erzählt nach dem letzten Wunsche Simone Spadas. Aber der Graf hatte nur genickt, als sei das alles ganz in der Ordnung, sein Auge hatte die kleine Wunde unter der linken Brust der Toten nicht verlassen. Der Zauber, welchen die lebendige Fausta auf ihn ausgeübt hatte, waltete mit verdoppelter Macht jetzt, wo das Herz der Zauberin ausgeschlagen hatte. Vergessen war das falsche Spiel, welches sie mit ihm getrieben hatte – das war alles nur ein trügerischer Traum gewesen –, Fluch, dreimal Fluch über alle, welche ihn verlockt, sie in den Tod zu jagen, sie, die Schöne, die Heißgeliebte.

Wehe, wehe, rief Philipp von Spiegelberg über sich selbst, und der Abt von Corvey, der mit einigen seiner Benediktinermönche auf die Nachricht von dem Geschehenen gen Holzminden gekommen war, konnte nur dem lutherischen Pastor Valentin Fichtner beistimmen, welcher da meinte: das Rätlichste werde sein, den Leib der schönen Dirne sobald als möglich zur Erde zu bestatten, um die »Verzauberung« zu lösen. Daß eine solche waltete, davon war jedermann überzeugt, Pfaffen und Laien, Katholiken und Lutheraner. Was bannte den jungen Grafen so an den Sarg des erschossenen Weibes? Falsches und Wahres schlang sich zu seltsam-schauerlichen Gerüchten zusammen, welche für lange kommende Jahre Stoff zu Wintermärchen und unheimlichen Sagen gaben. Die Spiegelbergschen Knechte vermehrten durch ihre Erzählungen, deren Grundton sich je nach der erzählenden Persönlichkeit änderte, diese unbestimmten Schauer, welche die »fremde Leiche« umgaben.

Und dann drüben am linken Ufer der andere Tote!? Bald wußte man zu Holzminden und weit im Lande umher, daß auch er um der Fausta wegen erschossen worden sei. Seit Anno 1542, wo die Meißner und die Hessen ihr Lager bei Holzminden aufgeschlagen hatten, war das Städtlein durch kein Ereignis so aufgeregt worden wie durch das jetzige. Seit der schrecklichen Nacht, welche Fausta leblos an das rechte Ufer der Weser geworfen hatte, war das Städtlein wie in einem Traum befangen gewesen. Da lungerten die Spiegelbergschen Reiter durch die Gassen, da schritten die Mönche von Corvey, die sonst sich nicht gern auf dem protestantischen Boden zeigten, um und in das Haus des Pastors Fichtner; die bekanntesten Gegenstände blickten die guten Bürger und Bürgerinnen ganz fremdartig an, so waren sie in ihrem träge dahinschleichenden Leben aufgerüttelt und aufgeschüttelt worden. –

Endlich war der Morgen gekommen, an welchem der Leib der »Fremden« begraben werden sollte an der Seite dessen, der drüben zu Stahle im schwarzen Totenschrein lag. Auf katholischem Boden mußten ja die katholischen Leichen ruhen, und die zwei Gruben – waren bei Laternenschein in der vergangenen Nacht gegraben auf dem kleinen Dorfkirchhofe.

Es war alles bereit – die Nacht war vergangen, aber die Nebel wollten nicht weichen.

Im Pfarrhause zu Stahle zur Rechten des von dem armen, ungeschickten Dorftischler rohgezimmerten Sarges Simones saß der uralte, blinde Chrysostomus, ohne zu wissen, was um ihn her vorging; zur Linken kniete mit verhülltem Gesicht der Bruder Festus. Die Fenster und die Türe des Gemaches standen weit offen, und stumm drängte sich davor die Dorfbevölkerung, scheue Blicke auf die beiden geistlichen Herren und den Toten werfend. Zu Füßen des Sarges kauerte der Knabe Paul und rang schluchzend die Hände:

»O Madonna, Madonna, nimm meinen guten Herrn auf in dein ewiges, seliges Reich! O Madonna, o Madonna, wer soll nun mich Verlassenen heimleiten in die Heimat?«

Wie schön war Simone Spada in seiner letzten Ruhe!

Auch er trug seine Todeswunden an der Brust, und das edle Gesicht war verschont geblieben von den mörderischen Geschossen, welche die Fausta auf ihn gelenkt hatte. Die schwarzen Locken umwallten zierlich sich kräuselnd die breite, hohe Stirn und fielen bis auf die Schultern herab. Sein schwarzes Sammetgewand trug der Tote, und das Schwert von prächtiger Mailänder Arbeit an der Seite. Die Hände hatte ihm der Bruder Festus auf der Brust zusammengelegt, und sie hatten sich nicht dagegen gesträubt. So lag Simone Spada aus Bologna zum letzten Schlaf ausgestreckt in männlicher Totenschönheit da! –

Dicht neben dem Kirchlein waren die beiden Gräber, in denen Simone und Fausta ruhen sollten, gegraben, und in dem kleinen Turme des Kirchleins standen zwei Kinder neben dem herabhängenden Glockenstrang und warteten, um im rechten Augenblick das Zeichen zu geben, welches die Fausta La Tedesca zu dem toten Simone herüberrufen sollte.

Jetzt erhob sich der Knabe Paul und legte leise dem Vikarius Festus die Hand auf die Schulter, und der junge Mönch erhob zusammenfahrend das Gesicht und schaute mit irrem Blicke umher.

»Es ist Zeit!« flüsterte Paul mit tränenvoller Stimme. Der Bruder Festus fuhr mit der Hand über die Stirn, als besinne er sich, dann nickte er.

Dasselbe Wort – wurde am rechten Ufer zu Herrn Philipp von Spiegelberg gesprochen, und auch dieser hob das Gesicht aus den Händen und nickte.

Auf beiden Seiten des Flusses traten die Meister Schreiner mit ihrem Werkzeug heran, um die Sargdeckel über die Toten zu legen, und Seufzen und Klagen begleitete ihr trauriges Werk. Währenddem hielt in der noch blätterlosen Laube des Pfarrgartens Klaus Eckenbrecher, der junge Reiter, die zitternde Monika umfangen, so daß der dichte Nebelschleier, welcher hüben und drüben so viel Elend, Sünde und Jammer bedeckte, wenigstens ein Glück den Augen der Welt verbarg. Zum erstenmal in diesen bewegten, wunderlichen Tagen durften die beiden Kinder in der Einsamkeit und Stille sich ungestört zusammenfinden; niemand achtete auf sie, niemand hatte Zeit, sich um sie zu kümmern; – wie konnte der Vater Fichtner weichen von der Seite des Grafen von Pyrmont und des Abtes von Corvey?

In perlenden Tropfen zog sich der Nebel an dem Gezweig herunter, sammelte sich an den Spitzen der schwellenden Blattknospen und fiel mit leisem Klingen zur Erde nieder; – perlende Tröpflein fielen aus den Augen der seligen Monika, die dem Geliebten so viel zu sagen, zu klagen hatte, und doch kaum einzelne Worte hervorbringen konnte.

»Treu! Treu! Treu!« Wie der Tautropfen sich aus dem grauen Dunst, der die Welt verhüllte, zusammenzog, so zog sich dieses Wort aus dem Nebel zusammen, welcher so lange ihr armes, banges Herz bedeckt hatte.

»Ja treu, treu, treu!« jubelte Klaus Eckenbrecher. »O liebstes Lieb, wie konntest du daran zweifeln?«

Hoch schlug dem Knaben das Herz, als er der Maid den roten Mund küßte; alle Kraft mußte er zusammennehmen, auf daß er sein Glück nicht laut hinausjubelte in die mißgünstige, neidische Welt.

»O Monika, Monika, wie habe ich mich gesehnt! Und nun fass ich und halt ich dich –«

»Und alles ist gut! Gelobt sei Gott der Herr, welcher dich behütet hat unter den fremden Leuten, in dem fremden Lande. Und wenn du nun auch wieder von dannen ziehest, so weiß ich doch nun für gewiß, daß du noch lebest und immer mich noch lieb hast wie sonst.«

»Ja treu, treu!« flüsterte Klaus. »Und wenn ich auch wieder reiten muß, so stehet dieses Mal über unserm Abschied nicht solch ein böser Stern wie vor einem Jahr – gedenkst du noch daran?«

»Jaja; ach, wie hab ich mich gehärmt vor einem Jahre, als der schlimme Stern in der Höhe leuchtete und du fortschifftest mit dem Grafen in der dunkeln Nacht.«

»Aber der Stern hat uns nicht gegolten! Uns deutete er kein Unheil vor, nur große Sehnsucht und übermächtig Verlangen hat er uns gebracht, dieses ganze Jahr durch. Nun ist alles gut; ich habe dich und halte dich – treu, treu, treu in alle Ewigkeit!«

Die Monika legte das Köpflein an die Brust des Geliebten, und dieser zog sie fester an sich; aber im selbigen Augenblicke schaueten beide auf und fuhren dann erschrocken auseinander. Vom Hause her erklangen rasch aufeinanderfolgende, dumpfe Hammerschläge.

»Horch, horch!«

»Sie schlagen den Sarg der Zauberin zu, die meinen Herrn verhext hat.«

»O Klaus – horch, wie schauerig! Laß uns gehen, ich fürchte mich – o dieser Nebel – wird er nicht immer schwärzer?«

»Bleibe, Monika – fürchte dich nicht; was haben wir mit der Toten zu tun?«

»Nein, nein, – laß – laß mich aus deinen Armen – horch, was ist das – schaue da, da – horch, horch!«

Schatten glitten gegen das Haus zu durch den grauen Duft; eine Trompete klang rufend in einiger Entfernung.

»Das ist das Spiegelbergsche Horn – Peter Frost bläst's – das ruft uns zum Begräbnis – zum Scheiden, Monika!«

Mit einem Schrei faßte die Maid den Herzliebsten wieder fest in die Arme.

»Schon, schon?! O Klaus, lieber Klaus!«

Wieder begegneten sich die Lippen der armen Kinder im heißen Kusse.

»Es muß sein!« sagte der Reiter mit kläglicher Stimme. »Horch, schon wieder ruft das Horn, und da wird's lebendig am Strom – sie werden mit dem Sarg der Hexe aus dem Haus fürgehen,«

»Bleibe hier, bleibe bei uns, Klaus!« schluchzte Monika. »Der Vater wird gut sein, er wird uns nicht mehr trennen wollen –«

»Ich hab nicht Haus, nicht Hof, dich heimzuführen; – o tröst dich, mein Lieb, und weine nicht und brich mir nicht das Herz – es kommt doch noch alles zu einem guten End.«

»Ach, Klaus –«

Fest umschlangen sich noch einmal die beiden und küßten sich lang und heiß, dann riß der junge Reiter sich los aus den Armen der Braut, von der Mauer des Pfarrgartens sprang er herab und eilte nach der Fähre zu.

»Ach Klaus, Klaus!« rief ihm die Monika nach; aber schon war er verschwunden im ziehenden Dunst.

Auf beiden Ufern der Weser hatten die Meister Schreiner ihr traurig Werk vollendet; die Träger warteten an der Tür.

Mit frühen Blumen waren beide Särge geschmückt, mit Märzveilchen, Schneeglöckchen, Maßliebchen und Tannenzweigen. Niemand hatte der Hand der Monika zu Holzminden gewehrt, als sie die Gewinde um den Schrein der großen Sünderin Fausta legte. – –

Wie der Nebel wogte! Es war, als verdichte er sich immer mehr; die Brust preßte er zusammen, das Atmen erschwerte er; es war, als werde die Sonne niemals ihn besiegen können; es war, als müsse er von nun an bis in alle Ewigkeit die Erde bedecken.

Im Pfarrhause zu Holzminden war der Abt von Corvey zu dem Grafen von Pyrmont getreten, welcher noch immer neben dem geschlossenen Sarge Faustas saß; er hatte sich zu dem Armen niedergebeugt:

»Erhebet Euch, Philippe, es ist Zeit, den Leib der Erde zu geben; die Träger und die Schiffe harren – man ruft uns – horcht!«

Leise klagend klang es aus der Ferne über den Strom – kaum vernehmlich zu Holzminden war die Stimme des winzigen Glöckleins von Stahle, und doch war Gottes Stimme darin; Gottes Stimme rief den Leib der großen Sünderin über den Strom; – über dem grauen Nebelschleier, welcher die Erde deckte, war Gericht gehalten worden über Simone Spada und Fausta La Tedesca, das Kind des Benediktus Meyenberger! ....

Sechs junge Bürger von Holzminden trugen den Sarg der Zauberin herab gegen den Fluß, wo das schwarz behängte Fährschiff harrte. Zwischen dem Pastor Fichtner und dem Abt von Corvey folgte ihm Herr Philipp von Spiegelberg, ihnen nach traten die Mönche des Benediktinerstifts, und diesen folgten in Wehr und Waffen die Spiegelbergschen Knechte, deren Rosse bereits früher schon an das linke Ufer geschafft waren. Schattenhaft glitt die Reihe der Gestalten dem Flusse zu durch den Nebel; in Masse zog das Volk der Stadt, Männer und Weiber, Jünglinge und Jungfrauen, Greise und Kinder, mit und stürzte sich, als der Sarg in dem Fährschiff niedergesetzt war, ebenfalls in die Boote, um ihm über die Weser zu folgen.

Fort und fort wimmerte von Stahle das Totenglöckchen, während von langsamen Ruderschlägen getrieben die Kähne in dem grauen Duft über die Wasser dahinglitten. Die Mönche von Corvey sangen das Miserere – die Sterbelitanei; in den begleitenden Kähnen schluchzten die Weiber, die Männer sahen grimmig in Furcht und Schauer.

So schaukelten die Fluten der Weser die große Sünderin zum letzten Male auf ihrem Rücken, und immer, immerzu und immer, immer näher klang das Glöcklein von Stahle, immer dringender rief es die Fausta La Tedesca! –

Auf dem armen, kleinen Kirchhofe des katholischen Dorfes war der Sarg des Arztes Simone Spada aus Bologna bereits neben den offenen Gräbern niedergesetzt und harrte. Neben ihm stand der Bruder Festus – eine unheimliche Gestalt in dem zweifelhaften Halblichte. Der alte Chrysostomus stützte sich auf den Arm seines Vikarius und lächelte kindisch vor sich hin, die armen Bauern mit ihren Weibern und Kindern bildeten einen Halbkreis um die Gruppe.

Jetzt ging ein Flüstern umher:

»Sie kommen, sie kommen!«

In der Tiefe gegen den Fluß hin tauchte es im Nebelgrau auf, heran gegen den Kirchhof schwebte es –

»Sie kommen, sie kommen!«

Näher erklang der schwermütige Gesang – jetzt hatte der schattenhafte Zug die Umzäunung des Kirchhofes erreicht, man vernahm die Fußtritte der Nahenden – über die Gräber wälzte es sich heran – der Bruder Festus trat einige Schritte vor – zur Erde setzten die Träger den Sarg der Fausta La Tedesca neben der für sie bestimmten Gruft; der Gesang der Benediktiner brach ab. Aus dem Nebel traten gegen die Geistlichen des Dorfes der Abt, der Graf, der Pastor Fichtner und die Mönche heran, die Spiegelbergschen Reisigen und das Volk von Holzminden schlossen den Kreis, und dicht an den Reiter Klaus Eckenbrecher wurde zufälligerweise ein Jungfräulein gedrängt, um dessen Hüfte der Klaus sogleich den Arm schlang, obgleich sich das Mägdlein soviel, als tunlich war, dagegen sträubte.

»Liebe, liebe Monika!« flüsterte der junge Reitersmann. »Hier und überall halt ich dich in meinem Herzen, und in meinem Arm halt ich dich, wo ich dich zu fassen krieg – o daß wir nun so bald wieder scheiden müssen!«

Ein Seufzer antwortete dem Seufzer, und nicht mehr sträubte sich die Monika, dicht schmiegte sie sich an den geliebten Knaben. –

Unter dem Gesang der Mönche von Corvey und des katholischen Volkes des linken Weserufers versank nun zuerst der Sarg der großen Sünderin Fausta La Tedesca in die Erde, und der Graf Philipp von Pyrmont schaute ihm glanzlosen Auges, gebrochen an Leib und Seele, nach. Dann knarrten die Seile um den schwarzen Schrein Simone Spadas, und auch er glitt in die offene Grube hinunter. Gespensterhaft bewegten sich die arbeitenden Männer in dem seltsamen, schauerlichen Helldunkel um die beiden Gräber, und der traurige Ton, den die herabgeworfenen Erdschollen auf den Särgen hervorbrachten, wurde noch unheimlicher in diesem Lichte, welches nicht Tag, nicht Nacht war. Als aber die beiden Hügel sich erhoben, ging eine Veränderung in der Atmosphäre vor. Von den Bergen im Westen her ging ein Wehen aus, in unruhige Bewegung gerieten die Nebelmassen, sie wogten hin und her, ballten sich hier zusammen, lichteten sich dort; es war, als ob eine unsichtbare Hand an dem Vorhang, welcher die Erde deckte, zupfe und ihn lüften wolle.

Hochaufgerichtet stand der Bruder Festus neben dem Grabhügel des Freundes: er sollte dem Simone und der Fausta die Grabrede halten.

Seine Augen glüheten im Wahnsinn, als er begann:

»Höret die Stimme aus der Erde, die da spricht: ›Liebe ist stark wie der Tod. Ihre Glut ist feuerig und eine Flamme des Herrn. Viele Wasser mögen die Liebe nicht auslöschen, und die Ströme mögen sie nicht ersäufen, und wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte, so gälte es doch alles nichts!‹ Höret die Stimme des toten Simone aus der Erden – o wie schlecht habet ihr eures Amtes gewartet, ihr Totengräber! Helft, helft, ihr Männer, daß wir die Stimme ersticken – her die Schaufeln! Erde, Erde auf die Stimme, daß sie begraben werde in der Tiefe!«

Ein Gemurmel, unterdrückte Rufe ob dieser Worte des jungen Vikarius gingen durch das Volk – einige traten vor, andere wichen zurück. Alle außer dem Pfarrer Chrysostomus und dem Knaben Paul erschraken über diese wilden Worte; der Knabe Paul war aber zu tief in seinen Schmerz um den Tod seines guten Herrn versunken, Chrysostomus war zu alt, um über seines Vikars Grabrede zu staunen und sich zu entsetzen.

»Wehe euch und mir – helft, helft, daß wir die Stimme ersticken!« rief der Bruder Festus. Einen Spaten griff er auf, und mit fieberhafter Hast fing er von neuem an, Erde zu werfen auf den Grabhügel Simone Spadas. Die Hände zusammenschlagend näherte sich ihm der Abt von Corvey, einige der Mönche versuchten es, dem Wahnsinnigen den Spaten zu entreißen; aber der Bruder Festus hob ihn hoch über das Haupt, als wollte er ihn wie eine Waffe gebrauchen; – immer stärker ward das Wehen von Westen her, welches die Nebel vor sich her gegen den Fluß trieb.

»Fliehet, fliehet!« rief mit geller Stimme der Vikarius. »Vergeblich ist's, die Stimme ersticken zu wollen – vergeblich ist's, Totengebein, Gestein und Staub darauf zu türmen berghoch! Horcht, wie es wimmert!«

Im grenzenlosen Schrecken und Schauder schrie jetzt das Volk auf, und in demselben Augenblick fuhr ein stärkerer Windstoß in die Nebelmassen, die noch auf dem Kirchhofe zu Stahle lagen – – urplötzlich traten die Gräber Faustas und Simones in das hellste Tageslicht, während der Dunst gegen den Fluß hin wie eine weiße Wand sich auftürmte.

Wie geblendet schaute jedes Auge im Kreise umher – hier drängten sich mit ausgestreckten Armen die Mönche von Corvey mit ihrem Abt gegen den Vikarius von Stahle – dort hielten sich neben ihrem Herrn und dem lutherischen Pastor Valentin Fichtner und dem Bürgermeister Uhlenhut die Mannen von Spiegelberg in ihren kriegerischen Rüstungen, einen weiten Kreis bildete das Volk von beiden Ufern der Weser um die Gräber – grade vor dem Bruder Festus, kaum sechs Schritte von ihm entfernt, tauchten Klaus Eckenbrecher und die Monika aus dem Grau des Nebels auf.

Noch standen die beiden aneinander gelehnt, mit den Armen sich umschlungen haltend; vor dem Getümmel der letzten Augenblicke hatte sich die junge Maid noch fester an den Knaben gedrängt. Weit und starr heftete sich das Auge des Mönchs Festus auf die Liebenden – er wollte vorstürzen – er sank halb in die Knie:

»Monika! Monika!«

Alle Blicke hefteten sich auf den Mönch und das junge Paar; der Pastor Fichtner trat aus dem Volk hervor gegen die Gruppe.

»Was ist das? ... Her zu mir, Monika! Um Gottes willen, Mönch, Mönch – Festus – was ist –«

»Monika! Monika!«

Klaus Eckenbrecher schob die Monika ein wenig hinter sich zurück und legte die Hand an das Schwert; mit offenem Munde sah er dabei den Vikarius an. Dieser ließ den Spaten sinken und kroch zusammengeduckt mit vorgestreckten Armen gegen das junge Mädchen heran, daß dieses entsetzt zurückwich.

»Unglücklicher, was willst du von meinem Kinde?« schrie der Pastor Fichtner. »Hebe dich weg, Wahnsinniger!«

»Flammen schlagen empor aus der Erde! Wehe, wehe mir – rette mich, Jungfrau Maria, Mutter Gottes – rette mich, Monika!«

Von neuem näherte sich der Mönch der jungen Maid.

»Unseliger, was beginnst du, was willst du?« rief der lutherische Pfarrer. »Gerechter Gott, ihr katholischen Leute, ihr Herren von Corvey, höret ihr das? Her zu mir, Monika – Klaus Eckenbrecher, schütze mir das Kind, schütze deine Braut! Deine Braut nun soll sie sein! Fort, fort von ihr, Mönch!«

Mit einem Jubelschrei faßte Klaus der Reiter das zitternde Kind mit dem linken Arm und ballte die rechte Hand gegen den Bruder Festus.

»Zurücke, zurücke, Narr! Was schaust du mich an, Pfaff? Bei Luthers Namen, die Hand, welche du gegen mein Mädchen ausstreckst, hau ich dir vom Leibe!«

»Recht, recht, 's ist recht, Klaus!« rief das lutherische Volk vom rechten Ufer der Weser.

»Wehe, wehe, es ist unserm Vikarius angetan! Schütze ihn Gott, schütze ihn Maria!« rief das katholische Volk vom linken Ufer der Weser.

»Haltet ihn, fesselt ihn!« rief der Abt von Corvey. »Der böse Feind spricht aus ihm. In nomine Jesu – werfet ihn in Banden! Laßt ihn nicht los, Bruder Antonius!«

Der Bruder Antonius hatte sich gegen den Wahnsinnigen geschlichen, jetzt packte er seine Arme und zog sie auf dem Rücken zusammen; die andern Mönche faßten ihn an den Schultern und der härenen Kutte.

»Schande! Schande!« rief der alte Pastor von Holzminden. »Klaus Eckenbrecher, aus freiem Herzen geb ich dir mein Kind, daß solche Schmach von seinem unschuldigen Haupt genommen werde, ich –«

Er wurde unterbrochen durch einen Aufschrei alles versammelten Volkes – mit einer wilden Bewegung hatte der wahnsinnige Bruder Festus die ihn haltenden Mönche von sich geschleudert, noch einmal stand er frei und hoch aufgerichtet da:

»Wehe mir und wehe euch – Flammen ringsum – schaut ihr die Fratzen der Hölle, die aus dem dampfenden Boden steigen? Wo ist Gott, daß er uns helfe in der Not, die seine Schuld ist? Wehe euch und mir – kein Gott im Himmel und auf Erden – dreimal wehe, wehe, wehe!«

Er reckte die Hände zum Himmel empor und taumelte; plötzlich raffte er sich auf und sprang über die Gräber und schwang sich über die niedrige Mauer des Kirchhofes. Entsetzt, zitternd, vom tiefsten Grauen geschüttelt, blickte ihm das Volk nach, ohne daß sich ein Fuß regte, um dem Unseligen, dem Verlorenen in den Weg zu treten, ohne daß sich eine Hand regte, ihn aufzuhalten.

Noch lag die weiße Nebelwand gegen den Fluß zu hoch aufgetürmt unerschüttert da, während plötzlich der Kirchhof mit dem glänzendsten Sonnenschein übergossen wurde, und gegen die westliche Mauer des Kirchhofes drängte nun alles Volk, außer dem blinden, hundertjährigen Chrysostomus, welcher auf seinen Stab gestützt allein neben den Gräbern Faustas und Simones zurückblieb. Drunten lief gegen die Nebelwand mit erhobenen Armen der Bruder Festus, eben noch im hellen Sonnenlicht, jetzt im leichten ziehenden Dunst – verschlungen hatte ihn das Nichts, die Leere – von neuem brach die Menge in einen wilden Schrei aus.

»Ihm nach – schnell, um aller Heiligen willen!« rief der Abt von Corvey, die Hände ringend. »Der Fluß, der Fluß –«

»Ihm nach – ihm nach!« wiederholte die Menge. Über die Mauer des Kirchhofes sprangen die Schnellsten und stürzten hinter dem Verschwundenen her, Reisige und Mönche, Bauern und Bürger, Weiber und Kinder eilten den Hügel hinunter gegen den verhüllten Fluß. Auf dem Kirchhof blieben mit dem alten Chrysostomus nur der Abt von Corvey, der Graf von Pyrmont, der Pastor Fichtner, Klaus Eckenbrecher und die Monika zurück und horchten den rufenden Stimmen drunten im Nebel und Dunst.

Vergeblich war das Rufen und Suchen des Volkes, der Reiter und der Mönche; die Weser, welche geheimnisvoll durch die seltsame Dämmerung rauschte und murmelte, gab keine Kunde über das Verbleiben des verlorenen Bruders Festus. Wer konnte sagen, ob sie ihn aufgenommen hatte in ihren kühlen Schoß? Wer konnte sagen, ob der Kampf des Bruders Festus zu Ende sei, ob die wilden Flammen, die sein Herz verzehrt hatten, gelöscht seien?

Ehe der Nebel vollständig gewichen war, mußte alles Suchen nach dem Bruder Festus – nach dem Leibe des Bruders Festus vergeblich sein!

Auf dem Kirchhofe standen ratlos die Zurückgebliebenen um den blinden Chrysostomus. Vergeblich waren die Fragen, die der Abt von Corvey über den Bruder Festus an den Alten richtete; kindisch lächelte dieser und gab die seltsamsten Antworten auf alle Erkundigungen des geistlichen Herrn. Seufzend gab dieser seine Versuche auf, das traurige Rätsel auf diese Weise zu lösen.

In tiefes Sinnen versunken stand Ehrn Valentin Fichtner und hielt sein weinendes Kind an der Hand. Ihm war das Geschehene und das Warum jetzt klar, klar in der Seele; aber Bericht gab er dem Abte auch nicht, sondern zog sein Barett ab und betete leise und inbrünstig. Unendlichen Jubel verschloß Klaus Eckenbrecher in seiner Brust. Obgleich ihm vielleicht am allerwenigsten das Geschick, welches den Bruder Festus betroffen hatte, klar war, so wünschte er ihm doch instinktmäßig alles Böse, und wenig würde er geklagt haben, wenn man die Leiche des unglücklichen Vikarius aus dem Nebel drunten hervorgetragen hätte. Gerührt war er aber auch, und im höchsten Grade: Seine Braut solle er schützen, hatte ihm der Vater Fichtner zugerufen – gewonnen war des Vaters Wort, gewonnen – gleichviel auf welche Weise – Triumph, Triumph!

Seitwärts von der Gruppe stand neben dem Grabhügel, welcher den Leib Faustas deckte, Herr Philipp von Spiegelberg, auf sein Schwert gestützt. Was ging ihn der Bruder Festus und die Monika an? Was in ihm von Leben und Denken war, haftete alles an diesem Grabe.

Allmählich kehrten vereinzelt oder haufenweise die Reiter, die Mönche und das übrige Volk von dem vergeblichen Forschen nach dem verlorenen Bruder Festus zurück. Alle stiegen sie wieder den Hügel hinauf und sammelten sich auf dem Kirchhofe. Niemand brachte die geringste Kunde von dem Mönche, doch waren wenige, die noch festhingen an der Meinung, der Bruder Festus lebe noch und irre stromabwärts oder -aufwärts in den Wäldern und Feldern umher. Die meisten hielten fest daran, daß der Fluß die Leiche des Vikarius von Stahle gen Mitternacht hinabtrage.

Nach einer Stunde verflüchtigte sich der Nebel vollständig, glänzend trat der Fluß ins Licht, und das ganze Wesertal lag im funkelnden Sonnenschein da. Von neuem forschte man nach dem verschwundenen Festus; den Fluß durchsuchte man mit Stangen und Haken, weit ins Land hinein gingen Boten stromabwärts, stromaufwärts. Alles vergeblich!

Verloren war der Bruder Festus – verschlungen hatte ihn der Nebel, das Nichts, und nicht schaffte der helle, klare Tag den Verlorenen zurück.

Das katholische Volk kniete auf dem Kirchhof zu Stahle und betete für die arme Seele des Bruders Festus; dem Beispiel des katholischen Volkes folgten die Lutheraner vom rechten Ufer der Weser; auch sie beteten für die arme Seele des unseligen Vikarius von Stahle.

Eine Stunde später war der kleine Dorfkirchhof, welcher so Schreckliches an diesem Tage gesehen hatte, leer. Der Abt von Corvey ließ dem Dorfe und dem blinden Chrysostomus den Mönch Antonius zurück und zog auf seinem Maultier, gefolgt von seinen Benediktinern, seiner Abtei zu. Das Volk von Holzminden war zu seinen Häusern zurückgekehrt, wandelte aber den ganzen Tag umher, ohne die gewohnte Arbeit aufzunehmen. Der Pastor Valentin Fichtner schlug in seiner Studierstube die Bibel auf, stützte das greise Haupt auf die Hand, und manch ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust, wie er die Blätter des Folianten umwandte.

Oft genug schweiften seine Gedanken von dem heiligen Texte ab.

»So mag Gott diese Liebe zum besten kehren! Ei, ei, wie hat mich der große Schreck überrumpelt!« murmelte er mehr als einmal, sorgenvoll das Haupt schüttelnd.

In ihrem Kämmerlein weinte sich die Monika in Glück und Wonne und Dank recht ordentlich aus und folgte tief in Gedanken dem Liebsten, der sie nun offen und ehrlich lieben konnte vor der Welt und der nun bereits wieder mit dem Grafen zu Pyrmont und den Genossen durch die Wälder ritt gegen das Schloß am heiligen Born.

O wie gern hätte der Eckenbrecher seiner Seligkeit durch ein helles Aufjauchzen Luft gemacht, wenn es nur die Trauer seines Herrn erlaubt hätte. Gesenkten Hauptes ritt Herr Philipp von Spiegelberg seinen Mannen voran; ein trauriger Heimzug war ihm beschert.

Zu Falkenhagen fanden die Spiegelberger den Luigi, den Knecht Don Cesare Campolanis. Eine Kugel hatte ihm bei der Verfolgung der Fausta und des Ritters die Hüfte zerschmettert. Der Graf versprach, für den Armen sorgen zu wollen, und gab ihm alles Geld, welches er bei sich trug. Klaus Eckenbrecher in seinem Glück gab ihm ebenfalls den Silbergulden, welcher sein ganzes Besitztum ausmachte.

Zu Hause ankommend, wurde der Graf zu Pyrmont von neuen Boten Herzogs Erich des Jüngern bewillkommnet, welche ihm ein neues Schreiben ihres Herrn überreichten. Dringender rief dieses Schreiben Herrn Philipp von Spiegelberg zu den Waffen für Philipp den Zweiten von Hispanien; von Siegesruhm, von Ehre sprach es.

»Den Tod will ich mir erreiten«, seufzte der Graf zu Pyrmont, »den Tod und die Rache will ich mir erreiten!«


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