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Dreizehntes Kapitel

handelt von Politik, berichtet, wer Christof von Wrisberg war und was Don Cesare Campolani suchte auf dem Schloß Pyrmont.

Jetzt legt der Erzähler die Gänsefeder der Romantik nieder für einen Augenblick und greift verstohlen nach der Schwanenfeder der Historie. Ein beängstigendes Gefühl überfällt ihn, wie er die Spitze der letztern auf dem Daumennagel prüft; aber da er schon mancherlei in seinem Leben gewagt hat, so faßt er sich auch jetzt und – wirft einen kritischen Blick auf die allgemeine Weltlage des Jahres eintausendfünfhundertsiebenundfünfzig!

Auf dem päpstlichen Stuhl rückte als Paul der Vierte Signor Giovanni Pietro Caraffa, ein sehr hitzköpfiger Herr, immerfort unzufrieden mit sich und der Welt, hin und her. Es war ihm nicht gegeben, einen Augenblick still zu sitzen und die andern still sitzen zu lassen, sein galliges Temperament erlaubte es durchaus nicht. Die lutherischen Ketzer haßte und verfolgte er bis in den Tod, ja bis über den Tod hinaus; aber noch viel mehr haßte er das Haus Habsburg, welches auf dem deutschen Kaiserthron und dem spanischen Königsthron saß, würdig vertreten durch Ferdinand den Ersten und den guten Philipp den Zweiten. Manche schlaflose Nacht verursachte der alte, jähzornige heilige Vater diesen beiden mächtigen Herrschern, diesen beiden eifrigsten Katholiken. Den Kaiser und den König zu demütigen, würde Paul der Vierte mit dem Sultan Soliman einen Freundschaftsbund geschlossen haben; ihnen neues giftiges Unkraut unter den Weizen zu säen, hatte er seinen Nepoten, den Kardinal Caraffa, nach Paris geschickt, um den König Heinrich zu einem neuen Kriege gegen die Spanier und den Kaiser aufzustacheln. Mit Hilfe der Guisen und der schönen Diana, der Herzogin von Valentinois, gelang dieses dem diplomatischen Kardinal aufs trefflichste. Der Waffenstillstand von Vauxelles wurde gebrochen, die Heeresscharen des französischen Königs rückten gegen die flandrischen Grenzen und verwüsteten nach dem alten Sprichwort: ein guter Anfang macht halbe Arbeit – mit Feuer und Schwert unter der Führung des Admirals Kaspar von Coligny das Artois. Um auf der andern Seite nichts zu versäumen, ging der Herzog von Guise selbst über die Alpen nach Italien, wo er aber einen Mann fand, der wohl fähig war, ihm standzuhalten, wo ihm nämlich Ferdinand von Toledo, Herzog von Alba, entgegentrat.

Krieg, Aufruhr, Blutvergießen viel
Dir ein Komet besagen will –

Krieg! Krieg! Krieg! –

 

In der guten Stadt Paris auf dem Greve-Platz schaute vom hohen Balkon Heinrich von Valois samt seinem Hofstaat mit großem Vergnügen zu, wie man die Hugenotten über einem lustigen Feuer aufhing und sie an Rollen und Ketten künstlich aufzog und niederließ, bis sie kunstgerecht gebraten waren: den armen Ketzern in Deutschland aber tat er auf jede Weise Vorschub, gab dem Verräter Moritz von Sachsen Waffen und Geld zum Kampf gegen Karl den Fünften und floß über von Liebe, Freundschaft und Hochachtung gegen die Männer der Reformation. Daß er dadurch Metz, Toul und Verdun gewann, war der reine Zufall und durchaus nicht Absicht und Berechnung. Ein altes, ewig neues Spiel mit der Dummheit und dem Egoismus der Menschen, ein altes, altes Spiel, damals wie heute Politik genannt! O du »tapfere, kluge, wohlmeinende« deutsche Nation, wie hart strafst du dich selbst seit Jahrtausenden!

Und wieder sollte das alte Spiel beginnen, und die Karten waren gemischt und wurden eben verteilt.

Schon war das Reich überschwemmt von den werbenden, aufstachelnden, katzenpfötigen Emissären der Franzosen, welche dem einen in ihrem König den Beschützer und Freund des lutherischen Glaubens, dem andern die lockende Aussicht auf die reiche, kommende Beute vor die Augen stellten. Schon hatten die listigen Werber Tausende und aber Tausende deutscher Männer, darunter Freiherren, Grafen, Barone und Fürsten erkauft für Frankreichs Dienst – eintausend reisige Knechte hatte allein der Rheingraf aufgebracht!

Und noch immer durchzogen die Schleicher in jeglicher Gestalt das Land.

Es warb für den französischen König Don Cesare Campolani.

Es warb für den französischen König Christof von Wrisberg! Widerliche Gesellen beide, sowohl der Romane wie der Germane!

Der letztere war so recht einer jener wunderlichen Söldnerführer des totschlagmutigen sechzehnten Jahrhunderts. Abgehärtet gegen jeden Wechsel des Glücks wie gegen jeden Wechsel der Witterung, gewissenlos im höchsten Grade, hatte er im Jahre 1557 bereits ein wildes, wüstes, ereignisreiches Leben hinter sich.

Schon 1546 hatte er für Karl den Fünften in Westfalen Reiter und Fußknechte geworben, und Nikolaus Mamertanus führt ihn unter den Generalen des Kaisers auf. Im Jahre 1547 stand er im Schmalkaldischen Kriege an der Spitze von einundzwanzigtausend Mann zu Fuß und zwölftausend Mann zu Roß und verlor im Verein mit Erich von Braunschweig im Mai bei Drakenburg an der Weser eine große Schlacht gegen die protestierenden Grafen von Oldenburg und von Mansfeld und die Hansestädte. Trotzdem machte er jedoch kein übles Geschäft dabei, indem er im entscheidenden Momente der Schlacht in der Hamburger »Losament und Lager« fiel, den wehrlosen Troß niederhieb oder verjagte und sich sämtlicher Habe der Knechte und ihres Führers Kurd Pfenning bemächtigte. Wütend sang das siegreiche Kriegsvolk:

»Wir han das Feld,
Wrisberg das Geld;
Wir han das Land,
Er hat die Schand!«

Solches kümmerte aber »Fritzbergern den Helden« wenig, und er würde sich trotz seinem verminderten Kriegsruhm ins Fäustchen gelacht haben, wenn nicht die Geschichte nachher unangenehmere Folgen nach sich gezogen hätte.

Auf dem Tage zu Halle nämlich legte ihm sein Waffengenoß Herzog Erich der Jüngere von Braunschweig vor dem Kaiser alle Schuld der verlorenen Schlacht auf, und trotz der gewandten Verteidigung Christofs ließ ihn der erzürnte Karl gefangensetzen. Mamertanus teilt die Schuld an dem Verlust der Schlacht in zwei gleiche Teile, stellt sich sogar ein wenig mehr auf die Seite des Wrisbergers.

Seit dem Tage von Halle verschwindet Christof von Wrisberg aus den Berichten, Briefen, Chroniken der Zeitgenossen und tritt erst wieder hervor im Jahre 1557, wo er, wie gesagt, für den König von Frankreich, Heinrich von Valois, warb; – der Erzähler aber wirft die schwere Schwanenfeder fort und greift wieder nach der leichtern Gänsefeder, um seinen Lesern weitern Bericht von den Vorgängen auf dem Schloß Pyrmont zu geben.

Nach dem schweren Tagemarsch durch den Schnee und Wind, nach dem guten Nachtmahl schlief der Ritter Christoffel, wenn auch nicht den Schlaf der Gerechten, so doch einen gesundern Schlaf als Don Cesare Campolani. Die Gespenster, welche der alte Kondottiere in seinem Leben aufgestört hatte, waren anderer Art als die, welche den romanischen Ritter belästigten, und wurden durch einen tüchtigen Trunk vielleicht allzu schnell verjagt. Und da der Wrisberger auf andere Weise eingeschlafen war wie der Sizilianer, so erwachte er auch auf eine andere Art, als kaum der Wintermorgen trübe, warm und windstill dämmerte.

Dreimal nieste Christof, dreimal gähnte er und zeigte dabei ein ungeheueres Gebiß, welches sich im besten Zustande befand, dreimal reckte und dehnte er sich, daß das Bettgestell gar bedenklich in allen seinen Fugen erkrachte. Dann sprang er mit beiden Füßen zugleich vom Lager, öffnete das Fenster und sog begierig die feuchte Morgenluft ein, um seinen innern Leichnam dadurch abzukühlen. Pfeifend begann er darauf seine äußerst einfache Toilette und kam sehr bald damit zu einem Ende. Dann stieg er die Wendeltreppe hinab – er wußte sehr gut Bescheid auf dem Schloß Pyrmont – und trat in den Hof, wo sich bereits einiges Leben in den Ställen und um den Brunnen regte.

Der alte Haudegen war durchaus nicht wählerisch in seinem Umgang. Das Lagerleben hatte ihn daran gewöhnt, in Ermangelung des Bessern mit dem vorlieb zu nehmen, was ihm zuerst in den Weg lief, und wenn es das Allerschlechteste war. Ja, das Allerschlechteste war ihm im Grunde der Seele eigentlich das Liebste!

Nachdem er seine eigenen Knechte von der Streu aufgewettert hatte, stellte er eine genaue Inspektion der Ställe an, fuhr hie und da mit einem gräßlichen Fluch zwischen die Spiegelbergschen Mannen und ließ sich zuletzt, an der Stalltür lehnend, in ein langes Gespräch über Pferde, Hunde, Jagd und dem, was daranhangt, mit unserem Freunde Klaus Eckenbrecher ein. In dieses Gespräch suchte der alte Taugenichts aber auch jede Magd, welche mit ihrem Eimer am Brunnen erschien, durch gar feine, zierliche Scherzreden, die jedesmal ein großes Erröten und Gekicher, oft sogar ein eilfertiges Davonlaufen bewirkten, hineinzuziehen.

Die Schloßbewohnerschaft wurde an diesem Morgen weniger durch das Horn des Turmwärtels und die Glocke des Haushofmeisters erweckt als durch das Lachen, Geschrei, Fluchen und Hundegebell, welches der Feldmarschalk Christof von Wrisberg im Schloßhofe erregte. Aus allen Fenstern, welche auf den Hof hinausgingen, lugten bald verschlafene Gesichter und unter ihnen das hübsche, rosige der kleinen Walburg.

Diesem Lockenköpfchen zu Ehren blies der Wrisberger sogleich einen kunstvollen Jagdgruß auf seinem Hüfthorn. Dann rief er in die Höhe:

»Holla he, holla he! Allerschönsten Gruß, allerschönstes Fräulein von Spiegelberg! Gut geschlafen? He, ausgeschlafen? Seid doch allgesamt ein träges Volk allhier auf dem Schloß Pyrmont. Schafft mir einmal den Grafen, Walpurgel! Heraus mit dem Grafen!«

»Hei, Herr von Wrisberg«, rief das Jungfräulein lachend, »ist's nicht Euere eigene Schuld, Herr Christof, daß wir so spät erwachen? Könnt man wohl zu seiner Ruhe kommen vor dem abscheulichen Lärm, den Ihr in der Nacht verführtet?«

»Todos Santos, wie mein guter Freund Alba sagt, Fräulein zu Spiegelberg und Pyrmont, Ihr seid doch gar zu hübsch mit Euren roten Wänglein. Per l'amor di Venere, wie der Herr von Meiß So nannten die deutschen Landsknechte im Schmalkaldischen Kriege Herrn Johann Jakob von Medici, einen von des Kaisers Kriegsräten. zu sagen pflegte, werft mir altem Kauz und Lumpenhund doch wenigstens eine Kußhand herunter. Lieb habt Ihr mich, erschrecklich lieb, das weiß ich. Wann soll denn die Hochzeit sein? ... Dummes Zeug, sagt Ihr? Was? Hat mich etwa ein anderer ausgestochen? Etwa der Herr zu Gleichen? – Hoho, ich habe ein Vöglein singen hören! Na, Walburg, in einer dreischläfernen Bettstell schlief' ich nicht, wenn ich an Eurer Stell war! Bitt Euch, überlegt's Euch ja, mein Herzelein!«

Lachend fuhr das kleine Fräulein zurück, machte dem wüsten Alten eine allerliebste Faust zu und schloß, rot wie eine Rose, ihr Schlafkammerfenster.

»Ho, da ist ja auch das Hausmütterchen!« rief der Wrisberger jetzt nach einer andern Weltgegend in die Höhe. »Schönen Gruß, Ursel; Gott tröste dich, Liebling, und schenke dir bald einen guten Mann!«

»Danke, Herr Ritter. Habt Ihr gut geschlafen in der ersten Nacht auf Pyrmont?«

»Wie 'n Toter nach der Schlacht – nein, wie 'ne junge Frau in der dritten Nacht nach der Hochzeitsnacht!«

Schleunigst schloß sich das Fenster des Fräuleins Ursula. Die Arme hatte ihren Teil, und Herr Christof von Wrisberg blies den letzten Rest des Atems, welchen ihm ein donnerndes Gelächter übrig ließ, in sein Jagdhorn.

»Kommet herauf, Wrisberg!« rief jetzt Philipp von Spiegelberg herunter aus seinem Gemache. »Der Morgentrunk wird bald bereit sein, und der Herr von Campolan ist auch schon auf den Beinen.«

»Ei, ei, schau da, das Philippchen! Das Hähnchen von Spiegelberg! Wünsch Euch einen guten Morgen, mein Bübchen; Ihr machet mir viel Kummer und Sorgen, Grafe zu Pyrmont! Jammerhaft sehet Ihr aus – Philipp, Philipp, ich rate Euch als einer, der Euren Vater gekannt hat, ergebt Euch nicht dem stillen Soff!«

»Habet keine Angst, Herr Christof; aber kommet jetzt zum Mahl, ich bitte Euch. Kommet herauf und macht Euch nicht zu einem Spott vor den Leuten!«

»Hoho, Söhnlein, noch niemand hat des Wrisbergers ungestraft gespottet, außer er selber. Übrigens komme ich gleich! Also ihr Hunde« – dies galt seinen Knechten – »also den Mühlberger tüchtig gestriegelt und dem Rappen die Hufe geputzt, daß sie glänzen wie ein Weiberfuß, oder das Donnerwetter Gottes oder des Wrisbergers Faust – ich weiß nicht, was von beiden schlimmer ist – kommt euch auf den Buckel. Vergeßt auch den welschen Gaul nicht, rat ich euch. So 'n spanisch Vieh ist eine heikle Kreatur, und der Herr von Camplan lasset auch nicht mit ihm spaßen – basta!«

Schwerfällig stampfte nach solcher Expektoration der wackere Krieger durch den tiefen Schnee, den die Besen der Mägde noch immer nicht bewältigen konnten. Keuchend humpelte er die Treppe hinauf zum Morgenmahl des Schlosses Pyrmont, und bei jedem Schritt stieß er das Schwert auf den Boden, daß das Mauerwerk erzitterte.

Don Cesare hatte nach seiner Gewohnheit die allergrößte Sorgfalt auf seinen Anzug gewandt, prangte in einem stattlichen Kleide nach der neuesten französischen Mode und bewegte sich weltmännisch fein zwischen den einfachen deutschen Leutlein, mit denen er es zu tun hatte für die nächste Zeit. Ohne Zweifel sah er sehr edel und gewinnend aus in seinem glänzenden Kostüm mit Federbarett und reichverziertem Stoßdegen. Die Damen des Hauses Spiegelberg konnten nicht unterlassen, verstohlene, billigende Blicke nach ihm auszusenden.

Noch einmal bewillkommnete Graf Philipp seine Gäste beim Tageslicht, dann hielt der Schloßkaplan sein gewohntes Gebet über Speisen und Getränke, und das Frühmahl nahm seinen Anfang und ungestörten Fortgang.

Mit jedem der Gesellschaft wußte Don Cesare ein anmutig Gespräch zu führen. Mit den Damen sprach er von dem Leben am Hofe zu Paris und Fontainebleau; mit dem Grafen und dem Ritter von Wrisberg behandelte er das große, unerschöpfliche Thema der Jagd. Mit dem Schloßkaplan ließ er sich in eine Disputation über die Frage ein: ob der Doktor Martin Luther oder das Weib des Franceschetto Cibo, welchem der Papst den Ablaßertrag von Kursachsen zur Aussteuer schenkte, Ursache der Reformation gewesen sei. Während dieser letztern Reden und Gegenreden schlief der Wrisberger sanft ein trotz der frühen Tagesstunde, und Don Cesare gewann dadurch Raum, die Damen noch mehr zu gewinnen, indem er das soziale Verhalten des alten Söldners mit leiser Stimme herabsetzte.

Am Nachmittag führte der Graf seine Gäste auf die Wolfsjagd, ein Vergnügen, welchem sich der italienische Ritter freilich mit verhaltenem Mißbehagen anschloß, welches dagegen dem Wrisberger mehr als ein Grunzen des Entzückens beim Ausritt entlockte.

Unter lustigem Hörnerklang zogen die drei Herren mit ihrem Jagdgefolge hinaus in den verschneiten Wald, und manche schmeichelhafte Bemerkung machte Don Cesare dem Grafen zu Pyrmont über seine Meute.

Der Himmel blieb den ganzen Tag über dunkel verhangen, und die Dämmerung kam um wenigstens zwei Stunden früher als eigentlich billig war. In der Dämmerungsstunde wirft der Erzähler einen Blick in das Frauengemach zu Pyrmont.

Ursulas Spinnrad, ein Gerät, welches aus den Händen des Steinmetz Jürgens, des Erfinders selbst, hervorgegangen war, schnurrte fleißig im Winkel neben dem Kamin. Walburg hatte die künstliche Stickerei, an der sie arbeitete, so lange es hell genug war, in den Schoß fallen lassen und stellte geheime Vergleiche an zwischen dem fremdländischen Ritter Don Cesare Campolani und einem gewissen Georg von Gleichen-Tonna. Mit ungemeinem Vergnügen findet der Erzähler in den Schriften seiner Gewährsmänner, daß das Bild des Grafen Georg als Sieger aus dem gefährlichen Streite im Herzen des jungen Mädchens hervorging.

Im dunkelsten Winkel des Zimmers griff eine Hand leise über die Saiten einer Laute. In dem dunkelsten Winkel des Zimmers saß Fausta La Tedesca und ließ Bilder künftigen Glanzes an ihrer Seele vorübergehen. In den kalten, finstern deutschen Winter hinein leuchteten ihr blendende Strahlen einer andern Welt, welcher sie einst angehört hatte, welcher sie wieder angehören sollte. Seltsamlich lächelte sie, wie sie mit halbgeschlossenen Augen so zu den beiden Fräulein von Spiegelberg hinüberschaute und bedachte, was sie gewesen war und was sie werden sollte. In Pracht und Herrlichkeit – wie Zenobia ihre wundervolle Stadt Palmyra baute – baute Fausta La Tedesca ihre Zukunft auf in ihrer Seele, ohne gleich der Zenobia zu gedenken, wie nahe das Verhängnis lauern könne, öfters griff sie nach der Brust, öfters hielt sie den fliegenden Atem an – es war ihr jetzt zumute, als sei sie in diesem Waldtale, in dieser nordischen Burg in ein Gefängnis eingeschlossen, enger, dunkler als der Klosterkerker, aus dem sie sich im vorigen Jahre befreit hatte.

»Du bist tot – nichts hast du mehr unter den Lebendigen zu suchen!« hatte Simone Spada, der Arzt aus Bologna, gesagt, und wie ihr an diesem Abend dieses Wort wieder in den Sinn kam, o welch ein Strahl stolzen, sieghaften Hohnes flog da über ihre hohe Stirn.

Fausta La Tedesca wußte jetzt, daß sie noch nicht tot sei, daß sie noch den Lebenden angehöre. Sie wußte, daß sie noch schön sei und noch schöner sein werde, sobald der erste heiße, glänzende Strahl der gewohnten Lebenssonne sie berühren werde.

O, wie sie sich nach dieser Sonne sehnte!

Der Mann, dem zuliebe sie einst Verbrechen begangen hatte, dessen plötzliches Erscheinen sie gestern abend zu den grimmigsten Racheplänen aufgestachelt hatte, brauchte sich nicht mehr vor ihr zu fürchten. Die schöne Tigerin zog wie früher bei seinem Anblick die tödlichen Krallen ein. Nicht mehr murmelte Fausta La Tedesca: »Vendetta! Vendetta!«, wenn sie Cesare Campolanis gedachte.

»Ja, er soll mich retten, er wird mich retten!« murmelte sie jetzt. »Frei will ich wieder sein; was ich gewesen bin, will ich wieder sein!«

Die Traumbilder jener ersten Nacht, welche sie auf dem Schloß Pyrmont zubrachte, stiegen wieder vor ihr auf, und neue, glänzendere reiheten sich daran.

Sie vermeinte das Meer zu sehen – unermeßlich sich dehnend hinter den Fenstern des Frauengemaches zu Pyrmont –, aber es war nur das bleiche Leuchten des Schnees in der Abenddämmerung. Sie glaubte das Rauschen der Wellen an den Mauern des Schlosses zu vernehmen – aber es war nur der Wind, der von neuem aufwachte in den Wäldern!

Aber jetzt – horch – in weiter Ferne durch das klagende Getön der Klang der Waldhörner!

Da kam der Retter! Da kam der Erlöser!

Alle Willenskraft mußte Fausta zusammennehmen, daß sie nicht in einen wilden Schrei des Triumphes ausbrach.

»O Cesare, Cesare«, flüsterte sie, »komm und nimm mich! Ich bin bereit, hole mich und hebe mich aus der Dunkelheit und Vergessenheit, zum neuen Flug durch die Welt!«

Näher und näher erklangen die Hörner der heimkehrenden Jäger, und das Horn des Türmers antwortete ihnen, wie die Hofhunde dem Gebell der Hunde draußen antworteten. Über die Zugbrücke stampften die Rosse, in den Schloßhof ergoß sich das fröhliche Getümmel. Fußknechte, Reiter, Bauern und Hunde drängten sich um die blutende Beute, und die Damen von Spiegelberg eilten die Stiegen hinunter, um die Herren zu begrüßen.

Der Graf von Pyrmont kehrte noch bedeutend ernster und nachdenklicher, als er ausgezogen war, zurück. Christof von Wrisberg hatte die durch die Jagdlust herbeigeführte Seelenstimmung benutzt, Herrn Philipp mit dem Grunde des Besuches Don Cesares bekannt zu machen, und Don Cesare hatte darauf alle seine Beredsamkeit aufgeboten, den Arm und den Einfluß des wackern jungen Grafen für die Sache des französischen Königs zu gewinnen.

Auch der Wrisberger war nicht auf das Maul gefallen, wenn es galt. Gut und eindringlich sprach er, wenn eine Sache durch die Kraft der Rede zu einem guten Ende zu bringen war. Oft genug hatte er davon Beweise gegeben vor der Front seiner Landsknechte, wenn es galt, den Feind anzugreifen, oder im Ringe, wenn der Sold ausgeblieben war und Meuterei drohte.

Hier aber traf niedersassisch Blut gegen niedersassisch Blut, und Herr Philipp von Spiegelberg war nicht durch einen Netzwurf zu fangen. Stumm hatte er den beiden Gästen zugehört, mehrere Male den Kopf geschüttelt und endlich sich vor allem Bedenkzeit ausgebeten. Weder Christof noch Cesare hatten ihm fürs erste das Versprechen abringen können, daß er Herrn Heinrich von Frankreich und Navarra zuziehen wolle.

»Ich muß morgen schon von dannen«, sagte der alte gewiegte Feldhauptmann Karls des Fünften, »das Feuer brennt mir auf den Nägeln. Aber, Philippe, ich will Euch den Ritter von Camplan zurücklassen; der mag Euch den Weg zu Eurem Besten noch genauer weisen. Glaubt's mir, Spiegelberg, kommt mit uns und lasset Euch nicht von denen Spaniern ködern! Ich sage Euch, die Hundsf ... ziehen Euch nur das Fell von den Ohren und bitten sich nachher noch ein Trinkgeld für solchen erwiesenen Liebesdienst aus. Glaubt's mir, Philippe, und haltet dran! Ich hab's erfahren, wie der Spanier Freundschaft tut, und kann am besten davon nachsagen im Heiligen Römischen Reich Teutscher Nation.«

»Gut, gut; ich will's beschlafen, verlasset Euch darauf!« hatte Philipp gesagt, und Don Cesare hatte sich gegen den Grafen, seinen Wirt, verbeugt und das Gespräch fallen lassen. Der Graf hatte seinen grünen Jägerhut ein wenig gegen den Ritter gelüftet, dann einen riesigen Wolf niedergeschossen und darauf einen zweiten mit dem Jagdspeer erlegt.

Die übrige Jagdgesellschaft hielt sich ebenfalls wacker an dieses aufregende Vergnügen, bis die zunehmende Dunkelheit sie in das Schloß zurücktrieb.

Abermals folgte ein Nachtmahl, woran sich wiederum ein lustiges Trinkgelag schloß, bei welchem der tolle Wrisberger abermals dartat, daß er viel erlebt hatte und daß er viel berauschende Flüssigkeiten vertragen konnte, bei welchem der Italiener abermals viel mehr flüsterte als sprach, viel mehr lächelte als lachte, viel mehr beobachtete als sich beobachten ließ.

Dieses Mal durfte Don Cesare nicht Müdigkeit vorschützen und sich daraufhin zurückziehen. Er mußte den gefüllten Humpen und den Trinksprüchen der beiden deutschen Edlen standhalten und bewies, daß er solches recht wohl vermöge, wodurch er in der Achtung Philipps von Spiegelberg nicht wenig stieg.

»Hab ich's Euch nicht gesagt, Philippe, daß es ein guter Kumpan sei?« rief der Wrisberger, mit der Faust auf den Tisch schlagend.

Dem Fräulein Ursula gefiel der Ritter von Campolani immer weniger, dem Fräulein Walburg gefiel er immer besser, ohne daß jedoch Georg von Gleichen-Tonna im Herzchen der kleinen Spiegelbergerin darunter litt. Nachdem die beiden jungen Damen den Trinksaal verlassen hatten, tauschten sie noch lange ihre Gedanken darüber aus, und Fausta La Tedesca hörte ihnen lächelnd zu, mischte sich aber mit keinem Worte in das Gespräch.

Unterdessen ging das Gelage weiter; sämtliche Männer des Schlosses wurden allmählich hineingezogen, und jeglicher Unterschied des Ranges und Standes verschwand mehr und mehr. Ein wandernder Kapuziner, der auf dem Haus Pyrmont Nachtquartier genommen hatte, wurde von seiner Streu aufgestört und ließ sich leider nur allzugern und willig betrunken und zur Zielscheibe der rohesten Späße machen. Seinen Gipfelpunkt erreichte das Bacchanal, als der Wrisberger mit weinerlicher Stimme das schöne Lied von 1547, welches ihm selbst zum Hohne um jedes Lagerfeuer, in jeder Wachtstube erklang, absang:

»Ein newes Lied wir heben an,
Zu Lob so wollen wir singen
Den frommen Landsknecht wohlgetan,
Wie's ihnen tat gelingen«

Lachend brüllte die Gesellschaft außer dem Ritter Campolani mit:

»Herzog Erich betrogen ward
Von Fritzberg also schwere –
Daß er nicht kam zu rechter Fahrt,
Verdroß den Fürsten sehre.
Er sprach: wie geht das immer zu,
Daß vir seynd so verlassen?
ihr Reiter, Landsknecht, habt kein Ruh
Und habt acht auf die Straßen!«

Zuletzt fiel der »Fritzberger« mit Gekrach unter den Tisch und wurde von zwei Knappen zu Bett geschleift, wobei er den Spiegelberger immer ermahnte:

»Philippe – nicht ge – gen die Franz – osen! – nicht – mit den Hisss – paniern! – ein ggut – ut – Wort ist besser – denn ein – Fffähnlein Panzerrreiter – terrr! Nicht für – die Hissspanier – nicht – für das Haus Österreich – Philippe!«

Auch Philipp nahm, ein wenig schwankend, Urlaub von dem Ritter Campolani und wankte, auf die Schulter seines wankenden Haushofmeisters gestützt, seinem Schlafgemach zu. Cesare allein schritt ohne Beihülfe dem Klaus Eckenbrecher, welcher ihm vorleuchtete, in sein Zimmer nach.

Hier angekommen, zündete der junge Reisige die Lampe auf dem Tische des Ritters an und wollte sich eben nach höflichem Gruße entfernen, als ihn der Fremde zurückrief:

»Ihr seid ein guter Reiter, Freund. Hab solches wohl bemerkt heut während der Jagd. Wetter, Ihr seid auch wohl schon einmal gegen ein feindlich Büchsenfeuer angesprengt oder gegen eine Hecke von Speerspitzen?«

»Leider noch nicht, gnädiger Herr; aber ich bitte Gott in jeder Nacht, daß er mir baldigst dazu verhelfen möge, das kann ich Euch sagen.«

»So ist's recht«, sagte Don Cesare lächelnd. »Nun, Ihr könnt wohl noch dazu kommen – hätte, im Vertrauen gesagt, nicht übel Lust, Euch wie Euern Herrn, den Grafen, mitzuführen in den Krieg.«

»In den Krieg?« schrie Eckenbrecher, dem vor freudigem Schrecken beinahe die Lampe entfiel. »In den Krieg?! Juhe, mit meinem gnädigen Herrn von Pyrmont in den Krieg? O Herr Ritter, wenn Ihr uns dazu verhelfen wolltet – beim Teufel, ich gäb ein Jahr meines Lebens darum!«

»Wir wollen sehen!« sagte Don Cesare, in die Tasche greifend.

»Ihr gefallt mir ganz gut – wollt Ihr auch wohl auf meine Gesundheit und die Erfüllung Eueres Wunsches trinken?«

»Die ganze Nacht und die halbe Ewigkeit durch!« rief Klaus, welcher eigentlich schon genug getrunken hatte. Der Ritter Campolani ließ ihm einige Geldstücke in die Hand gleiten – nouveaulx Henricus, geprägt in dem Jahre, in welchem der Verfasser des Gargantua und Pantagruel das Zeitliche gesegnete und das »große Vielleicht« zu suchen ging.

»Herr, Herr, das ganze Schloß Pyrmont wird Euch auf den Händen tragen, wenn Ihr es möglich macht, daß unser Graf aufsatteln läßt.«

»Gut – ich glaube es – bringt Euern Kriegsgesellen meinen Gruß und schlafet wohl!«

»Diese Nacht nicht, Herr Ritter – Krieg! Krieg! O Monika Fichtner! Krieg! Krieg!«

Fort stürzte Klaus Eckenbrecher, in der Wachtstube das Lob des Herrn Camplan zu singen.

Auf dem Gange beschaute er denn auch die empfangenen Geldstücke.

»Schau, schau, Franzosen! Was für Geld aus aller Herrn Ländern man zu sehen bekommt im Reiterdienst! He – e – n – ri – cus – se – cun – dus – bon musjeh – vivat der Krieg! Vivat der Herr von Camplan! O Monika, jetzt mag unser Weizen zu blühen anfangen!«

Plötzlich hielt er aber in seinem Jubel und Lauf ein; schwer fiel ihm ein Bedenken auf die Seele.

»O Donner, ich hätt' ihn doch fragen sollen, gegen wen es eigentlich gehen soll. Da könnte mir der Teufel den Schwanz wieder einmal auf die Geschichte legen! ... Gegen uns gehe ich nicht mit, und wenn ich mir die heilige römische Kaiserkrone dadurch erreiten könnte.«

»Wir« das waren für Klaus Eckenbrecher die Protestanten, wie » Wir« für Christof von Wrisberg der Geldsack und die Beute, wie »Wir« für den Ritter von Campolani für jetzt das Haus Valois war.

Kurz faßte sich der Reiter und klopfte leise noch einmal an die Tür des Fremden. Dieser öffnete und fragte:

»Ihr noch? Was gibt's denn noch, mein Bursch?«

»Verzeihung, Herr Ritter; 's ist mir eine Frage auf das Herz gefallen: gegen wen wollt Ihr das Haus Pyrmont aufbieten?«

Der Italiener hatte bereits eine ärgerliche Antwort auf den Lippen, aber er faßte sich noch zur rechten Zeit, schluckte sie hinunter und sagte sanft lächelnd:

»Gern will ich Euch diese Frage beantworten: gegen die Spanier möchte ich Euern Grafen und Euch mit mir führen.«

Dieses Mal tat Eckenbrecher vor Freuden einen Satz fast bis unter die Decke. »Juchhe!« schrie er, ohne weiteren Gruß forteilend, »Juchhe, das laß ich mir gefallen! Vivat die Monika Fichtner! Da müßte doch mein junger Herr nicht bei Trost sein, wenn er gegen die Spanier nicht mit auszöge. Gegen die Hispanier! gegen die Hispanier!«

Gegen die Spanier! Welches lutherische Herz schlug seit dem Schmalkaldischen Kriege nicht noch einmal so schnell bei solchem Kriegsgeschrei?

Atemlos, fast erstickend an der freudigen Nachricht stürzte der Klaus in die Wachtstube, wo die Knechte des Grafen, die Reisigen des Wrisbergers und die Diener Campolanis durcheinandersaßen und große Worte feil hatten. Die Diener des Italieners mußten sich freilich dabei auf Pantomimen beschränken, da sie kein Wort Deutsch verstanden.

Jubelnd trompetete Klaus Eckenbrecher seine Nachricht aus, und ein gewaltiges Hallo war die Folge davon.

»Gegen die Spanier! Gegen die Spanier!«

An Kaspar Wicht den Fiedelmann, welcher gekommen war, die Mannen von Pyrmont durch sein Geigenspiel zu erfreuen, verlor im Würfelspiel, in derselben Nacht noch, Klaus Eckenbrecher seine welschen Henricus-Stücke.

Unterdessen zog der Gesandte des französischen Königs in seinem Gemache allerlei Papiere aus einer Tasche, die er sorgsam verwahrt in seinem Wams auf der Brust trug. Sie waren bedeckt mit langen Reihen von Namen und Zahlen, und Cesare breitete sie auf dem Tische aus und brütete darüber und zählte zusammen alle die Reiter und Rosse, Fußgänger, Wagen, Kartaunen, Serpentinen, Falkonetlein, welche er in Deutschland geworben und aufgebracht hatte oder noch werben und aufbringen wollte.

Auch in dieser Nacht trat Fausta bei ihm ein, »Siehe da, mein Nachtstern!« sagte Don Cesare. »Ich habe dich erwartet; aber – was ist dir, Fausta? Bist du krank?«

»Ja krank, sehr krank.«

Der Ritter war im nächsten Augenblick dicht neben ihr.

»Was ist das, Fausta? Was bedeutet das?«

»Das bedeutet, daß du mich gestört hast in den Bahnen, welche ich mir für mein künftiges Leben gezogen hatte. Das bedeutet, daß ich wieder ein Recht auf dich habe, Cesare Campolani –«

»Ich kann nur wiederholen, was ich in der vergangenen Nacht gesprochen habe, Fausta.«

»Das bedeutet, daß ich noch die Fausta bin, die ich einst war – die Fausta, welcher du einst angehörtest.«

»Einst!« sagte der Ritter, die Hand an die Stirn legend. »Ach, Fausta La Tedesca, wieviel blutige Schlachtfelder, wieviel Arbeit im Ratssaal und auf der Walstatt liegen zwischen jenem ›Einst‹ und dem jetzigen Augenblick, Fausta, Fausta, ich bin alt, sehr alt geworden!«

»Aber ich bin jung geblieben! Schau mich an, Cesare, ich bin jung geblieben, und was ist alle Wildheit deines Lebens gegen die des meinigen?«

»Weib«, murmelte der Soldat und Diplomat, »Weib, du hast recht – schön bist du noch wie damals, wo du den alten Meister Tizian entzücktest. Fausta, Fausta, soll der alte Bann wieder über mich kommen? Bei allen Göttern, ich will nicht, ich will nicht, ich will dich nicht mehr lieben!«

Er faßte ihre beiden Hände:

»Höre, höre, Fausta la Maga – was ich in der verflossenen

Nacht gesagt habe, das wiederhole ich jetzt; aber – täusche dich nicht, ich liebe dich nicht mehr, ich will dich nicht mehr lieben, und auch du liebst mich nicht mehr. Aber unsere Wege sollen wieder zusammen gehen – hoch in die Höhe! Wild und unbändig klopfen uns beiden die Herzen, und dunkelste Nacht ist in uns. Was ist uns noch die Liebe? Ein Spiel der Kinder! ... Andere Triumphe auf anderen Bahnen wollen wir erringen. Willst du wieder mein sein mit Leib und Seele, Fausta, so sprich es noch einmal aus, so lege noch einmal deine Hand zum Schwur in die meinige. Keiner von uns ist dann mehr einsam in seinem Streben, und verbunden wollen wir die Würfel auf den Tisch des Schicksals schleudern. Du weißt, wir haben Glück und mögen noch einmal den Venuswurf werfen.«

»Wenn ich dich sehe, glaube ich dir, Cesare! Schließt sich die Tür hinter dir, so verzehre ich mich in qualvollster Unruhe, in Ungewißheit – Zorn – – in Haß. jetzt blicke ich dir ins Auge: was soll ich jetzt tun, als meine Hand dir reichen und sagen: Leite mich, ich folge!«

»Vertraue mir, vertraue mir, Fausta! Nichts anderes kann ich sagen als: vertraue mir. Welche Bürgschaft sollte ich dir geben? Welches Pfand sollte ich in deine Hände legen?«

»Du hast recht, es ist dir nichts geblieben!« sagte Fausta tonlos. »Wir sind schrecklich elend!«

»Deshalb, deshalb laß uns das Bündnis, welches ich dir gestern vorschlug, welches ich dir in diesem Augenblicke wieder vorschlage, schließen. Töricht haben wir uns einst getrennt – laß uns auf andere Weise die zerbrochene Kette anknüpfen! Gedenke nicht mehr des Unwiederbringlichen; denke an das, was noch sein und geschehen mag!«

»Ich bin doch nur ein armes, schwaches Weib, und ich vermeinte so stark zu sein!«

»Und du bist auch stark, Fausta! Wärest du ein gewöhnliches Weib, so würde ich dir Lügen sagen und über dich lächeln, sobald du den Rücken gewandt hättest. Aber das kann ich nicht – ich sage dir, als Gleichberechtigte will ich dich halten auf meinem künftigen Lebenswege. Komm, komm mit mir; ich halte, was ich versprach, nach Paris führe ich dich zur Katharina – du sollst die Stelle haben, welche der Fausta La Tedesca gehört.«

Mit ehrfurchtsvoller Höflichkeit führte der Ritter die schöne Vagabondin zu einem Sessel und nahm neben ihr Platz.

In langer Rede legte er ihr dann unumwunden seine Pläne vor und entrollte ihren Blicken das Bild der Weltlage. Scharf, klar und bestimmt legte er alle Vorgänge der Zeit in Ursache und Wirkung auseinander.

Und Fausta La Tedesca begriff!

In immer höherem Glänze leuchteten ihre Augen, längst war sie aufgesprungen und schritt aufgeregt hin und her, während der Ritter Campolani endigte:

»So wird denn der deutsche Eber, welcher mich hieher in diese Einöde geleitete, morgen das Schloß verlassen, um auf seine Weise zu wirken für unsere Sache, die, wenn auch nicht ganz die gute, so doch eine höchst nutzbringende ist. Im Frühjahr hat dieser Herr von Wrisberg seine Haufen zusammen – 's ist ein wahrer Segen, daß das Deutschland seine Knochen und sein Blut nicht besser zu verwerten weiß! – , und an der Spitze von Tausenden magst du, Fausta, der neuen Heimat entgegenziehen. Aber noch brauchen wir Namen, welche einen guten Klang im Lande haben, um diesem verblendeten Volk die eigenen Knochen, das eigene Blut zu seinem eigenen Schaden abzulocken. Diesen Knaben, diesen Graf von Pyrmont uns zu fesseln, soll deine Aufgabe sein, Fausta La Tedesca. Der Knabe liebt dich; er wird dir folgen!«

»Er wird es!« sagte Fausta.

»Gut! ... Nun gehe und schlafe, Freundin. Nicht wahr, durch Blut und Flammen gehen wir miteinander?«

»So sei es. Durch Blut und Flammen!«

Einen Augenblick später glitt wieder ein Schatten durch die Gänge des Schlosses: der böse Geist des Hauses Spiegelberg. – Don Cesare Campolani legte sich gar nicht zum Schlaf nieder;

nach Faustas Abschied beugte er sich eifrigst von neuem über seine Papiere und erhob sich nur von Zeit zu Zeit, um an das Fenster zu treten, es zu öffnen und seine heiße Stirn zu kühlen.

Es regnete. Alle die wunderlichen Dachtraufen des Schlosses Pyrmont spieen Wasserströme aus ihren offenen Rachen. Der Schnee der vorigen Tage sollte der letzte dieses Winters gewesen sein. Mit dem Regen in dieser Nacht begann der Frühling des Jahres eintausendfünfhundertsiebenundfünfzig. –

Herr Christof von Wrisberg erwachte diesmal später und in nicht so behaglicher, nicht so heiterer Stimmung wie gestern.

Das Rauschen und Plätschern vor seinen Fenstern trug auch nicht dazu bei, das wüste Summen und Sausen, die Folgen des übermäßigen Trinkens am gestrigen Abend, aus seinem Kopfe zu verscheuchen. In einem wahren Geschützfeuer der allergreulichsten Flüche suchte er seinen Gefühlen Luft zu machen. Mit den allerunsanftesten Rippenstößen, Fußtritten und Faustschlägen traktierte er gleich einem wahren Unhold seine Knechte, als sie zitternd erschienen, um seine Befehle für den bevorstehenden Abmarsch einzuholen.

Die Aussicht, in einem solchen »Sauwetter« das behagliche, wohl versorgte Schloß Pyrmont, wo der Bratspieß in der Küche immerfort sich drehte, wo Koch und Kellermeister so wacker ihres Dienstes warteten, zu verlassen, hatte durchaus nichts Angenehmes und würde auch andere Leute mißmutig gestimmt haben.

Und doch mußte der Wrisberger hinaus – nicht bloß aus dem warmen Bette, sondern auch in den Regen hinein. Was aber aufgeweichte Wege zu jener Zeit bedeuteten, wußte er gar wohl.

Kein Wunder war es daher, daß er zwischen all den Schimpfreden, Anzüglichkeiten und Gewalttätigkeiten, welche er seinen Knechten angedeihen ließ, sich selbst schier nicht besser behandelte. Einen alten Esel, welcher niemals stillsitzen lernen würde, titulierte er sich einmal über das andere.

»O Potzblitz und Höllenstank, corpo di santa Nulla, nicht anders werde ich's lernen, als wieder einmal in einem tüchtigen Turm mit zwei Hellebardierern vor der verriegelten Tür wie schon einmal.«

Endlich, endlich gelangte er unter den heimlichen Stoßgebeten seiner Knappen in Kleider und Waffen, und nach einem tüchtigen Frühtrunk von glühend gemachtem Rotwein und grämlichem Abschied von dem verschlafenen Philipp auch auf seinen Lieblingsgaul, den Mühlberger.

»Sacreee diable, zehntausend feurige Teufel sollen sich in Euch teilen, wenn Ihr mit den Spaniern zieht. Gehabt Euch wohl – uf, solch ein Hundewetter! – und laßt Euch von dem Camplan raten – Amen!«

Das ganze Schloß Pyrmont schaute mit den verschiedenartigsten Gefühlen diesem Abritt des Wrisbergers zu und kroch nicht eher wieder zurück unter Dach und Fach, als bis der letzte Zipfel des Zuges im Nebel und Regen verschwunden war.

Don Cesare Campolani aber blieb, wie es bestimmt war, noch zurück auf dem Schloß, und die gesamte Dienerschaft pries ihn als einen freigebigen, der Hauskaplan als einen recht gelehrten und sämtliche Weiber außer der Ursula als einen höchst liebenswürdigen Herrn. Die Ursula hielt sich so fern als möglich von ihm und warnte auch ihren Bruder. Philipp aber schüttelte nur das Haupt und zuckte die Achseln; – er gab wenig auf den Rat seiner Schwester, obgleich sie die verständigste Seele des ganzen Tales von Pyrmont war. –


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