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Sechstes Kapitel

Es kommt ein schönes Mädchen zum heiligen Born; Herr Philipp von Spiegelberg wird gewarnt, will aber nicht hören.

Ein seltsames Abenteuer hatte sich am heiligen Born zu Pyrmont zugetragen und entwickelte sich soeben weiter. Darein verflochten war jener fremde Mann, dessen Ankunft vor zwei Stunden die Aufmerksamkeit Klaus Eckenbrechers und des Volkes so sehr erregt hatte. Wie wir schon erzählt haben, machte die Menge, welche die Gesundheitsquelle umlagerte, dem Fremden bereitwilligst Platz und öffnete ihm den Weg zu dem heiligen Wasser. Er stieg vom Pferde ab, schöpfte eine Handvoll des hervorsprudelnden, frischen, stahlkräftigen Trankes und führte ihn an die Lippen. Sein Knabe war ebenfalls abgestiegen und hatte auf das Gebot seines Herrn ein Fläschchen aus dem Bronnen gefüllt.

Eben wollten sich Herr und Diener ruhig, wie sie gekommen waren, entfernen, als ein unerwartetes Ereignis, eine – Erscheinung sie aufhielt.

Die Menge, welche bereits ihr Interesse an den Fremdlingen verloren hatte, wogte von neuem um die heilende Quelle ab und zu, murmelte Gebete, seufzte, ächzte, kreischte, stöhnte, fluchte, lachte, trank, füllte Schalen, Töpfe und Krüge nach gewohnter Weise, und der aufgewirbelte Staub hüllte alles in einen dichten Schleier. Aus diesem Nebel, aus diesem Menschengewühl wand sich auf einmal ein Weib hervor, welches von dem Getümmel dicht vor den Fremdling gedrängt wurde. Ein schönes Weib mit stolzem, lachendem Munde, Feuer in den schwarzen Augen, die hohe Gestalt reich von einem schweren, dunkelblauen Gewande umflossen, ein Hütchen mit Federn auf dem Haupte, ein karmoisinrotes Mäntelchen, welches nach der Mode der Zeit kaum auf die Hüften herabhing, um die Schultern geschlagen.

»Fausta! Fausta!« rief der fremde Mann bei ihrem Anblick. Weit und starr wurden seine Augen, als erschaudere er im höchsten Schrecken vor einem Gespenst. Er schwankte und hielt sich kaum auf den Füßen; unwillkürlich griff er nach dem Schwert an seiner Seite.

Auch das Weib schrak heftig zusammen, und ihre rechte Hand umfaßte krampfhaft den Griff eines reichen Dolches, welcher in ihrem Gürtel steckte.

»Simone Spada!« hauchte sie, und ihre Lippen preßten sich zusammen, ihre Augen sprühten Blitze des Schreckens, des Hohnes, des Hasses.

Einen kurzen Augenblick standen sich die beiden so, zweifelnd, verwirrten Blickes einander gegenüber, ein jedes verzaubert von dem Auge des andern. Sie kämpften mit den Augen, sie rangen damit gegeneinander an, und was dem staunenden Volk umher Sekunden waren, das wurde ihnen zu Undenklichkeiten voll Schmerz und Grimm. Plötzlich löste sich der Zauber, wie ein elektrischer Schlag schien es den fremden Mann zu durchzucken. Ein dumpfes Stöhnen entrang sich seiner Brust; dann tat er einen Sprung über den kurzen Raum, welcher ihn von dem schönen Weibe trennte.

»Da das Kloster, der dunkle Kerker dicht nicht zu halten vermag, so stirb, Verworfene!« schrie er außer sich. Sein Degen blitzte in der Abendsonne – das Weib trat zurück und zog ihr Dolchmesser – ein Teil der umdrängenden Menge stob erschreckt auseinander, ein anderer Teil drängte neugierig näher; einige mutige Männer warfen sich dem Fremden entgegen – der Stoß seines Schwertes ging in die leere Luft.

»Mord, Mord! Nieder, nieder mit dem Friedensbrecher!« schrie die Menge, und – Graf Philipp von Pyrmont samt seinen Gästen, Schwestern und Gefolge erschien unter der Linde am heiligen Born. Von seinem Lehnstuhl aus der Höhe hatte der Rektor Hermann Huddäus jedenfalls den besten und bequemsten Überblick über die sich nun abrollenden merkwürdigen Begebnisse.

Mit dem Erscheinen des Grundherrn legte sich das Getöse und der Aufruhr allgemach. Der Fremde stand ruhig, hoch aufgerichtet zwischen den ihn umringenden Männern; hinter ihm hielt sein zitternder Knabe die Zügel der schnaubenden, stampfenden Rosse.

Auch das Weib hatte ruhig die Arme über der Brust zusammengelegt und blickte in die Glut des Abendhimmels, als habe sie durchaus keinen Teil mehr an dem, was um sie her vorgehen würde.

»Wer ist der Mann? Wer sind diese Leute?« fragte Philipp von Spiegelberg; aber er erhielt keine Antwort aus dem Volk. Ein jeder hing in tiefster Spannung an den Lippen des Unbekannten.

»Wer seid Ihr? Sprecht!« wandte sich der Graf, die Stirn runzelnd, an den Fremden.

»Ein Arzt, Simone Spada aus Bologna.«

»Und was treibt Euch, freventlich den Frieden meines Grund und Bodens zu brechen und Eure Waffe zu erheben gegen ein wehrloses Weib?«

»Sie ist eine Verfluchte«, sagte der Arzt Simone mit dumpfer Stimme. »Sie ist nicht wehrlos!«

Das Weib lächelte. Herr Philipp zu Pyrmont ließ es nicht mehr aus dem Auge. Auch Simone Spada lächelte, als er diesen forschenden Blick des jungen Grafen erspähte, aber er lächelte auf sonderliche Weise und rief;

»Hütet Euch, hütet Euch, Herr! Bei Eurem irdischen und ewiglichen Heil, hütet Euch!«

»Was sollen die Worte?« sprach der Graf. »Antwortet mir, Meister Simone Spada, weshalb kommet Ihr hierher? Was suchet Ihr zu Pyrmont?«

»Gott der Herr hat viele heilsame Kräfte in das Wasser dieser Quelle gelegt«, antwortete der Arzt. »Das Gerücht davon ist in die weite Welt gedrungen. Ich war auf der Reise in mein Vaterland begriffen und bin abgeschweift vom Wege, dieses Borns geheime Kräfte zu erkunden.«

»Und wer seid Ihr?« wandte sich Philipp von Spiegelberg nun an die Unbekannte. Seine Stimme zitterte ein wenig, als er diese Frage tat.

»Eine Verfluchte! Er sagt es ja! .... O, wie ich dich hasse, Simone Spada!«

Eine Bewegung und ein Gemurmel ging durch die Menge; der Graf von Pyrmont trat einen Schritt zurück, seine Schwester Walburg faßte seinen linken Arm; seinen rechten Arm drückte Frau Hedwig von Brandenburg braun und blau.

»Wie nennet Ihr Euch?«

»Fausta La Tedesca!«

»So heißt sie!« rief der Arzt, feierlich die Hand erhebend. »Und tot und verworfen ist sie, und wer sie anrührt, wird vergehen. Gebt mir mein Schwert und lasset mich meines Weges ziehen; ich gebe es auf, mit dem Verhängnis zu kämpfen. Sehet sie nicht an in ihrer Schönheit, Herr Graf von Pyrmont! Weichet von ihr!«

»Gebet mir Raum und lasset mich denn, ihr alle!« rief Fausta, die Unbekannte. Sie wandte sich zum Gehen; aber Philipp von Spiegelberg vertrat ihr den Weg.

»Nicht also! So darfst du nicht von dannen. Ich bin dieses Bodens Herr und befehle dir zu bleiben. Ich will das Geheimnis, so über dir lieget, kennen. Sprecht, Meister Spada, wer ist die Maid?«

»Fragt sie selbst, gnädiger Herr! Erzähle, Fausta La Tedesca, wer du bist – sag, woher du kommst!«

Die Angeredete schwieg und ließ nur ihr großes, dunkles Auge im Kreise umherschweifen.

»Rede, rede, Fausta!« rief Simone.

»Redet!« sprach der Graf, dessen Pulse und Herz klopften, vor dessen Augen alles in roter Glut schwamm.

Fest schaute die Unbekannte dem Spiegelberger ins Gesicht; sie wußte, was in ihm vorging; plötzlich sank sie auf die Kniee und hob die Hände gegen den Grafen flehend auf:

»Rettet, rettet mich! Duldet nicht, daß er mich töte; nehmet mich in Euren Schutz! – Ich hasse ihn, weil er mich liebt!«

»Hütet Euch, Herr Graf«, rief Simone; »rührt sie nicht an, sie ist verflucht, sage ich Euch, und verflucht ist mit ihr der, welcher sie berührt!«

»Glaubet ihm nicht, um der heiligen Jungfrau willen; rettet mich vor ihm. In Dunkelheit und Vergessenheit hat er mich begraben – lebendig begraben wollen; er –«

»Ja, Unselige!« rief Simone der Arzt; »da das Kloster, der dunkle Kerker dich nicht halten konnten, so war's am besten, man wühlte eine Grube und würfe dich hinein und häufte Stein' und Erde auf dich und verbrächte sein Leben damit, einen Berg auf dich zu wälzen, auf daß du dich erst dann wieder ins Licht hinauf gewühlt hättest, wann die Trompeten zum Jüngsten Gericht rufen und der Herr niedersitzt zum letzten Spruch!«

Von neuem und heftiger wurde die Menge ob solcher schrecklichen Worte von Entsetzen bewegt, und der leere Raum um die unbekannte Fremde, welcher solche Worte galten, erweiterte sich mehr und mehr. Nur der Graf und der Arzt blieben auf ihren Plätzen.

»Was saget Ihr dagegen?« fragte der erstere. Die Fremde schüttelte stumm das Haupt und neigte es fast zur Erde nieder.

»Sprich, Fausta, weshalb bist du nicht in der Finsternis geblieben?« fragte Simone Spada. »Weshalb bist du wieder unter die Lebendigen zurückgekommen? Wer hat dich hervorgezogen? Wer hat dich befreiet?«

Die Fremde erhob das schöne, bleiche Gesicht, die tränenvollen Augen wieder; den Fragenden schien sie nicht zu beachten, gegen den Grafen gewandt, sprach sie mit tonloser Stimme:

»Sehet, gnädiger Herr, auf allen Pfaden meines Lebens ist er mir zur bösen Stunde entgegengetreten, er und noch – ein anderer. Sie fürchteten sich vor mir, weil sie mir Böses zugefügt hatten, und führten mich gefangen fort in dieses kalte, fremde Land. Da schlossen sie mich in ein Kloster ein, und meinen Wächterinnen erzählten sie Lügen, daß auch diese mich fürchteten und mich einkerkerten in ein dunkles Gemach, wo ich keine menschliche Seele erblickte; denn Speise und Trank reichten sie mir durch eine enge Öffnung der Tür.«

Hier schoß ein Strahl wilden Triumphes aus den Augen Faustas.

»Wer hat mich je gehalten?« rief sie. »Zersprengt habe ich Ketten und Bande!«

Der Strahl war wieder erloschen, und in tiefer Zerknirschung fuhr die Maid fort:

»Tage, Wochen und Monden vergingen mir in Jammer und Elend. Wahnsinnig sei ich, hatte man den Nonnen gesagt, und es kam immer nur eine vorsichtige Hand durch die Klappe meiner Kerkertür, mir die hölzerne Schüssel und den irdenen Krug hineinzureichen. Hager und runzlig war diese Hand bis zu einem glücklichen Tage. Heil sei der Stunde, wo eine andere Hand, klein und weich gleich der meinigen hier mir Speise und Trank zuschob! Diese kleine, weiche Hand habe ich gefaßt und festgehalten, und sie hat mir geholfen und sich selbst auch. Nun schlug ein armes, mitleidiges Herz vor den Riegeln meines Gefängnisses, und dieses arme Herz war auch gefesselt und gefangen und härmte sich ab nach einem andern Herzen, welches draußen vor den Mauern des Klosters in Liebe für es klopfte. Pläne der Befreiung beredeten wir miteinander, bis die Stunde günstig war. Es war eine dunkle Sturmesnacht, im Walde harrte ein junger Reiter mit zwei ledigen Pferden, und die Riegel unseres Kerkers öffneten sich. Wir ritten die Sturmesnacht durch und den Tag auch. In Männerkleidung waren wir beiden Frauen. Meine Begleiter jagten stets so dicht als möglich nebeneinander her, und der junge Reiter küßte oft und heiß die kleine weiße Hand, welche die Schlösser meines und ihres Gefängnisses geöffnet hatte. Und wieder kam eine finstere Nacht, da hatten wir das katholische Land durchritten, und noch immer hatten wir die Verfolger dicht hinter uns. Da hörten wir das Rauschen eines Flusses in der Finsternis, und unser Schützer sagte: drüben finge das Reich der Ketzer an und drüben liege die Rettung, Schon vernahm unser Ohr wiederum den Hufschlag der Rosse unserer Verfolger, und wir befahlen unsere Seelen Gott und trieben unsere Pferde in das schwarze, rauschende Wasser. Über uns stand das Feuerzeichen Gottes, der große, erschreckliche Komet, und drohete furchtbarlich herab. Da hat die Flut meine Begleiter fortgerissen, und sie sind umgekommen, mir aber hatte das Wasser nichts getan, und auch die Kugeln der Feinde, welche dieselben vom Ufer auf uns abschossen, sind über meinem Haupte weggegangen. Der Herr hat die Unschuldige beschützt –«

»Du lästerst Gott, Fausta La Tedesca!« rief Simone der Arzt; aber der Graf von Pyrmont stampfte mit dem Fuße auf:

»Schweigt, schweigt Ihr! – Redet weiter, Fausta!«

»Der Herr hat die Unschuldige geschützt; ungefährdet hab ich mich mit meinem Rosse an das Ufer gerettet; aber lang hab ich darauf krank gelegen in einer Hütte armer Bauern. Als ich mich wieder erheben konnte von meinem Schmerzenslager, hörte ich von dem Wunder, das sich begeben hatte – von dem Wunderbronn, welcher alles Weh und alles Gedächtnis von Weh wegspülen könne –«

»Verflucht ist der Quell, aus welchem du trinkst!« rief Simone Spada.

»Stopft ihm den Mund, ihr Knechte, wenn er nicht schweigen will!« rief wütend Philipp von Spiegelberg, und die Reisigen zogen den Arzt weiter aus dem Kreise fort.

»Lasset ihn reden«, sagte Fausta, »mein Ohr und Herz sind verschlossen gegen das, was er sagt.«

»Fahret fort, Fremde«, ließ sich Frau Hedwig von Brandenburg vernehmen.

»Ich hatte weder Geld noch Schmuck; aber das gute Roß, welches mich aus dem Kloster und Gefängnis errettet, welches mich durch den wilden Fluß getragen hatte, stand noch in dem Stalle des Bauern, der mich aufgenommen hatte. Das Roß hab ich verkauft und mit Tränen Abschied von ihm genommen. Langsam bin ich zu Fuß weitergezogen all den einzelnen Wanderern und den Haufen nach, die von dem heiligen Bronnen gehört hatten und zu ihm wallfahrteten. Da hab ich den Fluß wieder gekreuzt und bin hier angekommen und habe den Simone wieder getroffen. Nun schützet, schützet mich vor ihm, Herr Graf! Bei Euerer Mutter beschwöre ich Euch, bei allem, was Euch am liebsten ist, lasset mich nicht wieder in seine Hände fallen!«

Schluchzend umfaßte die Flehende die Kniee des jungen Grafen; – es schluchzten Ursula und Walburg, es schluchzte die Kurfürstin von Brandenburg, alle Weiber im Volke schluchzten, während alle Männer wilde, drohende Blicke dem Arzt zuwarfen. Es wurde bereits nötig, daß die reisigen Knechte den Simone gegen die Wut des Volkes schützten. Im nächsten Augenblick konnte das drohende Unwetter über seinem Haupte losbrechen, und außer einigen Mönchen, denen die Erzählung der Fremden von ihrer Klosterflucht durchaus nicht gefallen hatte, gab es niemanden, der nicht mit Vergnügen die Fäuste erhoben hätte gegen den Arzt Simone Spada aus Bologna.

Mancherlei verworrene Gedanken bewegten den Geist des Grafen von Spiegelberg. Was sollte er tun? Was sollte er lassen?

Die peinlichen Warnungen des Fremden erschütterten ihn mächtiger, als er sich merken ließ; aber noch mächtiger erschütterte ihn das schöne, wimmernde Weib zu seinen Füßen. Einen Augenblick hatte er die Absicht, den Arzt in Fesseln werfen zu lassen; aber ein neuer Blick auf die edle, vornehme Gestalt des Fremden ließ ihn sogleich davon abstehen. Dann kam ihm der Gedanke, sowohl den Mann wie das schöne Weib von seinem Gebiete zu treiben; aber an der Ausführung dieses Gedankens hinderte ihn ein Blick auf die holde Flehende zu seinen Füßen. Er beschloß, dem Arzt Simone allein das Betreten der Grafschaft Pyrmont zu verbieten.

»Lasset den Mann frei; gebet ihm sein Schwert zurück!« rief er. »Er soll freien Raum haben zu gehen – öffnet ihm den Weg, und du, Klaus Eckenbrecher, folge ihm und führe ihn zur Grenze unserer Herrschaft. Hierher, ihr Knechte, geleitet die Maid zum Schloß, sie soll unter meinem Schutz stehen, bis wir nähere Erkundigungen über sie eingezogen haben.«

»Dank, Dank, gnädiger Herr!« rief Fausta La Tedesca.

Der Arzt aber richtete sich hoch auf.

»Herr Graf zu Pyrmont, das Verderben faßt Euch; in ihrer schönsten Gestalt nehmet Ihr die Sünde in Euer Haus auf. Vergeblich ist's, Euch zu warnen. – Ihr seid dem Verhängnis verfallen! Ich gehe nach Euerem Gebot – Paul, führe die Pferde herzu – Fluch, dreimal Fluch dir, Fausta La Tedesca!«

Der Arzt Simone Spada stieß sein Schwert, welches man ihm zurückgab, in die schwarze Sammetscheide zurück. Noch einmal wandte er sich gegen das Volk:

»Viel heilsame Kräfte hat der gütige Gott in diesem heiligen Quell verborgen; ich sage euch, wenn jene da aus diesem Born getrunken hat, so betet, betet – Männer, Frauen und Kinder betet, daß Gott ihm seine Kraft lasse. Wahrlich, sehr zweifle ich, ob es geschehen werde.«

Der zitternde Knabe Paul hatte das schwarze Roß herzugeführt und hielt nun seinem Herrn den Steigbügel. Sicher schwang dieser sich in den Sattel – die Menge teilte sich, und langsam ritt der Arzt von dannen, ohne sich weiter umzuschauen.

»Folge ihm, Klaus Eckenbrecher«, sprach der Graf, und der junge Reisige, ebenfalls zu Pferde, folgte dem Fremdlinge und wehrte das neugierige Volk mit Wort und Gewalt von ihm ab. Andere Knechte nahmen, ein wenig scheu, das junge Weib, über welches der Arzt so grausame Worte aussprach, nach ihres Herrn Befehl in ihre Mitte und geleiteten sie durch die Abenddämmerung über den heiligen Anger dem Schlosse zu.

Philipp von Spiegelberg starrte ihr wie versunken in tiefem Traum nach, so daß Frau Hedwig von Brandenburg fast Gewalt anwenden mußte, um ihren jungen Wirt wieder zurückzuziehen in das Leben und die Gegenwart. Die gute Dame, sowie auch die Schwestern Ursula und Walburg waren freilich durch den abenteuerlichen Vorfall ebenso verstört und verwirrt wie der Graf; aber die Nacht brach bereits langsam herein, das Gras wurde taufeucht, kalte Füße bekam die Kurfürstin – alles drängte die Bewohner des Schlosses, des eigentlichen Zweckes ihres Zuges zu gedenken.

Man tat also.

Mit großer Feierlichkeit wurde die Anschlagung der Brunnengesetze an die große Linde vorgenommen und dem Rektor Huddäus das Kränzlein der Ehren aufgesetzt. Die ganze vornehme Gesellschaft trank einen Becher von dem heilsamen Quell, die Trompeter bliesen ein lustiges Stücklein, und alles Volk schaute zu und rief Vivat. Aber es lag schwer auf jedem Gemüte außer auf dem des Rektors Hermann Huddäus, welcher jeglichen Tropfen aus dem Becher des Ruhmes, der ihm floß, mit Wollust einschlürfte und innerlich ein Io triumpho über das andere rief. Das allein bedauerte der Gute, daß seine Kollegen Studtius und Bone, daß die ganze Lateinschule zu Minden, samt Herrn Philippus Schwarzerd, der Universität Wittenberg und dem übrigen Universum nicht Zeugen waren – Augen- und Ohrenzeugen – der Ehren, so ihm widerfuhren, und der Lobreden, so ihm mit spitziger Zunge und Lippen zulispelte Frau Hedwig, die Kurfürstin von Brandenburg, geborene Prinzessin in Polackien.

Aber wie aller Jubel und jedes Hallo auf Erden, so kam auch diese Freudenstunde zu ihrem Ende. In langer Reihe zogen durch die dunkelnde Nacht durch Feuerglanz und Fackelschein und Mondenlicht die hochgeborenen und niedriggeborenen Bewohner des Schlosses Pyrmont zu Fuß und zu Roß heim zum Nachtmahl. Der Rektor Huddäus wurde von der Brunnenlinde, in dem Lehnstuhl sitzend, auf dem kürzesten Wege in sein Losament zu Oestorf zurückgetragen. Müde und zerschlagen an allen Gliedern kam er daselbst vor seinem Bauernhause an, und tat ihm dieser Abend an seiner Kur einen großen Schaden, welcher nur durch die innere geistige Befriedigung aufgewogen werden konnte. –

Unterdessen geleitete unser Freund Klaus Eckenbrecher den Arzt Simone Spada nach seines Herrn, des Grafen, Befehl bis an den östlichen Grenzstein der Grafschaft, indem er neben dem Knaben Paul, welchen er, jedoch vergeblich, in ein Gespräch zu verwickeln strebte, einhertrabte. Bald hatten sie den heiligen Bronnen, die Feuer, Zelte, Hütten und das Dorf Oestorf hinter sich gelassen, und die stille abendliche Einsamkeit des Waldes am Königsberge nahm sie auf. Nur dumpf und verworren klang aus der Ferne der Tumult des menschenvollen Tales an ihr Ohr, und in der Stille der Sommernacht fand der italische Arzt allgemach das Gleichgewicht seiner Seele wieder, obgleich es noch oft genug wild in ihm aufkochte und unwillkürliche Ausrufe des Schmerzes und des Zornes sich seiner Brust entrangen.

Solange es noch hell genug dazu war, hatte er im Reiten mit einem Stift ein Blättlein Papier aus seiner Brieftafel beschrieben. Dann hatte er es mit der Brieftafel wieder in seine Brusttasche versenkt.

Rund und voll stieg der Mond über den Bergen hervor; auf den wolkenlosen Tag folgte eine ebenso wolkenlose Nacht. Kein Blatt am Baum, kein Grashalm regte sich, und lange Zeit wurde es kaum kühler auf den heißen Tag.

Die Emmer rauschte aber munter zur rechten Seite der drei Reiter, und endlich, endlich strich ein erfrischender Luftzug durch den vom Hohen Stoll und Pinberg sich herabsenkenden Wald.

Der Arzt Simone riß die Brustknöpfe seines Gewandes auf und atmete schwer und tief;

»Fausta La Tedesca!« flüsterte er. »Fausta wieder unter den Lebendigen?! Fausta wieder auferstanden aus dem Grabe! O das Verhängnis, das Verhängnis!« –

Unter dem Büsseberg, wo die schauerigen Felsen dicht am Wege und dem Emmerfluß emporragen, stand der alte, bemooste Grenzstein, bis zu welchem der Spiegelbergsche Reisige den welschen Arzt und seinen Diener zu geleiten hatte. An dieser Stelle hielt Klaus sein Roß an und nahm ganz höflich Abschied von den Fremden, um sie ihren Weg allein ziehen zu lassen.

»Fahret wohl«, rief er, »und was ich bitten wollt, jaget uns doch, wenn Euch Euer Weg hier wieder durchführen sollte, nicht wieder solch einen grausamen Schrecken ein. Übrigens, im Vertrauen gesagt, ich traue Euerm ehrlichen Gesicht doch mehr als dem wunderschönen Weibsbild, deren richtige Geschichte Euer Knab mir nicht anvertrauen wollt.«

»Möge ich nimmer hier wieder durchkommen!« sprach der Arzt, finster lächelnd. Er nahm seine Brieftasche heraus, zog das beschriebene Blatt hervor, faltete es zusammen und schrieb in einem Mondenstrahl die Adresse darauf. Darauf reichte er es dem Klaus und fuhr fort:

»Hier nehmet diesen Brief und bringet ihn Eurem Herrn, dem Grafen zu Pyrmont. Und zum Dank für Euer gutes Geleit haltet Eure Hand auf.«

Klaus Eckenbrecher nahm sowohl den Brief des Fremden als auch die beiden Goldstücke, welche dieser ihm mit in die Hand fallen ließ.

»Ich danke Euch und will Euch noch eine gute Meinung mit auf den Weg geben: Lockert Euer Schwert in der Scheide und lasset Euern Knaben nach seinem Feuerrohr sehen; es streicht jetzo viel böses Gesindel auf den Wegen umher und geht des Nachts auf Raub aus. Gute Nacht und glückliche Fahrt!«

Für den Italiener schien der Klaus mit seinem Dank und guten Rat gar nicht mehr in der Welt zu sein; seinem jungen Diener rief er zu:

»Via, Via, Paul! Fort, mein Sohn! Schüttle den Staub von deinen Füßen und vorwärts – vorwärts! Diese Luft erstickt mich!«

Im Galopp jagten beide weiter.

Kopfschüttelnd blickte Klaus Eckenbrecher den Davoneilenden nach, bis sie in dem Gewirr von Licht und Schatten, welches der Wald über die Straße legte, verschwunden waren. Dann wandte er sein Roß, ließ einen hellen Pfiff vernehmen, ließ die beiden empfangenen Goldstücke in der hohlen Hand aneinanderklingen und setzte mit einem lauten Jubelruf seinem Schecken die Sporen in die Weichen. Heimwärts galoppierte auch er durch die wunderschöne Mondscheinnacht. – Als er sich dem Dorfe Löwenhausen näherte, ließ er sein Pferd allgemach langsamer gehen und zog die Zügel zuletzt ganz an. Seitwärts beugte er sich und horchte; denn zu seiner Linken erscholl von einem Waldwege her ein Gesang. Klaus glaubte den Sänger an der Stimme zu erkennen, und er irrte sich auch nicht. Näher und näher kamen die Töne.

»Er ist es!« rief Klaus Eckenbrecher.

Jetzt vernahm man auch ein Rauschen und Brechen der Zweige, und endlich trat aus dem Dickicht hervor in den bleichen Mondschein, welcher auf der Landstraße lag, einer jener fahrenden Leute damaliger Zeit – Kaspar Wicht, der Spielmann, mit Wanderstab, Fiedel und Bettelsack, am grauen Filzhut eine hohe, schwankende Hahnenfeder über einem Strauß von Waldblumen.

Gar nicht übel klang seine Weise durch die stille Nacht, und Klaus Eckenbrecher, herzlich erfreut über das Zusammentreffen, fiel hell mit ein in das Lied des Wichtelkaspars:

»Am Tage Sankt Johannis
Wie lag die Welt in Sonne!
Am Tage Sankt Johannis
Wie schlug mein Herz in Wonne!

Es zog ein fröhlich Klingen
Wohl über die grüne Heide:
Schön Lieb mit hellem Singen
Schritt her im Festtagskleide.

Sie hielt ein schwarzes Büchel
Voll goldner, frommer Lieder,
Dazu ein weißes Tüchel
Gefaltet vor dem Mieder.

Ringsum die Blumenglocken
Aus Näh und Ferne grüßten
Rot Röslein in den Locken,
Weiß Röslein vor den Brüsten.

O selig Sommerleben!
Rot Röslein raubt ich lose;
Drauf hat sie mir gegeben
Auch noch die weiße Rose!«

»Juhu!« jubelte der Sänger und schritt jetzt dicht an das Roß des Spiegelbergischen Reiters heran, und Reiter und Fiedelmann wiederholten jauchzend den ersten Vers:

»Am Tage Sankt Johannis
Wie lag die Welt in Sonne!
Am Tage Sankt Johannis
Wie schlug mein Herz in Wonne!«

Damit brachten sie das Lied glücklich zu Ende und boten sich darauf die Zeit.

»Nun, Alter, wie geht's? Wie fährt die Welt mit Euch?«

»Nicht allzu säuberlich«, lachte der Sänger. »Von mir mag's auch heißen, was von dem schwarzen Galgenvogel gesagt wird:

's ist noch kein Rabe Hungers storben,
Obgleich sein Sang nicht viel erworben!«

»Woher treibt Euch denn wieder einmal der Wind, Kaspar?«

»Immer aus dem Guten ins Bessere – vom Knüppelwege auf die Landstraße und von der Landstraße auf den Pferderücken. Willst du stehen, Mähre? Fürchtest auch wohl, daß dir meine alten Knochen und mein leerer Magen und Zwerchsack zu schwer sein könnten? Brr, brr, steh, Schecke! Keine Bange!«

Damit schwang sich der Fiedler trotz seinem ziemlich hohen Alter rüstig hinter dem lachenden Klaus auf den Gaul und rückte seine lange, klapperdürre Gestalt behaglich auf dem gewonnenen Sitze zurecht.

»Nun kann's mit Gottes Hülfe losgehen, Reiterlein. Trab, faules Vieh, sie brauchen den Wichtelkaspar heut nacht noch zu Oestorf in der Schenke zum letzten Heller. Ein hübsch Mädel hättet Ihr wohl lieber als mich hinter Euch sitzen, Klaus? Na, will's Euch nicht alsosehr verdenken; aber für dieses Mal müsset Ihr doch mit mir vorlieb nehmen.«

Klaus Eckenbrecher ließ einen dicken Seufzer vernehmen; wirklich war ihm der Gedanke gekommen: wie viel hübscher es sein würde, wenn er statt mit dem Geiger mit der holden Monika Fichtner aus Holzminden so durch die Mondscheinnacht traben könne, gleich dem Ritter Peter mit dem goldenen Schlüssel und der schönen Magelone.

»Ach, Monika!« seufzte der Reiter, hütete sich jedoch wohl, nach seiner Meinung, daß der Geiger den Namen verstand. Dieser verstand ihn aber doch, wiederholte ihn spottend und schlang zärtlich die Arme um den Reisigen, um nicht zu fallen. Dann stimmte er ein neues Lied an von Scheiden, Meiden und Sehnsucht, welches dem Erzähler verlorengegangen, jedenfalls aber in des Knaben Wunderhorn zu finden ist. –

So trabten Reiter und Sänger durch den Wald und später durch das Dorf Löwenhausen. Vor der Schenke zum letzten Heller in Oestorf setzte der Reiter den Geiger ab. Mit gewaltigem Hussa und Jubel wurde der Wichtelkaspar von den anwesenden Reisigen und Knechten des Grafen Philipp, sowie dem andern nachtschwärmenden Volke begrüßt, und von allen Seiten wurde dem Eckenbrecher aufs Pferd zugetrunken.

»Haltet mir einen Platz frei, ich komme wieder, wenn es angeht«, rief der junge Reiter, welcher nach den beiden Goldstücken des italienischen Arztes, die in seiner Gürteltasche klingelten, griff. Zu schnellerm Lauf trieb er sein schnaufendes Pferd an.

Auf dem heiligen Anger war noch großes Getümmel und Gelärm, und die nächtlichen Schatten verhüllten manche Szenen, welche im Schein des Tageslichts Entsetzen und Widerwillen erregt hätten. Um die Feuer tanzten trunkene Haufen – es war, als ob die Fieberphantasien sämtlicher Kranken unter den Zelten und Laubhütten, zu einem tollen Ganzen zusammenfließend, sich verkörperten – ein Anblick, der einem Höllen-Breughel die Tragweite seines Talentes klarmachen konnte!

Ohne sich aufzuhalten, ritt Klaus Eckenbrecher quer durch den Hexensabbat über die Zugbrücke in das Schloß Pyrmont ein. Er wurde sogleich zum Grafen beschieden.

In seinem Gemache schritt dieser auf und ab, die Hände auf dem Rücken, das Haupt zur Brust hinabgesenkt. Sein großer Wolfshund folgte ihm aus einem Winkel des Zimmers fortwährend mit den klugen Augen und schien im geheimen seine Glossen über die seltene Nachdenklichkeit seines Herrn zu machen.

Seltsam erregt und unruhig war Philipp von Spiegelberg von dem Zuge zur Brunnenlinde heimgekommen. Das Bild der Fremden, welche jetzt mit ihm unter einem Dache sich befand, kam ihm nicht aus dem Sinne. Anfangs strebte er, es zu verscheuchen, aber bald gab er solche vergeblichen Versuche auf. Mit Leib und Seele gab er sich dem Zauber hin, welcher immer fester und unlösbarer seine magischen Bande um ihn schlang. Dazwischen tönten fort und fort die erschütternden Warnungen des Arztes Simone in sein Ohr. Unheimlich war dem Grafen von Pyrmont zumute, und unwillkürlich schreckte er jedesmal zusammen, wenn im dumpfen Getöse des Volkes auf dem heiligen Anger ein durchdringender, gellender Schrei wilder Lust aufklang.

Mit Eifer und mit Grauen nahm er das Schreiben des Arztes aus den Händen des Reiters und trat damit an die trübe Lampe, welche auf der Eichentafel in der Mitte des Gemaches brannte.

So lautete der Brief, den der Doktor Spada aus Bologna an Herrn Philipp von Spiegelberg schrieb:

»Wohlgeborener und edler Herr Graf!

Noch einmal warne ich Euch! Es ist vor alten Zeiten in meiner Vaterstadt Bononia eine Jungfrau gewesen, anzuschauen gleich einem Engel Gottes. Sie hat viel Unheil angerichtet und Verderben gebracht über alle, welche ihr naheten. Alle, die ihr naheten, bezauberte sie mit dem Blick ihrer Augen, mit dem Klang ihrer Stimme; sie mußten ihr folgen, und ihre Pfade gingen hinab in den Tod. Es ist eine alte Sage, daß diese Jungfrau starb, aber nach ihrem Tode noch jahrelang umging in der Welt und wanderte von Ort zu Ort, von Land zu Land, nicht anders, als ob sie noch lebte. Sie war eine Lautenschlägerin, und auf vielen Reihen hat man sie des Spielwerks pflegen sehen, und alt und jung hat sich ihrer Schöne gefreut, obgleich sie eigentlich tot war. Endlich aber hat einmal während eines wilden Gelags, als jede Stirn mit Rosen bekränzet war und jedes Herz in toller Lust höher schlug, jemand im höchsten Schrecken auf die gegenwärtige Jungfrau gewiesen und ausgerufen: die bleiche Jungfrau sei tot! ... Und wie er das gerufen, da ist ein jähes Entsetzen durch die wilde Freude gefahren, und die bleiche Jungfrau ist niedergefallen und Staub und Asche geworden! ...

Herr Graf zu Pyrmont, hütet Euch vor der toten, bleichen Jungfrau, welche Ihr unter das Dach Eures Hauses genommen habt. Ihr wisset, wen ich meine! Noch wandert das Gespenst, und feurig ist der Glanz seiner Augen, und weiß ist's und holdselig, und sanft ist seine Stimme, welche die Menschen betört. Hütet Euch, Herr Graf zu Pyrmont, die bleiche Jungfrau ist doch tot, und wenn das Schreckenswort ausgesprochen wird, so wird sie niederfallen zur Erde und ein Häuflein verwester Knochen und Asche sein.

Haltet Euere Augen offen, Herr Graf! Hütet Euch! Hütet Euch!

Simone Spada aus Bologna.«

Der Graf ließ den Brief des italienischen Arztes sinken und starrte einige Minuten lang seinen Reiter an, welcher noch immer an der Tür auf weitere Fragen und Befehle harrte. Dann winkte er ihm stumm, sich zu entfernen, und sank, nachdem die Tür sich hinter dem Klaus geschlossen hatte, in seinen Lehnsessel und blieb ganz gegen seine sonstige Gewohnheit ruhig und allein sitzen bis tief in die Nacht. Selbst den geleerten Becher ließ er nicht wieder füllen – ein bedeutendes, klares Zeichen, daß mancherlei in seinem Innern nicht in Ordnung sein mußte.

Bis tief in die Nacht, ja, bis in die Morgendämmerung hinein saß auch Klaus Eckenbrecher, aber nicht bewegungslos, nicht vor leerem Becher zu Oestorf in der Schenke zum letzten Heller. Wohl sagt man, daß der Pfennig hundert Wege habe; warum sollten zwei spanische Kronen nicht auch ein Wegelein finden, welches aus der Tasche ihres Besitzers herausführte und in die Tasche des Schenkenwirtes hinein?

Führte nicht der Wirt zum letzten Heller, Martin Rosenhagen, einen Wein, nach welchem ein Erzengel alle zehn Finger lecken konnte?

Wußte etwa der Klaus noch nicht, was eine Reiterkehle und ein Reiterdurst sei?

Die beiden Goldstücke mit dem Bildnisse des Königs Philipp des Zweiten von Hispanien gingen vollständig drauf zwischen dem ersten Wächterruf und dem dritten Hahnenschrei zur unendlichen Qual und allergrößestem Mißmut des Rektors Hermannus Huddäus, welchen der Gesang, Lärm und Streit der Reisigen und der Landstreicher die ganze liebe, lange Nacht hindurch zu keinem ruhigen Schlaf kommen ließ.

Die ganze Nacht hindurch trank Klaus Eckenbrecher samt dem Fiedelkaspar und der andern wüsten Kompanei auf das Wohl der holden Monika Fichtner zu Holzminden, auf das Wohl des ganzen hochgräflichen Hauses von Spiegelberg und Pyrmont, auf das Wohl des welschen Arztes Simone Spada aus Bologna – kurz auf jedes beliebige Wohl, welches mit irgendeinem Schein von Berechtigung getrunken werden konnte.

Und jegliches Gläserklirren und Hochgeschrei ging dem Rektor Huddäus schrill durch die Seele. Er wand sich auf seinem heißen Lager gleich einer armen Seele im Höllenfeuer, wenn eben neues Öl in die Bratpfannen gegossen wird.

»O gerechter Gott, und jetzt fängt der gräßliche Gesang auch wieder an!« stöhnte der Rektor, und – Kaspar Wicht begann ein neues Lied, in dessen Schlußreim der ganze Chorus sämtlicher Nachtschwärmer einstimmte.

Gegen drei Uhr morgens ließ das Getöse ein wenig nach; zwei Drittel der Gesellschaft im »letzten Heller« schliefen unter dem Tische ihren Rausch aus, und das letzte Drittel strengte die heiseren Kehlen vergeblich an, um den Ausfall solcher Kräfte durch verdoppelte Anstrengung zu ersetzen.

»Gottlob, bald müssen sie sich die Seele aus dem Halse gebrüllt haben!« ächzte der Rektor, die Nachtmütze über die klingenden Ohren ziehend.

Wie schön hätte der Arme von den Ehren des gestrigen Tages träumen können, wenn das Schicksal es gewollt hätte!

Gegen vier Uhr morgens erst kehrte Klaus Eckenbrecher Arm in Arm mit dem Falkenierer des Grafen ein wenig schwankend und stolpernd heim in das Schloß, und beide wackere Gesellen sangen mit unsicherer Stimme ein Lied, dessen Endreime, soweit sie zwischen Stolpern, Fluchen, Seufzen und Schluchzen verständlich waren, lauteten:

»Ein Reiter hat dies Lied gemacht
Seiner Herzallerliebsten zur guten Nacht
Bei Pyremunt am Borne!
In Liebespein und Sorgen
Ist er gewest versunken;
Er hat sein Leid vertrunken
Bis an den hellen Morgen,
Ha, Morgen!«

Im magischen, bleichen Mondenschein tanzte jeglich Ding rund um die beiden guten Gesellen, und beide waren vollständig in jener seligen Stimmung befangen, in welcher man die ganze Welt mit Sonne, Mond und Sternen, allen hübschen Mädchen und allen tapfern Knaben liebevoll an sein Herz drücken möchte. Es konnte dem Klaus aber nur lieb sein, daß ihn Ehrn Valentin Fichtnerus, der Pastor von Holzminden, nicht in solchem höchst lobenswerten Zustande belauschte und daß der alte Magister nicht Zeuge davon war, wie er – der Eckenbrecher – in allerlei Fährlichkeiten und Kämpfe mit Hunden, erbosten Weibern und aufgestörten Schläfern von jedem Alter und jedem Geschlecht geriet. Der ehrwürdige Herr würde jedenfalls bedeutend den Kopf geschüttelt und der armen, kleinen Monika eine lange, wohlgesetzte Strafrede gehalten haben ob der leichtsinnigen und unbedachten Verschleuderung ihres Herzchens an einen solchen bodenlosen Hans Hasenfuß, Hans Dampf, Hans Wurst, Hans Liederlich und Hans in allen Gassen. Aber das ist ja das alte, ewig von vorn anfangende Lied, daß die Alten nie mehr wissen, wie den Jungen zumute ist, wenn sie einem allzu vernünftigen und widerspenstigen Nachtwächter begegnen, nachdem sie einen allzu großen Durst allzu eifrig gelöscht haben!

Gegen fünf Uhr schlief Klaus Eckenbrecher im Stall auf dem Stroh neben seinem Schecken den Schlaf der Gerechten, nachdem er als ein kluger Jüngling vorher noch durch eine Sturmhaube voll kühlen Wassers aus dem Schloßbrunnen die innerliche Hitze seines Leibes gesänftigt hatte.


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