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Ihr blieb Zeit genug, sich des Besitzes der wohlerworbenen Tugend zu erfreuen. In der Stille und Ruhe des Landlebens vergingen ihre letzten Jahre ohne erhebliche Erlebnisse, aber auch ohne Aufregungen.

Eines schönen Sommernachmittags – zehn Jahre, nachdem sie ihr Amt als Äbtissin angetreten hatte – fand man sie tot auf einem der Wege im Park ihres Schlosses. Man sagt – – –

Aber – was sagt man nicht alles beim Tode einer Berühmtheit!? Mit rechten Dingen geht's dabei ja niemals zu.

Eine getreue Schilderung der letzten Todesminute müßte zum mindesten die bekannte Pendüle vorführen, die gerade, als sie starb, stehenblieb – einige »letzte Worte« prägen, oder meinetwegen auch, nach Art der beliebten mittelalterlichen Darstellung, zeigen, wie Leib und Seele voneinander scheiden und nicht nur die Engel Gottes, sondern auch die Teufel dabei fleißig sind!

Angenommen, sie hätte dabei getanzt – sie hätte beim letzten Spaziergang im Park zu dem vom Sonnenuntergang rosig gefärbten Himmel emporgeblickt, und hoch oben, wie Sommerblüten in den Wolken, alle die seligen Gestalten Correggios gesehen, die ihr winkten und sie zu sich hinaufriefen, wie damals in ihrer Kindheit im Dome zu Parma! Und Psyche wäre der Abstieg geglückt, die Todeszuckungen ihrer sterblichen Hülle hätten sich in eine Art Tarantella umgesetzt! Schauerlich schön, wenn auch grotesk, wäre es ja, hier darzustellen, wie die alte Matrone plötzlich angefangen hätte, draußen in der Abenddämmerung zu tanzen, die Arme hoch gen Himmel gestreckt, so daß die Enden der grauen Schleier sich wie riesengroße Flügel ausgebreitet hätten. Dann ein Hin- und Herflattern hinter den Gebüschen, wie wenn ein zu Tode getroffener Riesenvogel noch mit dem Element kämpft, das ihn bis jetzt willig trug, und sich mit Aufbietung seiner letzten Kraft müht, aufwärts zu kommen, ehe er für immer kraftlos zur Erde sinkt und erstarrt ...

Hinauf zu wollen, aber unten bleiben zu müssen – das ist auch in der Todesminute der Tanz des Lebens. Über Höhen, durch Niederungen führt er zum Gipfel des Glücks und wieder hinab zur bitteren Entsagung, im Rausch der Bewegung hier wie dort, niemals aber zu voller Befriedigung des innewohnenden Dranges. Bis der Tanz für immer aus ist. Da gelingt der Abflug. Und unten bleibt, was an den Boden fesselte, sinkt in den Staub und zerfällt, bis kaum noch die Erinnerung dessen übrigbleibt, was war.

Fährt dann der Wind des Lebens darüber hinweg, dann kann es sein, daß er den Staub der Vergangenheit zum Tanz aufwirbelt und ihn wieder zu Gebilden fügt, die der suchenden Ahnung das längst Verblichene, im Spiel der Phantasie, vorgaukeln und es zu neuem Leben erwecken.

Über den Tod hinaus zu wollen, hieße denn – die Erzählung wieder von vorn anfangen. Da schließt sich also der Ring des Geschehens.


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