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12

Der Prinz von Carignan saß in seinem Kabinett und ließ sich von seinem Sekretär Vortrag halten. Seine Stirn war gefurcht, die Haut gelb von der übergetretenen Galle, die Augen blickten trübe.

Die Spielbank ging schlecht. Der Pächter lieferte keine Überschüsse ab. Die Oper spielte vor leeren Häusern. In der Theaterkasse war kein Sou zu finden. Paris war in Aufruhr. Die feine Welt revoltierte gegen das Regiment des Theatergewaltigen. Sein Thron wankte.

Fast zu gleicher Zeit hatte er drei seiner leuchtendsten Sterne verloren. Die Camargo war ihm mit einem Verehrer durchgegangen. Madame Sallé, erzürnt wegen ihrer Zurücksetzung zugunsten Barberinas in Fontainebleau, hatte ihm ihr Abschiedsgesuch, und zwar durch einen Gerichtsbeamten, zustellen lassen.

Was ihm noch blieb, war nicht zugkräftig genug.

Hätte er wenigstens die Barberina, dann wäre der Verlust der anderen zu verschmerzen! Aber die war immer noch krank und weigerte sich aufzutreten.

»Noch immer keine Besserung?« fragte er betrübt den Sekretär.

»Leider nicht! Wir haben ihr aber ein unfehlbares Heilmittel verabreichen lassen! Der Befehl, nächste Woche in Versailles zu tanzen, ist ihr gestern zugegangen! Das wird sicher helfen!«

»Und wenn sie sich weigert?«

»Sie wird sich hüten!«

»Du kennst sie eben nicht! Sie ist launenhaft und rachsüchtig. Sie wird mich sicher in Verlegenheit bringen wollen! Mir ahnt nichts Gutes! – – Wir können aber nicht unsere Position durch ihre Launen erschüttern lassen! Der König würde mir einen Ungehorsam gegen seinen Befehl niemals vergeben! Es wäre die sichere Ungnade! Sie muß in Versailles tanzen und wenn die Welt darob zugrunde gehen müßte! Wir müssen sie versöhnen!«

»Wie gedenken Eure Hoheit das zu tun?«

»Geschenke! – Geld! – – Das vermag alles!«

»Wir haben kein Geld!«

»Wir haben unseren Schmuck – wir haben unsere Gemäldegalerie!«

»Hoheit wollen sich von den Schätzen der Galerie trennen?«

»Wenn wir sterben, müssen wir es sowieso! – Und ich ziehe den Tod der königlichen Ungnade vor! Du sollst die Gemälde zu Geld machen!«

»Zu Befehl!«

»Den Erlös schickst du ihr! Auch das Gespann und die Equipage! Und schreibe ihr, ich bedauerte den Vorfall von neulich! Die Aufregung, in der ich mich befand, war ja nur zu erklärlich! Ich will aber darüber hinweggehen und ihr wieder die Rente auszahlen lassen! Noch heute vormittag muß alles erledigt sein! Morgen hältst du mir Vortrag darüber!«

Der Sekretär eilte, die Befehle auszuführen. Der Prinz ließ sich in den Garten hinaustragen und gab Befehl, den ganzen Vormittag niemand vorzulassen außer Signore Fossano, den er zu sich befohlen hatte.

Fossano kam. Er sah nicht ohne Genugtuung die Spuren der Verheerung, die die Aufregung bei seinem erlauchten Nebenbuhler hinterlassen hatte.

»Sie haben mich da in eine schöne Situation gebracht, mein Lieber!« sagte der Prinz leicht vorwurfsvoll. »Man ist derartigen Gemütserschütterungen nicht mehr gewachsen! Sie sind auch schwer mit dem guten Ton vereinbar! Dergleichen geht man am besten aus dem Wege! – Sie hatten es aber so schlecht arrangiert, daß wir es nicht mehr konnten!«

»Geruhen denn Eure Hoheit einzusehen, daß auch ich in eine derartige Aufregung versetzt werden konnte? Und daß es mir dadurch unmöglich gemacht wurde, so gut zu tanzen wie sonst?«

»Wenn das der Zweck Ihrer Demonstration war, so haben Sie ihn erreicht!«

»Eure Hoheit wollen also auch glauben, daß ich jene Schwäche niedergekämpft habe und jetzt ganz wieder der alte bin?«

»Keinesfalls! Wer einmal den Kopf verliert – –«

»Der nimmt sich ein anderes Mal in acht, wenn er in dieselbe Situation kommt! – Wollen Eure Hoheit mich auf die Probe stellen?«

»Ich kann Sie unmöglich wieder bei Hofe tanzen lassen!«

»Trotzdem wage ich, darauf zu bestehen! Jetzt eben bin ich es meiner Reputation schuldig, dort zu zeigen, was ich kann! Sonst ist's um meine Karriere geschehen!«

»Das interessiert uns nicht! Sie müssen für sich selbst sorgen! Sie waren eben schlecht! Warum haben Sie nicht besser getanzt?! Sie müssen die Folgen tragen!«

»Das werde ich auch tun! Eure Hoheit können aber versichert sein – wenn ich nicht in Versailles tanze, dann wird es Barberina auch nicht tun!«

Carignan richtete sich im Sessel auf.

»Ach, sieh nur! Sie drohen uns gar! Ja, sagen Sie einmal, haben Sie sich denn mit ihr versöhnt?«

»Weit entfernt!«

»Dann will ich Ihnen etwas sagen! Sie hat mir in Fontainebleau kategorisch erklärt, daß sie nie wieder mit Ihnen tanzen wird!«

»Das weiß ich! Sie soll es aber tun! Sie wird mit mir tanzen oder überhaupt nie wieder auftreten!«

»Sie planen doch keinen Anschlag auf sie?«

»Hoheit können unbesorgt sein!«

»Wie wollen Sie's denn bewirken?«

»Ich brauche gar nichts zu tun!«

»Ich verstehe Sie nicht!«

»Wenn ich spreche, werden Hoheit verstehen!«

»Also sprechen Sie!«

»Wenn ich spreche, wird sie tanzen! Wenn ich schweige, tanzt sie nicht!«

»So sprechen Sie doch!«

»Erst muß ich die Zusage Eurer Hoheit haben, in Versailles tanzen zu dürfen!«

»Unmöglich!«

»Hoheit werden es bereuen! Barberina tanzt nicht – das bedeutet den Zorn des Königs wegen Nichterfüllung seines Befehls! Aber Hoheit wissen das ebensogut wie ich!«

»Also reden Sie!«

»Hoheit kennen die Bedingung!«

»Mein Gott, Sie eigensinniger Mensch! Wenn's durchaus sein muß – meinetwegen können Sie gern tanzen!«

»Das Ehrenwort Eurer Hoheit!«

»Sie werden dreist!«

»Was ich weiß, rechtfertigt die Dreistigkeit!«

»Nun denn, Sie haben mein Ehrenwort! Aber Sie müssen sich gut halten! Die richtigen höfischen Pirouetten! Keine Seitensprünge wie das letztemal! Ich bitte mir das aus!«

»Hoheit können sich auf mich verlassen!«

»Schön! Und jetzt reden Sie!«

»Barberina hat mit Mylord Arundel ausgemacht, in der allernächsten Zeit Paris zu verlassen und nach London zu gehen!«

»Sie fabeln!«

»Heute früh ist der Diener des Lords nach Calais geritten, mit dem Befehl, überall Postpferde zu bestellen! Von morgen ab liegt ein Kutter zur Überfahrt nach Dover bereit!«

»Wir werden das zu verhindern wissen! Übrigens wird sie jetzt schon anderen Sinnes sein!«

»Hoheit meinen?«

»Ich habe guten Grund, es mit Bestimmtheit anzunehmen!« sagte Carignan, mit einem schmerzhaften Seufzer an die Opfer denkend, die er dafür bringen mußte. »Warten Sie's nur ab! Sie werden sehen! Ich verstehe es, Widerspenstige zu zähmen. Adieu, mein Lieber! Es bleibt bei unserer Verabredung! Aber – wie gesagt – die richtigen Pirouetten! – Keine Extempores! Keine Extravaganzen!«

Fossano ging.

Der Sekretär kehrte wieder mit der betrübenden Nachricht, daß die Barberina sich weigere, ihn zu empfangen. Sie wolle von Seiner Hoheit nichts wissen, keine Botschaft in Empfang nehmen – kurz, ihm war in der schnödesten Weise die Tür gezeigt worden.

Carignan raste. Aber es half nichts! Er mußte in den sauren Apfel beißen und in höchsteigener Person zu ihr fahren, um Buße zu tun. Sonst wäre es um ihn geschehen!

Er fuhr also in Begleitung des Sekretärs hin und wurde von Mama Campanini im leeren Salon empfangen.

»Ich kann Hoheit leider nicht bitten, Platz zu nehmen!« sagte sie mit der Miene einer Dulderin und zeigte auf den Fußboden. »Aber Hoheit haben selbst für den Mangel an Sitzgelegenheit gesorgt!«

»Halten wir uns darüber nicht auf, bitte! Ich will ja alles wieder gutmachen. Warum läßt man denn meinen Boten unverrichtetersache wieder zurückkehren? Geld, Schmuck, Gespann, Equipage – die ganze Einrichtung – alles kann sie wieder haben! Und die Rente auch!«

»Das nimmt sie nur von ihren Freunden an!«

»Mein Gott, ich bin doch ihr Freund! – Ich schätze sie nach wie vor! Ich war einen Augenblick alteriert! – Ich wurde von einer Situation überrascht, in der ich nicht erwartet hätte, mich befinden zu müssen! Aber es ist ja alles wieder gut! – Ich versichere – ich bin ihr gar nicht böse! Sie soll nur hereinkommen!«

»Sie ist noch krank vor Aufregung!«

»Gegen die Krankheit bringe ich eben das beste Heilmittel mit! Holen Sie sie nur her!«

»Sie wird nicht kommen! Als der Sekretär vorhin hier war, hat sie mir rundweg erklärt, sie würde sich von Eurer Hoheit nicht einmal die Hand küssen lassen. Nicht einmal um hunderttausend Francs!«

»Das ist stark! Haben wir etwa den Handkuß angeboten? Wir verzichten gern auf jede Intimität! Wir haben aber nicht nötig, hier zu bitten! – Du bringst mir auf der Stelle deine Tochter her! Ich, ihr Chef, befehle es! Und es würde sowohl ihr wie dir teuer zu stehen kommen, wenn ihr meine Geduld noch lange auf die Probe stellt!«

Das half. Die Signora eilte in das Boudoir, und nach einigem Zögern ließ sich Barberina dazu herbei, vor dem Antlitz des gestrengen Herrn Chefs zu erscheinen.

Sie ließ sich aber durchaus nicht imponieren.

Sie war kalt, abweisend, sah ihn kaum an, wies jeden seiner Versuche, sie zu begütigen, ab und bat ihn schließlich, sie in Ruhe zu lassen. Sie wäre noch leidend! Sie könne keine Aufregung vertragen! Sie wolle sich wieder hinlegen!

Aufbrausend versuchte er es auch bei ihr mit dem Ton des Vorgesetzten. Sie lachte ihn aber aus.

Da verlor er die Fassung gänzlich und verlegte sich aufs Bitten! Sie könne ihm jede Bedingung stellen! – Sie müsse aber bei Hofe tanzen! Sie dürfe ihn nicht ins Unglück stürzen! Die Ungnade wäre ihm gewiß!

»Dann tanze ich erst recht nicht!« lachte sie, und die Schadenfreude leuchtete ihr aus den Augen.

Das gab ihm die Fassung wieder.

»Dann brauche ich Gewalt!« rief er. »Entweder Sie tanzen, oder ich lasse Sie und Ihre Mutter verhaften!«

»Ohne Grund? Das können Sie nicht!«

»Ich habe Grund genug! – Ich weiß von Ihren Fluchtplänen mit Lord Arundel! Meine Polizei ist schon in Bewegung, hat schon überall verboten, Ihnen Postpferde zu geben und das Auslaufen aller Schiffe aus dem Hafen von Calais bis auf weiteres untersagt! Beim ersten Versuch, zu entweichen, sind Sie verhaftet, und Seine Lordschaft auch! Sie werden schon überwacht! – Wollen Sie also tanzen?«

»Ich sehe ein – ich muß der Gewalt weichen! Ich werde also tanzen! Aber Eurer Hoheit Geschenke und die Rente nehme ich nicht wieder an! Ich verlange eine geordnete Stellung auf Grund meiner künstlerischen Leistungen! Mindestens fünfhundert Louis Gehalt monatlich! Und ebensoviel für das eine Mal in Versailles!«

Carignan biß sich auf die Lippen. Er dachte an die leeren Kassen seiner Theater. Aber er sah keinen anderen Ausweg und willigte ein.

Kühn gemacht durch den Erfolg, verlangte sie noch die Aufhebung aller polizeilichen Maßnahmen.

»So dumm sind wir nicht!« sagte der Prinz lächelnd. »Unsere Polizei wird ein wachsames Auge auf Sie haben, Signorina! Bis Sie am Hofe getanzt haben! Dann wollen wir sehen! Studieren Sie jetzt fleißig Ihre Tänze mit Fossano!«

»Mit Fossano?! Nimmermehr!«

»Sie müssen ihn als Partner in Versailles haben!«

»Nein, nein! Er würde mir alles verderben! Wenn Hoheit darauf bestehen, tanze ich nicht! Ich lasse mich lieber köpfen!«

»Nun, so erlassen wir's Ihnen! Er mag ein Solo tanzen! Ich habe übrigens für diesen Fall schon John Rich aus London als Gast engagiert! Er wird kommen, Sie kennen ihn sicher dem Namen nach? Der berühmte Harlekin des Coventgardentheaters! Er wird Ihnen glänzend sekundieren, Signorina!«

»Ich tanze auch mit ihm nicht! Ich will den jungen Riccoboni! Er tanzt mir mehr zu Gefallen! Er hat mehr Talent als all die andern!«

»Nun denn, in Gottes Namen, tanzen Sie mit Riccoboni! Wenn Sie bloß tanzen, ist's mir gleich, mit wem! Ich hätte mir dann den Rich ersparen können! Er wird aber schon unterwegs sein! – Na, das sind alles Bagatellen! Gehen Sie zur Ruhe, Signorina! Pflegen Sie Ihre Tochter, Signora! – Au revoir, meine Damen! Lassen Sie sich's gut gehen!«

Und Hoheit ging, froh, den Verkauf seiner Gemäldegalerie noch rückgängig machen zu können und der königlichen Ungnade so leichten Kaufs entronnen zu sein.

*

Barberina tanzte in Versailles vor der Königin und dem versammelten Hofe und errang einen glänzenden Erfolg.

Der König erschien aber nicht zur Vorstellung. Er hatte an dem Abend ein größeres Interesse an den Staatsgeschäften als an den Reizen Barberinas und blieb der Veranstaltung fern.

Barberina war außer sich. Carignan nicht weniger.

Aber er hielt Wort.

Nach dem Auftreten Barberinas in Versailles hob er die polizeiliche Überwachung auf. Und sie versäumte nicht, sich das zunutze zu machen.

John Rich, der berühmte Londoner Tänzer, hatte ihr von London vorgeschwärmt. Er verstand es, ihren künstlerischen Ehrgeiz aufzustacheln und spiegelte ihr ganz andere Triumphe vor als die der Galanterie, die sie jetzt bis zum Überdruß satt hatte.

Plötzlich eines Tages war sie verschwunden.

Der Herzog von Carignan erledigte eben die Kassenrapporte des vorhergehenden Tages und war voller Freude, weil die Oper jetzt, nach dem Wiederauftreten Barberinas, allabendlich ausverkauft war.

Da brachte man ihm die Nachricht von ihrem Entweichen.

Das war zuviel!

Die Sallé, die Camargo – das hatte er verschmerzen können! Aber jetzt auch noch die Barberini!

Nach all den Opfern! Nach all den Demütigungen!

Seine Hoheit traf auf der Stelle der Schlag!

Barberina aber tanzte nach den Gestaden Albions hinüber. Und Fama flog vor ihr her mit der Kunde von ihrem Schönheitsflecken und ihren anderen galanten Vorzügen!


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