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18

Man durfte des Königs Hunde nur per »Sie« und mit dem Hut in der Hand anreden. Die königlichen Lakaien hatten den exzellenten Vierfüßlern gegenüber einen schweren Dienst und konnten auf keine Gnade rechnen, wenn sie es an Aufmerksamkeit fehlen ließen.

Wenn der König spazieren fuhr, folgten ihm die Hunde oft in einer zweispännigen Karosse, sie selbst auf dem Hauptsitz, die aufwartenden Lakaien auf dem Rücksitz. So auch eines schönen Sommermorgens, als der König von Charlottenburg, wo er bis zur Beendigung der Hochzeitsfeierlichkeiten für seine Schwester Ulrike residiert hatte, nach Berlin hineinfuhr.

An seiner Seite im vierspännigen Wagen saß der Generaladjutant Winterfeldt. Sie kamen im tiefen Sande der Charlottenburger Chaussee nur langsam vorwärts. Das schöne Sommerwetter machte indessen die sonst einförmige Fahrt erträglich. Der König war gut gelaunt. Und als sie beim königlichen Tiergarten anlangten, wo er eine Menge neue Spazier- und Fahrwege hatte aufnehmen lassen, befahl er, vom »Großen Stern« nach dem »Zirkel« an den Zelten einzubiegen, wo die elegante Welt sich um diese Zeit Rendezvous zu geben pflegte.

An dem Ufer der Spree hatte der König dort einen freien Platz abholzen lassen. Im weiten Bogen zog sich der breite Fahrweg hin, von Promenaden umfaßt, wo unter schattigen alten Bäumen die Spazierenden sich ergehen konnten, während auf dem Damm in doppelter Kavalkade Fuhrwerke und Reitende sich in beiden Richtungen bewegten.

Am Wasser hatten einige, in Bereitung von Erfrischungen aller Art kundige französische Emigranten, von denen es seit den Religionsverfolgungen in Frankreich in Deutschland wimmelte, die Konzession erhalten, ihre Waren in Zelten feilzubieten.

Von den Wiesen jenseits der Spree wehte der laue Sommerwind die Düfte der Blüten herüber; durch das Laub der hohen Bäume rieselte der Sonnenschein herunter auf die bunten Farben der Trachten. Das goldene Schnitzwerk der zwischen hohen Federn aufgehängten Karosserien glänzte und glitzerte. Drinnen, auf schwellenden Kissen schaukelten schöne Damen in rauschenden Gewändern, lieblich grüßend, lächelnd, nickend. Die Augen glühten unter sauber gepinselten Brauen – die gepuderten Locken erhöhten durch ihr Mattweiß das duftige Rot der schön geschminkten Wangen, deren Reiz durch die Kontrastwirkung der schwarzen »Mouches« eine erhöhte Wirkung bekam.

Zwischen den Wagenreihen tummelten die Offiziere stolz ihre mit goldbestickten Schabracken verzierten Pferde, schlossen sich öfters an, um mit ihren in den Wagen thronenden Göttinnen verstohlen verliebte Gespräche zu führen. Auf dem Flusse glitten langsam Kähne vorüber, die Segel geschwellt – an den Zelten wehten Wimpel und Flaggen im bunten Spiel – Flöten und Geigen ließen ihre zarten Tonwellen steigen und hinsterben – das Lachen der silberhellen Stimmen – das Gesumm der Gespräche, das Wiehern der Rosse – alles floß zusammen zu einer Symphonie der Lebenslust – leise, zart, graziös und liebenswürdig –, die die Sinne der Teilnehmer bestrickend umfing, ihre Gedanken zerstreute und ihren Seelen Erholung brachte.

Berlin holte Atem. Als die königlichen Equipagen in die Kavalkade einschwenkten, ging eine Bewegung durch die Reihen. Aber nur für einen Augenblick. Weit entfernt, das Getriebe zu lähmen, spornte die Gegenwart des Königs die Fröhlichkeit an und hob die Stimmung noch mehr.

Friedrich unterhielt sich mit seinem Adjutanten, grüßte nach allen Seiten, schaute sich einmal nach dem Wagen seiner vierbeinigen Lieblinge um, winkte dann gnädigst einen vorbeireitenden Offizier an den Wagenschlag heran und richtete einige kurze Fragen an ihn. Er freute sich des luxuriösen Treibens seiner aufblühenden Hauptstadt, das, unter seinem Vater in strenge Zucht zurückgedämmt, sich jetzt wieder ans Licht wagte.

Plötzlich kam etwas Scharfes in seinen Blick, und seine Haltung straffte sich etwas.

In die Reihe der Entgegenfahrenden war eine prachtvolle, schön verzierte Karosse eingeschwenkt, von vier Schimmeln mit Vorreitern gezogen. Das vergoldete Schnitzwerk der Karosserie glänzte und glitzerte; die schön gedrechselten Speichen der hohen Räder drehten sich wie die Blitze des Sonnenrades; hinten auf dem Tritt, zwischen den hohen, schön geschwungenen Federn, standen in prachtvollen hellblauen und silbernen Livreen zwei Lakaien, stolz die Dreimaster auf den gepuderten Perücken balancierend. Ein fast königlicher Aufzug! Und im Wagen, auf schwellenden Kissen ausgestreckt, eine Königin der Anmut und der Schönheit – die Barberina! Neben ihr ihre Mutter, von Stolz gebläht und freundlich lächelnd den Gruß Friedrichs auf sich beziehend, als die Wagen sich begegneten.

Drüben, auf der anderen Seite des »Zirkels«, schloß sich ein Reiter ihnen an – es war der Gesandte Englands, dem die schnell intim gewordenen Beziehungen Barberinas zum König wohlbekannt waren, und der sich als Macher der Sache jetzt großtat und sie umschmeichelte, um vielleicht so etwas politisch Wertvolles durch sie zu erfahren.

Friedrich sagte rasch einige Worte zu seinem Adjutanten. Dieser winkte einen der Läufer, die dem königlichen Wagen voranschritten, herbei und erteilte ihm einen Befehl, den der Läufer dem folgenden Wagen übermittelte.

Dann schwenkte der königliche Wagen aus der Reihe und setzte die Fahrt nach Berlin fort.

Als aber der Wagen Barberinas, immer noch den englischen Gesandten am Schlage, nochmals vorbeikam, da bog der Wagen der königlichen Hunde dicht vor ihrem Wagen in die Reihe ein, und sie mußte ihm auf Schritt und Tritt folgen. So ging's einmal die Runde herum, als hätte der König dem Publikum das Rangverhältnis unter seinen Lieblingen recht deutlich ad oculus demonstrieren wollen. Dann setzten auch die Hunde ihre Reise nach der Stadt fort – Berlin hatte seinen Gesprächsstoff, die Neider der königlichen Favoritin bekamen Nahrung für ihre Schadenfreude, und Barberina hatte ihren Ärger, den man ihr jedoch unter der Schminke nicht anmerken konnte.

Sie tat, als hätte sie den Vorfall gar nicht bemerkt; sie unterhielt sich noch mit einigen ihrer Bekannten, lud ein paar befreundete Offiziere zum Besuch bei sich ein und kehrte dann nach ihrer Wohnung in der Behrenstraße zurück.

Dort fand sie einen Befehl des Intendanten vor, am nächsten Tage beim Konzert im Stadtschlosse zu Potsdam zu tanzen, und sie freute sich. Denn bei dem nachfolgenden Souper mit dem König wollte sie schon ihre Rache nehmen.

Der König aber hatte sich dazu bereit gefunden, noch unterwegs im Wagen seinem Adjutanten einige erklärende Worte zu sagen.

»Wir lieben die Mätressenwirtschaft bei unseren Gegnern und Verbündeten! Die Herren Politiker irren aber, wenn sie glauben, uns auf diesem ausgetretenen Pfade der irrenden Tugend beikommen zu können! Und was die Mamsells betrifft, so sollen sie amüsant sein und Charme haben, aber weiter nichts! Sie wollen aber alle erst belehrt sein, die rechte Distanz zu halten!«

Er freute sich nicht wenig, als ihm nachher berichtet wurde, daß der englische Gesandte bei seinem Versuch, die Hunde des Königs zu streicheln, von ihnen sehr übel abgefertigt worden war. Biche hatte sogar nach ihm gebissen.

»Die Biche weiß, was sich gehört! Sie versteht die Kunst, naseweisen Diplomaten Edukation beizubringen! Hört sie Geheimnisse mit an, so versteht sie sie nicht! Und was sie winselt, versteht kein Mensch! Das hat sie den Mamsells voran! Treu ist sie auch! – Sei er ruhig!« sagte er, da Winterfeldt schmunzelte. »Das verlange ich ja nicht von den Damen! Die müssen ihre Amouren haben! Sie sind Schmetterlinge und müssen hin und her flattern! Wenn sie bloß mit ihrer Buntheit das Auge entzücken – wenn sie graziös sind, Witz, Esprit, Charme zeigen und uns nicht mit zuviel Sentiment belästigen, sind wir zufrieden und widmen ihnen gern zur Erholung von unserer freien Zeit! – An unserem ernsten Tun aber können sie keinen Anteil haben! Und unsere Würde dürfen sie auch nicht mit einem Blick antasten wollen! Da hört jedwede Galanterie auf! Da geht der Hund vor!«

Friedrich sprach noch bei der Königinmutter vor – besichtigte den Dombau, von Knobelsdorff begleitet, befahl ihm, am nächsten Tage die Pläne seines Sommerschlosses in Potsdam vorzulegen, und reiste nach seiner Havelresidenz ab.

Am Abend soupierte bei Barberina der Graf Rothenburg, ein eleganter, liebenswürdiger und geistreicher Kavalier, der soeben aus Paris zurückgekehrt war, wohin ihn eine wichtige politische Sondermission Friedrichs geführt hatte.

Er wußte ihr viel vom Hofe in Versailles zu erzählen – von der alles beherrschenden Stellung der derzeitigen Favoritin Ludwigs, der Herzogin von Châteauroux, deren Ehrgeiz und Stolz die Politik Frankreichs immer mächtiger auf die Bahn der kriegerischen Ehre zu treiben bemüht war und aus Ludwig gar einen Helden machen wollte.

Er wußte nicht genug des Lobes über ihre große Liebe zur Kunst vorzubringen und das unermüdliche Mäzenatentum, das sie den Dichtern gegenüber betätigte.

»Sie könnte für Frankreich eine große Zeit herbeiführen, denn in ihr wohnt der Geist der Größe! Aber sie reibt sich auf. Die Glut ihrer Seele verzehrt sie innerlich! Wie ein leuchtender Meteor, der plötzlich auftaucht, blendet, imponiert und alles in Staunen versetzt, um ebenso plötzlich zu verschwinden, so kommt sie mir vor! Immerhin – sie herrscht jetzt! Und sie hat das größte Verständnis für unsere Ziele! Es war leicht, mit ihr Politik zu machen! Wenn Frankreich jetzt mit uns ist – ihr ist es zu verdanken!«

Barberina dachte mit einiger Bitterkeit an die Rolle, die sie hier spielte, und wurde einen Augenblick ernst.

Rothenburg wußte von der Begebenheit bei der heutigen Spazierfahrt und beeilte sich, die Sache zu überzuckern.

»Allerdings – hier könnte sie niemals zur Geltung kommen! Hier trägt das Genie selbst die Krone! Jeder Versuch einer Beeinflussung müßte an dem stolzen Selbstbewußtsein scheitern, das wir bewundern und dessen Ehrgeiz wir schon so viel Ruhm verdanken! Um bei Friedrich etwas zu sein, muß man eine große Künstlerin wie Sie sein! Das Epikureertum des Geistes will die Anregung der Schönheit, der Grazie, des Esprits! Ihm die geben zu dürfen, ist mehr, als der ganzen übrigen Welt Gesetze zu diktieren! Das zu können ist beneidenswerter als Reichtum und Macht! Das ist Ihnen geworden! Und jetzt, nachdem Sie diese große Aufgabe verstehen lernten, jetzt werden Sie schon zufrieden sein, daß man Sie, wenn auch mit sanftem Zwang, dazu brachte!«

Barberina lachte laut auf. Das nannte er noch »sanft«: von den Häschern Venedigs wie eine Verbrecherin aufgehoben und eingekerkert zu werden, um dann unter wochenlangen Mühseligkeiten und militärischer Bewachung hierher geschleppt zu werden!

»Sie sind ein Heuchler!« rief sie.

»Und Sie entzückend!« replizierte er und küßte ihr die Fingerspitzen. »Viel zu entzückend – viel zu charmant, um in der Langeweile einer englischen Ehe zu verkommen! Geben Sie's nur zu – das Ganze war nur eine Marotte – eine augenblickliche Laune!«

»Sie kennen eben Lord Stuart nicht!«

»Ich kenne Sie, und das genügt! Ich glaube schon, daß es sich im Falle Stuart um eine echte, tiefe Empfindung handelte, wie sie einem Menschen nur in den seltensten Fällen zuteil wird. Und ich glaube auch, Sie waren so sehr davon ergriffen, daß Sie meinten, jener Empfindung alles andere opfern zu müssen, um nur ihr zu leben! Die Flamme der Liebe loderte so heftig und so klar auf, daß im ersten Augenblick alles daneben verblaßte! Wie alles andere aber, ist auch sie nur zu vergänglich! Der Funke ewigen Lebens, der Ihnen mit dem Genie gegeben wurde, kann aber nie erlöschen! Der glüht noch unvermindert, wenn alles andere zu Asche wurde! Die Sucht, zu glänzen und zu leuchten, wird zum Ehrgeiz, etwas zu leisten und in der Leistung den eigenen Geist zu verfeinern und groß und geschmeidig zu machen! Geben Sie's nur zu – Sie sind nicht unzufrieden, daß sie wieder auf die Bahn der Kunst getrieben worden sind – sei's auch mit Gewalt! Vor den großen Aufgaben, die Ihnen hier wurden, verblaßt doch die kleine Unannehmlichkeit, die sie mit sich brachten?«

Barberina antwortete nicht. Sie empfand die Wahrheit dessen, was er sagte. Ihr Gefühl trieb sie zu ihrem Beß – ihr Herz schlug noch für ihn. – Aber die Kunst hielt sie stärker gefangen. Sie sah die glanzvolle Laufbahn, die sie dachte für immer verlassen zu haben, offen und jetzt weit leuchtender vor sich liegen. Sie dachte dabei an den Vormittag im Hause Stuart und die trübe Aussicht, nach langer Vergessenheit dort als eine Nummer mehr in der Sammlung der Ahnengalerie hängen zu dürfen. Ein leichter Schauder ergriff sie.

Rothenburg sah es, und mit seinem Instinkt half er ihr, die Formel zu finden, mit der sie ihr Gewissen abtun könnte.

»Ihr Erlebnis mit Stuart war ein Glück, für das Sie dankbar sein können I Das war eine seelische Bereicherung – und Ihr Gewinn daraus: die Entfaltung Ihres Gefühlslebens zu voller Blüte! – Das mußten Sie vor allen anderen haben, eben, um eine wahre Künstlerin zu werden! Das kann Ihnen nimmermehr genommen werden! Er aber mußte Ihnen genommen werden – weil er Ihrer Kunst im Wege war! Sie sehen es! Sie waren der Kunst untreu geworden! Die Kunst hat sich gerächt! Sie tritt jetzt gebieterisch vor und verlangt als Strafe, daß Sie ihr zuliebe auf Ihre Liebe verzichten! Und da gibt's nur eins – gehorchen!«

»Um – hinter den königlichen Hunden zu rangieren!«

»Das nur – wenn Sie sich das gefallen lassen!« lachte Rothenburg. »Der König hat Geist, und nichts ist ihm lieber, als wenn man ihm geistreich antwortet! Nur nicht schmollen! Nur nicht sentimental werden! Scharf, witzig, pointiert die Klinge zur Parade bereit halten! Den Kampf aufnehmen, wie er angeboten wurde! Das ist das einzige! Rächen Sie sich, wenn Sie wollen – aber geistreich und amüsant, und Sie werden gewonnenes Spiel haben!«

»Sie sind der geborene Konspirateur! Helfen Sie mir, einen Feldzugsplan zu entwerfen! Ich muß für die heutige Schmach Rache nehmen!«

»Die werden Sie haben!« sagte Rothenburg und erhob sein Glas, in dem der Champagner perlte. »Auf treue Bundesgenossenschaft!«

»Auf treue Bundesgenossenschaft!« erwiderte sie und erzählte ihm dann den Vorfall, dem sie, nach ihrem Dafürhalten, die soeben erlittene Demütigung verdankte.

Es war beim letzten intimen Souper mit dem König gewesen, im »Konfidenzzimmer« des Potsdamer Schlosses. In übermütigster Laune hatte sie sich da einen Scherz erlaubt, der besser unterblieben wäre. Aber in der Situation sah sie in dem König nur noch den galanten Mann und vergaß ganz, daß man auch in Stunden, wo die königliche Würde nicht mittafelt, die Finger von ihr zu lassen hat.

Mit ihren rosigen Fingern hatte sie nach der Krone aus Kandiszucker gegriffen, die, wie immer, den Aufbau der Konfitüren krönte, hatte sie aufgehoben und hoch über ihren Kopf gehalten. Mit lachenden Blicken hatte sie gefragt:

»Warum wird die Krone nicht auch einmal verspeist?«

»Das ist hier in Preußen nicht üblich, Mademoiselle!« hatte er geantwortet mit einem Blick und in einem Ton, die gerade in dem Moment ihren Übermut zum Trotz aufflammen ließen.

»Wenn man aber gerade danach Appetit hat?« hatte sie gefragt.

»So wäre es doch nicht anzuraten! Sie würde Ihnen nur schwer im Magen liegen!«

»Trotzdem wage ich den Versuch! Heute abend wollen wir sie gemeinsam verspeisen!«

»Nein!« hatte er etwas gereizt gerufen und versucht, ihr das zuckerne Kleinod zu entreißen. Lachend wehrte sie's ab. Beim Kampfe bröckelte ein Stück von der Einfassung ab und blieb in ihrer Hand. Als sie es aber rasch in den Mund stecken wollte, entwand er ihr den Raub, fügte das Stück rasch wieder an seinem Platz ein und stellte die Krone auf den Tisch zurück.

» Je suis fatigué, mademoiselle«, hatte er dann kurz gesagt, den Glockenstrang gezogen, ihren Wagen befohlen und sich kühl von ihr verabschiedet!

»Das war alles!« sagte sie.

»Aber gerade genug!« lachte Rothenburg, trank sein Glas aus und fing sofort an, sie eine bessere Taktik zu lehren.

»Nie – auch nicht im Scherz – an das rühren, was er hochhält! Sonst aber können Sie sich fast alles erlauben! Persönlich duldet er jede Anspielung, jeden Scherz, wenn er nur geistreich und amüsant ist! Da gestattet er sich selbst die größte Ausgelassenheit, und uns anderen auch, weil es ihn nur anregt und ihm zum Spott und zur Satire Anlaß gibt! In boshaften Ausfällen ist er jedem gewachsen! Da stellt er seinen Mann und kämpft mit ebensoviel Bravour wie auf dem Schlachtfelde! – Also packen Sie ihn nicht bei der Krone! – Necken Sie ihn lieber mit der Thronfolge! Da werden Sie etwas erleben! – Fragen Sie ihn, warum er, der große Held, der überlegene Geist – der männlichste unter uns allen – keine männlichen Leibeserben hat! – Fragen Sie ihn, ob das immer das Ergebnis seiner galanten Abenteuer zu sein pflegt! – Fragen Sie nach der Tochter, die er von der Frau des Obersten Wreech hat! Fragen Sie, warum er, der mit lauter gekrönten und ungekrönten Frauen in Fehde liegt – warum gerade er eine Frau in die Welt setzt? – Er wird sagen, die Weiber wären heutzutage unfähig, Männer zu gebären – die Männer, die sie auf die Welt brächten, wären alles alte Weiber! Er wird Anlaß haben, seine Bosheit gegen die sämtlichen Evastöchter weidlich loszulassen, und dann wird er Ihnen die Hand küssen und guter Dinge sein und viel Galantes sagen! Nicht aber, um seine Sottisen zu überzuckern! Sondern nur aus Erkenntlichkeit, weil Sie ihm halfen, jene Sottisen zur Welt zu bringen! Tun Sie's recht boshaft, recht dreist, und Sie werden gewonnenes Spiel mit ihm haben!«

Damit war sie gleich einverstanden! Schon am nächsten Tage, nach dem Konzert, beim Souper, zu dem sie wohl, wie üblich, aufgefordert werden würde, wollte sie's ins Werk setzen und ganz gehörig Rache nehmen!

Sie stieß nochmals mit dem Grafen an. Unter Lachen und Scherzen verging so der Abend, und das Bündnis gestaltete sich immer intimer.

Am folgenden Tag in aller Frühe rollte sie also in ihrer eleganten Karosse nach Potsdam, um ihren Dienst zu versehen.

Der König war an dem Tag schlechter Laune. Die Erledigung der täglichen Post hatte ihm mehr Mühe als sonst gemacht. Die Politik nahm ihn völlig in Anspruch. Der Horizont Europas war umwölkt – das Gewitter konnte jeden Augenblick losbrechen, und der Entschluß, bei der Entladung die Rolle des Blitzes zu spielen, stand bei ihm fest.

Trotz dieser vielfachen Inanspruchnahme seines Gemüts hatte er Zeit für künstlerische Pläne. Die bildnerische Wiedergabe einer künstlerischen Idee beschäftigte ununterbrochen seinen Geist. Die unwiderstehliche Lust, den Drang nach Schönheit in bildnerische Tat umzusetzen – die Materia zu bezwingen und ihre Starrheit in Bewegung auszulösen, durchtobte sein Gehirn, bald in Versen, bald in zeichnerischen Entwürfen, bald in Tönen nach Ausdruck ringend! – Aber vergebens! – Alles mißfiel ihm! – Immer wieder wurde das Begonnene vernichtet! – Und doch deuchte es ihn so einfach! Die unwiderstehlich belebende Wirkung des künstlerischen Dranges selbst zu gestalten – gewissermaßen die Geschichte des eigenen künstlerischen Werdens im Kunstwerke auszudrücken – im kalten Stein das Leben nachbilden, aber so, daß der Stein selbst zu leben anfängt und zu warmem, schwellendem Fleisch wird!

»Pygmalion!« rief er – »Pygmalion ist's! Das Altertum hat für jede Regung des Geistes die treffende Formel gefunden! Was könnten wir wollen, was nicht schon die Alten in ihren Legenden zum treffenden Symbol erhoben hätten? – Nachbeten – nachbilden – nachempfinden – dazu sind wir verurteilt! So arm sind wir heutigen Menschen!«

Er sann darüber nach, wie die Legende zu gestalten sei.

In Worten – in Versen – in glatt und zierlich dahintrippelnden Rhythmen?

Unsinn! – Das Wort versagte, wo es nicht die Macht hatte, durch ein kurzes: »Es sei!« das Gewollte auch handgreiflich vor den Augen entstehen zu lassen!

In Tönen?

Unsere Sehnsucht geben, ja! – Unsere Freude über das Erreichte aufjauchzen – unsere Trauer über die Enttäuschung ausklingen – nie aber das innerlich Erschaute in Formen und Farben so aufleben lassen, daß die Mitwelt es mit dankbarem Staunen empfangen könnte.

In Marmor aushauen? – Und wenn der Meißel noch so geschickt zu arbeiten verstünde – erstarrte Bewegung war alles, was dabei herauskam! Die Bewegung – das Leben selbst aber niemals! Und der Anfang – die Entstehung der ersten Bewegung – das war der Vorwurf, den es zu gestalten galt!

Einzeln vermochten die Künste nichts!

»Wohlan, so treten die Musen zum gemeinsamen Sturmangriff an! Terpsichore kommandiert die Attacke! So geht's! Im Ballett stellen wir's dar! Malerei, Musik assistieren – der Mensch, aus toter Materia gebildet, wird, vom künstlerischen Schöpferwort beseelt, vor unseren staunenden Blicken zum Leben erwachen! So wollen wir's versuchen! Es sei!«

Er schellte. Dem herbeieilenden Kammerdiener befahl er, die Herren Graun und Pesne sowie den Intendanten der Oper zum Konzert zu befehlen, wo er sie zu sprechen wünsche.

Dann wieder allein, warf er die Papiere auf seinem Schreibtische durcheinander, um ein leeres Blatt zu finden und rasch das Bild zu entwerfen, daß er vom Meister Pesne nachher als Vorlage ausführen lassen wollte, nach der die Ballettszene gestellt werden könnte.

Plötzlich blieb er sitzen, ein Dokument in der Hand, und starrte es entsetzt an. Es war – ein ihm zur Unterschrift vorgelegtes Todesurteil! Tagelang hatte er es liegenlassen und die Entscheidung verschoben! – Und gerade jetzt mußte es ihm unter die Augen kommen!

Sein Geist rang mit dem Chaos, um aus dem Nichts Leben entstehen zu lassen! Fast glaubte er sich des Sieges gewiß – glaubte sich Herr und Gebieter des Lebens!

Und da hielt er es schwarz auf weiß in der Hand! – Herr über Tod und Leben! Aber wie anders! Nicht Schaffen! Vernichten war ihm gegeben! Dazu hatte er die Macht! Er vor allen anderen!

Er seufzte und warf das Papier hin.

»So armselig sind wir! Weiter reicht menschliche Gewalt nicht – nicht einmal in eines Königs Hand!«

Er nahm das Papier und las es aufmerksam durch. – Ein nach Recht und Gesetz gefälltes Todesurteil über eine Kindesmörderin! Ein Kasus, wo er keine Gnade walten lassen durfte – wo die Pflicht ihm gebot, die mitleidige Regung des Herzens zurückzudämmen und als höchster Richter den Stab zu brechen.

Er seufzte, tauchte den Gänsekiel ein und schrieb. Da stand es: » Fridericus rex.« – Die starren Worte der Justiz hatten Leben gewonnen! Der Federstrich seiner Hand gab ihnen die Gewalt, das Henkersbeil in Bewegung zu setzen!

Er las es nochmals durch. Sein künstlerisches Gefühl empörte sich – sein gesundes natürliches Denken ebenso!

»Das seyndt verworrene Köpfe – verknöcherte Paragraphendrescher, die uns den Wisch zusammengereimt haben! Das sollen wir mit unserem Namenszug sanktionieren?! Nimmermehr!«

Da stand es aber bereits: » Fridericus rex!«

Rasch entschlossen nahm er den Gänsekiel, kratzte in aller Eile einige Zeilen über seine Unterschrift hin und las es dann laut durch:

»An meinen Minister von Broich!

Ich remittiere Euch beikommende Ordre unvollzogen! Ihr hättet von selbsten leicht einsehen können, wie es sich ganz nicht schicke, Mir Rubriquen, so mit so viel juristischen Latein bespicket sind, vorzulegen, da solche zwar deren Juristenfakultäten, Schöppenstühlen und Kriminalgerichten bekannt genug sein mögen, vor Mir aber lauter Arabisch sind. Ihr hättet solches auch in dieser piece umsomehr verhüten sollen, da es auf Menschenleben ankommt und ich keineswegs dergleichen mit so vielen Mir unbekannten Worten angefüllte Confirmationes unterschreiben kann, ohne den wahren Innhalt zu wissen. Ihr sollet also mit dergleichen lateinischen Rubriquen sparsamer sein und, wenn Ihr etwas berichtet oder zur Unterschrift schicket, hübsch Teutsch schreiben, solches auch deren Secretarien der Kanzlei bekannt machen.

Potsdam 7. August 1744.«

»Bis meine Herren Juristen Teutsch lernen – das kann lange dauern! So lange hat denn jenes armselige Geschöpf eine Gnadenfrist. – Und wir auch!«

Zufrieden, für heute über die Sache hinweggekommen zu sein, klingelte er, ließ den Privatsekretär kommen, übergab ihm das Dokument, erledigte auch die anderen Unterschriften und befahl die Audienzen.

Zunächst wurde der Staatsminister von Podewils vorgelassen, der ein sehr bekümmertes Gesicht zur Schau trug.

Friedrich zog gleich scharfe Saiten auf.

»Nun, Podewils, woher die grämliche Miene? Wir stehen dicht vor dem Losschlagen! Und Er schaut aus, als hätte Er einen Topf mit Senf unter der Nase! Wir dachten, Er hätte sich an die üblen Gerüche aus der politischen Hexenküche gewöhnt? Schöne Düfte werden uns da nicht beschert! Nach Niederlage riecht's aber nicht! Und Er sieht aus wie ein leibhaftes Debakel!«

»Majestät werden verzeihen, wenn die Sorge um die Wohlfahrt des Vaterlandes –«

» Die Sorge haben wir Ihm abgenommen, als wir uns entschlossen, das Schwert zu ziehen! Er braucht sich deshalben nicht zu fatigieren! Wir brauchen Seine Einwände heute nicht mehr! Daß Er ein Angsthuhn ist, wissen wir! Hat Er ansonsten etwas zu berichten?«

»Auf die Gefahr der allerhöchsten Ungnade hin wage ich doch darauf hinzuweisen, daß der Krieg noch zu vermeiden wäre!«

»Wenn unsere Herren Politiker so räsonieren, dann ist erst recht Not am Mann! Da müssen wir darauf gefaßt sein, sofort zur Attacke blasen zu lassen! Sonst haben wir die Kriegsfurie über Nacht im eigenen Lande.«

»Und doch muß ich einen Widerspruch darinnen sehen, wenn Eure Majestät einen Krieg anfangen wollen, um einen Krieg zu vermeiden!«

»Er ist dreist! Doch Er glaubt wohl seine Pflicht zu erfüllen! Ich will Ihm denn antworten! Zu vermeiden ist ein Krieg nicht mehr, den wir als unvermeidlich ansehen! So Er die Augen auftut, wird Er uns beipflichten! Der Friede von Breslau gibt uns schon – nach zwei Jahren keine Sicherheit mehr! Wir schlagen also los, um den Krieg, der doch kommen muß, zu der für uns günstigsten Zeit zu führen – nicht erst, wenn's dem Feind am bequemsten! Das Haus Habsburg duldet nicht, daß ein Wittelsbacher die kaiserliche Krone trägt! Der Kurfürst von Bayern ist aber recte zum Kaiser gewählt! Trete ich dann als reichstreuer Fürst für den Kaiser ein, so kämpfe ich doch in erster Reihe für Preußen gegen Österreich! Denn uns droht der nächste Schlag!«

»Der König von England lenkt aber ein und will seinen Einfluß aufbieten, um die Königin von Ungarn zum nochmaligen feierlichen Verzicht auf Schlesien zu bewegen!«

»Weil er weiß, daß ich jetzt schon losschlage!«

»Zunächst wohl aber auch aus dem ganz natürlichen Interesse für das Wohlergehen Eurer Majestät, die die enge Verwandtschaft ihm nahelegen muß!«

Friedrich lachte laut auf.

»Wahrlich, die großen Fürsten, die die Bande des Blutes respektieren, sollen noch gefunden werden!«

Er setzte sich in das Sofa hinter dem Schreibtisch und blickte seinen Minister spöttisch an.

»Er erschwert uns die Arbeit, Podewils, statt sie uns zu erleichtern! Wir müssen hier Zeit und Mühe aufwenden, um unsere Minister zu überzeugen, damit wir sicher sein können, daß sie nachher Ordre parieren, wenn wir im Felde stehen! – Nach dem Wormser Traktat glaubt Er noch an England?! Hat England uns wohl von jenem Traktat unterrichtet?! Nein! Aber im Breslauer Frieden hat sich der König von England verpflichtet, uns sofort alle Bündnisse, die er eingeht, mitzuteilen! Das hat er in diesem Falle nicht getan! Also geht das Bündnis gegen uns!«

»Im Traktat von Worms steht kein Wort von Preußen!«

»Zwischen den Zeilen ist aber nichts als Preußen zu lesen! Preußen muß vernichtet werden!«

»Der König von England ist aber auch Kurfürst von Hannover! Als deutscher Fürst kann er nicht die Vernichtung Preußens wollen!«

»Die deutschen Fürsten, die ihre Königreiche anderswo haben, sind keine deutschen Fürsten mehr! Der Kurfürst von Hannover hat sein Königreich in England – der von Sachsen seins in Polen! Ich allein habe mein Königreich in Deutschland! Das gibt von Rechts und Billigkeit wegen Preußen die Führung! Und das wollen die anderen Kurfürsten nicht! Wir sind ihnen zu mächtig, daher die Wut! Daher der Neid! Sachsen ist ärgerlich, weil wir im letzten Frieden ihm nicht Mähren zuschreiben ließen! England tut freundlich, weil es erst seine in Schlesien steckenden Gelder von uns haben will! Es intrigiert aber überall und isoliert uns, wo es kann, damit wir von ihm allein abhängen sollen! Beider Länder Herrscher aber sind nur insofern deutsche Kurfürsten, daß sie dem Kurfürsten von Bayern nicht die Kaiserkrone gönnen! Weil sie sie nicht haben können, darum nur soll sie an Österreich zurück! Wenn der Kaiser sie aber bezahlen könnte, waren sie für ihn und ihre Armeen ebenso! So sind sie alle! Kein Geld – kein deutscher Fürst! Er weiß das ebensogut wie wir! Die Kurfürsten von Hessen, Württemberg, Köln und von der Pfalz – sie wollten sich doch sämtlich schon unserer Aktion für den Kaiser anschließen! Warum taten sie's nicht?! Weil wir nicht so viel Geld haben und Frankreich nicht das nötige bewilligte! Gleich fingen die Herrschaften mit der Gegenpartei zu schachern an!«

»Hessen geht ja mit uns!«

»Nun, da bot Frankreich eben mehr für Hessen als England! Dafür hat aber der Herzog von Gotha den Seemächten seine Truppen verkauft! Die paar Brocken machen übrigens den Kohl nicht fett! Meine preußischen Grenadiere werden in Österreich das entscheidende Wort sprechen!«

»Österreich bedroht uns nicht, ich wiederhole es immer und immer wieder!«

»Lese Er die Kopien des Briefwechsels der österreichischen Podewilse mit den sächsischen Podewilsen, die wir Ihm aus Dresden besorgt haben! Zu welchem Zwecke hätte Sachsen, das sich uns versperrt, den Österreichern freien Durchzug zugesichert? Gegen den Mond – oder gegen Preußen? Les' Er doch in dem Wormser Traktat genau die Stelle durch, wo Sardinien sich verpflichtet, mit seinen Truppen die Lombardei zu besetzen, damit Österreich seine Truppen – in Deutschland verwenden kann, und sage Er mir dann – gegen wen? Gegen den Mond oder gegen Preußen?! Wir sind da nicht im Zweifel und warten deshalb nicht erst ab, bis Österreich seine Truppen nach Berlin schickt! Und unsere Minister werden uns da gnädigst pardonieren! Wir verhandeln nicht mehr, Podewils – wir handeln! Was Verhandlungen zu tun vermögen, haben wir – trotz Ihm erreicht! Rothenburg kehrte mit dem französischen Bündnisvertrag wieder! Gegen Schweden haben wir uns Rückendeckung verschafft!«

»Rußland wird nicht ruhig bleiben, wenn wir Sachsen betreten!«

»Deshalb betreten wir es auch nur auf kaiserlichen Befehl! Die kaiserlichen Requisitorialbriefe, die von Sachsen freien Durchzug für Seiner Majestät preußische Hilfstruppen verlangen, sind bereits in Dresden abgegeben worden!«

»Und Sachsen rüstet! Dresden wird befestigt! Man hat uns Drohbriefe geschickt!«

»Dann fängt eben Sachsen den Tanz an! Wir nicht! Wir ziehen vorläufig nur mit unseren Truppen durch das Land! Er soll sehen, wie hübsch brav die Sachsen dann mit dem Säbelrasseln aufhören und uns noch Brücken über die Elbe schlagen werden! Wenn nicht – dann riskieren wir eben die Ungnade Rußlands! Bis die Russen marschieren, haben wir längst gesiegt! Nun gehe Er aber und lasse Er mich mit Seinen Bedenken ungeschoren! Meine Befehle hat Er! Daß Er sie mir richtig exekutiert und keine Minute mit unnützem Geschwätz verliert, weder vor mir noch vor anderen, will ich nunmehro hoffen! Gott befohlen!«

Podewils ging, und der König ließ seine beiden Freunde Jordan und Knobelsdorff rufen, die auch auf Audienz warteten.

Knobelsdorff überbrachte, wie befohlen, einige Detailpläne für Sanssouci, die auch Jordan begutachten sollte. Und die drei Freunde waren bald in die Betrachtung der Zeichnungen und Entwürfe vertieft und ließen Politik Politik sein.

Die Bibliothek war endlich nach Friedrichs Wünschen, ebenso die Schlaf-, Empfangs-, Musikzimmer und die beiden großen, runden Pfeilersäle des Mittelteils, die als Speise- und Audienzsaal vorgesehen waren. Um diese Säle und ihre Einrichtung hatte man schon viel hin und her beraten – heute lagen die endgültigen Entwürfe zur Genehmigung vor.

Die Zimmer des linken Flügels fehlten noch. Friedrich wollte sie als Gastzimmer für seine Freunde Herrichten lassen. Und da sollte das letzte, das dem Bibliothekzimmer im rechten Flügel entsprach, als besondere Ehrung für den von ihm vielbewunderten Voltaire eingerichtet werden – was wieder den beiden anderen Freunden überflüssig erschien!

Knobelsdorff sträubte sich energisch dagegen.

»Knobelsdorff wurmt's«, sagte der König, »daß er in meinem Hause nicht die übliche Schloßkapelle bauen darf! Nicht, weil ihm daran gelegen wäre, Gotteshäuser zu bauen! Bloß – wegen der dekorativen und architektonischen Aufgabe, die ihm so entgeht! Die Baumeisters sind wie die Pfaffen! Heuchler alle miteinander! Die Sache gilt ihnen stets weniger als das, was drum und dran ist!«

»Nein, nein!« rief Knobelsdorff aufgeregt, »an meiner Person ist mir wahrhaftig nichts gelegen!«

»Und wenn du auch selbst das Gegenteil glaubst – dir ist es doch nur um Befriedigung deines künstlerischen Ehrgeizes zu tun – auch wenn du Kirchen baust! Da ist's dir, wie all den anderen, ganz gleich, ob der Bau den Menschen andere Empfindungen eingibt als Bewunderung für eure Leistung! Daß sie drin veranlaßt werden sollten, durch all das Schöne, womit ihre Sinne umgaukelt werden, die Gottheit zu verehren, daran denkt ihr nicht – das Wunder zu bewirken traut ihr euch eben nicht zu! Ebensowenig, wie die Pfaffen glauben, die Menschen, durch ihre Worte von der Wahrheit dessen zu überzeugen, was sie ihnen predigen! Beweisen können sie nichts – deshalb verlangen sie, man soll glauben, blind glauben, und erschleichen sich so eine Autorität, die denen Strohköpfen nicht zukommt! Man soll ihnen aufs Wort glauben, man soll an sie glauben – das ist der geheime Sinn ihrer dunklen Rede! Tut man nur das – dann mag man im Herzen über das jenseitige Leben denken und glauben, was man will. Sie erziehen zur Heuchelei! Dem wollen wir keinen Vorschub leisten! Und deswegen lassen wir die Baumeisters in unserem Hause keine Kapellen zur Befriedigung ihrer künstlerischen Eitelkeit oder zur Befestigung der pfäffischen Autorität einrichten! Für unseren persönlichen Gebrauch haben wir keine besonderen Gebetzimmer nötig. – Im Speisesaal verkehren wir mit geistreichen Männern – im Musiksaal hat die Kunst das große Wort – in der Stille der Bibliothek finden wir allein und ohne Pfaffen die nötige Erbauung! Als Huldigung für den Geist der Aufklärung aber richten wir dem größten zeitgenössischen Geist eine Wohnung ein!«

»Die er doch niemals bewohnen wird! – Wie oft haben Eure Majestät ihn schon in der schmeichelhaftesten Weise eingeladen! Und er läßt sich immer noch bitten, trotz des glänzenden Empfangs bei seinem letzten Besuch! Er wird niemals ganz nach Potsdam kommen! Ihn wird's immer wieder nach Cirey zu seiner geliebten Marquise ziehen!«

»Die Marquise du Chatelet ist nicht unsterblich! Ihre Reize werden auch einmal welk! Ihr Geist mag noch so viele Künste der Verführung haben, dagegen kommen wir sicherlich zehnfach auf! Nicht wahr, Jordan – du glaubst doch auch, daß er kommen wird?«

»Ich glaube schon, daß er eitel genug ist, nicht zu widerstehen, wenn er von der besonderen Ehrung erfährt, die ihm durch diesen Bau zuteil wird! Er wird jedenfalls aus Neugier herkommen und da Wohnung nehmen! Ob er bleibt? – Ich wage es zu bezweifeln! Zwei so geistvolle Menschen können es sicherlich nicht auf die Dauer vertragen, so intim zu verkehren, daß ihre kleinen Menschlichkeiten ihnen nicht mehr verborgen bleiben!«

»Die kleinen Menschlichkeiten nehme ich ohne weiteres bei ihm an, wie er wohl bei mir! Ebenso aber genügend Geistesgröße, um sie zu ignorieren!«

» Die Art Größe war noch nie auf Erden da!« rief Jordan. »Verehrung braucht Distanz! Die Götter müssen über den Wolken, im Verborgenen, thronen! Hat man sie im Hause, so schlägt man sie, wie die Wilden ihre Götzen!«

»Sein Affentum hat mich nur amüsiert, als er hier war, weiter nichts!«

»Auch die Affen sind nur amüsant – in sicherer Ferne! Läßt man sie zu nahe heran, dann beißen sie manchmal! Das schmerzt – man wehrt sich – man schlägt sie! – Und so wandelt sich das Amüsement in sein Gegenteil!«

»Mit dir ist nicht auszukommen!« rief der König, »du behältst immer das letzte Wort! In der Sache aber behalte ich's, denn ich habe die Macht dazu, indem ich der Bauherr bin! Knobelsdorff soll seine kirchenbauerische Phantasie im Dombau austoben! Hier aber soll er mir einen Rahmen für Voltaire schaffen, der nicht nur ihn zwingt, zu bleiben, sondern schon durch die Aufmachung seinen Geist dazu bringt, seine kleinen Menschlichkeiten im Zaum zu halten und seine Würde zusammenzunehmen!«

»Ich hab's!« rief Knobelsdorff, und seine kleinen Augen leuchteten. »Ich baue ihm einen vergoldeten Affenkäfig! Da sperren Majestät ihn ein, wenn er beißen will!«

»Wir können wieder beißen, wenn's sein muß, und haben keine andere Abwehr nötig! Aber tob dich in der Einrichtung aus, soviel du willst, um seine Eitelkeiten zu geißeln! Bring das ganze Tierreich an – der Papagei darf nicht fehlen! Gieß Hohn und Spott und Satire aus vollen Schalen über ihn aus! – Nur mach's geistreich! Und schaff dir gute Handwerker zur Ausführung! Mach mir einen Entwurf und lege ihn mir vor, wenn ich wieder da bin! Spätestens zu Weihnachten! Denn im Frühjahr legen wir den Grundstein, ob der Krieg vorüber ist oder nicht!«

Knobelsdorff packte seine Zeichnungen ein. Die beiden Freunde verabschiedeten sich und wollten gehen. Da packte Friedrich noch Jordan so heftig am Rockzipfel, daß der kleine dürre Mensch fast umgefallen wäre.

»Du mußt mir noch ein Amt und eine rein praktische Tätigkeit für Voltaire finden!« sagte er. »Mit dem mache ich's wie mit den Pfaffen! Ich lasse keinen Pfaffen ins Amt, der sich nicht vorher verpflichtet, Obstbäume zu pflanzen und im Gartenbau vorbildlich zu wirken! Der Gartenbau veredelt und besänftigt! – So wirken wir der Entstehung von Fanatikern entgegen und haben nebenbei auch fürs zeitliche Leben einen kulturellen Gewinn der priesterlichen Tätigkeit!

Mit Voltaire wollen wir's ebenso machen! Auch er soll hier im Lande von Amts wegen pflanzen und säen, damit sein unruhiger Geist keine Zeit zum Extravagieren hat! So bleibt er uns sicher, und wir haben keine Mühe, ihn zu bändigen! Denk darüber nach! Au revoir

Die beiden Freunde gingen. Friedrich ließ sich den Degen umschnallen, nahm die Handschuhe, pfiff seinen Hunden und ging hinaus, um noch vor dem Essen die Exerzitien anzusehen!

Nachmittags um sechs war, wie befohlen, das Konzert!

Ausnahmsweise spielte der König heute nicht selbst. Die Hauptnummer füllte diesmal ein Tanzdivertissement von Barberina und Lany aus.

Wie sich's im intimen Rahmen des Musikzimmers von selbst ergab, mußte auf größer angelegte Nummern verzichtet werden.

Man beschränkte sich auf Schäfertänze, zierliche pas de deux, allemagnes, und zuletzt kam eine mit hinreißender Bravour von der Barberina getanzte Tarantella!

Es waren nur einige wenige Eingeladene, vor allem die zur Beratung Befohlenen, der Intendant Baron Sweerts, Graun und der Maler Pesne, die Friedrich noch vor Beginn des Konzerts über seine Pläne orientiert hatte.

Kein Beifall durfte laut werden. Aber in den Blicken der Zuschauer, die alle von der Leistung Barberinas hingerissen wurden, war helle Begeisterung, und Entzücken in allen Zügen.

Nur der König saß sinnend da und sah zerstreut dem Tanze zu. Er war noch ganz erfüllt von den vielen künstlerischen Entwürfen, die seinen Geist beschäftigten! Denn auch die Politik, und insbesondere der Krieg, stellte ihm künstlerische Aufgaben, die er sich mit der ganzen Schwungkraft seines leidenschaftlichen Ehrgeizes zu bewältigen bemühte. Nach allen Seiten suchte sein Geist Expansion – von allen Seiten stürmten die Aufgaben auf ihn ein – er war in vollem Kampf mit der Materia – voller Eroberungslust und dem Schöpferdrang, ihr Bewegung, Schönheit, Ruhm, Macht und geistige Werte abzuringen.

Was sich da vor seinen Augen, beim Tanze Barberinas, in schönen Linien und Rhythmen bewegte, war ihm weiter nichts als leidenschaftlich bewegte Materia – sein Material: das lebendige Fleisch und Blut, das er seinen Ideen dienstbar machen wollte, um es in neue künstlerische Werte umzubilden, wenn auch nur für die Lebensdauer einiger Minuten.

Die Materia in höchster Vollendung, in schönster Belebung – weiter nichts!

Was die Barberina gab – was sie seinen Augen und seiner Phantasie darbot, war ihm nur insofern wert, als es ihn sehen ließ, was aus ihr herauszuholen wäre! Keinen anderen Reiz hatte ihr Tanz im gegenwärtigen Augenblick für ihn, der, von seinen Plänen ganz erfüllt, wie ein Vulkan vor der Eruption zitterte.

Noch lange, nachdem der Tanz beendigt war, saß er so, in Sinnen versunken, und bemerkte weder die fragenden Blicke seiner Gäste, die auf ihm ruhten, noch die Enttäuschung der Künstler, die, wegen des Ausbleibens der gnädigen Komplimente, ganz vernichtet dastanden.

Nur Barberina ließ so etwas wie Trotz in ihren Augen aufleuchten! Und das empfand er.

Zögernd stand er auf, kam langsam auf sie zu, ergriff ihre Hand und berührte flüchtig ihre Fingerspitzen mit den Lippen.

»Charmant!« sagte er galant. »Sie haben viel Grazie und echte Passion bewiesen! Aber was Sie tanzten, das sind Spielereien! Sie sind eine große Künstlerin, voll schöpferischer Intuition. Sie müssen lernen, Ihrer würdige Sujets zu eruieren! Sie bedürfen darin noch der Führung! Wir haben Anlaß genommen, Ihnen ein Ballett komponieren zu lassen, worinnen Sie alle Ihre exzellenten Vorzüge zu voller Geltung bringen können! Meister Graun wird es in eine der auf dem Spielplan stehenden Opern einfügen. Die Idee stammt von uns selbst! Meister Pesne fertigt die dekorativen Entwürfe an – unser Intendant hat die Anweisung, an nichts zu sparen, sondern alle Kräfte unserer Oper aufzubieten. Alle Schwesterkünste Terpsichores werden Ihnen dienstbar gemacht – Schönheit, Grazie, Leidenschaft haben Sie auch zur Verfügung Ihres eminenten Könnens! – Wir wollen eine Apotheose der durch den Geist belebten Materia – die Geburt der Bewegung – des Lebens selbst wollen wir durch Ihre Person in Erscheinung treten lassen! Sie sollen Galathee darstellen, Mademoiselle, die unter den Händen Pygmalions zu leben beginnt! Das können Sie, darauf vertrauen wir fest, wie keine andere! So wollen wir Sie – in Ihrer Kunst – verehren! – Bon soir mademoiselle! – Bon soir, messieurs!«

Er hob den Hut leicht, neigte den Kopf gegen die Anwesenden und ging in seine Gemächer!

Wie ein General nach beendigter Parade Kritik hält oder, vor einer Schlacht, die ordre de bataille erläutert – so hatte er gesprochen! Auch das Lob kurz bemessen und dienstlich knapp!

Und dann: » Bon soir, mademoiselle!«

Nicht die erwartete, ihr so oft schon erteilte Einladung zum Souper im Konfidenzzimmer! – Ihr ganzer übermütiger, mit Rothenburg ausgeheckter Racheplan war ins Wasser gefallen! Sie war gewiß gewesen, durch ihn alles wieder einzurenken und seine gute Laune wiederherzustellen! Und nun entzog er ihr die Gelegenheit, stellte sie auf die Stufe der angestellten Künstlerin und kehrte den gnädigen Herrn und Gebieter heraus, statt, wie so oft, den galanten Verehrer!

Sein Feldherrngenie hatte eben mit seinem Instinkt die Falle gewittert und der Gefahr geschickt vorgebeugt.

» Bon soir, mademoiselle!« hatte er gesagt und das Schlachtfeld verlassen! Gleichzeitig aber es glänzend behauptet!


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