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19

Im Hause des Grafen Rothenburg war eine glänzende Tafelrunde um Barberina versammelt.

Die Koryphäen der Hofgesellschaft hatten sich Rendezvous gegeben. Graf Algarotti, Chevalier du Chazot, Rothenburg selbst – alle waren sie da; selbstverständlich auch Pöllnitz, der nach dem Scheitern seines Nürnberger Heiratsprojekts zurückgekehrt und vom König wieder in Gnaden oder vielmehr in gnädigsten Ungnaden aufgenommen war.

Die erlesensten Speisen wurden aufgetragen – der Champagner perlte in den Kelchen – die Stimmung war ausgelassen – Scherze und Anekdoten lösten sich ab. Und da hatte der unermüdliche Erzähler Pöllnitz, wie immer, das große Wort.

»Er war ein Landsmann von Ihnen, Mademoiselle!« bemerkte er, die eben angefangene Erzählung für einen Augenblick unterbrechend. – »Er machte am Hofe des Königs von Preußen Karriere wie Sie – wenn auch in anderer Weise! Er wurde General der Artillerie – was Sie niemals erreichen werden, und endigte am Galgen, vor dem Sie ein gnädiges Geschick sicherlich bewahren wird!«

»Ich strebe auch nicht so hoch, Baron!« lächelte Barberina. »Mein Ehrgeiz hält sich auf einem viel bescheideneren und weniger luftigen Niveau!«

»Eine schöne Dame hängt man überdies hierzulande nicht, wie Sie als Zeremonienmeister wohl wissen werden!« lachte Rothenburg.

»Man hängt ihr höchstens – im Notfall – einen Gatten an!« replizierte Algarotti.

»Wie ungalant!« rief Chazot.

»Sie scheinen nicht zu wissen, daß mein Vertrag mir verbietet, an die Freuden der Ehe zu denken?!« lachte Barberina.

»Wäre es indiskret, zu fragen, ob Sie Ihr Gelübde zu halten gedenken?«

»Sie, Graf Rothenburg, werden mich sicherlich nicht in Versuchung bringen!«

»Ich werde jedenfalls alles aufbieten, um Sie vom Pfade der Tugend abzubringen, Mademoiselle!«

»Von der Tugend steht nichts im Vertrag!« beeilte sich Pöllnitz einzuwerfen. »Nur von der Ehe!«

»Und auch das war gänzlich überflüssig!« sagte Barberina. »Ich wüßte jedenfalls keinen, dem ich meine Freiheit opfern möchte!«

»Und doch weiß Fama zu berichten, daß Mademoiselle unter Dero berühmtesten Entrechats auch den Sprung in die heilige Ehe zu studieren mit Erfolg bemüht waren!«

Barberina nippte an ihrem Glas und gedachte einen kurzen Augenblick ihres entschwundenen Liebhabers.

»Die Zeit des Studiums ist vorüber!« sagte sie dann mit einem leichten Seufzer. »Aber wir wollen unseren liebenswürdigen Baron nicht unterbrechen! Erzählen Sie weiter von Ihrem illustren Abenteurer! Sein Metier interessiert mich!«

»Sein Metier brachte ihm nicht so viel Schätze ein wie Ihnen das Ihrige!«

»Der Ärmste!«

»Er war nämlich Goldmacher –!«

»Die Kunst haben Sie dann wohl bei ihm gelernt, Pöllnitz, nach Ihren Reichtümern zu urteilen?« fragte Rochenburg sarkastisch.

»Ich habe sie gelernt! Wahrhaftig, ich nahm bei ihm Unterricht! Leider aber lernte ich später auch die Kunst, Gold zu Papier zu machen, als ich zu Zeiten Laws in Paris war! Und das rächt sich! Das gelbe Metall verlangt vor allem Treue! Aber – bleiben wir bei unserem Abenteurer! Ich war noch ein junger Mann, als er an den Hof von Berlin kam!«

»Welchen Glauben hatten Sie damals gerade, lieber Baron?« fragte Rothenburg süffisant.

»Den, den alle anderen Leute von Geist und Erziehung hatten! Ich glaubte an den Stein der Weisen!«

»Und auch Sie – haben ihn niemals zu sehen bekommen?«

»Doch! Ich habe ihn sogar in der Hand gehalten!« Er streckte die Rechte aus. »In dieser meiner Hand!«

»Und – trotzdem ist er ein Geheimnis geblieben?«

»Mein Fehler ist es nicht!« rief Pöllnitz lebhaft.

»Das glauben wir Ihnen aufs Wort!«

Alle lachten.

»Lachen Sie nicht! Wenn Sie, wie ich, mit Ihren eigenen Augen gesehen hätten, wie sich ein Stück Silber in pures Gold verwandelte, würden Sie nicht lachen!«

»Das hätten Sie gesehen?«

» Parole d'honneur, ich habe es gesehen! Und es war kein Traum! – Ich ging zu ihm in sein Laboratorium! Ich war neugierig! Alle Welt drängte sich ja dazu, sein Geheimnis zu erforschen – er aber wies sie sämtlich ab. Nur zu mir hatte er Vertrauen!«

»Er war ein Menschenkenner!«

»Zweifelsohne! Er lud mich also ein – ließ mich feierlichst schwören, das Geheimnis zu wahren –!«

»Sehen Sie!« rief Chazot. »Er wußte, daß er sich auf Ihr Plaudertalent verlassen konnte!«

»Lieber Graf!« schmollte Barberina, »ich brenne vor Neugier! Reden Sie doch dem armen Baron nicht ins Gewissen! Lassen Sie ihn doch weiter erzählen!«

»Ich bemühe mich ja nach Kräften, ihn dazu zu bringen, den Schwur zu brechen!«

»Nicht nötig, lieber Graf!« rief Pöllnitz lebhaft. »Ein Eid ist doch nur dem Sinn nach zu halten! Wenn jemand mir ein Geheimnis unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit anvertraut, so tut er's doch nur in der Absicht, ihm die größtmögliche Verbreitung zu verschaffen!«

»Ganz recht!« lachte Rothenburg, und alles lachte mit.

»Ich bitte Sie«, sagte Pöllnitz, »sonst würde er mir doch nicht das Geheimnis verraten. Ich hab's denn auch ruhig weitergegeben, und – wenn's Ihnen Vergnügen macht –«

»Aber sehr!« rief Barberina.

»Ich will also weitererzählen! Ich kam zu ihm in sein Laboratorium! Er zeigte mir seine beiden Tinkturen – die rote Tinktur – die › materia prima‹, auch der Stein der Weisen genannt – ein fleischfarben schillerndes Pulver – und ein weißes Pulver, das er die ›weiße Tinktur‹ nannte, mit der er Quecksilber in reines Silber verwandeln zu können vorgab. Mit der materia prima aber wollte er nicht nur Gold herstellen, sondern auch alle möglichen anderen Wunderdinge verrichten. So zum Beispiel die Jugend wiederherstellen und das Leben mittels des unfehlbar wirksamen und alleinseligmachenden ›Jungfernpergaments‹ verlängern – –«

»Und von all dem Schönen haben Sie das schnöde Gold gewählt?«

»Man nimmt, was man nicht hat, Mademoiselle! Jugend hatte ich, und an die Verlängerung des Lebens zu denken, schien mir noch verfrüht! Gold aber ist, besonders bei einem jungen Mann von Welt, ein seltenes Metall! Ich nahm also sein Anerbieten an, vorerst einen Taler in Gold zu verwandeln! Das bewirkte er folgendermaßen: er breitete ein Stück Pergament auf meiner Hand aus, streute Sand darauf, nahm dann ein Gran seines kostbaren roten Pulvers, breitete es über dem Sand aus, legte den Taler darauf, streute Sand über das Ganze und hieß mich die Hand schließen! Ein seltsames Gefühl, als ob alle Lebenswärme meines Körpers sich auf einmal in meiner Hand konzentrieren wollte, durchrieselte mich! Ich schrie auf! ›Nur ruhig!‹ sagte er und ergriff meine Linke und fühlte den Puls. ›Ich passe auf! Öffnen Sie die Hand nicht, ehe ich's erlaube! Sonst ist's vertan!‹ Ich gehorchte! Ein gelblicher Rauch quoll zwischen meinen Fingern hervor. Ich fühlte eine durchdringende Glut in der Hand – mein Atem stockte – der Puls schlug immer schwächer und schwächer – der Angstschweiß trat mir auf die Stirn. – ›Genug‹, rief er dann plötzlich. ›Machen Sie die Hand auf!‹ – Ich tat's und – hielt in der Hand ein Stück puren Goldes! – Es ist wahr, Rothenburg – ich schwör' es Ihnen! – Eine Täuschung ist ausgeschlossen! Den Taler hatte ich aus meiner eigenen Tasche genommen!«

»Wenn Sie das nicht gesagt hätten, lieber Pöllnitz«, sagte Rothenburg ruhig, »so würde ich's ohne weiteres angenommen haben. So muß ich glauben, daß Sie, in Ihrer bekannten Distraktion, sich im Wert des Geldes oder – sagen wir – im Metall geirrt haben! Sie werden ihm ein Goldstück gegeben haben!«

» Mais non! – Wofür halten Sie mich?! Am Letzten des Monats – bei dem kargen Gehalt eines Kammerpagen! – Wo hätte ich das Goldstück hernehmen sollen? Der Taler war mein letzter! Der Goldklumpen, den mir Don Caetano – denn so nannte sich mein Abenteurer – der Goldklumpen, den er mir gab, rettete mir das Leben!«

»Und der Eid der Verschwiegenheit, den er Ihnen abnahm, machte ihn berühmt! Denn Sie sangen natürlich sein Lob in allen Tonarten! Der Hof wurde neugierig!«

»Ob der Hof neugierig wurde! Der König selbst – weiland König Friedrich der Erste, Gott habe ihn selig! – interpellierte mich höchstselbst über die Sache! Er ließ daraufhin den Goldmacher kommen! Und Don Caetano hatte dann die Ehre, in allerhöchst Dero Gegenwart, unter Beaufsichtigung des damaligen Kronprinzen, unseres späteren Königs Friedrich Wilhelm des Ersten, selig, Quecksilber zu einem Pfund puren Goldes zu tingieren! Der König war nicht undankbar! Er schenkte ihm sein Bildnis in einem mit Brillanten besetzten Rahmen im Werte von zwölfhundert Talern, und auch das Patent als Generalmajor der Artillerie!«

»Und dann ließ er ihn aufhängen?«

»Nun ja. – Der Goldmacher war ein Betrüger! Er verpflichtete sich, dem König sechs Millionen Taler zu tingieren – und er hielt sein Wort nicht!«

»Und Sie, Baron, wie entgingen Sie dem Galgen?!«

»Ich fiel in Ungnade – das war weit schlimmer als der Galgen! Ich ging nach Paris!«

»Und hatten kein brillantenbesetztes Porträt des Königs zum Trost?«

»Das war mein Glück! Hätte ich das gehabt, dann wäre mir auch der Galgen gewiß gewesen! Man soll sich vor königlichen Brillanten in acht nehmen! Sie stellen immer die erste Phase der Ungnade dar –«

Ein Bedienter trat ein und meldete dem Grafen Rothenburg die Ankunft des Königs. Rothenburg eilte hinaus, und bald darauf trat Friedrich ein, von ihm und Jordan gefolgt.

Er grüßte gnädigst, küßte Barberina galant die Hand und nahm neben ihr Platz.

»Sie haben uns heute durch Ihren Tanz exzeptionell divertiert!« sagte er. »Hätten wir nicht noch verschiedenes zu ordnen gehabt, da wir morgen abreisen wollen, so hätten wir Ihnen unser Wohlgefallen in der Oper bezeugen können! Sie gestatten uns, es jetzt nachzuholen und Ihnen dies Zeichen unserer königlichen Gewogenheit zu dedizieren!«

Er nahm aus der Tasche seines Uniformrockes ein Etui und legte ihr selbst – ein Armband von glitzernden Brillanten um! Eine seltene Auszeichnung!

Barberina zuckte zusammen und blickte Pöllnitz an. Friedrich merkte es.

»Was haben Sie, Mademoiselle? Gefällt Ihnen unsere Gabe nicht?«

»Ich ersterbe vor Dankbarkeit ob der Gnade Eurer Majestät! Der Schmuck ist wahrhaft königlich und selten schön!«

»Was haben Sie denn?«

»Baron Pöllnitz erzählte uns soeben die Geschichte eines anderen Brillantschmucks – eines Schmucks von schicksalsschwangerer Bedeutung!«

Friedrich lachte.

»Man soll sich von Pöllnitzens Aberglauben nicht gleich anstecken lassen! Er wird Ihnen seine alte Geschichte vom Stein der Weisen erzählt haben?«

»Ganz recht, Sire!«

»Und – Sie werden alle trotzdem ebenso klug sein wie zuvor!«

»Ganz recht, Sire!«

»Das ist eben die Quintessenz von Pöllnitzens Weisheit!« scherzte Friedrich. »Ihm ward es wie wenigen gegeben, den erlesensten Lebensrätseln zu begegnen und – blind zu bleiben! Er lernte nie philosophisch denken! Deshalb begreift er nichts – und glaubt an alles!«

»Selig sind, die glauben und nicht sehen!« wagte Pöllnitz einzuwerfen.

»Der blinde Glaube mag gut sein – für Subalterne«, sagte Friedrich. »Eine gewisse Nützlichkeit ist ihm da nicht abzusprechen! Wer aber zum Führer berufen ist, darf nicht auf die eigene Überzeugung verzichten! Ich glaube, was ich greifen und begreifen kann, und lasse mir ohne vollgültige Beweise nichts weismachen!«

Er wandte sich galant an seine Nachbarin.

»Ich glaube zum Beispiel fest an die unvergleichliche Kunst unserer charmanten Barberina und bin durch ihre Leistungen von ihrem Genie überzeugt! Ich werde aber trotzdem nicht darauf verzichten, sie erst als Galathée zu sehen, ehe ich die Überzeugung ausspreche, daß sie in der Rolle so außerordentlich sein wird – wie ich hoffe!«

Barberina dankte mit einem Blick für das Kompliment. Die Tafelrunde geriet in Bewegung.

»Sire, da spricht wohl nur der Wunsch Eurer Majestät nach einem seltenen ästhetischen Genuß mit?« sagte Rothenburg.

»Mich überzeugten die Worte Eurer Majestät nur von allerhöchst Dero Galanterie!« sagte Jordan ruhig und freimütig wie immer. »Majestät werden noch dazu kommen, vor Dero Victorien sich die Karten legen zu lassen! Denn Aberglauben ist's, und kein Glaube, der sich erst überzeugen lassen muß!«

»Wärest du Pastor geblieben, Jordan, so würde ich vielleicht auf dein Urteil in Glaubenssachen etwas geben – wenn's gilt, über Aberglauben zu reden! So gebe ich mehr auf das Feuer der schönen Augen unserer charmanten Barberina! Das wäre schon imstande, mich gläubig zu machen, wenn ich nicht fest in dem Aberglauben wäre, mich erst durch ihre Leistung überzeugen zu lassen!«

»Wovon wollen Eure Majestät noch überzeugt werden – wenn meine Kunst schon das Glück hatte, heute die allerhöchste Anerkennung zu erringen?« fragte Barberina.

»Von Ihrer Fähigkeit, das männlichste aller Probleme – im Leben wie in der Kunst – zu erfassen und zu lösen! Denn das stellt meines Erachtens der Pygmalionmythos dar! Ich will sehen, ob Ihr Wille nachgiebig genug sein kann, ohne seine Elastizität zu verlieren! Ich will wissen, ob Ihr weiblicher Instinkt Schwungkraft genug hat – ob er mitkann – oder zurückbleibt, wie bei den andern! Wird die Statue aus Stein im Morgenrot einer männlichen Tat zu vollem, hingebendem Leben aufflammen?«

»Sire – das hängt von der Sonne ab! Man kann in ihrem Glanz erfrieren – man kann auch von ihren Strahlen versengt werden, ehe man sich seines Lebens recht bewußt wird! Ich fürchte fast, ich werde versagen!«

»Wir wünschen, daß Sie die Probe bestehen, Mademoiselle! Wenn der Feldzug vorüber ist und die Truppen ins Winterquartier gehen, kehren wir wieder und holen uns die Bestätigung! Wir werden dann Pygmalion sehen und das Wunder seiner Schöpfung bestaunen!«

»Dem in der Phantasie Erschauten kommt die Realität des Kunstwerks doch niemals auch nur entfernt nahe!« sagte Jordan.

»In diesem Falle glaube ich es sicher!«

»Dieser feste Glaube Eurer Majestät ist eben, was ich Aberglauben nenne!«

»Der Aberglauben wird zur süßen Pflicht – wenn eine so schöne Dame sein Gegenstand ist!« lispelte Pöllnitz und blickte trotz der Anwesenheit Friedrichs Barberina so verliebt an, daß sie ihm lachend auf die Hand schlug.

»Pöllnitz wechselt eben den Glauben so oft wie den Gegenstand seiner Verehrung!« sagte Friedrich. »Was die Frauen betrifft, so habe ich aber den festen Glauben – daß er immer Pech hat!«

»Sire, sagen Sie das nicht!« ereiferte sich Pöllnitz. »Lesen Sie meine Memoiren – lesen Sie meine Memoiren!«

»Wir brauchen sie nicht zu lesen, um uns davon zu überzeugen, wie sehr Er darinnen nach Rache schnaubt – Rache an dem schönen Geschlecht, das so undankbar war, Seine Verehrung abzulehnen!«

» Mais non!«

»Sie werden uns Frauen in Ihren Memoiren schön zugerichtet haben, Baron!« lachte Barberina.

»Seine Memoiren, ebenso endlos wie seine Abenteuer, lassen sich auf das eine Wort Verachtung – Verachtung für das Weib – zurückführen!«

»Sire, ich protestiere – –«

»Wenn man ihre Grundstimmung in Verse bringen würde, käme nichts als ein Spottgedicht heraus –«

»Wenn Sie es in Verse bringen, Sire – dann sicher!« seufzte Pöllnitz in seinen falschesten Tönen.

»Ach, bitte, Sire, das dürfen Sie uns nicht vorenthalten!« lispelte Barberina, mit einem Blick, als erwarte sie von ihm alles andere – nur keinen Spott. »Haben Sie die Gnade, spenden Sie uns Pöllnitzens Zorn königlich gereimt!«

»Wohlan, wir wollen den Versuch riskieren!« antwortete der König.

Alles wartete entzückt lächelnd. Er sann einen Augenblick nach und begann dann:

»Als Gott in seinem Zorn
Den Teufel schuf,
Er nahm vom Bock das Horn,
Vom Pferd den Huf,
Und schuf ein Scheusal, garstig von Gesicht,
Dem Wesen nach ein rechter Bösewicht!
Er hüllte ihn in Lieblichkeit,
Gab ihm ein weiblich Auge,
Zum Liebeswerben stets bereit,
Und hieß ihm: ›Geh und sauge
Den Männern ihre beste Kraft
Aus Herzen und aus Nieren!
Vergifte ihren Lebenssaft
Und mach' sie gleich den Tieren!
Kannst du das, sollst du gleich mir sein,
Honig und Manna essen,
Bleibt aber einer im Herzen rein,
Sollst ewig Staub du fressen!‹

Dann schnitt er ihm die Krallen ab
Und gab ihm Lilienhände,
Ein voller Busen ward zum Grab
Für seine Teufelsbrände!
Er ließ ihn auf die Männer los
Als wundersüße Dirne!
Der Hölle Qualen birgt ihr Schoß,
Den Himmel täuscht die Stirne
Den armen Erdentoren vor,
Und rote Lippen lockten
Zum Küssen! – Wer den Kopf verlor,
Wem da die Pulse stockten.
Auf ewig in die Glut versank!
Unselig mußt' er leiden,
Weil er des Teufels Liebestrank
Nicht tat auf Erden meiden!«

»Bravo, bravo!« rief die ganze Gesellschaft, als er geendet hatte.

»Nun, Pöllnitz, haben wir da Seine Gefühle richtig getroffen?«

»Sire, ich würde nie im Leben zu beanspruchen wagen, als Urheber einer so schönen Improvisation zu gelten!«

»Sie gaben uns doch den Anlaß!«

»Den äußeren vielleicht! Wenn Eure Majestät mir aber gestatten, offen zu sprechen – –?«

»Wir befehlen es sogar! Hier wollen wir uns doch keinen Zwang auferlegen! Wir wollen auch nicht die Welt um das seltene Amüsement bringen – Pöllnitz offen sprechen zu hören! Also sans ceremonies, Herr Zeremonienmeister!«

»Dann möchte ich mir gehorsamst zu bemerken erlauben, daß Eure Majestät da nicht meinen Gefühlen Ausdruck gegeben haben! So intensiv äußert sich nur eigene Erfahrung!«

Friedrich runzelte die Stirn. Aber nur für einen Augenblick.

»Wir leugnen nicht, in amoureusen Dingen einige Erfahrungen gemacht zu haben! Und waren sie nicht immer nach unserem Wunsch, so sind wir doch jetzt persuadiert, eines Besseren belehrt zu werden!«

Er streichelte die Hand Barberinas.

» Die Hoffnung habe ich längst aufgegeben«, sagte Pöllnitz mit einem affektierten Seufzer. »Ich ließ mir von jener in Lieblichkeit gehüllten Teufelsbrut, von der Eure Majestät sangen, den Lebenssaft eben nicht vergiften!«

»Himmelsbrut müßten Sie sagen, lieber Baron«, lispelte Barberina. »Gott hat doch, wie Majestät so richtig sagten, auch den Teufel erschaffen!«

»Er hat aber auch Pöllnitz erschaffen!« lachte Friedrich. »Und Pöllnitz blieb im Herzen rein!«

»Entsetzlich!« rief Pöllnitz. » Meiner Reinheit halber müßte also jenes höllische Ungeheuer Weib, dem Eure Majestät in dem soeben mit so großer Kunst vorgetragenen Gedicht die Krallen abzuschneiden die Gnade hatten, statt Honig und Manna ›ewig Staub‹ fressen!«

»Geben wir uns besiegt, Mademoiselle! Wir kommen gegen Pöllnitzens Logik nicht auf!«

»Majestät wollen nicht vergessen«, sagte Barberina, »daß unser lieber Baron der einzige unter uns ist, der den Stein der Weisen in der Hand gehabt hat!«

»Dagegen möchte ich protestieren!« rief Jordan lebhaft. »Jeder Mensch hält einmal im Leben, wenn auch ohne es zu wissen, den Stein der Weisen in seiner Hand, und damit die Macht, in dem Moment sein Schicksal zu gestalten! Hat er Glück, so übt er, justement in dem Augenblick, instinktiv seine Macht aus – und wird sehend, nicht nur für sich, sondern auch für die anderen!«

»Du hast recht, Jordan«, sagte Friedrich ernst. »Die Natur stellt uns da auf die Probe, ob wir die empfangenen Fähigkeiten so weit zu entwickeln imstande sind, daß wir unsere Bestimmung ahnen und danach unsere Handlungsweise für alle Zukunft richten! Bestehen wir die Probe, so werden wir nicht verworfen, und Fortuna hält in jeder Gefahr schützend ihre Hand über unsere Person und unser Tun! Die Aufgabe, die einem jeden dabei gestellt wird, fällt weniger ins Gewicht! Die Hauptsache ist, daß man die Fähigkeit erlangt, schnell wie der Blitz die Gelegenheit zu erfassen und zu benutzen! Die wird einem jeden, der sie will! Sie geht ihm aber unwiederbringlich verloren, wenn er nur ein einziges Mal zaudert, im Entschluß zaghaft oder in der Ausführung unsicher wird! Zäh an dem Glauben der Vorbestimmung unseres Lebensschicksals festhalten – das ist mein Glaube!«

»Selig macht dieser Glaube aber auch nicht! Und Enttäuschungen bringt auch er«, entgegnete Jordan. »Also möchte ich das auch Aberglauben nennen! Aber – der Aberglauben des Genies!«

»Ob mein Glaube mich selig macht oder nicht, das wird nicht einmal Jordan zu entscheiden haben!« lachte Friedrich. »Wir wollen hier nicht dem Jüngsten Gericht präjudizieren!«

»Warum nicht, Sire«, sagte Barberina. »Es wäre doch amüsant, sich eine Vorstellung des Hergangs zu machen! Ich bin wirklich begierig, zu wissen, ob und wie wir, die wir hier um den Tisch sitzen, uns beim Jüngsten Gericht wiedersehen werden!«

»Wenden Sie sich an Pöllnitz, Mademoiselle! Er ist der einzige von uns, der mit zeremoniellen Dingen Bescheid weiß!«

»Majestät haben also die Gnade, anzunehmen, daß ich wenigstens als Sachverständiger für die himmlische Seligkeit in Frage käme?«

»Das muß Er uns eben beweisen! Wie würde Er es zum Beispiel anstellen, um für uns selbst die ewige Seligkeit zu beanspruchen?«

»Ein schwerer Kasus!« lachte Jordan.

»Um so mehr Reiz muß es für Pöllnitz haben!«

»Ich muß gestehen«, sagte Pöllnitz, »ich befinde mich da in einiger Verlegenheit! Ich hatte noch nie einen König auf der Liste der von mir zu erbittenden Audienzen. Wenn ich also am Himmelstor anklopfe, und Sankt Petrus mir aufmacht –«

»Dann wird Er weder König noch Bettler, sondern den Menschen zu melden haben, lieber Pöllnitz! Mich melde Er also nur als den Fritz!«

»Zu Befehl! Ich melde also den Fritz! – ›Was will denn der hier?‹ wird der gestrenge Hüter des Himmelstors fragen. ›Der hat schon auf Erden seine Seligkeit – im Ruhm gesucht! – Der hat keine andere gelten lassen! Hat der jemals Liebe empfunden? Hat er sich wie ein wahrer Christ gedemütigt?! Hat er den rechten Glauben betätigt?! Er will vor Gottes Thron erscheinen?! – Ja – hat er denn etwa – er, der stets die Gottheit mit den Lippen verleugnete – im geheimen doch an sie geglaubt?‹ – Was soll ich armer Erdenwurm dann auf so knifflige Fragen antworten, Sire?«

»Mein lieber Zeremonienmeister«, sagte Friedrich, und es kam etwas Straffes in seine Haltung und Festigkeit in seinen Blick, »frage Er mich danach – in der nächsten Schlacht, wenn die Kugeln uns um die Ohren pfeifen und nicht treffen! Wenn Er mich dann noch fragt – da werde ich Ihm auch zu antworten wissen!«

Es wurde still in der Runde. Aller Blicke senkten sich vor der Majestät, die aus den Worten sprach. Barberina wagte zuerst die Stille zu brechen.

»Und der Graf Rothenburg? – Wenn Sankt Peter nach seinen Meriten fragt – was werden Sie sagen?«

Pöllnitz lachte boshaft auf.

»Da habe ich gar keine Angst! Wenn auch der Torhüter des Himmels beim Lesen des Namens Rothenburg seinen silbernen Bart schüttelt und mich unter buschigen Brauen barsch anglotzt und sagt: ›Wie? Dieser Sybarit – dieser lockere Gesell bemüht sich auch um Eintritt? Ich sah ihn noch nie auf dem schmalen Pfad der Tugend!‹ – ›Exzellenz‹, werde ich sagen, ›der Graf hat sich zwar in Worten mit seinem Unglauben gebrüstet, aber nur weil es Mode war! Seine eigene Tugend hat er stets so gut zu verbergen gesucht, daß kein Mensch sie je in Gefahr bringen konnte! Sein Leben lang lag er stets in inbrünstiger Anbetung auf den Knien. Aus ganzer Seele verehrte er die Schönheit, die Anmut und den Geist, die der Schöpfer in das Vollkommenste seiner Schöpfungen niederlegte! Stets machte er die schönsten der Frauen zu Altären seines Gottesdienstes! Sein Gebet war Poesie – seine Beichte atmete beseligende Liebe. – – Ehren, Auszeichnungen, Reichtum – allem entsagte er und legte es den Frauen zu Füßen! Gesundheit, Leben – alles opferte er ihnen in zahllosen Duellen, und was hatte er davon? Undank, Neid, Verleumdung, die grausamsten Qualen der Eifersucht! – Kein Heiliger war öfter in Versuchung als er! Kein Heiliger wurde je so schwer geplagt – kein Heiliger fiel öfter als er – und lernte die Sünde so gut aus eigener Erfahrung kennen!‹ – ›Laß den braven Mann eintreten!‹ wird Petrus sagen. ›Als abschreckendes Beispiel – als bußfertiger Schlemmer – als Prediger für die Wüstlinge wird er das rechte Wort zu finden wissen!‹«

»Fürwahr!« lachte Rothenburg, »wenn ich mit Sicherheit darauf rechnen dürfte, daß Pöllnitz mir als Fürsprecher dienen würde – mir wäre es um die Seligkeit nicht bange! Denn er hat mehr und bessere Ausreden als tausend Priester! Ich befürchte aber, daß er seine Gewandtheit in höfischen Künsten mitsamt seiner übrigen Leiblichkeit hienieden lassen wird, um im Stande der Unschuld da oben zu erscheinen!«

»Da wird nicht viel von ihm übrigbleiben!« lachte Friedrich.

»Er wird jedenfalls so viel Geist damit verbrauchen müssen, uns andere hineinzuschmuggeln, daß er selbst nachher dumm draußen stehen muß!« sagte Jordan.

»Mit Ihnen werde ich nicht viel Mühe haben, Jordan!« rief Pöllnitz. »Bei Ihnen wird der Hinweis genügen, daß Sie Pastor waren und aufhörten es zu sein! Die Tatsache, daß Sie schon bei Lebzeiten aufhörten, mit dunklen Rätseln die Geister hienieden zu verwirren und so, wenn auch negativ, zur Aufklärung beitrugen, wird beredter für Sie sprechen als ich! Und wenn das nicht genügen sollte – ich brauchte bloß darauf hinzuweisen, daß Sie sich bei jedem Gewitter bekreuzigen und Ihre lästerlichen Reden bei Tag durch allabendliche Gebete vor dem Zubettegehen wieder gutmachen! – Mit Ihnen werde ich es also leicht haben! Weit mehr Sorge macht es mir, wie ich einen anderen, der hier nicht anwesend ist, hineinbringe, denn er wird sicherlich zunächst dem Könige auf meiner Liste stehen! Ich meine Voltaire! Ich wüßte nicht, was ich Gutes über ihn vorbringen könnte!«

»Da wäre ich auch in Verlegenheit!« sagte Barberina, die auf die in den Augen des Königs alles überragende Bedeutung Voltaires auch eifersüchtig war. »Was würden Sie zum Beispiel antworten, wenn Petrus Ihnen vorhielte, daß er durch Sklavenhandel Reichtümer sammelte?«

»Ich will Ihnen helfen, Pöllnitz«, rief Rothenburg.

»Ach bitte, tun Sie das!«

»Sagen Sie nur: wenn er sich mit Sklavenhandel befaßte, so tat er's nur, um das Leben in seiner grausamsten und scheußlichsten Form kennenzulernen. Denn das mußte er als Sittenschilderer! Und wenn er dadurch Reichtümer sammelte, so tat er's – um frei und unabhängig zu werden! – Denn nur als freier Mann wird er sich den Luxus leisten können, für die Rechte des Menschen einzutreten und aufklärend zu wirken!«

»Wenn aber Petrus mir dann vorhält, Voltaire hätte das Heiligste verspottet, da er sagte: ›Wenn jener Jude mit seinen zwölf Aposteln die christliche Religion zu stiften vermochte – warum sollten nicht ich und zwölf ebenso gescheite Leute eine weit bessere Religion machen können?‹ – Denn das hat er gesagt!«

»Er hat aber keine gemacht!« sagte Friedrich ruhig. »Und wenn Sie darauf hinweisen, wird es genügen! Denn schon die Tatsache, daß er der Welt nicht noch eine neue Religion bescherte, ist ein so ungeheures Verdienst um den Frieden auf Erden, daß das allein da oben all seiner Bosheit und seinem Spott zur Entschuldigung dienen würde!«

»Sire, wenn Eure Majestät da oben so gut Bescheid wissen – dürfte ich dann alleruntertänigst bitten, mir gnädigst zu sagen, unter welchem Vorwand ich selbst hineingelangen würde?« fragte Pöllnitz. »Ohne allerhöchst Dero Protektion geht's sicherlich nicht! Es gibt wohl keinen Erdenwurm, der so viel Pech hat, wie ich – – keinen, dem so viel Schlechtes nachgesagt wird! Wenn ich mit all dieser Sündenlast da oben ankomme – und überdies noch für Eure Majestät und die gesamte Suite von Philosophen aufkommen muß – dann wird man mir zu guter Letzt sagen: ›Pöllnitz, in die Hölle mit dir! – Du verseuchst uns den Himmel mit all den Freigeistern! Wenn unsere Leute hier oben zu viel Aufklärung erhalten, dann glauben sie nichts mehr, dann werden sie zu gescheit – dann werden sie sagen, die Seligkeit hier oben ist keine Seligkeit, und was weiß ich noch!«

»Sei Er unbesorgt, lieber Pöllnitz!« sagte Friedrich und leerte sein Glas. »Dann wird Seine Flatterhaftigkeit und Sein loses Maul da oben erst recht als Kontrast gebraucht, um das Gleichgewicht gegen uns andere herzustellen. Und wenn Er wirklich all die Schlechtigkeit mit heranschleppen würde, die man Ihm, mit Recht oder mit Unrecht, hienieden nachsagt, und alle die Flüche, die Er in dem langen Lotterleben auf Seinem sündigen Haupt angesammelt hat – dann wird der Herrgott, sofern ich ihn kenne, laut auflachen und sagen: ›Geh, Pöllnitz, Er ist ein Schaf! Tret Er her und stelle Er sich zu meiner Rechten!‹«

Worauf er Barberina die Hand küßte, aufstand, den Hut lüftete und ging, wie er gekommen war, von Jordan gefolgt und von Rothenburg unter vielen tausend alleruntertänigsten Komplimenten bis an den Wagen geleitet.


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