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Drittes Buch
Hahnenkampf

13

Seine Herrlichkeit Lord Stuart-Wortley-Mackenzie trat heute etwas später als sonst seinen täglichen Spazierritt an.

Er zeigte seinem Sohn, der ihn begleitete, ein ungewöhnlich aufgeräumtes Wesen und unterhielt sich lebhaft, fast freundlich, mit ihm.

Der junge Lord war nicht wenig erstaunt darüber. Bis jetzt war er gewohnt, von seinem alten Herrn mehr als ein notwendiges Übel behandelt zu werden. Heute aber kam er sich vor, als sei er plötzlich ein gutes und lohnendes Geschäft geworden – ein reicher Gewinn im Spiel oder so etwas!

Nach Beendigung des Rittes beliebte Seine Herrlichkeit einen andern als den üblichen Weg einzuschlagen. Statt geradeswegs nach seinem an der Südseite des Parks gelegenen Palais zu reiten, warf er sein Pferd herum, lenkte es geradeswegs nach Piccadilly, bog in die Saint James Street ein, kam nach Pall Mall, wo mehrere der reichen Kaufleute ihre Wohnhäuser hatten, und hielt vor einem der reichsten und prächtigsten an.

Ein wohlbeleibter, rotwangiger Hauswart in prunkvoller Livree trat auf die Treppe heraus.

»Sir Josuah zu Hause?« fragte der Lord, stieg auf die bejahende Antwort des Hauswarts vom Pferd, warf dem Groom die Zügel zu und betrat, von seinem Sohn gefolgt, die geräumige, mit allerlei exotischen Trophäen und Waffen geschmückte Halle.

Der Hofmeister, der ihnen auf der Treppe zur ersten Etage entgegenkam, zeigte dem vornehmen Besuch unter vielen devoten Verbeugungen den Weg und führte die Herren in die Bildergalerie, wo sie der Hausherr, der sehr ehrenwerte Sir Josuah Crichton, Großreeder und Mitglied des Hauses der Gemeinen, erwartete. Er empfing sie freundlich, aber würdevoll, und stellte ihnen seine Tochter vor – eine kleine, hübsche Blondine mit dem üblichen, süßlich nichtssagenden Gesicht.

Die gebräuchlichen Phrasen über Wind und Wetter wurden gewechselt. Auch erkundigte man sich, wie schicklich, nach dem derzeitigen Wohlbefinden. Dann zogen sich die alten Herren auf Anregung Sir Josuahs nach der Bibliothek zurück, um ihr »Geschäft« zu besprechen, und ließen die beiden jungen Leute allein!

Das Geschäft betraf eben das Lebensglück jener beiden Menschenkinder, die sich bis jetzt nicht gesehen hatten – die aber, wenn die Herren Väter einig wurden, ihre gegenseitigen Vorstellungen vom Lebensglück in Einklang zu bringen haben würden – ob's ihnen paßte oder nicht.

Zeit genug blieb ihnen dazu.

Denn die beiden alten Herren hatten gewichtige ideelle und materielle Interessen gegeneinander abzuwägen. Sie waren beide darauf bedacht, das Tauschgeschäft möglichst vorteilhaft zu gestalten. Und da ist ein ehrlicher Kaufmann mit dem Anpreisen seiner Ware nicht im Handumdrehen fertig! Seine Herrlichkeit gab sich auch redlich den Anschein, möglichst wenig Interesse am Zustandekommen des Geschäfts zu nehmen.

Er schlug mit der Reitgerte den Staub von den Schößen seines goldgestickten, grünen Rocks, legte sie nebst Hut und Handschuhen auf den großen mit Büchern und Zeitschriften bedeckten Tisch, setzte sich gravitätisch in einen großen Sessel und blickte etwas zerstreut den vor ihm stehenden dicken Sir Josuah an, dessen kleine Äuglein ihm aus dem hochroten, wohlgenährten Gesicht schlau entgegenblinzelten, indes er sich vergnügt die Hände rieb.

»Sie finden mich hier, Sir Josuah«, begann Seine Lordschaft, »um die zwischen uns schwebende Angelegenheit ein letztes Mal zu besprechen und – so oder so – endgültig zu erledigen! – Zunächst möchte ich Ihnen eröffnen – –«

»Ich bin ganz Ohr!« rief Sir Josuah lebhaft, zog einen Sessel näher und setzte sich ebenso würdevoll zurecht. Aber beileibe nicht, um es Seiner Herrlichkeit gleichzutun, sondern nur, um seine weiß gepuderte Staatsperücke nicht gegen die Stuhllehne zu drücken. »Wenn Eure Herrlichkeit also die Gnade haben wollen –«

»Sie wissen, daß das Haus der Stuarts von alters her zu den Stützen der Torys gehört?! – Mein Vater trat aus Überzeugung der Partei der Whigs bei, was unserem Zweig des Hauses den Unwillen der ganzen übrigen Verwandtschaft zuzog. Wir haben einiges darunter zu leiden gehabt! Wir lassen uns aber nicht von unserer Überzeugung abbringen! Man hofft es allerdings – man gedenkt meinen Sohn wieder ins Torylager hinüberzuziehen! – Denn wenn der ältere Zweig ausstirbt, was sehr bald zu erwarten ist, dann ist mein Sohn der Erbe des riesenhaften Vermögens. Und das möchte die Partei der Torys, der ja mein Vetter leider noch angehört, sich zunutze machen!

Das möchte ich verhindern. Ich will nicht nur ihn selbst fest an unsere Sache ketten, ich möchte vor allem den Parteifreunden meines Vetters schon jetzt möglichst klar zu Gemüte führen, daß sie in politischer Hinsicht von uns nichts zu erhoffen haben. – Sie verstehen, Sir Josuah?«

Sir Josuah rieb sich die Hände.

»Gewiß, Mylord, ich verstehe, und ich freue mich über die uneigennützige Treue Eurer Herrlichkeit unserer Partei gegenüber!«

Das Wort »uneigennützig« sprach Sir Josuah mit einer leichten Anzüglichkeit aus, die Lord Stuart sofort in Harnisch brachte.

»Sie meinen das hoffentlich ernst, Sir Josuah?«

»Gewiß!«

»Schön! – Ich hätte sonst die Unterredung abbrechen müssen! – Geld und Geldeswert haben bei den Entschließungen eines Stuart nie eine Rolle gespielt! Ein Stuart war stets bereit, unter Hintansetzung aller materiellen Vorteile dem Rufe der Ehre zu folgen! – Wo Sie in der Geschichte Englands hinblicken – in der grauen Vorzeit – bei den Kreuzzügen, unter Wilhelm dem Eroberer – in den Kämpfen der Roten und der Weißen Rose – bei der glorreichen Revolution – überall sehen Sie meine Ahnen das Banner ritterlicher Gesinnung hochhalten und ihr Blut für die Ehre Englands vergießen! – Unser Stammbaum wurzelt tief in der Vergangenheit! Aus dem Clan der Stuarts sind Könige hervorgegangen! – Unser Haus ist eins der wenigen, die, ohne den guten Geschmack und die guten Manieren zu verlieren, die Periode der Heuchelei unter Cromwell und seinen Rundhäuptern überlebt haben! – Und wenn wir uns dann entschlossen zu der Partei der Whigs schlugen, so war es keinesfalls, um persönliche Vorteile einzuheimsen, sondern es geschah aus der Überzeugung, daß bei den Whigs der Fortschritt liegt, und daß nur auf dem von ihnen betretenen Wege die Größe und die Ehre Englands zu wahren ist! – Wenn Sie mich jetzt also bereit finden, in die Verehelichung Ihrer Tochter mit meinem Sohne zu willigen – –«

»Mylord verzeihen«, unterbrach ihn Sir Josuah, der sich durchaus nichts vergeben wollte – »Mylord verzeihen, wenn ich darauf aufmerksam zu machen wage, daß eine solche für mich gewiß sehr ehrende Einwilligung doch wohl vorher genau zu überlegen wäre!«

»Sie meinen?« – Lord Stuart richtete sich in seinem Sessel auf. »Ihrer Familie kann eine Verbindung mit dem Hause Stuart doch nur Ehre bringen! Und was mich betrifft, so möchte ich nur bemerken, daß ein Stuart nichts ohne reifliche Überlegung zu tun pflegt!«

»Ich bezweifle das durchaus nicht«, sagte Sir Josuah beschwichtigend. »Aber trotzdem möchte ich Euer Herrlichkeit anheimstellen, sich meine Ahnen doch auch etwas näher anzusehen, ehe wir daran gehen, unsere Stammbäume sozusagen in denselben Garten zu verpflanzen!«

»Sie belieben zu scherzen!«

»Durchaus nicht!«

»Wie soll ich das denn verstehen?«

»Beileibe nicht so, daß ich da irgendwie Vergleiche ziehen möchte!«

»Das will ich auch hoffen!«

»Wir haben es ja vorläufig nur bis zum Baronet gebracht! Mein Vater war noch ein einfacher Gentry! Er hat sich nicht träumen lassen, daß bereits ich mir einen Sitz im Hause der Gemeinen kaufen würde. Den Luxus konnte er sich noch nicht gestatten! – Für meine Person bin ich denn auch am Ziel meines Ehrgeizes! Aber meinen Nachkommen möchte ich noch nach Kräften den Weg ebnen! Und so sehr ich die Ehre einer Verbindung mit dem Hause Stuart schätze, die Vorteile, die sie realiter mit sich bringt, sind mir, aufrichtig gesagt, bei dem Geschäft die Hauptsache!«

»Sie schielen wohl bereits nach einem Sitz im Hause der Lords? Die Krone eines Peers von England ist aber nicht um Geld zu haben!«

»Aber sie ist zu haben.«

» Par la grace de Dieu!«

»Die Gnade des Königs genügt mir! Und da reicht der Einfluß des Hauses Stuart wohl bis an die Stufen des Thrones!«

»Der Einfluß unseres Hauses stand unseren Freunden und Verwandten stets zur Verfügung! Also werden auch Sie mit ihm rechnen können – hoffe ich!«

»Für meine Person habe ich keine Wünsche! – Ich habe aber einen Sohn!«

»Wenn Ihr Sohn sich ebenso wie sein Vater um England verdient macht, findet er sicher den Einfluß meines Hauses auf seiner Seite! – Übrigens aber wollten wir nicht von Ihrem Sohn, sondern von Ihrer Tochter sprechen!«

»Ganz recht! Und nachdem ich Eurer Lordschaft Ansichten erforschen und eine so befriedigende Erklärung entgegennehmen durfte, liegt meinerseits nichts mehr im Wege, daß wir auch in dieser Beziehung die Unterhaltung fortsetzen!«

Lord Stuart rümpfte die Nase! Die geschäftsmäßige Art gefiel ihm nicht.

Sir Josuah sah es, ließ sich aber nichts anmerken, sondern fuhr in aller Gemütsruhe fort:

»Ich bin eben Nützlichkeitsmensch wie mein Vater und meine Vorfahren! Und das ist mein ganzer Stolz! – Weit zurück reichen, wie ich schon zu bemerken die Ehre hatte, bei uns die Ahnen von Geburt nicht! – Die haben wir uns erst geleistet, als sich auch bei uns die Notwendigkeit einstellte, den von uns aufgebauten Teil des Wohlstandes Englands auch nach außen hin mit dem gebührenden Glanz zu vertreten! Aber unser Stammbaum ist darum nicht weniger alt! Er wurzelt genau so tief in der grauen Vorzeit und in der Vergangenheit Englands wie der Eurer Herrlichkeit!«

»Was Sie sagen!«

»Eurer Herrlichkeit Vorfahren schlugen sich für die Ehre und den Glanz und hatten für anderes keine Zeit. Die Brosamen, die sie verschmähten, sammelten meine Ahnen ein, Krume für Krume. Das hat lange gedauert! Dann aber – als das erste Schiff gebaut werden konnte – dann ging's schneller. Der Heringsfang lohnte sich! Bald gingen unsere Schiffe – denn sie vermehrten sich rasch – auf Robbenfang aus, und jetzt hat unser anfangs so unansehnlicher Stammbaum tausend Spitzen – tausend Mastbäume –, die alle die Flagge Old-Englands über die Meere tragen! – Hunderte von Schiffen sendet meine Reederei heute mit Gütern beladen nach allen Windrichtungen aus – die meisten mit Glück!«

»Ich weiß«, sagte Lord Stuart trocken. »Wenn Sie's für nötig halten, dieses Thema zu berühren, so kann ich nicht umhin, zu sagen, daß Ihr sonst gewiß sehr ehrenwertes Haus es sich wohl leisten könnte, auf den Sklavenhandel zu verzichten! Mit Heringen und mit Robben kann man handeln – mit Menschen nicht! Sie kennen meine Ansichten in dieser heiklen Frage?«

»Ich kenne sie und respektiere sie! Ich bin aber ein Nützlichkeitsmensch, wie ich schon die Ehre hatte, zu sagen! Das Geld ist mir gut, wo es auch herkommt! – So lange Südamerika ›schwarzes Elfenbein‹ verlangt, wird die Ware beschafft; und da sehe ich nicht ein, warum ich andern Leuten ein gutes Geschäft überlassen sollte, das ich ebensogut selbst machen kann! Um so weniger, da die paar Schiffe, die ich auf die Trade eingestellt habe, ebensoviel einbringen wie alle die anderen zusammen!«

»Trotzdem sollten Sie damit aufhören!«

»Soll ich das so verstehen, daß Eure Lordschaft diese Forderung als Bedingung aufstellen?«

Lord Stuart antwortete nicht.

»Ich würde auf die Bedingung nicht eingehen können«, sagte Sir Josuah resolut. »Dank jenem schwarzen Elfenbein schloß ich im vorigen Jahre mit einem Reingewinn von zweihunderttausend Pfund ab! Ich werde nicht so dumm sein, auf das schöne Geld zu verzichten!«

»Sie wissen, daß unsere Partei eine Bill gegen den Sklavenhandel eingebracht hat?«

»Ich weiß! Aber auch, daß es gewiß Jahrzehnte dauern wird, ehe eine solche Bill Gesetz wird!«

»Ich hoffe doch nicht!«

»Ich schon! Aber wenn die Bill jemals Gesetz werden würde, davon können Eure Lordschaft überzeugt sein, daß der derzeitige Chef des Hauses Crichton & Co. sich dem Gesetze fügen wird!«

»Diese Versicherung beruhigt mich! Ich sehe, wir werden uns über den Sklavenhandel einigen! Reden wir also weiter!«

»Dann möchte ich zunächst das gütige Anerbieten, auf Eurer Lordschaft Besitz Mackenzie-Hill eine Hypothek begeben zu dürfen, mit Dank annehmen!«

In den Augen Stuarts leuchtete es auf.

»Mackenzie-Hill muß ausgebaut werden«, sagte er zögernd. »Es soll der Wohnsitz meines Sohnes nach seiner Verehelichung werden. Sie lassen also die zwanzigtausend Pfund darauf eintragen?«

»Sobald wir im übrigen einig sind, liegt der Betrag zur Verfügung von Eurer Herrlichkeit Gutsverwaltung. Meiner Tochter gebe ich hunderttausend Pfund in die Ehe mit! – Außerdem eine jährliche Rente von zehntausend Pfund!«

»Wollen wir uns bei den Geldangelegenheiten nicht weiter aufhalten«, sagte Stuart, um den Schein zu wahren. »Mein Haushofmeister wird das alles mit Ihnen in Ordnung bringen! Es ist alles richtig so! Machen Sie's nur, wie Sie soeben sagten! Sie werden es zu schätzen wissen, in enge Beziehung zu unserem alten Hause zu treten!«

»So darf ich mir denn erlauben, Eurer Lordschaft Haushofmeister die Dokumente zur Prüfung und Unterschrift zu geben?«

»Bitte, tun Sie das! Sobald er sie gutgeheißen hat, werde ich unterschreiben, und die Sache ist in Ordnung!«

Während der Dauer dieser Präliminarien waren die beiden jungen Leute, die durch jene Dokumente aneinandergekettet werden sollten, in der Bildergalerie mit dem Studium ihrer werten Persönlichkeiten beschäftigt.

In sportlichen Angelegenheiten waren sie bald einig. Miß Betsy liebte das Ballspiel ebenso leidenschaftlich wie der junge Lord »Beß«, wie er in der Familie genannt wurde. – In puncto Pferde waren sie auch eines Sinnes und konstatierten mit beiderseitiger Genugtuung, daß die Fuchsjagden auf den Gütern des Sir Josuah Crichton eine ebenso illustre Gesellschaft zu vereinigen pflegten wie die Veranstaltungen Seiner Lordschaft. An beiden hatten bereits Prinzen von Geblüt teilgenommen. In der Poesie waren sie auch eines Sinnes, beide gleichbewandert in den dichterischen Erzeugnissen, die zu kennen der gute Ton von ihnen verlangte! – Sie konnten überdies die alten Balladen rezitieren, spielten beide vollendet die Laute und einigten sich bald darüber, daß die Gavotte à la cour und das Menuett, wie sie am Hofe des lebenslustigen Prinzen von Wales getanzt wurden, den steifen altmodischen Tänzen am königlichen Hofe vorzuziehen seien.

Kurz: alle Bedingungen einer glücklichen Ehe waren vorhanden. Bis auf eine Kleinigkeit. – Miß Betsy hatte zu tief in die dunkelblauen Augen eines jungen Landedelmannes geblickt und suchte in den hübschen Zügen des jungen Lords vergebens nach dem hausbacken treuherzigen Ausdruck, der ihr lieb geworden war, und von dem ihr Herz einzig und allein eingenommen werden konnte! Und dem jungen Lord war wiederum sie herzlich gleichgültig und ebenso uninteressant wie all die anderen jungen Damen, die er kannte.

Was die würdigen alten Herren miteinander zu besprechen hatten, wußten sie beide – auch, daß sich daraus aller Wahrscheinlichkeit nach eine Ehe zwischen ihnen ergeben würde! – Daß das eine Sache war, die mit der Liebe nichts zu tun hatte, wußten sie gleichfalls!

Dem jungen Lord war die Liebe nur eine modische Redensart, die ihm noch nicht geläufig geworden war, und deren vergnügliche Seite er kaum erst par renommée kannte! – Insofern war er eine Merkwürdigkeit seiner Zeit – streng gehalten und noch jung an Jahren.

Sie war da weit gewitzigter! – Ihr war das Eheproblem bereits bis zu der Frage vorgeschritten: – ob ihr zukünftiger Herr und Gebieter ihr die Freiheit verstatten würde, auch als seine Gattin den ländlichen Neigungen ihres Herzens zu folgen oder nicht? – Eine Frage allerdings, die vor der Trauung weder gestellt noch beantwortet werden konnte – deren Lösung sie aber der ruhigen und höflichen, fast bescheidenen Art des jungen Lords in für sich günstigem Sinne ohne weiteres entnehmen zu können glaubte. Sie gedachte der Küsse ihres geheimen Verehrers und ihres Treuschwurs, nur ihn zu lieben – war aber im übrigen bereit, sich als gehorsame Tochter dem väterlichen Entschluß zu fügen! – – In diesem Sinne verstattete sie sich sogar eine gewisse Annäherung, führte ihren Zukünftigen aus der Galerie in den Palmengarten, zeigte ihm ihre Papageien und Affen, lud ihn ein, auf ihrer Lieblingsbank Platz zu nehmen und sang ihm da, zur Laute, das alte Lied »Robin Adair« vor – sang es mit viel Empfindung, und dachte dabei wehmütig an das bitterböse Schicksal, das nicht jenem jungen Landedelmanne beschert hatte, ein Lord zu sein – den sie auch heiraten durfte!

»Treu und herzinniglich,
Robin Adair,
Tausendmal grüß ich dich,
Robin Adair,
Hab' ich doch manche Nacht
Schlummerlos zugebracht,
Immer an dich gedacht,
Robin Adair!

Mancher wohl warb um mich,
Robin Adair,
Treu aber liebt ich dich,
Robin Adair,
Mögen sie andre frein,
Will ja nur dir allein
Leben und Liebe weihn,
Robin Adair!«

So sang sie, und der junge Lord wurde dabei von einer ihm nicht recht erwünschten Empfindung beschlichen.

Sie hatte ja eine ganze hübsche Stimme und sang mit viel Gefühl! – Ihre Augen wurden dabei feucht – ihre Wangen glühten! – Als wohlerzogener Mensch konnte er nicht umhin, das Lied auf sich zu beziehen! – Er überlegte sich's schon in allem Ernst, ob er es nicht seinerseits auch zu einer Annäherung kommen lassen müßte?! – Ein Handkuß schien ihm schon unumgänglich! – Da, zum Glück, erschienen die beiden Väter, die inzwischen einig geworden waren, und machten seiner Verlegenheit ein Ende.

Das Lied – das anscheinend intime Zusammensitzen der beiden – alles schien den alten Herren für eine glatte Abwickelung des Geschäfts zu bürgen!

Schmunzelnd trat Sir Josuah auf seine Tochter zu, teilte ihr in aller Form mit, daß Seine Herrlichkeit ihm die große Ehre erwiesen hätte, um ihre Hand für seinen Sohn zu bitten, sowie, daß er seine Zustimmung bereits gegeben hätte.

Seine Herrlichkeit hatte denn auch die Gnade, ihr die Stirn zu küssen und sie als Tochter zu begrüßen, und zwar ohne sie um ihre Meinung zu befragen. Er übergab ihr einen prachtvollen Schmuck, den er bereits mitgebracht hatte, und legte dann ihre Hand in die seines Sohnes, der sie gehorsamst annahm und sie formell küßte.

Nachdem Lord Stuart die ganze Familie Crichton auf den heutigen Abend zum Diner geladen hatte, verabschiedete er sich, nahm den frischgebackenen Bräutigam mit, schritt würdevoll, wie er gekommen, die Treppe hinab, bestieg sein Pferd und ritt denselben Weg zurück.

Unterwegs regte sich im Busen des jungen Lords so etwas wie eine Empfindung, daß auch er ein Mensch für sich sei! – Im Hydepark angelangt, beurlaubte er sich plötzlich von seinem gestrengen Herrn Vater, dem er glaubte für heute genügend Gehorsam gezeigt zu haben! – Er wollte sich noch in den Alleen des Parks ergehen und erst später nach Hause kommen.

Der Groom nahm sein Pferd am Zügel und folgte dem alten Herrn nach dem Palais. Und Lord Beß war endlich allein mit seinen Gedanken.

Er schlenderte durch den Park, ohne Ziel, sah zerstreut dem bunten Treiben zu und bog dann, ermüdet von dem Trubel, in einen entlegeneren Weg ein.

Die Bäume gaben hier mehr Schatten und gestatteten keinen weiteren Ausblick. – Die Wege schlängelten sich zwischen dichtem Gebüsch hin. Die Großstadt war hier kaum zu hören. Weit und breit war kein Mensch zu sehen.

Beß dachte nicht mehr an das soeben Erlebte. Er war froh, für einen Augenblick dem Zwang entschlüpft zu sein, in dem sein gestrenger Herr Vater ihn bis jetzt unnachsichtlich gehalten hatte.

Das heutige Ereignis hatte für ihn keine andere Bedeutung, als daß er die Fesseln der väterlichen Beaufsichtigung mit denen der Ehe vertauschen sollte! – – Ein notwendiges Übel nur war's, das eine wie das andere, und keines Gedankens wert! Für den Augenblick fühlte er sich frei wie ein Schuljunge, der sein tägliches Pensum absolviert hatte! Und das war ihm die Hauptsache!

Er trieb sich ohne Ziel herum und war eben im Begriff, den Weg nach Hause einzuschlagen, als er plötzlich laute Hilferufe hörte. – Schnell lief er nach der Richtung, aus der die Rufe kamen, und sah auf einem Seitenweg eine junge Dame, die von zwei Männern fortgeschleppt wurde. In der Nähe hielt ein verschlossener Wagen.

Eine Entführung also am hellichten Tage!

Er lief hinzu, so schnell er konnte, zog den Degen und schlug auf die Bösewichter ein, die ihr Opfer sofort freiließen und, ohne sich zur Wehr zu setzen, eiligst an den Wagen liefen, den Pferden die Zügel gaben und in vollem Trab davonjagten.

Beß wandte sich der Überfallenen zu, die noch keuchend vor Aufregung dastand.

Es war ein reich gekleidetes, etwas fremdländisch anmutendes junges Mädchen von hohem, schlankem Wuchs. Mit der Leichtigkeit einer Sylphide, und mehr schwebend als gehend, kam sie auf ihn zu und reichte ihm die Hand.

»Mein Herr, wie soll ich Ihnen nur danken können«, sagte sie in gebrochenem Französisch, mit einer Stimme, in deren sonorem, etwas verschleiertem Klang der überstandene Schrecken noch nachzitterte. – – »Sie haben mir das Leben gerettet!«

Er stand da, stumm, ohne etwas sagen zu können, und hielt die kleine Hand fest, deren kaum fühlbarer Druck ihn wie ein elektrischer Schlag durchzitterte. Er blickte in ein Paar schwarze, wundervolle Augen, deren Glanz noch von den Tränen erhöht wurde, er sah ein jugendliches Gesicht, frisch wie ein Pfirsich, sah die roten, schön geschwungenen Lippen bezaubernd lächeln und schloß die Augen, um nicht der Versuchung nachgeben zu müssen, sie sofort zu küssen! – Was sie ihm sagte, hatte er nicht gehört, nur den Klang ihrer Stimme vernommen, der noch wie liebliche nie zuvor gehörte Musik in ihm nachzitterte und ihn in süße Aufregung versetzte.

So stark war der Eindruck, daß er, von einem plötzlichen Schwindel gefaßt, wankte und sich an einen Baum stützen mußte.

»Mein Gott! – Fallen Sie nur nicht in Ohnmacht!« lachte die silberhelle Stimme wieder. »Man könnte ja denken, nicht Sie hätten mich, sondern ich Sie gerettet!«

»Das haben Sie auch!« rief Beß mechanisch und wiederholte mechanisch wie im Traum: »Sie haben mich gerettet! – Sie haben mich gerettet! – – Gott sei Dank!«

Die Liebe war wie ein Blitz des Himmels in seine Seele gefahren und hatte sein ganzes Wesen in Flammen gesetzt. Vor einigen Minuten noch ein Traumwandler, der sich von fremden Mächten hin und her treiben ließ, war er jetzt zum selbständigen Leben aufgewacht! – Er sah den Weg und empfand zum ersten Male voll das Glück, da zu sein.

Sie sah seine Aufregung und zog ihre Hand aus der seinen.

»Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet, mein Herr!« sagte sie nochmals. »Mein Leben lang werde ich Ihre Schuldnerin sein! Ich darf Sie aber nicht länger aufhalten!«

»Tun Sie's nur! – Tun Sie's nur!«

»Ich habe Verpflichtungen, die ich erfüllen muß!« sagte sie. »Die Zeit eilt! Wenn Sie aber Ihre Güte noch so weit ausdehnen möchten, mich zu meiner Sänfte zu begleiten, wäre ich Ihnen dankbar!«

Ohne seine Antwort abzuwarten, legte sie ihren Arm in den seinen und führte ihn, mehr als er sie, den Weg zurück von der entlegenen Stelle des Parks zu dem Platz, wo ihre Sänfte wartete.

Viel zu kurz dünkte ihn der Weg. Ehe er recht zur Besinnung kam, hatte sie sich verabschiedet, sich in die Sänfte gesetzt und den Trägern ein paar Worte zugerufen. Und er stand da und blickte ihr groß nach und war nicht sicher, ob die ganze Begebenheit ein Traum war oder nicht.

In ihm jubelte es aber auf! Und um ihn war die ganze Natur wie verwandelt. Noch niemals hatte der Garten so strahlend schön dagelegen – niemals zuvor war die Luft so voll von Wohlgerüchen oder das Atmen so leicht! – Und das Zwitschern der Vögel gab nur das Echo zu dem Aufjauchzen in seinem Innern, verstärkte es und trieb es zu einem einzigen Aufschrei unbändigster Lebenslust.

Ein anderer Mensch, kam er nach Hause.

Die Fesseln waren abgefallen. Was ihn bis jetzt beengt hatte, existierte nicht mehr, oder war unwesentlich geworden! Wo er hinsah, sah er nur das liebliche Bild, das ihm soeben begegnet war! – Wo er hinhörte, hörte er nur den silberhellen Klang ihrer Stimme! – Es war ihm unmöglich, einem Gespräch zu folgen, und nur mit Mühe konnte er sich so weit zusammennehmen, daß er auf direkte Fragen Antwort gab.

Das Diner verlief einförmig. Lord Stuart freute sich, daß sein Sprößling – wie er dachte – darauf bestrebt war, die Würde seines Standes zu wahren. – Die junge Braut war entzückt von der vielversprechenden Gleichgültigkeit, die ihr zukünftiger Herr und Gemahl ihr zeigte, und tat in ihrem Herzen das Gelübde, ihn nie auf andere Gedanken zu bringen.

Nur Sir Josuah war unzufrieden. Er fand seinen zukünftigen Eidam mehr als löblich dumm und überlegte noch, wie er sein gutes Geld gegen diese geistige Minderwertigkeit schützen sollte.

Aber das Essen war glänzend, die Weine ebenso. Und ehe man sich trennte, hatte man sich schon dahin geeinigt, die beiden Neuverlobten am nächsten Tag miteinander ins Theater zu schicken, damit sie sich so allmählich näher kämen!

Sir Josuah hatte bereits eine Loge im Coventgardentheater genommen, und man sollte die große Sensation der Saison, die Tänzerin Barberini, sehen.

Am folgenden Nachmittag holte Beß seine Braut ab. Er kutschierte selbst das Sechsergespann und machte erst eine Spazierfahrt in den Park, um sich auch da mit ihr öffentlich zu zeigen.

Kurz vor Beginn der Vorstellung langten sie in Coventgarden an und suchten ihre Loge im ersten Rang auf.

Die Vorstellung begann, und da Beß ebenso gleichgültig und zerstreut war wie beim gestrigen Diner, so konnte seine Braut sich ungestört dem Zuhören widmen!

Die Vorstellung schien dem jungen Lord endlos zu sein. Er konnte es kaum noch abwarten, die junge Dame wieder nach Hause bringen zu dürfen, und wäre gern sofort aufgebrochen. Aber sie schien Vergnügen an der Aufführung zu finden. Und seufzend fügte er sich in sein Schicksal!

Endlich kam das Ballett.

»Haben Sie die Barberini schon gesehen, Mylord?« fragte die junge Dame, um einmal ein Wort zu sagen.

»Nein!« antwortete Beß, errötete aber dabei, als hätte er eine Lüge gesagt. Warum, war ihm unfaßlich, denn er glaubte die Wahrheit gesprochen zu haben! Aber jenes Gefühl kam wohl nur davon, daß diese ihm höchst gleichgültige junge Dame an seiner Seite ihn durch ihre bloße Anwesenheit irritierte! – Er wußte in ihrer Gegenwart kaum noch mit sich Bescheid und wünschte sie im stillen dahin, wo der Pfeffer wächst!

Der Vorhang ging auf und machte allem Fragen ein Ende.

Der Regisseur trat vor und teilte dem Publikum mit, das pantomimische Ballett müsse leider heute ausfallen, da Demoiselle Barberini noch unter den Folgen ihres gestrigen Unfalles leide! Sie würde heute nur ein Menuett, einen schottischen Tanz und eine Tarantella tanzen und ließe um die Nachsicht des Publikums bitten.

Das Parterre knurrte und schien nicht übel Lust zu haben, dem Regisseur auch tätliche Antwort zu geben! – Die Apfelsinenmädchen machten reißende Geschäfte und sahen in kurzem ihre Körbe leer von den auch als Wurfgeschoß beliebten Früchten.

Aber die Ankündigung, daß John Rich, der alte Liebling des Publikums, als Ersatz einen » Saylor boys« und ein paar seiner Grotesktänze zugeben würde, verfehlte ihre Wirkung nicht. Die Unruhe legte sich, und die Vorstellung konnte weitergehen.

Anfänglich blickte Beß kaum hin, sondern saß im Hintergrund der Loge, in Gedanken vertieft, und die gingen alle zurück zu dem Gegenstand des gestrigen Abenteuers, von dessen Lieblichkeit er noch ganz erfüllt war. Schließlich aber glitten seine Blicke auch nach der Bühne – und da, von den wiegenden Rhythmen getragen, schwebte ihm eine Erscheinung entgegen, bei deren erstem Anblick ihm alles Blut zum Herzen strömte.

Sie – sie war's!

Er hätte zu ihr hinunterspringen mögen, sich ihr zu Füßen werfen – sie in die Arme nehmen und forttragen – irgendwohin, gleichviel wo, wenn er sie nur den Blicken all dieser Leute zu entziehen vermöchte, die sie mit ihrem Entzücken verfolgten, beleidigten, ja entweihten! Allein wollte er sie anbeten, ihr in seiner Seele einen Tempel errichten, wo sie allein herrschen sollte und er als ihr erster und einziger Diener der Vermittler zwischen ihr und dem übrigen Leben auf dieser Erde sein würde!

Er saß ganz still und wagte kaum zu atmen! Seine Blicke hingen wie festgebannt an ihr. Jede Linie, jede Biegung des schmiegsamen Körpers fesselte ihn mit unwiderstehlicher Gewalt. – Als sie aber wie ein Schmetterling über die Bühne flatterte und fast in seine Loge hineinfliegen zu wollen schien, da fuhr er auf und streckte die Arme gegen sie aus. Und er hätte jenen Unhold, mit dem sie tanzte, ermorden können, als er sie packte und mit seinem Raub davonstürmte.

Er schrie auf vor Wut ob der Beifallsstürme des Publikums!

Nur für ihn durfte sie da sein, nur für ihn tanzen! Ihm allein kam die Anbetung und die Verehrung zu! Das schien ihm von allem Anfang an so bestimmt! – Der Himmel hatte sie ihm gesandt – hatte ihr gegeben, ihm die Augen zu öffnen, und zwar nur, um in ihr das Höchste und Schönste im Leben zu verehren und daran selbst zur vollen Entfaltung seines Selbst zu erblühen!

So heftig äußerte sich sein Unwille über die »Zudringlichkeit« des Pöbels, daß es der Aufmerksamkeit seiner Gefährtin nicht entging. Um so weniger, da sie selbst mit Eifer an den Beifallsäußerungen teilnahm.

»Sie mögen sie nicht?« fragte sie und blickte ihn erstaunt an. Und er, der fürchtete, sich verraten zu haben, griff dankbar nach ihrer Deutung seines Benehmens und antwortete mit einem bestimmten Nein!

»Das wundert mich«, sagte die junge Dame in geringschätzigem Ton. »Ihresgleichen hat man, soviel ich weiß, noch niemals in London gesehen! Sie ist ja ein Wunder von Anmut und Grazie und tanzt mit einer Vollendung, die mich ganz entzückt!«

Zu dieser Belehrung schwieg Beß wohlweislich. Mehr als über deren Inhalt freute er sich über den kühl überlegenen Ton, in dem sie gegeben wurde! Und er nahm sich vor, sein möglichstes zu tun, um noch mehr in ihrer Achtung zu sinken. Er war zu gut erzogen, um ihr zu widersprechen, ließ aber auch kein Wort der Zustimmung laut werden. Und das schon war in ihren Augen ein unverzeihlicher Mangel an der schuldigen Galanterie.

Schweigend stand sie auf, ließ sich von ihm zum Wagen führen, sagte unterwegs kein Wort und machte nicht Miene, ihn zu überreden, als er die höfliche Einladung Sir Josuahs zum Souper ausschlug. Zum Erstaunen ihres Vaters ließ sie ihn seines Weges gehen.

So waren sie bereits wegen Barberina entzweit, wenn auch in ganz anderem Sinne, als es noch kommen sollte. Keinen Augenblick länger mochte er in der Nähe eines anderen weiblichen Wesens weilen, am allerwenigsten da, wo er zum Überfluß noch gebunden war.

Nach Hause mochte er aber auch nicht fahren.

Er wußte jetzt, wer seine Angebetete war – er mußte aber auch mehr wissen als den bloßen Namen. Und so entschloß er sich, trotz seines Widerwillens gegen geräuschvolle Gesellschaften, zum erstenmal, den Aufforderungen seiner jungen Standesgenossen nachzukommen, und ließ sich nach einem Gasthaus fahren, wo die jungen Leute von Welt zusammenzukommen pflegten.

Er wurde mit Begeisterung empfangen und sah sich bald als Mittelpunkt eines Kreises junger Leute des höchsten Adels, die eine sehr angeregte Unterhaltung führten, bei der ihre galanten Abenteuer hauptsächlich den Gesprächsstoff abgaben.

Selbstverständlich wurde da auch der Name Barberinas genannt. Allerdings mit einem gewissen Unterton von Enttäuschung! Denn keiner der jungen Herren konnte sich rühmen, von ihr irgendeine Gunstbezeugung erlangt zu haben. Und sie war schon die zweite Saison in London.

Man hatte sich alles mögliche über ihr Vorleben erzählen lassen. Der junge Lord Albermale zeigte sich besonders gut unterrichtet – er hatte sein Wissen von Lord Arundel, der ihr in Paris – wie man sagte – nicht ohne Erfolg den Hof gemacht hatte! – Er hatte sie sogar selbst dort kennengelernt. Und wer weiß, wie es gekommen wäre, wenn nicht ihre plötzliche Abreise nach England ihm jede weitere Gelegenheit zu einer Annäherung abgeschnitten hätte! Hier hielt sie sich ja hermetisch abgeschlossen. Es sei aber ein gründliches Mißverständnis ihrerseits, wenn sie dächte, dem englischen Geschmack dadurch entgegenzukommen, daß sie sich zu einer Heiligen zu entwickeln suchte!

Man denke sich nur: – eine Heilige, die, aus der Entfernung, mit den Beinen predigte! Sie würde dem Himmel schwerlich Proselyten zuführen, wenn sie sich nicht entschlösse, ihnen schon auf Erden eine Kostprobe der Seligkeit zu geben!

Die lachende Zustimmung der übrigen verstummte, als zum allgemeinen Staunen Lord Stuart für die gelästerte Schöne eintrat.

Er gebe nichts auf Verleumdungen – er möchte Lord Albermale empfehlen, auch diese Vorsicht walten zu lassen! Wer in der Öffentlichkeit stünde und gar, wie die Barberini, ein Gegenstand der besonderen Aufmerksamkeit des Publikums sei, entginge solchem Gerede niemals! Es brauche deshalb nicht auf Wahrheit zu beruhen! Er sähe nicht ein, warum eine junge Dame – denn das sei die Tänzerin unzweifelhaft –, warum sie nicht in Paris ebenso musterhaft gelebt haben sollte wie hier in London! Auf das Gerede eines als eitlen Gecken und leichtsinnigen Lebemann, wie Lord Arundel, bekannten Gentleman wäre nichts zu geben! Und er könne Lord Albermale den Vorwurf nicht ersparen, wider besseres Wissen diese, den Ruf einer jungen Dame kränkenden Gerüchte aus Ärger wegen Nichterfüllung galanter Wünsche weiterzuverbreiten! Das wäre zum mindesten nicht edel und vertrüge sich schlecht mit ritterlicher Gesinnung! Er selbst wäre jederzeit bereit, für sie – und zwar in jeder Weise – einzutreten! Er würde aber keinesfalls länger dulden, daß über ihre Tugend und ihre Keuschheit lästerlich geredet würde! Am allerwenigsten von jungen Leuten, deren persönliche Erfahrung sie eigentlich zwingen müßte, ihr das glänzendste Tugendzeugnis auszustellen, wenn ihre verletzte Eitelkeit sie nicht daran hindern würde!

Diese ruhig, aber mit einer unter dem Ernst deutlich wahrnehmbaren Leidenschaft vorgebrachte Rede Lord Stuarts bereitete der Fröhlichkeit der jungen Dandys ein jähes Ende.

Alle blickten Lord Albermale an, dem es als Angegriffenem zukam, dem jungen Herrn die gebührende Antwort auf seine Dreistigkeit zu geben.

Sie blieb nicht aus.

»Über die Tugend und Keuschheit der betreffenden jungen Dame hätte ich längst aus eigener Erfahrung sprechen können, wenn nicht das unerbetene Dazwischenkommen eines jungen Fants mich gehindert hätte!«

»Sie, Mylord, Sie waren es, der jenen Schurkenstreich gegen sie plante?« rief Stuart – »jene Entführung, die ich noch rechtzeitig vereiteln konnte!«

»Ich war so frei«, sagte Albermale ruhig. »Aber auch ohne daß Sie sich jetzt als unerbetener Retter zu erkennen gegeben hätten, würde ich es nicht verabsäumen, von Ihnen volle Genugtuung für Ihre mich in meiner Ehre verletzenden Worte zu verlangen! Ich empfinde aber die Verpflichtung, Sie erst durch Tatsachen zu überzeugen! Ich will also sofort den Beweis für die Wahrheit meiner Behauptungen führen!«

»Das wird Ihnen niemals gelingen!« rief Stuart heftig.

»Im äußersten Falle wird meine Degenspitze für das Gelingen zu sorgen haben!« erwiderte Albermale ruhig. »Ich hoffe aber zuversichtlich, der Mühe überhoben zu werden, einen jungen Edelmann, den ich sonst schätze und achte, in solch empfindlicher Weise für einige unbesonnene Worte zu züchtigen! Als Mann von Ehre werden Sie sich nicht versagen können, die von mir gebotenen Beweise entgegenzunehmen und mir dann volle Genugtuung zu geben!«

»Sie können überzeugt sein, daß ich Ihnen jede Genugtuung geben werde, die Sie zu verlangen haben, soweit sie sich mit den Gesetzen der Ehre verträgt! – Es wird Ihnen aber nie und nimmer gelingen, mich zu überzeugen!«

»Folgen Sie mir nur, und Sie werden eines anderen belehrt werden! In Whites Schokoladenhaus wird zur Zeit von einem früheren Tänzer, Fossano, Bank gehalten! Er weiß genau Bescheid über sie! Gehen wir zu ihm!«

»Gehen wir!« – riefen die anderen, denen die Abwechselung willkommen war. Und Stuart folgte, obwohl mit Widerwillen. Denn auf das Zeugnis derartiger Leute war seiner Ansicht nach nicht viel zu geben!

In Whites Schokoladenhaus trafen sie mit Spielern aus allen Gesellschaftsschichten zusammen. Der Hochadel war zahlreich vertreten. Söhne reichgewordener Kaufleute, die Beziehungen nach oben anknüpfen wollten, suchten auf dem Nahweg durchs Spielhaus etwas rascher einige Sprossen der gesellschaftlichen Leiter zu überspringen. Glücksritter aller Nationalitäten, Spieler ex professo, machten sich die Gelegenheit zunutze, den alten gefestigten Feudalbesitz zur Ader zu lassen. Und die galanten Damen fehlten selbstverständlich auch nicht. Es wurde viel und gut gegessen und getrunken – das Eintrittsgeld war auch danach bemessen. In einem größeren, dafür reservierten Saale hatte der ehemalige Tänzer und jetzige Bankhalter seine Spieltische aufgestellt.

Lord Albermale gelang es nach einigem Warten, mit seinen Freunden an den Tisch heranzukommen, wo Fossano selbst Bank hielt. Sie stellten sich ihm vor, nahmen Karten, und das Spiel begann.

»Auf Barberina!« rief Albermale übermütig und warf eine Handvoll Goldstücke auf Pik-Dame.

»Vorsicht, Mylord!« lachte Fossano. »Eure Herrlichkeit werden verlieren! – Die Dame Barberina hat noch niemand Glück gebracht – außer dem Bankhalter!«

Albermale verlor auch prompt. Die Pik-Dame echappierte mit seinem Gold!

»Ihr Zeuge läßt Sie böse im Stich, Mylord!« sagte Stuart trocken.

»Wieso?«

»Die von Ihnen benannte Dame hat doch eklatant gezeigt, daß sie für Geld nicht zu haben ist!«

»Das hängt ganz vom Betrag ab!« tröstete Fossano, strich die verlorenen Einsätze ein, zahlte aus, wo zu zahlen war, und gab neue Karten.

»Auf die Summe soll's mir nicht ankommen!« erwiderte Albermale und warf eine ganze Börse hin. Er verlor nochmals.

»Ich wiederhole es, Mylord – die Gegenliebe dieser Dame ist nicht für Geld zu haben!« sagte Stuart noch nachdrücklicher. »Bei ihr ist der Einsatz das Leben!«

» Der Einsatz wird hier nicht angenommen!« entgegnete Fossano. »Und – bei ihr wird er auch nicht verlangt! – Genügend Geld und gut gemachte Gelegenheit waren bis jetzt alles, was nötig war!«

»Du lügst!« schrie Stuart, der auf einmal die Selbstbeherrschung verlor.

»Mein junger Herr, ich weiß nicht, wie Sie dazu kommen, mit mir in dem Tone zu reden! – Sie wissen von ihr nichts! Wenn irgendeiner, muß aber ich mit ihr Bescheid wissen! Denn ich war ihr Lehrer! – Ich habe sie ausgebildet – in der Kunst des Tanzens wie in all dem anderen! – Ich habe sie in die Welt eingeführt – ich habe sie an den Hof von Frankreich gebracht – sie war meine Geliebte – sie wurde vom Prinzen von Carignan, von Lord Arundel und von vielen anderen ausgehalten – –«

»Sie hören, Lord Stuart?«

»In der kurzen Zeit von zwei Monaten hatte sie schon vierzehn Liebhaber, von denen man wußte!«

»Du lügst, du Hund von einem Falschspieler!« rief Stuart außer sich. Und im Übermaß seiner Aufregung warf er den Tisch um, daß Geld und Karten auf dem Fußboden rollten, zog den Degen und schwang ihn im Kreise um sich herum.

»Wer noch ein Wort über sie spricht, ist des Todes!« schrie er.

»Ich fürchte den Tod nicht«, sagte Albermale ruhig, »und bin sicherlich imstande, mich meines Lebens zu wehren, wenn's sein muß! Ich stehe Ihnen zur Verfügung! Hier ist aber nicht der Ort, wo Edelleute ihre Händel auszutragen pflegen! – Wollen Sie nur die Güte haben, Ihre Zeugen zu benennen. Ich werde desgleichen tun. Und das Weitere werden diese Gentlemen dann vereinbaren!«

»Ich sende sie Ihnen«, sagte Stuart, »und hoffe, Sie schon morgen bereit zu finden! Es geht aber auf Leben und Tod! Denn wer, wie Sie, aus verletzter Eitelkeit die Ehre einer Dame durch den Schmutz schleift, verdient kein Erbarmen!«

»Sie haben die Beweise gehört!«

»Das Wort jenes Glücksritters, der sein ritterliches Wappen Gott weiß wo gestohlen hat, gilt mir nichts!«

»Reisen Sie nach Paris, junger Herr«, sagte Fossano, »überzeugen Sie sich!«

»Und wenn ganz Paris und ganz London aufstünden, um gegen sie zu zeugen und zu erklären, ihre Gunst genossen zu haben, so erkläre ich, Lord Stuart, sie alle für Lügner und Betrüger! – Diese Dame ist rein wie ein Engel des Himmels! – Ich brauchte ihr bloß ein einziges Mal in die Augen zu blicken, um zu wissen: – hier, in dieser Seele, wohnt die Tugend, der kein Erdenschmutz etwas anhaben kann, wie nahe er ihr auch kommt! – Speit eure schmutzigen Verleumdungen über sie aus! – Ertränkt sie in all dem Unrat eurer Seelen – sie wird aus dem Schlamm emportauchen wie ein Schwan, rein und makellos und ohne Flecken auf dem weißen Gefieder! Zieht sie nur mit Gewalt zu euch hinab! Ihr kann das nichts anhaben – sie bleibt keusch und unberührt trotz allem! – Sie hat sich noch niemand wahrhaft ergeben, dafür setze ich die Ehre meines Namens als Pfand ein und verteidige ihre Ehre mit meinem Leben!«

Und damit ging er.

Die anderen folgten. Gespielt wurde sowieso nicht mehr nach der unliebsamen Unterbrechung. Fossano ließ Geld und Karten einsammeln, rechnete mit seinen Markören ab und ging gleichfalls.

Er vergaß aber nicht, sich vorher Kunde zu verschaffen von Zeit und Ort des bevorstehenden Zweikampfes, dessen Details Lord Albermale noch auf der Stelle mit zweien seiner Freunde geordnet hatte.

Mit dieser großen Neuigkeit wartete er gleich am anderen Morgen der Mama Campanini auf.

»Freut Euch, Signora!« rief er gleich in der Tür. »Eure Tochter wird endlich auch hier in London ihren Weg machen!«

Die Mama sah von ihrem »Gebetbuch« auf, in das sie vertieft war, und dessen Zahlenreihen sie eben zum soundsovielten Male zärtlich beäugelt hatte. – In so dichten Kolonnen marschierten sie nicht auf wie in Paris. Aber immerhin mächtig genug, um dem Leben jeden Wunsch abzutrotzen.

»Sie wissen doch, Signore –« begann sie von oben herab –

»Chevalier –« korrigierte er mit Nachdruck.

»Meinetwegen auch Marquis«, sagte sie trocken. »Auch wenn Sie sich vergolden lassen, so ändert das nichts daran, daß wir Sie hier zu Hause nicht zu sehen wünschen! Meine Tochter hat nicht den Willen, noch irgendwie mit Ihnen in Berührung zu treten! – Und da das Haus ihr gehört, muß ich mich danach richten! Wir müssen unsere Geschäfte wie sonst abwickeln!«

»Trotzdem konnte ich mir nicht das Vergnügen versagen, Ihnen heute die große Neuigkeit brühwarm zu servieren! Und obwohl es nicht der Erste des Monats ist, bringe ich Ihnen heute schon Ihren Anteil am Gewinn mit!«

Er hielt ihr einen wohlgefüllten Beutel hin und ließ das Geld darin klirren. Der Klang des Goldes verfehlte seine Wirkung nicht. Die Alte nahm ihn, schüttelte ohne weiteres das Geld aus, zählte es durch und trug die Zahlen in ihr »Gebetbuch« ein.

»Ihr solltet mir Euer ganzes Vermögen anvertrauen, Signora«, sagte Fossano. »Bei mir verzinst es sich besser als in der Bank von England!«

»Mag sein!« antwortete sie. »Aber in der Bank von England liegt es sicherer! Euch traue ich nicht über den Weg, das wißt Ihr! Gebe ich Euch alles, so verschwindet Ihr auf Nimmerwiedersehen! Jetzt riskiere ich nur das, was wir zur Not entbehren können, obwohl Ihr's eigentlich gar nicht verdient, daß ich Euch irgendwie aushelfe!«

»Ihr verkennt mich, Signora«, lachte Fossano, »um Eure Hilfe ist's mir nicht zu tun, wenn ich Euch etwas bei mir verdienen lasse! Ich empfand so etwas wie Reue, als ich Euch das Anerbieten machte!«

»Ihr?!«

»Ja! Mein Dazwischentreten in Paris hatte die gewiß nicht beabsichtigte Wirkung, Eure Tochter auf die Bahn der Tugend zu drängen! Ich hielt es für eine Schrulle, eine augenblickliche Laune, als sie im ersten Ärger mit allen ihren Adorateuren brach! Aber es scheint mir doch ihr Ernst gewesen zu sein! Und so war es ja nur meine Pflicht, Euch den durch mich verursachten Ausfall an Einnahmen wieder hereinbringen zu helfen!«

»An Eure gute Absicht glaube ich nimmermehr!« sagte die Mama, die jetzt mit dem Nachzählen des Geldes fertig war. Sie stand auf, schloß den Beutel in ihren Sekretär ein und wandte sich wieder an ihn. – »Ihr brauchtet eben mein Geld, um Eure Spielbank einzurichten!«

»Geld hatte ich genug!«

»Dann wolltet Ihr also nur mit uns in Verbindung bleiben, um Euch gelegentlich an uns rächen zu können! – Ihr haßt meine Tochter! Ihr schreibt ihr Eure Niederlage in Paris zu, die Eurer Laufbahn als Tänzer ein Ziel setzte! Ihr wollt nicht einsehen, daß Ihr fertig wart – da Ihr, alt und verbraucht, nur noch an Eurem großen Namen zehrtet!«

»Weder alt noch verbraucht! Wenn ich aufrichtig sein soll, ich hatte die ganze Sache satt!«

»Ihr wart eben nicht mehr der erste! Ihr wurdet von meiner Tochter in den Schatten gestellt, so ist es! Und nun, wo sie sich mit ihrer ganzen Leidenschaftlichkeit ihrer Kunst widmet und ganz dem Vergnügen entsagt, nun schleicht Ihr hinter uns her und sucht nur nach Gelegenheiten, uns zu schaden – oder wartet zum mindesten darauf, daß ihr ein Unglück zustoßen wird, damit Ihr Euch freuen könnt!«

»Da brauche ich nicht lange zu warten«, lachte Fossano, »wenn, wie Ihr sagt, das meine ganze Sehnsucht ist! Wenn nicht alle Zeichen trügen, steht ihr jetzt etwas bevor, das ihr bald jede Lust an der weiteren Ausübung ihrer Kunst benehmen wird! Nun bin ich aber nicht so bösartig, wie Ihr denkt! Ich bin sogar gekommen, um ein Unglück zu verhüten!«

»Sieh nur!« sagte die Alte und blickte mißtrauisch zu ihm hinüber! »Das schöne Märchen wollt Ihr mich glauben machen!«

»Hört nur zu! Der Galan Eurer Tochter – –«

»Meine Tochter hat keinen Galan! Das wißt Ihr ebensogut wie ich!«

»Ich weiß jedenfalls: es war Euch sehr schmerzlich, daß sie vorgab, allen galanten Abenteuern entsagen zu wollen! Sie macht das Geschäft eben ohne Euch!«

»Ihr lügt!« rief die Signora empört.

»Warum sollte sie auch nicht?! – Ihr könnt ihr ja doch nicht ewig beistehen! Eure Tage sind gezählt! – Sie muß sich beizeiten daran gewöhnen, auf eigenen Füßen zu stehen! Sie macht es auch sehr geschickt – das muß man ihr schon lassen! Wenn nicht einmal Ihr etwas davon gemerkt habt – –!«

»Sagt mir's geradeheraus, was Ihr wißt!«

Fossano lächelte. Es machte ihm Vergnügen, sie zu quälen, und so zeigte er gar keine Eile, ihre Neugier zu befriedigen.

»Daß Ihr getäuscht wurdet, wundert mich nicht!« sagte er. »Ein ganzes Jahr in London, ohne daß Fama das geringste über ihr Leben zu berichten wüßte! Das war gut gemacht! Und wie geschickt sie ihre Tugend in Szene zu setzen wußte! Mit welchem Eklat! Kaum hier angelangt, hat sie Gelegenheit, sich beim Feste des Prinzen von Wales einzuführen! Alle Welt war gespannt, sie im »Urteil des Paris« zu sehen – alles wußte von der bekannten Vorstellung in Fontainebleau! Jener famose Schönheitsfleck war auch hier schon zu einer gewissen Berühmtheit gelangt! Seine Königliche Hoheit selbst war äußerst gespannt – die Pantomime stand auf dem Programm des Abends – – und sie weigert sich, nackt zu tanzen! – Sie versteift sich darauf, nur ihre italienischen Bauerntänze vorzuführen! Alles war schokiert! Ganz London sprach monatelang von nichts anderem als von ihrer Kühnheit, einen Wunsch von so hoher Stelle zu ignorieren! Ihr Ruf war gemacht – aber ihre Karriere bei Hofe war hin! Auch hier! Und Ihr weintet! Leugnet es nicht! Blutige Tränen habt Ihr geweint! Obwohl der Prinz von Wales so gnädig war, sie nur durch ein kostbares Geschenk dafür zu bestrafen, weil sie das nicht zeigen wollte, wodurch sie den allerchristlichsten König in solche Aufregung versetzt hatte!«

»Wir können den Hof von England entbehren!« sagte die Mama und setzte die Nase hoch.

»Saure Trauben! Das kennen wir! Euch wäre der Hof von England schon recht! Obwohl ich nicht leugnen will, daß man hier in England Künstlerinnen ihres Ranges so gut bezahlt, daß sie königliche Gnadengeschenke entbehren können!«

»Ihr erkennt also ihre große Künstlerschaft doch an!«

»Ohne weiteres! Sie hat gut an sich gearbeitet! Sie ist eine große Künstlerin geworden! Ihre Leistungen sind über jede Kritik erhaben! Aber es war stets etwas in ihrem Tanze, wovon sie heimlich getrieben wurde! Ich habe sie genau beobachtet! Sie schien mir jemand zuliebe zu tanzen, dessen Bild sie insgeheim im Herzen trug! Das gab ihr die Schwungkraft, das gab ihr den Sieg! Ohne das kann sie nun ein für allemal nichts! Das weiß ich! Auf die Art habe ich sie doch abgerichtet!

Wer dieser Jemand wäre, gelang mir bis jetzt nicht zu ermitteln! Seit gestern aber weiß ich's! Weiß aber auch, daß sie Gefahr läuft, ihn zu verlieren! Und da ist es auch um ihre Kunst geschehen! Um das zu verhüten, bin ich eben hergekommen – –«

Er schwieg. Denn vor ihm stand Barberina, die im Nebenzimmer seine letzten Worte gehört hatte und nun hereinkam.

»Ich glaube schon«, rief sie, »daß Ihr hinter mir her seid, um Nachteiliges zu erkunden und weiterzuverbreiten! Wenn Ihr aber glaubt, irgendwelche geheimen Beziehungen aufgespürt zu haben, die mich fesseln würden, so seid Ihr im Irrtum!«

»Sollte es möglich sein?« lachte Fossano gallig. »Sollte es wirklich möglich sein?! – Zwei Sprossen der edelsten Geschlechter Englands stehen im Begriff, Euretwegen die Klingen zu kreuzen – und Ihr wüßtet nichts davon?! Ihr wollt den Mann nicht kennen, der sein Leben zur Verteidigung Eurer Ehre einsetzt?!«

»Meine Ehre verteidige ich selbst! Niemand gab ich den Auftrag, für mich einzutreten! Ich wüßte auch nicht, wer sich erdreisten könnte, so aufdringlich zu sein!«

»Ganz London weiß es – und Euch sollte es unbekannt sein?!«

»Ich sag's ja, ich weiß von nichts! Es interessiert mich auch nicht im geringsten! Meinetwegen können sich die jungen Dandys hier die Nasen gern abschneiden, wenn sie nichts Besseres zu tun wissen!«

»Sonderbar!« sagte Fossano, der nicht umhin konnte, zu merken, daß sie die Wahrheit sprach. »Soll ich den Namen jenes jungen Herrn nennen?«

»Mir ist's gleich! Wenn's Euch aber ein Vergnügen macht –!«

»Es ist der junge Lord Stuart-Wortley-Mackenzie!«

»Ich kenne ihn nicht!« sagte sie kalt. »Auch der Name ist mir völlig unbekannt!«

Fossano blickte sie staunend an.

Das ging doch über alle Begriffe! Die Leidenschaftlichkeit des jungen Lords konnte doch nur einer persönlichen Bekanntschaft entspringen! Er schüttelte den Kopf.

»Seine eigenen Worte bezeugen mir aber, daß er Euch gesehen hat, und zwar nicht nur aus der Ferne!«

»So führt ihn her, damit ich ihn der Lüge zeihen kann!« rief Barberina entrüstet.

»Das steht nicht in meiner Macht! Wohl aber kann ich Euch dort hinführen, wo der Zweikampf stattfinden wird, damit Ihr in der Lage seid, das Unglück zu verhindern!«

»Das interessiert mich nicht! Den Platz mögt Ihr mir aber nennen! Denn jener Lüge möchte ich entgegentreten und ihr ein für allemal den Garaus machen! Für Eure Begleitung aber danke ich!«

Fossano gab die verlangte Auskunft und ging.

Und Barberina ließ ihre Sänfte kommen, warf eine Mantille um und begab sich dann schnurstracks ohne jede weitere Begleitung an Ort und Stelle!

An einer der entlegensten Stellen des Hydeparks, an einem kleinen, verlassenen, von Efeu überwachsenen Hause, das seit alters her da stand und als pittoreske Ruine belassen worden war, ließ sie halten. Sie kannte die Ruine. Sie hatte sie bei ihren Spaziergängen oft aus der Ferne gesehen, war aber noch niemals hingegangen, da jener Teil des Parks von umherstreichendem Gesindel besucht wurde und als unsicher galt.

Hinter dem Hause hörte sie Stimmen und Waffengeklirr.

Sie war also nicht zu früh gekommen! – Wer weiß, vielleicht schon zu spät?!

Sie eilte um das Haus herum.

Auf dem offenen, nach allen Seiten von hohen Bäumen umschlossenen Rasen sah sie im Sonnenscheine zwei jugendliche Gestalten ohne Röcke und Hüte, die mit leichten Degen nach allen Regeln der Kunst gegeneinander fochten. Ein Sekundant stand mit dem Degen bereit, den Kampf abzubrechen – ein anderer, die Uhr in der Hand, zählte die Minuten. Ein Waffengang wurde eben beendigt. Aus dem Hemdärmel des einen Kämpfers tröpfelte Blut!

»Macht nichts!« rief er und grüßte den Gegner mit dem Degen. »Bis zur Kampfunfähigkeit, Mylord – so lautete die Bedingung! Ich bin noch lange nicht fertig!«

»Wie Sie wollen«, sagte Lord Albermale ruhig. »Ich dachte aber, der Denkzettel genüge! Sie sind auch nicht ruhig genug, mein Lieber! Sie machen es mir gar zu leicht! Aber wie Sie wollen!«

Er stellte sich in Positur, der Sekundant hob seinen Degen, der Kampf begann wieder.

Barberina, die von der Mauerecke aus den Vorgang beobachtet hatte, lief jetzt kurz entschlossen hinzu. – Ohne die Gefahr zu bedenken, lief sie in die gekreuzten Degen hinein, faßte die Klingen mit beiden Händen und bog sie auseinander.

Die beiden Gegner ließen in der Überraschung die Griffe los, und Barberina blieb so zwischen ihnen stehen, die Degen in den Händen.

»Entwaffnet!« rief sie übermütig lachend.

»Sie, Mademoiselle?!« rief Albermale. »Mein Kompliment! – Der Coup war ausgezeichnet! – Welchem glücklichen Zufall verdanken wir diese angenehme Überraschung?«

»Keinem Zufall, Mylord«, antwortete sie und warf einen schnellen Blick auf den anderen Kämpfer, der wie ein ertappter Schuljunge dastand. »Man hatte mir mitgeteilt, daß diese Auseinandersetzung meiner Wenigkeit galt, und da war ich so frei, mich auch zur Stelle zu begeben! Mich dünkt, ich habe da ein Wort mitzureden!«

»Gewiß, Signorina«, sagte Albermale. »Ich gestehe Ihnen ohne weiteres das Recht zu! – Obwohl die Auseinandersetzung einen mehr – wie soll ich sagen – rein akademischen Charakter hat!«

»Wie soll ich das verstehen?« fragte sie scharf und bog die dünnen Klingen in ihren Händen.

»Sehr einfach! Es handelt sich um Ihren Tanz!«

» Nur um meinen Tanz, will ich hoffen? – Nicht auch um meine Person?«

»Ihre Person ist von Ihrem Tanz untrennbar, Mademoiselle! Sie erfüllen Ihren Tanz mit so viel Poesie – mit so viel Reiz der Persönlichkeit – kurz, Sie sind so entzückend –«

»Auf Komplimente verstanden Sie sich immer gut, Mylord! Das sah ich schon in Paris! Ich wußte aber nicht, daß Sie solchen leicht hingeworfenen Nichtigkeiten mit der Waffe Nachdruck zu verleihen pflegen!«

Albermale biß sich auf die Lippen.

»Geradeheraus gesagt, Mademoiselle – es handelt sich um Ihre Tirolienne, die Sie neulich tanzten!«

»Wirklich?«

»Ich hatte die Kühnheit, zu behaupten, daß Sie die Erotik, die in jenem Tanze steckt, mit einer Vollkommenheit zum Ausdruck bringen, daß einem dabei Hören und Sehen vergeht!«

»Sie sind sehr kühn!«

»Sie hatten selbst eine Aufklärung gewünscht! Ich kann Ihrem Befehl nur so nachkommen, daß ich Ihnen die mir von Ihren Tänzen eingeflößten Empfindungen getreulich wiedergebe! – Lord Stuart dagegen – aber Sie kennen ihn doch?«

»Ich hatte noch nicht den Vorzug!« sagte Barberina, die wohl ihren Retter von neulich erkannte, aber sich hütete, es zu verraten. Sie grüßte ihn mit einer knappen Neigung des Kopfes und blickte ihm mit so viel schelmischer Unbefangenheit in die erstaunten Augen, daß der arme Beß den Kopf gänzlich verlor.

»So gestatten Sie denn, daß ich ihn Ihnen vorstelle?« sagte Albermale, dem es doch zu bunt wurde, daß der junge Mensch wirklich rein »akademisch«, wie er dachte, für eine ihm gänzlich Unbekannte sein Leben in die Schanze schlug. »Lord Stuart neigte mehr zu der Ansicht, daß in jener Tirolienne, die Sie mit so viel Anmut zu tanzen pflegen, eine Apotheose der Tugend und der Keuschheit zu sehen sei – ja, daß es Ihnen überhaupt unmöglich sei, etwas anderes auszudrücken! Unsere Ansichten waren eben nicht in Einklang miteinander zu bringen! So mußten denn die Waffen entscheiden!«

»Mylord«, sagte Barberina spitz, »Ihre Darstellung entbehrt nicht der Pikanterie! Ich verstehe wohl den Ernst, der sich dahinter verbirgt, von dem Spiel der Worte zu unterscheiden! Ich möchte auch weder gegen die eine, noch gegen die andere Auffassung meine Stimme erheben! Es steht Ihnen ja frei, meine Herren, meinem Tanze all die Empfindungen abzugewinnen zu suchen, die Ihnen eben geläufig sind! Das ist stets die Angelegenheit des Publikums und geht die Tänzerin nichts an! Ich bemühe mich nur, nach bestem Können den Empfindungsgehalt des Tanzes bildlich darzustellen und bin gern bereit, neben der Stimme meines Gewissens auch ein sachverständiges und parteiloses Urteil zu hören! Über meine Person aber, die, wie Sie, Mylord, so richtig sagten, von meinem Tanz untrennbar ist, gestatte ich keinem fremden Urteil so laut zu werden, daß es mein Ohr berührt! Das entspricht nicht meinen Gepflogenheiten! Sowohl gegen Angriff wie gegen unerbetene Verteidigung meiner Person werde ich mich zu wehren wissen! Sie, meine Herren, haben gar kein Recht, um meiner Person willen handgemein zu werden! Sie werden also sicherlich nichts dagegen haben, meinen Wunsch zu erfüllen und von jeder Auseinandersetzung mit den Waffen aus diesem Grunde Abstand zu nehmen!«

Sie blickte die beiden Kämpfer an, die noch unschlüssig dastanden, und brach in ein helles Lachen aus, in das sie nolens volens einstimmen mußten.

»Geben Sie sich die Hände zum Frieden!« rief sie übermütig, »sonst – ich schwöre es – tanze ich nie wieder, weder Tirolienne noch irgend etwas anderes!«

»Großer Gott«, lachte Albermale, »dies Unglück muß verhütet werden! Um jeden Preis! – Mylord Stuart – da meine Hand! Ich nehme alles zurück! Ich gebe mich besiegt und bitte Sie um Entschuldigung!«

»Die nehme ich gern an«, sagte Stuart, dem die Situation peinlich wurde. »Ich bitte Sie ebenfalls, meine beleidigenden Worte zu vergessen!«

Er nahm die dargebotene Hand an.

»So ist's recht«, sagte die triumphierende Schöne. »Und nun, da der Friede geschlossen ist, werde ich mich entfernen! Diese Trophäen aber« – sie hob die Degen hoch – »nehme ich mit als Wahrzeichen der Versöhnung und als Erinnerung an den Kampf!«

»Unsere Degen wie unsere Herzen legen wir Ihnen zu Füßen, Mademoiselle –«

»Dann werde ich aber auch nie wieder tanzen können! Denn ich möchte weder meine Füße verwunden noch Ihre Herzen zertreten!«

»Mein Herz hält etwas aus!« rief Albermale. »Versuchen Sie's nur ruhig! Überlegen Sie sich's nicht erst lange!«

»Ich werde es mir sehr überlegen!« sagte sie spöttisch. »Ich glaube sogar bestimmt versichern zu können, daß jener Tanz für mich gar keinen Reiz haben wird! Ich verzichte – das wird schon das beste sein!«

Und wie sie gekommen war, so verschwand sie und ließ die überraschte Gesellschaft stehen.

Lord Albermale und seine Freunde verabschiedeten sich von Stuart, der noch träumend dastand und der verschwundenen Erscheinung in Gedanken nachging.

Er hörte nicht die Aufforderung seiner Freunde, mitzukommen. Ihre spöttischen Bemerkungen drangen nicht bis an sein Bewußtsein. Er merkte nicht, daß er allein auf dem Platze blieb, und daß es still um ihn wurde.

Er liebte – er hatte für sein Liebstes das Leben gewagt! Und er würde es noch tausendmal wagen! Gegen eine ganze Welt wollte er das Heiligtum verteidigen, das er in seinem Herzen aufgebaut hatte! Nichts – auch nicht, daß sie selbst sich es als eine Zudringlichkeit verbat, konnte ihn davon abbringen!

Mechanisch ging er seines Weges, und, war's Zufall, war's Absicht – seine Schritte führten ihn langsam nach der Gegend des Parks, wo er sie zum ersten Male gesehen hatte.

Barberina dagegen, kaum, daß sie in der Sänfte saß, fühlte so etwas wie Reue.

Jener junge Mann, mit dem sie kaum ein Wort gesprochen hatte, dem sie nur einmal begegnet war – der sie aus großer Gefahr gerettet hatte, er war der Verleumdung, der üblen Nachrede der Welt entgegengetreten! – Ohne Bedenken hatte er für ihren guten Namen sein Leben eingesetzt und sein Blut vergossen! Er hatte sie von dem Schmutz, in dem sie versunken war, mit seinem Blute reinwaschen wollen! – Niemals hatte sie sich vorher einen Gedanken über ihr Leben gemacht, sondern es hingenommen als etwas Selbstverständliches, als ein ihr obliegendes Lebensschicksal! – Jetzt aber gingen ihr die Augen dafür auf, wie elend ihr ganzes Dasein bis jetzt gewesen war, und auch dafür, wie unwürdig sie sei, jenes große, ihr von dem reinsten Empfinden dargebrachte Opfer anzunehmen!

Und wie hatte sie ihm dafür gedankt?

Aber wollte sie Herrin ihrer selbst bleiben, so hatte sie nicht anders sprechen können! Sie hatte eben so gesprochen, wie ihr der Schnabel gewachsen war, und die jungen Dandys ob ihrer Dreistigkeit zurechtgewiesen! Denn eine Dreistigkeit war's, das eine wie das andere! Weder hatte Albermale den geringsten Grund, schlecht von ihr zu sprechen, noch hatte sie Lord Stuart zu ihrem Retter erkürt!

Sie hielt inne.

Nicht sie – aber das Schicksal, das sie zusammengeführt hatte, hatte ihn erkürt! Er war im Recht! Sie sah noch seine großen erstaunten Augen, als sie sich seine Verteidigung verbat – die er als seine heiligste Pflicht empfunden hatte! Sie sah, wie er sie nicht verstand – sah unermeßliche treue Liebe in seinen Blicken – sah, was mehr war – den Glauben an sie, trotz allem!

Und wie hatte sie's ihm gedankt?!

Sie zog die Schnur und ließ die Sänfte halten, stieg aus und wollte zurück zu ihm, wollte ihm sagen, wie wenig sie solche Verehrung verdiene, und ihn um Verzeihung bitten!

Sie eilte rasch den Weg vorwärts. Da, fast auf derselben Stelle, wo er sie vor einigen Tagen gerettet hatte, sah sie ihn kommen, langsam und traumverloren!

Sie eilte auf ihn zu, und mit der ganzen Glut der Südländerin umschlang sie ihn, küßte seine Augen, die sie so vorwurfsvoll angesehen hatten, küßte ihn, glühend heiß, mitten auf den Mund!

Ehe aber der Überraschte die Besinnung wiederfand, ehe er sein Glück zu fassen vermochte, war sie fort, schneller als Sie gekommen war! Er sah nur noch ihre Sänfte an der Biegung des Weges verschwinden.

In der Sänfte aber saß sie in einer Ecke zusammengekauert, das Taschentuch an die Augen gepreßt, und schluchzte, als ob ihr das Herz brechen wollte.


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