Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

6

Am folgenden Tage zog er mit ihr zusammen in die Wohnung, die die Signora für ihn bereit gemacht hatte.

Beim Betreten des Hauses kam ihm Babara mit freudestrahlenden Augen entgegen, flog ihm um den Hals, küßte ihn und tanzte wie wild mit ihm herum.

»Du hast recht gehabt!« rief sie. »Es ist alles so, wie du's erzählt hast! So wie du's siehst, so hat er's gemeint!«

»Wer?«

»Der große Meister Allegri!«

»Ach so!«

»Ich war heute da – ich komme eben von dort! Und so tief, so herrlich hab' ich's noch nie gesehen! Es war ein Glanz, eine sonnige Glut über dem Bild, ein Leuchten der Farben! Meine Seele hat sich endlich satt trinken können – ich bin noch ganz berauscht! Und nun geh ich nicht wieder hin! So will ich es im Gedächtnis behalten!«

»So ist's recht!«

»Die ganze Himmelfahrt war lebendig geworden. Es tanzte, drehte sich und wirbelte wie toll, daß mir ganz wirr im Kopfe wurde! ›Tanze mit‹ es mir zu, ›tanze, freue dich, lache, genieß die Lust, zu leben, ohne Angst, ohne Zaghaftigkeit!‹ So schrie es mir zu. Und ich wurde so vom Glück erfüllt, daß ich hätte fliegen können – ich habe getanzt – vor Freude getanzt, mitten in der Kirche, weil ich gestern zu dir gegangen war, um für dich zu tanzen, und weil ich jetzt wußte, daß ich ein Recht hatte, es zu tun – und auch die Pflicht!«

»So ist es auch. Aber nur mir darfst du jenen Tanz tanzen!«

»Warum nicht aller Welt? Bin ich nicht hübsch genug?«

»Viel zu hübsch! Sie werden alle von dir bezaubert sein!«

»Das ist ja gut!«

»Sie werden dich alle haben wollen, und das dürfen sie nicht!«

»Ich werde mich selbst haben, und außer mir keiner!«

»Ich auch nicht?«

Sie lachte.

»Du am allerwenigsten! Du willst es ja auch nicht! Du willst mich ja frei haben – du willst selbst frei sein!«

»Und wenn ich's nun nicht mehr will?«

Sie sah ihn lauernd an und lachte dann laut auf.

»Du willst mich nur versuchen, ob ich meinen Eid halte, der Kunst treu zu bleiben! Ich lasse mich aber von dir nicht nasführen, ich weiß jetzt Bescheid – ob du den Eid so oder so auslegst, soll mir gleich sein. Ich tue doch, was ich will. Und jetzt will ich – mit dir tanzen! Komm!«

Sie flog ihm um den Hals, schloß seine Lippen mit einem Kuß und tanzte mit ihm herum, daß ihm der Atem verging.

»Wird das ein Tanz werden«, jauchzte sie, »über alle Köpfe hinweg, die höchsten wie die niedrigsten! Auf sie alle setz ich den Fuß – wie gestern auf deinen! Da gibt's keine Gnade – in den Staub müssen sie alle, alle werden sie getreten, und sie sollen noch meine Hand küssen und mir für die Qual danken!«

Mit einem Sprung stand sie in der entlegensten Ecke des Zimmers und lachte, daß die weißen Perlenreihen ihres Gebisses raubtierhaft glänzten.

Er erschrak. Der Engel wandelte sich schon in einen Dämon. Er fing an zu begreifen, welches Unheil er da entfesselt hatte!

Wie, wenn's schon zu spät wäre?! Wenn's ihm nicht mehr gelänge, den Strom der Leidenschaft einzudämmen und in ruhige Bahnen zu leiten! Wenn das losgelassene Element, alles niederreißend, alles vernichtend, ins Leben hinausbrausen und ihn selbst und seine Kunst mit fortreißen und vernichten würde?!«

Das durfte nicht sein! Da mußte sofort mit aller Energie eingegriffen werden!

Er ließ sie nie wieder den Schleiertanz tanzen, so sehr sie es sich auch wünschte. Die Fortsetzung von Psyche wurde auch nicht einstudiert. Fossano dichtete keine Pantomimen mehr. Sein ganzes Dichten, sein ganzes Trachten hieß fortan Baberina.

Sie wurde die große Passion seines Lebens, der Feuerbrand, in dem er als Mensch und Künstler rettungslos vergehen sollte – mit der Windeseile einer Katastrophe.

Bis jetzt war er von Blume zu Blume geflattert, feil für jede Gunst des Augenblicks – Künstler bis zu dem Fanatismus, der überzeugt alles opfert, auch das Höchste, der das Liebesleben der Kunst unterordnet und als Mittel zum Herrschen und Glänzen benutzt.

Daran hatte er geglaubt und danach gehandelt, auch als er ihre Erziehung in diese Richtung leitete.

Dann kam die Wandlung, so jäh, daß er sie erst gewahr wurde, als es zu spät war.

Das herrliche Weib, das sich ihm in einem Augenblicke heroischen Opfermuts entschleiert hatte, liebte er jetzt mit einer tiefen, wahren Leidenschaft, die ihn ganz erfüllte und die ihm das höchste Glück hätte bringen können, wenn er es nicht vorher selber mit leichter Hand zerbrochen hätte.

Er fluchte seiner Dummheit, er war außer sich ob seiner Kurzsichtigkeit, aber – es war zu spät!

Psyche war ihm für immer entflattert, ihm blieb die allzu gelehrige Schülerin, und auch sie entglitt nur zu bald der Führung eines Meisters, der sich eifersüchtig gebärdete, obwohl er ihr unbedingte Freiheit zur Pflicht gemacht hatte.

Schon in den ersten acht Tagen betrog sie ihn mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre das ganz in der Ordnung. Er erwischte sie in flagranti mit einem jungen Choristen, der ein pflaumenweiches Gesicht und leidliche Beine hatte. Diesen Adonis schlug er grün und blau und kurierte ihn so gründlich von seiner Liebeskrankheit, daß er in den nächsten vierzehn Tagen weder zum Tanzen noch zum Stelldichein kommen konnte. Und Baberina überhäufte er mit Vorwürfen.

Sie war höchst erstaunt, daß er sich über die Kleinigkeit überhaupt aufregte, sah ihn mit weit offenen Augen an und sagte mit der größten Naivität von der Welt:

»Warum hätte ich es nicht tun sollen?! Ich hatte dich ja so über alles gern! Und davon hast du mich selber kuriert. Das darf doch nicht überhandnehmen! Wie könnte ich sonst eine Künstlerin werden? Ich soll doch frei sein, insbesondere in der Liebe! Das hast du doch selber gesagt!?«

Sie schlug ihn mit seinen eigenen Worten. Und er konnte nichts dagegen sagen.

Er verbiß seinen Ingrimm und suchte Mama Campanini auf, um ihr klarzumachen, daß sie auf ihre Tochter besser aufpassen müsse. Da erlebte er die größte Überraschung.

»Passe ich vielleicht nicht auf?! Ich tue ja nichts anderes! Ich denke ja nur an sie! Tag und Nacht bin ich um ihr Glück bemüht! Ich ermahne sie stündlich, auf ihren Vorteil bedacht zu sein und sich ja nicht an einen Unwürdigen fortzuwerfen!«

»Das tut sie aber!«

»Unsinn! Das hat sie gewiß nicht nötig! – Sie braucht nur die Hand auszustrecken, dann hat sie alles, was sie will. Die reichsten Leute buhlen um ihre Gunst! Der ganze Adel von Parma macht mir ihretwegen den Hof! Ja – wir sind auf einmal begehrt! Sogar der Bischof selbst hat – –«

»Was hat er? – Hat er gewagt?« rief Fossano heftig.

»Nur ruhig, Signore! Wenn Seine Ehrwürden etwas gewagt hat – Ihr habt den Vorteil davon!«

»Der Teufel auch!«

»Denkt Ihr, das bedeutet nichts, daß er die Vorstellungen von Psyche besucht hat?! Fast jeden Abend, als Babara tanzte, war er da! – Das hat Euch wenigstens zehn volle Häuser eingebracht! Da erst strömte auch der hohe Adel Abend für Abend ins Theater! Nun ja! Die Leute sind fromm! Und wo Seine Ehrwürden selbst hingingen, obwohl sie das Manifest der hohen Geistlichkeit mit unterschrieben hatten, in dem die Tänzerinnen und Sängerinnen für die größte Gefahr erklärt wurden, und worin empfohlen wurde, nur Jünglinge tanzen zu lassen, damit man weder das Ballett entbehre noch Schaden an der Seele nähme! Und nun geht er doch hin und sieht sich die Baberina an! Abend für Abend! Und mit ihm ganz Parma! Ihr müßtet ein Einsehen haben und ihr ein anständiges Honorar aussetzen!«

Fossano machte eine unwillige Bewegung.

»Nun«, rief sie dann schnell, »wenn Ihr's nicht wollt – ich rede Euch nicht drein! Was abgemacht ist, ist abgemacht! Babara macht auch so ihr Geschäft!«

Er horchte auf.

»Was meint Ihr damit?«

»Was soll ich meinen? Sie wird ja mit Geschenken überhäuft! Sie kann sich kaum noch wehren! Täglich kommen welche! Oh – es sind auch große Kostbarkeiten darunter! Seht hier diesen Solitär!«

»Von wem hat sie den?«

»Den hat ihr Ehrwürden geschenkt!«

»Du lügst!«

»Lies selbst! Der Brief war dabei!«

Sie reichte ihm ein rosafarbenes Billett, das er schnell las und fortwarf.

»Er will sie sehen?!«

»Ja – sobald er von Mailand zurück ist, wohin er auf einige Tage gereist ist, will er sie sprechen!«

»Das geschieht nicht. Sie darf nicht hingehen!«

»Warum soll sie nicht hingehen? Was ist denn dabei? Sie ist ein frommes Kind – sie wird hingehen – sie wird ihn sprechen – sie wird ihm beichten – er wird sie segnen – er selbst!«

»Wie der Segen beschaffen sein wird, läßt sich denken!«

Die Signora nahm den Brief auf und reichte ihn ihm noch einmal.

»Ihr habt ihn gelesen, lest ihn nochmals. Steht da ein Wort von Liebe drin? Nein!«

»Und das Parfüm?« rief Fossano und hielt ihr den Brief unter die Nase. »Ist das der Geruch der Heiligkeit, wie?! Das duftet auf zehn Schritte nach Billetdoux, was auch drin geschrieben steht! Und der Ring spricht auch deutlich genug. Sie wird nicht hingehen!«

»Warum sollte sie nicht? Ihr könnt ihr doch nicht verwehren, um ihr Seelenheil besorgt zu sein!«

»Ihr Seelenheil soll fortan meine Sorge sein! Da hat kein Bischof dreinzureden!«

»Aber – –«

»Kein Aber! Entweder es bleibt dabei – oder ich gehe ohne sie nach Paris und nehme eine andere mit!«

»Eine andere wollt Ihr mitnehmen!? Ihr habt aber versprochen –«

»Wenn sie aber nicht will – wenn sie lieber zum Bischof geht, um nachher als seine Konkubine hierzubleiben!? Da kann sie doch nicht nach Paris mitgehen! Da muß ich ja eine andere mitnehmen. Seht hier – hier habe ich den Vertrag mit der Königlichen Akademie der Musik über mein Gastspiel dort. Seht nur – bereits unterschrieben – vom Prinzen Carignan, dem Generalinspekteur, selbst! Für mich und eine Partnerin, die ich mir nach Belieben aussuchen kann. Ich brauche nur den Namen auszufüllen. Nun, ich werde mir eben eine aussuchen – eine, auf die ich mich verlassen kann! Es gibt so viel Tänzerinnen – alle schön, alle talentvoll – ich werde nicht lange zu suchen brauchen!«

»Und Baberina?«

»Warum sollte ich ihrem Glück im Wege sein? Wenn sie den Bischof von Parma dem König von Frankreich vorzieht, dann mag sie eben ihren Willen haben!«

»Ihr habt mir aber versprochen – Signore!«

»Du hast mir versprochen, daß sie meine Geliebte sein sollte!«

»Das ist sie doch!«

»Eine Dirne ist sie, die mit aller Welt buhlt! Soeben habe ich sie mit einem anderen überrascht – einem dummen Jungen, der nichts ist – der nichts hat als ein fades Gesicht und ein paar hübsche Beine – einem ganz gewöhnlichen Tänzer! Ich habe ihn aber krumm und lahm geschlagen!«

»Daran habt Ihr recht getan, Signore! Hättet Ihr ihr nur auch ihren Teil gegeben! Aber dem entgeht sie nicht, die Nichtswürdige! Ich werde ihr schon den Text lesen!«

»Ich kann mir das denken! Alte Kupplerin!«

»Das sagt Ihr mir? Das muß ich mir von Euch bieten lassen! Das ist zuviel! Ich – eine Kupplerin! Und mein Kind – mein eigenes Kind werde ich wohl verkuppeln? Habe ich das nötig?«

»Nein. Dafür scheint sie schon selbst sorgen zu können! Du hast aber nötig, auf sie aufzupassen! Und das mußt du mir bei allen Heiligen schwören! Sonst gehe ich geradeswegs von hier zu der Bandolini und schreibe ihren Namen in den Vertrag, und Babara geht nicht mit nach Paris. Sie mag dann selbst sehen, wie sie vorwärts kommt! Wenn sie glaubt, auf den Schutz Fossanos verzichten zu können – mir ist's recht! – – Will sie aber mit, so mußt du schwören! –«

»Ich schwöre ja – ich schwöre ja! – Habe ich mich denn geweigert? Ich werde schon auf sie aufpassen! Wie ein Drache werde ich sie bewachen! Alles tue ich, was Ihr nur wollt!«

»Nun, dann werde ich Gnade für Recht ergehen lassen!«

Fossano setzte sich an den Tisch, nahm einen Federkiel und kratzte ein paar Worte in das Papier hinein.

»Demoiselle Barberini«, sagte er – »so wird sie künftig heißen! – Das ›r‹ fügen wir hinzu! – Das macht sich besser als Künstlername! Sie wird Furore machen, Demoiselle Barberini. – Sie wird es unter meiner Führung! Leicht wird's nicht werden. Die ersten Tänzerinnen der Welt sind da, an der Pariser Oper, die Camargo – die Sallé – die Mariette – da wird sie einen schweren Stand haben! Wenn ich aber will, fallen alle Hindernisse! Und ich will! Aber Ihr kennt die Bedingung!«

»Verlaßt Euch nur auf mich – – das könnt Ihr – – wirklich, das könnt Ihr!« sagte die alte Domina und geleitete ihn unter tausend Komplimenten zur Tür! Das könnte er auch.

– Wenn sie auch entschlossen gewesen wäre, ihrer Tochter bei einem Vergnügen, das keins wäre – einem Vergnügen aus Gewinnsucht –, durch die Finger zu sehen – denn man mußte ja auf seinen Vorteil bedacht sein –, so würde sie ihr doch nie und nimmer ein Vergnügen aus bloßer Liebe gestatten, und gar zugunsten eines Unwürdigen, der nichts hatte als sein liebendes Herz und ein Paar hübsche Beine!

– Da würde sie schon aufpassen – dazu gäbe sie nie und nimmer ihren Segen!

Das brachte Mama Campanini ihrer hoffnungsvollen Tochter denn auch handgreiflich bei.

Aber – den Ring des Bischofs machte sie schleunigst zu Geld und stattete mit dem Erlös Babara prächtig für Paris aus.


 << zurück weiter >>