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Erstes Buch
Psyche

1

»Phantasieloses – poesieloses Gesindel!« rief Rinaldo Fossano unmutig, setzte sein Barett auf, warf mit geübter Geschicklichkeit den rot gefütterten Mantel um, daß der rechte Zipfel auf die linke Schulter flog, und verließ, in der Haltung eines mit seinen Truppen unzufriedenen Generals, die Bühne des Teatro Farnese.

Den ganzen Morgen hatte er sich mit den Tänzerinnen abgequält, um ihnen Verständnis für sein neukomponiertes pantomimisches Ballett beizubringen, mit dem er die Saison in Venedig zu eröffnen gedachte, nachdem seine für das Teatro Farnese zusammengestellte Stagione die Vorstellungen in Parma beendigt haben würde.

Die armen Jüngerinnen Terpsichores gaben sich die erdenklichste Mühe und boten ihre ganze Kunst auf, um ihren Herrn und Meister zu befriedigen.

Aber Signor Fossano war nicht nur ein Tänzer von Gottes Gnaden; er war auch ein Dichter, dessen Phantasie nach rhythmischen Orgien verlangte, in denen sich aber der menschliche Körper nur in den seltensten Fällen ergeht.

Von mit den raffiniertesten Kniffen des Kunsttanzes Vertrauten verlangte er noch Evolutionen, die sich mit Selbstverständlichkeit aus der inneren Empfindung heraus rein instinktiv und ohne Berechnung ergäben – Bewegungen ohne Dressur –, ein Spiel der Linien, das sich ganz unmittelbar aus der Phantasie des Tanzenden ins Körperliche übertrüge – ungewollt – fast improvisiert und so, weil natürlich und einfach, als Kunstdarbietung vollkommen.

Das läßt sich nicht erlernen! Das muß von vornherein da sein! Und bei keiner von allen den schönen Ballerinas hat er's bis jetzt gefunden!

»Hüpfen können sie wie die Grasmücken – schöne Drehungen – kunstvolle Pirouetten machen! Auf den Fußspitzen trippeln – himmelhoch springen – bezaubernd lächeln – glühende Blicke abfeuern – Kußhände in die Logen werfen! Küssen können sie auch!

Aber keine einzige, die es verstünde, bloß als lebend gewordener Drang zur Loslösung von der Erdenschwere da zu sein! – als Wille zum Schweben, wie wenn der Schmetterling, soeben aus der Raupe gekrochen, zum ersten Male im Sonnenschein die Flügel ausbreitet, aber noch nicht fliegt! Ein Stück Himmelsbewohner, der Erde entwachsen, aber noch auf Erden da – noch nicht abgeflogen! – Ein Versprechen, im nächsten Augenblick dahinzuschweben – die Hoffnung unserer Sehnsucht – die Gewißheit der baldigen Erhörung auf der Schwelle der Erfüllung!

Keine einzige, die das hat! Keine, die sich bloß zu zeigen braucht, um das zu geben – die, kaum, daß sie sich bewegt, die Seele des Zuschauers in Orgien des wiegenden Tanzes berauscht, welche der Körper nur ahnen lassen kann, die aber die Seele bewegen, wenn man bloß die Augen schließt!«

Er ging sie alle in Gedanken durch – – die Cesi – die Bandolini – die Grassini – die Gandolfi und die viel zu vielen, deren Namen noch keine Namen waren!

Schöne Körper – üppige Formen – schlanke Biegsamkeit – Feuer – Verve – Tempo – virtuoses Können – Geist – Temperament – alles war da!

Nur das eine nicht, was seiner Phantasie vorschwebte, das unnennbare gewisse Etwas, was sie dazu prädestiniert hätte, Psyche darzustellen!

»Zum Teufel mit allem Können! Verflucht die ganze Kunst, wenn sie das nicht hergibt! Lieber die erste beste von der Straße, wenn sie bloß die Empfindung hat und sich treiben läßt – wenn sie bloß ahnt, was ich will, und von keiner virtuosen Verbildung verhindert wird, es auch so zu geben!«

Mißmutig trat er auf den Burghof der »Pilotta« hinaus, wie man den ewig unvollendeten Prachtbau der Farnese nannte, in dessen einen Flügel das riesige Theater eingebaut war. Wie ein Triumphator wurde Fossano von den jungen Parmesanerinnen empfangen. Ein Regen von Blumen überschüttete ihn. Wie ein Schwarm von Schmetterlingen, so flatterte es um ihn, in bunter Mannigfaltigkeit lichter Farben – glutrote Lippen lächelten verheißungsvoll und lachten in übermütigem Jauchzen – Tausende von Händen wetteiferten, einen Zipfel seines Mantels zu erhaschen – es war ein Schreien, ein Aufjauchzen jugendlicher Stimmen, ein Feuerwerk aus glühenden dunklen Augen, ein Drängen, ein Stoßen – wie immer, wenn er nach beendigter Probe oder Vorstellung das Theater verließ.

Keinen Scherz aber hatte er zum Dank bereit, kein munter hingeworfenes Wort – keinen Gruß auf die vielen »Evviva«-Rufe! Die Blumen ließ er liegen, trat sie achtlos mit den Füßen, bahnte sich brüsk seinen Weg durch die Menge – machte dann kehrt, blieb einen Augenblick stehen und musterte sie alle, der Reihe nach, scharf, durchdringend, kehrte ihnen dann achselzuckend den Rücken, drückte den Hut in die Stirn und ging weiter.

»Keine einzige!« murmelte er halblaut, »keine einzige!« und achtete nicht weiter auf die Schar jugendlicher Verehrerinnen, die ihm trotz seiner Gleichgültigkeit das Geleit gaben.

Da, als er in die Strada al duomo einbiegen wollte, glitt eine Gestalt an ihm vorüber, die sofort seine Blicke gefangennahm.

Da war sie! Das war's! – Ein Schweben – ein leichtes Hinschreiten – eine Rhythmik der Bewegung – eine Hoheit der Haltung – ungewollt und selbstverständlich – ein Königtum der Linien, so stolz und frei, daß es die ärmliche Kleidung adelte, die den mädchenhaften, kaum noch der Kindheit entwachsenen Körper umhüllte!

Er wollte ihr nach, kam aber nur langsam vorwärts im Gedränge – verlor sie aus den Augen, fluchte – brach sich mit Ungestüm Bahn, stürzte wie ein Wahnsinniger vorwärts auf die Piazza del duomo hinaus und kam gerade noch zur Zeit, sie mit den Blicken zu fassen, als sie zwischen den roten marmornen Löwen Correggios am Tor des Domes hindurchschritt, um im Dunkel der Kirche zu verschwinden.

Schnell wie der Wind setzte er ihr nach und trat in das Gotteshaus.

Er suchte sie in den Kapellen der Seitenschiffe unter den dort Knienden – suchte sie unter den vor den Beichtstühlen Harrenden, aber umsonst.

Endlich fand er sie!

Da oben, auf den vielen Stufen am Ende des Mittelschiffes, wo die riesige Kuppel sich vor dem Hauptaltar wölbt, stand sie allein, die Blicke nach oben gerichtet. Sie war so tief in inbrünstiges Schauen versunken, daß sie nichts davon merkte, was sich um sie her zutrug. Schlank wie eine Gerte, erhob sich der jugendliche Körper in seltenem Ebenmaß der Formen – fast ohne Schwere stand sie da, kaum noch die Erde berührend, und – als wollte sie sich im nächsten Augenblick zum Fluge heben, so wuchs sie – löste sich allmählich vom Fußboden – hob sich mit unvergleichlicher Grazie auf die Fußspitzen und breitete die Arme nach oben.

So stark war der Eindruck, daß er im Nu die vielen Stufen nahm und auf sie zustürzte, um sie festzuhalten, damit sie ihm nicht entflöge. Aber sie bemerkte ihn nicht. Im Geiste war sie schon da oben, und sein Geist flog mit.

Er sah, was sie schaute und was ihre Seele erfüllte, er empfand ihre Empfindung.

Nicht unten auf den Steinfliesen des Fußbodens stand er mehr – dort oben weilte er unter den Gestalten, die der Pinsel Correggios hingezaubert hatte, teilhaft des Wunders der Erlösung aus dem Fleische.

Zunächst nur als Schauender, vom Licht Geblendeter, als einer der Apostel, die, rings um die Brüstung, über die sich die Kuppel wölbte, in ehrfürchtiger Anbetung festgebannt, kaum die Blicke zu erheben wagen, aber vom Lichte angezogen, in inbrünstiger Verzückung erstarrt, mit den Blicken die Herrlichkeit einsaugen, von der sie nachher den Erdenwürmern künden sollen, während ringsum die Genien den Tempel schmücken, die Flammen der Opferschalen mit den Flammen des ewigen Lichtes schüren und den Raum, durch den der Ausblick ins Himmlische verstattet werden soll, umsäumen, um jedem unheiligen Gedanken das Nahen zu verwehren.

Und sie?! Die Gottesmutter selbst war sie, die, von Genien und Cherubinen getragen, durch rosenrote Wolken dem ewigen Lichte entgegenschwebte, von einem Cherub zärtlich umschlungen, der sie vorwärts drängte und zugleich zurückhielt. Während ihre Blicke angstvoll nach oben starrten – ihre Arme sich öffneten – die Hände nach oben gestreckt, wie um das unfaßbare Glück zu erhaschen: – die Befreiung durch tiefste schmerzlichste Lust – die Auflösung fleischgewordenen Dunkels in geistsprühendes Licht!

Leben – volles leidvolles Leben war dies! – Und das war sie noch nicht – die Erfüllung noch nicht! Die Sehnsucht danach war sie, die süße verheißungsvolle Sehnsucht, die am höchsten trägt, weil sie immer noch unbefriedigt bleibt, immer noch strebt und nach Seligkeit verlangt! – Psyche war sie, die sich dort oben, frei und unbehindert, von ihrer inneren Kraft allein gehoben, aus dem Kranze der Seligen loslöste! Während Maria noch, von ihrer irdischen Mutterschaft beschwert, sich von seligen Kindern tragen lassen mußte! Und er war nicht länger der geblendete Zuschauer, der kaum mit den Blicken zu folgen wagte – der Genius war er, der allein mitten im Kreise am höchsten schwebte, den Weg zu zeigen – dem sie alle zu folgen hatten!

Er hatte ihre Gedanken recht erraten. Erst war sie vom Bilde der leidenden Gottesmutter gebannt, vom Cherub umschlungen und nach oben gehoben wie sie – dann von ihm und den übrigen beschwert und nach unten gezogen! Sie stampfte auf, um sich frei zu machen, und da traf ihr Blick Psyche, die, von nichts gehalten, frei, von ihrer inneren Begeisterung gehoben, nach oben schwebte! Und dieselbe Begeisterung kam über sie! – Kaum noch empfand sie die Berührung mit der Erde – sie erhob sich in voller Entfaltung ihrer natürlichen Grazie, die Hände nach oben gestreckt, mit den Blicken verzückt das Licht und die Farben einsaugend.

Da packte ihn die Angst, sie zu verlieren! Der Führer und Wegweiser ins himmlische Licht wurde zum Luzifer, der ihr den Weg verlegte, das leuchtende Licht vom Himmel stahl und in Glut der Leidenschaft wandelte, um ihr damit aus dem Weg in die Tiefe zu leuchten.

In die Tiefe mußte sie – zur Erde zurück – in alle Höllen des Lebens untertauchen – das Erdhafte, das noch ihre Seele umfing, abstreifen! Dann erst durfte sie hinauf! Dann erst konnte sie den Staub hienieden verlassen – nach Kampf und Leiden! Eher nicht!

Und auf einmal von der Begegnung mit ihr in der Phantasiewelt zurück, stand er wieder hinter ihr, als der Tänzer Fossano, bereit, sie auch leiblich zu erhaschen und sie mit seiner Kunst an die Erde zu bannen!

Er trat an sie heran, und indem er auf das Deckenbild – die Himmelfahrt Marias – zeigte, flüsterte er ihr neckend zu:

»Das möchtest du wohl, so bis in den Himmel hineinschweben können?!«

Sie zuckte zusammen, war sofort wieder unten und sah ihn erschrocken an, aus großen dunklen Augen, die noch vor Erregung glühten!

»O ja!« sagte sie dann hingerissen, schloß die Augen, seufzte und war mit ihrer Seele wieder oben in der Region der Seligen.

Er ließ sie aber nicht so leichten Kaufes. Schnell umschlang er ihre Schulter und flüsterte noch eindringlicher:

»Das zu wollen – danach aus ganzer Seele zu trachten – weißt du, was das ist?«

»Nein«, antwortete sie, ohne die Augen zu öffnen.

»Das ist – der Tanz

Sie machte kehrt und sah ihn groß und fragend an.

»Ach, könnte ich's!« kam's wie ein Stoßseufzer zwischen ihren halbgeöffneten Lippen hervor.

»Du kannst es! Denn du scheinst mir den Trieb aus dir heraus zu haben! Das ist der Tanz in höchster Potenz: hinauf zu wollen und unten bleiben zu müssen – den Himmel offen zu sehen und so doppelt schwer die Abhängigkeit von der Erde zu fühlen!«

Sie sah ihn angstvoll an, sank dann plötzlich auf dem Steinboden zusammen und fing an bitterlich zu weinen.

Er hob sie auf.

»Nur nicht weinen«, sagte er. »Finde dich mit der Erde ab – sieh, wie schön sie ist, wie bunt sie in Gold und Farben glitzert! – Freue dich, daß du da bist – gib dich deiner Freude am Dasein hin – spende sie den anderen – mach auch sie den Drang hinauf vergessen – töte jene Sehnsucht, die Schmerzen bringt – tauche sie in Lust, wie's die anderen auch tun, und du wirst glücklich sein!«

Sie riß sich von ihm los, trat einen Schritt zurück und sah ihn entsetzt an.

»Folge meinem Rat! – Erkenne die Welt in ihrer ganzen Schönheit – und du wirst ihre Herrin sein und über sie gebieten!«

Nochmals blickte sie nach oben, aber draußen war eine Wolke über die Sonne geglitten, das Licht unter der Kuppel schwand, die Farben erloschen, das Wunder der Himmelfahrt hatte seine Zauberkraft eingebüßt, alles durch ihn, den schönen, selbstgefällig lächelnden Mann, der ihr sein Gift in die Ohren geträufelt hatte! – Der Teufel war er, der ihr die Erdenlust pries und ihr zu sagen schien: »All das gebe ich dir, wenn du nur nicht hinaufblickst, wenn du mir zu Füßen fällst und mich anbetest!«

Schnell zog sie ihr herabgeglittenes Tuch um den Hals zusammen und floh aus dem Gotteshause, ohne zu wagen, den Versucher auch nur anzusehen.

Ein kurzes Lachen verfolgte sie und beflügelte ihre Schritte.

Draußen, im Menschengewühl, gewann sie allmählich ihre Sicherheit wieder. Die Sonne brach wieder durch die Wolken, alles prangte im Glanz des Frühlings – alles lachte und jauchzte und freute sich des Daseins. An einer Straßenecke war Musik und Tanz. Sie mischte sich unter die Neugierigen, drängte sich bis in die erste Reihe vor und schaute andächtig zu.

Ein kleines Mädchen von sieben Jahren, barfuß und mit nackten Beinen, in hellem leichtem Kleid und rotsamtner, mit Pailletten besetzter Jacke, tanzte eine Tarantella zu den Rhythmen ihres Tamburins, begleitet von einem alten schmutzigen, zerlumpten Kerl, der auf der Erde saß und die Zither spielte.

Sie hatte die natürliche Grazie der Kinder des Südens, die leichte Beweglichkeit und den rhythmischen Sinn; sie schlug taktfest ihr Tamburin, als sie im Kreise herumflog, schüttelte es hoch über dem Kopfe, die andere Hand in die Seite stemmend, und drehte sich schneller und schneller, immer wieder von den Zurufen ihres Begleiters getrieben, dem sie nicht genug tun konnte. Ihr Lächeln hatte etwas Gezwungenes, ihr ganzes Auftreten war von einem fremden Willen gelenkt. Das einzige Natürliche bei ihr war die Angst – und die war nichts als die Furcht, den Unwillen ihres Herrn und Gebieters zu erregen. Sie strahlte vor Freude, als nach beendigtem Tanz die Kupfermünzen auf das bereit gehaltene Tamburin niederprasselten, und leerte es rasch in die Hand des Alten, der, unzufrieden brummend, die Ernte gierig in die Tasche schob und halblaut auf den Geiz der Leute schalt!

»Vorwärts, einsammeln!« rief er, »die da hat noch nichts gegeben!« und zeigte auf das junge Mädchen, das in der ersten Reihe stand.

Schnell wollte sie sich hinter die Umstehenden verbergen. Aber das Kind war rascher als sie. Schon stand es vor ihr, das Tamburin vorgestreckt, und sie hatte nichts zu geben und errötete vor Scham.

»Weiß Gott – ich möchte dir gern ein Goldstück hineinwerfen«, dachte sie, »aber woher es nehmen?«

Kaum gedacht, da flog ein Goldstück über ihre Schulter in das Tamburin hinein. – Sie blickte sich um und sah – einen jungen, hübschen, schlanken Menschen, in der Haltung stolz wie ein Fürst, der sie lächelnd anblickte. Derselbe, der sie in der Kirche erschreckt hatte, und doch nicht derselbe! Jetzt flößte er nur Zutrauen ein, wie ein alter Bekannter, ein guter Kamerad, der da war, ihr aus der Verlegenheit zu helfen!

Es schimmerte etwas wie Dankbarkeit in ihrem Blick, als sie ihn ansah. Er lächelte und, wie um ihr zu zeigen, daß er ihren Wunsch erraten hatte, warf er ein zweites Goldstück in das Tamburin, das das Kind noch hinhielt, starr über die unverhoffte fürstliche Gabe.

»Vorwärts«, rief er lachend, »nun tanz mir noch einen Saltarello!«

Und das Kind eilte, die goldene Ernte bei seinem Gebieter in Sicherheit zu bringen.

» Mille grazie, Signore!« kam es von dem Alten zurück, die Gitarre zirpte – das Kind flog wieder im Kreise herum, sein Tamburin schlagend und schüttelnd, daß die Schellen klirrten – und niemand schaute zu – alle hatten nur Augen für den berühmten Tänzer!

»Fossano! Evviva, Fossano!« riefen sie und drängten sich um den Vielbewunderten, der da stand und die Huldigung über sich ergehen ließ.

»Hier trete ich nicht auf«, rief er, sich lachend wehrend, »hier bin ich nur Publikum! Schaut zu ihr hin! Die hat jetzt die Kunst zu vertreten!«

Und alles lachte und klatschte Beifall. Die Kleine tanzte wie um ihr Leben. Und Fossano, der sich doch immer als Mann der Öffentlichkeit geben mußte, ob er auftrat oder nicht, fing an, sie laut zu kritisieren und ihren Tanz zu verhöhnen, immer noch sich an das junge Mädchen wendend, hinter dem er stand, und das ihn groß anblickte, beglückt, von dem berühmten Tänzer überhaupt bemerkt zu werden.

»Du blickst mich so an«, lachte er, »als fürchtest du, ich würde dich lebendig fressen! Blick lieber die Drehpuppe da an! – Da kannst du sehen, wie der Tanz nicht sein soll! Oder gefällt's dir?«

»Ich weiß nicht!«

»Nein, du weißt nicht! Aber du ahnst es, und deshalb werde ich dir sehen helfen. Das Überschäumen des Blutes – der landesübliche musikalische Sinn ohne Sinn, den das Pack hierzulande immer hat – die Geilheit, die das Tempo gibt, solange sie da ist, und dann nicht mehr! Angelernte Bewegungen ohne innere Notwendigkeit! Die Poesie – die Innerlichkeit, der Drang, sich zu geben, fehlen! Ebenso das Können, die Fähigkeit, aus anderer Leute Seele Funken zu schlagen, zu zünden, mitzureißen und zu begeistern. Woher Geist nehmen – wo keiner ist! – Ein hübsches Spiel für die Augen, solange sie hübsch ist – und dann ist's aus! – Der Tanz da gibt nie im Leben eine Himmelfahrt! – Und wenn's im Leben versäumt wird, nachher ist's aus! Hüpf zu!« rief er der Tänzerin zu. »Hüpf zu – und fall nicht! Denn nachher liegst du auf dem Rücken und zappelst, und da ist's aus mit dem Tanz, da hüpfst du nicht mehr!«

Die Umstehenden lachten und warfen ihr noch derbere Scherzworte zu – weinend floh sie zu dem Alten, um Schutz zu suchen. Brummend stand er auf, schlug seinen Mantel um sich und sie, ging um die Ecke und verschwand mit ihr und seiner goldenen Ernte! Das Publikum zerstreute sich. Fossano blieb stehen.

Ihm war alles andere gleichgültig. Er dachte nur an das junge Mädchen, dem er gefolgt war. Nur zu ihr oder für sie hatte er gesprochen, und nur um zu sehen, wie sie sich dabei verhielte! Alles andere war ihm gleichgültig. Zornig hatte sie geblickt und Empörung gezeigt – Tränen des Mitleids waren ihr in die Augen gekommen. Und als sie ihm den Rücken zukehrte und ging, bewunderte er die seine Biegung des Halses, den wundervoll angesetzten fein geschnittenen Kopf und die unabsichtlich natürliche Plastik ihrer Bewegungen, wie sie so langsam davonschritt und dann wieder stehenblieb.

»Niobe«, dachte er, »Niobe – die noch nicht die Kinderschuhe ausgetreten hat!«

Sie empfand seinen kalten, prüfenden Blick, sah ihn lächeln – das Blut schoß ihr gegen den Kopf, sie eilte auf ihn zu.

»Die Augen könnte ich Ihnen auskratzen!« rief sie und ballte ihre Fäuste unter seinem Gesicht.

»Bravo!« rief er, aufrichtig erfreut über ihren prächtigen Zorn, und packte ihre Hände.

Sie riß sich los, nicht ohne den bewundernden Ausdruck in seinem Gesicht bemerkt zu haben, und sagte, immer noch schmollend, aber bedeutend besänftigt: »Sie sind abscheulich!«

»Und du bist entzückend!«

Sie stampfte auf den Boden!

»Sagen Sie, was Sie wollen, aber es war herzlos von Ihnen! Wie konnten Sie dem Kinde weh tun wollen?«

»Du willst wissen, was ich wollte!« lachte er. »Denkst du, diekümmert mich? Dich wollte ich sehen! Und du hast dich mir gezeigt – im Schmerz und Mitleid ganz gut – im Zorn ausgezeichnet!«

Tränen der Wut und Beschämung traten ihr in die Augen.

»Warum machen Sie sich über mich lustig?«

»Das tue ich nicht! Mein Interesse an dir ist aufrichtig! Ich mag dich gern!«

Sie blickte ihn fragend an. Er wollte es aber nicht gleich weitertreiben und fragte nur beiläufig:

»Wie alt bist du?«

»Sechzehn!«

»Wie heißt du?«

»Babara!«

»Nun, Baberina – hast du schon ein richtiges Ballett gesehen?«

»Nein!«

»Bist du nicht im Theater gewesen?«

»Niemals!«

»Aber du möchtest wohl?«

»O wie gern!«

»Willst du heute abend das Ballett sehen, in dem ich tanze?«

»O ja!«

»Komm also eine Viertelstunde vor der Vorstellung nach dem Teatro Farnese, frag nach dem Ankleidezimmer Fossanos – Fossano, das bin ich!«

»Ich weiß.«

»Frag also den Türwärter danach, und man wird dich hineinführen. Du nimmst deine Eltern mit.«

»Ich habe nur die Mutter!«

»Bring sie mit! Und nach der Vorstellung laßt euch zu mir führen!«

Er wandte sich zum Gehen, blieb aber stehen und sah sie an.

»Dein Vatersname?« fragte er.

»Campanini!«

»Babara Campanini! Babara Campanini! Sage mal, Baberina«, er kam wieder auf sie zu, »ihr seid wohl nicht allzusehr mit Glücksgütern gesegnet?«

»So wie heute sind uns die Goldstücke nicht gleich bei der Hand, wenn's ans Zahlen geht!«

»Das kann noch kommen!« lachte er.

»Wie meinen Sie?«

»Nun – das hast du doch soeben gesehen! Du brauchtest nur zu wünschen, und gleich waren sie da!« Sie wußte, daß er die Wahrheit sagte, aber sie mochte es doch nicht glauben.

»Woher wußten Sie, was ich gerade wünschte?«

»Ein Wunsch ist nicht schwer zu erraten, wenn das Interesse da ist!«

»Aber Sie warfen gleich ein Goldstück!«

»Wolltest du nicht ein Goldstück für sie?«

»Ja. Und daß Sie das gleich wußten, macht mich bange!«

»Wer fürstlich zu wünschen versteht und gleich vom Schicksal mit der Erfüllung bedient wird, braucht keine Angst zu haben! Wünsche nur weiter!«

Er lächelte, und dies Lächeln brachte sie wieder in Harnisch.

»Was wollt Ihr von mir? Warum seid Ihr hinter meinen Gedanken und Wünschen her – erst in der Kirche und dann jetzt?«

Er lachte laut.

»Hast du Angst, mir etwas schuldig zu bleiben?«

»Wenn Sie so lachen, ja – weiß Gott – da möchte ich eine Handvoll Goldstücke haben, um –«

»Um?«

»Um sie Ihnen ins Gesicht zu werfen!«

»Bravo«, lachte er wieder. »Das war wieder fürstlich gedacht! Das Vergnügen kannst du noch haben!«

»Wieso?«

»Etwa – wenn ich dir Unterricht gäbe und es ans Zahlen käme! Mich zahlt man nur mit Goldstücken!« lachte er.

»Ihr wißt gut, daß ich das nicht könnte! Und deshalb solltet Ihr nicht lachen!«

Die Tränen kamen ihr wieder in die Augen.

Er wurde plötzlich ernst. Er hatte sich das Vergnügen gemacht, sie aus der einen Stimmung in die andere zu hetzen! In jeder Empfindung hatte sie pariert, alles war echt und von ungesuchtester Natürlichkeit! Er durfte es aber nicht zu weit treiben, sonst würde er die Führung verlieren – sonst würde sie ihm aus den Händen gleiten! Und er wollte sie einfangen – er brauchte sie, denn sie war, was er suchte!

»Verzeih mir!« sagte er, und seine Stimme nahm eine warme Färbung an, »ich wollte dir nicht weh tun! Ich bin nicht gewohnt, alles so ernst zu nehmen und zu meinen! Mir lacht eben das Leben; daher kommt's, daß ich über alles lache! Mehr ist's auch nicht wert! Und ich möchte es dir auch beibringen! Du hast das Tanzen im Blute, da gehe ich nicht fehl! Ich mach es dir frei! Ich bringe dir das Tanzen bei – du wirst bei mir Unterricht haben!«

Sie sah ihn groß an, als erzähle er ihr ein Märchen.

»Sechzehn Jahre bist du schon?«

»Bald siebzehn!«

»Höchste Zeit denn, wenn aus dir noch was werden soll! Komm also mit deiner Mutter heute ins Theater. Nachher wirst du mir sagen, wie es dir gefallen hat! Und das Weitere wird sich finden!«

Sie war außer sich vor Freude. Ihr Traum, ihr Traum sollte Wirklichkeit werden! Sie wagte es kaum zu glauben, sie wußte auch nichts zu sagen; von Glück überwältigt blickte sie ihn an, Tränen der Dankbarkeit in den Augen; sie beugte sich rasch, ergriff seine Hand und küßte sie. Errötete dann über ihre Dreistigkeit und floh davon wie der Wind.

»Babara!« rief er. Aber sie hörte ihn nicht.

»Ich hätte mitgehen sollen. Ich hätte wenigstens fragen sollen, wo sie wohnt!«

Er fürchtete, Psyche, die er so lange gesucht und endlich gefunden hatte, würde ihm wieder verlorengehen.

»Bah – sie wird schon ins Theater kommen«, dachte er dann achselzuckend. »Wenn sie die Richtige ist, wird es sie treiben – dann wird sie's nicht lassen können! Und sie ist die Richtige! Mein Auge betrügt mich nicht!«


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